Pretty Venom - Ella Fields - E-Book

Pretty Venom E-Book

Ella Fields

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Beschreibung

"Was tust du, wenn außer Liebe nichts mehr übrig ist?" Callum Welsh hatte die Kunst, mich zu hassen, bereits perfektioniert, als wir noch Kinder waren und dachten unsere Eltern würden uns früher oder später aus wirtschaftlichen Gründen gemeinsam vor den Traualtar zwingen. Er dachte, mir würde es gefallen, aber ich habe mir nur gewünscht, dass er mich in Ruhe lässt.  Bis er mir eines Nachmittags meinen ersten Kuss stahl.  Und trotz allem, was bis dahin geschehen war, war danach nichts mehr wie zuvor. Mit den Jahren schmolz das Eis um unsere Herzen und er hasste mich nicht mehr. Er liebte mich sogar genug um mich zu heiraten.   Bis ich einen dämlichen Fehler machte und alles ruinierte.  Der Hass kam zurück. Mit bösen Worten und noch schlimmeren Taten. Aber wir waren keine Kinder mehr. Ich konnte sein Gift ertragen.  Er würde wieder zu mir gehören, selbst wenn es mich die Reste meines gebrochenen Herzens kosten würde.

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Seitenzahl: 528

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Pretty Venom

Die Autorin

Ella Fields ist Mutter und Ehefrau und lebt in Australien. Während ihre Kinder in der Schule sind, trifft man sie meistens, wie sie mit ihrer Katze Bert und ihrem Hund Grub über ihre Figuren und Bücher spricht. Sie ist schokoladensüchtig und eine unverbesserliche Sammlerin schöner Notizbücher. Sie liebt es, Stories mit hart erarbeiteten Happy Ends zu schreiben.

Das Buch

Callum Welsh hatte die Kunst, mich zu hassen, bereits perfektioniert, als wir noch Kinder waren und dachten unsere Eltern würden uns früher oder später aus wirtschaftlichen Gründen gemeinsam vor den Traualtar zwingen. Er dachte, mir würde es gefallen, aber ich habe mir nur gewünscht, dass er mich in Ruhe lässt. Bis er mir eines Nachmittags meinen ersten Kuss stahl. Und trotz allem, was bis dahin geschehen war, war danach nichts mehr wie zuvor.

Mit den Jahren schmolz das Eis um unsere Herzen und er hasste mich nicht mehr. Er liebte mich sogar genug um mich zu heiraten. Bis ich einen dämlichen Fehler machte und alles ruinierte.

Der Hass kam zurück. Mit bösen Worten und noch schlimmeren Taten. Aber wir waren keine Kinder mehr. Ich konnte sein Gift ertragen. Er würde wieder zu mir gehören, selbst wenn es mich die Reste meines gebrochenen Herzens kosten würde.

Ella Fields

Pretty Venom

Roman

Aus dem Amerikanischen von Nina Bader

Forever by Ullsteinforever.ullstein.de

Deutsche Erstausgabe bei ForeverForever ist ein Verlag der Ullstein Buchverlage GmbH, BerlinSeptember 2019 (1)

© Ullstein Buchverlage GmbH, Berlin 2019German Translation copyright © 2019 by Ullstein Buchverlage GmbHCopyright © 2018. Pretty Venom by Ella Fields. Titel der amerikanischen Originalausgabe: Pretty VenomUmschlaggestaltung: zero-media.net, MünchenTitelabbildung: © FinePic®Übersetzung: Nina BaderAutorenfoto: © privatE-Book powered by pepyrus.com

ISBN 978-3-95818-419-0

Emojis werden bereitgestellt von openmoji.org unter der Lizenz CC BY-SA 4.0.

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Inhalt

Die Autorin / Das Buch

Titelseite

Impressum

Erstes Kapitel

Zweites Kapitel

Drittes Kapitel

Viertes Kapitel

Fünftes Kapitel

Sechstes Kapitel

Siebtes Kapitel

Achtes Kapitel

Neuntes Kapitel

Zehntes Kapitel

Elftes Kapitel

Zwölftes Kapitel

Dreizehntes Kapitel

Vierzehntes Kapitel

Fünfzehntes Kapitel

Sechzehntes Kapitel

Siebzehntes Kapitel

Achtzehntes Kapitel

Neunzehntes Kapitel

Zwanzigstes Kapitel

Einundzwanzigstes Kapitel

Zweiundzwanzigstes Kapitel

Dreiundzwanzigstes Kapitel

Vierundzwanzigstes Kapitel

Fünfundzwanzigstes Kapitel

Sechsundzwanzigstes Kapitel

Siebenundzwanzigstes Kapitel

Achtundzwanzigstes Kapitel

Neunundzwanzigstes Kapitel

Dreißigstes Kapitel

Einunddreißigstes Kapitel

Zweiunddreißigstes Kapitel

Dreiunddreißigstes Kapitel

Vierunddreißigstes Kapitel

Fünfunddreißigstes Kapitel

Sechsunddreißigstes Kapitel

Siebenunddreißigstes Kapitel

Achtunddreißigstes Kapitel

Neununddreißigstes Kapitel

Vierzigstes Kapitel

Einundvierzigstes Kapitel

Zweiundvierzigstes Kapitel

Epilog

Danksagungen

Leseprobe: Suddenly Forbidden

Empfehlungen

Social Media

Vorablesen.de

Cover

Titelseite

Inhalt

Erstes Kapitel

Widmung

Für die Königinnen, die andere Kronen geraderücken

Motto

Wenn du jemanden zu deiner ganzen Welt machst, beschwer dich nicht, wenn der Boden unter deinen Füßen bröckelt.

Erstes Kapitel

Renee

Vierzehn Jahre alt

»Du siehst damit absolut blöd aus.« Seine Oberlippe kräuselte sich zu einem spöttischen Grinsen, von dem ich wünschte, es würde ihn weniger anziehend erscheinen lassen. Aber es ließ nur seine braunen Augen glänzen, als sie sich verdunkelten und bewirkten, dass sich mein Magen zusammenzog. »Mit der Schleife«, fügte er hinzu, als wäre mir die Art nicht aufgefallen, wie seine Augen in den letzten zehn Minuten immer wieder daran hängen geblieben waren.

»Wenn du das meinst.« Mein Lächeln und meine Stimme blieben auch dann noch zuckersüß, als meine nächsten Worte auf meiner Zunge brannten. »Zu schade, dass du keinen Grund hast, selbst so blöd auszusehen, wie du es tust. Das liegt daran …« Meine Hand löste sich von meinem Schoß, und ich streckte meine übereinandergeschlagenen Füße vor mir auf dem Boden aus und ließ sie von einer Seite zur anderen schwingen. Dann machte ich eine halbherzige Geste, bevor ich die Hand wieder auf meinen Schoß fallen ließ, als wäre er wirklich nicht die Mühe wert. »Dass du einfach so bist.«

Sein Kiefer spannte sich an, ansonsten blieb sein Gesicht ausdruckslos.

Die Standuhr am anderen Ende des langen Flurs tickte, als wir ein stummes Blickduell austrugen.

Wir saßen in einer kleinen Nische in dem Gang vor dem Fernsehzimmer seiner Familie, wo sich unsere Eltern hinter der nur angelehnten Tür unterhielten.

Schon als wir ankamen, keimte Ärger in mir auf. Warum mussten wir uns mit dem besten Freund meines Vaters vom College treffen? War es nicht schon schlimm genug, dass er uns gezwungen hatte, von New York in dieses winzige Nest von einer Stadt zu ziehen?

Nein, offenbar nicht.

Offenbar musste ich auch noch mit ihnen zu Abend essen. Was sich als stinklangweilig erwies. Ich hielt die ganze Zeit den Blick gesenkt, während mir Bilder meiner neuen Nähmaschine durch den Kopf gingen.

Sie war ein Bestechungsgeschenk. Ich erkannte so was, wenn ich eins sah. Seit ich fünf war, war ich darin geschult worden, zu erkennen, wenn mir jemand etwas vormachen wollte. Aber ich hatte mir diese Maschine gewünscht, seit sie sechs Monate vor unserem Umzug nach Trellara, der kleinen Stadt, die an Gray Springs grenzte, auf den Markt gekommen war.

Zusammen mit der Nähmaschine hatte ich einen halben Schrank voll neuer Stoffe bekommen. Meine Eltern fühlten sich schuldig, weil sie mich von meinen Schulfreunden trennten, die ich seit dem Kindergarten kannte. Meine Freunde zurückzulassen wäre nur dann wirklich schlimm für mich gewesen, wenn es sich um echte Freunde gehandelt hätte. Aber ich hatte die Rolle des leidenden Kindes gespielt und bekommen, was ich wollte. Der Theaterkurs, für den mich meine Mutter vor Jahren angemeldet hatte, half, obwohl meine schauspielerischen Fähigkeiten bestenfalls mittelmäßig waren. Selbst in meinem Alter erkannte ich Oberflächlichkeit, wenn sie mir begegnete. Man soll nicht von sich auf andere schließen und all das, aber ich konnte so oberflächlich sein wie nur wer, und ich stritt es nie ab. Kein Vorspielen falscher Tatsachen, keine Hintergedanken. Wenn ich etwas wollte, wollte ich es, und wenn ich bekam, was ich wollte, entlockten mir diese Dinge ein Lächeln. Schleifen, Rüschen, Kleider, Make-up – all das waren für mich nicht einfach nur Sachen. Ich hatte Freude daran. Mir wurde vor Zufriedenheit warm ums Herz, wenn ich sie trug.

Ich liebte, was ich liebte, und ich würde mich bei niemandem dafür entschuldigen. Schon gar nicht bei Mr Ständig-schlecht-gelaunt, der mir gegenübersaß.

Ich verkrampfte mich vor Unbehagen, und vielleicht war das seine Schuld. Oder vielleicht lag es daran, dass mich an diesem Abend, als wir die lange, von großen, gebogenen Weiden gesäumte Auffahrt hochfuhren, ein ungutes Gefühl überkam. Es verstärkte sich, als meine Eltern mich aus dem Auto und die Stufen des museumsgroßen alten cremefarbenen Hauses im Kolonialstil hochscheuchten.

Und es war nicht verflogen.

» … mit seinen markanten Wangenknochen und, Himmel, diesem Kiefer. Genau wie die von Kian.« Die hohe, exaltierte und dank zwei Flaschen Rotwein zum Dinner leicht nuschelnde Stimme meiner Mutter tat mir in den Ohren weh.

Callums Augen weiteten sich leicht, und ich konnte mir ein Lächeln nicht verkneifen, als ihm dämmerte, worüber sie redeten.

»Warum sitzt du hier draußen und lauschst?«, fragte ich schließlich.

Er verlagerte seine Position auf dem langen, mit Samt bezogenen Sofa, auf dem er lag, sodass ein Bein mit einem dumpfen Laut auf dem Boden aufschlug. »Warum machst du dasselbe?« Sein Tonfall vermittelte Langeweile und Gleichgültigkeit, aber er hätte nicht gefragt, wenn er keine Antwort gewollt hätte.

Eines stand, was diesen merkwürdigen, wortkargen Typen betraf, fest: Er gehörte zu der neugierigen Sorte.

»Nicht mein Haus. Wäre es dir lieber, ich würde hier ziellos herumstreifen?«

Drinnen im Raum klirrten Gläser. » … wenn sie Kinder hätten, hätten sie Renees wunderschöne Meerjungfrauenhaare.«

Callum schnaubte. »Meerjungfrauenhaare?« Diese dunklen Augen schweiften einmal mehr darüber hinweg. »Eher Hagrid-Haare.«

»Harry-Potter-Fan?«, fragte ich, dabei klatschte ich in gespielter Aufregung leise in die Hände.

Zur Antwort erhielt ich nur einen Blick. Einen Blick, der besagte, dass er bereit war, irgendetwas nach mir zu werfen oder wegzugehen.

Zum Glück entschied er sich für Letzteres, setzte sich auf und streckte langsam seinen hochgewachsenen, schlanken Körper, um aufzustehen.

Eine Welle der Erleichterung überrollte mich. Nichts war schlimmer als gezwungen zu sein, etwas zu ertragen, was man nicht wollte, aber es war noch zehn Mal schlimmer, Gleichgültigkeit vortäuschen zu müssen, während jemand versuchte, einen mit den Blicken zu erdolchen.

Die Unterhaltung unserer Eltern plätscherte weiter. Ich sah nicht hin, als Callum davonging, hörte aber zu, wie seine abgehackten Schritte am Ende des Flurs verklangen.

Einen langen Moment dachte ich, er wäre fort, daher wäre ich beinahe zusammengezuckt, als seine leise, tiefe, gerade gebrochene Stimme an mein Ohr drang. »Sie können wegen Babypartys, Namen und Heiratsanträgen total aus dem Häuschen geraten, aber lass dir das keine Sekunde lang zu Kopf steigen.«

Ich hielt den Blick auf die hohe Decke mit den schicken Deckenleisten gerichtet und seufzte, bevor ich den Kopf drehte, um ihn anzusehen. »Sollte die Hochzeit nicht vor den Kindern kommen? Oder ist das deine Vorstellung von Rebellion?«

Callum wirkte sogar trotz des Abstands zwischen uns kurz geschockt, zögerte und kam dann ein paar Schritte näher. »Lass uns eins klarstellen, Minnie Maus. Unsere Mütter sind vollkommen von sich eingenommen. Du tätest gut daran, sie zu ignorieren, und wenn du schon mal dabei bist, ignorier mich ebenfalls. Du kennst mich nicht, und ich möchte dich nicht kennenlernen. Sprich mich in der Schule nicht an, zum Teufel, schau mich noch nicht einmal an.«

Meine Augen wurden schmal. Kleine Teilchen fügten sich in meinem Kopf zusammen. »Oh, verstehe.«

Er wollte mir den Triumph nicht gönnen, zu warten, aber ich wusste, dass er mich hören konnte. Meine Stimme wehte ihm hinterher. »Du hast eine Freundin? Keine Sorge.« Ich lachte leicht. »Das interessiert mich wirklich nicht.«

Er tauchte hinter der Ecke auf. Da ich hörte, dass sich meine Eltern verabschiedeten, stand ich langsam auf und lächelte Callum an.

»Es interessiert dich nicht?«, wiederholte er gedehnt, hörbar ungläubig.

»Es. Interessiert. Mich. Nicht.« Strahlend zupfte ich meine hellblaue Caprihose zurecht, die farblich zu der Schleife in meinen Haaren passte. »Ich würde dich nicht mit der Kneifzange anfassen, selbst wenn du der letzte Mann in dieser scheißlangweiligen Stadt wärst.«

»Ach ja?«

»Ja«, bestätigte ich.

Er zog eine Braue hoch. »Ich werde dich nicht fragen, warum, weil es mir völlig egal ist.«

»Ist es nicht, und ich werde dir auch sagen, warum.« Ich stemmte die Hände in die Hüften. »Du bist ein unhöflicher, eingebildeter Mistkerl, der entweder irgendetwas überkompensiert oder ernsthafte Daddyprobleme hat. Oh, und ich stehe nur auf Blonde.« Um dem Nachdruck zu verleihen hob ich eine Braue in Richtung seines schönen dunklen Haarschopfs.

Die Tür zu dem Fernsehzimmer schwang auf, und unsere Eltern kamen heraus.

»Da bist du ja. Ich meinte doch, deine Stimme gehört zu haben.« Mein Dad grinste. Der Duft von teurem Whisky flutete über mich hinweg, als er einen schweren Arm um meine Schultern legte. »Abmarschbereit?«

Ich lächelte zu ihm hoch. »Ich bin bereit, wenn du es bist, Daddy.«

Zweites Kapitel

Renee

Der einzige Unterschied zwischen meiner alten Schule und der Trellara Prep bestand darin, dass die Leute aus Angst vor Strafe weniger geneigt waren, das zu tun, was ihnen wirklich gefiel. Die Dinge, von denen sie glaubten, dass sie ihnen hinterher auf der sozialen Leiter im Weg waren. Es war eine Entdeckung, die ich beunruhigend fand, als ich mich für den Theaterkurs anmeldete und nur eine Handvoll Namen auf der Liste sah.

Hilda war die Erste, mit der ich mich anfreundete, nachdem wir in der Aula in der Schlange gestanden und über die Vorzüge von Chiffon, Seide, Lippenbalsam mit Sorbetgeschmack, Sailor Moon und Harry Potter diskutiert hatten. Seitdem pflegten wir eine oberflächliche Freundschaft, die für uns beide funktionierte.

Hilda war Halbasiatin mit seidigen schwarzen Haaren, die ihr über den Rücken flossen und ihr herzförmiges Gesicht umrahmten. Ihre leicht schräg stehenden Augen zogen die Leute an, ihre vollen rosigen Lippen und die kleine Nase verliehen ihr eine Aura der Unschuld, von der ich mir nicht sicher war, dass sie sie verdiente. Eine wilde Art von Schönheit, das war es, was mir durch den Kopf ging, als mein Blick zum ersten Mal über ihre kleine, schmale Gestalt wanderte. Ihre Augen waren haselnussfarben. Eine Mischung aus Braun und Grün, das manchmal glitzerte, wenn sie lächelte, und stumpf wurde, wenn sie verärgert war.

»Sie wollen um vier noch einmal proben«, teilte Hilda mir mit, als wir zu unseren Spinden gingen.

»Um vier?« Ich seufzte; verdaute die Information, bis mein Spind aufsprang. »Da kann ich nicht. Mein Dad hat einen wichtigen Gast zum Essen eingeladen.«

Mein Vater war der Hauptgeschäftsführer von Grant Holdings, und obwohl wir hergezogen waren, um seine Firma mit der von Callums Vater zusammenzulegen und einen »ruhigeren, friedlicheren Lebensstil« zu pflegen, liebten er und meine Mutter es immer noch, Gäste zu bewirten – vielleicht sogar noch mehr als damals in New York. Es war lästig, aber das Essen entschädigte immer dafür. »Und? Komm einfach nur kurz vorbei, damit du morgen von Clarke keine bitterbösen Blicke erntest.«

Clarke warf jedem, der nicht zur Probe erschien, böse Blicke zu, obwohl er es nicht für nötig erachtete, uns zu bestrafen, da die meisten von uns freiwillig Mitglieder der Theater-AG waren. Und da die Gruppe so klein war, konnte er es sich nicht leisten, Leute zu vergraulen.

Ich ordnete den Inhalt meines Spindes neu, tauschte mein Geschichtsbuch mit dem Roman, den ich an diesem Morgen mit zur Schule genommen hatte, und schloss dann die Tür. »Kann ich nicht. Wenn ich nicht zur vereinbarten Zeit zu Hause bin, werden sie mir so lange die Hölle heißmachen, bis ich komme, und dann muss ich während des Essens die bitterbösen Blicke meiner Mutter erdulden.« Ich zog vielsagend die Brauen hoch. »Vor denen ich mehr Angst habe als vor denen von Clarke.«

Meine Mutter mochte in der Tat nicht die fürsorglichste sein, aber sie war da, und ich wusste von der Beobachtung anderer mit ähnlichen Familien, dass ich mich glücklich schätzen konnte, sie zu haben. Unsere Beziehung grenzte an Freundschaft, und niemand wollte eine Freundin enttäuschen. Außerdem konnte Valery Grants kalte Schulter Wundbrand auslösen, wenn man nicht vorsichtig war.

Draußen verabschiedeten wir uns. Ich setzte mich auf die Stufen, sah zu, wie Hilda zum Parkplatz ging, und klappte dann mein Buch auf.

Es wurde mir aus der Hand gerissen, noch bevor ich das Lesezeichen herausnehmen konnte. »Der Baron und seine sinnliche Eroberung?« Callum blinzelte das Cover an, als ich hochschoss. »Bist du nicht ein bisschen zu jung, um solchen Schweinkram zu lesen?«

Ich entriss ihm das Buch wieder und weigerte mich, rot zu werden, als ich es in meiner Tasche verstaute. »Bist du nicht ein bisschen zu jung, um solchen Schweinkram im wirklichen Leben zu machen?« Er entgegnete nichts, seine Lippe verzog sich nach rechts, als in seinen dunklen Augen Funken zu tanzen begannen. »Und kümmere dich um deine eigenen Angelegenheiten. Ich kann lesen, was ich will.« Ich stieg die Stufen hinunter, sah mich um und konnte meine Fahrerin Annie nirgendwo entdecken.

»Welches sind deine Lieblingsstellen?«, fragte Callum hinter mir. Sein warmer Atem blies meine Haare zur Seite und verursachte mir eine Gänsehaut. »Rettet er eine holde Maid vor einem Drachen, nur um sie dann in seine Burg zu verschleppen und sein gut ausgestattetes bestes Stück in ihre warme, feuchte …«

»Cal«, drang Taras Stimme an meine brennenden Ohren, und obwohl er nicht mehr weitersprach, wofür ich dankbar war, wich er nur langsam ein Stück zurück. »Was machst du da?«

Ich drehte mich um, als Taras blaue Augen zwischen uns hin und her schossen. Das Lächeln der Cheerleaderin erstarb, während sie auf eine Antwort von ihrem Freund wartete.

Callum blickte auf mich hinunter. Seine Brauen schossen in die Höhe, als er sich über die Unterlippe leckte. Ich hielt seinem Blick stand, obwohl er in meinem Magen gefährliche Dinge auslöste. »Ich habe Renee hier bei der Lektüre von etwas … Schlüpfrigem ertappt.«

»Schlüpfrig?« Tara kicherte. »Oh, so etwas wie einen Liebesroman?«

Callum sah sie immer noch nicht an. »Mmhm.«

»Wen interessiert das schon. Können wir gehen?«

Callum kniff die Augen zusammen und sah dann endlich zu seiner Freundin hinüber. »Ich weiß nicht, ich halte es nicht unbedingt für eine gute Idee, dass eine Minderjährige solche Sachen liest. Nicht hier in Trellara. Das könnte Ärger geben.«

Ein Blick zu Tara verriet mir, dass sie verwirrt war, sie presste die Lippen zusammen und runzelte die Stirn. »Ich lese andauernd die Bücher meiner Mom. Und, hey, was wir machen, ist auch nicht gerade jugendfrei.« Ihre Wangen färbten sich rot, gefolgt von einem Füßescharren.

Etwas setzte sich in meiner Kehle fest, aber ich versuchte, es hinunterzuschlucken.

Callums Blick heftete sich wieder auf mich. Seine Augen waren unergründlich, als er sagte: »Ja, aber da ihre Eltern die besten Freunde meiner Eltern sind, gehört sie praktisch zur Familie. Ich denke, es wäre in ihrem Interesse, dafür zu sorgen, dass sie über die nicht zum Lehrplan gehörenden Aktivitäten ihrer Tochter Bescheid wissen. Vor allem in Anbetracht der Tatsache, dass sie nicht gerade altersgemäß sind.«

Meine Mom hatte selbst vorgeschlagen, dass ich das Buch lesen sollte, daher hob ich nur eine Braue und ließ mir meinen Ärger nicht anmerken. »Nette Doppelmoral.«

Tara lachte. »Hör auf. Ernsthaft, wen kümmert das schon? Kommst du vorbei? Mom ist immer noch nicht wieder in der Stadt.«

Callums perfekte Zähne glitten über seine Unterlippe, sein Blick ruhte unverwandt auf mir. »Ja. Bis später, Minnie Maus.«

Annie kam erst eine geschlagene Minute später. Und als ich zusah, wie Tara und Callum zu dem Auto ihres Chauffeurs gingen, um dahinter herumzuknutschen, bevor sie einstiegen, entpuppte sich diese Minute als die längste, die ich je durchlebt hatte.

Am nächsten Morgen wurde ich prompt in Direktorin Farleys Büro gerufen.

Ich stand von meinem Platz im Klassenzimmer auf, ohne auf das Kichern und Tuscheln ringsum zu achten, zupfte meinen grauen Blazer zurecht und griff nach meinem Rucksack.

Bis auf ein paar Nachzügler, die an mir und den Reihen dunkelblauer Spinde vorbeihuschten, lagen die Gänge verlassen da. Meine Schritte hallten auf dem glänzenden cremefarbenen Boden, meine schwarzen Ballerinas tappten im Rhythmus meines sich verlangsamenden Herzschlags darüber.

Ich hatte keine Ahnung, was ich verbrochen hatte, und verbrachte die nächsten zwölf Minuten auf einem Stuhl im Wartebereich, starrte die vergoldete Uhr an der Wand an und versuchte mir zusammenzureimen, worum es gehen könnte. Vielleicht um den Theaterkurs. Obwohl das Verpassen einer Probe, bei der die Teilnahme auf Freiwilligkeit beruhte, nicht unbedingt ein Grund war, um zur Direktorin …

Callum.

Trotz unserer nicht so erfreulich verlaufenen ersten Begegnung Ende des Sommers hatte er in dem kurzen Monat, den ich jetzt hier war, Abstand zu mir gewahrt. Warum er sich jetzt die Mühe machte, mich in Schwierigkeiten zu bringen, überstieg mein Begriffsvermögen.

»Miss Grant?«

Beim Anblick der Direktorin stand ich auf. Ihre Haare waren zu einem festen Knoten geschlungen, ihre hellblaue Brille saß auf der Spitze ihrer hübschen kleinen Nase. Ihr Lächeln war warm, trug aber nicht dazu bei, meine strapazierten Nerven zu beruhigen. »Kommen Sie herein.«

Ich gehorchte und ließ meinen Rucksack zwischen meine Füße fallen, als ich mich auf den Stuhl ihr gegenüber an den großen Eichenholzschreibtisch setzte.

»Es ist mir zugetragen worden, dass Sie vielleicht nicht nur etwas nicht Altersgemäßes lesen, sondern das auch noch während der Schulzeit tun.«

Meine Verlegenheit glich einem sich aufblähenden Heißluftballon; meine Wangen begannen so heftig zu glühen, dass ich meinte, sie würden gleich platzen oder Feuer fangen. »Äh …«

Sie nahm ihre Brille ab und lächelte leicht, als sie sich über ihren Schreibtisch lehnte. Ihre Kaschmirbluse klaffte am Hals weit auf, und ich dachte, dass es eigentlich lächerlich war, dass ich wegen eines Liebesromans zur Rede gestellt wurde, während die Direktorin einer der renommiertesten privaten Vorbereitungsschulen im Staat sich wie eine sexy Bibliothekarin kleidete.

Ich meine, es sah klasse aus, aber es erschien mir nicht gerade fair.

Sie verschränkte die manikürten Hände, und ich sah ihr in die Augen, als sie sagte: »Ich persönlich lese gerne einen guten Liebesroman.« Sie bedachte mich mit etwas, das ich für ein Zwinkern hielt, aber ich wusste nicht recht, ob sie versuchte, mir einen zarten Wink zu geben, oder ob ihr das gerade misslungen war. »Es gibt jedoch immer eine richtige Zeit und einen richtigen Ort dafür, und dieser Ort ist nicht die Schule.«

»Ich habe es nicht hier gelesen, ich schwöre es.« Ich schlug die Knöchel übereinander, um zu verhindern, dass meine Füße zuckten, und zog die Schultern so nach hinten, wie meine Mutter es mir immer einschärfte. »Ich habe es auf dem Weg zur Schule gelesen und es sicher in meinem Spind eingeschlossen, bis ich nach Hause gegangen bin.«

Das entsprach nicht ganz der Wahrheit. Ich hatte während des Englischunterrichts darin geschmökert, statt mich mit dem Material zu beschäftigen, das für uns bereitlag, aber ich hielt es nicht für ratsam, das zu erwähnen. Zu meiner Verteidigung konnte ich allerdings sagen, dass ich Wer die Nachtigall stört schon mit zehn und dann noch einmal mit zwölf gelesen hatte.

Direktorin Farley nickte und lehnte sich in ihrem Stuhl zurück. »Sie sind mit der Familie Welsh befreundet, nicht wahr?«

»Ja. Unsere Väter arbeiten zusammen.«

Ihre rosigen Lippen verzogen sich nachdenklich. »Interessant. Und Sie und Callum, Sie verstehen sich nicht?«

»Ich wusste es«, zischte ich, bevor ich mich zurückhalten konnte.

Direktorin Farley lächelte nur. »Ich habe nicht gesagt, dass er derjenige war, der mich darüber informiert hat.«

»Das brauchen Sie auch gar nicht«, grollte ich, dabei blickte ich zu dem großen Bücherregal mit ihren Diplomen und den dicken Rücken alter Bücher hinüber.

»Renee, wo haben Sie dieses Buch her?«

»Es ist nicht so schlimm, wie er wahrscheinlich behauptet hat.« Ich richtete meine Aufmerksamkeit wieder auf sie.

»Nach dem Köder schnappe ich nicht.« Sie lächelte; sah aus, als würde sie kichern wollten. »Ich bin nur neugierig, aber Sie müssen es mir nicht erzählen, wenn es Ihnen unangenehm ist. Es ist nur ein … sonderbarer Lesestoff für eine Vierzehnjährige.«

»Ich bin kein Kind mehr«, gab ich so trotzig wie die Vierzehnjährige zurück, die ich war.

Ein weiteres Lächeln.

Ich stieß den Atem aus und versuchte, mich nicht in dem Lederstuhl zu lümmeln. »Meine Mutter hat es mir empfohlen. Wir lesen oft dieselben Bücher.«

Direktorin Farleys dünn gezupfte Brauen schossen hoch. »Oh?«

Ich nickte nur.

»Interessant. Nun, es liegt mir fern, Ihnen zu sagen, was Sie tun sollen, wenn Ihre Mutter so … sagen wir, nachsichtig ist.«

Ich verkniff es mir, die Augen zu verdrehen. In manchen Dingen traf das zu, aber meistens war sie ganz sicher nicht nachsichtig, es sei denn, es passte ihr in den Kram. »Es ist nur ein Buch. Ich hatte bis jetzt ja noch nicht einmal einen Freund.« Aus irgendeinem Grund fühlte ich mich bemüßigt, das Handeln meiner Mutter zu verteidigen. Aber es stimmte. Trotz all ihrer Fehler vertraute meine Mutter mir.

Jetzt lachte Direktorin Farley. Ein freundliches, melodisches Geräusch. »Das wird sich bald ändern.«

»Unwahrscheinlich«, brummte ich verhalten. Ich hatte kein Interesse an Jungen. Die meisten rochen schlecht, waren laut oder einfach gemein und eingebildet. Und ein bestimmter Junge, der mir in den Sinn kam, war einfach nur ein Oberarschloch. »Vorerst halte ich mich an reife Männer in Büchern. Kann ich jetzt bitte zum Unterricht gehen?«

Direktorin Farley lachte noch einmal und stand dann auf, um mich nach draußen zu begleiten.

Bevor sie in ihr Büro zurückging, flüsterte sie mir zu: »Lesen Sie mal Die verbotene Frucht des Highlanders, es ist ihr bislang bester Roman.«

Verwirrt sah ich ihr nach, als sie den kurzen Gang hinunterschritt, und lächelte dann auf dem ganzen Weg zum Klassenzimmer.

Da hast du ein dickes fettes Eigentor geschossen, Callum.

Drittes Kapitel

Callum

Fünfzehn Jahre alt

Das Problem dabei, jemanden nicht zu mögen, war, dass einen das regelrecht auffressen konnte.

Es nagte am Verstand wie ein Parasit, der nicht totzukriegen war, egal auf welche Weise man versuchte, ihn zu zerquetschen.

Ich saß an dem großen Esstisch im Stil des 17. Jahrhunderts unter einem Kronleuchter, der Lichtflecken durch den Raum tanzen ließ, und wartete.

Wir aßen das Drei-Gänge-Menü, das unsere Köchin Wanda jeden Freitagabend zubereitete, und beim zweiten Gang ließ mein Vater sich lang und breit über die Vorzüge der Neugestaltung seines Büros aus. Er hatte es erst letztes Frühjahr komplett umbauen lassen.

Meine Mutter war nur am Nicken und Lächeln, ihre Augen wanderten zwischen denen meines Vaters hin und her, während sie mit ihrer Gabel geistesabwesend in dem Matsch herumrührte, den sie aus ihrem Currygemüse fabriziert hatte.

Als das Dessert serviert wurde, wusste ich, dass ich aus dem Schneider war.

»Spielst du nächsten Wochenende gegen Chesterton?«, erkundigte sich mein Vater, lehnte sich in seinem Stuhl zurück und tätschelte seinen Bauch.

Verdammt. Ich hob den Kopf, sah ihn an und nickte.

»Interessiert sich Renee für Football?«, warf meine Mutter ein. »Du solltest sie zu dem Spiel einladen.«

»Sie macht sich nichts aus Football.« Mein Vater runzelte angesichts meiner hastigen Antwort die Stirn, und ich räusperte mich. »Ich meine, sie kommt mir nicht wie der Typ Footballfan vor.« Nein, sie hatte es mit Prinzessinnen und Schleifen und stand offensichtlich auf dominante Männer in Liebesromanen.

Das Lächeln meiner Mutter veranlasste mich, die Hände fester um mein Besteck zu schließen. »Ich werde mit Valery sprechen. Vielleicht können wir einen Wochenendausflug daraus machen.«

Ich konnte nur mühsam ein Stöhnen unterdrücken und bedachte meinen Vater mit einem Blick, der ihn dazu bewog, zu sagen: »Nein, Schatz. Ich habe den Oswalds gesagt, ich würde dich zu unserer Dinnerverabredung mitbringen, damit du Erin wiedersehen kannst.«

Meine Mutter winkte ab und sackte fast in ihrem Stuhl nach hinten. »Muss das sein? Erin ist sterbenslangweilig.«

Ich schaltete ab und starrte die mit staubigrosanen Hortensien gefüllte Kristallvase an, während mein Vater meine Mutter an die Vorteile erinnerte, die es mit sich brachte, wenn man die richtigen Freundschaften unterhielt.

»Kann ich aufstehen?«, fragte ich, sowie mein Vater innehielt, um einen Schluck von seinem Whisky zu trinken.

Auf sein Nicken hin schob ich meinen Stuhl zurück und schob ihn unter den Tisch, bevor ich mich in mein Zimmer zurückzog.

Die Mahagonitreppe schimmerte, als ich mit der Handfläche über das Geländer strich und meine Füße mich nach oben trugen. Mein Zimmer lag ganz am Ende des ersten Stocks, Gott sei Dank weit von dem meiner Eltern entfernt, das oben an der Treppe lag. Kunstvolle Schnitzereien zierten das Holz der geöffneten Türen.

Die Tür meines Zimmers sah genauso aus, nur dass es nur eine gab. Der Raum selbst war noch nicht einmal halb so groß wie der meiner Eltern, was in Anbetracht der Tatsache, dass ihr Zimmer einen guten Teil des ersten Stocks einnahm, vollkommen in Ordnung war.

Bevor wir eingezogen waren, als ich ein Kind war, hatte es in diesem Stock acht Schlafzimmer sowie verschiedene Wohnzimmer und Bäder gegeben. Einige der Räume waren als Gästezimmer erhalten geblieben, aber meine Eltern beschlossen, sich für sich selbst eine Art Miniaturhaus zu schaffen, indem sie Wände einreißen und ihre Hälfte des Stockwerks komplett umbauen ließen.

Der Dachboden und Wandas Zimmer befanden sich im zweiten Stock, wo es noch einen weiteren, mit den zahlreichen aufgegebenen Projekten meiner Mutter aus vergangenen Jahren vollgestopften Raum gab.

Für eine Vorzeigefrau versuchte sie wirklich, ihre Zeit sinnvoll zu nutzen, statt müßig dabeizusitzen, während mein Vater die Tausende anderer Leute in Millionen verwandelte. Zu schade, dass ihre Bemühungen immer irgendwie lustlos waren und sie nie durchhielt.

Nachdem ich geduscht hatte, ließ ich mich auf mein großes Bett fallen und zappte mich durch die Kanäle meines Flachbildschirmfernsehers.

Aber sosehr ich auch versuchte, mich von irgendetwas Geistlosem ablenken zu lassen, mein Kopf bestand darauf, immer dieselben Fragen zu wiederholen. Warum hatte Renee es niemandem erzählt? Warum hatte sie es ihren Eltern nicht gesagt?

Ich konnte es mir nicht erklären. Es hatte sich in der ganzen Schule herumgesprochen – ihr Literaturgeschmack und der Umstand, dass er ihr einen Abstecher in das Büro der Direktorin eingetragen hatte.

Ich hatte sie beim Lunch beobachtet, als sie mit ihren Theaterclubkumpels auf der anderen Seite der Cafeteria saß, aber sie hatte kein einziges Mal zu mir herübergeschaut.

Vergiss sie. Ich musste sie vergessen. Keine Ahnung, warum es mich kümmerte oder warum ich überhaupt einen Gedanken an sie verschwendete. Irgendetwas an ihr reizte mich bis aufs Blut und brachte mich dazu, die Fäuste zu ballen. Ihre albernen Schleifen, die schicken Strumpfhosen und ihre Weigerung, sich etwas daraus zu machen, was andere von ihr dachten, brachten mich zur Weißglut.

Ich beugte mich vor und nahm mein Telefon vom Nachtschränkchen, um Tara anzurufen. Ich konnte ein bisschen Dirty Talk brauchen. Das würde meine Laune definitiv bessern.

Trotzdem wollte mein Finger sich nicht rühren. Er schwebte über ihrem Namen, kreiste darum wie eine Hummel um eine Blume.

Fluchend ließ ich das Telefon fallen, überprüfte, ob die Tür abgeschlossen war, und schob dann eine Hand in meine Hose.

Schüler schlurften vorbei, und ich lehnte den Kopf gegen meinen Spind.

»Und diese eine Szene, wo er sagt …«

Renee hörte nicht auf zu lächeln, während Tara die Details aus dem dämlichen Buch weitergab, das sie gelesen hatte.

Dem dämlichen Buch, das Renee hätte peinlich sein sollen, stattdessen aber sämtliche Schülerinnen zu einem Buchclubtreffen auf den Gängen der Schule anzulocken schien.

Ja, die Leute hatten während der letzten Wochen Witze darüber gerissen, aber sie hatte sie wirkungslos an sich abprallen lassen. Als bestünde sie aus glitzerndem Stein, und alles andere wäre Wasser, das über sie hinweg oder um sie herum spülte, während sie davon unberührt blieb. Schön. Unverändert.

»Hey.« Mike blieb neben mir stehen, um seinen Spind zu öffnen. »Kommst du heute Nachmittag zur Teambesprechung?«

»Vermutlich.«

»Vermutlich?« Mike schob ein Buch hinein und griff nach seinem Telefon und seinem Portemonnaie, bevor er die Tür zuknallte. »Was ist los mit dir?« Als ich fortfuhr, Renee finster anzufunkeln, folgte mir sein Blick. »Oh. Mann, die ist heiß.«

»So, wie sie mit ihren Rüschensocken und mit den lächerlichen Schleifen herumstolziert, sieht sie aus wie ein verdammter Pfau.«

Mike erwiderte nichts, also schielte ich zu ihm und stellte fest, dass seine Augen unverwandt auf Renee ruhten. Ich knirschte mit den Zähnen.

»Schon, aber sie weiß, wie man die Sachen trägt.«

»Was bist du? Die Modepolizei?«

Er lachte. »Halt die Klappe.« Er musterte mich kurz von Kopf bis Fuß, dann hob er die Brauen. »Moment. Gefällt sie dir oder so?«

Ich straffte mich und zwang mich, laut zu lachen. »Fuck, nein. Sie geht mir tierisch auf den Geist.«

»Warum?«

»Warum?«, wiederholte ich, als hätte er mir die dümmste Frage der Welt gestellt.

»Ja, warum?« Er zuckte mit den Achseln und lockerte seine Krawatte. »Normalerweise gibt es einen Grund dafür, jemanden nicht zu mögen.«

»Ich brauche keinen Grund«, schnappte ich.

Mike murmelte etwas, das wie »Bullshit« klang, und schob sein Portemonnaie in seine Hose.

»Meine Eltern haben damit angefangen«, gestand ich leise. Ich wusste, dass er, wenn ich ihm nicht ein paar Brocken hinwarf, vermuten würde, was er wollte. Das konnte ich nicht zulassen.

»Deine Eltern?«

Mit einem Nicken erklärte ich: »Unsere Moms. Sie scheinen es für eine tolle Idee zu halten, uns zu verkuppeln.«

»Woher weißt du das?«, fragte er.

Ich begann Richtung Cafeteria zu gehen. Wenn Tara hier herumhängen und über irgendein bescheuertes Buch quasseln wollte, von mir aus. Mike ging neben mir her. »Abgesehen davon, dass mich meine Mutter mindestens einmal am Tag nach Renee fragt, habe ich Ende des Sommers gehört, wie sie im Fernsehzimmer getrunken und sich darüber unterhalten haben wie Teenagermädchen.«

Mike lachte. »Sie haben vermutlich kein Wort ernst gemeint.«

Er kannte Valery Grant und Lucinda Welsh nicht. Diese beiden Frauen waren Weltmeisterinnen darin, das zu bekommen, was sie wollten. »Oh doch. Unsere Väter planen eine Fusion ihrer Firmen.«

»Ach du Scheiße«, sagte Mike, als wir uns in die Schlange einreihten. »Steckt Welsh Holding in Schwierigkeiten?«

»Soweit ich weiß, nein. Aber ich habe sie am Telefon darüber sprechen gehört. Anscheinend besteht der Plan schon seit letztem Jahr. Ist vermutlich lukrativer. Sie wollen nächstes Frühjahr internationale Büros in Peking und Deutschland einrichten.«

Mike pfiff durch die Zähne. »Das wäre für mich wahrscheinlich auch ein Grund, mir Sorgen zu machen.«

Wir bestellten und trugen unsere Tabletts in die hintere Ecke, wo das Team saß. Ein strenger Blick von mir warnte Mike, über diese Angelegenheit kein weiteres Wort zu verlieren.

Was er zum Glück auch nicht tat.

Ich hörte mit halbem Ohr zu, wie die Jungs über irgendeine neue Spielekonsole diskutierten, während ich in mein Sandwich biss, als hätte es mich persönlich beleidigt.

Schwarze Ballerinas mit kleinen Schleifen auf den Spitzen stachen mir ins Auge, als ich zu Boden starrte, nachdem ich einen Schluck aus meiner Wasserflasche genommen hatte.

Ich dachte nicht nach, sondern reagierte nur.

Wasser spritzte aus meinem Mund und ergoss sich über Renees weiße Bluse, woraufhin sie einen Jammerlaut ausstieß.

»Alter.« Josh, einer meiner Teamkameraden, lachte. »Krass.«

Ich ignorierte ihn und blickte von dem weißen BH, der jetzt für die gesamte Cafeteria deutlich sichtbar war, zu diesen grünen Augen hoch. Schmerz flackerte darin auf, aber nur einen Moment lang, und dann kippte Renee mir das, was auf ihrem Tablett stand, auf den Schoß.

»Fuck!« Ich sprang auf und versuchte hektisch, die heißen Makkaroni von meiner Hose zu schieben, wobei ich mir die Finger verbrannte.

Die Cafeteria verstummte. Meine Atemzüge wurden zu einem lauten, monströsen Geräusch, von dem ich fürchtete, dass es durch den Raum hallte, als würde ein Mikrofon an meinem Shirt stecken.

»Ups, sorry. Ist mir weggerutscht«, erklärte Renee trocken und steuerte mit ihren Freunden vom Theaterkurs auf einen Tisch auf der anderen Seite zu.

»Hat sie eben …?«, fragte Mike.

»Jesus.« Ich blickte auf den verschmierten Käse und die Nudeln überall auf meiner Hose hinunter. »Ich muss unbedingt …«

»Miss Grant und Mr Welsh. Nach draußen. Sofort.« Mrs Benningtons Stimme übertönte das Gekicher und Geflüster.

Mit einem Blick zu den Jungs zuckte ich mit den Achseln, dann schnappte ich mir die andere Hälfte meines Sandwiches und mein Wasser, bevor ich mich nach draußen begab.

»Was hat das zu bedeuten?« Mrs Bennington dämpfte ihre Stimme zu einem leisen Zischen, als Renee herauskam und die Tür der Cafeteria hinter sich schloss.

Als wir beide schwiegen, seufzte sie und zwickte sich in den Nasenrücken, bevor sie den Arm an ihrer Seite herabfallen ließ. »Nachsitzen diesen Nachmittag.«

»Ich habe eine Teambesprechung«, protestierte ich.

»Nicht mein Problem. Und gehen Sie zur Fundstelle, und besorgen Sie sich angemessene Kleidung. Sie bekommen deswegen keine Freistunde.« Ihre Absätze klackten auf dem Boden, als sie davonrauschte.

Ich funkelte Renee mit zusammengebissenen Zähnen an, aber sie lächelte nur. »Du hast angefangen.«

»Ein wirklich reifes Verhalten.«

Sie lachte, und bei dem Klang blieb mir der Mund offen stehen. Rau und süß zugleich. »Du willst jetzt über reifes Verhalten reden? Schön. Nur zu.«

»Lieber nicht.« Ich löste mich von der Stelle, wo ich an der Wand gelehnt hatte.

»Erst das Buch, und jetzt das. Was habe ich dir eigentlich getan?« Sie senkte ihre Stimme um ein paar Dezibel. Verletzlichkeit schwang darin mit.

Ohne auf das Ziehen in meinem Magen zu achten, platzte ich mit der Wahrheit heraus. »Du existierst.«

Sie schüttelte den Kopf und wandte sich zum Gehen, als ich hinzufügte: »Aber du hast schöne Titten. Immerhin.«

Ihre Hand flog hoch, um mir den Vogel zu zeigen.

Und für einen Moment, nur einen Moment vergaß ich, dass ich sie so sehr hasste.

Viertes Kapitel

Renee

Fünfzehn Jahre alt

Meiner Mutter in allen Einzelheiten zu berichten, dass ihr Traummann für mich in Wirklichkeit in jeglicher Hinsicht ein Monster war, würde wahrscheinlich nicht gut gehen. Ich war versucht, aber ich wusste, egal, was ich sagte oder wie ich es ausdrückte, sie würde es falsch auslegen.

Insgeheim fragte ich mich, ob er mich mochte und ob all die Sticheleien und Schikanen vielleicht seine Art waren, sich dagegen aufzulehnen.

Diese innere Stimme war nun zum Schweigen gebracht worden. Von der offensichtlichen Feindseligkeit erstickt, von der ich mich weigerte, die Augen vor ihr zu verschließen.

Mich mit Wasser vollzuspritzen war schon schlimm genug, aber eine Stunde in einem leeren Klassenzimmer zu verbringen, wo er mit dem Sportlehrer, der das Nachsitzen überwachte, endlos über Football diskutierte, besiegelte das Ganze. Callum sagte kein Wort zu mir. Beide ignorierten mich, aber das war okay.

Doch als ich gehen wollte, bemerkte ich, dass jemand einen frischen Kaugummi auf den Sitz meines Stuhls geklebt hatte, bevor ich mich daraufgesetzt hatte.

»Du solltest immer aufpassen, wo du dieses große Teil parkst«, riet mir Callum und grinste mich über seine Schulter hinweg höhnisch an, als er aus dem Raum marschierte.

Es war grässlich, sein Kaugummi so weit von meinem Hinterteil zu entfernen, dass ich den Plastikstuhl zurückschieben und nach Hause gehen konnte.

Genug. Mir reichte es.

Er konnte machen, was er wollte. Ich würde nicht klein beigeben, aber ich würde es ihm auch nicht mehr heimzahlen. Sein Arschlochverhalten hatte einen Querschlägereffekt. Es beeinflusste andere Dinge in meinem Leben, Stück für Stück.

Hilda war tagelang sauer auf mich, weil ich wieder Proben verpasst hatte, auch wenn ich mir alle Mühe gab, es ihr zu erklären. In dieser Woche reichte ich meine Hausarbeit zwei Tage zu spät ein, und ich musste meine Periode als peinliche Entschuldigung für den Umstand benutzen, dass mein Schulrock ruiniert und in den Müll geworfen worden war, bevor jemand ihn sah. Ganz zu schweigen davon, dass ich, seit er mit seinen Schikanen begonnen hatte, nicht mehr genäht hatte.

Es war jetzt zwei Wochen her, und ich hatte es geschafft, weitere Zusammenstöße mit dem Arschloch zu vermeiden. Hoffentlich fand er einen anderen, an dem er seine schlechte Laune auslassen konnte.

Ich starrte meine mit dem Stoff von meiner letzten und jetzt verworfenen Idee umgebene Nähmaschine sehnsüchtig an. Ein von Cinderella inspiriertes Kleid für eine Wohltätigkeitsgala, die nächsten Monat anstand.

»Klopf, klopf«, zwitscherte meine Mutter.

Ich blickte zur Tür hinüber und lächelte, als sie mit zwei Tüten am Arm hereinkam. Sie stellte sie auf meine pfirsichfarbene Bettdecke und setzte sich dann neben mich. »Herzlichen Glückwunsch zum Geburtstag, Liebling.«

»Danke.« Ich nahm ihr eine der Tüten ab und fand Stoffbahnen darin vor.

»Aus Indonesien.« Sie lächelte stolz, als ich die Seide vorsichtig auf meinem Schoß ausbreitete und dann zu ihr hochschaute.

»Das hättest du nicht tun sollen«, keuchte ich, während meine Finger unablässig den Stoff glatt strichen. Er war so weich, so zart. Ich glaubte nicht, dass ich je zuvor in meinem Leben etwas so Edles berührt hatte.

»Ach was.« Sie gab mir die andere Tüte und klatschte in die Hände, als ich sie entgegennahm.

Sie enthielt lauter Bücher. Erstausgaben. Von Jane Austen bis Nora Roberts. »Was …?« Ich klaubte ganz unten einen kleinen Karton heraus, öffnete ihn und starrte eine glänzende Amex-Karte an.

Meine Mutter quiekte. Ihre blutroten Haare fielen hinter ihrem Ohr hervor. »Du willst gar nicht wissen, was ich tun musste, damit dein Vater hiermit einverstanden war.« Sie schnappte sich den Karton und nahm die Karte heraus.

Ich rümpfte die Nase. »Nein, das will ich bestimmt nicht wissen.«

Sie lachte. »Jetzt musst du nie mehr die Ausgaben von deinem Girokonto strikt kontrollieren.«

Das stimmte, aber es kam selten vor, dass ich so viel ausgab, um das Limit der Karte zu erreichen.

»Danke«, sagte ich noch einmal und beugte mich zu ihr, um sie zu umarmen.

»Gern geschehen«, murmelte Mom und wiegte mich hin und her, bevor sie mich freigab und ihre Haare wieder in Ordnung brachte. »Ich wünschte allerdings, du hättest einer Party zugestimmt. Es wäre eine großartige Gelegenheit für mich gewesen, alle deine neuen Freunde kennenzulernen.«

»Ich habe nicht viele neue Freunde.«

Sie lachte, als hätte ich einen Witz gemacht, aber ich ließ es ihr durchgehen. »Schultern nach hinten.« Sie tippte gegen eine davon und hob meine Haare an, um sie über meinen Rücken fallen zu lassen. »Nur weil du zu Hause bist und Geburtstag hast, heißt das noch lange nicht, dass du krumm sitzen darfst.« Sie stand vom Bett auf. »Dein Vater wird früh da sein. Wir haben die Welshs zum Dinner eingeladen.«

Meine Augen quollen aus ihren Höhlen. »Was? Nein.« Das war der Hauptgrund dafür, dass ich mich überhaupt gegen eine Party gesträubt hatte.

»Verdirb mir nicht die Laune, Schatz.«

Frustriert und panikerfüllt winselte ich: »Mom, ich wollte gar nichts veranstalten.«

»Ich weiß, aber das ist zum Teil Geschäft, zum Teil Vergnügen. Also lass es uns einfach durchziehen, okay?« Sie blieb auf der Türschwelle stehen. »Ich wünsche dir einen wunderschönen Tag.« Sie warf mir eine Kusshand zu. »Küsschen!«

Mit einem lauten Wimmern ließ ich den Kopf sinken und die Schultern hängen.

»Gib mir bitte die Soße, Liebes.« Mein Dad streckte die Hand aus, als Mom nach der Porzellanschale griff und sie ihm reichte.

»Du warst heute nicht in der Schule?«, fragte Dad, nachdem er Soße über sein Fleisch gelöffelt hatte.

»Sie hat Geburtstag, Damon. Sie musste nicht gehen.«

Er bedachte Mom mit einem Blick, den sie in gleicher Manier zurückgab. Seufzend widmete er sich wieder seinem Essen, als Lucinda ihr Besteck weglegte.

»Callum hat ein Geschenk für dich.« Sie betupfte sich mit ihrer Serviette behutsam den Mund.

Das ließ mich stutzen. Callum hatte mich seit ihrer Ankunft kaum eines Blickes gewürdigt.

Fast hätte ich gehustet. »Bitte?«

Callum grinste, dann griff er in die Brusttasche seines Jacketts, zog ein kleines Kästchen heraus und schob es über den Tisch.

Ich blinzelte es an; wusste nicht, was für ein Spiel er jetzt wieder spielte.

»Komm schon.« Meine Mom stieß mich mit dem Ellbogen an. »Sei nicht unhöflich. Mach es auf.«

Langsam griff ich über den Tisch hinweg nach dem Kästchen und öffnete es.

Darin lag ein Medaillon. Meine Mutter schnappte nach Luft. Ihre Hand wanderte zu ihrer Brust, als ich es aus dem Kästchen herausnahm.

»Du solltest das Medaillon später aufmachen.« Callum nahm seine Gabel und spießte etwas Gemüse auf. »Wenn du alleine bist, weißt du.«

Unsere Mütter gaben beide Laute von sich, als würden sie in Ohnmacht fallen.

Mit zitternder Hand verstaute ich die Kette nebst Medaillon wieder in dem Kästchen und schob es beiseite.

»Wie süß«, schluchzte meine Mom fast.

»Ich weiß.« Lucinda lächelte. Ihre braunen Augen legten sich an den Winkeln in feine Fältchen. »Vielleicht habe ich ihm ein bisschen geholfen, aber was darin ist, nun, das war seine Idee.«

»Hast du immer noch diese Freundin?«, fragte Mom Callum geradeheraus.

Mein Dad lachte. »Valery, lass den Jungen in Ruhe.«

»Er hat sie noch«, erwiderte Lucinda, wobei sie die Augen verdrehte, nach ihrem Weinglas griff und einen kräftigen Schluck nahm. »Ich finde aber, sie sollten beide ein bisschen Spaß haben, bevor sie lebenslang aneinandergekettet sind.«

Unsere Mütter keckerten wie zwei alte Weiber, unsere Väter lächelten, als wäre die Aussicht auf eine arrangierte Ehe ein ganz normales Gesprächsthema beim Essen.

Ein Blick zu Callum hatte zur Folge, dass mein Magen sich zusammenzog. Er hielt den Kopf gesenkt und starrte sein Essen an, während seine Gabel zweifellos Abdrücke auf dem Inneren seiner Faust hinterließ.

»Callum, guck doch nicht so verdrossen.« Lucinda ließ ihren Wein im Glas kreisen und trank einen weiteren Schluck. »Man könnte denken, du hättest keine Augen im Kopf. Renee ist einfach umwerfend.«

»Luce«, mahnte Kian mit einem strengen und zugleich belustigten Unterton in der Stimme.

Lucinda winkte ihrem Mann mit der Hand zu. »Du warst derjenige, der auch meinte, es wäre das Beste für unsere Familien.«

Kian hob eine Schulter. »Stimmt, aber lass das jetzt. Du jagst ihnen wahrscheinlich Angst ein.«

Ohne auf ihn zu achten, lächelte meine Mom Lucinda an und flüsterte nicht allzu leise: »Arrangierte Ehen sind wieder total im Kommen. Hast du das von dem Everton-Jungen gehört? Er hat diese Kleine geheiratet …«

»Hast du das Angebot schon fertig?«, fragte Kian, Callums Vater, meinen, wobei er die Stimmen unserer Mütter wirkungsvoll übertönte.

»Ja, es liegt in meinem Büro. Aber wir müssen da noch ein paar Kleinigkeiten ausbügeln.«

Das Gespräch wandte sich geschäftlichen Angelegenheiten zu, unsere Mütter verstummten und spielten die pflichtbewussten Ehefrauen, bis sie sich entschuldigen konnten, um sich in den Salon zurückzuziehen, noch mehr Wein zu trinken und ungestört zu lachen.

Bevor es dazu kam, erschien Rosa mit einer Torte, stellte sie auf den Tisch und räumte dann ein paar Teller ab.

Mein Vater nahm das Feuerzeug, das sie ihm hingelegt hatte, und zündete alle fünfzehn Kerzen an, während ich Callums glühende Blicke auf meinem Profil spürte.

»Erdbeerkäsekuchen?«, fragte Kian, der den Kuchen inspizierte, als mein Vater sich wieder setzte.

Meine Mom lächelte. »Den mag sie am liebsten, seit sie alt genug ist, um danach zu quengeln.«

Das stimmte, doch nach einem raschen Blick zu Callum, der seine Zunge in seine Wange bohrte, während er mit den Augen Löcher in mein Gesicht brannte, fürchtete ich, alles, was ich heute Abend hinuntergewürgt hatte, wieder von mir zu geben, wenn ich auch nur einen Bissen davon aß.

Meine Mutter und Lucinda begannen zu singen, und ich setzte ein Lächeln auf, gleichzeitig knetete ich unter dem Tisch den Saum meines Kleides mit den Fingern. Zum Glück waren alle so in ihre Unterhaltung vertieft, dass sie nicht auf mich und den Umstand achteten, dass ich mein Stück Käsekuchen nicht anrührte.

Mit Ausnahme von Callum, der sich etwas Creme von der Oberlippe leckte, bevor er sich entschuldigte.

Bald darauf nahm ich das kleine Kästchen und folgte seinem Beispiel. Callum war nirgends zu sehen, als ich den Flur hinunter auf die Treppe zuging. Leider fand ich ihn oben in meinem Zimmer vor, wo er mit den Händen über den Stoff auf meinem Schreibtisch strich. »Du nähst?«

Ich ließ die Tür offen, trat ein, betrachtete mein Zimmer und versuchte zu sehen, was er sah, als er sich umblickte. Mein hohes weißes Bücherregal, das eine ganze Wand einnahm und auf dem sich Bücher stapelten. Ein pfirsichfarbener Plüschteppich unter einem kleinen Tisch, auf dem Handarbeits- und Modezeitschriften lagen und neben dem ein weißer Sessel stand.

Mein Bett stand auf einem niedrigen Podest, die vier weißen Pfosten waren von Moskitonetzschleiern umhüllt – nicht um mich vor Mücken zu schützen, sondern weil es mir so gefiel. Von diesen hellen Vorhängen umgeben fühlte ich mich wie eine Prinzessin, und das erhöhte Bett bot mir einen atemberaubenden Blick auf den dichten grünen Wald hinter meinem von der Decke bis zum Boden reichenden Fenster.

»Ja«, sagte ich schließlich; dachte, dass das auf der Hand lag, und fragte mich, was er wollte.

Callum nahm den Deckel von einem Glas voller Knöpfe in verschiedenen Farben, Formen und Größen.

Ich verfolgte mit offenem Mund, wie er das Glas umdrehte und die Knöpfe über Schreibtisch und Boden regnen ließ. »Hoppla.«

Böse Worte formten sich hinter meinen Zähnen, als ich mich vor Wut verkrampfte. Ich schluckte sie hinunter und fragte entschieden zu ruhig: »Was ist dein Problem?«

Er stellte das leere Glas weg. Ein paar einzelne Knöpfe rollten über die Dielen, um sich hinter dem Schreibtisch zu verstecken.

Ohne sie oder mich eines Blickes zu würdigen, trat er zu den Bücherregalen. Ich hörte ein leises Kichern, als er einen meiner Comics herauszog.

»Sailor Moon?« Er zog die Brauen hoch, als er mich ansah. »Wirklich?«

Zähneknirschend konzentrierte ich mich darauf, langsam durch die Nase zu atmen. Ich würde mich nicht von ihm in Stücke reißen lassen.

»Du kommst mir nicht wie der Comictyp vor«, murmelte er, als er das Buch nachlässig auf das Regal zurückwarf. Ich erstarrte; hoffte, dass es nicht herausrutschen und auf den Boden fallen würde.

»Du kommst mir auch nicht wie der Smalltalktyp vor. Was willst du?«

Etwas, was ich nicht deuten konnte, verzerrte seine Züge, bevor er sich wieder in der Gewalt hatte. Er trat näher, und ich hielt die Augen unverwandt auf ihn geheftet. »Hast du das Medaillon schon aufgemacht?«

»Nein, und ich will es auch nicht haben.« Da ich die angespannte Atmosphäre und seine irritierende Gegenwart satthatte, marschierte ich auf ihn zu und drückte das Kästchen in meiner Hand gegen seine Brust. »Hier, nimm es zurück. Ich weiß sowieso, dass das auf dem Mist deiner Mutter gewachsen ist.«

»Stimmt«, erwiderte er mit einem alles andere als beruhigenden Lächeln. »Das ist aber kein Grund, grob zu werden. Das Ding ist vermutlich wirklich wertvoll. Ein Familienerbstück.« Mit einem weiteren flüchtigen Rundblick durch mein Zimmer fügte er hinzu: »Und wie es aussieht, hast du eine Vorliebe für teure Sachen.«

»Du etwa nicht?« Meine Hand, die immer noch das Medaillon umschloss, fiel an meiner Seite hinunter, als er zurückwich und ohne mir zu antworten zur Tür ging.

»Nenn es ein Friedensangebot.« Er deutete auf das Schmuckstück. »Ich bin es leid, Spielchen zu spielen, Renee. Sorg dafür, dass deine Mutter Ruhe gibt, dann brauchst du dir wegen mir nie wieder Gedanken zu machen.«

Ich schnaubte. »Ich habe sie bestimmt nicht ermutigt.«

Er zog eine Braue hoch.

»Du glaubst mir nicht?«

Jetzt zuckte er mit den Achseln. »Ich glaube dir, wenn ich nichts mehr von all ihren lächerlichen Plänen höre.«

Ich lehnte mich gegen meinen Schreibtisch und starrte auf das Medaillon hinunter. Ich konnte sagen oder tun, was ich wollte, er würde mir doch nicht glauben. »Dein Ego kennt keine Grenzen. Ich bin nicht an dir interessiert.«

Er blieb stumm, aber ich konnte immer noch spüren, dass er auf der anderen Seite des Raums an der Tür stand, als ich das silberne Kästchen ansah.

Seufzend klappte ich es auf, nahm das Medaillon von seinem weichen Kissen und betrachtete die kunstvollen Silbergravuren auf der Außenseite. Gegen meinen Willen entrang sich mir ein leises Keuchen. »Es ist wirklich schön.«

Callum gab einen zustimmenden Laut von sich. »Von meiner Urgroßmutter.«

Jetzt blickte ich zu ihm hinüber. Tatsächlich ein Familienerbstück. »Ich muss es nicht annehmen.«

Er kratzte sich am Kopf. »Ich denke, wenn du das nicht tust, würdest du bei unseren Müttern ein Drama heraufbeschwören.«

Wie wahr. Ich schob den Nagel unter den kleinen Haken und klappte ihn hoch.

Dann schrie ich auf. Das Medaillon flog mir aus der Hand, als sich eine schwarze Spinne auseinanderfaltete und auf meine Brust sprang. Panikerfüllt fegte ich sie zu Boden. Mein Herz raste, und mein Atem geriet ins Stocken, als ich zurückstolperte und versuchte, einen Bogen um meinen Schreibtisch zu schlagen.

Die Spinne krabbelte davon, auf meinen Schrank zu, als hinter mir ein lautes Krachen ertönte. Ich drehte mich um und sah meine neue Nähmaschine auf dem Boden liegen. »Nein!« Ich kniete mich daneben, untersuchte das zerbrochene Gehäuse und den verbogenen Nadelarm. »Nein, nein. Die hat mir meine Mom geschenkt, als wir hierher gezogen sind. Ich habe ewig darauf gewartet.«

Callum fluchte. Wutentbrannt spähte ich über meine Schulter und sah, dass ein geschockter, verkniffener Ausdruck auf seinem Gesicht lag. »Das habe ich nicht …«

»Du hast was nicht? Das mit Absicht gemacht?« Ich lachte und rang nach Atem, als sich mein Blickfeld trübte. »Raus!«

»Renee …«

»Nein«, unterbrach ich, stand auf und fuhr herum, als die Wut die Tränen trocknete, die mir in die Augen gestiegen waren. »Bist du nie, nicht eine einzige verdammte Minute lang auf die Idee gekommen, dass ich tatsächlich nichts mit dir zu tun haben wollen könnte? Dass all deine dummen Spielchen, deine Quälereien und die hasserfüllten Blicke vollkommen grundlos gewesen sein könnten?«

Er sagte kein Wort, sondern starrte mich nur an, als hätte ich ihn geohrfeigt.

»Scher dich aus meinem Zimmer, meinem Haus und meinem gottverdammten Leben. Jetzt. Bevor ich das ganze Haus zusammenschreie und meinen Eltern erzähle, was du getan hast.«

Seine Lippen öffneten sich, und seine Hand fuhr in seine dichten braunen Haare, bevor er sich endlich abwandte und zur Tür hinausstürmte.

Ich schloss sie hinter ihm ab, ließ mich dann dagegensinken und starrte mit in Fetzen gerissenem Herzen auf die Überreste meiner Nähmaschine.

Fünftes Kapitel

Callum

Sechzehn Jahre alt

»Renee und ihre Eltern werden bald hier sein«, rief meine Mutter den Flur entlang in Richtung meines Zimmers, wo ich mir ein Shirt über den Kopf zog.

»Fuck.« Ich spie das Wort leise aus.

Ich hatte Renee oft in und außerhalb der Schule gesehen, aber in den letzten elf Monaten hatten wir kein Wort miteinander gewechselt. Kein einziges verdammtes Wort.

Nicht, seit ich sie am Abend ihres fünfzehnten Geburtstags wegen einer Nähmaschine todunglücklich in ihrem Zimmer zurückgelassen hatte.

So etwas hätte mich normalerweise zum Lachen gebracht, aber als ich zusah, wie das Entsetzen auf ihrem Gesicht nackter Verzweiflung wich, konnte ich nichts tun außer sie stumm anstarren. Ich erinnerte mich an alles, als wäre es gestern passiert. Warum, wusste ich nicht recht, aber es lief oft hinter meinen geschlossenen Lidern ab und verfolgte mich in den Gängen und Klassenräumen der Schule, wann immer ich sie sah.

Sie sah mich nie an, noch nicht einmal bitterböse. Noch nicht einmal bei den Treffen unserer Familien, wo sie sich pflichtgetreu wie die gute Tochter verhielt und das fortgesetzte Schelten unserer Mütter einfach mit einem Lachen abtat.

Ich existierte nicht. Auch dann nicht, als mein Name in der ganzen Schule in aller Munde war, nachdem ich zwei Wochen nach Renees Geburtstag mit Tara Schluss gemacht hatte. Auch nicht, wenn sich die Mädchen über mein Flirten auf Partys die Mäuler zerrissen. Und auch dann nicht, als mir bei jedem unserer Spiele ein torreifer Pass nach dem anderen gelang.

Ich war ein Geist.

Was in Ordnung ging, weil es das war, was ich wollte. Ich wollte in Ruhe gelassen werden, um mein eigenes Leben zu leben und nicht den albernen Vorstellungen meiner Mutter von Ehe und zwei bis fünf Kindern gerecht werden zu müssen, bevor ich in der Firma meines Vaters die Zügel in die Hand nahm.

Es war eine Sache, dass mein Vater meine Karriere kontrollierte, aber eine ganz andere, wenn er auch noch mein Privatleben kontrollieren wollte. Im Nachhinein weiß ich, dass ich wahrscheinlich überreagiert hatte, aber ich wollte professionell Football spielen. Und Ehe? Ehe war nichts, worüber ein Fünfzehnjähriger nachdenken, geschweige denn sich hineindrängen lassen wollte.

Der hintere Garten war mit blinkenden Lichtern geschmückt, und die Band, die mein Vater engagiert hatte, wärmte sich auf der provisorischen Bühne neben dem Pool auf. Als ich ein paar Stühle in der Ecke in der Nähe des Zauns entdeckte, machte ich es mir in einem davon bequem und zog mein Telefon hervor, um mich bei den sozialen Netzwerken einzuloggen.

Die Neuigkeit von der Party war in der ganzen Schule herum. Ich glaubte nicht, dass meine Eltern genau wussten, auf was sie sich einließen, als sie beschlossen, für meinen Sechzehnten eine große Sause für mich zu veranstalten.

Meine Teamkameraden kamen als Erste und lachten und pfiffen, als sie meine Mutter beobachteten, die sich über den Pool beugte, um eine heruntergefallene Lichterkette neu zu befestigen.

»Ihr Kerle seid bekloppt«, knurrte ich, als sie mir auf den Rücken schlugen und zum Geburtstag gratulierten.

»Es gibt vieles, was ich dazu sagen könnte.« Mike lachte, als er sich neben mich setzte. »Aber sie ist eine MILF.«

»Stimmt, ist sie.« Die Stimme meines Dad ließ uns alle vier erstarren und gleichzeitig aufblicken. Er grinste und sah uns nacheinander an. »Glaubt nicht, ich hätte vergessen, wie es ist, ein Teenager zu sein. Ich war kaum erwachsen, als du zur Welt gekommen bist.« Er deutete mit seinem Whisky auf mich.

Er liebte es, mich daran zu erinnern. Wie er es geschafft hatte, das College zu beenden, meine Mom zu unterstützen, als sie mich in ihrem vorletzten Studienjahr bekam, und sich gleichzeitig in der Firma hochzuarbeiten, die einmal meinem Großvater gehört hatte.

»Haben Sie davon noch einen übrig, Mr Welsh?«, meldete sich Steve mit dem Blick auf seinen Drink zu Wort.

Das Grinsen meines Dad erstarb. »Netter Versuch.«

Er schlenderte zu meiner Mutter hinüber, die sich mit einem der Bandmitglieder unterhielt, ihre Haare zurückwarf, lachte und völlig überrumpelt war, als mein Dad einen Arm um sie legte und sie an sich zog.

Ich stöhnte. »Himmel, muss das sein?«

Die Jungs kicherten, und Mike lenkte mich zum Glück mit der Frage danach ab, was ich für ein Auto bekommen würde.

»Dad sagt, er kauft mir keins, bevor ich siebzehn bin.«

»Warum nicht?« Mike nahm sich eine Limonade aus der Kühlbox.

»Weiß der Teufel. Er sagte etwas davon, dass ich dann verantwortungsbewusster wäre.«

Steve prustete. »Wie viel kann sich denn in einem Jahr ernsthaft ändern?«

In diesem Moment kamen Renees Eltern nach draußen. Renee folgte ihnen langsam und blieb zwischen den offenen Glastüren stehen.

»Viel, schätze ich«, murmelte Mike, den Blick auf Renee geheftet, die ihr smaragdgrünes Cocktailkleid zurechtzupfte. Dazu trug sie eine schwarze Strumpfhose und weiße hochhackige Schuhe.

Wer zum Teufel trug weiße Schuhe und eine schwarze Strumpfhose?

Renee. Die weiße Schleife auf ihren roten Haaren zog unsere Blicke auf sich, sie bewegte sich keinen Millimeter, als wäre sie festgeklebt.

Sie sah zu uns herüber und dann sofort wieder weg.

»Sagt irgendeiner Hi?«, fragte Mike.

Als keiner von uns antwortete, ich, weil ich nicht konnte, schüttelte er den Kopf und steuerte auf Renee zu. Meine Hand schloss sich um meine Getränkedose, ohne dass ich das metallische Klicken bewusst registrierte, als sie zu Mike hochlächelte.

Mike. Seit wann lächelte sie Mike an?

Die Band begann zu spielen, und weitere Gäste trafen ein. Nachdem wir eine einstündige Unterhaltung mit Freunden meiner Eltern und verschiedenen Leuten von der Schule durchgestanden hatten, gelang es uns, uns mit der Flasche Wodka, die Wanda unter der Küchenspüle versteckt hielt, in mein Zimmer zu schleichen.

»Tara datet jetzt Jed, wusstest du das?«

Ich trank einen Schluck aus der Flasche und reichte sie mit einem kaum merklichen Schulterzucken an Mike weiter. »Interessiert mich nicht sonderlich. Wir haben uns vor einer halben Ewigkeit getrennt.«

Steve rülpste. »Ja, aber sie hat seit einer halben Ewigkeit niemanden mehr gedatet.«

»Mmm«, stimmte Mike zu. »Ihr wart die Ersten füreinander und so. Da wäre es wohl verständlich, wenn du noch etwas für sie empfinden würdest.«

»Wir können ihn Montag nach der Schule deswegen ein bisschen zurechtstutzen«, sagte Pat gleichgültig, während er die Comics auf dem Bücherregal inspizierte.

»Nicht nötig.« Ich setzte mich auf meinem Bett auf und blickte aus dem Fenster auf den Pool unter mir hinunter.

Wir waren die Ersten füreinander gewesen. Irgendwie, vermutete ich. Tara war cool, aber ich hatte schon Monate vor unserer endgültigen Trennung nichts mehr für sie empfunden.

»Ist Mandy hier?«, fragte Steve. Er lag auf dem Teppich, warf einen Football in die Luft und fing ihn mit geschlossenen Augen wieder auf.

»Mandy?«, erkundigte sich Pat verwirrt.

»Sie ist in unserem Jahrgang. Kennst du sie wirklich nicht?«, wollte Mike wissen.

»Nö«, erwiderte Pat entschieden.

Es interessierte mich einen Scheißdreck, wer hier war. Mein Kopf fühlte sich ein bisschen schwer an. Wir waren daran gewöhnt, ab und an zu trinken, aber keinen puren Wodka. Ich musste pinkeln. Und brauchte etwas Wasser.

Draußen auf dem Flur versuchte der Partylärm die dicken Wände und alten Bogenfenster zu durchdringen.

Ich ging zum Klo und dann in die Küche hinunter.

Weiß und Rot stach mir ins Auge, und ich blieb am Fuß der Treppe stehen, spähte darum herum und sah Renee auf der dahintergeschobenen Bank sitzen. Sie nähte irgendetwas.

»Hast du jemals deine Nähmaschine reparieren lassen?« Ich verschluckte mich an den letzten Worten und rieb mir die Augen, als sie innehielt, um zu mir hochzublicken.

Da hinten war es dunkler, aber ich konnte sie trotzdem sehen. Eine Sekunde, nur eine Sekunde lang glühten ihre grünen Augen eine Spur dunkler, passten zu dem Smaragdton ihres Kleides, bevor sie eine unbeteiligte Miene aufsetzte.

»Ja.«

»Was hast du letztendlich deiner Mom erzählt?« Ich ließ mich auf das andere Ende der Bank fallen. Mein Durst war vergessen.

»Dass ich eine Spinne gesehen und die Maschine versehentlich vom Tisch gestoßen habe.«

Die Art, wie sie mir frei und offen antwortete, entlockte mir ein Lächeln. »Du clevere kleine Lügnerin.«

»Es ist doch keine Lüge, oder?« Sie sah einen Moment lang zu mir herüber, ließ mich die Wirkung ihres Blicks voll spüren. Ihre rosigen Lippen, von denen die untere voller war als die obere, öffneten sich. Als sie wieder aufeinandertrafen, bildeten sie einen perfekten Bogen.

»Was?« Ich kratzte mich an der Brust. Meine Haut oder vielleicht mein Shirt juckte.