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Aus der güterichterlichen Praxis für die Praxis: Ein Handbuch für die Fragen, die § 278 Abs. 5 ZPO nicht beantwortet. Das Praxishandbuch wendet sich an Güterichterinnen und Güterichter, die nach einer ersten Aus- oder Fortbildung ihre Erkenntnisse wiederholen und vertiefen wollen. Es zielt auch auf alle Richterinnen und Richter sowie Rechtsanwältinnen und Rechtsanwälte, die die Mediation und das Güterichterverfahren nutzen wollen, aber bislang noch keinen hinreichenden Einblick gewinnen konnten. Für Gerichtsleitungen und Präsidien ist es hilfreich, wenn sie das Güterichterverfahren an ihrem Gericht noch besser implementieren wollen.
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Seitenzahl: 177
Veröffentlichungsjahr: 2022
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Dieses Buch ist aus der Richterfortbildung heraus entstanden. Es versammelt Beiträge von Dozentinnen und Dozenten der Güterichtertagungen der Hessischen Justizakademie (Brändle, Deppermann-Wöbbeking, Kaiser-Klan, Schreiber, Schömig), die auf deren Tagungsreferaten und -erfahrungen aufbauen. So entstand der Wunsch, ein Handbuch zur Wiederholung und Vertiefung für diejenigen zusammenzustellen, die eine Güterichterausbildung oder -fortbildung durchlaufen haben. Den nächsten Baustein für das Projekt lieferte die Zeitschrift Betrifft JUSTIZ mit ihrer Rubrik „Güterichter und Verhandlungskultur“. Einige Kapitel dieses Praxishandbuches sind – Betrifft JUSTIZ sei gedankt – (teils aktualisierte) Nachdrucke aus dieser Reihe. Die ersten drei Kapitel sind originär für dieses Werk geschrieben worden, bauen aber auf Überlegungen aus Schreiber „Konsensuale Streitbehandlung im sozialgerichtlichen Verfahren“ (2013) auf.
Mit seinen 17 kurzen Kapiteln ist das Praxishandbuch eher dicht geschrieben. Es soll den „großen“ Mediationshandbüchern von Haft/Schlieffen, Trenczek und Fritz/Pielsticker keine Konkurrenz machen. Es wendet sich an die Güterichterinnen und Güterichter, die einen ersten Eindruck von den notwendigen Fähigkeiten gewonnen haben und jetzt ihren Einstieg in das Güterichterdasein reflektieren wollen. Dort, wo das Werk nur beim Notwendigen stehen bleibt, bietet es stets Vertiefungshinweise. Darüber hinaus ist es aber gleichermaßen an alle Richterinnen und Richter, Rechtsanwältinnen und Rechtsanwälte, Behördenvertreter u.a. adressiert, die die Mediation und das Güterichterverfahren nutzen wollen, aber bislang noch keinen Blick „hinter die Kulissen“ werfen konnten. Für Gerichtsleitungen und Präsidien ist es hilfreich, wenn sie das Güterichterverfahren an ihrem Gericht noch besser implementieren wollen. Über die etablierte Mediationsliteratur und die prozessrechtlichen Zeitschriftenbeiträge zu § 278 Abs. 5 ZPO und seinen Parallelvorschriften geht das Praxishandbuch hinaus, weil es prozessrechtliche Erkenntnisse mit dem Stand einer interdisziplinären Mediations- und Streitbehandlungslehre integrierend verbindet.
Das Buch ist so aufgebaut, dass Sie es entweder aus juristischer Perspektive vom Allgemeinen zum Speziellen (von vorne bis hinten) lesen oder Sie Ihr Informationsbedürfnis über die Kapitelüberschrift zielgerichtet ansteuern. Wegen der komprimierten Darstellung sollten dann die mit „→“ gekennzeichnete Kapitel mitgelesen werden.
Dr. Frank SchreiberDarmstadt im April 2022
Verzeichnis der Autorinnen und Autoren
§ 1 Das Verfahrensrecht des Güterichterverfahrens – ein kurzer Überblick
I. Einleitung oder: Was zuvor geschah…
II. Die Definition des Güterichters in § 278 Abs. 5 ZPO – „best of both worlds“?
III. Die Bestimmung des Güterichters im Geschäftsverteilungsplan
IV. Verfahren
1. Die Verweisung der Parteien vor den Güterichter
2. Das Methodenermessen des Güterichters
3. Das Verfahrensrecht des Güteversuchs
4. Insbesondere: Was dürfen Güterichterinnen und Güterichter?
5. Kosten
V. Literaturhinweise
§ 2 Richterliches Konfliktmanagement in Theorie und Praxis
I. Vorbemerkung: Das Prozessrecht auf dem langsamen Weg ins 21. Jahrhundert und das „Gatekeeper“-Problem des § 278 Abs. 5 ZPO
II. Theorie 1: Die Prozessmaxime angemessener Streitbehandlung – Inhalt und Rechtsgrundlagen
1. Vorrang gütlicher Einigung oder Grundsatz angemessener Streitbeilegung?
2. Normative Grundlagen der Prozessmaxime
III. Theorie 2: „Gute fachliche Praxis“, „gespeichert“ im Verfahrensrecht
1. Rechtswissenschaftlicher Hintergrund
2. Der soziale Konflikt als Gegenstand des Konfliktmanagements
IV. Zwischenergebnis als Schaubild
V. Praxis: Konkrete Anregungen für Veränderungen in der alltäglichen Arbeitsgestaltung
1. Kommunikation zwischen Streitrichterin und Güterichter
2. Verweisungskriterien und Anreize
3. Bedingungen des Gelingens und „Nudging“
VI. Zum Dranbleiben und zur Vertiefung
§ 3 Mediation - Das Leitverfahren des Güterichterverfahrens
I. Was ist Mediation?
1. Die Prinzipien der Mediation
2. Mediation als strukturiertes Verfahren
3. Die Methoden der Mediation
II. Insbesondere: Das Phasenmodell der Mediation
1. Vorbereitungs- oder Eröffnungsphase
2. Informations- und Themensammlung
3. Interessenklärung und Konflikterhellung
4. Kreative Lösungssuche
5. Bewertung der Lösungen, Erarbeitung und Abschluss der Vereinbarung
III. Warum ist die Mediation das „Leitverfahren“ des Güterichterverfahrens?
1. Weil Mediation „funktioniert“!
2. Der Vergleich mit anderen Verfahren und Grenzen – gerade im Güterichterverfahren
3. Caveat
VI. Zum Dranbleiben und zur Vertiefung
§ 4 Die Rolle des Rechts in der güterichterlichen Mediation – zwei Perspektiven
I. Die erste Perspektive: Vielfältige Rollen, aber Güterichter:innen sprechen kein Recht!
1. Der Mediationsfall und das Recht
2. Der Güterichter und das Recht
3. Fazit
II. Die zweite Perspektive: Güterichter sollten die Mediatorenrolle nicht verlassen, nur am Ende sind sie auch Notare
III. Zur Vertiefung
§ 5 Rechtsanwältin und Rechtsanwalt im Güterichterverfahren
I. Worum geht es?
II. Warum ist es insbesondere im Güterichterverfahren wichtig, dass die Rechtsanwälte neben ihren Mandanten frühzeitig in das Verfahren integriert werden?
1. Vorfrage: Besteht eigentlich Anwaltszwang im Güterichterverfahren vor dem LG und OLG?
2. Wie kann das gelingen?
III. Wie fördert der Begleitanwalt das Güterichterverfahren?
IV. Fazit
§ 6 Mediation und Sprache
I. Die Medianten ansprechen
II. Die Sprache der Medianten sprechen
III. Die Sprache der Mediation sprechen
IV. Zwei zentrale Kommunikationstechniken
1. Aktives Zuhören
2. Doppeln
V. Zur Vertiefung
§ 7 Phase „Null“ – Die qualifizierte Vorbereitung eines Güterichtertermins
I. Schöpfen aus der Akte
II. Konkrete Organisation
3. Methoden und Techniken
4. Technische Fragen
5. Kurz vor dem Termin
§ 8 Visualisierung in der Mediation
Insbesondere: Die Flip-Chart als hilfreiche Unterstützerin des Gesprächs
I. Der Weg zur und auf der Flip ist das Ziel
1. Weshalb Visualisierung?
2. Was ist wichtig für eine gute Visualisierung?
3. Die Arbeit an der Flipchart
4. Techniken beim Schreiben
5.Farben
6. Karteikarten
7. Mind-Map
8. Timing
9. Präsentation
10. Der Mediatorenkoffer
11. Konkret: Visualisierung in den Phasen der Mediation
II. Ausblick
III. Zum Dranbleiben und zur Vertiefung
§ 9 Systemische Interventionen in der Mediation: Systemisches Fragen und Reframing
I. Zum Einstieg in das Thema: Eine kleine - fast authentische - Geschichte:
II. Die systemische Haltung in der Mediation – „Leitsätze“
III. Systemisches Fragen
1. Perspektivenwechsel/zirkuläres Fragen
2. Klassifikationsfragen
3. Übereinstimmungs-/Subsystemvergleiche
4. Fragen zur Wirklichkeits-/Möglichkeitskonstruktion
a) Fragen zur Wirklichkeitskonstruktion
b) „Wunderfragen“
c) Fragen zur Möglichkeitskonstruktion
IV. Reframing
1. Definition und Varianten
2. Warum Reframing im Güteversuch und in der Mediation?
V. Achtung!
VI. Zum Dranbleiben und zur Vertiefung
§ 10 Blockaden in der güterichterlichen Mediation – Wege zurück an den Verhandlungstisch
I. Problemstellung
II. Typische Blockadesituationen und zielführende Reaktionen
III. Weitere mögliche Reaktionen
IV. Zur Vertiefung
§ 11 Machtungleichgewichte als Problem in der güterichterlichen Mediation
I. Macht und Mediation: Auch eine Frage der Menschenbilder und Gesellschaftsbilder?
II. Machtgefälle wahrnehmen
III. Machtungleichgewicht als Rechtsproblem des Güterichters und als Methodenfrage der Mediation: Bestehende Lösungsmöglichkeiten
IV. Zur Vertiefung
§ 12 Einzelgespräche in der güterichterlichen Mediation – „No-Go“ oder Königsweg?
I. Ziele und Einsatzmöglichkeiten für Einzelgespräche
1. Gründe für Einzelgespräche aus Sicht der Medianden:
2. Gründe für Einzelgespräche aus Sicht der Mediatorin/ des Mediators:
3. In welcher Phase? Mit welchem Ziel?
II. Risiken
III. Methodische Hinweise und praktische Umsetzung Zum Dranbleiben und zur Vertiefung:
§ 13 Von kreativen Ideen zu interessengerechten Lösungen: Das Harvard-Konzept
I. Das Harvard-Konzept
1. Menschen und Probleme getrennt voneinander behandeln
2. Auf Interessen konzentrieren, nicht auf Positionen
3. Entwicklung von Entscheidungsmöglichkeiten zum beiderseitigen Vorteil
4. Bewertung der Optionen nach neutralen Kriterien
II. Die Lösungssuche nach den Grundprinzipien des Harvard-Konzepts
1. Kreative Ideensuche („was wäre alles denkbar?“)
2. Diskussion/Auswahl/Bewertung der gefundenen Lösungsvorschläge („wie können wir es angehen?“)
III. Zur Vertiefung
§ 14 Eine Art „Notfallkoffer“: Liste der Mediationsfragen
Phase I - Einführung
Phase II - Themen
Phase III - Interessen
Phase IV - Optionen
Phase V – Verhandeln und Vereinbaren
§ 15 Final-Offer Arbitration als letztes Angebot in der Güteverhandlung
I. Was ist FOA?
II. FOA im Güterichterverfahren
III. Beispiel einer FOA-Vereinbarung
IV. Zusammenfassung Zur Vertiefung
§ 16 Prozessrisikoanalyse
I. Einführung
1. Sinn und Zweck der Prozessrisikoanalyse
2. Grundlagen der Stochastik
II. Grundlegende Methodik
1. Erstellen eines Entscheidungsbaums
2. Bewertung der Einzel-Wahrscheinlichkeiten
3. Berechnung des Gesamtrisikos und ggf. des Gesamterwartungswertes
4. Tipps zur Erstellung des Entscheidungsbaums
5. Tipps zur Bewertung der Einzelwahrscheinlichkeiten
6. Tipps Berechnung des Gesamtrisikos / -erwartungswertes
III. Vertiefung
1. Streuungsanalyse
2. Sensitivitätsanalyse
3. Übertragung auf Bestandsstreitigkeiten
4. Anwendung in Vergleichsverhandlungen
5. Anwendung im Güterichterverfahren
IV. Weiterführende Literatur zur Vertiefung
§ 17 Zum Schluss: Möglichkeiten zur Vernetzung und zur Weiterbildung als Güterichter:in
Marcus Bohnen
ist Diplom-Jurist und freiberuflicher Mediator in Krefeld. Zudem ist er als Coach, Trainer und Dozent für Mediation, Konflikt- und Verhandlungsmanagement bundesweit tätig.
Peter Brändle
ist Richter am Hessischen Landessozialgericht, dort Güterichter und Lehrbeauftragter an der Hochschule Fulda für Konfliktmanagement.
Prof. Dr. Christian Hoffmann
lehrt Medien- und Wirtschaftspsychologie an der Hochschule für Medien; Kommunikation und Wirtschaft am Standort Berlin. Er arbeitet seit 1996 in der Beratung und Unterstützung von Organisationen, Personen und Kommunikationsprozessen im Umweltbereich und ist Mitherausgeber der Zeitschrift „Umweltpsychologie“
Anne-Kathrin Deppermann- Wöbbeking
ist Vorsitzende Richterin am Hessischen Landesozialgericht und hat als Präsidialrichterin den Aufbau des Mediationsangebots der Hessischen Sozialgerichtsbarkeit als Projekt geleitet.
Volker Kaiser- Klan
ist Rechtsanwalt und Mediator in Frankfurt am Main.
Bettina Köhncke
ist Rechtsanwältin, Mediatorin und Fachanwältin für Bank-und Kapitalmarktrecht bei Trenz Rechtsanwälte in Hilden. Sie begleitet Mandanten auch in Mediationsverfahren.
Tim Schömig
ist Richter am Arbeitsgericht Gießen und Mediator.
Dr. Frank Schreiber
ist Richter am Hessischen Landessozialgericht, seit 2008 Gerichtsmediator bzw. Güterichter und Redakteur der Zeitschrift Betrifft JUSTIZ. Gegenwärtig (Sommersemester 2022) ist er Lehrbeauftragter der Goethe-Universität Frankfurt am Main und der Hochschule Fulda.
Frank Schreiber
I. Einleitung oder: Was zuvor geschah…
Am 26.7.2012 ist das Gesetz zur Förderung der Mediation und anderer Verfahren der außergerichtlichen Konfliktbeilegung in Kraft getreten (BGBl. I, S. 1577), ein Artikelgesetz, das das Mediationsgesetz sowie Novellierungen der Prozessordnungen enthält. Es zielt in erster Linie darauf, die Richtlinie 2008/52/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 21.5.2008 über bestimmte Aspekte der Mediation in Zivil- und Handelssachen (ABl. L 136/3 vom 24.5.2008) umzusetzen. Im Gesetzgebungsverfahren bestand aber Einigkeit, über den Regelungsgegenstand der Richtlinie hinauszugehen und das Berufsrecht des Mediators sowie das Verhältnis der konsensualen Streitbehandlung zum gerichtlichen Verfahren zu regeln. Umstritten war indes die Regelung der gerichtsinternen Mediation, die sich etwa seit der Jahrtausendwende in vielen Bundesländern und Gerichtsbarkeiten flächendeckend oder zumindest mit Pilotprojekten etabliert hatte. Während der Regierungsentwurf die gerichtsinterne Mediation neben außergerichtlicher und gerichtsnaher Mediation unter Landesrechtsverordnungsvorbehalt vorsah, setzte sich der Rechtsausschuss des Bundestages mit seinem Modell durch, die gerichtsinterne Mediation bundesweit in ein gegenüber der bisherigen Fassung des § 278 Abs. 5 ZPO erheblich „erweitertes Güterichtermodell“ zu überführen, die Bezeichnung „gerichtsinterne Mediation“ zu streichen und den „Mediator“ im Wesentlichen berufsrechtlich für die außergerichtliche und gerichtsnahe Mediation zu regeln. Der Vermittlungsausschuss, der vom Bundesrat zum Erhalt der gerichtsinternen Mediation angerufen wurde, erzielte einen Kompromiss dahingehend, dass mit § 278 Abs. 5 Satz 2 ZPO u.a. die methodische Befugnis des Güterichters klargestellt wurde, auch eine „vollwertige“ Mediation durchzuführen (wie hier: Ahrens, NJW 2012, 2465 (2469); Francken, NZA 2012, 836 (840); vgl. auch BR-Drs. 10/12 (Beschluss) vom 10.2.2012; BR-Drs. 377/12).
Das Güterichtermodell ist 2012 in allen Verfahrensordnungen mit Ausnahme der StPO eingeführt worden. Die Kernregelung ist § 278 Abs. 5 ZPO, auf den die Prozessordnungen der öffentlich-rechtlichen Fachgerichtsbarkeiten verweisen (§ 173 VwGO, § 202 SGG, § 155 FGO), anders § 54 Abs. 6 ArbGG und § 36 Abs. 5 FamFG, die entsprechende eigenständige Regelungen enthalten. Eingeführt wurden auch flankierende Vorschriften wie z.B. § 253 Abs. 3 Nr. 1 ZPO, wonach die Klageschrift die Angabe enthalten soll, ob der Klageerhebung der Versuch einer Mediation oder eines anderen Verfahrens der außergerichtlichen Konfliktbeilegung vorausgegangen ist, sowie eine Äußerung dazu, ob einem solchen Verfahren Gründe entgegenstehen.
II. Die Definition des Güterichters in § 278 Abs. 5 ZPO – „best of both worlds“?
Der Güterichter (im Gesetz nicht geschlechtergerecht formuliert) ist nach § 278 Abs. 5 Satz 1 ZPO ein vom Präsidium bestimmter (dazu unten III.), nicht entscheidungsbefugter Richter (dazu unten IV.3. und 4.), an den der Rechtsstreit vom zur Entscheidung berufenen Richter oder Spruchkörper zur Durchführung der Güteverhandlung oder eines Güteversuchs verwiesen (dazu unten IV.1.) werden kann. Jener bedient sich nach Satz 2 bestimmter Methoden der Konfliktbeilegung einschließlich der Mediation.
Im gegenüber § 278 Abs. 5 ZPO a.F. erweiterten Güterichtermodell werden damit zwei unterschiedliche justizpolitische Konzepte vereint:
Erstens wird mit Satz 1 der bereits seit Jahrhunderten im deutschen Prozessrecht etablierte Gütegedanke effektuiert, wonach das Gericht in besonderem Maße der gütlichen Beilegung von Streitigkeiten und damit der Wahrung des Prozesszweckes ‚Rechtsfrieden’ verpflichtet ist (ausf. Peters, Der Gütegedanke im deutschen Zivilprozessrecht, 2004). Die Verweisung an einen nicht entscheidungsbefugten Güterichter nach Ermessen vermeidet die Verzögerungswirkung außergerichtlicher vorgeschalteter Güteverfahren einerseits und Rollenkonflikte des entscheidungsbefugten Richters beim Einigungsversuch im Erörterungstermin andererseits.
Zweitens nimmt das Güterichtermodell mit § 278 Abs. 5 Satz 2 ZPO die Diskussion auf, wie Methoden der Alternativen/ Angemessenen Konfliktlösung (Alternative/Appropriate Dispute Resolution) einschließlich der Mediation in die Justiz im Sinne einer „angebotsorientierten Rechtsschutzordnung“ integriert werden können (Hoffmann-Riem, ZRP 1997, 190; Brändle/Schreiber, Betrifft JUSTIZ 95 (2008), 351; Unberath, JZ 2010, 975; Ortloff, NVwZ 2012, 1057). Das erweiterte Güterichtermodell verwirklicht so eine Variante des Multi-Door-Courthouse-Konzepts, wonach zwar in den Gerichten nicht verschiedene „Türen“ zu verschiedenen Konfliktlösungsangeboten geöffnet werden können, aber der streitentscheidende Richter nunmehr aufgrund § 278 Abs. 5 ZPO zu einer Wahl zwischen verschiedenen Streitbehandlungsoptionen angehalten ist. Im Unterschied zur klassischen Güteverhandlung steht der Methodenaspekt deutlich im Vordergrund. Im Gesetzgebungsverfahren wurde dem Erhalt der Methodenkompetenz aus den Modellversuchen der gerichtsinternen Mediation letztlich ein hohes Gewicht beigemessen (vgl. BT-Drs. 17/8058; BR-Drs. 10/12 (Beschluss) vom 10.2.2012; BR-Drs. 377/12).
Angesichts dieses Anspruches läuft das Güterichterangebot Gefahr, „nichts Halbes und nichts Ganzes“ zu sein. Für diese These spricht prima facie, dass in den ersten Jahren nach 2012 ein qualitativ hochwertiges Güterichterverfahren bei gleichzeitig hohen Abgabe- und Erledigungszahlen nur in den Bundesländern und den Gerichtsbarkeiten zu verzeichnen ist, wo zuvor eine Tradition der gerichtsinternen Mediation bestand und ein positiver Ruf der vorherigen Angebote bei den Beteiligten (Rechtsanwaltschaft und Behörden) auf das Güterichterverfahren „abgefärbt“ hat. Ausnahmen bestätigen die Regel: Beispielsweise kann das Hessische OLG insbesondere in Familiensachen trotz eines generellen Entwicklungsrückstandes der ordentlichen Gerichtsbarkeit in Hessen aufgrund des beherzten Engagements der dortigen Kolleginnen und Kollegen beeindruckende Abgabe- und Erledigungszahlen aufweisen (zur jüngeren Begleitforschung zusammenfassend Schreiber, Betrifft JUSTIZ 133 (2018), 7). Dort, wo gerichtsinterne Mediation nicht etabliert war, funktioniert quantitativ auch das Güterichterverfahren nicht immer.
Ein Blick nach vorne kann nur bedeuten, von den Pilotprojekten gerichtsinterner Mediation und der Erfolgsgeschichte der Neuetablierung des Güterichterverfahrens zu lernen. Ausgangspunkt hierfür ist, den Auftrag von § 278 Abs. 5 ZPO in seiner Entstehungsgeschichte ernst zu nehmen und ein Angebot vor allem methodenkompetenter angemessener Konfliktlösung anzubieten.
III. Die Bestimmung des Güterichters im Geschäftsverteilungsplan
Aufgrund der Integration in den Rechtszug ist die Tätigkeit des Güterichters richterliche Tätigkeit bzw. richterliche Aufgabe i.S.d. Art. 97 GG, § 4 DRiG, § 21e GVG (Greger, MDR 2017, 1107 (1108); Windau jM 2019, 52 (53 f.) beide m.w.N. auch zur früher vertretenen a.A.). Sie unterliegt aber nicht den strengen Anforderungen aus Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG für die Geschäftsverteilung, da durch die Verweisung nicht die Gefahr droht, dem streitentscheidenden Richter entzogen zu werden. Denn der Güterichter ist per definitionem kein entscheidungsbefugter Richter. Aus dem Grundsatz der Vollständigkeit des Geschäftsverteilungsplanes, der § 21e GVG zugrunde liegt, folgt jedoch die einfachgesetzliche Pflicht des Präsidiums, die Aufgabe der Güterichtertätigkeit zu verteilen (Schmitt, SGb 2015, 662 (663); Fritz, in: Fritz/Pielsticker, § 278, Rn. 83 m.w.N.). Der Geschäftsverteilungsplan muss erschöpfend sein und lückenlos alle richterlichen Aufgaben erfassen; es können nicht einzelne Geschäfte von der Verteilung ausgenommen werden, weil das Präsidium eine richterliche Aufgabe als nicht notwendig oder rechtspolitisch nicht wünschenswert erachtet (Zimmermann, in: MüKo-ZPO, § 21e GVG, Rn. 21 m.w.N.). Der Rechtsausschuss des Bundestages betonte zudem, „dass die Parteien künftig in allen einer gütlichen Konfliktbeilegung zugänglichen Streitigkeiten ohne nennenswerten organisatorisch-praktischen Aufwand an einen Güterichter verwiesen werden können“ (BT-Drs. 17/8058, S. 17 linke Sp.). Auch nach dem gesetzgeberischen Willen gibt es kein Ermessen über das „Ob“. Zur Frage des „Wer“ ist § 275 Abs. 5 Satz 2 ZPO eine ermessenslenkende Bedeutung im Sinne eines Optimierungsgebotes beizumessen, wonach das Präsidium der Ausbildung und den Kenntnissen des Richters in den Methoden der Konfliktlösung im Rahmen der Geschäftsverteilung ein herausgehobenes Gewicht beizumessen hat (wie hier: Fritz, in: Fritz/Pielsticker, Mediationsgesetz, § 278, Rn. 83 f. mit Formulierungsvorschlag für den Geschäftsverteilungsplan; Greger/ Weber, MDR-Arbeitshilfe zu Heft 18/2012, S003 (S008); Ortloff, NVwZ 2012, 1057 (1059)). Derartige Vorgaben für das Präsidium sind keine Besonderheit, vgl. § 37 JGG, § 22 Abs. 5 GVG und § 22 Abs. 6 GVG. Soweit es als problematisch angesehen werden kann, im Geschäftsverteilungsplan des Gerichts die Geschäfte einzelner Richter und nicht der Spruchkörper zu regeln (z.B. an Landgerichten, Verwaltungsgerichten und den meisten Obergerichten), ist zu empfehlen, Güterichterkammern oder -senate zu bestimmen und die Aufgabenzuweisung an den Güterichter im Senatsgeschäftsverteilungsplan zu regeln. Im Geschäftsverteilungsplan kann in den Grenzen des Rechtshilfeersuchens (vgl. §§ 156ff. GVG) auch die Zuständigkeit eines anderen Gerichts im Einvernehmen mit diesem geregelt werden (z.B. Konzentration der Güterichtertätigkeit an Verbundgerichten, str., ausf. Löer, MDR 2018, 839 ablehnend Windau jM 2019, 52), da mit der Ersetzung des „ersuchten“ Richters durch den „bestimmten“ Richter im Gesetzgebungsverfahren lediglich eine Klarstellung wegen der umstrittenen Zulässigkeit von Ersuchen am eigenen Gericht beabsichtigt war (Francken, NZA 2012, 836 (838); Greger/ Weber, MDR-Arbeitshilfe zu Heft 18/2012, S003 (S006); Ortloff, NVwZ 2012, 1057 (1060); a.A. Ahrens, NJW 2012, 2465 (2469)).
IV. Verfahren
1. Die Verweisung der Parteien vor den Güterichter
Die Verweisung an den Güterichter steht im Ermessen des Gerichts, d.h. des zur Entscheidung befugten zuständigen Richters oder Spruchkörpers. Da das Gesetz von „verweisen“ spricht, dürfte ein förmlicher Beschluss und nicht eine formlose Abgabe zu fordern sein (so Greger/ Weber, MDR-Arbeitshilfe zu Heft 18/2012, S003 (S009); Dürschke, NZS 2013, 41 (49)) Allerdings wird nach dem Wortlaut und wegen des integralen Konzepts nicht der Rechtsstreit, sondern die Beteiligten „vor“ den Güterichter „verwiesen“. Daher handelt es sich letztlich um eine verfahrensleitende Verfügung, die in den meisten Prozessordnungen bereits erstinstanzlich unanfechtbar ist (vgl. Bayerisches LSG, Beschluss vom 27.9.2013, L 2 P 45/13 B, juris, Rn. 6). Eine andere Ansicht wird allein für die Verwaltungsgerichtsbarkeit vertreten (OVG Lüneburg, NVwZ-RR 2015, 517). Bei Spruchkörpern mit mehreren Berufsrichtern sind die Besonderheiten der jeweiligen Verfahrensordnungen zu beachten (Berichterstatter oder Senat).
Eine einvernehmliche Konfliktlösung ist allerdings nur zu erwarten, wenn die Beteiligten hierfür offen und deshalb grundsätzlich bereit sind, sich auf ein solches Verfahren einzulassen. Daher kommt die Verweisung grundsätzlich nur mit Einverständnis der Beteiligten in Betracht (BT-Drs. 17/8058, S. 21) § 278 Abs. 5 ZPO fordert keine positive Zustimmung; bei ausdrücklichem Widerspruch eines Beteiligten sollte eine Verweisung aber unterbleiben (Hessisches LSG, Beschluss vom 30.5.2014, L 6 AS 132/14, juris Rn. 2; vgl. auch Bayerisches LSG, Beschluss vom 5.9.2016, L 2 P 30/18 B). Dass eine Verweisung gegen den erklärten Willen unterbleibt, sollte auch im Hinblick auf die Entschädigungspflicht bei überlanger Verfahrensdauer eine Selbstverständlichkeit sein. Einigkeit besteht insoweit, dass dem zur Streitentscheidung berufenen Spruchkörper/Richter ein Ermessen zukommt. Wie dieses Ermessen sinnvollerweise ausgeübt wird, ist u.a. Gegenstand der nächsten beiden Beiträge.
2. Das Methodenermessen des Güterichters
Mit dem Verweisungsermessen des streitentscheidenden Richters korrespondiert das Methodenermessen des Güterichters. Der Gesetzeswortlaut verweist auf die „Methoden der Konfliktbeilegung“ und setzt damit einen Methodenkanon voraus, auf den der Güterichter zurückgreifen kann. Das in § 278 Abs. 5 Satz 2 ZPO normierte Ermessen ist wegen Wortlaut und Entstehungsgeschichte grundsätzlich als reines (Methoden-) Auswahlermessen zu verstehen. Anzuknüpfen ist insoweit an die Diskussion um Methoden der „Alternativen/Angemessenen Konfliktlösung“. Der Güterichter entscheidet auf der Grundlage seiner vom Gesetz vorausgesetzten Methodenkenntnisse und einer nach Verweisung vorgenommenen Konfliktanalyse (→§ 2 →§ 3), welche Form der Konfliktlösung im konkreten Einzelfall zielführend ist und legt diese dann dem Güteversuch zugrunde (Greger/Weber, MDR-Arbeitshilfe zu Heft 18/2012, S003 (S010f., S014f.). Im Falle willkürlicher oder missbräuchlicher Verweisung kann der Güterichter das Verfahren ohne Durchführung eines Güteversuches zurückverweisen.
3. Das Verfahrensrecht des Güteversuchs
Im Zivilprozess ist der Termin vor dem Güterichter eine Güteverhandlung. Nach hier vertretener Auffassung sind die besonderen Regelungen in den Verfahrensordnungen der Fachgerichtsbarkeiten (z.B. über den Erörterungstermin) lex specialis zu § 278 Abs. 2 ZPO. Daher ist z.B. das Verfahren vor dem Güterichter in der Finanz-, Sozial-und Verwaltungsgerichtsbarkeit keine Güteverhandlung, sondern ein Erörterungstermin zur Durchführung eines „Güteversuchs“ i.S.d. § 278 Abs. 5 Satz 1 ZPO. Der Termin fällt nicht unter das Gebot der Öffentlichkeit nach § 169 GVG. Der Güterichter erhält mit der Verweisung die Akte, da der Güteversuch – anders als u.U. früher die gerichtsinterne Mediation – integraler Bestandteil des Rechtszuges ist. Für die Ladung gelten die allgemeinen Vorschriften. Dringend zu empfehlen sind Hinweise bzw. Vorgespräche zur Methodenwahl und zum Vorgehen im Güteversuch (→§ 7).
Ein Protokoll wird im Güteversuch nach § 159 Abs. 2 ZPO nur auf übereinstimmenden Antrag der Beteiligten geführt. Der Güterichter kann insoweit auch einen „echten“ gerichtlichen Vergleich protokollieren (Zöller/Greger, § 278 Rn. 27; siehe auch unten unter 4.). Wird vom förmlichen Protokoll kein Gebrauch gemacht, sind ggf. fachrechtliche Schriftformerfordernisse zu beachten, die nur beim förmlichen Protokoll ersetzt werden (vgl. u.a. § 127a BGB, § 101 Abs 1 SGG, § 106 VwGO). Die Beteiligten müssen dann ggf. eine Vertragsurkunde anfertigen und unterschreiben.
Im Übrigen gelten aufgrund der Justizförmigkeit