Prada, Party und Prosecco - Jenny Colgan - E-Book

Prada, Party und Prosecco E-Book

Jenny Colgan

0,0
7,99 €

-100%
Sammeln Sie Punkte in unserem Gutscheinprogramm und kaufen Sie E-Books und Hörbücher mit bis zu 100% Rabatt.
Mehr erfahren.
Beschreibung

Prada, Party und Prosecco! Muss Sophie erst alles verlieren, um die große Liebe zu finden?

Sophie Chesterton liebt den Luxus, und bewaffnet mit Papas Kreditkarte kann sie sich ungestört um die drei wichtigsten Dinge im Leben kümmern: Prada, Party und Prosecco. Sophie ist hübsch, sie kennt die richtigen Leute, geht zu den richtigen Events und trägt die richtigen Klamotten – kurz: Alles scheint perfekt. Bis das Schicksal zuschlägt und ein einziger grauenvoller Abend ihr Leben komplett durcheinanderwirbelt. Plötzlich wird der Traum von Villa und Versace zum Albtraum aus Schmuddel-WG und Putzkittel. Doch vielleicht ist am Ende alles nur halb so schlimm. Und was zählt wirklich: Geld oder Liebe?

Das E-Book können Sie in Legimi-Apps oder einer beliebigen App lesen, die das folgende Format unterstützen:

EPUB
MOBI

Seitenzahl: 400

Bewertungen
0,0
0
0
0
0
0
Mehr Informationen
Mehr Informationen
Legimi prüft nicht, ob Rezensionen von Nutzern stammen, die den betreffenden Titel tatsächlich gekauft oder gelesen/gehört haben. Wir entfernen aber gefälschte Rezensionen.



Buch

Sophie Chesterton ist ein Luxusgirl, und bewaffnet mit Papas Kreditkarte kann sie sich ungestört um die drei wichtigsten Dinge im Leben kümmern: Prada, Party und Prosecco. Sie ist hübsch, kennt die richtigen Leute und trägt die richtigen Klamotten – alles scheint perfekt. Doch dann schlägt das Schicksal gleich mehrfach zu, und ein einziger Abend wirbelt Sophies Leben komplett durcheinander. Nicht genug damit, dass ihr Freund sie mit der besten Freundin betrügt – es kommt noch schlimmer: Als Sophies Vater anruft und sie bittet, sofort nach Hause zu kommen, ahnt sie nicht, dass sie ihn nicht mehr lebend wiedersehen wird.

Zum Trauern bleibt allerdings keine Zeit, dafür sorgt eine Klausel im Testament: Sophie darf ihr Erbe erst sechs Monate nach dem Tod des Vaters antreten. Vorher soll sie lernen, auf eigenen Beinen zu stehen. Ein Plan B muss her, der sich in der Praxis als höchst gewöhnungsbedürftig entpuppt: ein Zimmer in einer chaotischen Männer-WG im miesesten Viertel der Stadt und ein Job als Assistentin eines Fotografen, der sich auf das Ablichten von Pornosternchen spezialisiert hat. Sophie wähnt sich in einem Alptraum. Doch vielleicht ist am Ende alles halb so schlimm – und was zählt eigentlich mehr: Geld oder Liebe?

Autorin

Jenny Colgan, geboren 1972 in Ayrshire, studierte in Edinburgh und lebt in London. Sie arbeitete sechs Jahre lang als Angestellte im Gesundheitswesen, hatte aber erheblich mehr Spaß an ihren beiden Nebenbeschäftigungen: Cartoons zeichnen und als Komödiantin in Clubs auftreten. Mittlerweile hat Jenny Colgan ihren Job längst gekündigt und widmet sich nun ganz dem Schreiben.

Jenny Colgan

Prada, Party

und Prosecco

Roman

Aus dem Englischen

von Sonja Hagemann

Der Inhalt dieses E-Books ist urheberrechtlich geschützt und enthält technische Sicherungsmaßnahmen gegen unbefugte Nutzung. Die Entfernung dieser Sicherung sowie die Nutzung durch unbefugte Verarbeitung, Vervielfältigung, Verbreitung oder öffentliche Zugänglichmachung, insbesondere in elektronischer Form, ist untersagt und kann straf- und zivilrechtliche Sanktionen nach sich ziehen. Der Verlag behält sich die Verwertung der urheberrechtlich geschützten Inhalte dieses Werkes für Zwecke des Text- und Data-Minings nach § 44 b UrhG ausdrücklich vor. Jegliche unbefugte Nutzung ist hiermit ausgeschlossen. .
Die Originalausgabe erschien 2009 unter dem Titel »Diamonds Are A Girl’s Best Friend« bei Sphere, London. Copyright © der Originalausgabe 2009 by Jenny Colgan Copyright © der deutschsprachigen Ausgabe 2012 by Wilhelm Goldmann Verlag, München, in der Penguin Random House Verlagsgruppe GmbH, Neumarkter Str. 28, 81673 München. Covergestaltung: UNO Werbeagentur, München Coverfoto: FinePic, München Redaktion: Ilse Wagner

Für Jo und Al.

Danke für alles!

TEIL EINS

Jetzt

Kapitel eins

Seit ich arbeite, war ich immer der Meinung, dass jeder am ersten Sonnentag des Jahres das Recht auf einen freien Tag haben sollte. Ihr wisst schon, ich meine diesen Morgen, an dem man aufwacht und das Herz einen Satz macht, weil man in der Ecke des Fensters ein Stückchen Blau entdeckt und Frühling in der Luft liegt. Meint ihr nicht auch, dass dann jeder automatisch frei haben sollte, um losziehen und den Tag genießen zu können?

Natürlich sind sich die Leute nicht darüber einig, wann genau der Zeitpunkt dafür gekommen ist. Vielleicht sollte man festlegen, wie hoch die Temperatur sein muss, aber dann wären die Schotten vermutlich sauer, und, na ja, es wäre wahrscheinlich schwierig, die Idee in die Tat umzusetzen, vor allem, wenn dann plötzlich die Krankenhäuser schließen und so. Okay. Das war offensichtlich doch kein so brillanter Einfall.

Gut, aber eventuell könnte man ja jedem einen Sonnenschein-Tag im Jahr zugestehen, und man kann sich aussuchen, wann man ihn in Anspruch nimmt, so wie bei manchen Leuten im Arbeitsvertrag steht, dass sie sich ein Mal im Jahr einen Tag Auszeit gönnen dürfen, nur weil sie gerade Lust dazu haben. Und schließlich weiß doch jeder, wann es so weit ist, oder nicht? Auf der Straße sieht man es klar und deutlich, ist doch irgendwie seltsam, die Leute lächeln sich an und so. Hm. Also stehen wir wieder vor dem Problem mit den Krankenhäusern und Polizisten – allerdings genauso mit den Politessen, also wäre es keine komplette Katastrophe.

Wie auch immer. Heute ist das Wetter jedenfalls schön, und ich nehme mir frei – wir nehmen uns frei – und fahren zum Strand!

Na ja, so ein richtiger Urlaubstag ist es dann doch nicht. Seine Brötchen als selbstständige Fotografin zu verdienen hat so einige Vorteile – vor allem kann ich meinen Job im Pyjama erledigen. Der Nachteil ist, dass es irgendwann nervt, wenn die Leute sticheln: »Hey, Sophie, arbeitest du eigentlich immer im Schlafanzug?«

Außerdem bedeutet es auch, dass man ständig an die Arbeit denkt, sogar an Tagen, an denen man offiziell FREI hat. Das ist aber in Ordnung, ich habe nämlich einen Weg gefunden, wie ich beides kombinieren kann. Und deshalb hüpfe ich jetzt auf dem Bett herum. So verleiht man einem Anliegen Nachdruck!

»Komm schon! Komm schon! Lass uns zum Strand fahren! Ich kann dich doch auch dort ablichten!« Er schlägt träge ein Auge auf. »Sophie. Was, um alles in der Welt, treibst du da?«

»Schau mal! Jetzt guck schon aus dem Fenster!«, plappere ich weiter.

»Wie alt bist du noch mal? Sechs?«

»Sieh doch raus, was ist anders?«

»Hm, haben sie die Graffiti überpinselt? Sind die wilden Katzen krepiert?« Tja, unsere Aussicht ist nicht besonders.

»Sonne! Die Sonne scheint! Lass uns losziehen und Fotos machen!«

»Könnten wir vielleicht erst mal frühstücken?«

»Aber mit Eis bitte!«

Er verzieht nachdenklich das Gesicht. »Na, warum eigentlich nicht?«

Ich kann nicht anders, ich bin tatsächlich ein bisschen aufgeregt, als wir in Southend mit unseren Handtüchern aussteigen und uns durch den Strom der Pendler kämpfen. Vielleicht sollte ich immer ein Strandhandtuch dabeihaben; die Leute werfen mir so neidische Blicke zu, als wäre meine Tasche das neueste Birkin-Modell, und ich muss mich zusammenreißen, um im Zug nicht auf dem staubigen, fleckigen Sitz auf und ab zu hopsen, während wir die grauen Londoner Häuser langsam hinter uns zurücklassen und sich Essex vor uns erstreckt.

Abgesehen von ein paar Spaziergängern mit Hund ist der Strand völlig verwaist – und absolut perfekt. Hier draußen, weit weg von der Stadt, ist es ein wenig frischer, aber der Himmel zeigt ein sanftes Blau, und nach dem langen Winter fühlen sich die Sonnenstrahlen warm und belebend an. Ich will mich am liebsten strecken und räkeln wie eine Katze. Ich stelle mich mit dem Rücken zur Sonne, sodass ich die Wärme durch die Kleidung auf der Haut spüre, und schließe die Augen.

»Ah«, seufze ich.

Er lächelt. »Glücklich?«

Also, wisst ihr, das scheint so eine harmlose Frage zu sein, aber ich muss dennoch überlegen. Ich sehe mich um, blicke zu den Dünen hinüber, zu den altmodischen Hotels, die direkt am Strand stehen und zu dieser Jahreszeit ein wenig verwahrlost aussehen. Ich beobachte einen Hund, der einer Möwe nachjagt. Offensichtlich bellt er sich die Seele aus dem Leib, aber er ist so weit weg, dass ich ihn nicht hören kann.

Bin ich glücklich? Es ist lange her, dass ich diese Frage einfach so bejahen konnte. Dabei denke ich nur ungern daran, was für ein Mensch ich früher war.

»Hm, schon.« Ich lächle zurück und hole meine geliebte Leica hervor. »Ich wäre allerdings noch glücklicher, wenn du hier irgendeine Bude finden würdest, die um diese Uhrzeit schon Fish and Chips verkauft.«

Er grinst. »Du bist ein richtiges Luxusweibchen.«

»Aber zunächst mal«, verkünde ich im Befehlston und fuchtele mit der Kamera herum, »jede Menge melancholische Porträts aus mittlerer Entfernung.«

Ich betrachte ihn durch die Linse hindurch. Nach üblichen Standards sieht er gar nicht so gut aus. Was für mich genau richtig ist, denn ich entspreche auch nicht den traditionellen Schönheitsidealen. Blass, mit heller Haut. Früher hatte ich lange, blonde Haare mit einem Mittelscheitel wie Gwyneth Paltrow, bis ich auf einer Party mal so einen schmalzigen Typen mit genau der gleichen Frisur getroffen habe. Und nicht nur das, er hat mir sogar einen Song auf seiner Akustikgitarre gewidmet, was zunächst recht spannend war, bis er dann den Mund aufmachte und sich anhörte wie eine Karambolage im Wespennest. Der Text lautete in etwa »O Baby, du hast mir das Herz gebrochen, in tausend kleine Stücke zerfetzt«, was mich nicht sonderlich beeindruckte, immerhin hatten wir uns ja gerade erst kennengelernt. Kurz darauf hab ich mir dann die Haare schneiden lassen.

»Jetzt guck doch mal ernst!«, befehle ich, was gar nicht so einfach ist, weil er einen kleinen Eisklecks auf der Backe hat – ein Überbleibsel von unserem Magnum-Frühstück (weiße Schokolade natürlich, das mit Zartbitter ist doch eher ein Nach-dem-Abendessen-Magnum).

Er seufzt. »Wieso?«

»Weil du wie ein großer Künstler aussehen musst, der eifrig auf die Inspiration für sein nächstes Meisterwerk wartet. Das sollen doch schließlich Bilder für deine neue Broschüre werden.«

»Pst, beschrei es bitte nicht. Kann ich nicht einfach wie ein fröhlicher Künstler aussehen, der auf seinen nächsten Scheck wartet?«

»O nein. Das zieht so gar nicht.«

»Und was ist mit einem Künstler, der am Hungertuch nagt und nicht einmal weiß, wie er die nächste Wasserrechnung bezahlen soll?«

»Lass mal sehen«, verlange ich. »Hm. Nein. Ziemlich enttäuschend.«

»Ich war eben sehr, sehr enttäuscht wegen der Wasserrechnung.«

»Pscht. Dann schau raus aufs Meer.«

»O ja, fantastisch. Das sieht dann so aus, als würde es bei meinem nächsten Projekt um diese gestreiften Leuchttürme gehen, die es im Souvenirladen gibt.«

Ich lasse die Kamera sinken. »Damit wäre aber sicher was zu holen. Hey, das könnte funktionieren!«

»Nichts da! Wir werden die Wasserrechnung auch so bezahlen. Irgendwie.«

»Ich mag Leuchttürme«, murmle ich. O ja, das ist der andere Nachteil, wenn man freiberuflich arbeitet – man ist ständig pleite.

»Das reicht! Genug! Bitte!«

»Okay«, rufe ich. »Wild! Leidenschaftlich! So solltest du gucken!«

»Das ist doch alles Quatsch!«, beschwert er sich, aber er hält still, während ich ein Bild nach dem anderen schieße. Mit der ruhigen See im Hintergrund und den harten Linien seines Profils, überlege ich, werden die Aufnahmen wohl am besten in Schwarz-Weiß rüberkommen, und falls das mit seiner Ausstellung je etwas wird, kann er die Bilder für den Flyer nehmen.

Schließlich sind die Fotos im Kasten, und ich finde, dass wir uns ein vernünftiges Frühstück verdient haben. Also verschwindet er hinter den Dünen.

Ich lasse mich im Sand nieder und warte. Okay, es herrscht kein opulentes Mittelmeerwetter, aber es ist doch irgendwie schön; von der See her weht eine frische Brise, nur falls man mal für eine Sekunde vergessen sollte, dass man sich in England befindet. Aber abgesehen vom Rauschen der Wellen ist es ganz still. Es kommt mir vor, als wären wir die allerersten Menschen an diesem Strand. Ich stütze das Kinn in die Hände und sehe aufs Meer hinaus.

Bin ich glücklich? Genau hier? Genau jetzt? Pah, eine bedeutende Frage und eine bedeutende Antwort.

Kapitel zwei

Als ich elf Jahre alt war, ist meine Mutter gestorben. Ist schon okay, ihr könnt ja nichts dafür – oder etwa doch? Nein, ich mache nur Spaß, tut mir leid. Ich meine, die Leute schauen einen dann immer so bestürzt an. Das liegt jetzt mehr als achtzehn Jahre zurück, und ich erzähle es immer noch nicht gern. Alle sehen plötzlich schockiert und betroffen aus, und schließlich versichere ich hastig: »Ist schon okay« und tröste dann sie statt sie mich.

Bis zu jenem Zeitpunkt war ich ziemlich normal, glaube ich zumindest. Ich war eher schüchtern, meine Hobbys waren Perlen, Barbie und Schulespielen. Ich würde mal sagen, dass wir in einem ziemlich großen Haus wohnten, aber damals ist mir das nie aufgefallen. Ich dachte einfach, dass jeder ein Hausmädchen und ein eigenes Ankleidezimmer hat. Na ja, was das betrifft, würde ich das komplette Ankleidezimmer, jede Barbie, die je auf den Markt gekommen ist, und alles andere, was ich irgendwann einmal besessen habe, nur zu gerne zum Teufel jagen, wenn ich stattdessen die Erinnerung daran aus meinem Kopf verbannen könnte, wie die Rektorin ins Klassenzimmer kam und mit seltsam erstickter Stimme erklärte, ich möchte doch bitte in ihr Büro mitkommen.

Ich versuche, mich an sie zu erinnern. Eines Abends, als ich etwa sieben Jahre alt war, schickten sie sich gerade an auszugehen – sie gingen abends oft weg, meine Mutter tanzte gerne und liebte Bälle, und mein Vater tat nichts lieber, als sie zu verwöhnen. Sie hatte ihr Lieblingskleid an – sie besaß viele Kleider, aber die meisten trug sie nur ein- oder zweimal. Dieses hingegen holte sie immer wieder aus dem Schrank. Es war aus pinkfarbener Seide (hey, wir reden hier von den Achtzigern), und sie trug dazu Locken und eine Blume im blonden Haar. Mein Vater übernahm das mit der Blume. Er tat so, als wäre es von äußerster Bedeutsamkeit und dass nur er das vernünftig hinbekam, und machte daraus eine großangelegte Aktion, mit jeder Menge Spray und Haarnadeln. Er beugte sich zu ihr hinunter, ihre Nasen berührten sich fast, und dann steckte er ihr vorsichtig, umständlich die Orchidee ins Haar. Schließlich drehten sie sich beide zu mir um. Vor Vorfreude lag ein Funkeln in den Augen meiner Mutter, wenn sie vor mir den Kopf neigte.

»Also«, verkündete mein Vater dann, »jetzt liegt die Entscheidung bei dir, Sophie. Kann deine Mutter sich so in der feinen Gesellschaft sehen lassen?«

Und irgendwie war mir klar, dass ich eine ernste Miene aufsetzen musste, so als würde ich sie wirklich genau unter die Lupe nehmen. Meine Mutter zeigte mir ihre Frisur, ich begutachtete sie sorgfältig und brummelte: »Hmm …«

Und dann flehte Mummy: »Bitte, Sophia, sag mir, dass ich vor deinem kritischen Auge bestehe!«

Und Daddy fügte hinzu: »Ja, denn wenn du uns so nicht aus dem Haus lässt, dann kommen wir zu spät zur Party, und du weißt ja, wie sehr deine Mutter es hasst, ein Fest zu verpassen!«

Und Mummy machte ein trauriges Gesicht. Nachdem ich sie so lange hingehalten hatte, wie ich es nur aushielt, verkündete ich: »Nun gut … ich würde mal sagen, Prüfung bestanden!«

»Hurra!« Dann küsste meine Mutter mich und hinterließ pinkfarbenen Lippenstift auf meiner Wange. Mein Vater gab vor, unglaublich erleichtert zu sein, und sie versprachen, mir je ein Stück von den besten Kuchen auf der Party mitzubringen. Dann lieh Daddy mir seine kostbare Leica, und ich machte ein Foto von ihnen.

Wir hatten viele solcher kleinen Rituale. An das mit dem pinkfarbenen Kleid erinnere ich mich am besten. Als ich älter wurde, überlegte ich manchmal, wie seltsam es doch war, dass sie auf jeder Party mit einem kleinen Täschchen erschienen und Petits Fours mitgehen ließen. Aber genau das taten sie, weil sie mich liebten und weil wir eine Familie waren, und ich denke, dass ich vielleicht deshalb so gerne Süßes zum Frühstück esse.

Nachdem sie gestorben war, ging natürlich alles den Bach runter. Obwohl ich schon elf Jahre alt war, ist diese Zeit in meiner Erinnerung irgendwie verschwommen. Mir war nicht klar gewesen, wie gut und mit welch behutsamer Hand sie den Haushalt geführt hatte, bis sie uns verließ. Ohne Esperanza, die sich um uns kümmerte, hätten wir vermutlich bereits nach einer Woche kalte Bohnen aus der Dose gelöffelt.

Die vielen Freunde meiner Eltern waren toll, natürlich, sie kamen vorbei und brachten uns was zu essen mit und luden mich ständig zu sich nach Hause ein, damit ich mit ihren Kindern spielte. Aber ich hatte dort seltsamerweise immer das Gefühl, dass ich mich supergut benehmen musste, sonst fingen die Mütter nämlich unweigerlich an zu weinen, und es war mir verhasst, alle so aufzuregen.

Nachdem ein wenig Zeit verstrichen war, ging es mir zwar wieder besser, und ich wollte gerne lachen oder mitspielen, aber dann merkte ich, wie die anderen Mädchen und ihre Mütter mich ansahen, als wollten sie sagen: »Wie kann die Kleine nur so fröhlich spielen, wenn ihre Mutter gestorben ist?« Und dann war ich wieder traurig und fühlte mich schuldig.

Daddy lenkte sich ab, indem er sich auf seinen Job konzentrierte. Er leitete irgend so einen persönlichen Anlagenblablabla mit Blablafonds. Er hatte versucht, es mir zu erklären, aber ich habe nie richtig zugehört.

Um ehrlich zu sein, stürzte er sich geradezu in die Arbeit, und zwar sehr erfolgreich, denn er war jetzt nie zu Hause. Weil er fand, dass ich ein durchstrukturierteres Leben brauchte und die bestmöglichen Chancen für die Zukunft, beschloss er, mich in ein Internat zu schicken.

Daddy dachte wirklich, es wäre das Beste für mich, obwohl er beim Abschied so sehr weinte, dass ich schließlich ihn trösten musste. Das Verrückteste daran war, dass Kendalls nicht einmal einen Kilometer von unserem Haus in Chelsea entfernt lag. Er schickte mich nicht weg, er wollte einfach nur, dass man sich um mich kümmerte, und zwar in einer sicheren Umgebung, wo ich nicht bei jedem Blick oder jedem Kleid, jedem Tor, jedem Laternenpfahl über meine Mutter stolperte.

Ich hegte romantische Vorstellungen von Internaten, für die ich vor allem der Dolly-Reihe und Mutters Lieblingsbuch, Was Katy in der Schule tat, die Schuld gebe. Ich fand die Idee gar nicht schlecht. Zwar hatte ich nicht unbedingt erwartet, Spaß zu haben, aber die Vorstellung von Mitternachtspartys, Ausritten und Streichen im Unterricht fand ich doch zumindest interessant. Außerdem würde dort niemand eine Mutter zur Hand haben, und ich wäre in dieser Hinsicht kein Außenseiter.

Hm. Internate in Büchern sind nicht ganz so wie die im richtigen Leben. Das hätte ich eigentlich wissen müssen, oder? Statt vieler lustiger Mädchen traf ich dort auf unglaublich hübsche, ziemlich fiese und eigentlich eher einschüchternde Mitschülerinnen.

Zunächst weckte ich dort einiges Interesse – mein tragisches Schicksal erregte große Aufmerksamkeit. Als diese Anteilnahme irgendwann abebbte und klar wurde, dass ich keine Kundenkarte für Harvey Nics hatte, fühlte ich mich plötzlich immer öfter alleingelassen. Dass ich ein stilles Kind war, war früher eigentlich kein Problem gewesen, denn ich hatte ja meine Eltern, die mir zuhörten, und ich hatte mich nie einsam oder fehl am Platz gefühlt.

Hier hingegen war ich so allein und fühlte mich so unbehaglich, wie man es sich nur vorstellen kann. Bis zu dem Tag, als ich Carena Sutherland dabei erwischte, wie sie ihrem Hamster eine Pediküre verpasste. Wusstet ihr, dass Hamster gegen Nagellack allergisch sind? Nein, ich auch nicht.

Ich hatte beim Mittagessen zu den Unterhaltungen der anderen Mädchen absolut nichts beizutragen, wenn sie sich über Diäten und Jungen austauschten, über Fernsehsendungen, die ich nicht gesehen hatte, oder über Musik, die ich noch nie gehört hatte. Ich wäre vielleicht nicht so verletzt und verunsichert gewesen, wenn ich Leute getroffen hätte, mit denen ich auf einer Wellenlänge lag. Aber es war anders gekommen, und dementsprechend fühlte ich mich.

»Mist!«, fluchte Carena und starrte auf das offensichtlich tote Tier, das auf der Seite lag.

»Was ist das denn?«, fragte ich schüchtern.

»Ein ganz, ganz kleiner Orang-Utan. Wonach sieht es denn aus?«, höhnte sie, und dann drehte sie sich zu mir um. Ich schreckte zurück. Carena war bei weitem das hübscheste, beliebteste und das am meisten Furcht einflößende Mädchen in unserer Klasse. Ihre Eltern waren ständig wegen der Arbeit unterwegs, und sie erzählte immer, dass ihr Kindermädchen sie durch die Clubs ziehen lassen würde, wenn sie dreizehn war. Irgendwie kauften wir ihr das sogar ab.

»Halt bloß den Mund, verstanden?«, zischte sie in drohendem Tonfall. Ich tat, wie mir geheißen, und spürte ihren wohlwollenden Blick, als Mr Carstairs uns alle anschließend zwanzig Minuten lang in die Zange nahm. Ich hielt dicht.

Zwei Monate später sprach sie wieder mit mir. Mein Dad hatte sich gerade einen Lamborghini gekauft. Ich habe keine Ahnung, was ihn da geritten hat. Er ist wohl eines Tages aufgewacht und hat sich gedacht, nun, ich habe die Liebe meines Lebens verloren – vielleicht hilft mir ja ein großes, glänzend rotes Auto. Oder vielleicht hatte ihm jemand bei der Arbeit davon vorgeschwärmt. Auf jeden Fall schickte er seinen Assistenten Brad los, um es für ihn abzuholen, und aus einer Laune heraus bat er ihn, mich gleich mitzubringen.

Der Wagen gab ein unglaubliches Getöse von sich, als er die Straße entlanggefahren kam. Er war leuchtend rot und lächerlich protzig. Alle Mädchen liefen herbei, um ihn sich anzusehen, und dann stieg Brad aus. Er war groß, gutaussehend, Amerikaner, schwul und unglaublich lieb zu mir. Mit seinem gestreiften Hemd, den perfekt nach hinten gegelten Haaren und den großen weißen Zähnen sah er für uns Zwölfjährige aus wie der Inbegriff eines Pin-up-Models.

»Hey, schöne Frau«, rief er. »Lust auf eine Spazierfahrt?«

Eigentlich setzte er mich nur bei Dads Büro ab, wo ich eine Stunde darauf wartete, dass mein Vater aus einem Meeting kam. Dann fuhren Daddy und ich in beinah völliger Stille die King’s Road entlang. Am Ende der Straße sah Daddy mich schließlich an.

»Das ist bescheuert, oder?«, fragte er.

»Na ja …«

»Ich dachte, mit der Karre würde ich mich besser fühlen.«

»Und?«

»Sie hätte das Ding gehasst, oder?«

»Dieser Wagen ist wirklich, wirklich geschmacklos, Dad.«

»Ja«, meinte er, »das hätte ich mir eigentlich denken können, so wie Brad darauf abfährt. Gehen wir eine Pizza essen?«

»Okay.«

Ich erinnere mich nicht daran, dieses Auto je wieder gesehen zu haben. Aber mir war zum ersten Mal klar geworden, dass meine Familie wohl ziemlich reich war.

Am nächsten Tag schlenderte Carena in der Pause wie zufällig an mir vorbei, tat so, als wäre sie überrascht, mich zu sehen, und sagte dann: »Oh, Sophie, hättest du Lust, zum Essen mit zu mir nach Hause zu kommen?«

Einfach so. Ungefähr genauso erstaunlich wie das erste Mal, als mich später ein Junge um ein Date bat (Marcus. Sein Vater war Farmer, und ihm gehörte halb Shropshire. Mit Tieren sprach er lieber als mit Mädchen. Ein Kuss von ihm fühlte sich an, als würde man von einem großen Pferd abgeleckt).

Und von da an waren wir Freundinnen, selbst dann noch, als sie herausfand, dass Brad gar nicht mein glamouröser und leicht pädophiler Freund war, sondern nur ein Angestellter meines Vaters. Sie genoss meine offensichtliche Bewunderung, gegen die ich absolut nicht ankam – Carena war einfach atemberaubend. So selbstbewusst. Meine Welt war ein einziges Durcheinander, und ich war mir nicht mehr sicher, welche Regeln jetzt galten. Aber Carena tänzelte durchs Leben, umgeben von einer Wolke unerschütterlichen Glaubens daran, dass sie bekommen würde, was ihr Herz begehrte, und dass jeder vor ihr strammstehen würde. Und so war es ja meistens auch.

Wir rauchten alle unsere ersten Zigaretten bei Carena zu Hause, dort probierten wir auch unseren ersten Wodka. Ihre andere beste Freundin war Philly, eine Stipendiatin, und wir beide buhlten um Carenas Gunst. Es war toll, mir keine Gedanken machen zu müssen, denn das tat Carena jetzt für mich. Ich begann, ihre Total-egal-Attitüde zu übernehmen, ihren herablassenden Blick auf die Welt. Vielleicht wurde ich ein wenig frecher, ein wenig härter. Ich rede mir gerne ein, dass ich zu schüchtern war, um mich richtig schlecht zu benehmen – aber dann erschien Gail auf der Bildfläche.

Eines Samstagabends übernachtete Carena bei mir – ich war dreizehn –, und Daddy kehrte von einer Geschäftsreise aus Prag zurück. Er war in letzter Zeit viel geflogen. Er kam spät, und ich konnte von oben hören, dass er nicht allein war. Sie lachten. Mein Vater hatte früher ständig gelacht. In letzter Zeit eher weniger.

»Wer ist das?«, fragte Carena, legte vor dem vergoldeten Spiegel neben der Treppe Lipgloss auf und zog einen Schmollmund. Zu jener Zeit probten wir sexy Gesichter. Vermutlich waren sie wohl weniger aufreizend als vielmehr gruselig, denn sie machten vielen von unseren Lehrern Angst.

»Ich weiß nicht«, erwiderte ich. Mein Vater brachte nur selten jemanden mit nach Hause, mal abgesehen von seinem Anwalt, Onkel Leonard (ich sagte nicht mehr Onkel zu ihm, seit das Carena einmal zu Ohren gekommen war und sie sich über mich lustig gemacht hatte).

Die große Tür ging auf.

»Sophia? Schatz?« Die Stimme meines Vaters tönte durchs Treppenhaus. »Bist du zu Hause?«

Ich antwortete mit einem Hm-Laut, den ich in letzter Zeit oft bei Carena gehört hatte.

Daddy trat in den Hausflur. Er sah müde aus, und er hatte zugenommen. Aber er trug ein strahlendes Lächeln auf dem Gesicht und hatte Lachfalten um die Augen.

»Sophie, ich möchte dir jemanden vorstellen.« Und dann verkündete er, quasi mit Trommelwirbel und Fanfare: »Gail.«

Gail trat vor. Sie war hübsch und blond, mit Stupsnase und niedlichem Kaninchen-Lächeln, das im Moment allerdings extrem nervös wirkte.

»Sophie!«, rief sie ein wenig zu fröhlich. »Ich erkenne dich von den Fotos wieder!«

Ich war so perplex, dass ich kaum ein Wort hervorbrachte. Es war ja ganz offensichtlich, was hier vor sich ging. Er war losgezogen und hatte sich eine Freundin zugelegt, ohne mir etwas davon zu sagen! Das warf mich völlig aus der Bahn. Carena gab einen Laut von sich, als würde sie nach Luft schnappen. Ich starrte sie an. Mein Vater stand immer noch da und sah hoffnungsvoll zu mir herauf. Auf der einen Seite Carena, und da unten stand mein Dad, und genau vor mir war der größte Affront, den ich mir nur vorstellen konnte. Mit Lippenstift auf den Zähnen.

»Hallo … Gail«, sagte ich einfach nur, ohne zu lächeln oder aufzustehen. Gails Lächeln begann augenblicklich zu schwinden. Und plötzlich machte mich das unglaublich wütend. Was hatte sie denn erwartet? Dass ich die Stufen hinuntereilen würde, um sie in die Arme zu schließen und sie zu bitten, meine neue Mutter zu werden?

Mein Vater fasste Gail am Ellbogen.

»Irre!«, verkündete Carena. Ich sah sie an, absolut schockiert. »Komm schon«, meinte sie, »wir verschwinden.«

Einen Moment war ich hin- und hergerissen. Dann drehte ich mich um und folgte ihr.

»Wer war das denn?«, fragte Carena laut, als wir mein Zimmer erreichten. Und das Schlimmste daran: Ich musste zugeben, dass ich keine Ahnung hatte.

Mein Vater rief mich später am Abend zu sich, als Gail nach Hause gegangen war.

»Die Sache tut mir leid«, erklärte er. »Es war eine ganz spontane Aktion. Wir kamen hier vorbei, und ich dachte …«

Ich starrte ihn an. Was hatte er gedacht? Dass ich auf nichts anderes gewartet hatte als ein Treffen mit … also, es war mir ehrlich gesagt nie in den Sinn gekommen, dass Dad eine andere Frau kennenlernen würde. Es war schließlich erst zwei Jahre her. Und er hatte doch mich!

Daddy streckte die Arme nach mir aus: »Sie ist ein nettes Mädchen, Sophia. Du willst doch, dass ich glücklich werde, oder etwa nicht?«

Natürlich wollte ich das, und ich hatte zu viel Angst, um ihm zu erzählen, wie schlimm es für mich wäre, wenn ich ihm Kummer gemacht hätte. Aber innerlich kochte ich vor Wut, und ich war so durcheinander und eifersüchtig wie noch nie zuvor in meinem ganzen Leben. Sie hatten mir die Mutter weggenommen, aber meinen Vater würde niemand kriegen!

Bald war mein Leben für meine Schulfreundinnen die reinste Seifenoper, während Gail ihr Bestes gab, um sich mit mir anzufreunden. EastEnders war nichts dagegen.

Sie bemühte sich, das muss man wirklich sagen. Da gab es »Familien«-Nachmittage auswärts, kleine Geschenke und besondere Ausflüge. Ich verbrachte sie alle durchweg schmollend, so wie es nur ein dreizehnjähriges Mädchen vermag. Wenn sie passiv-aggressives Herumgrummeln zur olympischen Disziplin erklärt hätten, wäre ich als sichere Gewinnerin ins Rennen gegangen, technisch besonders stark in den Kategorien tiefe Seufzer, Türenknallen und Dreisprung mit langer Miene.

Also passierte natürlich das Unumgängliche.

Es war Freitagabend, ich hatte nach der Schule kurz zu Hause vorbeigeschaut, um ein paar Klamotten und Geld mitzunehmen und dann das Wochenende bei Carena zu verbringen. Ich liebte das Arbeitszimmer meines Vaters. Es hatte immer schon ganz anders gerochen als der Rest des Hauses. Meine Mutter hatte hier nie viel Zeit verbracht, also lag in diesem Raum nicht der zarte Hauch ihres Parfüms (Miss Dior), der den Rest des Hauses erfüllte und den ich immer noch nicht riechen kann, ohne das Gefühl zu haben, dass mir jemand einen Schlag in den Nacken versetzt.

»Mäuschen, könntest du mal kurz reinkommen, ich möchte mich mit dir unterhalten«, rief Dad. Ich sah mich um und hoffte, dass es nicht um mein letztes Zeugnis ging. Meine große Entschuldigung für schlechte Noten machte nämlich so langsam keinen besonderen Eindruck mehr.

Er sah nervös aus. Na ja, gut. Nervös war besser als sauer.

»Sophia …« Er blickte auf seine Hände. »Hör mal, ich überlege … Ich überlege, Gail zu fragen, ob sie mich heiraten will.«

O Gott. Mein schlimmster Alptraum wurde wahr. Ich war noch nicht einmal geistesgegenwärtig genug, um beleidigt aus dem Zimmer zu rennen, einen Aufstand zu machen oder rumzubrüllen. Ich stand da wie versteinert, während mir Tränen in die Augen schossen.

»Sophie, das ist schon in Ordnung.« Er streckte die Arme nach mir aus, als wollte er mich drücken, aber ich blieb wie angewurzelt stehen. Dann seufzte er.

»Es geht hier doch nicht um dein Erbe, oder?«, fragte er sanft. »Du weißt, dass ich immer gut für dich sorgen werde.«

Dieser Gedanke war mir nie in den Sinn gekommen. In der Schule hatten alle Geld. Über dieses Thema wurde nicht einmal gesprochen.

Ich war schlicht wie gelähmt vor Angst, meinen Vater zu verlieren. Oh, sogar für eine Dreizehnjährige war ich selbstsüchtig. Ich stand einfach nur im Arbeitszimmer und ließ die Tränen meine Wangen hinabrinnen, sodass er sie sehen konnte.

Und jetzt sitze ich so viele Jahre später hier am Strand und frage mich: Bin ich glücklich?

Na ja, eines kann ich zumindest sagen: Ich habe für mein Verhalten die Quittung bekommen. Wirklich und wahrhaftig. Und ich will gerne erzählen, was genau passiert ist.

TEIL ZWEI

Damals

Kapitel drei

Wir hatten uns zum Mittagessen im Toa getroffen, einem angesagten neuen Restaurant in London. Carena, Philly und ich legten großen Wert auf alles, was in war. Philly hatte einen Job als PR-Managerin für Bars und Restaurants, was super war, denn so standen uns die Türen zu jeder Party und jedem angesagten Lokal offen. Erstaunlicherweise waren wir drei immer noch befreundet. Carenas lässige Überlegenheit machte es weiterhin spannend, Zeit mit ihr zu verbringen, und seit mein Dad wieder verheiratet war, hatte ich noch mehr Freiheiten – das war einfacher, als mich dazu zu bringen, zu Hause zu bleiben und nett zu Gail zu sein.

Carena sah noch immer atemberaubend aus – sie hatte unglaublich dünne, lange Beine und eine blonde Mähne. Ihre Schnute drohte Angelina Jolie Konkurrenz zu machen, und sie hatte die Augenbrauen zu einem schimmernd hohen Bogen gezupft, der sie ständig überrascht aussehen ließ. Sie erklärte, dass Männer diesen erstaunten Gesichtsausdruck liebten, weil er dem Blick entspricht, den sie ernten wollen, wenn sie sich zum ersten Mal vor dir ausziehen, so als wolltest du sagen: »O mein Gott, so einen Penis habe ich vorher ja noch nie gesehen! Was für eine riesige und unglaubliche Überraschung!« Das war natürlich eine äußerst nützliche Information, aber ich war mir nicht sicher, ob ich so etwas auch hinkriegen würde.

Philly achtete streng auf ihre Figur, indem sie jeden Tag zwei Paar Elasthan-Leggins übereinander trug, egal, was sie vorhatte. Ich könnte schwören, dass sie die selbst im Schwimmbad nicht auszog. Sie erzählte auch oft davon, dass sie von Natur aus so glatte Haare hatte und wie wenig Arbeit die machten, aber ich weiß ganz genau, dass sie alle zwei Tage zum Friseur ging und schreckliche Angst davor hatte, von einem Regenschauer überrascht zu werden.

Unser Mittagessen lief immer nach genau dem gleichen Schema ab: Wir schauten uns an, für welches trendige neue Menü Philly diese Woche warb, und stießen unsere Oh- und Ah-Rufe aus. Dann beäugten wir einander und erklärten: »Ich denke, ich nehme den Foie-gras-Hamburger«, nickten wissend und meinten: »Ja, ich auch.« Irgendjemand fügte dann meistens hinzu: »Mit Pommes frites«, und wir nickten wieder energisch und erklärten: »Klar, mit Pommes, auf jeden Fall.« Dann kam der Kellner, und im letzten Augenblick verkündeten wir schließlich: »Wisst ihr was, ich hab’s mir anders überlegt. Ich denke, ich nehme einfach nur einen grünen Salat.«

Ich glaube, der Zweck des Ganzen bestand darin, jemanden dazu zu kriegen, tatsächlich einen Hamburger mit Pommes zu bestellen, aber seit wir uns kennen, hat das noch nie funktioniert (außer manchmal bei Philly), also frage ich mich, warum wir uns überhaupt noch mit dem ganzen Theater aufhielten. Wir taten auch alle so, als würden wir noch Nachtisch bestellen. Die Kellner wirkten niemals überrascht, manchmal brachten sie nicht einmal einen Stift mit an unseren Tisch. Idioten!

Na ja, mir ging etwas ganz anderes durch den Kopf, und ich konnte kaum noch an mich halten. Carena sah mich an.

»Also«, fragte sie schließlich gedehnt, nachdem sie dem Brotkorb einen Blick zugeworfen hatte, als sei er ihr Erzfeind. »Wie läuft es mit deinem Lover?«

»Fantastisch!«, platzte ich heraus. Es stimmte schon. Seit ich Rufus kennengelernt hatte, war Zurückhaltung nicht meine Stärke. »Weißt du, wir haben darüber gesprochen, zusammen zum Skifahren zu gehen, und er will mich wohl seiner Großmutter vorstellen. Die hat so ein richtig tolles Haus. Und dann wollen wir vielleicht gemeinsam zum Jägerball …«

»Okay, ganz ruhig«, unterbrach mich Carena lächelnd und warf Philly einen Blick aus dem Augenwinkel zu. »Gott, und wir hatten schon Angst, du würdest ewig Single bleiben.«

Ich ebenfalls, dachte ich bei mir, aber das sagte ich nicht. Ich hatte Rufus bei einer Party kennengelernt. Um ehrlich zu sein, war unsere erste Begegnung sogar ein wenig peinlich gewesen. Er hatte getrunken und war zu mir zur Theke herübergekommen. Ich hatte ihn aus dem Augenwinkel beobachtet und mich über ihn gewundert, als er sich zu mir vorbeugte und fragte: »Würde es dir eigentlich was ausmachen, wenn ich dir eins auf den Hintern gebe?«

»Ja, allerdings!«

»Wie schade«, meinte er. »Dazu hätte ich jetzt echt Lust.«

»Pech gehabt!«, verkündete ich und achtete darauf, meinen Hintern außer Reichweite zu bringen. »Warum fängst du nicht bei dir selbst an?«

Ein Lächeln huschte über sein Gesicht. Er war wirklich furchtbar betrunken, aber trotzdem unverkennbar gutaussehend – die dunkelbraunen Haare fielen über seine langen Wimpern, und ich konnte einen kurzen Blick auf strahlend weiße Zähne erhaschen.

»Wie wär’s, wenn du das übernimmst?«

»Nein! Verschwinde!«

»Oh, sag doch das nicht, schöne Frau! Ich bin Rufus.«

»Zieh Leine, Rufus.«

»Das ist jetzt nur, weil ich betrunken bin, oder?«

»Genau. Na ja, und wegen der Sache mit dem Hintern.«

Er drehte sich zum Barmann um. »Eine Kanne schwarzen Kaffee, bitte!«

Und dann zwinkerte er mir zu. Ich gab ihm meine Telefonnummer, war aber völlig überrascht, als er mich drei Tage später tatsächlich anrief.

»Ich kann nicht fassen, dass du dich nach dem Vollrausch überhaupt noch an mich erinnerst.«

»An einen Hintern wie deinen? Machst du Witze?«

Und das war mein Rufus. Mein Herz machte jedes Mal einen Satz, wenn ich an ihn dachte. Er war ein Treuhand-Baby und besaß einen kleinen grünen MG, den ich liebte. Darin flitzten wir kreuz und quer durch London und hatten jede Menge Spaß. Er stand wirklich auf Spanking, aber er war so witzig und süß und zauberhaft, dass ich ihm das gerne nachsah, und es kam mir immer öfter in den Sinn, dass er vielleicht – genau – der Richtige sein könnte.

Ein paar Wochen zuvor hatten wir auf seinem Dach gesessen – das war nicht besonders sicher, aber die Aussicht war fantastisch, und es war so ein schöner Abend gewesen. Wir hatten Champagner getrunken und auf den Park hinuntergeschaut, während die Sonne unterging. Einfach perfekt. Ich ließ den Kopf an seine Schulter sinken, und er legte den Arm um mich.

»Sag mal, steht dir der Sinn eigentlich nie nach mehr, Sophie?«, wollte er plötzlich wissen.

»Mehr als was?«

»Mehr, als einfach nur ein Luxusleben zu führen?«

Ich sah ihn an. »Aber du sagst doch immer, dass es im Leben vor allem um Spaß geht!«

Er nahm einen Schluck aus der Champagnerflasche. »Oh, du hast sicher recht«, meinte er. »Ich hab nur manchmal das Gefühl, dass unser Dasein so sinnlos ist. Du schießt großartige Fotos, wenn dir gerade danach ist – hättest du nicht Lust, mehr daraus zu machen?«

»Weiß nicht. Könnte ich vielleicht. Und du, was würdest du gerne tun?«, neckte ich ihn spielerisch. »Medizin studieren? In Afrika Brunnen bauen? Den Krebs besiegen?«

»Immerhin hab ich letzte Woche bei der Wohltätigkeitsveranstaltung gespendet«, sinnierte er. Dann schien er den Gedanken beiseitezuschieben. »Wir haben doch Spaß, oder etwa nicht? Wir sollten das Leben nicht allzu ernst nehmen.«

Er drückte mir einen flüchtigen Kuss aufs Haar, dann leerten wir die Champagnerflasche, und ich fand, dass das der romantischste Abend meines Lebens war. Wir hatten eine gemeinsame Basis … wir konnten über unsere Träume sprechen, unsere Ängste, unsere Hoffnungen. Ich weiß, dass Daddy sich Sorgen machte, weil ich mich mit Playboys abgab, aber Rufus war wirklich anders.

»Das wird ja richtig ernst mit euch beiden«, sagte Philly erstaunt.

Normalerweise hätte ich das vehement abgestritten, aber wir waren jetzt vier Monate zusammen, und es lief wirklich gut. Ich war sehr glücklich.

»Nun ja …« Ich zierte mich.

»Glaubst du etwa … du weißt schon … da wird bald etwas an deinem Finger blitzen?«

Philly war drauf und dran, sich mit irgendeinem Banker zu verloben, und war völlig verrückt nach allem, was mit Hochzeiten zu tun hatte, und das, obwohl er so üble Arbeitszeiten hatte, dass sie ihn eigentlich nie zu Gesicht bekam. Carena hingegen sparte sich auf, wie sie sagte, und zwar sicher nicht, weil es ihr an Verehrern mangelte. Aber das Angebot musste schon vom richtigen Typen kommen. Ich denke, sie hatte ein großes Haus auf dem Land im Hinterkopf.

»Nein!«, behauptete ich. Aber ich konnte nicht leugnen, dass ich mich das auch schon gefragt hatte. Er war so witzig, so charmant, so kuschelig und gutaussehend. Und reich, natürlich, das war auch recht nützlich. Die Vorstellung, in seine Bude in Kensington einzuziehen, statt zu Hause wohnen zu müssen, gefiel mir. Bei Daddy war es wunderbar und so, aber es hätte mir nichts ausgemacht, meinem Stiefmonster zu entkommen. Die Beziehung zwischen uns hatte sich nicht gerade verbessert, seit ich mit voller Absicht auf allen hundertsiebzig Hochzeitsfotos geschmollt hatte.

Philly beugte sich vor. »Also, heute Abend steigt die Gallery-Party …«

Das war eines der sozialen Highlights des Jahres und fand in einem Londoner Park im Freien statt. Es war alles unheimlich romantisch.

»Oh, man kann nie wissen«, warf Carena ein.

»Wir sind doch erst vier Monate zusammen«, entgegnete ich. Ich wollte mich da auf keinen Fall in etwas reinsteigern. »Außerdem habe ich ja noch nicht einmal seine Eltern kennengelernt. Ich vermute, die müssen mich erst mal genau unter die Lupe nehmen, um sicherzugehen, dass ich eine angemessene Erbin wäre.«

Carena zog die Augenbrauen in die Höhe. »Ist er denn so reich?«

»O ja«, erklärte ich. »Sein Vater ist in der Pharmabranche. Offensichtlich ist die Prämie der Versicherung gegen Kidnapping höher als alles, was Rufus je verdienen könnte. Deshalb arbeitet er auch gar nicht erst.«

»Tatsächlich? Ich wusste nicht … Ich meine, er sieht doch immer eher ein bisschen schäbig aus.«

»Ich mag seine Klamotten«, verteidigte ich ihn. Ehrlich gesagt lebte er in einem alten Kordanzug, den ihm sein Vater vermacht hatte. Einkaufen fand Rufus langweilig.

»Na, das ist nun wahre Liebe«, meinte Carena und kippte den letzten Rest Champagner hinunter.

»Hallo, Sophia, Schätzchen«, sagte Daddy, als er mir auf der Treppe entgegenkam.

»Hi, Daddy.«

Unsere Beziehung hatte sich verändert, als Gail auftauchte. Sie war noch immer liebevoll, aber jetzt hatte ich das Gefühl, als hätte er eine Seite an mir entdeckt, die er vorher noch nicht kannte. Und ich war meinerseits sicher, dass sie ihn ständig mit Geschichten über mich versorgte, weshalb ich mich noch unbehaglicher fühlte. Jetzt, da die Teenager-Jahre vorbei waren und ich mehr Freiheiten hatte, lief es besser. Aber es gab immer noch heikle Situationen, vor allem, seit Gail neuerdings meinte, ich sollte doch mehr arbeiten, was absurd war, denn schließlich hatte sie ihren Job an dem Tag aufgegeben, als sie Daddy heiratete. Und sicher würde Rufus sowieso nicht wollen, dass ich Geld verdiente, mal abgesehen vermutlich von einigen Wohltätigkeitsaktivitäten. Das war ein verlockender Gedanke.

»Kommst du gerade von der Arbeit?«

Ich druckste herum. Es war ja nicht so, dass ich keinen Job hatte; theoretisch hatte ich den durchaus. Ich assistierte Julius Mandinski, dem Modefotografen. Nachdem ich die Schule mit nicht besonders beeindruckenden Noten abgeschlossen hatte (eine schlechte Ausbeute seiner Investition, wie mein Vater betrübt bemerkte, obwohl er zweifellos genug Kendalls-Allüren für sein Geld bekommen hatte), ging ich nach Oxford Brookes und studierte Fotografie, weil ich immer noch die alte Leica meines Vaters hatte und gerne knipste. Insgeheim machte es mir wirklich Spaß, aber ich traf dort auch jede Menge andere Mädchen aus Kendalls, und wir gingen jeden Abend zu College-Bällen, was in jener Zeit viel wichtiger war.

Julius hatte so ungefähr fünfzig Assistentinnen. Man bekam nicht besonders viel Geld, und es gab auch keine geregelten Arbeitszeiten oder Tätigkeiten, weil Julius nur mit der Crème de la Crème der Modelszene arbeitete und nur an bizarren Projekten. Wenn also zweieinhalb Meter große Rumänen kopfüber in einem Becken voller Harz schweben sollten, bekleidet nur mit wilden Gürteltieren, dann war Julius der richtige Mann. Meistens ging ich lediglich ein paarmal die Woche hin, um herumzustehen und mürrisch dreinzublicken, während ich Wodka für die Models holte. Ich drückte selten auf den Auslöser. Doch es gab meinem Vater das Gefühl, dass ich etwas für mein Taschengeld tat. Carena hingegen arbeitete überhaupt nicht.

»Ja, sozusagen. Ich hab die Mädels getroffen und mich auf den neuesten Stand gebracht.«

»Also warst du nicht wirklich bei der Arbeit, Kleines?«

»Nein. Deine neue Krawatte find ich toll, Daddy.«

Aber er sah nicht aus, als würde er sich damit abspeisen lassen. Um ehrlich zu sein, sah er auch nicht besonders gut aus. Gail versuchte immer, ihn etwas zu zügeln, was den Brandy und das gute Essen beim Savoy Grill anging, aber er hörte nicht auf sie, und ich stärkte ihr aus Prinzip nicht den Rücken, egal, worum es ging.

»Weißt du, als ich in deinem Alter war …«

»Da hast du eine Firma gekauft. Ich weiß, ich weiß.«

»Also, Gail hat mir die Rechnungen von deinen Schönheitsbehandlungen gezeigt …«

Na, vielen Dank, Gail, dachte ich eingeschnappt.

»Und ich meine ja nur, Schatz. Du bezahlst deinem Friseur mehr, als bei mir die jüngeren Angestellten in einem ganzen Jahr verdienen.«

Ich schüttelte meine lange, blassgoldene Mähne und warf ihm einen beseelten Blick zu. »Aber ich dachte, du magst mein Haar, Daddy.«

»Tue ich ja auch, Liebes. Aber ich möchte einfach, dass du … du weißt schon, aus deinem Leben etwas machst.«

»Julius Mandinski ist einer der erfolgreichsten Modefotografen des Landes.«

Daddy sah ein wenig traurig aus. »Na ja, davon verstehe ich nicht viel.« Dann lächelte er. »Aber ich weiß, dass du einen neuen Freund hast. Du tust so geheimnisvoll. Wann lerne ich ihn denn mal kennen?«

Das würde sich wohl einrichten lassen, hoffte ich. Um ehrlich zu sein, vertraute ich sogar darauf, dass Rufus mich bald um ein Treffen mit meinem Vater bitten würde, um ihm ein gewisses Anliegen vorzutragen …

»Ich bringe ihn mal mit«, versprach ich und lächelte. »Du wirst ihn mögen.«

Und das wünschte ich mir wirklich. Mein Vater war ein Selfmademan und traute Treuhandleuten manchmal nicht so recht über den Weg, aber schließlich mochte jeder Rufus. Selbst Carena fand ihn nett, und sie konnte die Typen, mit denen ich ausging, sonst nie leiden.

»Triffst du ihn heute Abend bei dieser Party?«

»Ja!« Bei dem Gedanken konnte ich mir das Grinsen nicht verkneifen. Ich konnte es kaum erwarten, ihn zu sehen.

Daddy schielte auf meine Einkaufstüten. »Hast du dir dafür ein neues Kleid zugelegt?«

Carena und ich waren shoppen gewesen, und ich hatte mir das romantischste Kleid gekauft, das ich finden konnte. Eine lange Robe aus schlichtem Stoff – so gar nicht das, was ich sonst so trug. »Das«, hatte Carena bemerkt, »sieht mir ganz stark nach dem Kleid einer Verlobten aus.«

»Willst du etwa nicht, dass die Jungs mich mögen?«

»Natürlich. Jeder soll dich mögen. Aber deinetwegen, Dummerchen, nicht wegen deiner Klamotten.«

Er hauchte mir einen Kuss auf die Stirn. »Trink nicht so viel Wodka, in Ordnung?«

Gail stand oben am Rand der Treppe. »Hast du mit ihr geredet?«, zischte sie meinem Vater zu, der schuldbewusst dreinsah.

»Ich muss noch im Arbeitszimmer ein Telefonat erledigen«, murmelte er und schlich davon. Gail warf mir einen Blick zu.

»Hallo, Gail«, rief ich und hoffte, Esperanza hatte schon angefangen, mir das Bad einlaufen zu lassen; ich ließ mich gerne gut durchweichen, bevor ich abends ausging. Gail seufzte. »Dein Vater und ich, wir machen uns Sorgen um dich.«

»Tatsächlich?« Ich wusste schon, was jetzt kam.

»Deine Kreditkartenrechnungen … Sophie, ich weiß, dass du hier viel Freiraum hast, aber das ist einfach lächerlich. Das ist die reinste Verar…, es ist einfach albern. Und du solltest dich wirklich nach einem vernünftigen Job umsehen.«

»Sorry, Gail, können wir später weiterreden?«, entgegnete ich. »Ich bin ein wenig in Eile.«

Zu besonderen Anlässen führte Daddy mich höchstpersönlich aus. An meinem fünfundzwanzigsten Geburtstag ging er mit mir mittags bei Le Gavroche essen und erzählte mir jede Menge Geschichten aus seiner Jugend in Nebraska. Ich hatte sie alle schon oft gehört, aber das störte mich überhaupt nicht, es war einfach nur toll, Zeit mit ihm zu verbringen.

Beim Essen brachten wir wie üblich einen Toast auf meine Mutter aus, und er bekam feuchte Augen, aber dann lehnte er sich im letzten Moment zu mir herüber und drückte mir die Hand, und ich verstand, dass er es schon schaffen würde. »Weißt du, Gail macht mich glücklich«, versicherte er mir, nachdem ein Augenblick verstrichen war. Ich antwortete nicht, aber ich tätschelte ihm die Hand und hoffte, dadurch würde er sich besser fühlen.

Anschließend nahm er mich zu Asprey mit, wo ihn die Angestellten schon kannten, und suchte ein umwerfendes Diamantenkollier für mich aus.

»Du bist es wert«, verkündete er. »Diese Steine sind makellos, genau wie du.«

»Ich bin nicht makellos!«, protestierte ich.

Dad sah sich demonstrativ nach allen Seiten um und senkte dann theatralisch die Stimme. »Ich weiß«, flüsterte er laut vernehmlich, »aber ich bin dein Vater, also erlaube mir bitte, wenigstens so zu tun.«

Er rückte die Kette noch einmal zurecht und betrachtete dann mein Bild im Spiegel.

»Was bedeutet ›Iglu‹?«, fragte ich, nachdem ich diese Aufschrift auf der Schachtel entdeckt hatte.

»Das sind kanadische Diamanten. Ethisch. Es gab keine Opfer in den Minen und keine blutigen Kämpfe um die Steine. Also sind sie nicht nur schön, sondern auch gut.«

Er strich mir sanft über die Wange. »Wir nehmen sie«, sagte er zu dem Verkäufer.

Das Licht fiel auf die Juwelen. Sie waren so rein, dass es beinahe wehtat.

»Und direkt ab damit in den Safe«, meinte Daddy lächelnd. »Aber für den Fall, dass du dich eines Tages besonders schön machen willst …«

Ich umarmte ihn heftig. Ich wusste, dass ich verwöhnt war, auch vom Glück. Nach so einem Mittagessen nahm ich mir jedes Mal vor, ein wenig netter zu meiner Stiefmutter zu sein, weil ich meinen Vater so sehr liebte.

»Die sind jetzt schon mein Ein und Alles.«

»Du bist mein Ein und Alles.«

Kapitel vier

Später machte ich mich auf den Weg zur Party. Als ich aus dem Haus trat und die Stufen zum Taxi hinunterging, wusste ich noch nicht, dass es mein letzter Tag im Elfenbeinturm sein sollte. Ich trug das zauberhafte Kleid, das in der späten Abendsonne schimmerte, ein Paar schwarze Gina-Schuhe mit Riemchen, und mein Haar war glatt und weich und schimmernd wie Butter. Es war ein warmer Abend. Zu dieser Zeit des Tages fühlte London sich immer an, als läge unendlich viel Erwartung in der Luft. Ich war jung, reich, verwöhnt und verliebt und unterwegs zum angesagtesten Event des Jahres. Alles war gut.

Die Party stieg im Hyde Park. Überall waren riesige Skulpturen aufgestellt worden, und es gab Zelte aus langen Stoffbahnen, die von flackernden Flammen beleuchtet wurden. Die Kellner und Kellnerinnen trugen weiße Togen und machten mit Cocktails und kleinen Kanapees die Runde, die ich natürlich ignorierte. Der Schein der untergehenden Sonne fiel auf das weiße Leinen, und alles war in ein leuchtend roséfarbenes Licht getaucht. Es war einfach wunderschön.

Rufus war noch nicht da, und Carena konnte ich auch nirgendwo entdecken, also holten Philly und ich uns erst mal etwas zu trinken und bewunderten die Artisten, die auf dem Rasen ihre Künste zeigten.

»Wo ist Rufus?«, fragte ich aber schon bald.

»Hm, weiß nicht so genau. Sollen wir uns nicht ein bisschen unters Volk mischen?«, schlug Philly rasch vor.