Pretend Reading: Vorschulkinder "lesen vor" - Kristina Strozyk - E-Book

Pretend Reading: Vorschulkinder "lesen vor" E-Book

Kristina Strozyk

0,0

Beschreibung

Gängige Sprachförderkonzepte, die derzeit in Kindertagesstätten zum Einsatz kommen, konzentrieren sich primär auf die Förderung von Syntax und Wortschatz und sind häufig dialogisch ausgerichtet. Um bereits vorhandenes implizites Textwissen aktivierend herauszufordern, bietet es sich an, Kinder zu monologischen Textproduktionen anzuregen. Diesen Ansatz wählt diese Studie, in der Vorschulkinder aufgefordert wurden, ein ihnen bekanntes Bilderbuch "vorzulesen". Die Datenerhebung zu diesem als Pretend Reading bekannten Verfahren erfolgte in vier Durchgängen und in jeweils an das gezeigte Sprachhandeln der Kinder angepassten und modifizierten Settings. Die Auswertungsergebnisse verweisen eindrücklich auf das vielversprechende Potenzial des Pretend Reading zur Sprachförderung. Die Funktion der Musterhaftigkeit für eigene Textproduktion wird dabei besonders betont.

Sie lesen das E-Book in den Legimi-Apps auf:

Android
iOS
von Legimi
zertifizierten E-Readern

Seitenzahl: 1073

Veröffentlichungsjahr: 2023

Das E-Book (TTS) können Sie hören im Abo „Legimi Premium” in Legimi-Apps auf:

Android
iOS
Bewertungen
0,0
0
0
0
0
0
Mehr Informationen
Mehr Informationen
Legimi prüft nicht, ob Rezensionen von Nutzern stammen, die den betreffenden Titel tatsächlich gekauft oder gelesen/gehört haben. Wir entfernen aber gefälschte Rezensionen.



Literacy im Elementar- und Primarbereich

Forschungsbeiträge zu Literalität & Literarität

LiEP

2

Herausgegeben von

Prof. Dr. Iris Kruse (Paderborn)

Prof. Dr. Christiane Miosga (Hannover)

Prof. Dr. Katharina J. Rohlfing (Paderborn)

Prof. Dr. Elvira Topalović (Paderborn)

Wissenschaftlicher Beirat

Prof. Dr. Sandra Ballweg (Paderborn)

Prof. Dr. Tabea Becker (Hannover)

Prof. Dr. Heike Behrens (CH/Basel)

Dr. Kristin Börjesson (Halle)

Prof. Dr. Monika Dannerer (A/Innsbruck)

Prof. Dr. Sara Fürstenau (Hamburg)

Prof. Dr. Petra Gretsch (Freiburg)

Dr. Angela Grimminger (Paderborn)

Prof. Dr. Dieter Isler (CH/Thurgau)

Prof. Dr. Friederike Kern (Bielefeld)

Prof. Dr. Norbert Kruse (Kassel)

Prof. Dr. Daniela Merklinger (Ludwigsburg)

Prof. Dr. Anja Müller (Mainz)

Prof. Dr. Claudia Müller-Brauers (Hannover)

Prof. Dr. Sven Nickel (I/Bozen)

Prof. Dr. Julie A. Panagiotopoulou (Köln)

Prof. Dr. Anke Reichardt (Halle)

Dr. Stefanie K. Sachse (Köln)

Vertr.-Prof. Dr. Lis Schüler (Berlin)

Dr. Jutta Trautwein (Paderborn)

Prof. Dr. Benjamin Uhl (Koblenz)

Prof. Dr. Constanze Weth (LU/Luxemburg)

Prof. Dr. Petra Wieler (Berlin)

Prof. Dr. Anja Wildemann (Landau)

Kristina Strozyk

Pretend Reading:Vorschulkinder „lesen vor“

Implizites Textwissen und Textproduktion am Endedes Kindergartenalters

Dissertation zur Erlangung des akademischen Grades Doktorin der Philosophie, vorgelegt im Fachbereich 02 der Universität Kassel unter dem ursprünglichen Titel: Vorschulkinder „lesen vor“. Implizites Textwissen und Textproduktion am Ende des Kindergartenalters (Erstgutachter: Prof. Dr. Norbert Kruse, Zweitgutachter: Prof. Dr. Michael Ritter, Datum der Disputation: 28. September 2021, gekürzte Fassung).

DOI: https://doi.org/10.24053/9783772057915

© 2023 · Narr Francke Attempto Verlag GmbH + Co. KG

Dischingerweg 5 · D-72070 Tübingen

Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Verlages unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen.

Alle Informationen in diesem Buch wurden mit großer Sorgfalt erstellt. Fehler können dennoch nicht völlig ausgeschlossen werden. Weder Verlag noch Autor:innen oder Herausgeber:innen übernehmen deshalb eine Gewährleistung für die Korrektheit des Inhaltes und haften nicht für fehlerhafte Angaben und deren Folgen. Diese Publikation enthält gegebenenfalls Links zu externen Inhalten Dritter, auf die weder Verlag noch Autor:innen oder Herausgeber:innen Einfluss haben. Für die Inhalte der verlinkten Seiten sind stets die jeweiligen Anbieter oder Betreibenden der Seiten verantwortlich.

Internet: www.narr.de

eMail: [email protected]

ISSN 2751-6547

ISBN 978-3-7720-8791-2 (Print)

ISBN 978-3-7720-0237-3 (ePub)

Inhalt

Vorwort

Einleitung

Teil I:Theoretischer Rahmen und kategoriale Bestimmungen der Untersuchung

1Sprachförderung, Schrift und Text

2Erzählen

3Textrezeption und Textproduktion im Vorschulalter

3.1Text, Textkompetenz und Textproduktion

3.2Schriftspracherwerb, Literacy und Textkompetenz

3.3Vorlesen

3.4Textproduktion im Medium der Mündlichkeit

4Pretend Reading als Form der Textproduktion

4.1Pretend Reading im Elementarbereich

4.2Pretend Reading in der Grundschule

5Muster und Textproduktion

5.1Muster und Musterhaftigkeit aus (text-)linguistischer Perspektive

5.1.1Musterhaftigkeit

5.1.2Formelhaftigkeit und Kreativität

5.1.3Muster und die poetische Funktion der Sprache

5.2Muster und Musterhaftigkeit aus didaktischer Perspektive

5.3Muster und Intertextualität

5.4Musterhaftigkeit und Spracherwerb

5.5Spracherwerb und Kinderliteratur

5.6Muster – eine vergleichende Gegenüberstellung

5.7Das Verständnis von Musterhaftigkeit der vorliegenden Arbeit

6Implizites Wissen und implizites Lernen

6.1Die Theorie des impliziten Wissens nach Polanyi

6.2Pretend Reading, implizites Lernen und implizites Wissen

7Erkenntnisse zum (impliziten) Erwerb und Gebrauch von Mustern didaktisch fruchtbar machen – ein Überblick

Teil II:Empirische Studie zum Pretend Reading im Vorschulalter

1Beschreibung der Forschungsidee: Der Gebrauch von Textwissen beim „Vorlesen“ ohne Schriftkenntnisse

2Methodische und methodologische Überlegungen: Forschungsdesign, Forschungsarrangement und Forschungsprozess

2.1Erhebungsverfahren

2.2Datenaufbereitung

2.3Auswertungsverfahren

2.3.1Beschreibung der Analyseraster zur Datenauswertung

2.3.2Vorgehen bei der Datenauswertung und Entwicklung der Kategorien und Analyseinstrumente

3Auswertung und Ergebnisse

3.1Textanalysen

3.1.1Textanalyse I: Frosch hat Angst von Ben

3.1.2Textanalyse II: Clown Beppo von Kira

3.1.3Textanalyse III: He Duda von Ida

3.1.4Textanalyse IV: Pippi Langstrumpf feiert Weihnachten von Mia

3.1.5Textanalyse V: Torro sieht rot von Nicole

3.1.6Textanalyse VI: Apfelsaft holen von Jan

3.1.7Textanalyse VII: Die kleine Elfe kann nicht schlafen von Muriel

3.2Vergleichende Darstellung der Beobachtungen zu den sieben Textanalysen

4Ertrag und Diskussion

Literaturverzeichnis

Primärliteratur

Sekundärliteratur

Anhang

Register

Vorwort

Im Grundschulalter hatte ich Freude daran, in meiner Freizeit Geschichten zu schreiben und mit Zeichnungen zu illustrieren. Dazu gehörte auch das Verfassen von Geschichten zu anderen Geschichten, die mir gefielen. Diese Textproduktionen enthielten viele Inhaltselemente der Originalgeschichten. Dennoch gab es im Inhalt stets Variationen, beispielsweise das Verfassen einer Fortsetzung mit den bekannten Figuren. Auf der sprachlichen Ebene lassen sich in diesen Textproduktionen sprachliche Versatzstücke aus den Originalgeschichten identifizieren.

Dass es sich dabei um das Phänomen der Intertextualität handelt, das grundlegend für das Verfassen von Texten ist, und dass es didaktische Konzeptionen geben wird, die den Gebrauch von Musterhaftigkeit nutzen und sich für die Textproduktion zu Texten aussprechen, ahnte ich damals natürlich nicht. Und auch nicht, dass mich das Thema Musterhaftigkeit lange und intensiv begleiten wird.

Ein ganz besonderer Dank gilt Herrn Professor Dr. Norbert Kruse, der den Entstehensprozess dieser Studie als Betreuer in wertschätzender Weise begleitete und mir viele hilfreiche Hinweise und Anregungen gab. Herzlichen Dank für Deine hervorragende Betreuung und Unterstützung!

Außerdem danke ich Herrn Professor Dr. Michael Ritter sehr herzlich für die Übernahme des Zweitgutachtens.

Ein herzlicher Dank geht des Weiteren an alle Kinder für das „Vorlesen“ ihrer Bilderbücher im Rahmen dieser Studie sowie an ihre Eltern. Zudem bedanke ich mich auch sehr bei den Studierenden, die die Erprobungen zum Pretend Reading mit den Kindern durchführten.

Zudem danke ich Frau Professorin Dr. Friederike Heinzel, Frau Professorin Dr. Anke Reichardt, Frau Professorin Dr. Lis Schüler und Frau Professorin Dr. Hanna Sauerborn für wertvolle Hinweise. Ich bedanke mich bei den Mitgliedern des Promotionskollegs der Universität Kassel für ihre Anregungen und der Dissertationsrunde von Herrn Professor Dr. Norbert Kruse an der Universität Kassel insbesondere für die Teilnahme an Datensitzungen. Zudem danke ich Herrn Professor Dr. Thorsten Pohl, Herrn Professor Dr. Arne Wrobel, Herrn Professor Dr. Helmuth Feilke, Frau Professorin Dr. Astrid Neumann, Herrn Professor Dr. Hansjakob Schneider und Frau Professorin Dr. Anita Schilcher für ihre Beratung in Kolloquien im Rahmen der dieS-Sommerschule. Ich bedanke mich des Weiteren herzlich bei Frau Professorin Dr. Iris Kruse, Frau Professorin Dr. Christiane Miosga, Frau Professorin Dr. Elvira Topalović und Frau Professorin Dr. Katharina Rohlfing sowie bei Herrn Dr. Bernd Maubach.

Außerdem möchte ich mich herzlich bei Herrn Tillmann Bub vom Narr-Verlag bedanken.

Ein herzlicher Dank geht zudem an Elvira Dyck, Christian Haaßio, Julia Heiderich, Dr. Bernd Maubach, Kathrin Meckbach, Leif Pollex, Brigitte Retter, Nadine Rudolph, Luisa Maria Schäfer, Isabella Schulz, Regina Schwarzbach-Bräutigam, Claudia Strozyk, Dominik Strozyk und Konstantin Strozyk für das gewissenhafte Korrekturlesen der Arbeit.

Ganz besonders danke ich meinen Eltern Uta und Michael sowie meinem Bruder Konstantin für ihre Unterstützung!

Abschließen möchte ich mit einem Hinweis: Zum Buch finden Sie umfangreiches Zusatzmaterial im digitalen Anhang. Dieser enthält weitere praktische Hinweise zur Durchführung von Pretend-Reading-Situationen, Schulungsmaterial und illustrierende tabellarische Darstellungen. Sie finden ihn im Webshop des Narr-Verlags unter https://www.narr.de/Pretend-Reading-Vorschulkinder-lesen-vor-38791-1.

Einleitung

‚kann es losgehen?‘ der hase tute so, als wäre er nicht da. [2] ‚natürlich [leise], ei:ns, zwei:, drei:.‘ der hase rennte von der kanone wie schnell, wie’s geht […] (Emilia1 zum Bilderbuch Hase und Igel (2017) von Axel Scheffler, 9. DS)2

Die Kultusministerinnen und -minister verständigten sich als Reaktion auf die Ergebnisse von PISA in ihrer Plenarsitzung am 5./6. Dezember 2001 auf sieben Handlungsfelder. Vorrangig tätig werden wollten sie dabei in den Handlungsfeldern „‚Maßnahmen zur Verbesserung der Sprachkompetenz bereits im vorschulischen Bereich‘ und […] ‚Maßnahmen zur wirksamen Förderung bildungsbenachteiligter Kinder, insbesondere auch der Kinder und Jugendlichen mit Migrationshintergrund (KMK, 2001)‘“ (Redder et al. 2011, S. 6). In ihrer „Bilanz und Konzeptualisierung von strukturierter Forschung zu ‚Sprachdiagnostik und Sprachförderung‘“ (Redder et al. 2011) konstatieren Redder et al., dass es im Bereich der Sprachdiagnostik und Sprachförderung „an Grundlagenkenntnissen über sprachliche Aneignungsprozesse“ (ebd., S. 6) sowie an wissenschaftlich verantworteten Interventionen mangele. (Vgl. ebd.) Als Grundlage für erfolgreiche schulische Bildung gelten bildungssprachliche Kompetenzen und konzeptionelle Schriftlichkeit (vgl. ebd., S. 67). Nach Weinert et al. (2010), die im Rahmen der Studie BiKS-3-8 Unterschiede hinsichtlich der Entwicklung von sprachlichen und kognitiven Kompetenzen Drei- bis Fünfjähriger in den Blick nahmen, variieren die Kompetenzen der Kinder „in Abhängigkeit von sozialen Hintergrundvariablen“ (Weinert et al. 2010, S. 41). Daraus ergibt sich die Forderung, konzeptionell schriftliche Kompetenzen bei Kindern zu fördern:

Die Konsequenz ist, dass (frühe) sprachliche Förderung Kompetenzen fördern muss, die über die konzeptionell mündliche Sprache hinausgehen und auch jene Sprachkompetenzen aufbauen und fördern [muss], denen in der Schule und für schulisches Lernen besondere Bedeutung zukommt. (Redder et al. 2011, S. 67f.)

(Vgl. ebd.) Redder et al. (2011) arbeiten mit dem Qualifikationenfächer nach Ehlich (Ehlich et al. 2008), um dem komplexen Sprachbegriff in der Beschreibung der Sprachaneignung gerecht zu werden.

Zweck der Auffächerung des sprachlichen Handelns nach unterschiedlichen Basisqualifikationen ist es, Sprache umfassend als ein gesellschaftliches Handlungsmittel zu begreifen und insbesondere auch solche Teilbereiche sichtbar zu machen, die bisher in der Forschung vergleichsweise wenig Aufmerksamkeit erfahren haben. (Redder et al. 2011, S. 97)

So bezieht sich die literale Basisqualifikation I auf präliterale Vorläuferfähigkeiten sowie den Eintritt der Kinder in die Schriftlichkeit. Sie umfasst „das Erkennen und Produzieren von Schriftzeichen“ (ebd., S. 99), „die Umsetzung mündlicher Sprachprodukte in schriftliche und umgekehrt“ (ebd.) sowie „erste Erfahrungen mit Texten“ (ebd.). (Vgl. ebd.) Nach Heger (2018) scheinen spezifische Angebote, die auf Schriftsprache bezogen sind, eher die Ausnahme im Kindergartenalltag zu sein, während Förderangebote zur mündlichen Sprache stärker fokussiert werden (vgl. Heger 2018, S. 42). In ihrer Studie Zur Bedeutung der Early Literacy für den Schriftspracherwerb (2015) nimmt Sauerborn eine kritische Sicht auf die „einseitige Fokussierung auf die phonologische Bewusstheit“ (Sauerborn 2015, S. 4) als Voraussetzung für den Schriftspracherwerb ein. „In Folge einer Art Mythologisierung der phonologischen Bewusstheit findet seit Ende der 80er Jahre eine verengte Sichtweise auf das komplexe Bedingungsgefüge des Schriftspracherwerbs und den Vorläuferfähigkeiten zum Lesen und Schreiben statt“ (ebd., S. 2). Während sich im deutschen Sprachraum diese Verengung verschärfte, da alternative Erklärungsansätze kaum rezipiert wurden, werden im anglo-amerikanischen Sprachraum vorschulische Vorerfahrungen unter dem Konstrukt Early Literacy subsummiert, von denen die phonologische Bewusstheit lediglich ein Aspekt ist (vgl. ebd.). Sauerborn fordert das Einfließen von Aspekten „des Erwerbs konzeptioneller Schriftlichkeit bzw. eines literaten Registers“ (ebd., S. 181) in die Early Literacy Bildung (vgl. ebd.). Sie schreibt dazu: „Es wäre wünschenswert, ein dezidiertes Modell zum Schriftspracherwerb zu entwickeln, der diesen Erwerbsprozess hinreichend abbildet“ (ebd.). Auch Isler und Künzli kritisieren an Programmen zur Förderung von Vorläuferfähigkeiten des Lesens und Schreibens in der Deutschschweiz, dass mit diesen „vorwiegend technische, isoliert vermittelbare Fertigkeiten trainiert [werden], die den Aufbau einer komplexen schriftsprachlichen Handlungsfähigkeit langfristig kaum beeinflussen“ (Isler/Künzli 2010, S. 1). Isler et al. (2018) richten den Blick auf mündliche Textfähigkeiten im Kindergartenalter:

Wie aktuelle Studien zeigen, ist der Anteil herausfordernder Sprachhandlungen in pädagogischen Einrichtungen ausbaufähig, lässt sich das erwerbsunterstützende[] Handeln der Fachpersonen optimieren und wirkt sich ein optimiertes Handeln der Fachpersonen günstig auf das sprachliche Lernen der Kinder aus. Bisher fehlen aber Studien, die diese Wirkung im Hinblick auf mündliche Textfähigkeiten und methodisch robust untersuchen. (Isler et al. 2018, S. 1)

Es deutet sich hier die Notwendigkeit an, Sprachförder- und Sprachbildungsprogramme für den Vorschulbereich zu entwickeln, die auch literale Basisqualifikationen (Ehlich 2007) in den Blick nehmen und auf diese Weise zur Entwicklung früher Textkompetenz beitragen.

Dies unterstreicht auch der Beschluss der Kultusministerkonferenz vom 05.12.2019 zur Stärkung bildungssprachlicher Kompetenzen. Aus dieser Empfehlung geht hervor, dass „sprachliche Bildung und Sprachförderung bereits im Elementarbereich für den gelingenden Übergang in den Primarbereich angebahnt werden [sollten]“ (KMK 2019, S. 5). „Die Kultusministerkonferenz hat bereits in den vergangenen Jahren immer wieder die grundlegende Bedeutung bildungssprachlicher Kompetenzen in der deutschen Sprache für den Schulerfolg betont“ (ebd., S. 2).

Wie Merklinger in ihrer Studie Frühe Zugänge zur Schriftlichkeit (2011) zum diktierenden Schreiben zeigt, sind Kinder bereits vor Beherrschung der Schrift in der Lage, im Medium der Mündlichkeit Texte zu produzieren, die Merkmale konzeptioneller Schriftlichkeit (Koch/Oesterreicher 1994) aufweisen können. Merklingers Studie konnte zeigen, dass es sich bei der Diktiersituation, in der ein Vorschulkind einer Skriptorin oder einem Skriptor einen Text diktiert, nicht nur um eine Beobachtungssituation, sondern auch um „eine Lernsituation für frühe Zugänge zu (konzeptioneller) Schriftlichkeit“ (Merklinger 2011, S. 189) handelt (vgl. ebd.). Merklinger wählte zur Durchführung von Diktiersituationen eine Aufgabenstellung aus dem Schreiben zu Vorgaben (Dehn et al. 2011), indem sie Kinder ihre Gedanken zu einem Bilderbuch diktieren ließ (vgl. Merklinger 2011, Dehn et al. 2011). In ihrem didaktischen Konzept Texte und Kontexte (2011) zum Schreiben zu Vorgaben, bei dem Intertextualität eine bedeutsame Rolle spielt, verdeutlichen Dehn et al. die Bedeutsamkeit einer sprachlichen (und/oder bildlichen) Vorgabe in Form eines Textes, eines Bilderbuches, eines Bildes etc., zu der Kinder eigene Texte produzieren, für die Komplexität der entstehenden Texte (vgl. Dehn et al. 2011). So zeichnen sich zu Bilderbüchern produzierte Kindertexte durch eine höhere Komplexität aus als Erlebniserzählungen.

Dass Kindertexte, die fiktionalen Charakter haben, komplexere Strukturen aufweisen als Erlebnistexte, die Kinder vom Wochenende oder über die Ferien verfasst haben, zeigt die Forschung – und begründet dies mit dem Rückgriff auf sprachliche und literarische Muster, die die Vorgaben als Material für das Schreiben anbieten (vgl. Dehn/Merklinger/Schüler 2011). (Merklinger 2014, S. 4)

Narrative Strukturmuster erwerben Kinder durch das Vorlesen und Erzählen von Geschichten – und zwar als implizites Wissen (vgl. Spinner 2005, S. 155). Musterbildung vollzieht sich nach Dehn als implizites Lernen und innere Regelbildung (vgl. Dehn 2005, S. 24). Sie bezeichnet Schreiben, also „Gedanken, Wissen, Mitteilungen, Empfindungen, Erfahrungen, Erinnerungen aus dem Kopf aufs Papier zu bringen“ (ebd., S. 11), als Transformationsprozess. (Vgl. ebd.) Das Material des Transformationsprozesses sind dabei Muster (vgl. Dehn 2005, S. 13). Iris Kruse und Norbert Kruse (2007) stellen folgenden Zusammenhang zwischen dem Erwerb von Textkompetenz und dem Gebrauch sprachlicher Muster her: „Die Übernahme, Variation oder Transformation solcher Muster in die Struktur eigener Texte wird als Vorgang gesehen, der der Entwicklung von Textkompetenz dient“ (ebd., S. 30). In seinem Artikel Spracherwerb und Kinderliteratur (2011) stellt Jörg Meibauer u. a. die folgende These auf: „Kinderliteratur ist ein spezifischer Input im Spracherwerb. Eine Theorie des Spracherwerbs muss berücksichtigen, wie dieser Input den Erwerbsprozess beeinflusst.“ (Meibauer 2011, S. 9) Als Forschungsdesiderat fordert er die empirische Erforschung des Zusammenhangs „zwischen Spracherwerb und dem Erwerb von Kinderliteratur“ (ebd., S. 19) (vgl. ebd.).

Die eingangs zitierte Textpassage stammt aus einem mündlich produzierten Text vom Vorschulkind Emilia. Emilia wird zunächst das ihr bereits bekannte Bilderbuch Hase und Igel von Axel Scheffler vorgelesen. Anschließend „liest“ Emilia der oder dem Erwachsenen das Buch „vor“, obwohl sie selbst noch gar nicht lesen kann. Wie der Hase in ihrer Geschichte so tut, als wäre der Igel nicht da, so tut Emilia so, als würde sie das Bilderbuch vorlesen. Ähnlich wie im Konzept Texte und Kontexte findet in dieser Situation eine Textproduktion zu einem Text statt. In der kurzen Textpassage ist eine Herausforderung des Gebrauchs von Elementen konzeptioneller Schriftlichkeit durch die Aufgabe erkennbar. Des Weiteren lassen sich in der Textpassage formelhafter Sprachgebrauch und das Nutzen sprachlicher Versatzstücke aus einem weiteren Text beobachten. Emilia macht Gebrauch von der Zeitform Präteritum, „die für literarische Texte typische Form“ (Last et al. 2017, S. 19). Die Bildungen der Präteritumformen der starken Verben tun und rennen können dabei als Übergeneralisierungen bezeichnet werden. Zudem verwendet Emilia den Konjunktiv und bildet hypotaktische Satzkonstruktionen. Auch Musterhaftigkeit lässt sich an Emilias Textproduktion erkennen. Zum einen greift Emilia in dieser Textpassage auf das erzähltypische Muster3 der direkten Rede zurück. Dabei nutzt sie direkte Rede ohne Redebegleitsatz, während das Bilderbuch in diesem Kontext direkte Rede mit nachgestelltem Begleitsatz enthält. Zum anderen scheint Emilia zwei Variationen sprachlicher Muster zu kombinieren: Sie nutzt eine Variation des Phraseologismus wie aus der Kanone geschossen, der im Bilderbuch im gleichen Kontext vorkommt, und kombiniert diesen mit einer Variation des sprachlichen Musters so schnell, wie es geht, das im Bilderbuch nicht enthalten ist. Dieses Muster erfüllt die Funktion, die hohe Geschwindigkeit, mit der der Hase losrennt, zu betonen. Die Information, dass der Hase so tut, als sei der Igel gar nicht da, bringt Emilia mit einer hypotaktischen Satzkonstruktion zum Ausdruck, die das sprachliche Muster so tun, als ob enthält. Im Bilderbuch wird dieses sprachliche Muster in dieser Form nicht verwendet. Hier wird vermittelt, dass der Hase eine Wolke fragt, ob es losgehen kann, „als ob der Igel gar nicht da wäre“ (Scheffler 2017, 9. DS). Emilia bringt somit mit Hilfe des sprachlichen Musters so tun, als ob die Kernaussage dieses Satzgefüges zum Ausdruck. Die von Emilia genutzte Formulierung kann es losgehen? wird im Bilderbuch im gleichen Kontext verwendet und kann daher als sprachliches Muster bezeichnet werden. Auch das Muster ei:ns, zwei:, drei: ist sowohl in Emilias Text als auch im Bilderbuchtext enthalten.

Während Emilia zu einer solchen Textproduktion im Rahmen eines für die vorliegende Studie entwickelten Settings zur Durchführung einer Pretend-Reading-Situation herausgefordert wurde, lässt sich ein solches Verhalten auch bei einigen Kindern in ihrem privaten Umfeld beobachten. „For decades parents have reported that their young children ‘memorize books’ and act as if they are reading” (Sulzby 1988, S. 39). Dieser Vorgang, der auch als „emergent storybook reading“ (Sulzby 1985, S. 460) bekannt ist, wird von Ray Reutzel als eine frühe Form des Lesens bezeichnet (vgl. Reutzel 1995, S. 310). Nach Janice Beaty und Linda Pratt erproben Kinder beim Pretend Reading ihre Vorstellungen darüber, wie geschriebene Sprache funktioniert: „Children test their beliefs about how written language works by trying it themselves through imitation and play (e.g., pretend reading; scribble writing)” (Beaty/Pratt 2011, S. 7). Sascha Wittmer untersucht in seinem derzeitigen Forschungsvorhaben Transformationsprozesse beim Pretend Reading in der dritten Klasse mit gereimten Bilderbüchern. Anders als in Pretend-Reading-Situationen mit Vorschulkindern wurden im Rahmen dieser Studie die Texte der Bilderbücher, die von den Grundschulkindern im „Pretend Reading Modus“ (Merklinger/Wittmer 2018, S. 309) vorgelesen werden sollten, abgeklebt. Mit diesem Setting sollten die Kinder „stärker zu einem dekontextualisierten Sprachgebrauch herausgefordert werden“ (ebd., S. 311). (Vgl. dazu ebd.) Müller und Stark beschreiben den Forschungsstand zum Pretend Reading im Vorschulalter in Deutschland 2016 wie folgt: „[V]ery few studies exist that highlight the meaning of pretend reading for literacy learning” (Müller/Stark 2016, S. 1). Diese von Müller und Stark aufgezeigte Forschungslücke gilt es mit der vorliegenden Dissertation in gewissem Maße zu schließen.

In Anlehnung an Neuwegs Definition von implizitem Wissen als Wissen, „das in der praktischen Kompetenz einer Person […] zum Ausdruck kommt, das aber nicht oder nicht angemessen verbalisiert werden kann“ (Neuweg 2000, S. 198), zeigt sich in Emilias Textproduktion ihre Textkompetenz bzw. ihr Können. Die vorliegende Arbeit setzt sich zum Ziel, die Wissens- bzw. Bewusstseinstheorie Michael Polanyis, die von Neuweg in seinem Werk Könnerschaft und implizites Wissen (2004, 2020) aus vielen Werken Polanyis rekonstruiert wurde, mit der Textproduktion im Vorschulalter in Verbindung zu setzen.

Polanyis Werk fand und findet hauptsächlich im angloamerikanischen Sprachraum Resonanz. Erhellend ist hier der Hinweis, dass die bislang einzige Buchübersetzung ins Deutsche 1985 erfolgte […]. Erst von diesem Zeitpunkt an sind Bezugnahmen auf Polanyi im deutschen Sprachraum in nennenswertem Ausmaß feststellbar. […] Zwar verweisen die meisten Arbeiten, die sich mit dem Konzept des impliziten Wissens auseinandersetzten, auf Polanyi als Begriffsschöpfer. Eine Auseinandersetzung mit dem theoretischen und philosophischen Kontext, in den dieser Begriff bei Polanyi eingebettet ist, erfolgt jedoch kaum […]. (Neuweg 2020, S. 56)

Die der vorliegenden Studie zur frühen Textkompetenz zugrundeliegende Auffassung von Sprachlichkeit beschränkt sich nicht auf ein rein innersprachliches Modell von Sprache. Vielmehr spielt die Funktion von Texten eine entscheidende Rolle (vgl. dazu die textlinguistische Position Kirsten Adamziks (2004)). Mit der Sprache erwerben Kinder gleichzeitig „literale Basisqualifikationen“ (Ehlich 2007), die insbesondere in Form von implizitem Textwissen vorliegen. Ein Ziel der vorliegenden Studie besteht darin, Erkenntnisse für die Entwicklung von Sprachförderprogrammen zu gewinnen, die das implizite Textwissen von Kindern in den Blick nehmen und daran anknüpfen. In der Studie soll mit Hilfe von Pretend-Reading-Situationen Sprachproduktion in Form von monologischer Textproduktion angeregt werden. Dabei werden die Kinder nicht aufgefordert, den Inhalt des Bilderbuches zu erzählen, sondern das Bilderbuch vorzulesen. Als weiteres Ziel der Durchführung von Pretend-Reading-Situationen mit Vorschulkindern gilt, den Gebrauch impliziten Textwissens herauszufordern. Dieses schließt die Herausforderung des Nutzens konzeptionell schriftlicher Elemente mit ein. Folgenden zwei Forschungsfragen wird in der vorliegenden Arbeit nachgegangen:

1. Welches implizite Textwissen bzw. welches praktische Können (Neuweg 2000) im Hinblick auf monologische Textproduktion lässt sich durch Pretend-Reading-Situationen bei Vorschulkindern herausfordern?

Zur Beantwortung dieser Frage werden folgende Unterfragen berücksichtigt:

1.1. Wie organisieren Vorschulkinder einen Text? (Wie) gelingt Vorschulkindern eine monologische Textproduktion?

•(Mit welchen Mitteln) wird Kohärenz hergestellt?

•Was sind die Anker, die die Textproduktion stützen?

•Lässt sich Musterhaftigkeit in der Textproduktion erkennen? Welche Funktion erfüllen verwendete Muster für die Textproduktion?

•(Inwieweit) zeigt sich konzeptionelle Schriftlichkeit in der mündlichen Textproduktion?

1.2. Welche Bezüge sind zwischen der (sprachlichen) Gestaltung des Kindertextes und der des zuvor vorgelesenen Bilderbuches zu erkennen?

•Welche Elemente, insbesondere Muster, werden aus dem vorgelesenen Bilderbuch (in welcher Form, welchem Kontext und mit welcher Funktion) übernommen?

•Welchen Einfluss hat poetischer Sprachgebrauch auf die Übernahme und den Gebrauch sprachlicher Muster?

Die Anschlussfrage zur Sprachförderung im Vorschulalter lautet:

2. Eignet sich Pretend Reading als Methode zur Förderung literaler Textentwicklung im Vorschulalter?

An dieser Stelle sei bereits der Hinweis gegeben, dass Gedächtnisleistung, die vermutlich beim „Vorlesen“ eines bereits bekannten Bilderbuches durch ein Vorschulkind eine Rolle spielt, nicht Untersuchungsgegenstand der vorliegenden Studie ist.

Die Forschungsarbeit zur frühen Textkompetenz gliedert sich in einen ersten Teil, der sich mit dem theoretischen Rahmen und den kategorialen Bestimmungen der Untersuchung beschäftigt, und einen zweiten Teil zur empirischen Studie zur mündlichen Textproduktion von Vorschulkindern.

Das erste Kapitel des Theorieteils dient dazu, die Ausgangslage zur vorschulischen Sprachförderung in Deutschland darzustellen, kritisch zu beleuchten und im Zuge dessen die Forschungslücke aufzuzeigen. Die Darstellung des Forschungsstandes zum Erzählen im Vorschul- und Grundschulalter im zweiten Kapitel erfolgt unter besonderer Berücksichtigung von Ergebnissen zum Erzählen im Kindergartenalter sowie zum Gebrauch sprachlicher Versatzstücke und formelhafter Wendungen. Im dritten Kapitel wird der Blick auf die Textrezeption und die Textproduktion im Vorschulalter gerichtet. Anschließend wird im vierten Kapitel der Forschungsstand zum Pretend Reading dargestellt, wobei sowohl Studien aus dem angloamerikanischen als auch aus dem deutschsprachigen Raum berücksichtigt werden. Im fünften Kapitel wird der für die vorliegende Studie sehr zentrale Begriff Muster unter einer (text-)linguistischen und einer didaktischen Perspektive beleuchtet und das Verhältnis von Musterhaftigkeit bzw. Kreativität und Formelhaftigkeit (Stein 1995) thematisiert. Das Kapitel schließt mit einer Vorstellung des der vorliegenden Studie zugrundliegenden Musterbegriffes, der aus theoretischen Konzepten zur Musterhaftigkeit und am Material aus Pretend-Reading-Situationen in einem induktiv-deduktiven Verfahren entwickelt wurde. Das sechste Kapitel befasst sich mit implizitem Wissen und Lernen, dessen Kern die Übertragung der Theorie impliziten Wissens nach Polanyi auf den Textproduktionsprozess bildet. Im abschließenden siebten Kapitel des Theorieteils werden verschiedene didaktische Konzepte zum Vorschul- und Grundschulbereich vorgestellt, die Erkenntnisse zur Intertextualität sowie zum impliziten Erwerb von Musterwissen nutzen und didaktisch fruchtbar machen.

Der zweite Teil zur empirischen Studie beginnt im ersten Kapitel mit der Beschreibung der Forschungsidee. Kapitel zwei dient der Darstellung des Erhebungsverfahrens, der Datenaufbereitung und des Auswertungsverfahrens, wobei eine Beschreibung des Forschungsprozesses stattfindet. Das dritte Kapitel umfasst die Datenauswertung sowie die Darstellung der Ergebnisse. Das vierte Kapitel beinhaltet den Ertrag der Studie sowie die Diskussion der Ergebnisse.

1Der Name des Kindes wurde aus Datenschutzgründen geändert.

2Scheffler, Axel (2017): Hase und Igel. Weinheim, Basel: Beltz/Gelberg.

3Zum Verständnis von Musterhaftigkeit der vorliegenden Arbeit vgl. Kapitel I.5.7.

Teil I:Theoretischer Rahmen und kategoriale Bestimmungen der Untersuchung

1Sprachförderung, Schrift und Text

Inwiefern werden Schrift und Text in Sprachfördermaßnahmen und Förderkonzepten im Elementarbereich in Deutschland berücksichtigt und auf welche Weise wird das Medium Bilderbuch zur Sprachförderung eingesetzt? Diesen Fragen widmet sich das vorliegende Kapitel, indem nach einer Darstellung der Ausgangslage zur vorschulischen Sprachförderung in Deutschland exemplarisch unterschiedliche Konzepte zur alltagsintegrierten Sprachförderung diesbezüglich analysiert werden. Es gilt, die Forschungslücke im Bereich der vorschulischen Sprachförderung aufzuzeigen und somit das Forschungsinteresse der vorliegenden Studie zu verorten.

In Bilanz und Konzeptualisierung von strukturierter Forschung zu ‚Sprachdiagnostik und Sprachförderung‘ (2011) geben Angelika Redder, Knut Schwippert, Marcus Hasselhorn, Sabine Forschner, Detlef Fickermann und Konrad Ehlich einen Problemaufriss hinsichtlich der Sprachdiagnostik und Sprachförderung im vorschulischen und schulischen Bereich in Deutschland. Wie aus der Einleitung zur vorliegenden Studie hervorgeht, zählen der Bereich der Förderung von Sprachkompetenz im Elementarbereich sowie der Bereich der Förderung bildungsbenachteiligter Kinder unter besonderer Berücksichtigung von Kindern mit Migrationshintergrund zu den vom Kultusministerium als Reaktion auf die Ergebnisse von PISA festgelegten zentralen Handlungsfeldern (vgl. Redder et al. 2011, S. 6). Seit 2001 sind in allen deutschen Bundesländern Sprachstandsfeststellungsverfahren für Kinder im Vorschulalter eingeführt worden – und zwar in Verbindung mit Sprachfördermaßnahmen. Allerdings seien nach Redder et al. nur einige der Sprachstandsfeststellungsverfahren hinreichend wissenschaftlich fundiert und nur wenige der Sprachförderprogramme und -maßnahmen evaluiert. (Vgl. ebd.)

Redder et al. identifizieren drei zentrale Bedarfsfelder, „bei denen mit einem besonders hohen Wirkungsgrad erfolgreicher Fördermaßnahmen für den weiteren Verlauf der Bildungsbiographien gerechnet werden darf“ (ebd., S. 62). Eines der Bedarfsfelder ist „der Anstieg bildungsrelevanter Sprachdefizite im Vorschul- und Grundschulalter“ (ebd.). Da den frühen sprachlichen Fähigkeiten eine wichtige Bedeutung für den schulischen Erfolg zugeschrieben wird, wurden in mehreren Bundesländern Sprachstandserhebungsverfahren eingeführt, mit denen sogenannte „Risikokinder“, die eine besondere Förderung benötigen, ein bis zwei Jahre vor Schuleintritt identifiziert werden können. Insbesondere Kinder, die die deutsche Sprache noch nicht ausreichend beherrschen, sollen berücksichtigt werden.

Gezielte Sprachförderprogramme sollen beispielsweise zur Erweiterung des Wortschatzes, zur Verbesserung der Begriffsbildung, der syntaktischen Fähigkeiten und der Lautdiskriminationsfähigkeit beitragen, aber auch zur verbesserten Verfügbarkeit komplexerer sprachlicher Handlungsformen im schulischen Diskurs. (Ebd.)

Redder et al. (2011) heben die Bedeutsamkeit von konzeptioneller Schriftlichkeit und bildungssprachlicher Kompetenzen für eine erfolgreiche schulische Bildung hervor (vgl. ebd., S. 67). Als Konsequenz fordern sie eine (frühe) Förderung von Sprachkompetenzen, die in den Bereich konzeptioneller Schriftlichkeit fallen (vgl. ebd., S. 67f.). Bei der Beschreibung der Aneignung von Sprache stehen jedoch häufig Grammatik und Wortschatz im Vordergrund. „Auch die Aneignung der lautlichen Charakteristika der jeweiligen Sprache wird, häufig auf den Aspekt der Aussprache verkürzt, als Aneignungsaufgabe kleiner Kinder wahrgenommen“ (ebd., S. 97). Dabei ist die Aneignung von Sprache als komplexes Geschehen zu betrachten, „das weit mehr umfasst als die traditionell vor allem wahrgenommenen Bereiche der Phonologie, der Grammatik (Formenlehre/Morphologie und Satzlehre/Syntax) und der Lexik“ (ebd.). Kinder müssen neben den Formelementen einer Sprache auch lernen, wie sie durch sprachliches Handeln ein Ziel erreichen können. Für die erfolgreiche Sprachaneignung ist es wichtig, dass die unterschiedlichen Qualifikationen zusammenwirken und „zu einem umfassenden sprachlichen Handeln“ (ebd.) qualifizieren. (Vgl. ebd.)

Um dem „komplexen Sprachbegriff in der Charakterisierung der Sprachaneignung gerecht zu werden“ (ebd.) greifen Redder et al. als Referenzrahmen auf das in der Einleitung der vorliegenden Studie bereits erwähnte Konzept eines Qualifikationenfächers nach Ehlich et al. (2008) zurück, bei dem auch die Aneignung pragmatischer, diskursiver und literaler Kompetenzen berücksichtigt wird (vgl. Redder et al., S. 97). Insgesamt lassen sich acht Basisqualifikationen des Qualifikationsfächers unterscheiden: Die phonetische Basisqualifikation betrifft „Wahrnehmung, Unterscheidung und Produktion von Lauten, Silben und Wörtern sowie die Erfassung und zielsprachliche Produktion von übergreifenden intonatorischen Strukturen“ (ebd., S. 98) wie die Wort- oder die Äußerungsprosodie. Die pragmatische Basisqualifikation I umfasst den Erwerb elementarer sprachlicher Handlungsmuster und das Kennenlernen und Nutzen passender sprachlicher Mittel. Die semantische Basisqualifikation fokussiert die Wörteraneignung, die Begriffsbildung und darüber hinaus die Übertragung von Bedeutungen wie beispielsweise bei Metaphern und Redewendungen. Des Weiteren betrifft sie auch die Ermittlung von Satzbedeutungen. Die morphologisch-syntaktische Basisqualifikation fokussiert den Bereich der traditionellen Grammatik. Die diskursive Basisqualifikation umfasst „die Befähigung zum komplexen zweckgerichteten sprachlichen Handeln mit anderen“ (ebd., S. 99) sowie den Erwerb von Erzählfähigkeiten. Dieser beginnt mit etwa drei Jahren und entwickelt sich bis ins Schulalter hinein. Die pragmatische Basisqualifikation II bezieht sich auf die pragmatischen Kompetenzen der Kinder, die relevant werden, wenn sie in eine Bildungsinstitution eintreten. Ein wichtiger Schritt in der sprachlichen Entwicklung des Kindes ist es, angemessene sprachliche Mittel für die Verwendung in unterschiedlichen sozialen Wirklichkeitsbereichen zu erwerben. Die literale Basisqualifikation I bezieht sich auf präliterale Vorläuferfähigkeiten sowie den Eintritt der Kinder in die Schriftlichkeit. Sie fokussiert „das Erkennen und Produzieren von Schriftzeichen“ (ebd.), „die Umsetzung mündlicher Sprachprodukte in schriftliche und umgekehrt“ (ebd.) sowie „erste Erfahrungen mit Texten“ (ebd.). Diese Erfahrungen werden gemacht durch Vorlesen und Anschlusskommunikation, die das Vorgelesene aufgreift. Die literale Basisqualifikation II umfasst „das Erkennen und Nutzen orthographischer Strukturen beim Lesen und Schreiben“ (ebd.), aber auch auf den Aufbau von schriftlicher Textualität. Die Beschäftigung mit Schrift befördert auch die Entwicklung von Sprachbewusstheit, auf die sich die literale Basisqualifikation II ebenfalls bezieht. (Vgl. ebd.)

Aus der von Redder et al. erstellten Übersicht von Sprachstandserhebungsverfahren, die im Elementarbereich eingesetzt werden, geht hervor, welche der Basisqualifikationen die jeweiligen Verfahren fokussieren. Während sich 22 Sprachstandserhebungsverfahren auf die phonische Basisqualifikation, 17 auf die pragmatische Basisqualifikation I, 27 auf die semantische Basisqualifikation, 25 auf die morphologisch-syntaktische Basisqualifikation und elf auf die diskursive Basisqualifikation beziehen, nehmen lediglich vier Verfahren auf die pragmatische Basisqualifikation II (BEK, HAVAS 5, SELDAK, SISMIK) Bezug, drei Verfahren (BISC, SLDAK, SISMIK) auf die literale Basisqualifikation I und kein einziges Verfahren auf die literale Basisqualifikation II (vgl. ebd., S. 101f.).

Hinsichtlich der vorschulischen Förderung in Bayern und Hessen führte Wilfried Smidt im Rahmen der Forschungsgruppe BiKS4 eine Studie zur Art, dem Ausmaß und der pädagogischen Qualität von Förderung im vorschulischen Bereich durch. Dabei wurden 102 Kinder aus 51 Kindergartengruppen mit einem Time-Sampling-Verfahren beobachtet. Dies fand im ersten, zweiten und dritten Kindergartenjahr statt. (Vgl. Smidt 2013, S. 73) Smidt fasst Ergebnisse für den Bereich Sprache, Schrift, Kommunikation wie folgt zusammen:

Der Bereich ‚Sprache, Schrift, Kommunikation‘ wird vor allem von der Förderung sprachlicher Fähigkeiten mit einem Anteil von 60–70% der Beobachtungszeit dominiert, während beispielsweise die Förderung von (Vorläufer-) Formen des Lesens und Schreibens im ersten, zweiten und dritten Kindergartenjahr eine untergeordnete Rolle spielt. (Ebd., S. 75)

Heger, die in ihrer Studie Kinder auf dem Weg zum Schreiben (2018) der Forschungsfrage nachgeht, „über welche Kompetenzen Kinder im Übergang [Kindertageseinrichtung – Grundschule] bei der Bewältigung von Schreibaufgaben verfügen“ (Heger 2018, S. 7), formuliert im Rahmen ihres Überblicks über empirische Befunde zu schriftsprachlichen Kompetenzen mit Bezug auf die genannte Studie von Smidt: „Auf die Schriftsprache bezogene, spezifische Angebote scheinen im Kindergartenalltag eher die Ausnahme zu sein. Stärker fokussiert werden im Alltag der Kindertageseinrichtungen Förderangebote zur mündlichen Sprache.“ (Heger 2018, S. 42) Dabei wird diese Fokussierung nach Heger durch in Kindertageseinrichtungen durchgeführte Sprachstandserhebungen unterstützt. So lernen Kinder Sprache in der mündlichen Interaktion zu gebrauchen. (Vgl. ebd.)

Seit der ersten PISA-Studie haben Sprachförderprogramme im vorschulischen Bereich nach Wolfgang Schneider (2018) im deutschsprachigen Raum stark an Bedeutung gewonnen. Schneider klassifiziert die vielfältigen Ansätze, auf die derzeit zurückgegriffen wird (vgl. Schneider 2018, S. 53), und stellt Befunde aus verschiedenen Studien zur Wirksamkeit unterschiedlicher Sprachförderprogramme zusammen (vgl. ebd., S. 57–69). So lassen sich Sprachförderprogramme drei Gruppen zuordnen: allgemeine kompensatorische additive Sprachförderprogramme, spezifische additive Förderprogramme im Bereich „Literacy“ und alltagsintegrierte Sprachförderung in Kindertagesstätten (vgl. ebd., S. 56).

Zu den allgemeinen kompensatorischen additiven Sprachförderprogrammen gehören das Programm Sag mal was (2011), das in Baden-Württemberg eingesetzt wird, Deutsch für den Schulstart von Kaltenbacher und Klages (2007), Kon-Lab von Penner (2005), Sprachliche Frühförderung von Tracy (2003), Handlung und Sprache von Häuser und Jülisch (2006), das in Brandenburg zum Einsatz kommt, und das in Hessen verwendete Programm Deutsch-Sprachförderung vor der Schule von Sachse, Budde, Rinker und Groth (2012). (Vgl. Schneider 2018, S. 56)

Am meisten verbreitet scheinen nach Schneider strukturierte Förderprogramme zur „Emergent Literacy“ bzw. „zu schriftsprachrelevanten Vorläufermerkmalen wie etwa der phonologischen Bewusstheit“ (ebd., S. 56) zu sein. Der Gruppe der spezifischen additiven Förderprogramme im Bereich „Literacy“ ordnet Schneider das Programm Hören, lauschen, lernen I von Küspert und Schneider (2008) zu, das Programm Hören, lauschen, lernen II von Plume und Schneider (2004) sowie das Programm Lobo vom Globo von Fröhlich, Metz und Petermann (2009). (Vgl. Schneider 2018, S. 56)

Der Gruppe der alltagsintegrierten Sprachförderung in Kindertagesstätten wird das Programm Dialogisches Lesen5 von Ennemoser, Kuhl und Pepouna (2013/2015) sowie das Programm Heidelberger Trainingsprogramm zur frühen Sprachförderung in Kindertagesstätten von Buschmann et al. (2010) zugeordnet. (Vgl. Schneider 2018, S. 56) Bestandteil beider genannter Sprachförderprogramme ist die Methode Dialogic Reading.

Während Befunde zur Wirksamkeit von additiv-kompensatorischen Ansätzen, die sich auf Wortschatz und Satzverständnis beziehen, sowie Befunde zu alltagsintegrierten Ansätzen, die auf die Förderung von Wortschatz, Sprachverständnis und Sprechfreude abzielen, wenig nennenswerte Effekte erzielten, fallen Befunde zu additiven Programmen zur Förderung von schriftsprachrelevanten Merkmalen günstiger aus. (Vgl. ebd., S. 53) Hinsichtlich der Effekte spezifischer additiver Förderprogramme im Bereich der „Emergent Literacy“6 zeigen „die Befunde der internationalen und nationalen Metaanalysen zur Wirksamkeit der phonologischen Bewusstheit“ (ebd., S. 65), dass bei angemessener Implementierung und Umsetzung der Hinweise im Manual die „Fördermaßnahmen substanzielle Steigerung in dieser Kompetenz zur Folge haben“ (ebd.). Zudem lassen sich bei angemessener Implementierung des Trainings „moderate Transfereffekte auf das Rechtschreiben“ (ebd.) nachweisen sowie Effekte auf unterschiedliche Aspekte der Lesekompetenz. Für den Schriftspracherwerb konnte zwar ein positiver Effekt des phonologischen Bewusstseinstrainings nachgewiesen werden, jedoch betont Schneider (2018) mit Bezug auf seine frühere Publikation (2017), „dass die Förderung der phonologischen Bewusstheit lediglich ein Baustein innerhalb der Sprachförderung im Kindergarten“ (Schneider 2018, S. 65) sei. Ein Training der phonologischen Bewusstheit ersetze somit „nicht eine sprachliche Förderung in Alltagssituationen“ (ebd., S. 65), schlussfolgert Schneider.

Nach Sauerborn (2018) geht es bei dem von Schneider erwähnten Trainingsprogramm Hören, lauschen, lernen insbesondere darum, dass die lautanalytischen Fähigkeiten von Kindern trainiert werden. „Dies geschieht mit der Annahme, dass Kinder in der Schule für das Lesen erst Grapheme in Laute übersetzen und schließlich synthetisieren sollen und für das Schreiben Laute analysieren und dann in Grapheme übersetzen sollen“ (Sauerborn 2018, S. 67), ein Vorgehen, das als analytisch-synthetisches zu bezeichnen ist und der gängigen Modellierung des Schriftspracherwerbs entspricht. (Vgl. ebd.) Sauerborn betrachtet die Frage kritisch, ob es lediglich „um die Transformation der Zeichenketten gesprochener Sprache in Schrift und vice versa“ (ebd., S. 68) gehe und nennt Gründe, die dagegensprechen (vgl. ebd.). Ähnlich wie Schneider (2018) formuliert Sauerborn, dass Schriftspracherwerb mehr umfasst als diese Transformation. Trainings zur phonologischen Bewusstheit trainieren ausschließlich Teilaspekte der Verschriftungstechnik, ohne dass den Kindern das Ziel dieses Trainings bewusst gemacht wird. „Ohne Umgang mit Schrift können Kinder jedoch keine Vorstellung von den Möglichkeiten von Schriftlichkeit entwickeln“ (ebd.), so Sauerborn. Als weiterer Aspekt ist zu nennen, dass solche Trainingsprogramme zur phonologischen Bewusstheit nicht den Ausbau von konzeptioneller Schriftlichkeit unterstützen. Allerdings müssen Kinder „lernen, dass durch den speziellen Kontext von Schriftlichkeit, in der kein Kommunikationspartner vorhanden ist und non- und paraverbale Mittel fehlen, andere Formulierungen erforderlich sind als in der Mündlichkeit“ (ebd.). Diese Ausführungen Sauerborns verdeutlichen die Notwendigkeit, Kindern zur Sprachförderung den Umgang mit Schrift und Text zu ermöglichen (zur Darstellung der Studie Zur Bedeutung der Early Literacy für den Schriftspracherwerb (2018) vgl. Kapitel I.3.2 und I.3.4 der vorliegenden Studie).

Konzepte zur alltagsintegrierten Sprachförderung

Nach Schneider ist in den letzten Jahren „der Ruf nach alltagsintegrierter sprachlicher Förderung […] lauter geworden“ (Schneider 2018, S. 65), woraufhin mehrere Projekte gestartet wurden, um diese zu implementieren (vgl. ebd.). „Ein Grundprinzip der alltagsintegrierten Sprachförderung heißt: ‚Das Kind aktiv werden lassen‘, denn Sprechen lernt man nur durch Sprechen üben“ (Buschmann/Degitz/Sachse 2014, S. 418). Um aufzuzeigen, wie Schrift und Text sowie das Medium Bilderbuch in aktuellen Konzepten alltagsintegrierter Sprachförderung einbezogen werden, werden exemplarisch vier Konzeptionen in den Blick genommen: Das Fellbach-Konzept (2015), die alltagsintegrierte und dialogorientierte Sprachförderung nach Löffler und Vogt (2015), das Konzept Sprechen, Schreiben, Lesen – Kinder auf dem Weg zur Schrift (2011) der Kita Frankfurt und Überlegungen zur Sprachförderung von Ruberg und Rothweiler (2012), die Leitlinien zur Sprachförderung aufstellen und grundsätzliche Aspekte bei der Wahl und der Nutzung von Sprachfördermaterialien am Beispiel von Bilderbüchern thematisieren.

Das von Diemut Kucharz, Katja Mackowiak und Christine Beckerle (2015) vorgestellte Weiterbildungskonzept7 wurde für die Stadt Fellbach entwickelt (vgl. Kucharz/Mackowiak/Beckerle 2015, S. 8) und ist auch unter dem Namen Fellbach-Konzept bekannt (vgl. ebd., S. 13). Ziel war es, „ein durchgängiges Sprachförderkonzept für den Elementar- und Primarbereich zu entwickeln, durchzuführen und zu evaluieren“ (ebd., S. 13). Das Werk Alltagsintegrierte Sprachförderung. Ein Konzept zur Weiterqualifizierung in Kita und Grundschule (2015) beinhaltet sowohl theoretische Grundlagen als auch „Materialien, Übungen und Hinweise zur Durchführung von Weiterqualifizierungen von Erzieher/innen und Grundschullehrer/innen zur alltagsintegrierten Sprachförderung“ (ebd., S. 8). An der nun folgenden Darstellung der Prinzipien alltagsintegrierter Sprachförderung, an denen sich das Fellbach-Konzept orientiert, wird deutlich, dass Erzählen von Alltagserlebnissen gefördert wird. Im Zusammenhang mit dem Einsatz des Mediums Bilderbuch wird dialogische Sprachproduktion durch Gespräche über vorgelesene Geschichten herausgefordert. Während des dialogischen Vorlesens ist es nach Kucharz et al. leichter möglich, eine standardnahe Sprache zu verwenden. Zudem wird deutlich, dass die dem Konzept zugrundeliegenden Sprachfördertechniken auf die Förderung von Wortschatz und Syntax abzielen.

Alltagsintegrierte Sprachbildung und Sprachförderung kann als Gegenmodell zu der inszenierten Sprachförderung verstanden werden. Das Angebot der inszenierten Sprachförderung richtet sich dabei speziell an Kinder mit Sprachförderbedarf. Alltagsintegrierte Sprachförderung hingegen findet für alle Kinder statt und umfasst die ganze Kindergarten- und Grundschulzeit. Kucharz, Mackowiak und Beckerle (2015) verweisen auf die Unterscheidung von Schneider et al. (2012): Diese bezeichnen die inszenierte Sprachförderung als eigentliche Sprachförderung, während sie die alltagsintegrierte Sprachförderung als Sprachbildung betiteln. Im Sprachförderkonzept von Kucharz et al. werden Kinder mit und ohne Sprachförderbedarf gemeinsam und alltagsintegriert gefördert. Kucharz et al. siedeln die alltagsintegrierte Sprachförderung zwischen den beiden Polen „Sprachbad im Alltag“ (Kucharz/Mackowiak/Beckerle 2015, S. 94) (Immersion) und „systematische Sprachvermittlung“ (ebd., S. 95) an. (Vgl. ebd., S. 94–96) Als Prinzipien der alltagsintegrierten Sprachförderung sind Sprachvorbild und sprachförderliche Alltagsgestaltung zu nennen. „Die erwachsenen Bezugspersonen geben dem Kind mit ihrem Sprechen […] die Vorlage; sie fungieren als Sprachvorbild und bieten ihnen reichhaltigen Input auf den verschiedenen Sprachebenen an“ (ebd., S. 98). So dienen Erzieherinnen und Erzieher bzw. Lehrerinnen und Lehrer als Sprachvorbild. Damit Kinder an ihnen die Sprache lernen oder ihre Sprachkompetenz erweitern können, „ist eine möglichst umfassende und korrekte Sprache als Vorbild notwendig“ (ebd.), so die Autorengruppe. In alltagsintegrierter Sprachförderung verwenden Pädagoginnen und Pädagogen durch die Einbettung in alltägliche Situationen oft Umgangssprache. „Dies kann für Kinder problematisch sein, da sie aus dem Sprachangebot ihr Sprachwissen ableiten“ (ebd., S. 99). So zeigen beispielsweise die Studien von Landert (2007) und Gyger (2010), „dass die Nutzung der Standardsprache in Bildungseinrichtungen für Kinder am förderlichsten ist“ (Kucharz et al. 2015, S. 99). Mit Verweis auf Löffler (2003) betonen Kucharz et al. die Wichtigkeit, dass Kinder (insbesondere im Übergang Kindergarten – Grundschule) „den Unterschied zwischen Standardsprache und Umgangssprache bzw. Dialekt sowie deren unterschiedliche Verwendung je nach Situation kennenlernen“ (Kucharz et al. 2015, S. 99). Folglich sollten Erwachsene eine „möglichst korrekte Sprache nutzen und dabei bewusst nah an der Standardsprache mit den Kindern kommunizieren“ (ebd., S. 99), so Kucharz et al. mit Bezug auf Knapp/Kucharz/Gasteiger-Klicpera (2010) und Löffler (2011). (Vgl. Kucharz et al. 2015, S. 98f.) Es gibt verschiedene Situationen, um Gespräche mit Kindern zu führen: Erzählen von interessanten Erlebnissen, Wünsche äußern und eigene Deutungen bzw. Entdeckungen zu einer Bilderbuchgeschichte mitteilen. (Vgl. ebd., S. 99f.)

Gerade zur Förderung der Literalität eignen sich Gespräche über Bücher und Geschichten sowie das dialogische Vorlesen. Hier ist es leichter möglich, standardnahe und damit vorbildliche Sprache zu verwenden, aber auch situations spezifisch in Umgangssprache zu wechseln. (Kucharz et al. 2015, S. 100)

An dieser Stelle wird deutlich, dass Bilderbücher im Rahmen der alltagsintegrierten Sprachförderung als Anlass dienen können, miteinander ins Gespräch zu kommen.

Eine wesentliche Fördermethode besteht bei der alltagsintegrierten Sprachförderung in der Anwendung von Sprachfördertechniken (vgl. ebd., S. 14). Im Fellbach-Konzept wurden die drei Sprachfördertechniken korrektives Feedback, Modellierungs- sowie Stimulierungstechniken adaptiert. Ziel des korrektiven Feedbacks ist es, indirekt sprachliche Fehler der Kinder zu verbessern und sie zu ermutigen (ebd., S. 101). So wird eine fehlerhafte kindliche Äußerung in richtiger Weise wiederholt. (Vgl. ebd., S. 102f.)

Das korrektive Feedback kann bezüglich verschiedener Sprachebenen eingesetzt werden: bei fehlerhafter und unvollständiger Lautbildung (Phonologie), bei einem unvollständigen Satz oder fehlerhafter Satzstellung (Syntax), bei fehlenden oder falschen grammatischen Wortmarkierungen (Morphologie) oder bei fehlenden oder falsch verwendeten Wörtern (Lexik). (Ebd.)

In Bezug auf die lexikalische Ebene könnte ein korrektives Feedback folgendermaßen aussehen: „Kind: ‚Kannst du mir die Schuhe machen?‘ – Pädagog/in: ‚Ich kann dir die Schuhe zumachen/zubinden.‘“ (ebd., S. 103). (Vgl. ebd., S. 102f.)

Auch bei den Modellierungstechniken reagiert die Pädagogin bzw. der Pädagoge auf sprachliche Äußerungen des Kindes. Diese werden aufgegriffen und erweitert. Ziel hierbei ist zum einen, dass das Kind den verbesserten Satz hört und zum anderen, dass seine Äußerungen fortgeführt, also modelliert werden. Hier lassen sich drei Arten von Modellierungen unterscheiden, die jedoch oft auch in Verbindung miteinander verwendet werden: Die syntaktische Ergänzung, die morphologische Umformung und die semantische Erweiterung. Bei der syntaktischen Ergänzung werden einfache Sätze des Kindes zu komplexeren ergänzt oder aber unvollständige Sätze vervollständigt. Bei der morphologischen Umformung werden im Satz des Kindes grammatische Formen auf Wortebene verändert. Bei der semantischen Erweiterung geht es primär um die Erweiterung von Wortschatz und Satzverständnis. Es können neue Wörter zum Satz des Kindes hinzugefügt werden, Füllwörter durch präzise Wörter ersetzt werden. Durch zusätzliche inhaltliche Informationen kann auch die Bedeutung des vom Kind geäußerten Satzes erweitert werden. Welche Technik gewählt wird, hängt vom Sprachstand des jeweiligen Kindes ab sowie von der diagnostizierten Zone der nächsten Entwicklung (Wygotski). Kucharz et al. zeigen anhand einiger Beispiele, wie der Einsatz der Modellierungstechniken aussehen kann. Hierfür wählen sie eine Situation, in der ein Kind ein Bilderbuch betrachtet: „Sagt das Kind beim Betrachten eines Bilderbuches z. B. ‚Da ist eine Ente und da ist eine Ente‘, kann die Pädagogin/der Pädagoge erwidern: ‚Da sind zwei Enten‘ oder ‚Da schwimmen zwei Enten auf dem Teich.‘“ (ebd., S. 104). (Vgl. ebd., S. 103ff.)

Der Einsatz von Stimulierungstechniken verfolgt das Ziel, Kinder zum Sprechen anzuregen, wobei zwischen zwei Arten von Stimulierungstechniken unterschieden wird: Parallel-Talking und offene Fragen bzw. Impulse, die zum Sprechen animieren sollen. Parallel-Talking bietet Sprachmuster an, die vom Kind beim Sprechen verwendet werden können. Das Parallel-Talking wird insbesondere bei sehr jungen Kindern genutzt und bei solchen, die entweder Schwierigkeiten beim Erstspracherwerb haben oder aber sehr wenig Kenntnisse in ihrer Zweitsprache Deutsch haben. Diese Kinder wären überfordert, wenn sie zum Erzählen aufgefordert werden würden, da sie nicht über den dafür notwenigen Wortschatz sowie über die nötigen morpho-syntaktischen Strukturen verfügen. „Damit sie selbst Sprache produzieren können, brauchen sie ein Angebot an Satzmustern und geeigneten Wörtern, an denen sie sich orientieren können und die es ihnen erleichtern, die Strukturen der deutschen Sprache zu identifizieren“ (ebd., S. 106). Handlungen und Gefühle der Gesprächspartnerinnen und Gesprächspartner werden beim Parallel-Talking sprachlich begleitet. Kucharz et al. illustrieren diese Technik mit folgendem Beispiel: „Das Kind zieht seine Jacke an. Sprachliche Begleitung durch die Pädagogin: ‚Du ziehst deine Jacke an. Danach ziehst du die Hausschuhe aus und deine Stiefel an. Möchtest du noch deine Mütze anziehen oder lieber deine Handschuhe?‘“ (ebd.). So hört das Kind mehrfach „einfache Satzbildungen mit dem Verb ‚anziehen‘“ (ebd.). Jedes Mal wurde die Verbklammer genutzt. Um die Frage am Schluss zu beantworten, hat das Kind ein Satzmuster erhalten, welches es nutzen kann. Die Form, offene Fragen zu stellen, ist für Kinder geeignet, die von sich aus nicht viel sprechen. „Impulse dieser Art können lauten: ‚Erzähl mal …‘ oder durch eine offene Frage erfolgen, z. B. ‚Wie fühlt sich das Kind auf dem Bild wohl?‘“ (Kucharz et al. 2015, S. 107). (Vgl. ebd., S. 106ff.)

Anstoß für das Forschungsprojekt Sprachförderung im Alltag von Spielgruppe, Kita und Kindergarten (Sprima) gab die Frage, wie die Integration von Sprachförderung in den Alltag – als Alternative zu Sprachförderprogrammen – unterstützt werden kann. Im Rahmen dieses Projektes entstand Löffler und Vogts Werk Strategien der Sprachförderung im Kita-Alltag, ein „Praxisbuch, für alle, die Sprachförderung zu ihren Aufgaben zählen“ (Löffler/Vogt 2015, S. 7.). (Vgl. ebd.) Die vier folgenden Strategien zur Sprachförderung beziehen den Umgang mit Texten (z. B. Bilderbücher) oder Schrift ein. Die Strategien sind auf mündliche Kommunikation, Wortschatzerweiterung und den Erwerb syntaktischer Strukturen ausgerichtet. Bilderbücher dienen als Erzählimpuls, Bildimpuls, Informationsquelle und als Anregung für dialogisch angelegte Sprachproduktion.

Die von Franziska Vogt und Bea Zumwald vorgestellte Strategie Im Dialog mit Kindern (vgl. ebd., S. 42–49) wird am Beispiel eines Gesprächs erläutert, das während des Vorlesens eines Bilderbuches entsteht. Hierbei äußert ein Junge eine Beobachtung zu einem Tier aus seinem Alltag. Dies führt dazu, dass die frühpädagogische Fachperson die Bildbetrachtung unterbricht, auf den Beitrag des Jungen eingeht, das Gespräch um einen Aspekt erweitert und das Thema durch das Erzählen von einem eigenen Erlebnis weiterführt. Bei dieser Strategie sollen Kinder nicht nur erzählen, sondern zum Denken herausgefordert werden. Es geht darum, im Gespräch Gedanken zu entwickeln. „Die Dialoge entstehen aus Momenten im Alltag“ (ebd., S. 45). Themen der Kinder werden wahrgenommen und in einen längeren Dialog vertieft. (Vgl. ebd., S. 43–45) Auf diese Strategie kann somit auch bei der Arbeit mit einem Bilderbuch zurückgegriffen werden. Dabei ist die Sprachförderung, wie der Titel der Strategie bereits verrät, dialogisch angelegt.

In der von Nadine Itel und Andrea Haid dargestellten Strategie Schritt für Schritt den Wortschatz fördern (vgl. ebd., S. 50–58) gilt es, Themen der Kinder aufzugreifen und sprachlich anzureichern. Itel und Haid stellen mit Bezug auf Glück (2003) und Siegmüller und Kauschke (2006) für das Erlernen neuer Wörter drei Erwerbsphasen vor: In der ersten Erwerbsphase (Phase des Anbietens) lernt ein Kind ein neues Wort kennen, in der zweiten Erwerbsphase (Phase des Erarbeitens) lernt es die Bedeutung des neuen Wortes, während es in der dritten Phase (Phase des Festigens) das Wort längerfristig abspeichert. Nach dem Durchlaufen dieser drei Phasen ist die Wortschatzerweiterung jedoch noch nicht abgeschlossen: Das Kind benötigt weitere Gelegenheiten, das Wort selbstständig zu verwenden. „Dies ermöglicht den Übergang von der rezeptiven (Kind kennt das Wort) auf die produktive (Kind sagt das Wort) Ebene der Wortschatzerweiterung“ (ebd., S. 52). (Vgl. Löffler/Vogt 2015, S. 52) Als weiterführenden Fördervorschlag zur langfristigen Abspeicherung eines neuen Wortes nennen Itel und Haid auch den Einsatz eines Buches. Sie bezeichnen den Einsatz von Bildmedien als wertvolle Möglichkeit, „um eingeführte Begriffe mit weiteren Informationen anzureichern“ (ebd., S. 57). Der Einsatz eines Bildes zur Anreicherung kann im Gespräch mit den Kindern zu weiteren Fragen führen, auf die eingegangen werden kann. (Vgl. ebd.) In dieser Strategie zur Wortschatzerweiterung wird der Einsatz eines Bilderbuches vorgeschlagen, wobei das Bildmaterial und die Kommunikation über den eingeführten Begriff im Zentrum zu stehen scheint.

Cordula Löffler und Nadine Itel unterscheiden in ihrer Strategie Sprache modellieren zwischen drei Modellierungstechniken: Solche, die einer kindlichen Sprachäußerung vorausgehen, solche die ihr nachfolgen und korrektives Feedback (vgl. ebd., S. 59–69). Einer kindlichen Äußerung vorausgehende Modellierungstechniken dienen dazu, das Kind zum Sprechen zu motivieren und ihm modellhafte Äußerungen zu präsentieren (vgl. ebd., S. 61). Dazu gehört zum Beispiel die gehäufte Einführung einer neuen sprachlichen Zielstruktur wie Adjektivendungen („Das ist ein ganz schönes Pferd. Hast denn du schon mal ein richtiges Pferd [Hervorheb. im Original] gesehen?“ (Ebd.)). Mit den einer kindlichen Äußerung nachfolgenden Modellierungstechniken werden Kindern gezielte und unmittelbare Rückmeldungen gegeben, wozu u. a. die Vervollständigung eines vom Kind geäußerten Satzes (Expansion) zählt. (Vgl. ebd., S. 62) Die verbesserte Wiederholung bzw. das korrektive Feedback (vgl. ebd.) kann sich auf Laute, Wortschatz und Grammatik beziehen (vgl. ebd., S. 63). Löffler und Itel illustrieren die Strategie Sprache modellieren u. a. am Beispiel eines Mädchens, das von ihrem Geburtstag erzählt, wobei auffällt, dass ihr Vergangenheitsformen noch Mühe bereiten und wichtige Funktionswörter von ihr ausgelassen werden (vgl. ebd. S. 65). Als weiterführender Fördervorschlag wird die Arbeit mit einem Bilderbuch zur Vertiefung des mündlich bereits thematisierten Themas Geburtstag genannt: „Die detailreich gestalteten Bilder der Geschichte […] regen zum Beobachten und Erzählen an“ (ebd., S. 68), wodurch das Mädchen neuen Input zum Thema Geburtstag bekommen kann, und erleichtern das Erzählen vom eigenen Geburtstagskuchen. Dabei kann die Frühpädagogin die Äußerungen des Kindes modellieren. (Vgl. ebd.) Auffällig ist, dass wie bei der Strategie Schritt für Schritt den Wortschatz fördern das Bildmaterial hervorgehoben wird. Dieses soll dem Kind als Erzählimpuls dienen.

Bei der von Mandy Schönfelder präsentierten Strategie Den Spracherwerb mit Fragen fördern und begleiten (vgl. ebd., S. 70–77) werden Kinder durch Fragen angeregt, eigene Gedanken zu entwickeln und sprachliche Äußerungen zu formulieren. Dabei kann es angemessen sein „je nach Sprachstand […] alle Frageformen in eine wirksame Förderstrategie zu integrieren“ (ebd., S. 70). Es wird zwischen drei stimulierenden Fragetypen unterschieden: Entscheidungsfrage, Ergänzungsfrage (oder W-Frage) und Wahl- oder Alternativfrage. (Vgl. ebd.) Diese Unterteilung geht auf Altmann zurück (vgl. Altmann 1993, S. 1007ff.). Schönfelder illustriert die Strategie anhand einer gemeinsamen Bilderbuchsituation zwischen einem Kind und einem Erwachsenen. Das Bilderbuch Puh der Bär wird gemeinsam betrachtet und die frühpädagogische Fachperson setzt verschiedene Fragetypen ein. Sie stellt beispielsweise die Ergänzungsfrage „Was ist denn Pu für ein Tier?“ (Löffler/Vogt 2015, S. 72), mit der ein einzelnes Wort aktiviert wird. (Vgl. ebd., S. 71–73) Festzuhalten sei, dass die Sprachförderung unter Einsatz eines Bilderbuches dialogorientiert und nicht monologisch angelegt ist.

In der Broschüre Sprechen, Schreiben, Lesen – Kinder auf dem Weg zur Schrift (2011) stellt Aline Lenel8 ein Konzept vor, in dem Literacy in den Blick genommen wird.

Jede Textart hat ihr typisches Aussehen. Diese unterschiedlichen Strukturen nehmen Kinder sehr früh wahr. Erhalten sie Gelegenheit, ahmen sie die Formate nach. Dabei entwickeln sie ein Wissen von der angemessenen Anordnung der Schrift auf dem Papier. (Ebd., S. 16)

So werden im Kapitel Erstes Textwissen „Aktivitäten vorgestellt, in denen Kinder Layouts von unterschiedlichen Texten herstellen“ (ebd.). Sie verfassen ohne Buchstaben Texte verschiedener Textsorten (z. B. Briefe, Rezepte, Listen, Kalendereinträge) und bemerken dabei Lücken (z. B. zwischen Überschrift und Text, zwischen Absätzen etc.). Obwohl sich Kinder mit der äußeren Form von Texten beschäftigen, steht doch „der eigentliche Sinn des Schreibens, nämlich die Mitteilung an eine andere Person“ (ebd., S. 16), bei vielen dieser Aktivitäten im Vordergrund: „Die Adressatenorientierung ist das Motiv jeder schriftlichen Äußerung und bestimmt ihre Form“ (ebd.). Das Kapitel beinhaltet sieben Erfahrungsberichte zum Umgang mit Texten, die insbesondere die Textsorten Brief und Zeitung thematisieren: Geheimnisse in Briefumschlägen von Iman Afif (vgl. ebd., S. 17), Die Schrift-Schatzkiste von Christina Hoede (vgl. ebd., S. 18), Die mobile Briefkiste von Katrin Schulze (vgl. ebd., S. 19f.), Briefkästen für alle von Christina Hoede (vgl. ebd., S. 21), Briefe an ein krankes Kind von Erika Horlacher (vgl. ebd., S. 22f.), Der Postweg von Erika Horlacher (vgl. ebd., S. 24f.) und Wandzeitung über die Erlebnisse der Waldwoche von Astrid Appel (vgl. ebd., S. 26f.).

„Immer wieder fiel der Erzieherin auf: Wenn sie etwas schrieb, nahmen auch die Kinder Papier und Bleistift zur Hand und fingen an zu schreiben“ (ebd., S. 18), so berichtet Hoede im Erfahrungsbericht zur Schrift-Schatzkiste. Um das vorhandene Interesse der Kinder zu nutzen und ihnen mehr Schrifterfahrung zu ermöglichen, stellte die Erzieherin ihnen besseres Schreibmaterial zur Verfügung, z. B. Postkarten, Lottoscheine und Schulhefte. Diese Utensilien kamen in eine Lebkuchenkiste, eine Schreibschatzkiste. Diese wurde dadurch, dass die Kinder erst fragen mussten, bevor sie sie bekamen, „begehrenswert und kostbar“ (ebd.). Gemeinsam wurde beschlossen, Briefkästen zu bauen. Teilweise schrieben die Kinder Briefe. „Andere wiederum machen lieber ‚Hausaufgaben‘ und schreiben in ihre Schulhefte, wobei sie ihre älteren Geschwister nachahmen“ (ebd.). (Vgl. ebd.) Deutlich wird bei diesem Erfahrungsbericht die Bedeutsamkeit eines Vorbildes, das die Kinder beobachten und nachahmen – sei es die schreibende Erzieherin oder ein älteres Geschwisterkind.

Im Gegensatz zu sechs Erfahrungsberichten, die sich mit dem Verfassen von Briefen beschäftigen, berichtet Astrid Appel über das Erstellen einer Wandzeitung zu den Erlebnissen der Kinder bei der Frankfurter Waldwoche. Anhand von Illustrierten und Zeitungen sprachen die Kinder „über deren Aufbau und unterschieden die verschiedenen Elemente Titel, Fließtext und Bild voneinander“ (ebd., S. 26). In Kleingruppen sollte jeweils über einen Tag der Frankfurter Waldwoche berichtet werden. Es kam zu unterschiedlichen Herangehensweisen und auch Ergebnissen. Die Kinder erstellten Zeichnungen, schnitten Wörter aus, schrieben Wörter ab oder druckten. Unter Rückgriff auf die Anlauttabelle wurden auch Sätze und kleinere Texte geschrieben. Teilweise wurde auf Informationen aus Büchern zurückgegriffen. (Vgl. ebd., S. 26f.) Wie beim Verfassen der Briefe spielt auch bei diesem Erfahrungsbericht ein Vorbild eine Rolle. Zwar handelt es sich um keine Person, die die Kinder imitieren, jedoch werden die Kinder vor ihrer Arbeit mit der Textsorte Zeitungsartikel vertraut gemacht, indem sie Beispiele ansehen und über deren Merkmale sprechen.

Die Aktivitäten aus dem Kapitel Handlungskonzepte vom Lesen und Schreiben ermöglichen den Kindern, „sich selbst als Schreiber und Leser zu entwickeln“ (Lenel 2011, S. 30). Es werden in der Kita Räume geschaffen, „in denen Kinder Lesen und Schreiben als selbst- und lustbestimmte Tätigkeiten erleben können“ (ebd.). Zunächst müssen sie die Möglichkeit bekommen, Scheiber und Leser zu beobachten. Hierbei können sie z. B. beobachten, wie ein Buch gehalten wird. „Schriftbeherrschung macht selbstständig – Neugier und der Wunsch nach Freiheit und Autonomie motiviert zum Schrifterwerb“ (ebd.). Lenel betont an dieser Stelle die Notwendigkeit des Vorbildcharakters: „Zur Ausbildung dieses Wunsches benötigen Kinder Vorbilder“ (ebd.). Der Erfahrungsbericht von Astrid Walter zum Thema Schreibbüro (vgl. dazu ebd., S. 35) zielt auf die Förderung von Textkompetenz ab. Zunächst setzte sich die Erzieherin an einen Tisch und verfasste Antworten auf Briefe und Postkarten. Diese Tätigkeit führte zu Nachfragen der Kinder. Daraufhin bot sie den Kindern „ihren Dienst als ‚Schreibmaschine‘“ (ebd., S. 35) an, damit die Kinder auch Briefe an ihre Eltern, Großeltern und anderen Verwandten verfassen konnten, die letztendlich gemeinsam in den Briefkasten eingeworfen wurden. (Vgl. ebd.) Zum Diktieren der Briefe durch die Kinder schreibt Astrid Walter Folgendes:

Die Sätze der Kinder verbesserte […] [die Erzieherin] nicht. Im Gegenteil fiel ihr auf, dass die Kinder beim Diktieren bewusst nach besonderen Worten suchten. Sie gaben sich auch große Mühe beim Worten vollständiger Sätze. (Ebd.)

An diesen Beobachtungen wird deutlich, dass durch ein solches Setting scheinbar zu einem gewissen Grad Schriftsprachlichkeit (z. B. das Bilden vollständiger Sätze und die Suche nach besonderen Worten) herausgefordert werden kann.9

Der Erfahrungsbericht von Magdalene Stenger widmet sich dem Thema Bilderbücher vorlesen (vgl. ebd. S. 31f.). Gemeinsam wurde ein Leseprojekt durchgeführt. Dazu wurden Lese-Ecken in den Gruppenräumen eingerichtet. Hier gab es auch die Möglichkeit, Bücher auszuleihen. Mit den Kindern wurden regelmäßige Treffen zum Lesen vereinbart (Ritualisierung). Vor dem Vorlesen fand eine Abstimmung darüber statt, welches Buch vorgelesen werden sollte. Magdalene Stenger stellt drei Methoden vor, die beim Vorlesen des Buches genutzt werden können: Gestaltendes Vorlesen mit gemeinsamer Betrachtung des Bilderbuches, Erzählen zum Bilderbuch, bei dem sich die Erzieherin oder der Erzieher am Sprachniveau der Kinder orientieren kann sowie die dialogorientierte Bilderbuchbetrachtung, z. B. mit Hilfe einer Handpuppe. Bei der dritten Methode soll durch Impulse und Fragen von der Vorleserin oder dem Vorleser oder alternativ der Handpuppe die sprachliche Beteiligung der zuhörenden Kinder herausgefordert werden. Alle drei Methoden können Denkprozesse und Fantasie anregen. Kinder können lernen, ihre eigenen Gefühle wahrzunehmen und sich mit anderen zu identifizieren. „Gefördert werden das soziale Einfühlungsvermögen, das Gefühl für Sprache und ihre Ausdrucksmöglichkeiten sowie das Verständnis von Satzstrukturen. Nebenbei wird auf diese Weise auch der Wortschatz der Kinder erweitert“ (ebd., S. 32). Sprachförderung zielt hier auf Syntax und Wortschatz ab. Zusätzlich kann auch das Sprachgefühl und ein Gefühl für Ausdrucksmöglichkeiten gefördert werden. Explizit wird jedoch nicht die Förderung des Wissens über Texte angesprochen.

In ihrem Werk Spracherwerb und Sprachförderung in der Kita (2012) stellen Tobias Ruberg und Monika Rothweiler Leitlinien der Sprachförderung auf, die zur Bewertung sowohl von Sprachförderprogrammen als auch Sprachfördermaterialien dienen können (vgl. Ruberg/Rothweiler 2012, S. 152–156; zu einer genauen Beschreibung der Leitlinien vgl. Ruberg/Rothweiler 2012, S. 45–49). Exemplarisch sei auf fünf ausgewählte Leitlinien hingewiesen. So besagt Leitlinie 1, dass Sprachförderung in Situationen erfolgt, „in denen Kinder Sprache als Instrument zum Erreichen persönlicher Ziele einsetzen können“ (ebd., S. 152). Zudem geschieht sie nach Leitlinie 2 „in Situationen, die zum Sprechen anregen und inhaltlich und thematisch an der Lebenswelt der Kinder anknüpfen“(ebd.). Der natürliche Entwicklungsverlauf dient als Orientierung für die Sprachförderung. Daher werden gemäß Leitlinie 4 die Förderziele nach dem Prinzip der Entwicklungsproximalität ausgewählt. Dabei erfolgt die entwicklungsproximale Förderung nach Leitlinie 5 strukturzentriert. (Vgl. ebd.)

Kinder sind in der Lage, sich aus dem sprachlichen Angebot, das sie in natürlichen Kommunikationssituationen erhalten, genau das herauszuholen, was sie für den nächsten Entwicklungsschritt benötigen. Im Hinblick auf Sprachförderung ist zunächst einmal wichtig, einem Kind auch genau die Informationen zur Verfügung zu stellen, die es gerade benötigt. (Ebd., S. 48)

Nach Leitlinie 6 nutzt Sprachförderung „implizite Sprachlehrstrategien in natürlichen Kommunikationssituationen“ (ebd., S. 152). Dem funktionalen Gebrauch von Sprache, dem Lebensweltbezug und impliziten Lernen kommt somit für die Sprachförderung eine hohe Bedeutung zu. Es geht im Grunde darum, das Kind zum Sprechen anzuregen und in der Zone der nächsten Entwicklung (Wygotski) handeln zu lassen.

Dabei kann jedes Material als Sprachfördermaterial bezeichnet werden, „das in der Sprachförderung eingesetzt werden kann“ (ebd., S. 156). Dies gilt auch für Bilderbücher. Ihr sprachförderliches Potenzial entfaltet sich „erst in der Kommunikation über das Buch“ (ebd., S. 157). Ohne (sprachliche) Interaktion ist sprachlicher Input unzureichend für den kindlichen Spracherwerb. Gemäß der Leitlinien 1 und 2 muss das sprachliche Material, das dem Kind in einer Vorlesesituation angeboten wird, „in natürlichen Kommunikationssituationen aufbereitet werden, die von dem Kind als bedeutsam erlebt werden und einen konkreten Handlungsbezug aufweisen“ (ebd., S. 157). Nur dann wird sich ein echtes Gespräch entwickeln, wenn das Kind die Möglichkeit hat, „mit seinen persönlichen Erfahrungen an die Handlung des Buches an[zu]knüpfen“ (ebd.) und wenn es in das Gespräch diese persönlichen Erfahrungen einbringen kann. Gelingt es der Sprachförderkraft, mit Kindern ins Gespräch über das Buch zu kommen und dabei implizite Sprachlehrstrategien einzusetzen, wird der in Leitlinie 6 geforderte Einsatz impliziter Lehrmethoden nach Ruberg und Rothweiler erfüllt. „Die Anwendung von Sprachlehrstrategien erfolgt jedoch nicht beim Vorlesen selbst, sondern während der Kommunikationsphasen, die das Betrachten des Bilderbuchs begleiten“ (ebd.). Die gemeinsame Bilderbuchbetrachtung wurde unter der Bezeichnung Dialogic Reading (dialogische Bilderbuchbetrachtung) von Whitehurst et al. (1988) erstmals zu einer Sprachfördermethode weiterentwickelt. (Vgl. ebd., S. 157) Ruberg und Rothweiler (2012) stellen die grundlegenden Techniken des Dialogic Reading (nach Arnold/Lonigan/Whitehurst 1998) zusammen. Dazu gehört der Einsatz von Was-Fragen, um das Kind zum Sprechen anzuregen, das Stellen weiterer Fragen, nachdem das Kind eine Antwort gegeben hat und das Wiederholen korrekter Antworten des Kindes zur Bestärkung und um zu signalisieren, dass die Antwort richtig war. Zudem sollte von der erwachsenen Person ein Modell einer guten Antwort gegeben werden, auf das das Kind bei der eigenen Sprachproduktion zurückgreifen kann. Ebenfalls relevant sind das Wiederholen kindlicher Antworten, wobei diese durch Zusatzinformationen erweitert werden, und das Stellen offener Fragen, um komplexere Antworten herauszufordern. (Vgl. Ruberg/Rothweiler 2012, S. 157f.) Ruberg und Rothweiler verweisen auf den in unterschiedlichen Studien10 bestätigten förderlichen Effekt des Dialogic Reading auf den kindlichen Spracherwerb und betonen, dass sich signifikante Effekte insbesondere beim Wortschatzumfang zeigen. Des Weiteren nehmen Ruberg und Rothweiler auf den zu jenem Zeitpunkt nicht erfassten Einfluss des Dialogic Readings auf die semantische Entwicklung Bezug und erwähnen zudem den Grammatikerwerb: „Ob sich durch dialogische Vorlesesituationen auch der Grammatikerwerb fördern lässt, ist bislang nicht eindeutig belegt“ (ebd., S. 158). Diese Ausführungen machen deutlich, dass die Forscher die Förderung von Wortschatz, Semantik und Grammatik in den Blick nehmen, jedoch Dialogic Reading nicht als Methode zur Förderung von Textkompetenz in Betracht zu ziehen scheinen. Diesen Eindruck bestätigen konkrete Überlegungen von Ruberg und Rothweiler zum Einsatz des Bilderbuches als Sprachfördermaterial.

Entsprechend der Leitlinie 5, die besagt, dass die Umsetzung einer entwicklungsproximalen Förderung strukturzentriert erfolgen soll, sollte ein Bilderbuch „Impulse für den Gebrauch solcher sprachlicher Strukturen bieten, die für ein Kind in der Zone der nächsten Entwicklung liegen“ (ebd.). Dazu ist es nötig zu analysieren, „für welche sprachlichen Strukturen sich beim Betrachten unterschiedlicher Bilderbücher Kontexte bieten“ (ebd., S. 159). Exemplarisch verdeutlichen die Autoren an einem Textausschnitt aus dem Bilderbuch Von Kopf und Fuß (1997) von Carle,11 dass sich die in diesem Buch angebotenen Sätze in besonderer Weise für den Erwerb der Hauptsatzstruktur eigenen: „Ich bin ein Seehund und klatsche in die Hände. Kannst du das auch? Das kann ich auch! […] Ich bin eine Katze und mache einen Buckel. Kannst du das auch? Das kann ich!“ (Carle 1997, zit. n. Ruberg/Rothweiler 2012, S. 159) In dem vorgestellten Textausschnitt findet eine Kontrastierung unterschiedlicher Flexionsformen des Verbs können statt. So erhält das Kind die Möglichkeit, Kongruenzmerkmale und ihre morphologische Markierung am Verb durch einen Vergleich der Verbformen zu identifizieren. (Vgl. Ruberg/Rothweiler 2012, S. 159) Die Überlegungen, die die Autoren zu verschiedenen Bilderbüchern anstellen, legen den Fokus auf den Erwerb grammatischer Strukturen und die Wortschatzerweiterung (vgl. ebd., S. 159–161). Ruberg und Rothweiler geben den allgemeinen Hinweis, das Sprachfördermaterial vor dem Einsatz hinsichtlich sprachlicher Strukturen zu betrachten: „Welchen Wortschatz bietet das Material an? Welche Aspekte von Sprache werden besonders deutlich? Welche sprachlichen Strukturen treten besonders häufig und kontrastreich auf?“ (Ebd., S. 162)

Während Ruberg und Rothweiler ihr Augenmerk auf den Erwerb sprachlicher Strukturen setzten, wird in der vorliegenden Studie der Fokus darauf gelegt, solche Strukturen innerhalb eines Textes funktional einzusetzen, wobei es um die Herstellung von Textualität und Bildung von Kohärenz geht. Dies zielt – im Gegensatz zu dem vorgestellten Einsatz des Bilderbuches als Sprachfördermaterial – nicht primär auf die Förderung von Wortschatz und Syntax ab, sondern auf die Förderung von Textkompetenz.

In ihrem Abschlusskapitel