PREPPER - Band 3 - Tom Abrahams - E-Book

PREPPER - Band 3 E-Book

Tom Abrahams

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Beschreibung

Kein Strom. Keine Sicherheit. Nur die Vorbereiteten werden überleben. In den Tagen nach einem katastrophalen Energieausfall droht eine erneute Gefahr. Ein Sturm zieht auf, der eine ohnehin schon geschwächte Zivilisation gefährdet. Jack Warrant ist fest entschlossen, sein Zuhause unter allen Umständen zu beschützen, aber nach nur zehn Tagen müssen er und seine Familie sich der harten Realität stellen. Sollen sie bleiben oder sollen sie gehen? Doch der heraufziehende Sturm stellt auch jene vor Herausforderungen, die die Macht innehaben … und jene, die nach ihr trachten. Wer wird am Ende gewinnen und wer verlieren? "Prepper" ist die neueste apokalyptische Abenteuerreihe von Traveler-Autor Tom Abrahams.

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Seitenzahl: 428

Veröffentlichungsjahr: 2025

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Copyright © 2025 Tom Abrahams

Dieses Buch ist frei erfunden. Sämtliche Namen, Charaktere, Firmen, Einrichtungen, Schauplätze, Ereignisse und Begebenheiten sind entweder das Produkt der Fantasie des Autors oder wurden fiktiv verwendet.

Jede Ähnlichkeit mit tatsächlichen Personen, lebend oder tot, Ereignissen oder Schauplätzen ist rein zufällig.

www.tomabrahamsbooks.com

Deutsche Erstausgabe

Originaltitel: PREPPER Book 3

Copyright Gesamtausgabe © 2025 LUZIFER Verlag Cyprus Ltd.

Kontaktinformation:

[email protected]

LUZIFER Verlag Cyprus Ltd.

House U10, Toscana Hills, Poumboulinas Street, 8873 Argaka, Polis, Cyprus

Alle Rechte vorbehalten. Das Werk darf – auch teilweise – nur mit Genehmigung des Verlages wiedergegeben werden.

Umschlag: Michael Schubert | Luzifer-Verlag

Übersetzung: Peter Mehler

Dieses Buch wurde nach Dudenempfehlung (Stand 2025) lektoriert.

ISBN: 978-3-95835-932-1

eISBN: 978-3-95835-933-8

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek:

Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.

Für Courtney, Luke und Sam

Inhalt

VORGESCHICHTE: PREPPER, BAND 2

KAPITEL 1 IRGENDWO IM ZENTRALEN WEST-TEXAS 19. FEBRUAR 2021 FÜNF JAHRE VOR DEM NETZAUSFALL

KAPITEL 2 THE WOODLANDS, TEXAS FÜNF JAHRE SPÄTER NETZAUSFALL, TAG NEUN

KAPITEL 3 SAFEHOUSE, ORT UNBEKANNT NETZAUSFALL, TAG NEUN

KAPITEL 4 THE WOODLANDS, TEXAS NETZAUSFALL, TAG NEUN

KAPITEL 5 EINRICHTUNG VON OBSIDIAN CHEYENNE, WYOMING NETZAUSFALL, TAG NEUN

KAPITEL 6 THE WOODLANDS, TEXAS NETZAUSFALL, TAG NEUN

KAPITEL 7 SAFEHOUSE, ORT UNBEKANNT NETZAUSFALL, TAG NEUN

KAPITEL 8 THE WOODLANDS, TEXAS NETZAUSFALL, TAG NEUN

KAPITEL 9 SAFEHOUSE, ORT UNBEKANNT NETZAUSFALL, TAG NEUN

KAPITEL 10 THE WOODLANDS, TEXAS NETZAUSFALL, TAG NEUN

KAPITEL 11 EINRICHTUNG VON OBSIDIAN CHEYENNE, WYOMING NETZAUSFALL, TAG NEUN

KAPITEL 12 EINRICHTUNG VON OBSIDIAN CHEYENNE, WYOMING NETZAUSFALL, TAG NEUN

KAPITEL 13 THE WOODLANDS, TEXAS NETZAUSFALL, TAG NEUN

KAPITEL 14 SAFEHOUSE, ORT UNBEKANNT NETZAUSFALL, TAG NEUN

KAPITEL 15 THE WOODLANDS, TEXAS NETZAUSFALL, TAG ZEHN

KAPITEL 16 SAFEHOUSE, ORT UNBEKANNT NETZAUSFALL, TAG ZEHN

KAPITEL 17 THE WOODLANDS, TEXAS NETZAUSFALL, TAG ZEHN

KAPITEL 18 EINRICHTUNG VON OBSIDIAN CHEYENNE, WYOMING NETZAUSFALL, TAG ZEHN

KAPITEL 19 THE WOODLANDS, TEXAS NETZAUSFALL, TAG ZEHN

KAPITEL 20 US HIGHWAY 87, GILLESPIE COUNTY, TEXAS NETZAUSFALL, TAG ZEHN

KAPITEL 21 THE WOODLANDS, TEXAS NETZAUSFALL, TAG ZEHN

KAPITEL 22 SAFEHOUSE, ORT UNBEKANNT NETZAUSFALL, TAG ZEHN

KAPITEL 23 US HIGHWAY 87, GILLESPIE COUNTY, TEXAS NETZAUSFALL, TAG ZEHN

KAPITEL 24 THE WOODLANDS, TEXAS NETZAUSFALL, TAG ZEHN

KAPITEL 25 EINRICHTUNG VON OBSIDIAN CHEYENNE, WYOMING NETZAUSFALL, TAG ZEHN

KAPITEL 26 THE WOODLANDS, TEXAS NETZAUSFALL, TAG ZEHN

KAPITEL 27 IRGENDWO IM ZENTRALEN WEST-TEXAS NETZAUSFALL, TAG ZEHN

KAPITEL 28 THE WOODLANDS, TEXAS NETZAUSFALL, TAG ZEHN

KAPITEL 29 IRGENDWO IM ZENTRALEN WEST-TEXAS NETZAUSFALL, TAG ZEHN

DANKSAGUNGEN

»Manche Dinge lernt man am besten während der Flaute, manche während des Sturms.«

WILLA CATHER

»Im Sturm lernt man, zu steuern.«

LUCIUS ANNAEUS SENECA

VORGESCHICHTE: PREPPER, BAND 2

Fünf Tage, nachdem ein koordinierter Angriff das Stromnetz von Texas zerstört und sämtliche elektronischen Geräte in den größten Städten des Staates lahmgelegt hat, machen sich Jack Warrant und seine Familie zunehmend Sorgen über die Gefahr, die ihre unvorbereiteten Nachbarn in den Vororten von Houston darstellen.

Zwar entscheiden sie sich, die Vorräte, die sie in Erwartung eines Endzeit-Events gewissenhaft angeschafft und eingelagert haben, zu teilen, sind sich aber auch darüber im Klaren, dass sie mit ihrer Großzügigkeit die Büchse der Pandora geöffnet haben. Eifersucht und Verurteilung tragen zur wachsenden Anspannung zwischen den Nachbarn bei. Ihre Überzeugung, ihr Heim verlassen und zu einem anderen Grundstück im ländlichen Hill Country von Texas gehen zu müssen, wächst stetig.

Während sie die sich weiter verschlechternde Lage meistern, wird Warrants Freund und Angestellter Martin »Martillo« de la Frontera dazu rekrutiert, sich einer Gruppe Armee-Veteranen anzuschließen. Diese ist damit beauftragt, eine vermisste Frau zu retten, deren Entführung mit dem Terrorakt, der Texas ins Mittelalter zurückversetzt hat, in Verbindung steht.

Zu Martillos Armee-Kumpanen gehören der auf Vorsorge spezialisierte Tim »G-Man« Golnecki und zwei ehemalige Soldaten, die jetzt als Trooper für das Texas Department of Public Safety arbeiten: Oscar »Grouch« Perez und Howard »Baller« Smith. Das Team rettet zusammen mit Martillos Frau, der ehemaligen Marine Opha May, die entführte Molly Fine aus den Fängen des Milliardärs und Gründers der Allround-Technologie-Firma FĒNIKS, Noel Slate. Slate entkommt der Rettungsaktion mit dem Leben und schließt sich zu seiner eigenen Sicherheit einer privat geführten Security-Firma namens Obsidian an.

Molly Fine wird mit ihren Eltern vereint, dem Gouverneur und der First Lady von Texas, die sich in einem geheimen Safehouse aufhalten, von wo aus sie die Staatsreaktion auf den Terroranschlag leiten. Gouverneur Chris Fine hat Bedenken, dass Slate an seinen Bemühungen, den Rest von Fines politischer Karriere zu zerstören oder ihn zu töten, festhält.

Und so beginnt der dritte Band …

KAPITEL 1 IRGENDWO IM ZENTRALEN WEST-TEXAS 19. FEBRUAR 2021 FÜNF JAHRE VOR DEM NETZAUSFALL

G-Man hielt die Handflächen dicht an die Flammen. Er versuchte, wieder Gefühl in seine Hände zu bringen, indem er die Finger bewegte. Die Außentemperatur betrug minus zwei Grad um halb sieben Uhr in der Früh. Seine morgendlichen Aufgaben hatten mehr Zeit in Anspruch genommen als sonst. Die Kälte in seinen Knochen hatte ihn steif werden lassen, auch weil er in der Nacht zuvor so wenig geschlafen hatte. In sechsunddreißig Minuten würde die Sonne aufgehen.

Holz knackte und knisterte in der Feuerstelle. Die Flammen leckten am Rand der Feuerschale, und dunkler Rauch stieg kräuselnd zum Rauchfang auf. Gedankenverloren starrte G-Man ins Feuer. Hitzeimpulse wärmten sein Gesicht und seinen Hals. Seine Hände tauten auf.

»Du siehst aus, als wärst du ganz woanders.«

Die sanfte Stimme erschreckte ihn und holte ihn aus seiner kurzen Versunkenheit. G-Man drehte sich um und erblickte seinen Hausgast. Sie trug sein grau meliertes University-of-Texas-Sweatshirt, ein kokettes Lächeln und sonst nichts. Das Licht funkelte in ihren Augen.

»War ich auch«, sagte er. »Hab nur nachgedacht.«

Sie schloss die Lücke zwischen ihnen und setzte sich, die nackten Füße unter den Körper gezogen, neben ihn auf den Wollteppich. Als sie sich an seine Schulter lehnte, küsste er sie auf den Kopf.

Der Hibiskusduft erinnerte ihn an ihre gemeinsame Dusche in der Nacht zuvor.

»Ich bin aufgewacht, und du warst weg«, sagte sie. »Zuerst hab ich gedacht, du hättest mich abserviert. Dann ist mir eingefallen, dass wir bei dir sind.«

Ins Feuer starrend lachte er leise. »Das tut mir leid. Ich musste die Tiere füttern. Ich hab dieses Zicklein, das eine Menge Aufmerksamkeit braucht.«

Sie schob ihren Arm unter seinen. »Ich war noch nie ein Ziegenmensch. Ihre Augen haben mich schon immer gegruselt.«

»Diese Augen sind ziemlich magisch.«

»Wie das?«

»Die breiten, rechteckigen Pupillen verschaffen ihnen ein fantastisches peripheres Sehen. Das hilft, zu verhindern, dass sie zur Beute werden.«

»Das wusste ich nicht.«

»Sie sind Lebensretter«, sagte er, »aber ich finde auch, dass sie ein wenig absonderlich aussehen.«

»Aber das Kleine ist schon süß«, gab sie zu. »Hast du ihm schon einen Namen gegeben?«

»Noch nicht. Möchtest du Kaffee?«

Sie säuselte: »Ich dachte schon, du fragst nie. Werden wir noch vom Generator versorgt?«

»Ja. Hab gerade nachgesehen. Er brummt. Wir kommen klar, bis der Strom wieder angeht.« G-Man strich ihr mit der Hand übers Bein. Sie küssten sich. Sie fuhr mit den Fingern durch die Haare an seinem Hinterkopf. »Komm schnell zurück.«

»Werde ich.«

G-Man stand auf. Das Gefühl ihrer Haut an seiner weckte Erinnerungen voll Herzklopfen an die Nacht zuvor. Sie war dem Stromausfall um Stunden zuvorgekommen und schon herzerfrischende vier Tage bei ihm. Ihnen blieb noch einer, bevor ihr Urlaub vorbei war.

Er sah über die Schulter nach ihr, stahl einen heimlichen Blick, wie sie auf der Seite vor dem Feuer lag. G-Man lächelte vor sich hin und atmete ein. Er konnte den Hibiskus riechen. Oder glaubte es zumindest.

Sie war so klug, wie sie schön war, so gerissen, wie sie witzig war. Und während G-Man nicht wusste, was sie an ihm fand, bemühte er sich nicht, nachzufragen.

Die Röte in seinen Wangen brachte ihn beinahe zum Schwitzen. Auf dem Weg zur Küche bemerkte er, dass er immer noch seine Arbeitsjacke trug. Als er den Esstisch erreichte, streifte er sie ab und hängte sie über einen der Stühle.

Er ging zur Arbeitsplatte und seiner hochpreisigen Kaffeemaschine. Zumindest für ihn war sie hochpreisig. Es gab weit kostspieligere Modelle auf dem Markt. Aber für einen Kerl, der lange mit Filterkaffee aus einer billigen Maschine zufrieden gewesen war, war seine Nespresso ein Luxus.

G-Man öffnete einen der oberen Schränke und holte zwei Tassen heraus. Eine davon stellte er unter den Spender der Nespresso, dann öffnete er die Schublade, in der er seine Pod-Sammlung aufbewahrte. Es verblüffte ihn, dass Kaffee in so vielen Variationen daherkommen konnte. Von allen technischen Spielereien seines größtenteils vom Versorgungsnetz abgekoppelten Anwesens war diese seine liebste.

Kondensation ließ das Fenster über der Spüle anlaufen. Es verschleierte die Welt draußen, so wie es auch ihr Besuch getan hatte. Wäre da nicht der Stromausfall, wären die letzten paar Tage Walhalla gewesen.

Sie mochte ihre Morgenmischung mit einem Hauch Kirsche. Während die Tasse zubereitet wurde, fand er die Milch hinten im Kühlschrank, füllte sie in einen Stahlbecher und schäumte sie auf, bevor er sie auf den Kaffee goss.

G-Man kopierte den Vorgang mit seiner eigenen Tasse und trug beide Getränke zurück ins Wohnzimmer.

Als er näherkam, setzte sie sich auf und nahm ihre Tasse begierig mit zwei Händen. »Danke.«

»Klar. Ist der gleiche wie gestern.«

»Nehm ich«, sagte sie.

Er stellte seine Tasse auf den niedrigen, quadratischen Kaffeetisch hinter ihnen, bis er wieder auf dem Boden saß. Sie blies über den Schaum hinweg, und der bewegte sich über die Tasse, häufte sich wie eine Schneewehe an einer Seite am Rand auf.

»Ich bin froh, dass du mich besuchen gekommen bist«, sagte er. »Besonders angesichts des Sturms.«

»Ich auch, Tim. Ich möchte nirgendwo anders sein. Das ist genau die Verschnaufpause, die ich gebraucht habe. Von der Bildfläche verschwunden. Keine Arbeit. Kein Telefon. Kein gar nichts, nur du und ich. Ich bin nur froh, dass du mich nicht zuerst in Quarantäne gesteckt hast, obwohl ich geimpft bin.«

»Die Arbeit hat dich dazu gezwungen, richtig?«

»Ja. Alle Bundesangestellten.«

»Ich bin froh, dass die Pandemie abzuflauen scheint.«

»Ich auch«, sagte sie. »Ich hätte meine Zeit mit dir ungern abgesagt, Tim. Ich bin sehr gerne mit dir zusammen.«

Sie nannte ihn nicht bei dem Spitznamen, den er in der Army erhalten hatte. Sie mochte seinen Vornamen. Er war biblisch, sagte sie.

»Er ist der Schutzheilige gegen Magenleiden«, rief G-Man ihr in Erinnerung, wann immer sie ihn an seinen wahren Namenspatron erinnerte.

»Trotzdem ein Heiliger«, sagte sie dann.

In diesem Augenblick lächelte er. »Ich bin auch furchtbar gern mit dir zusammen.« G-Man nahm einen Schluck Kaffee. Er war heiß, aber erträglich.

Keiner von beiden mochte Süßungsmittel. Für ihn hieß das, dass sie füreinander geschaffen waren. Er machte sich nicht die Mühe, zu fragen, was sie von dieser Gemeinsamkeit oder ihrer Zukunft zusammen hielt. G-Man hatte gelernt, dass das Beste, was er im Leben für die Zukunft tun konnte, war, sich auf sie vorzubereiten, auch wenn sie sich selten so entwickelte, wie er es erwartete.

»Ich denke darüber nach, Washington zu verlassen«, sagte sie. »Ich hab die Nase voll von diesem Hamsterrad.«

G-Man hielt mitten im Trinken inne. Er setzte sich aufrecht. »Wirklich?«

»Eigentlich sind es die Hamster selbst, die mich mürbe gemacht haben. Capitol Hill, das ist ein Spielplatz für die Jungen, Tim. 24/7/365, ohne Pause. Weißt du, dass das mein erster Urlaub in drei Jahren ist?«

»Drei Jahre?«

»Na ja, zwei«, sagte sie. »Nach den Zwischenwahlen 2018 habe ich mir eine Auszeit genommen. Das muss Ende des Jahres gewesen sein, um die Feiertage herum. Wir haben erst Februar. Das sind was, siebenundzwanzig Monate?«

»In etwa. Was ist mit der Pandemie? Hast du nicht frei bekommen?«

»Kaum. Von zu Hause zu arbeiten hat in Wirklichkeit bedeutet, die ganze Zeit zu arbeiten. Es gab keinen Feierabend. Die Arbeitszeit ist mit der Freizeit verschmolzen. Das war keine Erholung.«

»Aber wir haben dadurch Zoom bekommen.«

Sie schmunzelte. »Wir hatten doch schon Facetime und WhatsApp und tausend andere Wege zum Videochatten. Dafür haben wir kein Zoom gebraucht.«

»Stimmt. Und dazu ist WhatsApp verschlüsselt. Besonders vertraulich.«

Er zwinkerte. Sie verdrehte die Augen.

»Nichts ist vertraulich. Das weißt du sehr genau. Deshalb hast du komplett auf analog umgestellt und eine Baumfeste mitten im Nirgendwo gebaut.«

»Wohl wahr. Aber im Ernst, warum denkst du darüber nach, D. C. zu verlassen?«

»Einfach weil …« Sie zögerte und trank noch einen Schluck Kaffee. »Meine Eltern sind älter geworden, und beide haben gesundheitliche Probleme. Ich will einen Job, von wo aus ich hingehen und helfen kann, wenn sie mich brauchen. Außerdem ist D. C. was für junge Menschen. Ich habe auf beiden Seiten von Capitol Hill gespielt. Ich bin müde, und ich bin nicht mehr so jung.«

»Du bist jung.«

»Ich bin älter als du.«

»Siebenundzwanzig Monate«, sagte er.

Sie neigte den Kopf. Eine Linie aus Schaum auf ihrer Oberlippe funkelte im Feuerschein. »Stimmt das?«

Er zeigte auf ihre Oberlippe. Sie leckte den Schaum ab. »Ja«, sagte er. »Zwei Jahre und drei Monate.«

»Ich bin ein Cougar.«

»Das glaube ich nicht«, sagte er. »Ich bin fünfunddreißig.«

Sie streckte die Hand aus und strich ihm den Pony aus der Stirn. »Du bist noch ein Baby.«

G-Man lenkte das Gespräch von ihrem kleinen Altersunterschied auf ihre Bekanntmachung zurück. Das interessierte ihn. »Wohin würdest du gehen?«

»Ich habe ein paar Optionen.«

Er stellte seine Tasse auf den Tisch. »Welche denn?«

Das Feuer knackte. Es erschreckte sie. Sie kicherte über ihre Reaktion und legte sich eine Hand an die Brust. »Tut mir leid.« Sie stellte ihre Tasse neben seine. »Ich will nichts auf den Teppich verschütten.«

Er schüttelte den Kopf. »Kein Problem. Welche Optionen hast du?«

»Es sind zwei. Eine ist im Privatsektor. Die andere in der Regierung.«

»Erzähl mir mehr.«

»Der Job im Privatsektor ist in Kalifornien«, sagte sie. »Ich müsste sehr viel reisen. Das ist ein Minuspunkt. Der Pluspunkt ist die Firma selbst. Sie ist führend in … allem.«

»Wer ist es?«

»'FĒNIKS.«

»Das Technologieunternehmen? Die machen alles von Handys und Tablets bis hin zu Raketenschiffen und E-Autos.«

»Das stimmt«, sagte sie. »Sie arbeiten an Nanotechnologie und erneuerbaren Energien. Wie gesagt, führend.«

»Was für ein Job ist das?«

»Regierungsbeziehungen.«

»Wie ein Lobbyist?«

»So ungefähr.«

»Ich wette, das ist gut bezahlt.«

»Wir haben noch nicht über das gesamte Paket gesprochen«, sagte sie, »aber es wäre lukrativ.«

G-Man grinste. »Du hast Paket gesagt.«

Sie kicherte und verdrehte die Augen. »Sei nicht kindisch.«

»Ich bin noch ein Baby, schon vergessen?«

Sie beugte sich vor und küsste ihn lange. Er schmeckte den Kaffee auf ihrer Zunge. Als sie sich zurückzog, zog er sie wieder an sich.

»Was ist der zweite Job?«, fragte er. »Wo?«

»In Austin. Ein Thinktank. Unparteiisch und bietet datengestützte Recherche für eine Vielfalt an Gesetzen.«

»Austin ist nicht weit von hier«, sagte G-Man. »An den Wochenenden könnten wir uns in Fredericksburg treffen. Da gibt es Weintouren.«

»Wein?«

»Ja«, sagte er. »Weine aus Texas sind im Kommen. In Hill Country gibt es mehr als hundert Weingüter und Winzereien. Zwischen hier und Austin sind es um die sechzig oder so.«

»Tim Golnecki, arbeitest du für die Handelskammer oder willst du mich betrunken machen?«

»Beides.«

Sie lachten. Sie fuhr sich mit den Händen durchs Haar.

»Ich nehme an, dass der Job nicht so gut bezahlt ist«, sagte G-Man.

»Nicht mal ein Zehntel des Geldes«, sagte sie. »Aber da würde es auch gar nicht ums Geld gehen. Bei diesem Job geht es um Flexibilität und Lifestyle.«

G-Man widerstand dem Drang, sie zu fragen, wozu sie tendierte. Er nahm seine Tasse und trank seinen Kaffee mit einem tiefen Schluck aus. »Ich bin sicher, du wirst die richtige Entscheidung treffen, wie sie auch ausfallen mag.«

Sie lächelte wieder; der Feuerschein funkelte in ihren Augen. Sie sah an ihm vorbei zu einem großen Panoramafenster. »Die Sonne ist aufgegangen. Ein neuer Tag bricht an.«

Er gestikulierte mit seiner Tasse auf sie. »Willst du noch einen?«

Sie strahlte. »Natürlich. Ich komme mit. Wir können in der Küche die Nachrichten schauen. Ich muss mich auf den neuesten Stand bringen. Seit ich hier bin, haben wir den Fernseher nicht eingeschaltet, und ich hab seit drei Tagen nicht auf mein Handy gesehen.«

»Was, wenn deine Eltern angerufen haben?«, fragte G-Man.

»Die haben meine Privatnummer. Die und du, ihr seid die Einzigen. Dieses Handy lädt gerade neben deinem Bett. Ich nenne es mein Wegwerfhandy.«

»Ich hab mich schon gefragt, was das für ein altes Klapphandy ist«, sagte er. »Ich komme mir besonders vor.«

»Solltest du auch.«

Sie halfen einander auf und umarmten sich noch einmal, ehe sie gemeinsam in die Küche gingen. G-Man ging zur Kaffeemaschine. Sie fand die Fernbedienung und schaltete den Fernseher ein, der unter einem Trio aus gerahmten und an die Wand gehängten Fotos auf der Küchentheke stand.

Der Fernsehbildschirm zeigte Ansichtsoptionen, und sie wählte einen der Streamingdienste aus. Zwei Klicks später las ein Nachrichtensprecher ein »Eilmeldung«-Update zum Wintersturm Uri und seinem verheerenden Effekt auf den Staat vor. Die Grafiken auf dem Bildschirm enthüllten einen düsteren Bericht über Stromausfälle, Verletzungen und sogar Todesfälle.

Sie stellte die Lautstärke höher. »Hey, Tim? Das willst du dir vielleicht ansehen.«

Die Kaffeemaschine surrte, während sie heißes Wasser durch eine neue Kapsel presste. G-Man drehte sich zu ihr um. Der Ausdruck auf ihrem Gesicht, sonst so entspannt und freundlich, war vor Sorge angespannt. Sie tauschten einen kurzen Blick, und er kam neben sie vor den Fernseher. Er schob den Arm um ihre Taille und zerknüllte den Baumwollstoff an ihrer Hüfte in der Hand.

»ERCOT beharrt, keine andere Wahl gehabt zu haben, als das Netz absichtlich abzuschalten, um eine katastrophale Störung zu vermeiden«, las der Sprecher vor. »ERCOT ist die Behörde, unter deren Auftrag die Aufrechterhaltung des Netzes fällt, und ihre Führung erklärte Action News an diesem Morgen, dass eine unerwartete Anzahl von Stromgeneratoren offline war. Auch hieß es, Erdgasleitungen, welche die Generatoren versorgen, seien in den historisch niedrigen Temperaturen zugefroren.«

»Hast du die Laufschrift unten gelesen?«, fragte sie.

»Nein«, sagte G-Man. »Was stand da?«

»Dutzende Menschen sind gestorben. Vielleicht mehr. Es heißt, der Sturm habe mehr als hundert Milliarden Dollar Schaden angerichtet, und auch diese Zahl könnte höher ausfallen.«

Auf dem Bildschirm stellte der Nachrichtensprecher einen Meteorologen vor, der vor einem wandgroßen Screen stand, auf dem der Staat Texas zu sehen war. Der müde Meteorologe trug ein Anzughemd mit hochgerollten Ärmeln, ohne Krawatte.

»Heute steigen die Temperaturen«, sagte er. »Das ist die gute Nachricht. Die schlechte Nachricht ist, dass viele von Ihnen zu Hause Rohrbrüche erleben könnten, wenn das gefrorene Wasser auftaut. Es könnte ein langes Wochenende werden. Passen Sie auf sich auf, während wir unsere Fünf-Tages-Vorhersage betrachten. Beachten Sie, dass die Niederschlagswahrscheinlichkeit zur nächsten Woche hin sinkt. Und jetzt zurück nach New York.«

Eine Animation füllte den Bildschirm aus, und das Programm wechselte von den Lokalnachrichten zum Morgenprogramm des Senders. Musik erklang. Ein dramatisches Voiceover teaserte die Schlagzeilen des Morgens.

»Das Weiße Haus ist bereit, die Atomgespräche mit dem Iran wiederaufzunehmen. Wir haben Live-Berichte aus Washington und dem Mittleren Osten. Die NASA landet den Rover Perseverance auf dem Mars, wo die Weltraumagentur ihre Suche nach Anzeichen für ausgestorbenes Leben und Wasser wiederaufnimmt. Und in Texas stellt während der Nachwirkungen des Wintersturms, der den Staat gelähmt und Millionen Menschen vom Stromnetz abgeschnitten hat, Wasser ein Problem dar. Der halbe Staat ist betroffen, von Abkochanordnungen bis zu Komplettausfällen.«

»Soll das ein Witz sein?«, sagte sie. »Wo ist mein Handy?«

»Im Schlafzimmer. Soll ich es holen?«

Sie schüttelte den Kopf. »Ich mach schon. Bin gleich wieder da.«

Sie eilte aus der Küche, und G-Man richtete seine Aufmerksamkeit wieder auf den Fernseher. Zwei schick gekleidete Sprecher der Morgennachrichten trugen grimmige Mienen. Hinter ihnen, auf einer wandgroßen Anzeige, zog eine Fotomontage vorbei. Jedes Bild war ein Schnappschuss vom Chaos, das Texas durchgemacht hatte.

»Guten Morgen«, las der Mann vor. »Heute ist Freitag, der 19. Februar 2021. Wir beginnen mit der Krise in Texas, wo das staatliche Stromnetz ausgefallen ist. Der am zweitdichtesten bevölkerte Staat des Landes und vermutlich die Energiehauptstadt der Welt, verlor den Strom, als im Griff eines historischen Kälteeinbruchs die Nachfrage gefährlich nahe daran reichte, das Angebot zu übersteigen.«

Die Sprecherin übernahm das Wort. »Mindestens dreißig Menschen sind gestorben, und diese Zahl kann Angaben der Behörden zufolge noch steigen. Wir schalten jetzt nach Houston, zu unserem Reporter John Mubarak. John, Sie haben über Hungersnöte und Dürren auf der ganzen Welt berichtet. Sie haben Zeit in Flüchtlingslagern verbracht. Unseren Produzenten haben Sie mitgeteilt, dass die Situation in Texas nicht viel besser ist, als das, was Sie unter diesen Umständen erlebt haben?«

Mubarak stand vor einem Umspannwerk. Er trug einen schweren Mantel, einen Schal und eine Wollmütze, auf die das Logo des Senders gestickt war. »Das stimmt, Jeanine. Die Bedingungen hier sind gespenstisch. Manche sind schon seit Tagen ohne Strom und Wasser, und jetzt stehen sie vor der Aussicht, vom Kälteeinbruch beschädigte Häuser reparieren zu müssen.«

Das Bild eines alten Mannes auf einer Veranda ersetzte den Reporter auf dem Bildschirm. Der Mann rauchte eine Zigarette und sprach darüber, was er erlebt hatte. Tränen liefen ihm über die Wangen, während er sein Trauma kundtat.

G-Mans Gast kam zurück. Sie sah panisch und verängstigt aus. Stress legte ihre Stirn in Falten.

»Das hab ich davon, Urlaub genommen zu haben«, sagte sie mit starrem Blick auf ihr Handy. »Das ist lächerlich. Mein Handy hört nicht auf zu klingeln. Ich habe zwei Dutzend Anrufe und ich weiß nicht, wie viele Textnachrichten und E-Mails verpasst.«

Sie ging am Rand der Arbeitsplatte auf und ab. Ihre Daumen tippten wild aufs Display. Sie murmelte etwas und schüttelte den Kopf.

G-Man gab ihr einen Moment. Er nahm die Fernbedienung und stellte leiser. Der Reporter in Houston beendete seinen Bericht vor dem Umspannwerk.

Sie fluchte. Fluchte nochmal. Als sie es ein drittes Mal tat und stehen blieb, war G-Man überzeugt, ihr Lieblingswort zu kennen.

Er ging zur Kaffeemaschine und machte ihre Tasse fertig. Sobald er die geschäumte Milch obenauf verteilt hatte, stellte er sie vor sie hin.

»Kann ich irgendwie helfen?«, fragte er.

Während sie tippte, bewegten sich ihre Lippen. Zunächst reagierte sie nicht auf ihn. G-Man ging wieder zur Kaffeemaschine und machte auch für sich eine zweite Tasse. Er ließ die geschäumte Milch aus und trank ihn schwarz.

»Es tut mir leid«, sagte sie und legte die Hände auf die Platte. Das Handy hielt sie weiter fest. »Ich will dich nicht ignorieren. Ich hab nur einfach alles verpasst. Mein Boss ist nicht glücklich. Niemand ist glücklich.«

»Ich hab gedacht, du hast ihnen gesagt, dass du von der Außenwelt abgeschnitten sein wirst?«

Sie zeigte zum Fernseher. »Hab ich auch. Aber das ist so eine Sache, wegen der ich mich hätte melden sollen.«

»Richtig.«

G-Man hatte auch einmal in dieser Welt gelebt. Sie drehte sich nonstop, ohne Ruhe, ohne Pause oder Reset. Alles war eine Krise, bis die nächste kam. Es spielte keine Rolle, dass sie in einem Team arbeitete, das keine Verbindung zu Texas hatte. Das sagte er nicht laut, sondern entschied sich stattdessen für einen weiteren Schluck Kaffee aus der heißen Tasse.

»Ich muss gehen«, sagte sie. »Ich muss zum Flughafen fahren und den ersten Flug nehmen, den ich finden kann.«

G-Man legte den Kopf schief. »Wenn du das tun musst.«

»Ich will bleiben. Ich will meinen Urlaub mit dir zu Ende verbringen, Tim. Aber ich stecke schon jetzt bis zum Hals in Schwierigkeiten, und …«

Er hielt eine Hand hoch. »Ist okay. Wir verschieben es auf ein andermal.«

Sie lächelte. Das Lächeln verschwand, als das Telefon in ihrer Hand summte. Sie fluchte wieder und tippte mit den Daumen aufs Display.

Die Sendernachrichten gingen zum Bericht über den Mars über. G-Man überlegte, dass die interplanetare Raumfahrt ein Luxus für einen Ort war, der es nicht schaffte, dass die Lichter anblieben, und das bekräftigte seine Entscheidung von vor Jahren, sich vom Netz abzukoppeln und zu seinen eigenen Bedingungen zu leben.

Niemand konnte ihn so beschützen wie er selbst. Sein Erdgasgenerator hatte den Laden am Laufen gehalten, als der Staat das nicht gekonnt hatte. Der nächste Schritt wäre solare Integration. Das würde seinem Bereitsein eine Extraschicht hinzufügen.

»Ich fliege zurück«, sagte sie. »Nochmal, es tut mir leid.«

»Mir tut es leid«, sagte er. »Ich bin schuld, dass wir die Handys abgeschaltet haben. Ich hab es vorgeschlagen. Hätte ich das nicht getan, dann …«

»Es ist nicht deine Schuld, Tim. Ganz und gar nicht. Ich mache es wieder gut. Ich verspreche es.«

Sie trat zu ihm und küsste ihn, diesmal auf die Wange. Dann war sie aus der Küche verschwunden, ließ ihn allein mit dem Fernseher und ihrer unangerührten Tasse Kaffee dort stehen.

Eine halbe Stunde später stand G-Man in der eisigen Kieseinfahrt. Er lud ihr Gepäck ins Auto. Sie hatte das Fenster heruntergelassen, den Motor laufen.

»Was hast du jetzt vor?«

»Wahrscheinlich Basketball schauen. Die Warriors spielen gegen Magic.«

»Sind das die, für die LeBron spielt?«

»Nein. Der ist bei den Lakers.«

»Er ist der beste aller Zeiten?«

Er legte beide Hände an die kalte Tür und beugte sich näher. »Er ist nicht mal der beste Laker. Nicht meiner Meinung nach.«

»Wer ist denn der Beste?«

Er zögerte, weil er sich fragte, was sie bezweckte. Ihre Abfahrt hinauszögern? Den unangenehmen Abschied vermeiden? G-Man lächelte. »Wilt oder Kobe waren die besten Lakers. Vielleicht sogar Magic. Aber der GOAT, das ist MJ.«

»GOAT?«

»Greatest of all time. GOAT. Der Größte aller Zeiten. Michael Jordan.«

Sie sah an ihm vorbei zur Scheune. »So solltest du die Babyziege nennen.«

»Das nennt man Kitz.«

»Dann eben das Kitz.«

»Wie? Michael Jordan?«

»Mir gefällt MJ.«

»Warum?«

»Er ist der GOAT.«

G-Man lachte. Sein Atem kam in kurzen Dampfschüben. »Na schön. MJ.«

»Sehr schön. MJ.«

»Carrie«, sagte er, »wann sehe ich dich wieder?«

»Bald«, sagte sie. »Es war schön.«

Sie legte den Gang ein und fuhr rückwärts über die Einfahrt. Ihre Reifen knirschten über den Kies. Die Abgase aus den in den hinteren Stoßdämpfer eingelassenen Doppelröhren bildeten Wolken wie Rauch.

Im Nu war sie fort. Ihr Abenteuer war vorbei. Was er nicht wissen konnte, war, dass er sie nicht wiedersähe, bis das texanische Netz wieder ausfiel und so viel mehr auf dem Spiel stehen würde.

KAPITEL 2 THE WOODLANDS, TEXAS FÜNF JAHRE SPÄTER NETZAUSFALL, TAG NEUN

Der Duft von frisch gebrühtem Kaffee veranlasste Jack Warrant, die Augen zu öffnen. Erschöpfung beschwerte seine Lider, und nach anderthalb Wochen mit wenig Schlaf begrüßte er alles, was ihn aus dem Bett zwingen konnte. Kaffee war so etwas.

Er rieb sich das Gesicht und stützte sich auf die Ellbogen. Das dünne Baumwolllaken war um ein Bein und über seinen nackten Bauch geschlungen. Wenn sonst nichts, war die Apokalypse wenigstens zum Abnehmen gut. Er legte die Hand auf den Bauch und schätzte, dass er seit der Woche, in der er Betty geheiratet hatte, nicht mehr so flach gewesen war. Was hatte er damals gewogen? Neunundsiebzig Kilo, wenn es hochkam?

Sie waren seltsam, diese Gedanken, die ihm durch den Kopf gingen. Dinge, an die er seit Jahren nicht mehr gedacht hatte, wenn überhaupt je, kamen an die Oberfläche. Es war ein Bewältigungsmechanismus. Vermutete er. Unbewusst verharrte er in der Welt, wie sie einmal gewesen war, um sich nicht darauf konzentrieren zu müssen, was aus ihr geworden war.

Jack blinzelte und zog die Stirn hoch, um die Augen ganz aufzubekommen, als Betty das Zimmer mit zwei Kaffeetassen betrat. Eine reichte sie ihm, und er nahm sie begierig mit beiden Händen entgegen.

»Ich liebe dich«, sagte Jack.

»Liebst du mich oder liebst du das Koffein?« Sie ging ums Bett herum, stellte ihre Tasse auf einen Untersetzer auf dem Nachttisch, setzte sich auf ihre Seite der Matratze und zog die Beine aufs Bett.

Jack blies den Dampf von der Oberfläche der dunklen Flüssigkeit. Sie kräuselte sich unter seinem Atem. Er spürte, dass sie zu heiß zum Trinken war. »Ja«, sagte er über die Tasse gebeugt wie ein kümmerlicher Welpe über eine Portion Trockenfutter. Das Porzellan in seinen Händen war warm.

Betty lachte und nahm ihre Tasse. Von der Temperatur unbeeindruckt, nahm sie einen Schluck. Die Frau war wie ein menschlicher Ofenhandschuh. »Ich hätte lieber Eiskaffee gehabt, besonders bei der Hitze. Aber ich nehme das Schlimme wie das Gute hin.«

»Das Gute ist das Koffein«, sagte Jack.

Er wagte einen Schluck und verbrannte sich den Gaumen. Trotzdem hatte der Geschmack des Kaffees die psychosomatische Wirkung eines Adrenalinschubs, und er fühlte sich sofort wacher.

»Sind die Kinder schon auf?«

»Ich glaube nicht«, sagte Betty. »Die Sonne ist gerade erst aufgegangen. Ich gebe ihnen noch eine halbe Stunde, dann sind sie hier unten und völlig aufgedreht.«

»Ich hätte eine Aufgabe für sie«, sagte Jack. »Ich brauche Hilfe im Garten, und wir müssen Wasser aus dem Pool für die Toiletten eimern.«

Betty zog eine Augenbraue hoch. »Wasser eimern? Hast du ein neues Verb erfunden?«

»Es ist eine schöne neue Welt«, sagte Jack. »Neue Wörter gehören dazu.«

»Ich habe dieses Buch gelesen«, sagte Betty. »Ich bin mir nicht sicher, ob das die Zukunft ist, die wir wollen.«

»Die Welt ist, was …«

Ein Klopfen an der Haustür zog ihre Aufmerksamkeit zur Vorderseite des Hauses. Sie tauschten einen finsteren Blick.

»Erwartest du jemanden?«, fragte Betty.

»Nein. Du?«

Sie schüttelte den Kopf und machte Anstalten, vom Bett aufzustehen. Jack hielt sie mit einer Hand zurück. »Ich kümmere mich darum«, sagte er.

Er stellte seine Kaffeetasse ab, öffnete die Nachttischschublade, holte die Snake-Slayer-Pistole heraus und ging zur Schlafzimmertür.

Betty folgte ihm bis zur Schwelle zum Vorraum, der das Elternschlafzimmer vom Wohnzimmer trennte. Sie legte ihm die Hand auf die Schulter. »Sei vorsichtig.«

Jack war hemdlos. Ihre Hand war noch warm von der Kaffeetasse. Er hielt die kompakte Pistole aus rostfreiem Stahl neben sich und spähte um die Ecke. Als er die Gestalt auf der anderen Seite der Glaseingangstür erkannte, ließ seine Anspannung nach. Jack erreichte die Tür und schloss sie auf. Toby Hunter stand mit den Händen in der Hüfte vor ihm. Sein Bart an Kinn und Hals war dicht gewachsen. Ein buschiger, breiter Schnurrbart bedeckte seine Oberlippe. Jack beneidete den Mann um seine Fähigkeit, sich so schnell einen Bart wachsen zu lassen. Sein eigener Bartwuchs sah nach neun Tagen eher wie Räude aus.

Trotzdem konnte Tobys Bart die hagere Erscheinung und eingefallenen Augen des Mannes nicht verbergen. Er sah älter aus als noch vor ein paar Tagen.

Jack hielt die Waffe neben sich und versuchte, sie zwischen seinem Bein und dem Türrahmen zu verstecken. Toby entdeckte sie. Er sah hinunter. Seine Stirn zuckte besorgt, und er wies mit dem Kinn darauf.

»Wofür ist die gut?«

Jack hob die kompakte Waffe, ließ den Finger aber vom Abzug. Er richtete die Mündung auf den Boden, während er damit gestikulierte. »Man weiß nie, wer anklopft, besonders mit den neuen Nachbarn.«

Toby legte verwirrt den Kopf schief. »Welche neuen Nachbarn?«

»Im alten Lucas-Haus«, sagte Jack. »Zwei Häuser weiter. Da wohnt jemand.«

Toby trat zurück und lehnte sich von der Veranda weg. Er sah lange nach links. »Ich habe niemanden gesehen. Ich halte gerne die Augen offen. Wie viele?«

»Menschen im Haus?«

»Ja.«

»Fünf oder sechs. Ich konnte sie nicht genau zählen, aber es sind alles Männer.«

Toby kratzte sich am Hals. »Nur Männer? Das ist komisch, oder?«

»Ist es«, sagte Jack. »Mir gefällt das nicht, aber im Moment kann ich nichts dagegen unternehmen.«

»Was würdest du denn dagegen unternehmen?«

Jack zuckte mit den Schultern. Er hatte keine Lust auf Smalltalk und lenkte das Gespräch in eine andere Richtung. »Ich weiß es nicht. Was gibt es, Toby? Brauchst du was?«

Toby sah auf seine Füße und schob die Hände in die Gesäßtaschen seiner Jeans. Die Hose hing an ihm, als gehörte sie jemand Größerem. »Ich mache das echt ungern«, sagte er, »aber das Zeug, das du uns vor ein paar Tagen gegeben hast, ist alle.«

Vier Tage zuvor hatten Jack und Betty einen Teil ihrer Lebensmittel und Vorräte mit ihren Nachbarn geteilt. Es war eine Geste des guten Willens gewesen, über die Jack nicht glücklich war, von der er aber wusste, dass sie den Frieden wahren würde.

Gleichwohl würde ihren Nachbarn überhaupt etwas zu geben ein größeres Problem schaffen, mit dem sie sich eines Tages auseinandersetzen müssten. Sie konnten ihre Nachbarn nicht dauernd auf eigene Kosten versorgen. Trotzdem überraschte es Jack, dass dieser Zeitpunkt bereits gekommen war. Er antwortete Toby nicht, sondern war es zufrieden, seinen Nachbarn zappeln zu lassen.

»Wir haben versucht, alles zu rationieren«, sagte Toby, dessen entschuldigender Tonfall immer mehr zu einem verzweifelten Flehen wurde. »Wir haben getan, was wir konnten, um nur das Nötigste zu essen und nur so viel zu trinken, wie wir für nötig hielten, um hydriert zu bleiben.«

Jack bezweifelte das. Sie hatten ihren Nachbarn genug Essen und Wasser für eine Woche gegeben, sogar länger, wenn sie rationierten. Betty hatte sich die Zeit genommen, jeder Vorratstüte eine Notiz mit empfohlenen Portionsgrößen beizulegen. Sie hatten Chlortabletten für das Wasser und hochkalorische Konserven gespendet. Jack, Betty und ihre drei Kinder hielten sich gewissenhaft ans Protokoll. Sie alle begriffen, dass sie hungrig schlafen gehen, aufwachen und ihre Tage verbringen mussten, aber verhungern würden sie nicht.

Allerdings hatten sie ihre Kinder, Jasper, Jenna und Joey, schon während ihrer Vorbereitungen vor den Einschränkungen und Herausforderungen gewarnt, die auf sie zukommen könnten, falls das Ende der Welt je kommen sollte. Als der Strom ausfiel, beschwerte sich keiner der drei. Sie waren vorbereitet.

Jack bezweifelte, dass sonstwer in seiner Sackgasse das getan hatte. Wenn sie sich nicht mit Nahrung, Wasser, Vorräten und Erstversorgung vorbereitet hatten, warum sollten sie dann ihre Kinder auf den spartanischen Lebensstil vorbereiten, den sie annehmen müssten? Das war nicht geschehen. Und das, da war sich Jack sicher, war der Grund, warum Toby vor seiner Haustür stand und um mehr bettelte.

Während Toby sein Anliegen vortrug, schweiften Jacks Gedanken ab. Er dachte an den Moment, als ihm zehn Tage zuvor klar geworden war, dass sie langfristig in diesem Schlamassel stecken würden. Erinnerungen an die Ballons, die am Himmel über der Stadt aufgeleuchtet hatten, und an den Hubschrauber, der nur wenige Meter von ihm entfernt auf den Highway gestürzt war, gingen ihm durch den Kopf.

In den Minuten und Stunden nach dem Stromausfall hatte Jack so viel unternommen, um anderen zu helfen. Er hatte eine Frau namens Sally und deren Tochter aus ihrem brennenden Auto gerettet. Er hatte ihnen eine Mitfahrgelegenheit angeboten, zusammen mit einem Krebspatienten namens Miles Benson. Sie waren mit ihm bis zum Beltway gefahren, wo er sie zurückgelassen hatte; Miles hatte Sally und ihr Kind zu ihrer Wohnung begleitet.

Er fragte sich, ob Miles es je ins eigene Zuhause geschafft hatte. Wo war er jetzt, neun Tage später? Und was war mit dem Angeschossenen, den Jack auf die Ladefläche seines Trucks gelegt und ins Krankenhaus gefahren hatte? Hatte er überlebt?

Diese frühen postapokalyptischen Prüfungen hatten das Beste in Jack zum Vorschein gebracht. Er hatte sich selbstlos für Fremde eingesetzt, beinahe auf Kosten seiner eigenen Familie. Neun Tage später war diese Großzügigkeit verschwunden. Nachdem sich der Stromausfall auf unbestimmte Zeit hinzog, musste Jack nun auf Kosten anderer an seine Frau und Kinder denken. Selbst wenn es Nachbarn waren, konnte er nicht helfen. Er wollte nicht. Sein Entschluss stand fest.

»Blair und ich haben uns überlegt«, sagte Toby, »dass …«

»Blair und du?«, fragte Jack. »Was soll das heißen?«

Toby kam ins Stottern. »I-ich meine, wir haben nur, wir alle …«

Jack hob die Hand, um Toby mitten im Satz zu unterbrechen. »Moment. Ihr alle habt gemeinsam überlegt, wie ihr mich ansprechen sollt? Ihr habt euch verschworen, wie ihr uns um mehr von unseren Vorräten bitten könnt?«

Toby wurde blass. »So würde ich das nicht sagen, Jack. Niemand hat sich verschworen. Das ist hart. Du lässt uns wie Kriminelle klingen, weil …«

»Ich habe dich nicht als Kriminellen bezeichnet, Toby. Ich meine nur, dass ihr eine weitere Geschenkrunde für alle geplant habt, ohne mich oder Betty in diese Gespräche einzubeziehen. Mir scheint aber, wir wären die wichtigsten Personen, die an diesen Gesprächen teilhaben sollten.«

Toby trat einen Schritt zurück und hob beide Hände. Er senkte die Stimme und warf einen Blick auf die Waffe an Jacks Seite. »Hey, Mann, du musst deswegen nicht gleich böse werden. Es gibt keinen Grund, wütend zu sein. Wir sind alle Freunde.«

Jack bewegte sich, trat von der Schwelle und schloss die Haustür. Er entdeckte Blair, der auf seiner eigenen Veranda auf der anderen Straßenseite stand und zusah. »Keiner von euch hat auch nur ein Wort mit mir gesprochen, seit wir Mark Radner in seinem Garten begraben haben. Nicht einer von euch ist vorbeigekommen, um nach seiner Frau zu sehen, bevor wir sie nach Hause zurückgebracht haben. Betty ist jeden Tag hingegangen, um nach ihr und den Kindern zu sehen.«

Tobys Hände waren neben seinem Körper zu Fäusten geballt. »Das haben die anderen auch. Claire und Sarah haben nach ihr gesehen. Talia Stanley war auch drüben.«

»Darum geht es nicht«, sagte Jack. »Mir geht es darum, dass wir uns alle nach Marks Selbstmord in unsere Häuser zurückgezogen haben. Abgesehen davon, dass wir nach Jen Radner gesehen haben, gab es keine Gemeinschaft. Gar keine. In den letzten vier Tagen habe ich keinen von euch an unserer Tür gesehen, um zu fragen, wie es uns geht. Aber du kommst zum dritten Mal hierher …«

»Das ist das zweite Mal.«

»Egal«, sagte Jack. »Du kommst wieder hierher und bittest um Hilfe. Was hast du getan, um dir selbst zu helfen, Toby? Was hast du uns zur Hilfe angeboten?«

»Ihr habt um nichts gebeten.«

»Genau das meine ich, Mann. Wir haben um nichts gebeten, weil wir vorbereitet sind. Und selbst wenn nicht, sollten wir nicht um etwas bitten müssen, Toby. Ihr alle seid hergekommen und habt von Gemeinschaft gepredigt, davon, einander zu helfen. Davon war nichts zu sehen. Das ist ein einseitiger Deal, und ich bin raus.«

»Was soll das heißen?«

»Das heißt, dass ich dir nichts zu geben habe.«

»Was ist mit meiner Familie?«, fragte Toby. Er warf einen Blick über die Schulter. »Was ist mit den Stanleys oder den Sanderses?«

»Meine oberste Pflicht gilt meiner Familie, Toby. Ich muss für meine Frau und meine Kinder sorgen. Wir wissen nicht, wie lange die Situation andauern wird, und ich habe nur begrenzte Vorräte. Es gibt nichts, was ich dir geben könnte.«

Toby stand fassungslos da. Sein Kiefer bewegte sich, aber er sagte nichts. Er nickte und wandte sich von Jack ab. Er verließ die Veranda und ging, statt dem gepflasterten Weg zur Einfahrt zu folgen, quer über Jacks Rasen zur Straße. Jack beobachtete, wie Blair Toby beobachtete, und bemerkte, dass die beiden Blicke tauschten.

»Es tut mir leid, Toby«, sagte Jack laut genug, dass jeder in der Sackgasse ihn hören konnte. »Momentan geht es einfach nicht anders.«

Zuerst reagierte Toby nicht auf Jack. Dann drehte er sich zu ihm um. Er musterte Jack, ließ seinen Blick über die Vorderseite des Hauses schweifen und nickte. »Du hast ein schönes Zuhause, Jack. Ein wirklich schönes Zuhause.«

Toby drehte sich wieder um, ohne eine Antwort abzuwarten, und ging zu seinem eigenen Haus. Die Bemerkung, wenngleich scheinbar harmlos, war unheilvoll. Jack packte die Waffe fester und drehte sich um, um ins Haus zurückzugehen. Er schloss die Haustür hinter sich ab. Betty stand im offenen Bereich zwischen dem Eingang und dem Wohnzimmer.

»Das klang nicht gut«, sagte sie.

Jack ging an ihr vorbei ins Schlafzimmer. »War es auch nicht.«

Betty folgte ihm durch ihr Bad in den begehbaren Kleiderschrank. Jack holte ein T-Shirt aus der Einbaukommode. Er zog es sich über den Kopf und stand im Dunkeln da, seiner Frau gegenüber.

»Ich habe fast alles gehört«, sagte Betty. »Du warst ein wenig schroff.«

Jack nahm die Waffe von der Kommode. »Das war ich wohl, aber ich musste den Mistkerl spielen. Wenn ich auch nur das kleinste Bisschen nachgegeben hätte, würden sie wiederkommen. Die sind wie Tauben im Park. Wenn man die einmal füttert, erwarten sie das bis in alle Ewigkeit. Wir haben schon zu viel für sie getan.«

Er ging an ihr vorbei ins Bad. Er öffnete eine Schublade im Waschtisch, holte sein Deodorant heraus, nahm den Deckel ab, schob es unters T-Shirt und sprühte es sich unter beide Achseln. Nach neun Tagen erreichte es kaum mehr, als sich mit dem allgegenwärtigen Schweißgeruch zu vermischen, der alles und jeden im Haus durchdrang. Jack bot es Betty an.

Sie grinste ihn an und lehnte ab. »Ist das ein Hinweis?«

»Nein«, sagte Jack. »Ich dachte nur, ich sollte etwas mit jemandem teilen.«

»Wir stehen wirklich zwischen Baum und Borke, nicht wahr, Jack?«

»Ja.«

Sie gingen wieder ins Schlafzimmer. Jack tauschte die Waffe gegen die Kaffeetasse. Der Kaffee dampfte nicht mehr, und er trank, während sie in die Küche gingen.

Betty lehnte sich gegen die Arbeitsplatte. Ihre Tasse hielt sie in beiden Händen. »Was sollen wir tun, Jack? Es ist, als stünden wir allein gegen alle anderen.«

»So fühlt es sich an.«

»Sollen wir ihnen noch mal helfen?«

»Nein«, sagte Jack entschlossen. »Das können wir nicht. So wie ich gerade mit Toby geredet habe, würden wir schwach und verletzlich wirken. Ich hätte wohl nicht so heftig werden sollen, aber ich musste so reagieren.«

Sie nahm einen großen Schluck aus der Tasse und stellte sie auf die Arbeitsplatte. »Was hat er gesagt, als er gegangen ist? Den Teil habe ich nicht mitbekommen.«

»Er hat unser Haus bewundert.«

»Was?«

»Er hat gesagt, wir hätten ein schönes Zuhause.«

Betty sah ihren rechten Arm an und rieb ihn mit der linken Hand. »Davon habe ich Gänsehaut bekommen. Das klingt wie eine Warnung oder so.«

»Tut es, aber im Moment mache ich mir keine Sorgen wegen Toby Hunter.«

»Weswegen machst du dir dann Sorgen? Wegen der neuen Nachbarn?«

»Du meinst die Hausbesetzer?«

»Ja«, sagte sie. »Die Männer, die du gestern Abend im Lucas-Haus gesehen hast.«

»Die beunruhigen mich«, sagte Jack, »aber im Augenblick sollten Menschen nicht unsere größte Sorge sein.«

Betty seufzte. »Sprich mit mir, Jack. Schluss mit den kryptischen Subtweets.«

»Subtweets? Das habe ich schon eine Weile nicht mehr gehört.«

»Du weißt, was ich meine.«

»Komm mit mir hinters Haus.«

Betty folgte Jack zur Hintertür. Er öffnete sie und bedeutete ihr, vorauszugehen. Er ging mit ihr auf die hintere Terrasse, in die Nähe des Pools. Der Wasserstand war niedrig. Die tagelange Hitze hatte Zentimeter um Zentimeter von der Oberfläche verschwinden lassen, ebenso wie die Eimer voll Wasser, mit denen sie die Toiletten gespült hatten.

Er sah vom verschwommenen Spiegelbild des Himmels im Wasser hinauf zur dunklen Wolkenreihe, die den Morgenhimmel durchzog. Jack zeigte darauf.

»Das sieht aus wie eines dieser Bilder, die du so sehr magst.«

»Der Rembrandt?«, fragte Betty.

Jack zuckte mit den Schultern. Er stand mit seiner Frau auf der hinteren Veranda. Er zeigte mit der Hand auf die Wolken am dunkler werdenden Himmel und bewegte die Finger, als würde er das Bild in seinem Kopf heraufbeschwören.

»Es ist das Bild mit den Männern auf dem Schiff. Auf der einen Seite des Gemäldes ist ein wenig Blau zu sehen, aber die andere Hälfte ist völlig dunkel.«

»Das ist Rembrandt«, sagte Betty. »Er hat es 1633 während des Goldenen Zeitalters der Niederlande gemalt. Es heißt ›Christus im Sturm auf dem See Genezareth‹.«

»Da übergibt sich ein Mann über die Reling.«

Betty legte Jack die Hand auf den Rücken und strich mit der Handfläche auf und ab. »Ja. Das hat Rembrandt in seiner Interpretation dargestellt. Es stammt aus dem Buch Lukas. Ein plötzlicher Sturm kam auf. Jesus schlief auf dem Boot. Die Jünger gerieten in Panik und weckten ihn. Er beruhigte den See und fragte die Jünger, warum sie keinen Glauben hatten.«

Jack zeigte auf den Himmel und zeichnete die Wolkenlinie mit dem Finger nach. »Möglicherweise brauchen wir ein göttliches Eingreifen.«

»Ein Sturm?«

»Mehr«, sagte Jack. »Meine Knie tun weh. Das bedeutet, dass der Luftdruck sinkt. Und gestern war es heiß und sonnig. Perfektes Wetter, von der Hitze mal abgesehen. Das ist was Tropisches.«

»Wie ein Hurrikan?«

»Wie ein Hurrikan.«

»Dad, hast du gerade Hurrikan gesagt?«

Jack und Betty fuhren herum und sahen ihre Kinder bei der offenen Tür hinter ihnen stehen. Alle drei trugen ängstliche Mienen auf ihren schlaftrunkenen Gesichtern. Es war Joey, der die Frage gestellt hatte. Er stand zwischen seinen älteren Geschwistern. Jasper hatte eine Hand auf seinen Kopf gelegt.

»Wie kann es denn ein Hurrikan sein?«, fragte Jenna. »Es gibt keine Warnung oder so. Es gibt doch immer eine Warnung.«

»Diesmal nicht«, sagte Jack. »Es gibt keine Möglichkeit, uns zu sagen, was auf uns zukommt.«

KAPITEL 3 SAFEHOUSE, ORT UNBEKANNT NETZAUSFALL, TAG NEUN

»Wie ist das möglich?«

Gouverneur Chris Fine stand vor einem Fünfundsechzig-Zoll-LED-Monitor im Konferenzraum. Ein Satellitenbild der Golfküste füllte das Display aus. In der Videoschleife bewegte sich das große, tropische System nach Norden und Westen, direkt auf Galveston, Texas, zu.

»Die Wassertemperaturen sind nach wie vor historisch warm«, sagte Mike Banner, Leiter des Texas Department of Emergency Management. »Das Tiefdruckgebiet hat den Sturm forciert. Wir haben Ihnen bereits gestern Abend gesagt, dass das eine reale Möglichkeit ist, Herr Gouverneur.«

Fine richtete den Blick auf Banner. »Gestern Abend war das noch ein Tropensturm. Jetzt ist es ein Hurrikan der Kategorie 3, der sich anschickt, die I-45 von Galveston nach Dallas entlangzuziehen. Als ob wir nicht schon genug Sorgen hätten.«

Banner nickte verständnisvoll. »Chris, ich verstehe das. Es ist viel. Wir tun, was wir können, um mit Hilfe der Einsatzkräfte vor Ort so viele Menschen wie möglich zu warnen.«

Fine rieb sich mit Daumen und Zeigefinger über die Stoppeln auf den Wangen. Er konnte den Blick nicht von dem Monster abwenden, das sich vor ihm auf dem Bildschirm gegen den Uhrzeigersinn drehte. Etwas war mit dem Sturm, von dem er sicher war, dass Banner es ihm nicht mitteilte. Er konnte es am Tonfall des Behördenleiters hören. Er beschloss, ihn noch nicht weiter zu drängen.

»Mike«, sagte er und kopierte damit die Vertraulichkeit, mit der Banner ihn angesprochen hatte, »ich verstehe das auch. Aber im Großraum Houston leben acht Millionen Menschen. Weitere acht Millionen leben in und um Dallas und Fort Worth. Das sind mehr Menschen in dieser Sturmschneise, als in sechsundvierzig der fünfzig Bundesstaaten leben. Ihre Warnung bringt also rein gar nichts. Ich dachte, ich würde mir einen Gefallen tun, wenn ich einen Meteorologen zum Leiter von TDEM ernenne.«

»Schön und gut«, sagte Banner, »aber wir müssen etwas unternehmen. Wo immer wir den Menschen helfen können, tun wir es. Und wenigstens habe ich Ihr Ohr.«

Der Sturm auf dem Bildschirm drehte sich um sich selbst. Er näherte sich der texanischen Küste, schwankte und wurde zurückgesetzt. Die Schleife wiederholte sich. Fine stellte sich den Verlauf des Sturms vor, der praktisch ohne Vorwarnung über den bevölkerungsreichsten Teil des Staates hinwegfegte. Unter normalen Umständen hätten die Bezirke bereits Evakuierungen angeordnet, Rettungskräfte wären in Stellung gebracht worden, um bei Rettung und Bergung zu helfen, und Stromtechniker wären an kritischen Knotenpunkten in der gesamten Region stationiert worden, bereit, in die am stärksten betroffenen Gebiete zu gehen. Das Rote Kreuz und andere gemeinnützige Organisationen hätten Notunterkünfte eingerichtet und vorbereitet. Nichts von alledem war jetzt möglich.

Fine wandte sich vom Bildschirm ab und sah zur Tür des Konferenzraums. Sein Führungsteam kam gerade herein. Sie wirkten ausgezehrt und kriegsmüde. Er entdeckte Carrie Collins, seine Stabschefin, durch die Scheibe, als sie sich dem Raum näherte. Sie hatte einen großen Dreiringordner dabei, fing seinen Blick auf und versuchte sich an einem Lächeln. Fine lächelte zurück.

Sie ging am Verbindungsmann zwischen der Nationalgarde und dem Gouverneur, Private Will Worth, vorbei, entschuldigte sich und blieb am langen Konferenztisch neben einem leeren Stuhl stehen.

»Gouverneur«, sagte sie, nachdem sie sich gesetzt und den Aktenordner auf den Tisch gelegt hatte. »Wie läuft Ihr Morgen?«

»Besser als im I-45-Korridor«, sagte er.

Carrie drehte sich ihren Stuhl und sah zum Bildschirm. Sie schüttelte den Kopf und runzelte die Stirn.

Fine kam an ihr Tischende und setzte sich neben sie. »Genau mein Gedanke.«

Sie öffnete die Mappe, seufzte und betrachtete die anderen am Tisch. Bis auf einen waren alle Plätze besetzt. »Wo ist Parker?«, fragte sie. »Kommt er zu dieser Besprechung?«

»Er kommt«, sagte Fine. »Er versucht gerade, ein Gespräch mit Washington zu arrangieren.«

»Sollen wir ohne ihn anfangen?«

Fine nickte. »Bringen wir es hinter uns. Ich habe Molly versprochen, heute früh mit ihr einen Spaziergang zu machen.«

Carrie rümpfte die Nase. »Früh?«

»Es ist zehn«, sagte Fine.

Carrie sah auf ihre Uhr. »Hier unter der Erde verliere ich das Zeitgefühl. Es ist wie in einem Casino, nur ohne die Drinks und die Spiele.«

Sie lächelte und sah zur Ecke des Raumes. Fine folgte ihrem Blick und entdeckte das Einsatzteam, das seine Tochter gerettet hatte. Sie standen beisammen. Er hatte sie gebeten, zu bleiben, falls er ihre Hilfe benötigte. Sie waren der Bitte gefolgt.

Derjenige, der den Spitznamen G-Man trug, lächelte Carrie an. Zwischen ihnen war etwas. Er spürte es. Alle spürten es. Seine Frau, Priscilla, hatte sich nach ihnen erkundigt, aber Fine wusste nichts Konkretes.

Neben G-Man stand der, der Martillo genannt wurde. Martillos Frau, Opha May, lehnte ihren Kopf an seine Schulter. Die beiden anderen, Howard Smith und Oscar Perez, waren wieder als sein Personenschutz im Einsatz. Sie standen vor dem Raum, mit dem Rücken zur Scheibe.

Fine konzentrierte sich wieder auf die anstehende Aufgabe. »Na schön, guten Morgen«, sagte er. »Fangen wir an. Mike, Sie zuerst.«

Banner drehte sich mit seinem Stuhl und wies auf den Monitor. »Wir haben gerade ein Update vom National Hurricane Center erhalten. Hurrikan Omar ist jetzt ein Sturm der Kategorie 3. Er weist anhaltende Winde von 190 Stundenkilometern auf. Der Luftdruck ist weiter gesunken und liegt jetzt bei 948 Millibar. Nachdem er innerhalb der nächsten fünf Stunden auf Galveston getroffen ist, erwarten wir eine Sturmflut zwischen drei und dreieinhalb Metern. Laut den auf der Insel stationierten Nationalgardetruppen verursachen die Ausläufer bereits Probleme in den tiefer liegenden Gebieten.«

»Wo genau soll der Sturm auf Land treffen?«, fragte Fine.

»Nach der letzten Aktualisierung trifft er Quintana«, antwortete Banner. »Das Auge des Sturms ist sehr gut definiert und sollte gegen acht Uhr heute Abend die Strände von Quintana und Surfside überqueren. Die gute Nachricht ist, dass sich der Sturm schnell bewegt.«

»Und es wird erwartet, dass er nach der Landung nach Norden abdreht?«, fragte Fine.

»Ja«, sagte Banner. »Das ist der prognostizierte Weg.«

»Wie schnell wird er sich abschwächen, nachdem er Land erreicht hat?«, fragte Fine.

Banner zögerte. Er kratzte sich am Kopf und betrachtete den Raum. Er räusperte sich.

»Was ist?«, fragte Fine. »Was verschweigen Sie mir?«

»Es besteht die Möglichkeit, dass er stärker wird.«

»Stärker? Ich dachte, Stürme werden immer schwächer, wenn sie auf Land treffen.«

»Normalerweise ist das auch so«, sagte Banner, »aber bei Omar möglicherweise nicht.«

Leises Gemurmel brach am Tisch aus. Die Lautstärke nahm zu, bis Fine die Hand hob.

»Immer mit der Ruhe«, sagte er. »Lassen Sie Mike erklären, was los ist.« Er zeigte auf den TDEM-Leiter.

Banner schob sich vom Tisch zurück, dann zog er seinen Rollenstuhl wieder heran.

»Also. Wir hatten ein ungewöhnlich nasses Jahr in den zentralen und südöstlichen Teilen des Staates. Abgesehen von den letzten zwei Wochen, in denen es nur sporadisch geregnet hat und die Temperaturen durch die Decke gegangen sind, hatten wir fünfunddreißig Prozent mehr Regen als in einem typischen Sommer. Wir sind gesättigt. Kombiniert man diese Sättigung mit der unerbittlichen Hitze, sind die Bedingungen reif für einen sogenannten Brown Ocean Effect.«

Vizegouverneur John Wittman lachte nervös. »Was ist das? Davon habe ich noch nie gehört. Hat jemand von Ihnen schon einmal von einem Brown Ocean Effect gehört?«

Die anderen antworteten mit zunehmend besorgten Stimmen. Wieder musste Fine sie zum Verstummen bringen.

»Mike«, sagte er, »ist das schon einmal passiert?«