Polizeirelevante psychische Störungen - Lena Posch - E-Book

Polizeirelevante psychische Störungen E-Book

Lena Posch

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Beschreibung

Psychisch auffällige Personen im Kontakt mit der Polizei Dieses Lehr- und Lernbuch basiert auf dem Vorlesungsskript der Autorin für die Veranstaltung "Psychische Störungen" im Psychologie-Modul der Hochschule in der Akademie der Polizei Hamburg. Vor dem Hintergrund vermehrter polizeilicher Kontakte mit psychisch auffälligen Personen steigt die Relevanz des Themas psychische Störungen und die Problematik findet verstärkt Eingang in die Polizeiausbildung. Das Buch macht dieses Thema in kompakter Form und didaktisch durchdacht den Studierenden an den Hochschulen der Polizeien, aber auch Polizeibeamtinnen und -beamten in der Praxis zugänglich. Wichtige Hinweise für Studierende Der als Lern- und Studienbuch konzipierte Teil richtet sich vor allem an Studierende in den Bachelorstudiengängen Polizei bzw. Polizeivollzugsdienst und bietet durch die Fallbeispiele und Übungsfragen die Möglichkeit zum Selbststudium und zur Vorbereitung auf die eigene (spätere) Berufstätigkeit. Wertvolles Praxiswissen für den Polizeidienst Der auf die Praxis ausgerichtete Teil zeigt auf, woran man im Kontakt erkennt, ob eine psychische Erkrankung oder Auffälligkeit beim Gegenüber vorliegen könnte und welche psychischen Störungen mit einem erhöhten Gefährlichkeitspotenzial im Sinne möglicher aggressiver Reaktionen einhergehen können. Die Verfasserin erläutert im Einzelnen, •welche spezifischen Risikokonstellationen es gibt (im Sinne der Verknüpfung bestimmter Merkmale der Person und der Situation), •wie Polizeibeamtinnen und -beamte die Situation deeskalieren können und •welches Verhalten sich sehr wahrscheinlich eher eskalierend auswirkt. Unverzichtbar für ... Studierende und auch Polizeibeamtinnen und -beamte gewinnen mit diesem Buch Sicherheit im Umgang mit psychisch auffälligen Personen.

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Polizeirelevante psychische Störungen

Kompaktwissen für Polizeistudium und -praxis

Prof. Dr. Lena Posch

Hochschule in der Akademie der Polizei Hamburg

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek | Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über www.dnb.de abrufbar.

Print ISBN 978-3-415-06928-2 E-ISBN 978-3-415-06930-5

© 2021 Richard Boorberg Verlag

E-Book-Umsetzung: Datagroup int. SRL, Timisoara

Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung, die nicht ausdrücklich vom Urheberrechtsgesetz zugelassen ist, bedarf der vorherigen Zustimmung des Verlages. Dies gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Bearbeitungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen.

Titelfoto: © agsandrew – stock.adobe.com

Richard Boorberg Verlag GmbH & Co KG | Scharrstraße 2 | 70563 Stuttgart Stuttgart | München | Hannover | Berlin | Weimar | Dresdenwww.boorberg.de

Vorwort

Dieses Buch entstand basierend auf meinem Skript zur Veranstaltung „Psychische Störungen“ im Psychologie-Modul der Hochschule in der Akademie der Polizei Hamburg. Da das Thema psychische Störungen vor dem Hintergrund der Häufigkeit polizeilicher Kontakte mit psychisch Auffälligen eine hohe Relevanz hat und auch in den Curricula anderer Polizei-Hochschulen vertreten ist, entstand die Idee, dieses Thema kompakt auch Polizeistudierenden anderer Hochschulen, aber auch PolizeibeamtInnen in der Praxis zugänglich zu machen. Als Lern- und Studienbuch richtet es sich vor allem an Studierende in den Bachelorstudiengängen Polizei bzw. Polizeivollzugsdienst und bietet durch die Fallbeispiele und Übungsfragen die Möglichkeit, es auch für das Selbststudium zu nutzen und Bezüge zur eigenen (späteren) Berufstätigkeit herzustellen.

Das Ziel dieses „Lernbuchs“ ist, Ihnen ein Basiswissen über polizeirelevante psychische Störungen zu vermitteln, d. h. über Störungsbilder, mit denen Sie im Rahmen Ihrer Berufstätigkeit sehr wahrscheinlich häufiger konfrontiert werden. Sie sollen später natürlich keine psychischen Störungen diagnostizieren können, aber Sie sollen in die Lage versetzt werden, zu erkennen, ob eventuell eine psychische Erkrankung vorliegen könnte und Ideen haben, um welche Störung es sich handeln könnte, um angemessen und handlungssicher reagieren zu können. Es geht letztlich darum, Aspekte zu kennen, auf die Sie im Umgang mit psychisch auffälligen Personen achten können und Ihre Handlungsoptionen dadurch zu erweitern. Es geht auch darum, die eigene Einstellung zu psychischen Störungen zu reflektieren und dadurch eine entpathologisierende Haltung einzunehmen, um keine „Ängste“ vor dem Kontakt mit Personen mit mehr oder weniger ausgeprägten psychischen Auffälligkeiten zu haben und Unsicherheiten zu reduzieren.

Auch ist es wichtig, die spezifischen mit bestimmten Störungsbildern zusammenhängenden Probleme und Charakteristiken der inneren Erlebniswelt der betroffenen Menschen zu kennen, damit man gezielt einfühlsam und situationsangemessen auf sie eingehen und so eine Begegnung mit ihnen so konfliktfrei wie möglich gestalten kann.

Inhaltlich behandelt das Buch zum Einstieg die Relevanz des Themas psychische Störungen für die Polizei sowie die Frage, was eigentlich psychische Störungen sind. Wie sind sie definiert, wo und durch wen werden sie klassifiziert und wie verbreitet sind psychische Störungen eigentlich bzw. welche Gruppen sind besonders davon betroffen? Darüber hinaus werden die in der klinischen Psychologie gängigen Erklärungsmodelle psychischer Störungen vorgestellt, also welche (begründeten und fundierten) Vorstellungen gibt es darüber, wie eigentlich eine psychische Erkrankung entsteht. Dann werden ausgewählte polizeirelevante Störungsbilder vorgestellt. Das Buch erhebt dabei nicht den Anspruch, ein vollständiges Lehrbuch klinischer Psychologie zu sein, in dem erschöpfend alle Störungsbilder abgehandelt werden – davon gibt es bereits sehr gute für andere Zielgruppen – sondern vielmehr das vorhandene Lehrbuchwissen zu ausgewählten Störungsbildern, die für die Polizei aufgrund der Kontakthäufigkeit besonders relevant sind, kompakt und adressatengerecht vorzustellen. Ziel dabei war, das Wesentliche anwendungsorientiert für die Zielgruppe der PolizeibeamtInnen und -studierenden so darzustellen, dass es auch ohne psychologische Grundausbildung verständlich ist. Zudem – und das ist das Besondere an dem Buch – wird bei allen Störungsbildern jeweils der polizeiliche Bezug hergestellt und durch weiterführende Übungsfragen vertieft. Diese sollen dazu anregen, das Rezipierte zu wiederholen, anzuwenden und gedanklich weiterzuverfolgen. Die Auswahl der Störungen richtet sich weitgehend nach denen, die auch schon an anderer Stelle (z. B. Litzcke & Hermanutz, 2004) als polizeirelevant identifiziert wurden.

Im letzten Teil, der unmittelbar auf die Praxisrelevanz ausgerichtet ist, wird darauf eingegangen, woran man im Kontakt erkennt, ob eine psychische Erkrankung oder Auffälligkeit vorliegen könnte und welche psychischen Störungen mit einem erhöhten Gefährlichkeitspotenzial im Sinne möglicher aggressiver Reaktionen einhergehen können. Es wird darauf eingegangen, was spezifische Risikokonstellationen sind (im Sinne der Verknüpfung bestimmter Merkmale der Person und der Situation) und wie Sie als PolizeibeamtInnen die Situation eher deeskalieren können oder welches Verhalten wiederum sich sehr wahrscheinlich eher eskalierend auswirkt.

Die Literaturangaben hinter den Abschnitten sind die Quellen des jeweiligen Abschnitts und zudem als Hinweis, wo vertiefend nachgelesen werden kann, zu verstehen.

Abschließend möchte ich meinen herzlichen Dank an meine (ehemaligen) studentischen Hilfskräfte richten, die mich bei der Erstellung des Vorlesungsskripts, auf dem dieses Buch basiert, sehr gut unterstützt haben: Mein besonderer Dank gilt Alisa Bläser für ihre hervorragende Mitarbeit bei der Aufbereitung meiner Vorlesungsmaterialien, Rebecca Ehmcke für ihre Unterstützung bei der Erstellung einiger Aufgaben und Fallbeispiele und Moritz Spielberger für die Erstellung des Glossars.

Hamburg, im September 2020

Lena Posch

Allein aus Gründen der besseren Lesbarkeit wird auf die gleichzeitige Verwendung männlicher und weiblicher Sprachformen verzichtet. Sämtliche Personenbezeichnungen gelten für beide Geschlechter.

Inhalt

Einführung: Warum ist das Thema für die Polizei relevant?

1 Was sind psychische Störungen?

1.1 Psychische Gesundheit vs. Krankheit

1.2 Psychische Störungen

1.3 Klassifikation psychischer Störungen

1.4 Verbreitung psychischer Störungen

2 Erklärungsmodelle psychischer Störungen

2.1 Psychodynamisches Modell

2.2 Lerntheoretisches Modell

2.3 Kognitives Modell

2.4 Soziokulturelles Modell

2.5 Biologisches Modell

2.6 Diathese-Stress-Modell

3 Persönlichkeitsstörungen

3.1 Was sind Persönlichkeitsstörungen?

3.2 Entstehung von Persönlichkeitsstörungen

3.3 Klassifikation von Persönlichkeitsstörungen

3.4 Borderline-Persönlichkeitsstörung

3.4.1 Was ist die Borderline-Persönlichkeitsstörung?

3.4.2 Entstehung von Borderline-Persönlichkeitsstörungen

3.4.3 Polizei & Borderline-Persönlichkeitsstörungen

3.5 Narzisstische Persönlichkeitsstörung

3.5.1 Was ist die narzisstische Persönlichkeitsstörung?

3.5.2 Entstehung von narzisstischen Persönlichkeitsstörungen

3.5.3 Polizei & narzisstische Persönlichkeitsstörungen

3.6 Dissoziale Persönlichkeitsstörung

3.6.1 Was ist die dissoziale Persönlichkeitsstörung?

3.6.2 Entstehung von dissozialen Persönlichkeitsstörungen

3.6.3 Polizei & dissoziale Persönlichkeitsstörungen

3.7 Psychopathie

3.7.1 Was ist Psychopathie?

3.7.2 Behandlung von Psychopathie

3.7.3 Polizei & Psychopathie

3.8 Paranoide Persönlichkeitsstörung

3.8.1 Was ist die paranoide Persönlichkeitsstörung?

3.8.2 Entstehung von paranoiden Persönlichkeitsstörungen

3.8.3 Polizei & paranoide Persönlichkeitsstörungen

4 Traumafolgestörungen

4.1 Trauma

4.2 Posttraumatische Belastungsstörung

4.2.1 Was ist die Posttraumatische Belastungsstörung?

4.2.2 Entstehung von Posttraumatischen Belastungsstörungen

4.2.3 Polizei & Posttraumatische Belastungsstörungen

4.3 Weitere Traumafolgestörungen

5 Angststörungen

5.1 Angst

5.1.1 Gesunde Angst

5.1.2 Pathologische Angst

5.2 Entstehung von Angst

5.3 Ausgewählte Angststörungen

5.4 Polizei und Angststörungen

6 Affektive Störungen

6.1 Depression

6.1.1 Was ist eine Depression?

6.1.2 Entstehung von Depressionen

6.1.3 Polizei & Depressionen

6.2 Manie

6.2.1 Was ist eine Manie?

6.2.2 Polizei & Manie

7 Alkoholinduzierte Störungen

7.1 Alkoholabhängigkeit

7.1.1 Was ist eine Alkoholabhängigkeit?

7.1.2 Verlauf der Alkoholabhängigkeit

7.1.3 Entstehung von Alkoholabhängigkeit

7.1.4 Behandlung der Alkoholabhängigkeit

7.2 Schädlicher Gebrauch von Alkohol (Alkoholmissbrauch)

7.3 Akute Alkoholintoxikation

7.4 Entzugssyndrom bei Alkohol

7.5 Polizei & alkoholinduzierte Störungen

8 Demenz

8.1 Was ist eine Demenz?

8.2 Formen & Ursachen der Demenz

8.3 Demenz vom Typ Alzheimer

8.4 Polizei & Demenz

9 Suizidalität & Suizid

9.1 Was ist Suizidalität?

9.2 Formen des Suizids

9.3 Zahlen & Fakten zu Suizidalität

9.4 Entstehung von Suizidalität

9.4.1 Biopsychosoziale Risikofaktoren

9.4.2 Präsuizidales Syndrom (Ringel, 1953)

9.4.3 Suizidale Entwicklung (Pöldinger, 1968)

9.5 Polizei & Suizidalität

9.5.1 Einschätzung der Suizidalität

9.5.2 Kommunikation mit Suizidanten

10 Schizophrenie & andere psychotische Störungen

10.1 Psychose

10.2 Schizophrenie

10.2.1 Was ist Schizophrenie?

10.2.2 Formen der Schizophrenie

10.2.3 Entstehung, Verlauf & Behandlung der Schizophrenie

10.3 Polizei & psychotische Störungen

10.3.1 Umgang mit Wahnvorstellungen & Halluzinationen

10.3.2 Umgang mit potenziell gewaltbereiten psychotischen Personen

11 Psychische Störungen in der polizeilichen Praxis

11.1 Erkennen von psychischen Störungen

11.2 Risikokonstellationen im Zusammenhang mit psychischen Störungen

11.2.1 Gewaltpotenzial verschiedener psychischer Störungen

11.2.2 Besondere Risikofaktoren im Zusammenhang mit psychischen Störungen

11.2.3 Risikopotenzial bei psychotischen Störungen

11.3 Umgang mit Risikosituationen

11.4 Vernehmung von Menschen mit einer psychischen Störung

Literatur

Glossar

Einführung: Warum ist das Thema für die Polizei relevant?

Die Relevanz des Themas psychische Störungen für die Polizei ergibt sich zunächst einmal aus deren relativ hoher Auftretenshäufigkeit in der Bevölkerung (vgl. Abschn. 1.4) und dem Umstand, dass polizeiliche Kontakte mit Menschen, die an einer psychischen Störung leiden, relativ häufig vorkommen. Im polizeilichen Alltag ergeben sich vielfältige mögliche Konstellationen, in denen Menschen mit psychischen Störungen einen Einsatzanlass darstellen. Diese können von verwirrten, hilflosen dementen Personen über Menschen im Zustand einer akuten Psychose über Notrufe wegen suizidaler oder fremdgefährdender Personen über Alkohol- und Drogenkranke bis zu psychisch auffälligen Tätern bei Stalking, häuslicher Gewalt oder (versuchten) Amoktaten o. Ä. reichen1. Weitere polizeiliche Berührungspunkte können sich im Zusammenhang mit der (unfreiwilligen) gesetzlichen Unterbringung psychisch Kranker bzw. deren Zuführung in eine psychiatrische Einrichtung ergeben. Diese haben Studien zufolge in Deutschland in den letzten Jahren in der Tendenz zugenommen2.

Es liegt in der Natur der Sache, dass sich polizeiliche Kontakte bzw. Einsatzanlässe immer gerade dann ergeben, wenn Menschen mit psychischen Störungen in irgendeiner Weise auffällig, selbst- oder fremdgefährdend werden und sie sich in einem Zustand hoher emotionaler und psychosozialer Belastung befinden3. PolizeibeamtInnen müssen dann unverzüglich handeln, die Situation oft mit nur wenigen Vorinformationen möglichst richtig einschätzen und mit ihrem Verhalten zur Deeskalation der Situation beitragen sowie ggf. Entscheidungen über weitere notwendige Maßnahmen treffen. Ein situationsangemessenes und in der Folge die Situation eher entschärfendes Auftreten und Handeln seitens der Beamten ist aber nur dann möglich, wenn ein fundiertes Wissen über verschiedene polizeirelevante psychische Störungsbilder vorliegt und Besonderheiten in der Wahrnehmung, dem Erleben und Verhalten bei bestimmten Störungsbildern sowie mögliche Eskalationsfaktoren bekannt sind. So ist z. B. eine Bewaffnung und ggf. Bedrohung mit einem Messer bei einem akut Schizophrenen ganz anders einzuordnen als bei einer Person mit einer dissozialen Persönlichkeitsstörung und erfordert eine andere polizeiliche Reaktion.

Allerdings verweisen sowohl ältere4 als auch aktuelle5 Studienbefunde darauf, dass einsatzbezogene Kontakte mit psychisch auffälligen Menschen von Polizeibeamten als konflikthaft angesehen werden, insbesondere aufgrund der schweren Einschätz- und Vorhersagbarkeit ihres zum Teil als irrational wahrgenommenen Verhaltens. Dies kann bei einem nicht unerheblichen Teil der Beamten zu Gefühlen von Angst während der Einsatzsituation führen – insbesondere dann, wenn wenig Wissen über psychische Störungen vorliegt6.

Unkenntnis und Unsicherheit im polizeilichen Umgang mit psychisch Auffälligen sowie daraus ggf. resultierendes eigenes Bedrohungserleben wiederum können auf Seiten der eingesetzten Beamten zu Überreaktionen führen, die die Situation zusätzlich verschärfen und dadurch den Ausgang der Kontakte für beide Seiten negativ beeinflussen. Dies spiegelt sich nicht zuletzt in dem hohen Anteil von Personen mit psychischen Störungen unter den durch Polizeiwaffen Getöteten wider, die etwa zwei Drittel ausmachen7, was insofern einen weiteren Aspekt der Relevanz des Themas für die Polizei begründet.

So ist die Vermittlung und Aneignung eines fundierten Wissens in diesem Themengebiet in Polizeiausbildung, -studium und -praxis nicht zuletzt für eine adäquate Gefährdungseinschätzung und die Erweiterung der Handlungsoptionen sowie den reflektierten Einsatz von Maßnahmen unabdingbar.

1 Was sind psychische Störungen?

1.1 Psychische Gesundheit vs. Krankheit

Gesundheit definiert sich gemäß der Weltgesundheitsorganisation (WHO, 2006) nicht nur durch die Abwesenheit von Krankheit, sondern beschreibt einen Zustand vollkommenen körperlichen, psychischen und sozialen Wohlbefindens. Gesunde Menschen schaffen es so, den wechselnden Herausforderungen des Alltags gerecht zu werden.

Dabei kann ein dimensionales Klassifikationssystem auch mit einem kategorialen Ansatz verknüpft werden: Um zu entscheiden, wann auf diesem Kontinuum eine psychische Krankheit vorliegt oder nicht vorliegt (und ggf. in welchem Schweregrad), kann man einen quantitativen Grenzwert (Schwelle) festlegen und sich dazu verschiedener Normen bedienen:

–Statistische Norm: als krank gilt, was statistisch gesehen selten ist.

Abb. 1 Normalverteilungskurve

–Funktionelle Norm: als krank gilt, was Menschen daran hindert, sich gemäß ihren aktuellen Lebensbedingungen zu verhalten bzw. ihre alltäglichen Funktionen zu erfüllen

–Soziale Norm: als krank gilt, was vom gesellschaftlich Festgelegten abweicht

 Wittchen, & Hoyer (2011): Klinische Psychologie & Psychotherapie:

Kapitel 1.3 „Was sind psychische Störungen?“ (S. 7–10)

Kapitel 2.1 „Abnorm oder normal – Krank oder gesund?“ (S. 28–32)

1.2 Psychische Störungen

In der Psychologie wird (im Unterschied zu den meisten Bereichen der Medizin) auf den Begriff „Krankheit“ verzichtet und stattdessen der neutralere Begriff der „psychischen Störung“ bevorzugt, da eindeutig nachgewiesene Kausalbeziehungen für die Entstehung einer psychischen Störung fehlen.

Psychische Störungen sind dabei als ein klinisch bedeutsames Verhaltens- oder psychisches Muster definiert8, das einhergeht mit

–Leidensdruck bei sich (z. B. durch Schmerzen) oder anderen (z. B. durch Verhaltensprobleme),

–einer erheblichen Beeinträchtigung (z. B. im Sozialleben, in beruflichen Leistungen oder finanziellen Bereichen) oder

–einem erhöhten Risiko zu sterben oder tiefgreifenden Freiheitsverlust zu erleiden.

Ursächlich dafür ist eine verhaltensmäßige, psychische oder biologische Funktionsstörung.

Bei psychischen Störungen handelt es sich also um eine Beeinträchtigung

–im Handeln (z. B. in der Motorik oder sozialen Interaktion)

–in der Wahrnehmung,

–im Denken (z. B. im Urteilen oder Lernen),

–im Fühlen oder

–der körperlich/biologischen Funktionsweise (z. B. Veränderungen im Transmitterhaushalt, der Muskelspannung)

die zu einem dauerhaft und massiv herabgesetzten Fähigkeits- und Funktionsniveau des Betroffenen führt.

Es handelt sich dagegen nicht um eine psychische Störung, wenn das Verhalten

–nur eine verständliche Reaktion auf ein Ereignis ist (z. B. Trauer beim Verlust einer nahestehenden Person) oder

–nur von der Norm abweicht (z. B. politisch, religiös oder sexuell) oder zu individuellen Konflikten mit der Gesellschaft führt, ohne dass dem eine Funktionsstörung zugrunde liegt.9

  Wittchen & Hoyer (2011): Klinische Psychologie & Psychotherapie:

Kapitel 1.3 „Was sind psychische Störungen?“ (S. 7–10)

Kapitel 2.1 „Abnorm oder normal – Krank oder gesund?“ (S. 28–32)

 Caspar, Pjanic & Westermann (2018): Klinische Psychologie:

Kapitel 1.3.1 „Psychische Störungen – Begriff und Kriterien“ (S. 6–7)

1.3 Klassifikation psychischer Störungen

Unter der Klassifikation psychischer Störungen versteht man die Zuweisung von Diagnosen zu Syndromen (Gruppe typischerweise gemeinsam auftretender Symptome). Damit ist die Klassifikation psychischer Störungen rein beschreibend: Ohne Aussagen über die Entstehung psychischer Störungen zu machen, werden leicht erkennbare und gut messbare Symptome, daher vor allem Verhaltensauffälligkeiten, nur aufgelistet. Ab einer gewissen Anzahl, Dauer, Häufigkeit und Intensität der auftretenden Symptome wird ihnen ein Krankheitswert zugeschrieben und damit ihre klinische Bedeutsamkeit beurteilt. So kann entschieden werden, ob eine psychische Störung vorliegt oder nicht und welchen Schweregrad sie aufweist. Die Grenzwerte dafür basieren auf dem Konsens internationaler Experten und dem aktuellen Stand der Forschung.

Derzeit gibt es zwei international gültige Klassifikationssysteme für psychische Störungen: Kapitel F der ICD-10 (10th Revision of the International Classification of Diseases, WHO 1992) sowie das DSM-5 (5th Revision of the Diagnostic and Statistical Manual of Mental Disorders, American Psychiatric Association (APA), 2013). Grundsätzlich sind beide Systeme hinsichtlich Diagnosen und Aufbau miteinander kompatibel. Die in Deutschland zur Kodierung und Leistungsabrechnung verwendete ICD-10 klassifiziert in anderen Kapiteln darüber hinaus auch alle weiteren Krankheiten – nicht nur die psychischer Art. Dafür ist das DSM-5 für psychische Störungen ausführlicher und wird vor allem von Psychologen und in der Forschung verwendet. Ein einheitliches, mehr erklärendes Klassifikationssystem gestaltet sich aufgrund vieler unspezifischer Störungsbilder und multikausaler Entstehungsbedingungen schwierig.

Tabelle 1: Psychische Störungen und Kategorisierung nach ICD-1010

Gliederung

Art der Störungen

F00-F09

Organische, einschließlich symptomatischer psychischer Störungen

•z. B. Demenzen (Alzheimer, vaskuläre Demenz, Demenz bei anderenorts klassifizierten Krankheiten)

•andere psychische Störungen aufgrund einer Schädigung oder Funktionsstörung des Gehirns

F10-F19

Psychische und Verhaltensstörungen durch psychotrope Substanzen

•Akute Intoxikation

•Schädlicher Gebrauch

•Abhängigkeits- und Entzugssyndrome für Substanzen (z. B. Alkohol, Tabak, sonstige Drogen wie Cannabinoide, Kokain, andere Stimulantien, einschl. Koffein etc.)

F20-F29

Schizophrenie, schizotype und wahnhafte Störungen

•Z. B. paranoide, hebephrene, katatone Schizophrenie

•akute vorübergehende psychotische Störungen

•schizoaffektive Störungen (manisch, depressiv oder gemischt)

F30-F39

Affektive Störungen

•z. B. Manie und Hypomanie

•Depression (depressive Episode, rezidivierende depressive Störungen)

•Bipolare affektive Störung

F40-F49

Neurotische, Belastungs- und somatoforme Störungen

•Phobien und andere Angststörungen (z. B. Panikstörung, generalisierte AS)

•Zwangsstörungen

•Reaktionen auf schwere Belastungen und Anpassungsstörungen (z. B. akute Belastungsreaktion, posttraumatische Belastungsstörung)

•Dissoziative Störungen (z. B. dissoziative Amnesie, Multiple Persönlichkeit)

•Somatoforme Störung (z. B. hypochondrische Störung)

F50-F59

Verhaltensauffälligkeiten mit körperlichen Störungen und Faktoren

•Z. B. Essstörungen

•Schlafstörungen

•Sexuelle Funktionsstörungen

F60-F69

Persönlichkeits- und Verhaltensstörungen

•Z. B. spezifische Persönlichkeitsstörungen (z. B. paranoide PS, dissoziale PS)

•Andauernde Persönlichkeitsänderungen (z. B. nach Extrembelastung)

•Abnorme Gewohnheiten und Störungen der Impulskontrolle (z. B. pathologisches Spielen, pathologische Brandstiftung, Kleptomanie)

•Störungen der Geschlechtsidentität

•Störungen der Sexualpräferenz (Paraphilien) (z. B. Fetischismus, Voyeurismus, Exhibitionismus, Pädophilie, Sadomasochismus)

F70-F79

Intelligenzminderung

•Leichte (IQ von 50–69) bis schwere (IQ von 20–34) Intelligenzminderung

F80-F89

Entwicklungsstörungen

•Sprache, Sprechen, schulische Fertigkeiten (z. B. Lese-Rechtschreibstörung)

•motorische Störungen

•Autismus

F90-F98

Verhaltens- und emotionale Störungen mit Beginn in der Kindheit und Jugend

•Z. B. Hyperkinetische Störungen, Tic-Störungen

•Störungen des Sozialverhaltens, Störungen sozialer Funktionen

F99-F99

Nicht näher bezeichnete psychische Störungen

•Nicht klar definierbare Störungsbilder

 Wittchen & Hoyer (2011): Klinische Psychologie & Psychotherapie:

Kapitel 2 „Diagnostische Klassifikation psychischer Störungen“ (S. 33–42)

1.4 Verbreitung psychischer Störungen

Die Verbreitung (Epidemiologie) psychischer Störungen wird meist anhand von Prävalenzraten ausgedrückt. Prävalenz beschreibt die Häufigkeit einer Erkrankung und Prävalenzraten entsprechend dem Prozentsatz aller Krankheitsfälle in einer definierten Population (z. B. alle in Deutschland lebenden Personen zwischen 18 und 65 Jahren) zu einem bestimmten Zeitpunkt oder innerhalb einer bestimmten Zeitperiode (z. B. 12-Monats-Prävalenz für das vergangene Jahr).

Epidemiologische Befunde zeigen, dass psychische Störungen weiter verbreitet sind, als sie allgemein wahrgenommen werden:

–In Deutschland leiden insgesamt rund 18 Millionen Menschen an einer psychischen Störung

–12-Monats-Prävalenz der Erwachsenen in Deutschland:

Im Laufe eines Jahres erkrankt etwa jede dritte Frau und jeder vierte bis fünfte Mann an einer psychischen Störung (insgesamt 27.7 %)

–Angststörungen stellen dabei die größte Störungsgruppe dar (15.3 %), gefolgt von Depressionen (7.7 %) und Alkohol- und Medikamenten-induzierten Störungen (5.7 %)

–Männer sind im Vergleich zu Frauen eher von Alkoholabhängigkeit betroffen (insbesondere Männer unter 35 Jahren), Frauen neigen dagegen eher zu Angststörungen oder affektiven Störungen

–Jüngere (18–34 Jahre) haben häufiger psychische Störungen als Ältere (65–79 Jahre)

–Ledige oder alleinstehende Personen erkranken gegenüber Verheirateten eher an psychischen Störungen

–Auch ein niedriger sozioökonomischer Status ist häufiger mit psychischen Störungen assoziiert als ein höherer

–Und Rentner sowie Arbeitslose haben im Vergleich zu Vollzeiterwerbstätigen eine höhere Wahrscheinlichkeit, eine psychische Störung zu entwickeln

–Unter den Erwerbstätigen haben die Ausfalltage aufgrund von psychischen Störungen von 2000 bis 2016 stark zugenommen und waren zuletzt der zweithäufigste Grund für betriebliche Fehlzeiten. Das liegt z. B. daran, dass

–psychische Störungen heute besser erkannt werden und

–in modernen Arbeitswelten die Einschränkungen durch psychische Störungen größer sind

–Insbesondere Personen aus dem Gesundheitswesen sowie der öffentlichen Verwaltung sind überdurchschnittlich häufig aufgrund von psychischen Störungen krankgeschrieben

 Wittchen & Hoyer (2011): Klinische Psychologie & Psychotherapie:

Kapitel 3 „Epidemiologische Beiträge zur Klinischen Psychologie“ (S. 59–87)

 Jacobi et al. (2014): Psychische Störungen in der Allgemeinbevölkerung: (S. 77–87)

 DAK (2015). Psychoreport 2015:

Kapitel 1 „Branchen im Blick“ (S. 19–22)

 Bundespsychotherapeutenkammer (BPtK): Psychische Erkrankungen verursachen weiter häufige Fehlzeiten (Pressemitteilung vom 02.01.2018)

 Deutsche Gesellschaft für Psychiatrie und Psychotherapie, Psychosomatik und Nervenheilkunde e. V. (2018). Psychische Erkrankungen in Deutschland: Schwerpunkt Versorgung. Verfügbar unter: https://www.dgppn.de/_Resources/Persistent/f80fb3f112b4eda48f6c5f3c68d23632a03ba599/DGPPN_Dossier%20web.pdf [29.08.2020].

Übungsaufgaben

1.1Welche Norm liegt der hier beschriebenen Definition psychischer Störungen zugrunde? Begründen Sie kurz.

1.2Fallbeispiel: Herr Gerold M.

Leidet Herr M. an einer psychischen Störung oder handelt es sich um eine normale Krise? Begründen Sie

Fallbeispiel

Gerold M. veränderte sich – scheinbar ohne Anlass – in den letzten Wochen. Als ein bislang eher ausgeglichener und fröhlicher Mensch wurde er niedergeschlagen und verzweifelt. Der betriebspsychologische Dienst wurde eingeschaltet, als er bei einem Seminar morgens offensichtlich alkoholisiert einen Vortrag hielt. Als Führungskraft bei der Lufthansa schien es Herrn M. sehr gut zu gehen. Er hatte Geld und ein breites Spektrum von Interessen, er war körperlich gesund und hatte eine ihn liebende Familie. Aber kurz nach seinem 50. Geburtstag verlor er allmählich das Interesse an seiner Arbeit, wollte nicht mehr mit Freunden oder der Familie ausgehen und zog es vor, sich in sein Arbeitszimmer zurückzuziehen. Dort trank er – für ihn ungewöhnlich – nahezu täglich Alkohol und grübelte vor sich hin. Er war ohne Appetit, schlief schlecht und hatte an nichts Vergnügen, auch nicht am Zusammensein mit seiner Frau und den Kindern. Mehr und mehr beherrschte ihn das Gefühl, dass er die Kontrolle über die Dinge verloren habe und dass kaum noch eine Chance bestehe, sein Leben je wieder voll in den Griff zu bekommen. Herr M. merkte, dass sein Blick häufig zu den Jagdflinten schweifte, die er in dem Landhaus aufbewahrte. Er fragte sich, ob seine Finanzen genügend geordnet seien, um seiner Familie den Unterhalt zu sichern, falls er sterben würde.

Aus Wittchen & Hoyer (2011), S. 10

1.3.Wie werden Menschen mit psychischen Störungen in der Gesellschaft gesehen? Welche Vorurteile haften ihnen an? Wie stellt sich dies im Vergleich zu Menschen mit körperlichen Erkrankungen dar? Worin könnten besondere Probleme von Menschen mit psychischen (im Vergleich zu körperlichen) Erkrankungen bestehen?

2 Erklärungsmodelle psychischer Störungen

2.1 Psychodynamisches Modell

Die klassische Theorie des psychodynamischen Modells wurde von Sigmund Freud (1856–1939) begründet und besagt, dass psychische Störungen auf verdrängten und damit unbewussten Konflikten sowie problematischen Entwicklungen während der Kindheit basieren. Nach Freud ist das menschliche Verhalten durch ein Wechselspiel von drei psychischen Instanzen, dem „Es“, „Ich“ und „Über-Ich“, die jeweils ihre eigenen Ziele verfolgen, geprägt und die Persönlichkeit psychodynamisch. Das „Es“ folgt dabei dem Lustprinzip, d. h., es sucht die unmittelbare Befriedigung grundlegender Bedürfnisse, Triebe und Impulse. Das „Ich“ als einziger vorwiegend bewusster Teil der Psyche folgt dagegen dem Realitätsprinzip und vermittelt zwischen den Anforderungen der Realität und den Ansprüchen des „Es“ und des „Über-Ichs“. Die dritte Instanz des „Über-Ichs“ ist der Sitz der moralischen Normen und Werte der Gesellschaft und entspricht damit in etwa dem Gewissen.

Weiter nahm Freud an, dass die Persönlichkeit in vier aufeinanderfolgenden psychosexuellen Phasen reift, in denen jeweils ein anderer Teil des Körpers als lustvoll erlebt wird und am besten geeignet ist, die triebhaften Bedürfnisse des Es zu befriedigen: Die orale (Geburt bis zum 1,5 Lebensjahr: Mund, Lippen => Nahrungsaufnahme), die anale (1,5–3 Lebensjahr: Anus kontrollieren => Sauberkeitserziehung), die phallische (3.–5. Lebensjahr: Wahrnehmung und kindliches Erkunden der eigenen Genitalien) und die genitale Phase (ab dem 13. Lebensjahr: Entdecken erwachsener Sexualität). Zwischen der phallischen und der genitalen Phase liegt Freuds Theorie zufolge zudem noch eine Latenzphase (5.–13. Lebensjahr), in der die Es-Impulse weniger ausgeprägt und deshalb weniger verhaltensrelevant sind.

In jeder dieser Phasen gilt es, Konflikte zwischen Befriedigungsbedürfnissen des Es und den Gegebenheiten der Umwelt zu lösen. Die Art und Weise, wie der Mensch das tut, formt seine Persönlichkeit. Erfährt ein Mensch zu viel oder zu wenig Befriedigung seiner Bedürfnisse während einer dieser Phasen, entwickelt er eine Fixierung, die jeweils mit dauerhaften Persönlichkeitsmerkmalen verbunden ist. Ist die Person dann später als Erwachsener Belastungen oder psychosozialem Stress ausgesetzt, kehrt er wieder zu diesem Stadium zurück. Man spricht dann in der psychoanalytischen Terminologie von „Regression“. Eine Fixierung in der analen Phase (Phase der Sauberkeitserziehung) kann nach Freud z. B. zu einer Zwangsstörung und Geiz führen. Psychodynamische Behandlungen zielen daher vor allem darauf ab, diese verdrängten Konflikte bewusst zu machen.

Freud hat seine Theorie aufgrund einzelner Beobachtungen vor allem seiner eigenen Kinder sowie in Therapiesitzungen entwickelt und wurde deshalb oft als „unwissenschaftlich“ kritisiert (z. B. da es eine kleine „Stichprobe“ ist, die zudem nicht repräsentativ ist, da sie sich auf gebildete und reiche Wiener – seine PatientInnen – bezog und er zudem nicht nach formalen wissenschaftlichen Standards, z. B. mit Experimenten, arbeitete. Darüber hinaus waren seine Daten nicht objektiv und wenig nachvollziehbar, da er während seiner Therapiesitzungen nur wenige Aufzeichnungen machte). Dennoch ist der Beitrag Freuds gewaltig und spielt auch weiterhin in der klinischen Psychologie eine große Rolle. Beispielweise gehen allgemein anerkannte Annahmen, wie z. B. dass (frühe) Kindheitserfahrungen zur Persönlichkeitsbildung des Erwachsenen beitragen, dass unser Verhalten durch unbewusste Prozesse gesteuert wird sowie dass Ursachen und Zweck menschlichen Verhaltens nicht immer offenkundig und von außen unmittelbar erkennbar sind, auf Freuds frühe Erkenntnisse und Theorien zurück.