Pop und Populismus - Jens Balzer - E-Book

Pop und Populismus E-Book

Jens Balzer

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Beschreibung

Der Ton wird aggressiver, auch in der populären Musik: Die Texte werden hasserfüllter, die Musik martialischer. Jens Balzer sieht hier eine klare Parallele zur politischen Debatten-Unkultur. Wie kaum ein anderer seziert der renommierte Popkritiker die Spannungsfelder eines kulturellen Feldes, dessen rhetorische Methoden und gezielt provozierende Haltungen auffallend denen der neuen Populisten ähneln. Zweifellos ist Pop ohne Provokation, ohne das Spiel mit Tabubrüchen nicht vorstellbar. Und diese Freiheit der Kunst darf weder einem moralischen Rigorismus noch politischen Interessen geopfert werden, betont Balzer. Das heißt aber nicht, dass man Verrohung, brutalen Sexismus und explizite Aufrufe zur Gewalt widerspruchslos hinnehmen muss. Vielmehr gilt es, sich über die roten Linien einer jeden Massenkultur zu verständigen. An vielen Beispielen – vom Echo-Skandal bis zur Debatte über "cultural appropriation" im Pop – zeigt Jens Balzer, wie schwierig es geworden ist, zwischen populär und populistisch zu unterscheiden. Und versteht es zugleich, für einen Pop zu begeistern, der mit den Mitteln der Kunst Freiheit und Solidarität feiert.

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Jens Balzer

POP UND POPULISMUS

Über Verantwortung in der Musik

Inhalt

Verantwortung?Die Spannungsfelder des Pop

  1.GrenzüberschreitungenWarum wir genauer hinhören müssen

  2.Authentisch sexistischDer Gangsta-Rap und seine Öffentlichkeiten

  3.Der drittliebste HassWie die Popkultur den Antisemitismus befeuert

  4.Time’s up!Der Kampf gegen sexuelle Gewalt und den Missbrauch von Macht

  5.SelbstermächtigungManifeste einer sexuellen Emanzipation

  6.»Dahoam, da komm i her«Zur politischen Ambivalenz der Heimatrocker

  7.»Zuhause heißt: alle sind gleich«Linke Heimatmusik und ihre Provokationen

  8.Weiße Reinheit?Warum die Neue Rechte eine Popkultur ohne Popmusik ist

  9.Blick in die FreiheitPop braucht keine Identitäten

10.Freundschaft im Pop

You may be black, you may be white, you may be Jew or Gentile

It don’t make a difference in our house

And this is fresh

Verantwortung?

Die Spannungsfelder des Pop

Mit stumpfem Sprechgesang schwingen die einen ihre überzüchteten Trizeps über die Bühne, predigen Hass auf Frauen, Schwule und Juden, während die anderen, völkische Deutschrocker, mit grobem Gitarrengeschrubbe patriotische Gefühle beschwören. Beim Blick in die Hitparaden kommt leicht der Verdacht auf, dass Popmusik nur noch reaktionäre Weltbilder pflegt. Der Echo 2018 endete glanzlos mit einem Skandal, weil die beiden Rapper Kollegah und Farid Bang mit einem Preis für das beste deutsche HipHop-Album des Jahres geehrt wurden – obwohl sie darauf die Opfer der Shoah verhöhnen und obwohl das gesamte Werk nur so strotzt vor sexistischen und gewaltverherrlichenden Texten. Dennoch – oder muss man sagen, deshalb? – war die Platte in den ersten Monaten 200000-mal verkauft und 30Millionen Mal gestreamt worden und erhielt darauf prompt den Preis, der die Kunst ehrte, obgleich er vornehmlich nach den höchsten Verkaufszahlen vergeben wurde. Einen ähnlichen Skandal hatte ein paar Jahre zuvor schon die erfolgreiche südtiroler Band Frei.Wild ausgelöst, die ihren Deutschrock mit aggressiv patriotischen Texten bestückt.

Der Echo wurde nach dem Kollegah-und-Farid-Bang-Skandal abgeschafft. Aber das ändert nichts an der gewonnenen Einsicht, dass sich der Mainstream bedenklich nach rechts verschoben hat. Wie konnte es dazu kommen? Hatten wir nicht früher einmal geglaubt, dass Pop sich auf der Seite der Aufrechten, der doch eher links Engagierten befindet? War Pop nicht immer ein Medium der Schwachen und der Minderheiten, der Emanzipation? Und hat er diese Qualität heute verloren? Diese Fragen stellen sich heute viele, und der Kulturkritiker Georg Seeßlen verkündet bereits das Ende der Popmusik als emanzipatorische Ausdrucksform: »Die Legende, dass unsere Musik, unsere Filme, unsere Comics automatisch mit dem Progressiven, Sozialen und Liberalen, mit der Verbesserung der Welt verbunden sein müssten, mit dem Geschmack von Freiheit, Gerechtigkeit und Geschwisterlichkeit – diese Legende haben wir schon seit geraumer Zeit begraben. In beinahe jedem musikalischen Genre, jeder Mode, jedem Medium hat sich ein dezidiert rechtes bis faschistoides Segment gebildet.«1 Es gebe, so Seeßlen, eine »Infiltration durch rechtspopulistische und neofaschistische Kräfte, Identitäre, Neue Rechte, Neocons, Volkstreue und wie auch immer sich das alte Gebräu in den neuen Flaschen nennen mag«, kurz: im Pop der Gegenwart herrsche eine »rechte Hegemonie«.2

Ist diese Diagnose zutreffend? Kann man sagen, dass der Pop heute zu einem Medium des rechten Populismus geworden ist? Und wenn ja, in welchem Sinne? Mit welchen musikalischen und sprachlichen Mitteln werden die Botschaften des Populismus verbreitet? Und worin besteht überhaupt der Wesenskern dieser Botschaften? Das sind die Fragen, denen ich in diesem Buch nachzugehen versuche. Ich glaube, dass Seeßlens Diagnose einerseits zutreffend ist, andererseits aber zu kurz greift. Die Brutalisierung und Maskulinisierung, die diskriminierende, rassistische, patriarchale, reaktionäre Grundierung weiter Teile insbesondere des massenbegeisternden Pop sind in der Tat erschreckend und in ihrem Ausmaß historisch neu. Doch finden sich zugleich starke Gegenkräfte, die in einem ebenfalls historisch neuen Ausmaß die misogyne Rhetorik im Pop und die patriarchalen Strukturen der Kulturindustrie kritisieren und bekämpfen. Denken wir allein an die #metoo- und die #timesup-Bewegungen, die seit Ende 2017 das Thema der sexuellen Ausbeutung und der sexualisierten Gewalt in der populären Kultur auf die politische Agenda gebracht haben – im selben Zeitraum mithin, in dem der rechte Populismus seine größten Erfolge feierte.

Versucht man, das Verhältnis von Pop und Politik in der Gegenwart zu beschreiben, kann man sich also nicht auf die Korrespondenzen zwischen Pop und dem rechten Populismus beschränken: Das ist eine der zentralen Thesen, die ich im Folgenden erläutern möchte. Allem voran gilt es, die Polarisierung in unserer gegenwärtigen Gesellschaft zu untersuchen – also den Widerstreit zwischen »reaktionären« und »emanzipatorischen« Positionen, zwischen Vergröberung und Verfeinerung, zwischen der immer drastischer formulierten Beschwörung identitärer Weltbilder und dem immer offensiver vorgetragenen Einspruch gegen die kulturellen und sozialen Traditionen, aus denen diese Weltbilder entspringen. Der Brutalisierung der popkulturellen Rhetorik steht eine ebenso starke Sensibilisierung für diskriminierende Sprechweisen und Arten der Kunst gegenüber. Dieses Spannungsfeld ist neu. Erst daraus erklärt sich die Heftigkeit, mit der heute über die moralische und politische Verantwortung von Kunst gestritten wird.

Große öffentliche Aufmerksamkeit kam der Echo-Verleihung an Kollegah und Farid Bang zu. Sie markiert einen entscheidenden Wendepunkt in der deutschen Debatte über Popmusik; darum werde ich im ersten Beitrag des Buches die Ereignisse rund um den Echo 2018 rekonstruieren und die sich hier herauskristallisierenden Fragen skizzieren. Wie konnte es dazu kommen? Warum hatte vorher (fast) niemand bemerkt, welchen Grad der Verrohung die Sprache im deutschen Straßen- und Gangsta-Rap erreicht hat? Und wie geht eine verantwortungsbewusste Öffentlichkeit mit solchen Phänomenen um? Muss man die Musiker selbst auch dafür in die Verantwortung nehmen, welche Welt- und Menschenbilder in ihren Texten gespiegelt und verstärkt werden? Oder ist der Standpunkt, es handle sich ja »nur« um Rollenprosa, ein nachvollziehbares und, wenn ja, auch ein legitimes Argument?

Dabei lassen sich die beiden zentralen Motive, der Sexismus und der Antisemitismus, bis zu den ersten Erfolgen des deutschen Gangsta-Rap Anfang der nuller Jahre zurückverfolgen. Im zweiten Kapitel erzähle ich von der Entwicklung des Maskulinismus, der Homophobie und Misogynie seit dem Debüt des prägenden deutschen Gangsta-Rappers Bushido im Jahr 2003; im dritten Kapitel gehe ich der fortschreitenden Durchsetzung dieser Musik mit antisemitischen Stereotypen nach. Diese betrifft aber nicht nur den – wesentlich muslimisch und migrantisch – geprägten Gangsta-Rap, sondern auch beträchtliche Teile der sonstigen Popmusik, wie es sich an den verbreiteten Sympathien für die israelfeindliche und tendenziell antisemitische BDS-Kampagne ablesen lässt.

Auf der Gegenseite der gesellschaftlichen Polarisierung behaupten sich neue Widerstandskräfte gegen die überkommenen patriarchalen und sexistischen Strukturen in der Popkultur; prägend dafür ist die #metoo- und #timesup-Bewegung, die ihren Anfang Ende 2017 mit den Enthüllungen über den Hollywood-Produzenten Harvey Weinstein nahm. Bis dieser feministische »Tsunami« (Janelle Monáe) auch die Musikindustrie erreichte, hat es eine Weile gedauert. Aber spätestens mit den Protesten gegen den pädophilieverdächtigen R’n’B-Sänger R. Kelly im Winter 2018/19 ist das Thema auch hier auf die Agenda gelangt; und während in weiten Teilen des massenbegeisternden Pop – zumindest im deutschsprachigen Raum – immer noch der Maskulinismus und das Patriarchat herrschen, findet sich jenseits dessen auch eine stärker werdende Strömung von erfolgreichen Künstlern und Künstlerinnen, die in ihrer Musik überkommene sexuelle Rollenmodelle in Frage stellen, von der Transgender-Elektroniker/in Planningtorock bis zu der feministischen Gitarrenrockerin Anna Calvi. Von diesen Phänomenen handeln das vierte und fünfte Kapitel, mit einem Seitenblick auf die sexualemanzipatorischen Positionen in der deutschen Hitparadenmusik. Diese finden sich gerade in jenem Genre, das gemeinhin als besonders spießig und rückständig angesehen wird: im Schlager.

Aber auch die Gestalt des Schlagers ist ambivalent: Der erfolgreichste deutschsprachige Schlagersänger, der österreichische »Volks- Rock’n’Roller« Andreas Gabalier, pflegt wiederum das dezidiert patriarchale Weltbild der rechtspopulistischen Partei seines Heimatlands, der FPÖ. Im sechsten Kapitel folgt deshalb das Porträt der Galionsfigur einer neuen – mal mehr, mal weniger aggressiv und völkisch geprägten – Heimatbeschwörung im neuen Pop. Diese findet sich in je eigener Art und Weise auch bei den südtiroler Deutschrockern von Frei.Wild und den zahlreichen – wiewohl politisch eher neutral auftretenden – Mittelalter- und Volkmusik-Rockbands von In Extremo bis zu Santiano.

Zeigt sich hier das Aufbegehren der heimatverbundenen »einfachen Menschen« gegen die entfremdeten kosmopolitischen Eliten, wie es von den Wortführern des Rechtspopulismus gegenwärtig bekräftigt wird? Einerseits ja – andererseits findet sich die emphatische Beschwörung der Heimat auch bei der gegenwärtig erfolgreichsten linken deutschen Rockband, Feine Sahne Fischfilet aus Mecklenburg-Vorpommern. Von dieser berichte ich im siebten Kapitel; auch um sie entwickelte sich im Herbst 2018 eine kontroverse Debatte, als ein geplanter Auftritt im Bauhaus Dessau auf Druck von örtlichen CDU- und AfD-Politikern und -Politikerinnen abgesagt wurde. Als Grund hierfür wurden gewaltverherrlichende, gegen Polizisten gerichtete Zeilen in ihren Songs angeführt. Haben wir es bei Feine Sahne Fischfilet also bloß mit einer Spiegelung des rechtspopulistischen Pop nach links zu tun?

Die Verschränkung von Politik, Pop und Populismus ist in jedem Fall komplexer, als es auf den ersten Blick erscheinen mag. Das zeigt sich einerseits an dem Umstand, dass weite Teile der erfolgreichen Popmusik zwar von rechten und rechtspopulistischen Menschen- und Weltbildern geprägt sind – sich andererseits aber so gut wie kein Musiker und keine Musikerin findet, die sich explizit zur entsprechenden politischen Bewegung bekennt. Selbst wenn sie – wie etwa Frei.Wild, Kollegah und Farid Bang – ästhetisch wie politisch gut dazu passen würden, wahren sie doch Distanz und Mehrdeutigkeit. Die bekennende Neue Rechte wirkt darum wie eine Popkultur ohne Popmusik: Das ist in Deutschland nicht anders als in den USA, wo Präsident Donald Trump für seine Inaugurationsfeier kaum einen Musiker oder eine Musikerin gewinnen konnte. Darum lauten die Fragen des achten Kapitels: Warum ist das so? Ist Popmusik kein relevantes Medium für die Formation politischer Bewegungen mehr? Oder ist »identitäre« Popmusik ein Widerspruch in sich, weil Popmusik schon immer von der Durchdringung von Kulturen, ethnischen Traditionen und Stilen gelebt hat – worin sich immer auch eine gesellschaftliche Utopie offenbarte?

Inwiefern gerade diese utopische Hybridität nun allerdings von »links« unter Druck steht, wird im neunten Kapitel hinterfragt. Während der Pop auf der einen Seite verroht und sich in amoralischer Verantwortungslosigkeit suhlt, breitet sich auf der anderen Seite ein immer strikter werdender moralischer Rigorismus aus, insbesondere unter dem Stichwort »cultural appropriation«. Weiße Künstlerinnen und Künstler werden scharf kritisiert, wenn sie sich »nichtweißer« kultureller Traditionen bedienen; der Gebrauch von Samples und kulturellen Zitaten, der weite Teile der elektronischen Musik in den letzten Jahrzehnten prägte und inspirierte, wird in zunehmend aggressiver Tonlage in Frage gestellt. Diese Art der identitären Inanspruchnahme und Reglementierung von Pop und Kunst möchte ein Reinheitsgebot durchsetzen, das dem identitären Denken der Neuen Rechten weit stärker entspricht als alten linken emanzipatorischen Idealen von Offenheit und Transgression – einerseits.

Andererseits bleibt die Frage, wie man solche Bestrebungen kritisiert, ohne zugleich ihren unzweifelhaften emanzipatorischen Kern als solchen zu denunzieren: nämlich das legitime Interesse von minoritären oder marginalisierten Gruppen, genauso sichtbar und relevant zu werden wie der – sagen wir mal – heterosexuelle, männlich und weiß geprägte Mainstream. Auch hier ist die Frage wieder: Wo ziehen wir die Grenze? Wie viel Verantwortung kann man fordern? Aber ist nicht gerade auch Verantwortungslosigkeit essenziell für die Kunst? Wenn man Pop prinzipiell in die Verantwortung für eine gerechte, gleiche, tolerante Gesellschaft nehmen möchte und ihm Provokation und Grenzüberschreitung versagt – zerstört man dann nicht seine inneren Impulse und behält nur eine öde leere Hülle zurück? Ist Verantwortung überhaupt eine Kategorie, die man an Kunst und ästhetische Phänomene herantragen kann? Ist eine »verantwortungsvolle Kunst« nicht am Ende nur ein Rädchen im neoliberalen Getriebe, das die Rezipienten zu verantwortungsvollen, also gut funktionierenden Bürgern erziehen soll?

Im Zentrum des abschließenden zehnten Kapitels steht die Frage, wie sich die Kritik in kulturell unübersichtlichen Zeiten wie dieser positionieren sollte und kann. Der Versuch einer Antwort liegt im vorliegenden Buch, in seinem Selbstverständnis und seiner Motivation: Die Popkritik muss wach sein – gerade für die politischen Implikationen der gegenwärtigen Popkultur; sie muss genau hinsehen und hinhören, auch wenn der Gegenstand der Kritik ihr ästhetisch noch so uninteressant oder minderwertig erscheinen mag. Zugleich muss sie versuchen, sich aus dem Getümmel der populistisch erhitzten Kontroversen herauszuhalten und diese von außen zu betrachten und zu bewerten. Ihr regulatives Ideal sollte eine Kultur sein, die nicht im institutionalisierten Ausnahmezustand des Kampfes aller gegen alle zerfällt, in der vielmehr die Utopie einer grenzenlosen Geschwisterlichkeit herrscht, der Wunsch nach Begegnung und Überschreitung, die Sehnsucht nach der Versöhnung des Eigenen mit dem Fremden. In seinen besten Momenten ist Pop immer ein Medium dieser Utopie gewesen; er bleibt auch heute ein Medium des Einspruchs gegen eine Gesellschaft, der im populistischen Wunsch nach identitärer Rückvergewisserung – von rechts wie links – das Bewusstsein davon abhandenkommt, dass die Schönheit des Daseins und darum auch der Kunst in der Neugier aufs Noch-nicht-Bekannte liegt, im Blick in das Offene und in die Freiheit.3

1.Grenzüberschreitungen

Warum wir genauer hinhören müssen

Am Donnerstag, dem 12.April 2018, werden in den Messehallen unter dem Berliner Funkturm die Echo-Musikpreise verliehen. Zum 27. Mal zeichnet der Bundesverband der deutschen Musikindustrie jene Künstlerinnen und Künstler aus, die im vorangegangenen Jahr in Deutschland die meisten Schallplatten und Downloads verkauft haben und am häufigsten gestreamt wurden. Die unangefochtene Lieblingssängerin der Deutschen, Helene Fischer, ist wie immer unter den Preisträgerinnen, sie erhält einen Echo in der Kategorie »Schlager«; die meisten Trophäen gehen an den irischen Sänger Ed Sheeran, unter anderem wird sein Album »÷« als »Album des Jahres« geehrt. Den Echo in der Kategorie »Hip-Hop/Urban national« erhalten die beiden Sprechgesangskünstler Kollegah und Farid Bang für ihr Langspielwerk »Jung, brutal und gutaussehend 3«.

Im Vorfeld der Echo-Verleihung wurde Kritik an ihrer Nominierung laut. Nicht etwa weil die Musik von Kollegah und Farid Bang wenig taugt: Ihre Beats sind an einfallsloser Monotonie schwerlich zu überbieten, aber musikalische Qualität ist das Letzte, worum es beim Echo geht, daran hat man sich über die Jahre hinweg gewöhnt. Die Kritik entzündet sich vielmehr an bestimmten Textzeilen. Zwei Reporter der Bild-Zeitung sind im März 2018 die Ersten, die darauf hinweisen, dass sich in einem der Lieder von Kollegah und Farid Bang diese Passage findet: »Deutschen Rap höre ich zum Einschlafen / Denn er hat mehr Windowshopper als ein Eiswagen, ah / Und wegen mir sind sie beim Auftritt bewaffnet / Mein Körper definierter als von Auschwitzinsassen«.4 Das heißt: Farid Bang, der diese Zeilen in dem Stück »0815« rappt, rühmt sich, so wenig Fett auf den Rippen zu haben wie sonst nur ein ausgemergelter Häftling in einem Konzentrationslager.

Warum wird ein Album mit einer derart widerwärtigen, die Opfer der Shoah verhöhnenden Zeile für den – nach eigener Darstellung – »wichtigsten deutschen Musikpreis« nominiert? Das werden die Echo-Veranstalter vor der Verleihung von verschiedenen Medien gefragt. Sie antworten darauf formal korrekt: weil die deutschen Popmusikhörer so etwas lieben und es beim Echo eben um die erfolgreichsten Alben geht. Seit dem Erscheinen des Werks im Dezember 2017 bis zum folgenden März wurde »Jung, brutal und gutaussehend 3« über 200000-mal verkauft und über 30Millionen Mal gestreamt. Nach den Regularien des Preises sind in jeder Kategorie die fünf meistverkauften Alben des Jahres nominiert. Zur Kür des Gewinners dürfen verschiedene Jurys ihr Urteil in die Waagschale werfen, doch zählt die aus diesen Voten resultierende Punktzahl im Gesamtergebnis prozentual so wenig, dass in den meisten Fällen schlicht die Verkaufsergebnisse den Ausschlag geben – wer so überragend viele Alben abgesetzt hat wie Kollegah und Farid Bang, kann von der Jury gar nicht mehr abgewählt werden. Der Echo folgt unbeirrt dem Prinzip »Wer gewinnt, gewinnt« – jedes kommerziell erfolgreiche Werk ist genehm, es sei denn, die Bundesprüfstelle für jugendgefährdende Medien hat es vorab indiziert. Was beim Album von Kollegah und Farid Bang nicht der Fall ist: Die Bundesprüfstelle antwortet auf Nachfrage, dass sie nur tätig werden kann, sofern ein Indizierungsantrag einer dazu berechtigten Behörde oder eines Trägers der freien Jugendhilfe bei ihr eingeht.5 Ein solcher liege jedoch nicht vor.

Auch ein von den Veranstaltern des Echo hinzugezogener »Ethik-Beirat« erhebt keine Einwände, er teilt wenige Tage vor der Verleihung mit: »Nach sorgfältiger Befassung mit dem Gesamtprodukt ›JBG3‹ von Kollegah & Farid Bang hat der Echo-Beirat mehrheitlich entschieden, dass im Song ›0815‹ der Bonus-EP ›§185‹ die künstlerische Freiheit nicht so wesentlich übertreten wird, dass ein Ausschluss gerechtfertigt wäre – auch, wenn es sich um einen Grenzfall handelt. Das Album bleibt somit für den Echo nominiert.«6 Freilich fügt der Sprecher des Beirats, der Flensburger CDU-Politiker Wolfgang Börnsen, in einer Stellungnahme hinzu: »Die Wortwahl einiger Texte (…) ist provozierend, respektlos und voller Gewalt. Sie als Stilmittel des Battle-Raps zu verharmlosen, lehnen wir ab und möchten an dieser Stelle unsere deutliche Missbilligung gegenüber der Sprache und den getroffenen Aussagen unterstreichen.«7

Die Veranstalter des Echo geben kurz vor der Veranstaltung bekannt, dass Kollegah und Farid Bang nominiert bleiben und auch während der Show auftreten sollen. Man werde allerdings die Kontroverse um ihre Musik als »gesellschaftliche Debatte« in die Preisverleihungsgala hineintragen.

Vom Abend des 11. bis zum Abend des 12.April 2018 wird in Israel der nationale Gedenktag Jom haScho’a begangen. An diesem Tag wird an die Opfer der Shoah erinnert sowie an die Helden des jüdischen Widerstands während der Herrschaft der deutschen Nationalsozialisten; die Einrichtung dieses Gedenktags geht auf die Erinnerung an den Aufstand im Warschauer Ghetto 1943 zurück. Am Donnerstagmorgen heulen überall im Land zwei Minuten lang die Sirenen, die Menschen halten inne und gedenken still der Millionen von Toten.

Auch in Berlin heulen am 12.April die Sirenen, sie begleiten den Auftritt von Kollegah und Farid Bang, mit dem die Verleihung der Echo-Musikpreise krönend beschlossen wird. Die Messehallen, in denen die vom Fernsehsender Vox übertragene Galashow stattfindet, wurden in den Jahren 1935 bis 1937 nach Plänen des Architekten Richard Ermisch errichtet; es handelt es sich um eines der monumentalsten Zeugnisse nationalsozialistischer Architektur in Berlin. Kollegah und Farid Bang greifen diese Ästhetik in ihrer Show auf. Bevor sie die Bühne betreten, marschiert eine Gruppe schwarzgekleideter und mit Gesichtsmasken vermummter Männer auf und postiert sich zu beiden Seiten in militärischer Formation. Einige von ihnen sind mit Flammenwerfern bewehrt, aus denen sie Feuerstöße hervorfackeln lassen, während die beiden Rapper in ihrer Mitte all jene Kritiker verhöhnen, die wegen der »Auschwitzinsassen«-Zeile erfolglos ihren Ausschluss von der Preisverleihung forderten: »Sie wollen uns mundtot machen / sie fordern den Echo-Verweis / Nackenschellen für Journalisten / dann habt ihr auch ma’ paar Verbände am Hals«. Kurz vor Ende des Auftritts werden drei große, schmale, lange Banner von der Bühnendecke heruntergelassen wie bei einem nationalsozialistischen Reichsparteitag. So feiern die beiden Rapper ihren Triumph, indem sie sich höhnisch als Wiedergänger jener Partei inzenieren, die die Massenvernichtung der europäischen Juden organisierte. Ein beklemmendes, unerträgliches Bild.8

Selbst der branchenübliche Zynismus der deutschen Musikindustriebeschäftigten ist an diesem Abend offenkundig überfordert. Über weite Strecken der Gala hinweg herrschen betretenes Schweigen und Ratlosigkeit. Lediglich an einer Stelle wird euphorisch geklatscht: als der Sänger der Stadionpunkgruppe Die Toten Hosen, Campino, in der Dankesrede für seinen eigenen Echo auch auf Kollegah und Farid Bang zu sprechen kommt. Er sei selber stets ein Freund der popmusikalischen Provokation gewesen, aber man müsse wissen, wo die moralische Grenze verläuft, »und die Grenze ist überschritten, wenn es sexistisch ist, homophob, rechtsextrem, antisemitisch«.9 Das liest er, sichtlich erregt, von einem Blatt ab; weswegen ihn Kollegah und Farid Bang, als sie etwas später ihren Preis entgegennehmen, als stammelnden Pennäler karikieren. Kollegah hat eine Zeichung Campinos auf ein Blatt gekritzelt, das er nun ebenfalls stark zitternd in die Kamera hält, während er den Umstand, Campino spiele sich hier »als moralische Instanz« auf, um sie »an den Pranger« zu stellen, als »relativ stillos« geißelt.10 Das Publikum buht die beiden Rapper für diese Ansprache lauthals aus, verlässt aber später auch während ihrer Reichsparteitags-Show nicht den Saal.

In den folgenden Tagen kommt es zunächst zu vereinzelten Protesten gegen die Auszeichnung: Charlotte Knobloch vom Zentralrat der Juden kritisiert sie ebenso wie Bundesaußenminister Heiko Maas. Erst nach dem Wochenende verdichten sich diese Proteste, auf der Internetseite »Perlentaucher« ist gar die Rede von einem regelrechten »Zivilcourage-Tsunami«11. Zahlreiche Echo-Preisträger geben ihre Auszeichnungen zurück, darunter der Beatles-Mitstreiter Klaus Voormann, der bei der Preisverleihung 2018 mit einem Echo für sein Lebenswerk geehrt worden ist; ebenso der Pianist Igor Levit und der Dirigent Daniel Barenboim, die in den vorangegangenen Jahren mit »Echo Klassik«-Preisen ausgezeichnet worden waren. Übertrumpft werden sie von Marius Müller-Westernhagen, der gleich sieben Echos zurückgeben kann. Schließlich legen drei Mitglieder des Echo-Beirats ihre Posten nieder, darunter der Präsident des Deutschen Kulturrats, Christian Höppner, Kulturstaatsministerin Monika Grütters übt scharfe Kritik, und eine Woche nach der inkriminierten Verleihung zieht sich der erste Sponsor, der Safthersteller Voelkel, von der Veranstaltung zurück.

Peter Maffay fordert in einem Facebook-Kommentar den Rücktritt aller Echo-Verantwortlichen und meint damit insbesondere den Vorsitzenden des Bundesverbands der Musikindustrie, Florian Drücke.12 Was Maffay in diesem Zusammenhang allerdings unerwähnt lässt, ist der Umstand, dass er beim selben Musikkonzern unter Vertrag steht wie Kollegah und Farid Bang, nämlich bei der Bertelsmann Music Group.13 Den Rücktritt der verantwortlichen Bertelsmann-Manager fordert er jedoch nicht; auch von einer Auflösung seines Vertrags mit dem Konzern aus ethischen Gründen ist keine Rede.

Der Bertelsmann Music Group haben Kollegah und Farid Bang in ihrer Ansprache ausdrücklich gedankt; dennoch gelingt es den Managern der Firma eine Weile lang gut, sich unter der Kritik wegzuducken: In den Echo-Veranstaltern hat die Öffentlichkeit schließlich einen Sündenbock gefunden, auf den man leicht einprügeln kann. Erst der Schriftsteller und Sänger der Gruppe Element of Crime, Sven Regener, erinnert in einem Interview, das ich nach der Echo-Verleihung mit ihm für die DIE ZEIT führe, daran, dass man auch einmal über die Leute reden könnte, die von dieser Musik profitieren: »Zum Beispiel die Bertelsmann Music Group, die im Dezember, als das Album veröffentlicht wurde, eine stolze Pressemitteilung herausgab: Mit Kollegah und Farid Bang sind wir jetzt die Nummer eins in Deutschland.«14 Tatsächlich konnte sich die Deutschlandchefin der Firma, Dominique Kulling, damals gar nicht einkriegen vor Freude über ihren gelungenen Coup. »Das ist eine exzeptionelle Platte«, schrieb sie in einer Pressemitteilung, »und sie zeigt, wie wichtig es ist, wenn man als Label an seine Künstler und ihre Visionen glaubt.« Dank der hervorragenden Verkaufszahlen sei die Bertelsmann Music Group in der Veröffentlichungswoche zum umsatzstärksten Musikunternehmen in Deutschland aufgestiegen; allein mit den 50Euro teuren Box-Sets habe man in den ersten sieben Tagen 3,5Millionen Euro umgesetzt.15

Wer so vollmundig wie Dominique Kulling von den »Künstlern und ihren Visionen« schwärmt, sollte allerdings auch wissen, welche Visionen sich auf der gelobten Platte so finden. Denn wenn man sich einmal die Mühe macht, das Album »Jung, brutal und gutaussehend 3« ganz durchzuhören, findet man darauf nicht nur die vielfach inkriminierte Zeile mit den »Auschwitzinsassen«. In anderen Songs schwelgen Kollegah und Farid Bang in heiteren Gewaltfantasien, sie wollen Menschen, die ihnen nicht passen, mit einem »Sprengstoffgürtel« massakrieren oder mit einem Lkw, »als wärst Du auf dem Weihnachtsmarkt«, oder mit einem Attentat »wie bei Charlie Hebdo«; oder anders gesagt: Die beiden muslimischen Künstler finden alle Arten von Gewalttaten toll, bei denen Christen und Juden ums Leben kommen. Bereits im Jahr 2016 hat Kollegah ein Video mit dem Titel »Apokalypse« veröffentlicht, in dem er eine epische Geschichte der Menschheit im Kampf gegen das Böse erzählt. Das Böse ist eine gehörnte Satansfigur mit einem Davidstern auf der Stirn. Glücklicherweise kann sie jedoch besiegt werden – und nachdem das Böse verschwunden ist, bauen »Christen, Muslime und Buddhisten« die Welt wieder auf.16

Die Künstler selber weisen alle Vorwürfe einer antisemitischen Gesinnung weit von sich. Farid Bang etwa reagiert schon vor der Echo-Verleihung auf seine Kritiker, indem er in einem Facebook-Kommentar sagt: Bei dem inkriminierten Satz mit den »Auschwitzinsassen« handele »es sich um einen harten Battle Rap Vergleich und nicht um eine politische Äußerung. Denn wir distanzieren uns von jeglicher Form des Antisemitismus oder Hass gegen Minderheiten.« Sein Kollege Kollegah legt ebenfalls auf Facebook großzügig nach: »An alle jüdischstämmigen Hörer meiner Musik! Ab jetzt auf Lebenszeit freier Eintritt auf jedes Konzert für alle unsere jüdischen Freunde!« Woraufhin der deutschjüdische Comedian und große HipHop-Fan Oliver Polak sich auf Twitter freut: »Antisemitische Musik umsonst gegen Vorlage eines Judensterns.«17