Erhalten Sie Zugang zu diesem und mehr als 300000 Büchern ab EUR 5,99 monatlich.
Auch neuere pragmatisch orientierte Ansätze zur Informationsstruktur greifen für die Explikation der Satztopik-Kategorie auf die traditionelle Unterscheidung von Satzgegenstand und Satzaussage zurück und deuten das Satztopik unter Rückgriff auf bestimmte kognitive und kommunikative Strukturierungsprinzipien als Bestandteil der sogenannten Aboutness-Relation: Prädizierende Sätze lassen sich aufgliedern in dasjenige, worüber etwas ausgesagt wird, und dasjenige, was darüber ausgesagt wird. Ausgehend von der These, dass es im Deutschen keine explizit ausgewiesene syntaktische Position für Satztopiks gibt, geht dieser Band der Frage nach, welche diskursiven Bedingungen für die Aboutness-Relation vorausgesetzt sein müssen und über welche Eigenschaften Diskursreferenten mit Topikstatus verfügen.
Sie lesen das E-Book in den Legimi-Apps auf:
Seitenzahl: 483
Veröffentlichungsjahr: 2019
Das E-Book (TTS) können Sie hören im Abo „Legimi Premium” in Legimi-Apps auf:
Detmer Wulf
Pragmatische Bedingungen der Topikalität
Zur Identifizierbarkeit von Satztopiks im Deutschen
Narr Francke Attempto Verlag Tübingen
© 2019 • Narr Francke Attempto Verlag GmbH + Co. KG Dischingerweg 5 • D-72070 Tübingen www.narr.de • [email protected]
Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Verlages unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen.
ISBN 978-3-8233-8260-7 (Print)
ISBN 978-3-8233-0166-0 (ePub)
Dies ist die leicht überarbeitete Fassung meiner Dissertation, die ich im Mai 2016 unter dem gleichen Titel an der Philologischen Fakultät der Universität Leipzig eingereicht habe. Ohne vielseitige Unterstützung und Förderung wäre der erfolgreiche Abschluss der Arbeit nicht möglich gewesen. Mein besonderer Dank geht zunächst an die Betreuer meiner Dissertation, Prof. Dr. Frank Liedtke (Leipzig) und Univ.-Prof. Dr. Dietrich Busse (Düsseldorf). Das Vertrauen, das sie mir entgegenbrachten, und auch die Freiheit, die sie mir in wissenschaftlicher Hinsicht ließen, waren für mich von großer Bedeutung.
Die Arbeit wurde in Leipzig eingereicht, ist aber in Düsseldorf verfasst worden. Darum möchte ich mich noch einmal bei Dietrich Busse für die stets vertrauensvolle Zusammenarbeit bedanken sowie dafür, dass er – auch und gerade während meiner Zeit als Projektmitarbeiter im Sonderforschungsbereich 991 – die für das Gelingen meiner Dissertation bestmöglichen Rahmenbedingungen geschaffen hat.
Mein Dank geht auch an Freunde und Kollegen, die mich in der einen oder anderen Form unterstützt haben. Für Feedback (nicht nur) in fachlicher Hinsicht danke ich insbesondere Brigitte Schwarze und Robert Mroczynski. Christian Horn und Doris Gerland haben in unserer (wenn auch nur kurz bestehenden) Schreibgruppe dazu beigetragen, dass diese Arbeit an einem kritischen Punkt wieder ‚in die Spur‘ gekommen ist. Für moralische Unterstützung (und Ablenkung) sorgten Michaela Felden, Lars Inderelst und Nansaa Tsagaan.
Den Herausgeberinnen und Herausgebern der „Studien zur Pragmatik“ danke ich schließlich für die Aufnahme der Arbeit in die vorliegende Reihe.
Düsseldorf, im April 2019 Detmer Wulf
Terminological profusion and confusion, and underlying
conceptual vagueness, plague the relevant literature to a point
where little may salvageable. (Levinson 1983, x)
Diese Arbeit widmet sich der Kategorie des Satztopiks, für die innerhalb funktional-grammatischer Ansätze häufig (mehr oder weniger verdeckt) die traditionelle Unterscheidung von Satzgegenstand und Satzaussage zugrunde gelegt wird. Der Satztopik-Kategorie liegt die Idee zugrunde, dass sich (prädizierende) Sätze aufgliedern lassen in dasjenige, worüber etwas ausgesagt wird und dasjenige, was darüber ausgesagt wird. Diese Unterscheidung kommt auch in Hocketts einflussreicher Topik-Definition zum Ausdruck: „The most general characteristic of predicative constructions is suggested by the terms ‘topic’ and ‘comment’ for their ICs: the speaker announces a topic and then says something about it“ (Hockett 1958, 201). Hockett geht es hierbei jedoch nicht um eine Identifizierung der Topik/Kommentar-Unterscheidung in der Subjekt-Prädikat-Struktur – so wie etwa in (1), wo Topik und Subjekt zusammenfallen; denn eine ganze Reihe von Fällen – so wie bspw. in (2) – lassen auch andere Deutungen zu (vgl. Hockett, ebd.):
(1)
John ran away.
(2)
That new book by Thomas Guernsey I havent’t read.
Hockett deutet die vorangestellte Objektkonstituente als Topik, den restlichen Teil als Kommentar und somit prädizierenden Bereich des Satzes, der hier auch noch das Subjekt enthält.
Dies ist natürlich alles andere als eine neue Entdeckung. Schon die traditionelle Unterscheidung von psychologischem vs. grammatischem Subjekt bzw. Prädikat (vgl. etwa Paul 1880) beruhte auf der Beobachtung, dass sich auch andere Satzglieder als das Subjekt als das ‚Worüber‘ eines Satzes deuten lassen. Aus den Kategorien psychologisches Subjekt und psychologisches Prädikat ist dann in der weiteren Entwicklung u.a. die Thema/Rhema-Dichotomie der sogenannten ‚Funktionalen Satzperspektive‘ hervorgegangen (als historischen Überblick vgl. Daneš 1974), deren Ziel es war, Wortstellungsvarianten funktional zu beschreiben und die Voranstellungen von Objektkonstituenten, so wie etwa die in (2), als Indikator für Thematizität gedeutet hat. An diese Tradition schließen auch zeitgenössische, pragmatisch orientierte Ansätze an (etwa Gundel 1988b, Lambrecht 1994), die den Topik-Begriff – auch unter Rückgriff auf bestimmte kognitiv-kommunikative Prinzipien – als Bestandteil der sogenannten Aboutness-Relation deuten.
Die Topik-Kategorie stellt sicherlich, zusammen mit ihren Komplementär-Kategorien ‚Fokus‘ oder ‚Kommentar‘, eine der zentralen informationsstrukturellen Kategorie-Konzepte dar, trotz der von Levinson beklagten Terminologie-Fülle – und vielleicht auch Verwirrung (siehe das oben vorangestellte Zitat aus Levinson 1983). Der Grund für diese Terminologie-Fülle mag auch in den unterschiedlichen analytischen Zugriffen liegen. So zielen einige Ansätze mit ihren terminologischen Unterscheidungen zunächst primär auf die Benennung oder Beschreibung bestimmter syntaktischer Strukturen ab. Dies ist etwa der Fall in Diks (1981) Unterscheidung zwischen ‚Theme‘ und ‚Topic‘, die er für die Analyse von Satz-Konstruktionen mit Linksherausstellungen in Anspruch nimmt. Während ‚Topic‘ als Bestandteil der Subjekt-Prädikat-Struktur des Matrix-Satzes bestimmt ist, wird ‚Theme‘ auf die nach links herausgestellte Konstituente bezogen.1 Ein weiteres Beispiel ist Vallduvis (1992) link-Begriff, mit dem er auf die seiner Meinung nach allgemein bestehende Funktion satzinitialer Konstituenten als „address pointer“ abzielt, d.h. als diejenige Konstituente, die den Gegenstand denotiert, auf den die durch den Satz ausgedrückte Information zu beziehen ist (Vallduvi 1992, 48). Demgegenüber werden in anderen Ansätzen informationsstrukturelle Kategorien zunächst unabhängig von ausdrucksseitigen Aspekten als kognitiv-kommunikative Kategorien expliziert und erst dann hinsichtlich ihres Niederschlags in der Struktur von Sätzen (unterschiedlicher Sprachen) untersucht. Für diese Vorgehensweise stehen m.E. Ansätze wie etwa die von Gundel (1988a; 1988b) oder Lambrecht (1994), die Topikalität nicht auf Konstituenten, sondern auf Diskursreferenten beziehen, die in einer besonderen Relation zu der durch den Satz ausgedrückten Proposition stehen. So ist etwa nach Lambrecht ein durch einen Satz realisierter Referent genau dann „topic of a proposition“, wenn „in a given situation the proposition is construed as being about this referent, i.e. as expressing information which is relevant to and which increases the addressee’s knowledge of this referent“ (Lambrecht 1994, 131). Die pragmatische Perspektive einer solchen Explikation besteht somit zunächst vor allem darin, dass sie die Aboutness-Relation auf der Basis des Sprecher-Hörer-Verhältnisses deutet: Topik ist derjenige Diskursgegenstand, über den der Sprecher dem Hörer etwas Neues bzw. Relevantes mitteilen möchte. Wie sich diese Relation (in den jeweiligen Sprachen) ausdrucksseitig niederschlagen kann, ist dann eine daran anschließende Frage (vgl. u.a. Gundel 1988a; Lambrecht 1994).
Auch für das Deutsche ist die Frage nach den ausdrucksseitigen Indikatoren für Topikalität nach wie vor Gegenstand der Diskussion. So wird etwa Satzinitialität als Topik-Indikator aufgefasst (Molnár 1991; 1993; Welke 2005); es wird vermutet, dass Topiks vornehmlich durch (Agens-)Subjekte realisiert werden (von Stutterheim/Carroll 2005, Modrián-Horváth 2016); es werden bestimmte Herausstellungsstrukturen (Linksversetzungen) als Topik- oder Thema-indizierende Strukturen gedeutet (Selting 1993; Frey 2005; Endriss 2009); oder es wird die These vertreten, dass es im Mittelfeld des Deutschen eine feste Topik-Position gibt (Frey 2000; 2004). Ebenso wird aber auch auf die notorischen Schwierigkeiten hingewiesen, die insbesondere Satzabfolgen bei der Topik-Identifizierung bereiten (Cook/Bildhauer 2013).
In dieser Arbeit wird die These vertreten, dass es im Deutschen keine eindeutig ausgewiesene Position für Aboutness-Topiks gibt. Die Deutung eines Diskursreferenten als Topik (eines Satzes) beruht vielmehr auf spezifischen diskursiven (Situations-)Bedingungen, in denen der (aktuell geäußerte) Satz eingebettet ist. Ausgehend von dem pragmatischen Topik-Verständnis Lambrechts (1994) und Gundels (1988b) möchte ich der Frage nachgehen, wie diese Bedingungen genau aussehen und über welche Eigenschaften Diskursreferenten verfügen müssen, damit sie sich plausibel als Topiks deuten lassen.
In der Arbeit wird drei zentralen Fragen nachgegangen. Die erste Frage bezieht sich auf den spezifischen Charakter der Aboutness-Relation. Wodurch genau zeichnet sich diese Relation aus und wie wird sie in den unterschiedlichen Ansätzen expliziert? Die zweite Frage bezieht sich auf das für Referenten mit Topikstatus immer wieder hervorgehobene Verhältnis von Topikalität und Präsupposition. Was genau ist darunter zu verstehen, wenn man sagt, dass Topiks präsupponiert sind? Die dritte Frage ist mit der zweiten eng verwandt und zielt auf die diskursiven Bedingungen für Topikalität und auf die Eigenschaften von Diskursreferenten mit Topikstatus ab: Welche diskursiven Bedingungen müssen für die Aboutness-Relation vorausgesetzt sein und über welche Eigenschaften müssen Diskursreferenten verfügen, wenn sie Topikstatus haben? Wie sich zeigen wird, sind es Frage/Antwort-Kontexte, auf deren Basis sich die ‚Ideal‘-Bedingungen für die Identifizierbarkeit und die Eigenschaften ‚zweifelsfreier‘ Topiks am besten rekonstruieren lassen. Und wie sich des Weiteren zeigen wird, gestaltet es sich bzgl. der Identifizierbarkeit z.T. deutlich schwieriger, wenn man versucht, diese Bedingungen auf Satzabfolgen (d.h. auf Texte) zu übertragen.
Die Arbeit ist folgendermaßen aufgebaut: Das folgende Kapitel (Kap. 2) bietet zunächst einen kurzen Abriss älterer und neuerer Ansätze zur Informationsstruktur. In Kap. 3 sollen die jeweiligen Explikationsvorschläge der Autoren bezüglich des Aboutness-Begriffs vorgestellt werden. Bei der Diskussion der in manchen Punkten ähnlichen, sich im Detail aber auch deutlich unterscheidenden Ansätze soll das Hauptaugenmerk auf zwei Problemfelder gerichtet werden: zum einen auf die Frage nach dem Verhältnis von Topikalität und ‚Givenness‘, zum anderen auf die Frage, wie sich die Topik-Kategorie zur Fokus-Kategorie verhält. Ist die Fokus-Kategorie ebenfalls auf Diskursreferenten zu beziehen? Es wird sich zeigen, dass es Lambrechts Ansatz am besten gelingt, diese Problemfelder zufriedenstellend in den Griff zu bekommen. Wie wir sehen werden, zeichnet sich Lambrechts Ansatz durch zwei zentrale Merkmale aus: zum einen durch seine Unterscheidung zwischen Topik-Relation und Fokus-Relation, die beide in jeweils spezifischer Weise auf die durch den Satz ausgedrückte Proposition bezogen sind, und zum anderen durch seine Unterscheidung dreier „pragmatischer Gliederungstypen“ (pragmatic articulations), zu denen er neben dem Topik/Kommentar-Typ auch den Satzfokus-Typ und den sogenannten Argumentfokus-Typ zählt. Die Unterscheidung dieser drei Typen wird in der Arbeit eine wesentliche Rolle spielen.
In Kap. 4 wird das Verhältnis von Topikalität und Präsupposition genauer unter die Lupe genommen. Dieses Verhältnis wird häufig auf die (sprecherseitige) Präsupposition (adressatenseitiger) Identifizierbarkeit (Givenness) des Topik-Referenten (Topic-Familiarity Condition, vgl. Gundel 1988a) reduziert. Zunächst soll darum noch einmal genauer gezeigt werden, dass das Vorhandensein dieser (sprecherseitigen) Voraussetzung für die Bestimmung der Topik-Relation allein nicht hinreicht. Dies ist nicht nur in Lambrechts Abgrenzung des Topik/Kommentar-Typs von den zwei anderen von ihm vorgeschlagenen Gliederungstypen reflektiert, sondern gilt auch für seine Unterscheidung zwischen pragmatic presupposition und pragmatic assertion, innerhalb der das Kriterium hörerseitigen Identifizierungswissens keine unterscheidungsrelevante Rolle spielt. Der genaue Charakter dieser allen Gliederungstypen zugrunde liegenden Unterscheidung wird diskutiert, mit besonderem Augenmerk auf den Umstand, dass Präsupposition und Assertion propositional aufzufassen sind. Zum Abschluss des Kapitels werden die präsuppositionalen Eigenschaften von Diskursreferenten mit Topikstatus genauer bestimmt, deren Charakterisierung als hörerseitig „familiar“ bzw. „identifizierbar“ bei Lambrecht durch die Annahme weiterer Präsuppositionen (Bewusstseinspräsupposition, Topik-Präsupposition) eine Präzisierung erfährt.
Diese präsuppositionalen Eigenschaften stellen die Basis für meine Ausformulierung der Topik-Eigenschaften in Kap. 5 dar. Den Ausgangs- und Bezugspunkt bildet hierbei die Position, dass Topik-Referenten hörerseitig vorhersehbare (predictable) bzw. erwartbare (expectable) und daher aktivierte, d.h. vorerwähnte „Argumente der Prädikation“ sind (Lambrecht/Michaelis 1998). Letzteres, nämlich die Position, dass Topiks als „Argumente der Prädikation“ aufzufassen sind, findet sich auch in Ansätzen, die, wie ich zeigen werde, einen ‚weiten‘ Topik-Begriff zugrunde legen (u.a. Jacobs 2001, Erteschik-Shir 2007). Das zentrale Konzept ‚weiter‘ Topik-Ansätze ist m.E. der Adressen-Begriff (siehe etwa Jacobs 2001). Topiks stellen nach dieser Auffassung die sogenannte ‚Adresse der Prädikation‘ dar, d.h. Topik ist derjenige ‚Gegenstand‘, auf den die Prädikation abzielt und in Hinblick auf den der durch den Satz ausgedrückte propositionale Gehalt hinsichtlich seines Wahrheitswerts „überprüft“ (assessed) wird (Reinhart 1981; Erteschik-Shir 2007).
Wie gezeigt wird, unterscheiden sich Adressierungsansätze von ‚engen‘ Topik-Ansätzen (Gundel, Lambrecht) insbesondere darin, dass sie auf das Kriterium der (vorausgesetzten) Hörer-familiarity verzichten und das Spezifizitätskriterium für die Eignung eines Ausdrucks als Topik-Ausdruck für ausreichend halten. Wie ich zeigen werde, ergeben sich aus diesem Zugriff jedoch gewisse Konsequenzen für das Verständnis von Topikalität als Relation der Aboutness, dem auch ‚weite‘ Topik-Ansätze grundsätzlich verhaftet bleiben. Eine Konsequenz ist, dass mit der Beschränkung der Aboutness-Relation auf die, wie ich es nennen werde, semantische Ebene der Prädikation die Unterscheidbarkeit der drei Lambrecht’schen Gliederungstypen (Topik/Kommentar, Argumentfokus, Satzfokus) hinfällig wird. Die wesentliche Konsequenz der Gleichsetzung von Topikalität und Adressierung besteht jedoch darin, dass es so nicht gelingt, die Topik- (bzw. Aboutness-)Relation auf der Basis der pragmatischen Unterscheidung von Präsupposition und Assertion zu explizieren. So können etwa Prädikationsadressen auch zur Assertion gehören, was in bestimmten Argumentfokus-Kontexten der Fall ist. Würde man einen solchen Zusammenfall von Topik und Fokus zulassen, so wäre damit in der Konsequenz aber auch die Herleitung der Aboutness-Relation aus der Unterscheidung von Präsupposition und Assertion (und ebenso ihr Verständnis als Spezialfall dieser Unterscheidung) hinfällig. Zwar möchte ich das Adressenkonzept für die Charakterisierung von Topiks übernehmen, jedoch mit der Einschränkung versehen, dass Topiks zwar immer die Adresse der Prädikation bilden, aber Prädikationsadressen nicht notwendig Topikstatus haben müssen. Den Status von Topiks als Adressen und ‚centers of current interest‘ (Strawson) möchte ich über den Begriff der diskursiven Salienz fassen. Anhand einer Reihe von (konstruierten) Beispielen werde ich zeigen, auf welche Faktoren die Salienz eines Referenten zurückgeführt werden kann. So ist die Salienz eines Referenten nicht nur durch seine adressatenseitige Zugänglichkeit, sondern auch durch bestimmte diskursive Aspekte bedingt. Auf der Basis dieser Faktoren lassen sich Topiks dann als Adressen charakterisieren, die diskursiv salient, aktiviert und (somit notwendig auch) adressatenseitig zugänglich sind. Zum Abschluss des fünften Kapitels werde ich noch auf einige Konsequenzen eingehen, die sich aus der in dieser Arbeit zugrunde gelegten Position ergeben, dass Topikalität eine Status-Eigenschaft von Diskursreferenten ist.
Wie die in Kap. 5 diskutierten Beispiele zeigen werden, sind es vor allem Frage/Antwort-Kontexte, in denen sich leicht rekonstruieren lässt, ob einem Referenten die oben genannten Eigenschaften zugesprochen werden können oder nicht. Der wesentliche Grund hierfür ist, dass Frage/Antwort-Kontexte über eine vergleichsweise hohe diskursive ‚Transparenz‘ verfügen: Durch die (vorausgesetzte) Frage ist nicht nur festgelegt, welcher Referent (bzw. welche Referenten) als aktiviert und adressatenseitig zugänglich gelten kann (bzw. können), sondern es ist darüber hinaus auch in hohem Maße durchsichtig, welche Elemente im Antwortsatz zur Assertion (im Sinne der Unterscheidung von Präsupposition und Assertion) gehören. Diese (Fragekontext-induzierte) Transparenz kann für Satzabfolgen jedoch nicht vorausgesetzt werden.
Dennoch wird auch für Texte vorgeschlagen, die darin enthaltenen Sätze als Antwortsätze zu deuten. So setzen auch einschlägige Topik-Identifizierungstests (vgl. Götze et al. 2007) voraus, dass sich prinzipiell jeder assertierende Satz (isoliert ebenso wie innerhalb von Satzabfolgen) als Antwort auf eine (implizit) vorausgesetzte Frage analysieren lässt. Wie ich im sechsten Kapitel zunächst zeigen werde, ist dieser Analysezugriff aber durchaus problematisch – weswegen fragebasierte Identifizierungstests (aber nicht nur diese!) schnell an ihre Grenzen kommen.
Auch der sogenannte Quaestio-Ansatz (Klein/von Stutterheim 1992; von Stutterheim 1997) geht von der These aus, dass die einen Text konstituierenden Sätze als Antworten auf implizit vorausgesetzte Fragen deutbar sind. Dies ist auch die Auffassung von van Kuppevelt (1995), der in seinem Ansatz die These vertritt, dass Satzabfolgen sogenannte „topic-forming questions“ generieren. Diese zwei Ansätze werde ich in Kap. 6.2 kritisch diskutieren und zeigen, dass sich aus Satzabfolgen keine eindeutigen Frage/Antwort-Kontexte ableiten lassen, weswegen die so generierten Fragen nichts zur Topik-Identifizierung beitragen können.
Die mit den einschlägigen Identifizierungstests (die sich letztlich alle als Wohlgeformtheitstests erweisen) einhergehende Vermutung ist (u.a.), dass sich Topikalität (auch) syntaktisch niederschlägt. Hiervon geht (eingeschränkt) auch Frey (2000; 2004) aus, der für das Mittelfeld eine feste Topik-Position annimmt. Dass dies m.E. nicht der Fall ist, werde ich in Kap. 6.3 diskutieren.
Zum Abschluss des sechsten Kapitels werde ich diskutieren, auf welche Anhaltspunkte für die Topik-Identifizierung rekurriert werden kann, wenn, wie in Satzabfolgen, Frage/Antwort-Kontexte wegfallen. Die Frage ist dann, wie gut die daraus abgeleiteten Topik-Bedingungen auf Texte übertragbar sind und wie erfolgreich die Eigenschaften ‚idealer‘ Topiks auch bei Textreferenten nachgewiesen werden können. Anhand einer Reihe von authentischen Text-Beispielen werde ich zeigen, dass dies – wenn auch mit gewissen Abstrichen – durchaus möglich ist: Auf der Basis der in Kap. 5 ermittelten Bedingungen und Eigenschaften lassen sich drei Parameter (Zugänglichkeit, Adressenstatus sowie Gliederungstyp-Zuordnung) formulieren, die in Kombination miteinander Kriterien für die Topikstatus-Zuschreibung liefern können, sodass sich der Topikstatus eines Textreferenten kategorisch ausschließen lässt oder ein Textreferent sich als ‚gutes‘, ‚weniger gutes‘ oder u.U. sogar ‚schlechtes‘ Topik erweist.
Das Kapitel beginnt mit einem kurzen historischen Abriss über die aus meiner Sicht zentralen Entwicklungsstufen informationsstruktureller Kategorienbildung. Diese Entwicklung hat ihre Anfänge im 19. Jahrhundert mit Henri Weils Unterscheidung zwischen „mouvement objectif“ und „mouvement subjectif“ und wird um die Wende zum 20. Jahrhundert mit der Unterscheidung zwischen psychologischem vs. grammatischem Subjekt bzw. Prädikat von Georg v.d. Gabelentz und Hermann Paul weitergeführt. Sie erreicht um die Mitte des 20. Jahrhunderts ihren ersten Höhepunkt mit dem u.a. von Vilém Mathesius, einem Mitbegründer der sogenannten ‚Prager Schule‘, geprägten Konzept der ‚Funktionalen Satzperspektive‘, durch die das bekannte Terminologie-Paar ‚Thema/Rhema‘ geprägt wurde. Im Anschluss an diesem kurzen historischen Abriss werde ich drei zeitgenössischere Ansätze vorstellen, zunächst den von Jan Firbas entwickelten und stark in der Tradition der Prager Schule stehenden Begriff des ‚Kommunikativen Dynamismus‘ (ausführlich dargestellt in Firbas 1992), in dem versucht wird, die ‚Thema/Rhema‘-Dichotomie durch ein graduelles Konzept zu ersetzen. Danach stelle ich zwei Ansätze vor, die eine Ebenen-Unterscheidung vornehmen, zunächst das Modell von Halliday, der ein Zwei-Ebenen-Modell vorschlägt, das zwischen der Satzgegenstand/Satzaussage-Ebene (Theme/Rheme) und einer (im engeren Sinne) „informationsstrukturellen“ Ebene unterscheidet, die allein auf die bekannt/neu-Dichotomie (given/new) abzielt (vgl. ausführlich Halliday 1985). Zum Abschluss des ersten Kapitels wird das Drei-Ebenen-Modell von Molnár (1993) vorgestellt, in dem neben der Satzgegenstand/Satzaussage-Ebene (Topik/Kommentar) und bekannt/neu-Ebene (in Molnárs Terminologie: Thema/Rhema) noch eine dritte Ebene (Fokus/Hintergrund) hinzukommt, mit der sie auf sprecherseitige Relevanz-Setzungen abstellt und die ihrer Meinung nach relativ unabhängig von den zwei anderen Ebenen operiert. Inwieweit die Unabhängigkeit und Unterscheidbarkeit dieser verschiedenen Ebenen gewährleistet ist, werde ich insbesondere anhand dieses Modells diskutieren. Es wird sich zeigen, dass die Schwierigkeiten, die hierbei zutage treten, auf Problemen basieren, die uns auch noch in den nachfolgenden Kapiteln begleiten werden.
Als einer der frühesten Ansätze zur Analyse von Äußerungen unter kommunikativen Gesichtspunkten kann Henri Weils Essay De l’ordre des mots dans les langues anciennes comparées aux langues modernes (1844) gelten. Ausgehend von der Feststellung, dass eine klassische Sprache wie das Lateinische eine wesentlich freiere Wortstellung aufweist als beispielsweise die aus ihr hervorgegangenen romanischen Sprachen, entwickelt er Ideen zur Funktion der Stellung der Satzglieder in Abgrenzung zu den von ihnen ausgedrückten syntaktischen Relationen. Weil unterscheidet hierbei zwischen einem „mouvement objectif, qui est exprimé par les rapports syntaxiques“ und einem „mouvement subjectif, qui est exprimé par l’ordre des mots“ (Weil 1844, 21). Während die ‚objektive‘ Ebene der syntaktischen Relationen sich auf die äußeren Dinge bezieht – „la syntaxe se rapport aux choses, à l’extérieur“ –, steht die ‚subjektive‘ Ebene in Relation zum Sprecher, „au sujet qui parle“. Die „succession des mots“ orientiert sich dabei an den Bedingungen der Äußerungssituation:
Il y a donc un point de départ, une notion initiale, qui est également présente et à celui qui parle et à celui qui écoute, qui forme comme le lieu où les deux intelligences se rencontrent; et une autre partie du discours, qui forme l’énonciation proprement dite. Cette division se retrouve dans presque tout ce que nous disons. (Weil 1844, 20)
Hier finden sich im Kern schon alle wesentlichen Aspekte, die in unterschiedlicher Begrifflichkeit auch in späteren Ansätzen immer wieder auftauchen werden. Weil unterteilt den Satz in zwei Bereiche: Der satzintiale Teil als Basis und Ausgangspunkt (point de départ) der Äußerung umfasst das, was Sprecher und Hörer „gegenwärtig“ ist, mit anderen Worten: was an Bekanntes anknüpft. Der daran anschließende Teil bildet die „eigentliche Aussage“ (énonciation proprement dite), d.h. die neue Information, um derentwillen der Sprecher den Satz äußert. Weil spricht in diesem Zusammenhang an anderer Stelle auch vom „but du discours“ (Weil 1844, 21).
Die Kennzeichnung der Satzelemente im Hinblick auf ihren kommunikativen Status als alte bzw. neue Information durch ihre Stellung im Satz – für Weil ein hervorstechendes Merkmal der klassischen Sprachen – demonstriert er anhand von Beispielen aus dem Lateinischen, in dessen freier Wortstellung er die funktionale Differenzierung zwischen „mouvement objectif“ und „mouvement subjectif“ deutlich ausgeprägt sieht (vgl. ebd., 20f.). Wortstellungsvarianten wie beispielsweise Romulus condidit Romam und condidit Romam Romulus, die hinsichtlich ihrer syntaktischen Relationen identisch sind – beide benennen ‚objektiv‘ denselben Sachverhalt – sind ‚subjektiv‘ auf verschiedene Kommunikationskontexte zu beziehen, in denen jeweils anderes als bekannt vorausgesetzt ist. Weil deutet die erste Variante als Aussage über die Person Romulus, wobei die satzinitiale Stellung das Subjekt als bekannt auszeichnet, und die zweite Variante Auskunft darüber, wer Gründer der Stadt Rom ist, sodass das Subjekt als Träger der neuen Information an den Schluss des Satzes rückt.
Weils Ansatz, zusätzlich zur Ebene der syntaktischen Relationen eine zweite, kommunikativ orientierte Ebene anzunehmen, ist von späteren Autoren aufgegriffen, jedoch in unterschiedlicher Weise inhaltlich bestimmt worden. Während sich Weil in seiner funktionalen Unterscheidung zwischen objektiver und subjektiver Ebene noch an einzelsprachlichen Strukturmerkmalen orientiert1 – die Beziehung der Satzglieder zueinander wird morphologisch, ihre Beziehung zur Äußerungssituation über die Wortstellung markiert – erhält die Interpretation des von Weil so genannten „mouvement subjectif“ bei Georg v.d. Gabelentz (1891) eine von der sprachlichen Ebene losgelöste, psychologische Interpretation.2 V. d. Gabelentz analysiert die Struktur von Sätzen bzw. Äußerungen auch hinsichtlich ihres Informationsstatus, wobei er seine Bestimmung informationsstruktureller Kategorien an den Bedingungen der Informationsübermittlung festmacht.
Wie lässt sich nun der Informationsstatus der einzelnen Redebestandteile bestimmen? V. d. Gabelentz nimmt hierfür eine adressatenorientierte Perspektive ein. Ziel einer Äußerung ist es nämlich, das eigene Vorstellungsbild in gleicher Form beim Hörer zu erzeugen. Diesen Vorgang vergleicht v.d. Gabelentz mit dem Beschreiben eines Papierstreifens in einem Telegraphenapparat, wobei die beschriebene Rolle „immer stärker anschwillt“ und der Papierstreifen „der noch vollgeschrieben werden soll […], zur anderen Rolle hinübergleitet“ (v.d. Gabelentz 1891, 369). Der Sprecher kennt den gesamten Vorstellungsinhalt, in der vom Autor gewählten Metapher also den beschriebenen sowie den unbeschrieben Teil des Papierstreifens; der Hörer muss die Vorstellung im Verlauf der Äußerung erst noch vervollständigen. Einen solchen Akkumulationsprozess stellt sich v.d. Gabelentz als durchaus sprechergelenkt vor. Der Sprecher „leitet […] mit dem ersten Worte des Anderen Denken auf eine gewisse Vorstellung und dann weiter und immer weiter, immer neue Erwartungen jetzt weckend, jetzt, gleich darauf, befriedigend“ (ebd., 369).
V. d. Gabelentz’ Pointe ist es nun, den Zusammenhang zwischen schon Gehörtem und Erwartetem im Verlauf der Äußerung in Analogie zu den grammatischen Kategorien Subjekt und Prädikat zu bestimmen: Ich nenne zuerst dasjenige, „was mein Denken anregt, mein psychologisches Subject, und dann das, was ich darüber denke, mein psychologisches Prädicat“ (ebd., 369f.). Das, worüber man etwas mitteilt und das, was man darüber mitteilt, also psychologisches Subjekt bzw. Prädikat, kann den jeweiligen grammatischen Kategorien entsprechen, es kann aber auch ganz anderen grammatischen Einheiten zugeordnet sein, wie v.d. Gabelentz anhand zahlreicher Beispiele demonstriert (vgl. 370f.). So lässt sich etwa in einem Satz wie
(1)
Gestern war mein Geburtstag.
die adverbiale Bestimmung gestern unter bestimmten Bedingungen als psychologisches Subjekt auffassen, nämlich dann, wenn „ich von einem gewissen Tage [rede] und […] von ihm aus[sage], dass er mein Geburtstag war“ (ebd., 370). Und in einem Sprichwort wie
(2)
Mit Speck fängt man Mäuse.
übernimmt die satzinitiale Adverbialbestimmung (mit Speck) die Rolle des psychologischen Subjekts, denn, so v.d. Gabelentz, nicht vom grammatischen Subjekt man sei hier die Rede, sondern das Mittel (der Speck) bilde den Gegenstand der Äußerung, von dem dann ausgesagt werde, was man damit macht, nämlich Mäuse zu fangen (vgl. ebd., 370).
Im Rahmen seiner Ausführungen zur Funktion der Intonation beschreibt v.d. Gabelentz des Weiteren Phänomene, die in heutiger Terminologie als Fokus- oder Kontrastakzent bezeichnet werden:
Was wir für’s Ohr betonen, für’s Auge unterstreichen oder typographisch auszeichnen lassen, ist also dasjenige, worauf es uns besonders ankommt, was uns das wichtigste ist. Wichtig ist es uns in Rücksicht auf einen vorhandenen oder vorgesetzten Gegensatz. (373)
Hier kommt v.d. Gabelentz einer adressatenorientierten Perspektive recht nahe; einen systematischen Zusammenhang zu seinem Verständnis der psychologischen Subjekts- bzw. Prädikatsebene stellt er jedoch nicht her. Explizit weist er diese Kategorienebene der Wortstellung zu:
Nicht die Betonung, sondern die psychologischen Subjects- und Prädicatsverhältnisse entscheiden über die bevorzugte Stellung der Satzglieder, und das seelische Verhalten, das sich in der Betonung äussert, hat mit jenem Verhältnisse nichts zu thun. (376)
Das, worüber gesprochen werden soll, ist im Verlauf der Äußerung des Satzes zuerst zu nennen. Was darüber ausgesagt wird, muss dann daran angeschlossen werden.3 Mit seiner Metapher vom Telegraphenapparat will v.d. Gabelentz verdeutlichen, dass diese Reihenfolge zwingend aus den Bedingungen der Kommunikationssituation hervorgeht, wobei er diese nicht dialogorientiert, also im Hinblick auf wechselseitige Äußerungsabfolgen zwischen zwei Gesprächsteilnehmern betrachtet, sondern unter dem Aspekt der Mitteilung von Information an einen Adressaten. Die Satzgliedstellung hat für ihn somit eine informationsstrukturierende Funktion: Sie zeigt an, welche Elemente als das ‚Worüber‘ des Satzes zu verstehen sind, unabhängig von ihren oberflächengrammatischen Relationen.
In heutige Terminologie lässt sich v.d. Gabelentz’ psychologisches Subjekt und Prädikat wohl am besten mit den Begriffen Satzgegenstand und Satzaussage übersetzen. Seine Perspektive ist zwar adressatenorientiert, sie bleibt hierbei aber wesentlich der Linearität der Äußerungsabfolge in ihrer sprachlichen Realisierung und deren Perzeption durch den Hörer verhaftet. Hieraus erklärt sich wohl seine Auffassung, dass das psychologische Subjekt dem psychologischen Prädikat immer vorauszugehen habe.
Hermann Paul (1880), der ebenfalls die Begriffe psychologisches Subjekt bzw. Prädikat verwendet,4 folgt ihm in diesem Punkt nicht, und dies hat seinen Grund vor allem darin, dass er hinsichtlich der Informationsstrukturierung von Äußerungen weitere Aspekte mit in den Blick nimmt. Seine Definition ist dabei zunächst ähnlich wie die von Georg v.d. Gabelentz von wahrnehmungspsychologischen Begriffen geleitet:
Das psychologische Subjekt ist die zuerst in dem Bewusstsein des Sprechenden, Denkenden vorhandene Vorstellungsmasse, an die sich eine zweite, das psychologische Prädikat anschliesst. Das Subjekt ist […] das Apperzipierende, das Prädikat das Apperzipierte. (Paul 1880, 124f.)
Grammatisches Subjekt und Prädikat sind aus diesen psychologischen Kategorien abgeleitet zu denken, sie „beruhen auf einem psychologischen Verhältnis“ (ebd., 124). Zwar bestimmt auch Paul den Satz als Ausdruck der „Verbindung mehrerer Vorstellungen oder Vorstellungsgruppen in der Seele des Sprechenden“ (ebd., 121) und wie bei v.d. Gabelentz ist auch für ihn der Satz „das Mittel dazu, die nämliche Verbindung der nämlichen Vorstellungen in der Seele des Hörenden zu erzeugen“ (ebd.), jedoch müssen diese nicht in jeder Redesituation vollständig ausgedrückt werden. Paul erläutert dies im Rahmen seiner Diskussion der Subjekt-Prädikat-Abfolge. Kritisch wendet er sich gegen v.d. Gabelentz’ Annahme, dass das psychologische Subjekt ausnahmslos die erste Position einnehme. Zwar gesteht er zu, dass dies in vielen Fällen zutreffe, insbesondere „bei ruhiger Erzählung oder Erörterung“ (ebd., 127), die umgekehrte Reihenfolge sei jedoch eine „nicht wegzuleugnende und nicht gar seltene Anomalie“ (ebd.). Das psychologische Subjekt
[…] ist zwar immer früher im Bewusstsein des Sprechenden, aber indem er zu sprechen anfängt, kann sich der bedeutsamere Prädikatsbegriff schon so in den Vordergrund drängen, dass er zuerst ausgesprochen und das Subjekt erst nachträglich angefügt wird. (ebd., 127)
Dies ist etwa der Fall, „wenn der Subjektsbegriff schon vorher im Gespräche da gewesen ist“ (ebd.). Als Beispiel hierfür nennt Paul den folgenden Dialog (siehe ebd.):
(3)
Müller scheint ein verständiger Mann zu sein. – Ein Esel ist er.
In einem Frage-Antwort-Dialog wie: Was ist mit Maier? – Kaufmann (ist er). (vgl. ebd., 127) hat der Angeredete „in der Regel, während er das Prädikat hört, schon das dazu gehörige Subj. im Sinne, welches daher auch manchmal eben so gut wegbleiben kann“ (ebd.). Derartige Beispiele weisen für Paul eine Verwandtschaft mit Sätzen auf, „in denen überhaupt nur das Präd. ausgedrückt wird“ (ebd.). Dies ist nach Paul etwa dann der Fall, wenn die Antwort nur aus einem psychologischen Prädikat besteht, da sein Gegenstück, das psychologische Subjekt, in der vorangegangenen Frage enthalten ist oder der gesamte Fragesatz als psychologisches Subjekt gelten kann (vgl. ebd., 129):
(4)
Wer hat dich geschlagen? – Max.
(5)
Bist du das gewesen? – Ja.
Diese „dem sprachlichen Ausdruck nach eingliedrigen Sätze“ (ebd.) sind also darum kommunikativ adäquat, weil die Zweigliedrigkeit der psychologischen Ebene im Kontext des Frage-Antwort-Dialogs verankert ist. Entsprechend können dann auch eingliedrige Sätze wie Feuer! oder Hilfe! auf der psychologischen Ebene als zweigliedrig analysiert werden, weil dort die Äußerungssituation das psychologische Subjekt bildet. Aus diesem Grund stehen syntaktisch eingliedrige Äußerungen auch nicht in Konflikt mit seiner Definition vom Satz als Ausdruck miteinander in Verbindung stehender „Vorstellungsgruppen“ (ebd., 121), denn ihre kommunikative Adäquatheit ist immer durch die Mehrgliedrigkeit der psychologischen Ebene, mit der sie assoziiert sind, gewährleistet.
Nicht nur weil er sich von der Betrachtung des isolierten Satzes löst und ebenfalls kontextuelle und situative Faktoren mitberücksichtigt, geht Paul über v.d. Gabelentz hinaus, auch sein Verständnis des psychologischen Subjekts und Prädikats erfährt eine Neuausrichtung. Ist v.d. Gabelentz’ Verständnis noch von der Gegenüberstellung von Satzgegenstand und Satzaussage geprägt, so lässt sich bei Paul vor allem für das psychologische Prädikat eine weiterreichende Bestimmung ausmachen. So führt er etwa an, dass sich das Prädikat als der „bedeutsamere“ Bestandteil des Satzes „in den Vordergrund drängen“ kann (s.o.) und im 16. Kapitel der Prinzipien heißt es:
Am schärfsten von den übrigen Gliedern des Satzes sondert sich […] das psychologische Präd. ab als das wichtigste, dessen Mitteilung der Endzeck des Satzes ist, auf welches daher der stärkste Ton fällt“ (Paul 1880, 283).
Paul veranschaulich dies an dem Satz Karl fährt morgen nach Berlin, in dem nahezu jedes Wort intonatorisch als psychologisches Prädikat ausgezeichnet werden kann. Je nach der vom Sprecher vorausgesetzten „Disposition des Angeredeten“ (ebd.), d.h. je nach dem, was ein Sprecher im jeweiligen Äußerungskontext als bekannt voraussetzt, weist er das betonte Element als die neue Information aus, auf deren Mitteilung die Äußerung abzielt. Die in dem Beispielsatz möglichen Betonungsvarianten lassen sich dann als Antworten auf vier verschiedene Fragen verstehen, in denen jeweils etwas anderes erfragt wird (vgl. ebd, 283):
(6a)
Wohin fährt Karl morgen?
Karl fährt morgen nach Berlin.
(6b)
Wann fährt Karl nach Berlin?
Karl fährt morgen nach Berlin.
(6c)
Wie reist Karl nach Berlin?
Karl fährt morgen nach Berlin.
(6d)
Wer fährt morgen nach Berlin?
Karl fährt morgen nach Berlin.
Die Beispiele zeigen nicht nur, dass prinzipiell jedes Satzglied die Rolle des psychologischen Prädikats einnehmen kann; selbst dort, wo psychologisches und grammatisches Prädikat zusammenfallen – wie in (6c) – sind die zwei Ebenen nicht völlig identisch. So lässt sich für die Antwortvariante in (6c) ein Fragekontext konstruieren, in dem die Tatsache, dass Karl nach Berlin reist, schon bekannt ist „und nur noch nicht, ob er dahin geht oder reitet oder fährt“ (ebd.).
Wie die Beispiele zeigen, ist die Realisierung des psychologischen Prädikats (bzw. Subjekts) nicht auf eine bestimmte syntaktische Position festgelegt. Dennoch gibt es auch syntaktische Strategien zur Kenntlichmachung des psychologischen Prädikats. Diese greifen etwa dann, wenn es gilt, den „Widerspruch zwischen grammatischem und psychologischem Prädikat […] durch eine umständlichere Ausdrucksweise [zu] vermeiden“ (ebd., 285). Hierzu zählt er „Herausstellungskonstruktionen“ (vgl. Altmann 1981) wie etwa die folgende, die in heutiger Terminologie als Spaltsatz bezeichnet wird (vgl. ebd.):
(7)
Christen sind es, die es getan haben.
Der „Widerspruch“ entsteht Paul zufolge durch die Tendenz, die psychologische Subjekt- bzw. Prädikatsebene mit der grammatischen zu identifizieren. Dass dies so ist, führt Paul auf sprachgeschichtliche Prozesse zurück. Im Zusammenhang mit der Spezialisierung von Ausdrücken für bestimmte syntaktische Funktionen, etwa der Kopula als „Bindeglied“ (ebd., 293) zwischen psychologischem Subjekt und Prädikat, kommt es dann zu einer Verfestigung der Konstruktion: „Indem gewisse Wörter regelmässig so verwendet werden, wird die psychologische Kategorie zu einer grammatischen“ (293f.). Soll nun aber das grammatische Subjekt als das in kommunikativer Hinsicht „bedeutsamere“ Element der Äußerung herausgestellt werden, so müssen Sprecher zu Ausweichkonstruktionen greifen. Durch die Spaltsatz-Konstruktion in (7) wird das grammatische Subjekt dann gewissermaßen als psychologisches Prädikat ausgewiesen.5
Die Analyse von Sätzen unter informationsstrukturellen Gesichtspunkten hat in den Ansätzen der sogenannten Prager Schule ihre Fortführung gefunden. Aber im Gegensatz zu Paul und v.d. Gabelentz, deren Terminologie, wie wir gesehen haben, wesentlich auf einem psychologisch geprägten Satzverständnis fußt, entwickelt die Prager Schule eine an sprachlichen Strukturen orientierte Perspektive. Dies zeigt sich etwa daran, dass dort verstärkt die strukturellen Unterschiede zwischen den Sprachen in den Blick genommen werden. So entwickelt Vilém Mathesius, der als einer der Begründer des Prager Linguistenkreises gilt, seine Bestimmung informationsstruktureller Kategorien vor allem auf der Grundlage kontrastiver Untersuchungen. Mathesius’ Einsichten bilden die Basis für Konzepte, die bei seinen Nachfolgern unter dem Titel „Funktionale Satzperspektive“ bzw. „Thema-Rhema-Gliederung“ firmieren. Den Anlass seiner Überlegungen zur Informationsstruktur von Sätzen bilden für ihn die Unterschiede im Tschechischen, Deutschen und Englischen hinsichtlich der Möglichkeit freier Wortstellung. Während sich die Wortfolge des Tschechischen durch ihre „Plastizität“ (Mathesius, 1929a, 6) auszeichnet, weist das Englische eine feste Wortstellung auf, und diese strukturellen Unterschiede möchte er einer funktionalen Deutung unter kommunikativen Gesichtspunkten unterziehen. In seinem Aufsatz „Die Funktionale Linguistik“ aus dem Jahr 1929 führt Mathesius hierfür den Begriff der aktuellen Satzgliederung ein:1 „Der eigentliche Wortfolgefaktor im Tschechischen ist das Moment der aktuellen Satzgliederung“ (1929a, 6). Und mit explizitem Bezug auf die Terminologie von Paul und v.d. Gabelentz bestimmt er diese hinsichtlich informationsstruktureller Kategorien:
Jede zweigliedrige Mitteilung zerfällt in zwei Teile. Der erste von ihnen ist der Teil, der etwas verhältnismäßig Neues ausdrückt und in dem das konzentriert ist, was man in dem Satz behauptet. Dieser Teil des Satzes wird manchmal auch als psychologisches Prädikat bezeichnet, wir aber bezeichnen ihn lieber als Mitteilungskern, um ihn von dem grammatischen Prädikat deutlicher zu unterscheiden, mit dem er nicht immer zusammenfällt. Der zweite Teil des Satzes enthält die Basis der Mitteilung oder Thema, nach der älteren Terminologie das psychologische Subjekt, d.h. die verhältnismäßig bekannten oder auf der Hand liegenden Dinge, von denen der Sprecher ausgeht. (1929a, 6f.)2
Der „Mitteilungskern“, der hier auf etwas irreführende Weise als „erster“ Teil eingeführt wird, nimmt allerdings nicht die erste Position ein. Im Normalfall, so Mathesius, gehe das Thema dem Mitteilungskern voraus; dies ist die sogenannte „objektive Abfolge“. Bei einer „erregten Behauptung“ kann jedoch auch der umgekehrte Fall vorliegen, in diesem Fall spricht er von einer „subjektiven Abfolge“ (ebd., 7).
Für das Tschechische ist es nach Mathesius charakteristisch, dass grammatische Kategorien dort in weitaus geringerem Maße als etwa im Englischen mit informationsstrukturellen Kategorien wie Thema bzw. Mitteilungskern zusammenfallen. Das heißt, wenn andere grammatische Kategorien als das Subjekt das Thema des Satzes bilden, dann nehmen diese an seiner Stelle die erste Position im Satz ein. Die Wortfolge des Tschechischen ist somit nicht im strikten Sinne „frei“, sondern lässt sich auf der Basis der „aktuellen Satzgliederung“ funktional deuten. Die Erklärung für den Verlauf vom Bekannten zum Neuen findet sich nach Mathesius in der Hörerorientierung der Äußerungshandlung. In der posthum erschienenen Monographie „A functional analysis of present day English on a general linguistic basis“ (1975) führt er hierzu aus:
When we realize the relation between the speaker and the hearer we find that the order theme – rheme takes into account the hearer. The speaker starts from what is known and proceeds to what is new. […] Above all, the arrangement to be avoided is the choice of a theme that has not yet been stated in the preceding sentence, and secondly, the rhematic elements should not be introduced too early since they might be misinterpreted by the hearer (or reader), who expects that rhematic elements will constitute the culmination of the sentence. (82f.)3
Abgesehen von der Ersetzung der alten, psychologischen Terminologie scheinen Mathesius’ Ausführungen in den hier zitierten Passagen noch auf der Linie von Hermann Paul zu bleiben und nicht über dessen Ansätze hinauszugehen. Sein Aufsatz „Zur Satzperspektive im modernen Englisch“ (Mathesius, 1929b) zeigt jedoch deutlich die funktionale Perspektive seines Ansatzes. Dort analysiert er die Funktion des grammatischen Subjekts im Englischen und weist auf Unterschiede im Vergleich zu anderen Sprachen hin. Mathesius geht von der Annahme aus, dass es zwei Hauptfunktionen des grammatischen Subjekts gibt, die von Sprache zu Sprache unterschiedlich ausgeprägt sein können. Das Subjekt könne zum einen „den Urheber der durch das Prädikatsverbum ausgedrückten Handlung“ bezeichnen und zum anderen „das Thema der durch das Prädikat ausgedrückten Aussage“ (1929b, 202). Für das Englische gelte nun, dass dort im Vergleich zum Deutschen oder Tschechischen „die thematische Funktion des grammatischen Subjekts besonders stark hervortritt“ (ebd.). Im Englischen mache sich „die Tendenz klar fühlbar, das Thema der Satzaussage womöglich zum grammatischen Subjekt des Satzes zu machen“ (ebd.) Mathesius führt weiter aus:
Wenn sich zwei Vorstellungen als durch die Situation gegeben darbieten, wird diejenige von ihnen zum grammatischen Subjekt gemacht, die mehr Aktualität besitzt oder als etwas Bestimmteres erscheint. Diese Eigenschaften treffen besonders häufig bei einem persönlichen Subjekte zu. (ebd.)
Mathesius’ Bestimmung des Themas als den bekannten Teil der Mitteilung findet sich hier – wenn auch mit anderer Akzentuierung – wieder. Das „persönliche Subjekt“ – er meint damit das als Subjekt realisierte Personalpronomen der ersten Person – ist aus der Sicht des Hörers das Element mit besonders hoher Referenten-Zugänglichkeit. Darum besitzt es „mehr Aktualität“ oder erscheint es „als etwas Bestimmteres“ – Eigenschaften, die es zu einen besonders geeigneten Kandidaten für die Realisierung des Satzthemas machen. Den ‚thematischen‘ Charakter des pronominalen Subjekts macht Mathesius nun für bestimmte strukturelle Besonderheiten des englischen Satzbaus verantwortlich.
Dass die ‚thematische‘ Funktion des Subjekts im Englischen so deutlich ausgeprägt ist, zeigt sich für Mathesius in Konstruktionen, in denen das Personalpronomen der ersten Person der Träger eines im Prädikat ausgedrückten psychischen oder physischen Zustands ist (vgl. ebd., 206):
(8)
I am warm enough.
Es ist mir warm genug.
I am extremely sorry.
Es tut mir leid.
Ein Vergleich der englischen Konstruktionen mit ihren deutschen Entsprechungen, in denen das Personalpronomen nicht die Subjektstelle besetzt, sondern als Dativ erscheint, ist für Mathesius ein Hinweis darauf, dass in der englischen Konstruktion nicht Agentivität, sondern Thematizität der ausschlaggebenden Faktor für die Besetzung der Subjektstelle ist.4
Die strukturellen Besonderheiten einiger englischer Passivkonstruktionen sind für Mathesius ein weiterer Beleg für seine These von der thematischen Funktion des Subjekts im Englischen (vgl. 1929b, 203):
(9)
I was told […].
Es wurde mir gesagt, […].
I have been given the advice […].
Es ist mir der Rat gegeben worden, […].
Während im Deutschen die Intransitivität von sagen und die Nicht-Akkusativität des Ziel-Arguments von geben die Realisierung des Personalpronomens als Subjekt unterbindet, erlaubt das Englische die Subjektrealisierung. Dass im Englischen persönliche Passivkonstruktionen möglich sind, in denen das Subjekt nur indirekt von einer Handlung betroffen ist, öffnet den Raum für bestimmte, für das Englische typische Passivkonstruktionen. Bei dem von Mathesius so genannten Possessivpassiv handelt es sich um eine Konstruktion mit to have, auf dessen Objekt ein Partizip im Präsens oder Perfekt bezogen ist (vgl. 1929b, 203):
(10)
Everywhere he had crowds hanging on his lips.
(11)
Even great lords and ladies have their mouth sometimes stopped.
In (10) bezeichnet das Akkusativobjekt (crowds) den eigentlichen Handlungsträger, der auf das nominale Element im Adverbialkomplement (on his lips) einwirkt, und das Subjekt ist lediglich indirekt, als ‚Possessor‘ der in der Adverbialergänzung genannten Sache, von der Handlung betroffen. In (11) ist das Akkusativobjekt von der im Partizip Perfekt genannten Verbalhandlung affiziert und auch dort kann das Subjekt nicht als direktes Patiens der Handlung gelten, sondern lässt sich – vermittelt über to have – durch ein Possessiv-Verhältnis zum Akkusativobjekt charakterisieren.
Trotz seiner Ausrichtung auf die strukturellen Eigenschaften von Einzelsprachen speist sich Mathesius’ Konzept – ebenso wie Pauls und v.d. Gabelentz’ psychologisches Subjekt und Prädikat – aus zwei Quellen. Mit seiner Gliederung des Satzes in Thema oder Basis auf der einen Seite und Mitteilungskern auf der anderen Seite zielt er auf die Unterscheidung von Satzgegenstand und Satzaussage ab. Mit seiner Bestimmung des Satzthemas als das Bekanntere oder „Bestimmtere“ situiert er den Satz in den Äußerungskontext und nimmt die Beziehung zwischen Sprecher und Hörer in den Blick. Die Spannung zwischen diesen zwei Perspektiven prägt die an Mathesius anschließende Diskussion im Grunde noch bis heute. Dies zeigt sich besonders an dem Bemühen um eine genauere Explikation der Thema-Rhema-Dichotomie: Aufgrund welcher Kriterien können Satzelemente der einen oder der anderen Seite zugeschlagen werden? Damit zusammen hängt schließlich auch die Frage, ob die Dichotomie als ein Phänomen der Oberflächenstruktur von Sätzen anzusehen ist, das in der Abfolge der Satzglieder oder in bestimmten Intonationsmustern zu Tage tritt oder als ‚interpretative‘ Kategorie aufgefasst werden muss.
Der letzteren Position kann J. Firbas zugeordnet werden, der in einer Vielzahl von Publikationen (ausführlich in Firbas 1992, als kurze Überblicksdarstellung siehe auch Firbas 1999) seine Theorie des kommunikativen Dynamismus (CD) in detaillierter Form entwickelt hat. Firbas’ Ansatz zeichnet sich dadurch aus, dass er die Thema-Rhema-Dichotomie zugunsten eines graduellen Konzepts aufbricht, in dem neben thematischen und rhematischen auch transitorische Bereiche im Satz angenommen werden. Der jeweilige Grad der Thematizität bzw. Rhematizität von Satzelementen1 ergibt sich nach Firbas aus ihrem Beitrag zum Fortgang des Kommunikationsprozesses:
By the degree of CD [communicative dynamism] carried by a sentence element we understand the extent to which the sentence element contributes to the development of the communication, to which it ‘pushes the communication forward’, as it were. (Firbas 1966, 270)
Firbas’ Konzept ist interpretativ insofern, als den Satzelementen unabhängig von ihrer Position, allein auf der Basis ihres Beitrags zum Fortgang der Kommunikation, ein bestimmter CD-Grad zukommt. Die Verteilung der CD-Grade auf die sie tragenden Elemente im Satz (distributional field of CD) ist nach Firbas nämlich abhängig von verschiedenen miteinander in Wechselwirkung stehenden Faktoren (vgl. Firbas 1992, 10f.).2 Firbas führt weiter aus:
It is obvious that elements conveying new, unknown information show higher degrees of CD than elements conveying known information. But even within a sentence section made up entirely of elements conveying new information, the degrees of CD are not the same (homogeneous). (ebd.)
Der letzte Punkt ist von besonderer Bedeutung. Firbas bestimmt Thematizität nicht absolut über Kriterien der Bekanntheit oder den Status bestimmter Elemente als Satzgegenstand, sondern relativ zum CD-Grad der anderen Satzelemente: „[…] the information conveyed by the theme will always carry the lowest degree(s) of communicative dynamism (CD) within the sentence“ (Firbas 1987, 138). Niedrige Grade kommunikativer Dynamik verknüpft Firbas nur indirekt mit dem Kriterium der Bekanntheit. Geringer kommunikativer Dynamismus von Satzelementen lässt sich nach Firbas nämlich nicht in allen Fällen auf die Bekanntheit oder diskursive Zugänglichkeit (in Firbas’ Terminologie: context dependence; vgl. Firbas 1987, 145f.) der von ihnen repräsentierten Diskursgegenstände zurückführen. Auch neu eingeführte, „kontextunabhängige“ (vgl. ebd.) Satzelemente können – aufgrund ihres im Verhältnis zu anderen Elementen im Satz niedrigeren CD-Grades – dem thematischen Bereich zugeordnet sein. So weisen etwa kontextunabhängige Orts- oder Zeitadverbiale einen geringen CD-Grad auf, wenn sie innerhalb des Satzes als „Setting“ oder Ausgangspunkt fungieren.3 Eine solche „foundation-laying function“ (vgl. Firbas 1992, 69) kommt adverbialen Bestimmungen häufig, aber nicht immer, zu.
„Foundation-laying elements“ bilden den Ausgangspunkt der Kommunikation, wohingegen „core-constituting elements“ (ebd.) diejenigen Elemente sind, auf die hin die Kommunikation orientiert ist und die sie ‚abschließen‘: „The element towards which a sentence […] is oriented conveys the information that completes the development of the communication taking place within the sentence […]“ (Firbas 1992, 6).
Indem „core-constituting elements“ die Kommunikation abschließen, konstituieren sie die Orientierungsrichtung und Perspektive des Satzes:
[…] the point of orientation is the element that contributes most to the development of the communication and in this way consummates or completes it. […] Used in this sense the words orient and orientation […] explicate the meaning in which perspective is employed in my writings. (ebd.)
Der Begriff der Perspektive ist in Firbas’ Ansatz von zentraler Bedeutung, denn über diesen Terminus expliziert er sein Konzept des kommunikativen Dynamismus. In einem Überblicksaufsatz (Firbas 1999) erläutert er seinen Begriff der Perspektive anhand des folgenden Beispielsatzes:
(12)
John has come to the dining room.
Für diesen Satz konstruiert Firbas zwei Verwendungskontexte: (a) Setzt man John als das unmittelbar zugängliche (und damit kontextabhängige) Satzelement voraus, ist die Perspektive auf die adverbiale Bestimmung (to the dining room) ausgerichtet. (b) Setzt man die adverbiale Bestimmung als kontextabhängig voraus, ist der Satz auf John hin perspektiviert. Der Unterschied der zwei Perspektivierungen erschöpft sich jedoch noch nicht in der vorausgesetzten Zugänglichkeit bzw. Nichtzugänglichkeit der jeweiligen Elemente. Die Varianten unterscheiden sich auch hinsichtlich ihrer „dynamic semantic functions“ (1999, 5): In (a) ist die Kommunikation orientiert auf die Zuschreibung von Eigenschaften: Über einen Diskursgegenstand (John) wird etwas ausgesagt, nämlich dass er den in der adverbialen Bestimmung angegebenen Ort betreten hat. In (b) ist die Kommunikation orientiert auf die Präsentation eines Diskursgegenstands (John) innerhalb eines bestimmten Settings (the dining room). Entsprechend der jeweils eingenommenen Perspektive ordnet Firbas den Satzelementen bestimmte „dynamic semantic functions“ (DSFs) zu (vgl. Firbas 1999, 6):
(12a) Perspektive: Spezifizierung eines Diskursgegenstands
John
has come
to the dining room
Bearer of quality (B)
quality (Q)
specification (Sp)
(12b) Perspektive: Präsentation eines Diskursgegenstands in einem Setting
John
has come
to the dining room
phenomenon to be presented (Ph)
presentation (Pr)
setting (Set)
Das kommunikative Ziel, oder auch: der kommunikative Zweck (communicative purpose) ergibt sich so aus der jeweils eingenommenen Perspektive:4 In (12a) ist es die Spezifizierung einer Qualität, die einem bearer of quality zukommt. In (12b) ist es ein Phänomen, das in einem setting präsentiert wird.5
Auf der Basis der kommunizierten Perspektive bestimmt Firbas den thematischen und den nicht-thematischen Bereich der zwei Varianten:6
(12a)
Thema: John(B), Nicht-Thema: has come (Q) to the dining room(Sp)
(12b)
Nicht-Thema: John (Ph) has come (Pr), Thema: to the dining room (Set)
Den höchsten CD-Grad weisen somit diejenigen Elemente auf, auf die hin die Varianten jeweils perspektiviert sind. In (12a) ist es die adverbiale Bestimmung, in (12b) ist es das Subjekt, wobei sich in der jeweiligen „dynamic semantic function“ auch die spezifische rhematische Funktion zeigt. Und auch für die Elemente mit dem niedrigsten CD-Grad lassen sich spezifische thematische Funktionen angeben: In (12a) fungiert das Subjekt als bearer of quality, in (12b) bildet die adverbiale Bestimmung das setting.7
Das verbale Element steht hinsichtlich seines CD-Grades zwischen dem thematischen und dem rhematischen Pol. Sein CD-Grad ist zwar höher anzusetzen als die thematischen Elemente, jedoch schließt es den Satz nicht ab. Dies bleibt den rhematischen Elementen vorbehalten, d.h. den Elementen, auf die hin der Satz perspektiviert ist: „The element towards which a sentence […] is oriented conveys the information that completes the development of the communication taking place within the sentence“ (s.o.). Da das Verb zwischen Ausgangspunkt und Abschluss des im Satz kommunizierten Gehalts angesiedelt ist, lässt es sich als transitorisches Element begreifen. Innerhalb der Dynamik der Kommunikationsprozesses hat es entweder die Quality-Funktion oder die Presentation-Funktion und perspektiviert entsprechend seiner jeweils unterstellten Rolle den Satz entweder in Richtung auf die zusätzliche Spezifikation durch die adverbiale Bestimmung oder in Richtung auf das präsentierte Subjekt:
Either the subject or the adverbial completes the development of the communication, conveying an essential amplification of the information conveyed by the notional component of the verb and acting as its successful competitor. (Firbas 1999, 7)
Insofern das Verb über einen „successful competitor“ verfügt – was nicht notwendig der Fall sein muss – ist es als transitorisches Element aufzufassen. „Successful competitors“ können, je nach eingenommener Perspektive, kontextunabhängige direkte oder indirekte Objekte sein, sowie – wie in dem oben diskutierten Beispiel – Subjekte als Ph-Elemente oder adverbiale Bestimmungen in Sp-Funktion.8
Auf der Basis des bis hierhin Gesagten lässt sich nun festhalten, welche „dynamic semantic functions“ dem thematischen und dem nicht-thematischen Bereich zugeordnet sein können:
Ein Thema wird konstituiert durch:
ein kontextabhängiges oder kontextunabhängiges setting
einen kontextabhängigen oder kontextunabhängigen bearer of quality
Ein Nicht-Thema wird konstituiert durch:
einen conveyer of the phenomenon to be presented
einen conveyer of quality
einen conveyer of presentation
conveyer(s) of specification
Zusammenfassend lässt sich also sagen: Settings und Bearers of quality sind immer thematisch.9 Alle anderen DSFs stehen im nicht-thematischen Bereich. Hinsichtlich der ‚kontextabhängig/kontextunabhängig‘-Dichotomie gilt: Sowohl kontextabhängige als auch kontextunabhängige Elemente können thematisch sein. Nicht-thematische Elemente sind immer kontextunabhängig.
Welchen Zusammenhang sieht Firbas zwischen dem Arrangement der Satz-Elemente und ihrem jeweiligen CD-Grad? Es wurde schon erwähnt, Firbas unterscheidet zwischen „interpretative arrangement“ und „linear arrangement“. Ersteres bezieht sich auf die Anordnung der Elemente im Satz „in accordance with a gradual rise in CD“ (1992, 12); letzteres bezieht sich auf das ‚tatsächlich‘ realisierte Arrangement der Oberflächenstruktur. Zwar räumt er ein, dass der kommunikative Dynamismus einen gewissen Einfluss auf die Position der Elemente im Satz ausübt: „Sentence linearity is not inactive. It is endowed with modificatory power“ (1999, 2). Und mit Berufung auf D.L. Bolingers Diktum „gradation of position creates gradation of meaning“ (Bolinger 1952, 1125) geht er von einer Art Basisverteilung mit dem höchsten CD-Wert am Ende des Satzes aus.10 Jedoch merkt er einschränkend an: „[…] but it cannot be claimed that the actual linear arrangement of sentence elements is always in perfect agreement with a gradual rise in CD“ (1992, 8). Da ein solches Arrangement nur einen ‚Idealfall‘ darstellt und die Oberflächenstruktur eines Satzes als Resultat eines komplexen „interplay of factors“ angesehen werden muss, bleibt die Funktionale Satzperspektive für Firbas letztlich eine interpretative Kategorie. So ist die Satzperspektive zwar auf die in kommunikativer Hinsicht dynamischsten Elemente hin orientiert, aber in deren Positionierung im Satz schlägt sich dies nicht notwendig nieder.
Die Verteilung der CD-Grade im Satz wird durch drei Faktoren beeinflusst: Kontext, Semantik und „linear modification“ (1987, 138),11 und diese Faktoren stehen nicht nur in einem Wechselverhältnis („interplay“), sondern auch in einem Hierarchieverhältnis zueinander. Der Kontextfaktor ist den zwei anderen Faktoren übergeordnet und operiert durch das Kriterium der „retrievability or irretrievability of information from the immediately relevant context.“ (Firbas 1999, 3). Das heißt, unabhängig von der Position im Satz nimmt jedes Element, sofern es im unmittelbar relevanten Kontext zugänglich ist, den Status des niedrigsten CD-Grades an.12 Die zweite Stelle in der Hierarchie nimmt der semantische Faktor ein. In semantischer Hinsicht entscheidend für die Verteilung der CD-Grade im Satz ist laut Firbas die „dynamic semantic function“ des Verbs (Q-Funktion oder Pr-Funktion) sowie die Rolle seiner „successfull competitiors“ (Sp-Funktion oder Ph-Funktion).13 Insgesamt bedeutet dies also, dass das lineare Arrangement der CD-Grade im Satz immer durch die Faktoren Semantik und Kontext ‚überschrieben‘ werden können.
Wie der semantische Faktor den der Linearität dominieren kann, zeigt der schon oben diskutierte Beispielsatz aus Firbas (1999, 6), der hier noch einmal in (13) wiedergegeben ist:
(13a)
John(B)has come(Q) to the dining room(Sp).
(13b)
John (Ph) has come (Pr) to the dining room (Set).
Wie schon erwähnt lassen sich für einen solchen Satz zwei Lesarten konstruieren. In seiner Variante (a) fungiert die adverbiale Bestimmung als spezifizierendes Element, auf die hin der Satz perspektiviert ist und die kommunikative Dynamik spiegelt sich im Arrangement der Satzglieder als ein „gradual rise in CD“ wider: Das in kommunikativer Hinsicht dynamischste Element steht am Ende des Satzes. In Variante (b), mit der Perspektive auf die erste Konstituente, ist das „distributional field of CD“ genau gegenläufig. Die Perspektive des Satzes zeigt sich, wie schon erwähnt wurde, nicht nur an der vorausgesetzten Kontextunabhängigkeit des Subjekts, sondern auch an den spezifischen „dynamic semantic functions“ seiner Elemente. Das Subjekt ist nicht ‚Bearer‘, sondern ‚Phenomenon‘ und dem Verb ist die ‚Presentation‘-Funktion zugewiesen. Insofern also der Wechsel zur ‚Presentation‘-Funktion die Perspektive auf das Subjekt lenkt, dominiert die Semantik über die Linerarität. Die ‚Presentation‘-Interpretation bestimmt die Zuordnung der CD-Grade und damit die eingenommene Perspektive.14
Die Frage ist jedoch, inwieweit sich die zwei konzeptuellen Orientierungen seines Ansatzes – die Herleitung der kommunikativen Perspektive eines Satzes zum einen aus seinen dynamisch-semantischen Funktionen und zum anderen aus der Kontextabhängigkeit bzw. Kontextunabhängigkeit seiner Elemente – widerspruchsfrei aufeinander beziehen lassen. Dass Firbas dem Kontextfaktor einen entscheidenden Einfluss auf die Perspektivierung eines Satzes beimisst, wurde schon herausgestellt. Jedes im unmittelbar relevanten Kontext zugängliche Element hat, unabhängig von seiner Position im Satz, einen niedrigen CD-Grad und gehört zum thematischen Bereich. Zu den in diesem Sinne kontextabhängigen Elementen will Firbas auch pronominale Elemente in Objektposition zählen, sofern sie nicht in kontrastierender Weise gebraucht werden. So beeinflusst etwa ein im unmittelbar relevanten Kontext zugängliches pronominales Objekt die im Satz ausgedrückte Perspektive dahingehend, dass es aufgrund seines niedrigen CD-Grades nicht als „successful competitor“ des Verbs in Frage kommt. In dem schon angesprochenen Beispielsatz aus Firbas (1999, 3) soll dies der Fall sein:
(14)
Ich begegnete ihm.
Der Satz ist darum nicht in Richtung auf das pronominale Dativobjekt perspektiviert, sondern auf das Verb, das als einziges kontextunabhängiges Element die Kommunikation abschließt. Welche DSF soll dem pronominalen Objekt nun zugeordnet werden? Wie schon erwähnt listet Firbas für kontextabhängige Elemente folgende DSFs auf: „B-elements and Set-elements and context-dependent elements that have acquired the Set-status through context dependence“ (1992, 71). Somit ist das pronominale Objekt nach Firbas als Setting aufzufassen und bildet zusammen mit dem ebenfalls kontextabhängigen pronominalen Subjekt als ‚bearer of quality‘ die Basis (foundation-laying function), während das Verb als ‚conveyer of quality‘ die Kommunikation abschließt.
Subjekt und Objekt zusammen als „foundation-laying elements“ aufzufassen, erscheint zumindest kontraintuitiv. Dieser kontraintuitive Eindruck lässt sich m.E. darauf zurückführen, dass Firbas’ DSF-Kategorien allesamt in Relation zum Satz stehen,15 während seine Kategorie der Kontextabhängigkeit, die er ja hinsichtlich der Zugänglichkeit im unmittelbar relevanten Kontext bestimmt, eine referentielle Perspektive impliziert. Ob etwa ein Subjekt – so wie in John has come to the dining room – als B-Element oder als Ph-Element aufzufassen ist, ergibt sich eindeutig nur aus den Rollen der anderen Mitspieler, nicht aber aus dem Kriterium der Kontextabhängigkeit bzw. Kontextunabhängigkeit. Wie wir wissen, korreliert Firbas den CD-Grad eines Satzelements nur indirekt mit dem Kriterium der Zugänglichkeit: „[…] even within a sentence section made up entirely of elements conveying new information, the degrees of CD are not the same […]“ (Firbas 1966, 270). Ob also ein Subjekt als B-Element (niedriger CD-Grad) oder Ph-Element (hoher CD-Grad) aufzufassen ist, ist vom Kriterium der Zugänglichkeit unabhängig. Ebenso können adverbiale Bestimmungen unabhängig von ihrer Zugänglichkeit als Setting (niedriger CD-Grad) oder als Specification (hoher CD-Grad) fungieren.
Bestimmt man nun den CD-Grad von Satzelementen auf der Basis der Rolle der DSFs als kommunikationseröffnend oder kommunikationsabschließend unabhängig vom Kriterium der Zugänglichkeit, so sind kommunikationseröffnende Subjekte in Bearer-Funktion und adverbiale Set-Elemente in dieser Hinsicht unproblematisch. Sie können sowohl kontextabhängig als auch kontextunabhängig sein. Sp-Elemente, Ph-Elemente sowie die verbalen Q- und Pr-Elemente sind aufgrund ihrer generellen Kontextunabhängigkeit ebenfalls unproblematisch. Lediglich die kontextabhängigen Satzelemente in Objektposition entziehen sich der relationalen Perspektive. Bei ihnen leitet sich die DSF nicht aus dem Bezug zu den DSFs der anderen Mitspieler im Satz ab, sondern allein aus ihrer Zugänglichkeit im unmittelbar relevanten Kontext. Die Folge ist, dass die Bestimmung ihrer DSF eher stipulativen Charakter hat. Derartige Fälle seien, so heißt es in Firbas (1992), „context-dependent elements that have acquired the Set-status through context dependence“ (s.o.).
Firbas’ Begriff des kommunikativen Dynamismus weist somit zwei Dimensionen auf, die er in einem integralen Konzept vereinen möchte: Zum einen die referentielle Dimension, innerhalb der das Kriterium der Zugänglichkeit im unmittelbar relevanten Kontext maßgeblich ist. Hieraus ergibt sich die Bestimmung der Satzelemente als kontextabhängig oder kontextunabhängig, wobei gilt, dass nur kontextunabhängige Elemente die Kommunikation im Firbas’schen Sinne abschließen können. Zum anderen die relationale Dimension, innerhalb der die kommunikative Perspektive des Satzes aus den dynamisch-semantischen Funktionen seiner Elemente abgeleitet wird. In relationaler Hinsicht ergibt sich aus den dynamisch-semantischen Rollen der Satzelemente der spezifische Charakter der jeweiligen Satzperspektive: entweder im Sinne der Spezifizierung einer bestimmten Qualität oder im Sinne der Präsentation eines Gegenstands in einem Setting. Im CD-Grad möchte Firbas beide Dimensionen zu einem integralen Wert zusammenfassen: In ihm drückt sich dann der Beitrag eines Satzelements zum Fortgang des Kommunikationsprozesses aus. Beide Dimensionen lassen sich aber offensichtlich nicht bruchlos aufeinander beziehen, was nicht ohne Folgen für die Bestimmung des Thema-Begriffs bleibt: Thematizität wird damit zum Teil referentiell, zum Teil relational expliziert.
Auch was den so oft herausgestellten graduellen Charakter des kommunikativen Dynamismus betrifft, so muss dieser m.E. relativiert werden. Firbas löst sich in seinem Ansatz durchaus nicht von dichotomischen Konzepten. Dichotomien bilden die Grundlage sowohl für die referentielle als auch für die relationale Dimension. In referentieller Hinsicht ist die Unterscheidung von kontextabhängigen und kontextunabhängigen Elementen grundlegend, in relationaler Hinsicht die Unterteilung des Satzes in „foundation-laying“ und „core-constituting elements“.
Ein Ausweg aus der offensichtlich inkonsistenten Zusammenführung der relationalen und referentiellen Dimension bestünde möglicherweise darin, beide Ebenen kategorial voneinander zu trennen. Einen solchen Weg beschreitet Halliday, der zwischen Thematizität und Givenness unterscheidet.
Wie wir gesehen haben, umfasst die Thema/Rhema-Dichotomie, so wie sie im Rahmen der Prager Schule zunächst von Mathesius ausformuliert wurde, zwei Aspekte der Informationsstrukturierung: einerseits die Unterscheidung von bekannter und neuer Information (given-new), andererseits die Gegenüberstellung von Satzgegenstand und Satzaussage. Auch Firbas versucht, wie gezeigt wurde, zwei Aspekte in ein einheitliches Konzept zu integrieren. Die mit der given-new-Dichotomie verwandte Unterscheidung kontextabhängiger und kontextunabhängiger Satzelemente und die eher auf den Mitteilungsaspekt abzielende, aber durchaus mit der Unterscheidung von Satzgegenstand und Satzaussage verwandte Aufteilung des Satzes in „foundation-laying“ und „core-constituting elements“ vereint Firbas in seinem Konzept des kommunikativen Dynamismus. M.A.K. Halliday, der im Rahmen seines funktionalen Grammatikkonzepts ebenfalls mit Kategorien der Informationsstruktur operiert, schlägt einen anderen Weg ein (vgl. Halliday 1967, 1970, 1985). Halliday unterscheidet begrifflich zwischen ‚Thema vs. Rhema‘ und ‚given vs. new‘. Obwohl er beide Dichotomien der „textuellen“ Funktion ‚Theme‘ zuordnet,1 plädiert er für eine kategoriale Trennung. Beides falle zwar häufig, jedoch nicht notwendig zusammen (vgl. Halliday 1970, 162).
Die Thema/Rhema-Dichotomie bestimmt Halliday im Sinne der Unterscheidung von Satzgegenstand und Satzaussage. Ein Satz in seiner Funktion als Mitteilung („message“) lässt sich zerlegen in den satzinitialen thematischen Bereich und den daran anschließenden rhematischen Bereich, wobei das Thema als „point of departure“ (1985, 38) fungiert: „[…] the Theme is the starting-point of the message; it is what the clause is going to be about“ (ebd., 39).2 Thematisch in diesem Sinne können nach Halliday neben einfachen und komplexen Nominalphrasen in Subjektposition und satzinitialen adverbialen Ergänzungen auch die Vorfeld-Elemente von Cleft-Sätzen sein. Vgl. Halliday (1970, 161) und (1985, 60):
Theme
Rheme
I
don’t know.