Praxishandbuch: Die neue Personalbemessung - Michael Wipp - E-Book

Praxishandbuch: Die neue Personalbemessung E-Book

Michael Wipp

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Beschreibung

Wie sind die Anforderungen des neuen Personalbemessungsverfahren in der kompetenzbasierten Dienst- und Einsatzplanung umzusetzen? Wie gelingt es Ihnen als Führungskraft, alle Mitarbeiter:innen zu informieren, einzubeziehen und den Wandel gemeinsam mit Leben zu füllen? Die Autoren Michael Wipp und Peter Sausen sind Experten für die Dienst -und Einsatzplanung. Sie haben u.a. das Dienstplan-Standardwerk "Regelkreis der Einsatzplanung" geschrieben und führen in diesem neuen Handbuch ihr Praxiswissen mit den Anforderungen aus der PeBeM-Studie und aus § 113 c SGB XI zusammen. In Zusammenarbeit mit Margarete Stöcker stellt das Autorenteam alle organisatorischen, rechtlichen und kommunikativen Herausforderungen vor und unterstützt Sie als Führungskraft hilfreich bei der praktischen Umsetzung. Aus dem Inhalt: ·Ausgangsbasis ·Historie und rechtlicher Rahmen ·Zielsetzungen ·Übergangsregelungen rechtssicher beachten ·Datenerhebung ·Interventionskatalog ·Aufgabenfelder / Pflegeberufegesetz ·Einrichtungsindividuelle Personalmenge ·Organisationsentwicklung / einrichtungsinterne Vorbereitung ·Anpassung der arbeitsrechtlichen Strukturen ·Formen optimierter Personalführung ·Ausfallmanagement mit neuem Qualifikationsmix ·Rechtliche Stolperfallen vermeiden ·Beteiligung von Betriebsrat und MAV bei der Umsetzung der neuen PeBeM ·Anstehende Weiterentwicklung der PeBeM ·Ausblick und Zeitplan

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Michael Wipp, Margarete Stöcker, Peter Sausen

Praxishandbuch: Die neue Personalbemessung

Auf Grundlage der PeBeM-Studie und § 113c SGB XI

 

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek

Die Deutsche Bibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.

 

Sämtliche Angaben und Darstellungen in diesem Buch entsprechen dem aktuellen Stand des Wissens und sind bestmöglich aufbereitet.

Der Verlag und der Autor können jedoch trotzdem keine Haftung für Schäden übernehmen, die im Zusammenhang mit Inhalten dieses Buches entstehen.

 

© VINCENTZ NETWORK, Hannover 2023

 

Besuchen Sie uns im Internet: www.altenheim.net

 

Das Werk ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwendung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Verlages unzulässig und strafbar.

Dies gilt insbesondere für die Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen.

Die Wiedergabe von Gebrauchsnamen, Warenbezeichnungen und Handelsnamen in diesem Buch berechtigt nicht zu der Annahme, dass solche Namen ohne Weiteres von jedermann benutzt werden dürfen. Vielmehr handelt es sich häufig um geschützte, eingetragene Warenzeichen.

 

Foto Titelseite: Adobe Stock, VectorMine (composing).

Grafiken in Teil 2: Maria Reichenauer.

 

ISBN 978-3-7486-0643-7

Inhalt

Teil 1 – Ausgangsbasis und Organisationsentwicklung

1 Die neue Personalbemessung und Ausgangsbasis

1.1 Ausgangsbasis – und: Was ist neu?

2 Kleine Historie der Personalbemessung

3 Zielsetzungen

4 Datenerhebung

5 Interventionskatalog

5.1 Qualifikationsniveaus

5.2 Interventionskatalog und dessen Einbezug in den pflegerischen Alltag

5.3 Von der Studie zur Gesetzgebung

6 Aufgabenfelder

7 Personalentwicklung

7.1 Modellprojekte nach § 8 Abs. 3b SGB XI

7.2 Personalentwicklung

8 Organisationsentwicklung

8.1 Organisation des Pflegealltags und der Arbeitsabläufe

8.2 Alternative Pflegeorganisationsstrukturen

9 Bundesempfehlung § 113c Abs. 4 SGB XI

10 Herausforderungen und Chancen

10.1 Mögliche Maßnahmen/To dos

10.2 Chancen und Herausforderungen

Teil 2 – Change Management – Der Weg in die Praxis

1 Ausgangslage

2 Change Management

2.1 Erfolgsaussichten und Einflussfaktoren

2.2 Change Leadership

3 Umsetzung

3.1 Erfordernisse auf der Haltungsebene

4 Menschenbilder

5 Führungsstrukturen und Managementaufgaben

5.1 Führungsmodelle

5.2 Kompetenzentwicklung als Führungsaufgabe

6 Personalentwicklung

6.1 Führungsstil nach Reifegrad

6.2 Teamentwicklung

6.3 Personalplanung und -entwicklung

7 Persönliche Skills

7.1 Kommunikationsfähigkeit

7.2 Rollenverständnis

7.3 Selbstvertrauen

8 Grundlagen der Kommunikation

8.1 Verbale und paraverbale Kommunikation

8.2 Nonverbale Körpersprache

8.2.1 Mimik

8.2.2 Körperhaltung und -bewegung

8.3 In Resonanz gehen

8.4 Persönlichkeitstsypen

8.5 Kommunikationsmodelle

8.5.1 Vier-Ohren-Modell

8.5.2 Transaktionsanalyse

8.5.3 Neurolinguistisches Programmieren

8.6 Werte und Motive

9 Gelingende Gesprächsführung

9.1 Fragen stellen

9.2 Aktives Zuhören

9.3 Paraphrasieren

9.4 Spiegeln

9.5 Reframen

9.6 Eigenes Verhalten reflektieren

10 Fazit – To do

10.1 Eine kleine Hilfe

10.2 Was wird weiterhin benötigt?

10.3 Fehler vermeiden

10.4 Eine kleine Übung zum Schluss

Teil 3 – Arbeitsrechtliche/rechtliche Aspekte

Einleitung

1 Die arbeitsrechtlichen Aspekte – ein Überblick

21.1 Warum hat die neue Personalbemessung arbeitsrechtliche Aspekte?

2 Das Direktionsrecht des Arbeitgebers

3 Der gesetzliche Rahmen des Arbeitszeitgesetzes

3.1 Der gesetzliche Rahmen des ArbZG zur Höchstarbeitszeit

3.2 Ruhepausen / Ruhezeiten

3.3 Bereitschaftsdienst, Arbeitsbereitschaft und Rufbereitschaft

3.4 Sonn- und Feiertagsarbeit

3.5 Abweichende Regelungen zulasten der Mitarbeitenden

3.6 Die Lage der Arbeitszeit

4 Besonderheiten der Nachtarbeit

5 Arbeitsabläufe und Arbeitszeiterfassung

6 Was, wenn Mitarbeitende nicht leisten, was sie leisten sollen?

6.1 Personenbedingter Ansatz

6.2 Verhaltensbedingter Ansatz

7 Betriebliche Übung verhindert Änderungen der Arbeitsorganisation?

8 Keine Änderung der Arbeitsverträge erforderlich

9 Stellenbeschreibungen aktualisieren?

10 Konkretisierung der Tätigkeit und Vertragsänderung

11 Qualifizierungen rechtlich absichern (Fortbildungsvereinbarungen)

12 Mitbestimmung des Betriebsrats und der Mitarbeitervertretung

12.1 Informationsrechte und Informationspflichten

12.2 Die Beteiligung des Betriebsrats bei der Personalplanung

12.3 Beteiligungsrechte bei Dienstplanung und Mitarbeitereinsatz

12.4 Mitbestimmung bei der Änderung der betrieblichen Arbeitsorganisation

12.5 Die Mitbestimmung bei der Qualifikation der Mitarbeitenden

12.6 Beteiligung im Rahmen der Gefährdungsbeurteilung gem. § 5 ArbSchG

12.7 Die freiwillige Mitbestimmung

13 Gefährdungsbeurteilung – Warum sie so wichtig ist

14 Haftungsrechtliche Aspekte

14.1 Haftungsrechtliche Grundsätze

14.2 Haftungserleichterung im Arbeitsrecht

14.3 Allgemeine Grundsätze

14.4 Haftungsansätze im Zusammenhang mit der Umsetzung der neuen Personalbemessung

14.5 Haftungsausschluss bei Personenschäden an Arbeitskollegen

Anhang

Vorwort

Eine der drängendsten sozialen Aufgaben der 2020er-Jahre ist es, die Langzeitpflege nachhaltiger zu gestalten. Es geht darum, gleichzeitig die Versorgungskapazitäten auszubauen, das dafür erforderliche Personal zu rekrutieren und auszubilden, dieses so einzusetzen, dass Pflegequalität und Arbeitszufriedenheit stimmen sowie eine faire und solidarische Finanzierung zu gewährleisten. Da all diese Baustellen miteinander verbunden sind, scheint es oft unmöglich, den richtigen Startpunkt für die notwendige Modernisierung zu finden. Wichtig ist es daher, den ersten und damit bedeutendsten Modernisierungsschritt zu gehen, der wiederum die Leitplanken für alle folgenden Schritte bilden wird. Aktuell hat die neue Personalbemessung in der stationären Langzeitpflege gute Chancen, ein solcher erster Schritt zu sein. Dieses Buch liefert hierzu einen bedeutenden Beitrag.

Das Buch beschäftigt sich zwar vordergründig „nur“ mit der neuen Personalbemessung, jedoch ist diese viel mehr als eine reine mathematische Festlegung von Personalmengen. Vielmehr erfordert die Umsetzung des Personalbemessungsverfahrens umfangreiche Strukturänderungen in Pflegeheimen. Die Umsetzung der 2020 veröffentlichten Ergebnissen des PeBeM-Projektes – speziell durch die flächendeckend erforderliche Mehrpersonalisierung bei den qualifizierten Hilfs- und Assistenzkräften (Qualifikationsniveau 3) – erzeugt bereits Zugzwänge für einen zweiten und dritten Schritt der Modernisierung der Pflege:

Die Mehrpersonalisierung im Qualifikationsniveau 3 kann nur umgesetzt werden, wenn Aus- und Weiterbildungsstrukturen sowie Anerkennungsregelungen umfassend geprüft und verändert werden und die entsprechenden Kapazitäten sukzessive ausgebaut werden. In vielen Bundesländern sind entsprechende Fortschritte schon zu beobachten – auch wenn oder gerade weil eine bundeseinheitliche Regelung noch nicht in Sicht ist.

Allgemein ist außerdem anerkannt, dass Mehrpersonal mit einem veränderten Qualifikationsmix in den bestehenden Organisationsstrukturen nicht effizient eingesetzt werden kann. Hieraus ist die Zukunftsperspektive einer qualifikationsdifferenzierten Arbeitsorganisation entstanden, die nicht mehr einen Personalmangel in einer ordnungsrechtlich vorgeschriebenen Personalstruktur verwaltet, sondern Pflege nach den Bedarfen und Bedürfnissen der Pflegebedürftigen organisiert. Die Einführung und empirische Erprobung eines solchen Ansatzes in einer Reihe von Modelleinrichtungen wird im Rahmen des Modellprojektes nach § 8 Abs. 3b SGB XI gerade vorbereitet – die abschließenden Ergebnisse sind aber nicht vor 2025 zu erwarten.

In vielen Kontakten mit Pflegekräften, Einrichtungsleitungen und Vertretern von Trägergesellschaften erfahre ich aber schon heute eine überwältigende Motivation, die Mehrpersonalisierung so schnell wie möglich in den Einrichtungen Realität werden zu lassen und dazu eine Organisationsveränderung in Richtung qualifikationsorientierter Arbeitsorganisationsstrukturen bei Beibehaltung der Beziehungspflege anzustreben. Meist steht dahinter die Erkenntnis, dass Qualifikationsorientierung auch unabhängig von Mehrpersonalisierung das Potenzial hat, den Pflegealltag systematischer und weniger belastend zu gestalten – und dass dieses zukünftig entscheidend dazu beitragen wird, neues Personal für die jeweilige Einrichtung zu gewinnen und das vorhandene Personal dauerhaft zu binden.

Aus diesen Gründen freue ich mich sehr, dass die Autor:innen dieses Buches sich des Themas Personalbemessung schon heute umfassend annehmen, statt auf die Ergebnisse des Modellprojektes zu warten. Sie zeigen ausgehend vom historischen Weg zur Personalbemessung über die bereits erfolgte und zukünftig zu erwartende politische Umsetzung vor allem einen Weg auf, wie Qualifikationsorientierung in der Pflege- und Ablauforganisation mit Bewohnerorientierung und Beziehungspflege kombiniert werden kann und so zu einer besseren Pflegequalität bei gleichzeitig reduzierten Belastungen für die Pflegekräfte aller Qualifikationsniveaus führen kann.

Ich wünsche allen Leser:innen viel Spaß und Erkenntnisgewinn bei der Lektüre und vor allem viel Erfolg beim Umsetzen der neuen Personalbemessung in ihren Einrichtungen.

 

Bremen, im März 2023

Prof. Dr. Heinz Rothgang

Universität Bremen

Teil 1

Ausgangsbasis und Organisationsentwicklung

von Michael Wipp

1Die neue Personalbemessung und Ausgangsbasis

Kapitelstichworte: PSG 2, Spielregeln, Roadmap, PeBeM-Studie, Personalbemessung

Die Diskussionen um die Thematik der Personalbemessung in der stationären Langzeitpflege in Deutschland ziehen sich seit Jahrzehnten hin. Was lange währt: Im Jahr 2016 wurde mit dem Pflegestärkungsgesetz 2 die Entwicklung und Erprobung eines neuen Personalbemessungsverfahrens gesetzlich festgeschrieben. Tatsächlich wurde Mitte 2020 fristgerecht der Abschlussbericht zu der Personalbemessungsstudie PeBeM vorgelegt. Dieser findet sich mit den Anlagenbänden auf der Internetseite der Geschäftsstelle Qualitätsausschuss Pflege (gs-qsa-pflege.de). Die Vorlage des Berichts zu diesem Zeitpunkt ist bemerkenswert, wenn man bedenkt, dass ab Mitte März 2020 die Corona-Pandemie das Alltagsgeschehen in den bundesdeutschen Pflegeeinrichtungen bestimmt hat. Hintergrund der fristgerechten Vorlage war, dass die Studie bereits rechtzeitig abgeschlossen war, weil die Datenerhebung im Wesentlichen im Jahr 2018 stattgefunden hat.

Ausgangsbasis: PSG 2, § 113c SGB XI Personalbemessung in Pflegeeinrichtungen

(1) Die Vertragsparteien nach § 113 stellen im Einvernehmen mit dem Bundesministerium für Gesundheit und dem Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend die Entwicklung und Erprobung eines wissenschaftlich fundierten Verfahrens zur einheitlichen Bemessung des Personalbedarfs in Pflegeeinrichtungen nach qualitativen und quantitativen Maßstäben sicher. Die Entwicklung und Erprobung ist bis zum 30. Juni 2020 abzuschließen. Es ist ein strukturiertes, empirisch abgesichertes und valides Verfahren für die Personalbemessung in Pflegeeinrichtungen auf der Basis des durchschnittlichen Versorgungsaufwands für direkte und indirekte pflegerische Maßnahmen sowie für Hilfen bei der Haushaltsführung unter Berücksichtigung der fachlichen Ziele und Konzeption des ab dem 1. Januar 2017 geltenden Pflegebedürftigkeitsbegriffs zu erstellen. Hierzu sind einheitliche Maßstäbe zu ermitteln, die insbesondere Qualifikationsanforderungen, quantitative Bedarfe und die fachliche Angemessenheit der Maßnahmen berücksichtigen. Die Vertragsparteien beauftragen zur Sicherstellung der Wissenschaftlichkeit des Verfahrens fachlich unabhängige wissenschaftliche Einrichtungen oder Sachverständige. Soweit bei der Entwicklung und Erprobung des Verfahrens eine modellhafte Vorgehensweise erforderlich ist, kann im Einzelfall von den Regelungen des Siebten Kapitels sowie von § 36 und zur Entwicklung besonders pauschalierter Pflegesätze von § 84 Absatz 2 Satz 2 abgewichen werden. Bei den Aufgaben nach den Sätzen 1 bis 6 sollen die Vertragsparteien von der unabhängigen qualifizierten Geschäftsstelle nach § 113b Absatz 6 unterstützt werden

 

Im ersten Quartal 2021 wurde durch den damaligen Bundesgesundheitsminister Spahn die Roadmap mit einem Zeitplan zur Umsetzung des Personalbemessungsverfahrens vorgelegt und im Juni des gleichen Jahres hat das Gesundheitsversorgungsweiterentwicklungsgesetz die Zustimmung von Bundestag und Bundesrat erfahren. Somit war das erste bundesweite Verfahren zur Personalbemessung als Bundesgesetz verabschiedet.

Immerhin hat es seit Einführung der Pflegeversicherung in den Jahren 1995/1996 bis heute mehr als 25 Jahre gedauert, bis der Weg zu einem bundeseinheitlichen Personalbemessungsverfahren gesetzlich festgeschrieben wurde. Zwei wesentliche Veränderungen hat die Einführung, welche in dem Paragrafen 113c SGB XI beschrieben ist, mit sich gebracht:

Perspektivisch ist das Ende der antiquierten Fachkraftquote eingeläutet worden und

bundesweite Personal-Anhaltswerte werden angestrebt.

Die beschriebenen Veränderungen, vor allem der langfristige Wechsel von der Fachkraftquote zu dem Qualifikationenmix, werden perspektivisch ganz erhebliche Veränderungen in der stationären Pflege, betrachtet auf einen Zeitraum von mehreren Jahren hinweg, nach sich ziehen.

„Jeder Weg beginnt mit dem ersten Schritt“, auch wenn dieser Spruch noch so lapidar ist, trifft er auch bei dieser komplexen Thematik zu. Der Umsetzungsprozess wird über Jahre gehen und große Veränderungen mit sich bringen. Aus Sicht des Autors von Teil 1 des Fachbuches perspektivisch auf diesen Zeitraum hinaus betrachtet, die größten Veränderungen für den vollstationären Bereich überhaupt seit Einführung der Pflegeversicherung.

Das Warten auf weitere politische Entscheidungen oder auf Erkenntnisse aus den Modellprojekten nach § 8 Abs. 3 SGB XI lohnt sich nur bedingt, wie die Erfahrung aus ähnlichen Vorgängen zeigt, zumal es noch einige Zeit dauern wird, bis zumindest die ersten Erkenntnisse aus den Modellprojekten vorliegen. Wer sich jetzt in Ruhe, ohne Druck, an die Vorbereitung macht, kann überlegt und strukturiert die Umsetzung vorbereiten.

 

Entscheidend für die Verantwortlichen, die sich mit der Umsetzung beschäftigen, ist es, die „Spielregeln“ zu kennen und zu verstehen. Das Schaubild auf Seite 12 zeigt diese in der Übersicht. Dabei gilt es zwingend zu differenzieren, ob über Erkenntnisse aus der PeBeM-Studie gesprochen wird oder über die Inhalte und Konsequenzen, welche sich aus dem § 113c SGB XI und den sich daraus abzuleitenden Empfehlungen, Rahmenverträgen auf Länderebene und den ordnungsrechtlichen Regelungen ergeben. Die Studie und die gesetzliche Umsetzung sind in vielen Punkten nicht identisch. Für die Umsetzung gilt es, den § 113c SGB XI und die darauf aufbauenden Regelungen zu kennen. Für das Gesamtverständnis der Thematik dagegen die Inhalte aus der Studie in Verbindung mit dem, was der Gesetzgeber über § 113c SGB XI daraus gemacht hat.

Die Roadmap, das GVWG bezogen auf den Anteil des § 113c SGB XI daran, die Bundestagsdrucksache, welche wesentliche Erläuterungen zu den Absätzen des § 113c SGB XI aufzeigt, und die Gemeinsame Empfehlung nach § 113c Abs. 4 SGB XI finden sich in den Anlagen zu diesem Fachbuch.

In diesem Fachbuch sind in Teil 1 in 10 Kapiteln wichtige Aspekte aus der Umsetzung beschrieben. Diese bedingen sich teilweise gegenseitig, sodass nicht immer eine detaillierte Punkt-für-Punkt-Abarbeitung sinnvoll und möglich ist.

1.1Ausgangsbasis – und: Was ist neu?

Wenn man sich unter Kapitel 1 die Ausgangsbasis zu § 113c SGB XI anschaut, ist bereits im Pflegestärkungsgesetz 2 nachzulesen, dass die „Entwicklung und Erprobung eines neuen Personalbemessungsverfahrens bis zum 30. Juni 2020 abzuschließen ist“. Hat jemand im Jahr 2016 wirklich daran geglaubt, dass dies zur Umsetzung kommt? Wer die zahlreichen Reformen der Pflegeversicherung seit deren Einführung in den Jahren 1995/1996 verfolgt hat, weiß auch, dass in nahezu jeder Reform nachzulesen war, dass bis zur Entwicklung eines neuen Personalbemessungsverfahrens die bestehenden Regelungen weiter gelten; also die Pflegeschlüssel/Personalanhaltswerte auf Landesebene, beschrieben jeweils in den Rahmenverträgen nach § 75 SGB XI. Bis dann tatsächlich mit dem Pflegestärkungsgesetz 2 die Entwicklung und Erprobung festgeschrieben wurde und das Ergebnis zum 30. Juni 2020 in Form der PeBeM-Studie, der Personalbemessungsstudie, vorlag.

2016 PSG II: Entwicklung und Erprobung eines neuen Personalbemessungsverfahrens

Mitte 2020: Vorlage PeBeM Abschlussbericht (gs-qsa-pflege.de)

1. Quartal 2021: Roadmap liegt vor

11.06.2021: Der deutsche Bundestag hat die Pflegereform über das Gesetz zur Weiterentwicklung der Gesundheitsversorgung GVWG beschlossen und somit auch das neue Personalbemessungssystem, das mit dem PSG 2 im Jahr 2016 vereinbart wurde.

25.06.2021: Der Bundesrat gibt grünes Licht. Mit dieser Pflegereform wurden auch Sachverhalte auf den Weg gebracht, die teilweise seit Beginn der Pflegeversicherung vor mehr 25 Jahren kontinuierlich vertagt worden sind:

das Ende der ein Vierteljahrhundert alten Fachkraftquote ist eingeläutet worden und die Einführung bundesweiter Personalanhaltswerte mit § 113 c SGB XI.

 

Definition Personalbemessung gem. Abschlussbericht PeBeM:

Genauer: Personalbedarfsbemessung. Prozedurale Ermittlung der zur Erbringung einer fachgerechten pflegerischen Versorgung notwendigen Personalmenge nach Quantität und Qualifikation. (Definition PeBeM- Abschlussbericht)

Schaut man sich die Thematik des § 113c SGB XI in Verbindung mit der zugrunde liegenden PeBeM-Studie genau an, taucht unvermittelt die Frage auf, was ist eigentlich neu an dem Vorgehen?

Personalanhaltswerte gibt es bereits – zumindest bundeslandbezogen – schon immer.

Die Pflegegrade als Grundlage auch, davor die Pflegestufen.

Der kompetenzbasierte Mitarbeitereinsatz – zumindest in Teilen sollten wir diesen auch schon praktizieren.

Aber was ist neu?

Der perspektivische Ersatz der Fachkraftquote durch den Qualifikationenmix.

Eine Personalmehrung (kann man heute schon ermitteln) – in Abhängigkeit von der Ausgangsbasis des jeweiligen Bundeslandes.

Das erstmalige Vorliegen bundeseinheitlicher Personalanhaltswerte.

Der konsequent ausgerichtete kompetenzbasierte Mitarbeitereinsatz.

Und zur Umsetzung von allen genannten Sachverhalten die zentralen Bereiche der Personalentwicklung (Teil 1/Kap.07) und der Organisationsentwicklung Teil 1/Kap.08)

Das bedeutet, dass die Grundprinzipien der Dienst- und Einsatzplanung künftig genauso von Bedeutung sind wie heute. Für diejenigen, die glauben, dass infolge der Umsetzung von § 113c SGB XI mit der Personalmehrung Dienstplanbesetzungsprobleme vorbei sind, dürfte es ein trauriges Wiedereintauchen in die Praxisrealität geben. Nettoarbeitszeitbasierte Dienst- und Einsatzplanung, geplante Berücksichtigung von Ausfallzeiten, Arbeitsabläufe qualifikationsbezogen planen, Kenntnis über durchschnittlich verfügbare Planungszeiten/Tag etc. sind alles Themen aus dem Fachbuch „Regelkreis der Einsatzplanung“. Nach wie vor die Grundlage einer verlässlichen Dienstplanung. Aufgeführt im Literaturverzeichnis zu dem PeBeM-Abschlussbericht, Seite 440. (Wipp, Michael; Sausen, Peter (2018): Regelkreis der Einsatzplanung. Dienstpläne sicher und effizient gestalten. 3., überarbeitete Auflage. Hannover: Vincentz)

„Die Hypothese hinter diesem modellhaften Einführungsansatz ist, dass eine Personalmehrung nur dann zu einer optimalen Verbesserung der Prozess- und Ergebnisqualität führt, wenn zugleich Prozesse etabliert und eingeübt werden, mit denen dieses Mehrpersonal sinnvoll eingesetzt wird. Dazu müssen in Abhängigkeit vom jeweiligen Case-Mix die Versorgungprozesse nach Kompetenzprofilen der einzelnen Pflegekräfte innerhalb des Qualifikationsmixes des Pflegeteams neu definiert werden. Die Aufgabenbereiche der Pflegefachkräfte müssen sich dabei an den im § 4 Pflegeberufegesetz beschriebenen vorbehaltenen Tätigkeiten ausrichten. Vor diesem Hintergrund müssen die Pflegefachkräfte verantwortlich die Steuerung der Versorgungsprozesse im interdisziplinären Team übernehmen und zusätzlich gezielt die Tätigkeiten der Pflegeassistenzkräfte koordinieren, anleiten und überwachen. Dies erfordert ein Aufbrechen der etablierten und oftmals wenig kompetenzorientierten Arbeits- und Organisationsprozesse in den Einrichtungen sowie eine Festigung der neuen Aufgabenteilung im Kontext des spezifischen Qualifikationsmixes durch gezielte Personalentwicklungsprozesse.“

 

Abschlussbericht, S. 420

2Kleine Historie der Personalbemessung

Kapitelstichworte: Standard-Pflegesatz-Modell, PLAISIR, Personalschlüssel

Schaut man sich die in der PeBeM-Studie beschriebene Historie bezüglich der Aktivitäten zur Entwicklung eines Personalbemessungsverfahrens in Deutschland an, so ist das insofern interessant, als vorausgegangene Versuche durchaus nicht unbedeutend waren.

Mancher erinnert sich möglicherweise an das Standard-Pflegesatz-Modell (SPM) aus dem Jahr 1998, mit dem man versucht hat, die Personalbemessung genauer zu gestalten. Die Ausarbeitungen waren für die damalige Zeit in der Tat beeindruckend und sehr qualifiziert. Wenn man sich das Ganze aus heutiger Sicht anschaut, sind bereits damals Ausfallzeiten in der Pflege berücksichtigt worden. Die Netto-Arbeitszeit findet Berücksichtigung in einer detaillierten Form, wie dies bis heute nicht wieder erreicht wurde. Aber es gab damals immer wieder Diskussionen, das SPM würde zu Qualitätseinbußen führen und letztlich ist dann das Standard-Pflegesatz-Modell wieder in der Versenkung verschwunden, ohne dass es wirklich umfassend zur Anwendung gekommen wäre. In welcher Form dieses Verfahren zu Qualitätseinbußen hätte führen können, ist nie wirklich deutlich geworden.

Ein weiteres Verfahren, das in Deutschland umfassend auch vom Kuratorium Deutsche Altershilfe in Köln begleitet und gefördert wurde, kam aus Kanada, das so genannte Plaisir-Verfahren. Auch große Trägerverbände haben daran mitgearbeitet, aber letztlich ist dem Plaisir-Verfahren das Gleiche widerfahren wie dem Standard-Pflegesatz-Modell: Es ist irgendwann auch wieder verschwunden, es ist nicht weiterverfolgt worden. Angegebener Hauptgrund war damals, dass es Lizenzschwierigkeiten gab (siehe Textpassage Wortlaut KDA 2004). Insider haben damals andere Vermutungen angestellt: Ein Punkt, der unterschwellig zum Verschwinden von PLAISIR geführt haben mag, war das Ergebnis der Erprobungen. Diese haben gezeigt, dass ein Personalmehrbedarf von 30 Prozent zu einer qualifizierten pflegerischen Versorgung erforderlich ist. Interessant insofern, wenn man das mit den heutigen Erkenntnissen aus der PeBeM-Studie und dem dort ermittelten Mehrbedarf vergleicht.

So ist auf der Internetseite des KDA im Jahr 2004 zu lesen: Köln (KDA) – 3. September 2004

– Das Kuratorium Deutsche Altershilfe (KDA) stellt mit großem Bedauern fest, dass das Pflegezeitbemessungsverfahren PLAISIR in absehbarer Zeit nicht in Deutschland eingeführt wird. Die Verhandlungen der Deutschen Gesellschaft für die systematische Erfassung von Pflegebedarf mbH (dgep) mit dem kanadischen Rechteinhaber EROS sind gescheitert. PLAISIR steht für Planification Informatisée des Soins Infirmiers Requis, was frei übersetzt so viel wie EDV-unterstützte Planung der erforderlichen Pflege in Pflegeheimen heißt. Damit ist es möglich, den tatsächlichen Bedarf an Pflege und Betreuung der in Heimen lebenden alten Menschen zu messen. Auf Grundlage dieser verlässlichen Informationen kann auch der erforderliche Personalbedarf für jedes Heim exakt kalkuliert werden.

 

So sind beide Verfahren – sowohl das Standard-Pflegesatz-Modell als auch PLAISIR - wieder aus den Blickwinkeln der daran interessierten Fachöffentlichkeit verschwunden. Das Team um Professor Rothgang hat weitere nationale und internationale Personalbemessungsverfahren analysiert und bewertet. Auch in Deutschland gab es weitere Verfahren, die große Trägerverbände selbst entwickelt und erprobt haben, wie z. B. die Ev. Heimstiftung in Stuttgart. Auch diese Verfahren sind alle nicht zur dauerhaften Anwendung gekommen, sodass man nach Ansicht der Autoren der PeBeM-Studie zu dem Schluss gekommen ist, dass keines der Instrumente geeignet ist, eine Grundlage für ein bindendes Personalbemessungsinstrument im deutschen Pflege- und Gesundheitssystem zu etablieren.

So ist es bis heute Ländersache, die Personalanhaltswerte für die Pflege festzulegen. Also nicht der Bund entscheidet über Personalbemessung, sondern die Bundesländer regeln dies. Das hat im Laufe der Jahre dazu geführt, dass pflegebedürftige Menschen mit gleichem Pflegebedarf und identischem Pflegegrad zum Teil sehr erheblich unterschiedliche quantitative und qualitative Leistungen erhalten.

 

Von Logik kann man dabei keinesfalls sprechen, wenn man sich die unterschiedlich verfügbaren Stellenkontingente zwischen den einzelnen Bundesländern anschaut, die auch noch innerhalb der Bundesländer divergieren. Heute hängt zumindest die quantitative Menge an Pflege- und Betreuungsleistungen vom Bundesland ab, in dem sich die pflegebedürftige Person befindet. Die Bundesländer haben die Personalanhaltswerte – wenn überhaupt – immer nur fortgeschrieben; eine wissenschaftlich basierte Grundlage liegt dafür in keinem Bundesland vor.

Mit der sog. zweiten Stufe der Umsetzung des neuen Personalbemessungsverfahrens ab Juli 2023 will man die Ungleichheiten zwischen den Bundesländern im Rahmen einer sog. Konvergenzphase ausgleichen. Das führt dazu, dass je nach Bundesland sich jede Einrichtung bereits heute weitgehend ausrechnen kann, wo ihr diesbezüglicher Stand ist, indem sie die Personalanhaltszahlen aus § 113c SGB XI als obersten Maximalwert zugrunde legt und mit ihren heutigen vertraglichen Vereinbarungen abgleicht, um festzustellen wie „üppig“ die Differenz ausfallen könnte. Die jeweilige Spanne zwischen den Bundesländern ist enorm und belegt damit gleichermaßen den dringenden Handlungsbedarf. Eigene Erhebungen für eine vergleichbar große Einrichtung in Bayern haben gezeigt, dass es in der zweiten Stufe ab Juli 2023 quasi ein Nullsummenspiel ist und sich für eine identisch große Einrichtung im Saarland eine Differenz von ca. mehr als zehn VK-Stellen ergibt.

Diese unterschiedliche Ausgangsbasis in den einzelnen Bundesländern hat infolge Auswirkungen auf die künftige personelle Ausstattung von § 113c SGB XI. Hintergrund ist, dass es eine der Zielsetzungen von § 113c SGB XI (Bundestagsdrucksache 19/30560) ist, im Rahmen der beschriebenen Konvergenzphase sich einer bundeseinheitlichen personellen Ausstattung anzunähern und – zumindest perspektivisch – zu einer Angleichung zwischen den Bundesländern zu kommen.

3Zielsetzungen

Kapitelstichworte: Zielsetzungen, Qualifikationsmix, Fachkraftquote, Pflegegrade

Was sind die Zielsetzungen, die mit der neuen Personalbemessung verbunden sind?

Die Erwartungen und Anforderungen an die Qualität von Pflege und Betreuung steigen seit Jahren kontinuierlich an. Das hängt sicherlich mit dem gestiegenen öffentlichen Interesse an der Thematik zusammen, aber auch mit den kontinuierlich steigenden qualitativen Anforderungen aus ordnungs- und leistungsrechtlichen Regularien.

PeBeM beschreibt als Zielsetzungen:

Eine deutlich verbesserte, personelle Ausstattung, um der Berufsflucht entgegenzuwirken, Mitarbeiter:innen auch in den Beruf zurückzuholen und neue dafür zu gewinnen. Denkt man über diese Zielsetzungen nach, stellt sich das Ergebnis nahezu als die Quadratur des Kreises dar. Deutlich mehr Mitarbeiter:innen bei leergefegtem Arbeitsmarkt? Aber was wäre die Alternative? Alles zu belassen, wie es gegenwärtig ist?

Wohin uns das führt, ist allgemein bekannt und stellt somit keine wirkliche Alternative dar. Im Gegenteil, die Situation verschlechtert sich zunehmend weiter. Also muss versucht werden, über ein neues System die beschriebene Quadratur des Kreises hinzubekommen, denn nur, wenn die personelle Ausstattung besser wird, wird auch die Pflege- und Betreuungstätigkeit mit mehr Ruhe besser durchgeführt werden können und mehr Mitarbeiter:innen können für den Beruf gewonnen werden.

Eine einheitliche, bundesweite Struktur der Personalbemessung. Der Vergleich in der Übersicht der Bundesländer (Schaubild auf Seite 18) zeigt die enormen bundeslandspezifischen Unterschiede in der quantitativen Mitarbeiterausstattung der Pflegeeinrichtungen. Von einer bundeseinheitlichen, vergleichbaren personellen Ausstattung sind wir momentan weit entfernt. Schaut man sich heute die Pflegekosten in den Bundesländern an, ist eindeutig zu erkennen, dass gerade diejenigen Bundesländer, die heute schon eine vergleichsweise gute personelle Ausstattung haben, deutlich teurer sind als Bundesländer, bei denen das eben nicht der Fall ist.

Ein Bemessungssystem, welches ohne zusätzlichen administrativen Aufwand auskommt. Was ist damit gemeint? Wer sich mit der Studie, dem Abschlussbericht von Professor Rothgang und Team befasst hat, kann dort nachlesen, dass auch alternative Möglichkeiten zu den Pflegegraden als Bemessungsgrundlagen geprüft wurden, um den erforderlichen Personalbedarf zu ermitteln. Letztlich war es so, dass zwar Verfahren, wie zum Beispiel über die einzelnen Module des Begutachtungsinstruments, ebenso als Grundlage hätten herangezogen werden können, aber dass sie im Ergebnis bei deutlich mehr Erhebungsaufwand nur zu einem unwesentlich genaueren Ergebnis in Bezug auf den erforderlichen Personalbedarf geführt hätten. Folglich stand der daraus resultierende Aufwand nicht im Verhältnis zu einem möglicherweise genaueren Ergebnis. Das war der Grund, warum die Empfehlung ausgesprochen wurde, dass die Pflegegrade auch bei einem neuen Personalbemessungssystem die Grundlagen zur Ermittlung des Personalbedarfs darstellen sollten.

Warum ist gerade die Frage der Einstufung nach Pflegegraden von großer Bedeutung? Die Pflegegradverteilung bestimmt die Besetzung im Dienstplan. So simpel diese Erkenntnis ist, so wenig ist diese gravierende Auswirkung vielen Pflegenden wirklich bewusst. Das hat folgenden Grund. Dienstpläne können nicht funktionieren, wenn sich der Großteil der Bewohnerstruktur nach Pflegegraden in einem Bereich von Pflegegrad 1 bis max. 3 darstellt. Wenn die Thematik der Einstufung/„Eingraduierung“ nicht qualifiziert in der Einrichtung auf Grundlage des tatsächlichen Pflege- und Betreuungsbedarfes erfolgt, wird auch die neue Personalbemessung keine wirkliche Verbesserung mit sich bringen. Darüber muss man sich im Klaren sein und heute schon daran arbeiten. Und eine Schuld für eine ungünstige Pflegegradverteilung/Einstufung kann nicht ausschließlich dem Medizinischen Dienst oder den Begutachtungsrichtlinien zugeschoben werden. Das hat auch etwas mit der einrichtungsinternen professionellen Umsetzung der Thematik zu tun.

Das Personalbemessungsinstrument definiert, wie viel Pflegepersonal für eine fachgerechte Versorgung von Pflegebedürftigen erforderlich ist und welcher Qualifikationsmix in Abhängigkeit von der einrichtungsinternen Bewohnerstruktur, also den Bewohnern und Bewohnerinnen nach Pflegegraden, bereitgestellt werden muss, um eine entsprechende Versorgungsqualität zu gewährleisten.

Das neue Personalbemessungsverfahren soll, wie beschrieben, auch zu einer Angleichung der personellen Ausstattung zwischen den Bundesländern führen, möglichst ohne zusätzlichen Erhebungs- und Dokumentationsaufwand auskommen und eine fachlich angemessene Pflege nach dem Pflegeverständnis des „neuen“ Pflegebedürftigkeitsbegriffes aus dem Jahr 2017 gewährleisten.

In Bezug auf die einheitliche heutige Fachkraftquote ist der Begriff „einheitlich“ schon sachlich falsch. Natürlich ist die Fachkraftquote zum gegenwärtigen Zeitpunkt (noch) bei fünfzig Prozent. Aber die entscheidende Frage ist ja, fünfzig Prozent wovon? Wer sich einmal die Länderübersicht (auf Seite 18) anschaut, sieht, dass zum Beispiel in Bayern fünfzig Prozent von der gesamten Mitarbeiteranzahl ein völlig anderes quantitatives und qualitatives Ergebnis ergibt, als das in manch anderem Bundesland der Fall ist. Insofern gibt es die Einheitlichkeit bei der Fachkraftquote ohnehin nur in Bezug auf die fixe Prozentzahl, die sich dann sehr unterschiedlich in den einzelnen Einrichtungen und Bundesländern auswirkt. Die Fachkraftquote wird nach § 113c SGB XI in den kommenden Jahren durch einrichtungsindividuelle Personalmengen und die Qualifikationsmixe ersetzt.

Einheitliche Fachkraftquote versus Qualifikationsmix

Das Personalbemessungsinstrument definiert, wie viel Pflegepersonal für eine fachgerechte Versorgung von Pflegebedürftigen erforderlich ist und welcher Qualifikationsmix in Abhängigkeit der einrichtungsinternen Bewohnerstruktur (Case-Mix) bereitgestellt werden muss, um eine entsprechende Versorgungsqualität zu gewährleisten.

Der Qualifikationsmix des Pflegepersonals richtet sich dabei nach den Anforderungen aus der Art und Schwere der Pflegebedürftigkeit.

Das Verfahren soll auch zu einer Angleichung der Personalsituation zwischen den Bundesländern führen, möglichst ohne zusätzlichen Erhebungs- und Dokumentationsaufwand auskommen und eine fachlich angemessene Pflege nach dem Pflegeverständnis des neuen Pflegebedürftigkeitsbegriffs gewährleisten.

Die bisher einheitliche Fachkraftquote wird perspektivisch durch einrichtungsindividuelle Personalmengen und Qualifikationsmixe ersetzt.

 

4Datenerhebung

Kapitelstichworte: Beschattung, Studie, individueller Leistungsbedarf

Zur Erhebung der Ausgangsbasis und gleichermaßen zur Entwicklung eines neuen Personalbemessungsinstruments, welches perspektivisch die Fachkraftquote ersetzt und vor allem den Personalbedarf auf validen Grundlagen ermittelt, war es erforderlich, eine umfassende Ist-Analyse durchzuführen. Dazu hat man eine Datenerhebung auf Grundlage eines zuvor erstellten Interventionskataloges durchgeführt.

Wie ist das Ganze abgelaufen? Von April bis Oktober 2018 wurde unter Anleitung durch das Team von Professor Rothgang in insgesamt 62 vollstationären Einrichtungen mit insgesamt 1380 Pflegebedürftigen eine Beobachtungsstudie durchgeführt, weil man Daten benötigte, um das neue System auf eine tragfähige und verlässliche Grundlage zu stellen. Dafür wurde für die einzelnen Bewohner:innen eine Tagesstruktur, also eine Interventionsplanung der tatsächlich notwendigen Pflege- und Betreuungsbedarfe, erstellt und auch jeweils ein Gutachten zur Pflegebedürftigkeit durch den Medizinischen Dienst und Medicproof, angefertigt.

Schon damit wird deutlich, wie sorgfältig man vorgegangen ist, um zu ermitteln, was der tatsächliche Bedarf an Pflege und Betreuung ist, der bei den einbezogenen pflegebedürftigen Menschen vorliegt. Es ging darum zu beurteilen, welchen konkreten Bedarf an individuell erforderlicher Pflege und Betreuung die einbezogenen 1380 Menschen tatsächlich in ihrer persönlichen Situation haben. Infolge wurden die ausführenden Mitarbeiter:innen der einbezogenen 62 Einrichtungen fünf Tage bei ihrer Leistungserbringung „beschattet“. Der Begriff der „Beschattung“ stammt aus der Studie: Man kann auch sagen, begleitet. Und in diesen Tagen wurde ganz genau beobachtet, welche Leistungen durch die Mitarbeitenden bei den Bewohnern und Bewohnerinnen erbracht werden, tagsüber, an den Wochenenden, rund um die Uhr, um zu sehen, was geschieht hier ganz konkret.

Dazu war es aber erforderlich, um die Beurteilung einer qualifizierten und individuell erforderlichen Leistungserbringung auf einer einheitlichen Beurteilungsgrundlage im Rahmen der Begleitung durchführen zu können, zuvor den sogenannten Interventionskatalog zu erarbeiten. In ihm sind die in der stationären Pflege erforderlichen Leistungen inhaltlich abgebildet. Hätten die Beschatter nur darauf geschaut, welche Leistungen die Mitarbeiter:innen bei den Bewohnern und Bewohnerinnen erbringen, wäre lediglich der Status quo erfasst worden. Infolgedessen musste man zum einen Grundlagen schaffen, um festzulegen, welche Leistungen überhaupt erforderlich sind (= individuelle Maßnahmenplanungen). Gleichermaßen musste festgelegt werden, welche konkreten Anteile die einzelnen Tätigkeiten umfassen (= was gehört beispielsweise alles zu einer Körperpflege im Bett) und welcher Qualifikationsbedarf zur fachgerechten Leistungserbringung erforderlich ist sowie das daraus resultierende notwendige Zeitkontingent.

Entscheidend war, dass man im Rahmen der Beschattung sowohl nach der Ist-Leistungserbringung geschaut hat, also was tatsächlich durchgeführt wurde, aber auch nach der Soll-Leistungserbringung, was hätte durchgeführt werden müssen, aber unter der gegenwärtigen personellen Ausstattung aus Zeitgründen von den Mitarbeitern und Mitarbeiterinnen nicht erbracht werden konnte. Dazu war es Voraussetzung, den Interventionskatalog als Maßstab einer vergleichenden einheitlichen Bewertung durch alle Beschatter zugrunde zu legen.

Datenerhebung zu der Studie und Interventionskatalog

Von April bis Oktober 2018 wurde in insgesamt 62 vollstationären Erhebungseinheiten unter Einbezug von insgesamt 1.380 Pflegebedürftigen eine Beobachtungsstudie zum Zweck der Datenerhebung durchgeführt.

Bewohnerbezogene Grundlagen waren u. a. eine tagesstrukturierte Interventionsplanung der individuell notwendigen Interventionen und ein Gutachten zur Pflegebedürftigkeit durch den MDK/Medicproof.

Mit speziell geschulten Pflegefachpersonen wurde eine „Beschattung“ über 5 Tage der leistungserbringenden Pflegekräfte unter Bezugnahme auf einen eigens zuvor entwickelten Interventionskatalog, der alle in der stationären Pflege erforderlichen Leistungen abbildet, durchgeführt.

Unter Bezugnahme auf einen eigens zuvor entwickelten Interventionskatalog, der alle in der stationären Pflege erforderlichen Leistungen abbildet, wurde die „Beschattung“ zum Zweck der Datenerhebung durchgeführt.

Dabei wurde sowohl nach der Ist-Leistungserbringung, also was tatsächlich durchgeführt wurde, als auch nach der Soll-Leistungserbringung, also was hätte durchgeführt werden müssen, geschaut.

 

5Interventionskatalog

Kapitelstichworte: Interventionskategorien, Interventionen, Begutachtungsinstrument, Strukturmodell, Qualifikationsniveaus

Für das grundsätzliche Verständnis, welches der neuen Personalbemessung zugrunde liegt, ist sowohl die inhaltliche Kenntnis der PeBeM-Studie von Bedeutung als auch der damit einhergehende Interventionskatalog.

Der Interventionskatalog umfasst insgesamt neun Interventionskategorien.

Kategorien des Interventionskataloges

Die ersten fünf Kategorien sind an die Module des Begutachtungsinstruments angelehnt und enthalten direkte pflegerische Interventionen in den Bereichen:

Mobilität (4 Interventionen),Kognitive und kommunikative Fähigkeiten/Gestaltung des Alltagslebens (15 Interventionen),Verhaltensweisen und psychische Problemlagen (3 Interventionen),Selbstversorgung (20 Interventionen) undKrankheits- und therapiebedingte Aufgaben (21 Interventionen).

Die übrigen vier Kategorien umfassen Interventionen, die zur Sicherung der Organisation und der Qualitätssicherung notwendig sind und u. a. im Kontext des Human-Ressource-Managements, also der Personalbeschaffung, Personalentwicklung, Personalführung und Personalbindung stehen:

Beratung und Schulung (10 Interventionen),Pflegeprozess/Kommunikation/Organisation (15 Interventionen),Qualitätsmanagement-Aufgaben (11 Interventionen) sowieManagement (8 Interventionen).