Professor Zamorra 1216 - Christian Schwarz - E-Book

Professor Zamorra 1216 E-Book

Christian Schwarz

0,0
1,99 €

-100%
Sammeln Sie Punkte in unserem Gutscheinprogramm und kaufen Sie E-Books und Hörbücher mit bis zu 100% Rabatt.
Mehr erfahren.
Beschreibung

Leap Castle, Irland
Fiona Walsh schreckte aus dem Schlaf hoch. Als sie die Tür öffnete, schlug ihr ein geisterhaftes Wispern entgegen, in dem sie Lachen und Kichern zu erkennen glaubte. Sie verharrte und beobachtete die beiden feinstofflichen Geisterkinder, die vor dem offenen Kamin standen, die Handflächen lachend gegeneinander klopften und dabei auf eigenartige Weise leuchteten. Emily und Charlotte, dachte sie. Schon länger nicht mehr gesehen ... Fiona kannte die Geister von Leap Castle alle.


Das E-Book können Sie in Legimi-Apps oder einer beliebigen App lesen, die das folgende Format unterstützen:

EPUB
MOBI

Seitenzahl: 152

Bewertungen
0,0
0
0
0
0
0
Mehr Informationen
Mehr Informationen
Legimi prüft nicht, ob Rezensionen von Nutzern stammen, die den betreffenden Titel tatsächlich gekauft oder gelesen/gehört haben. Wir entfernen aber gefälschte Rezensionen.



Inhalt

Cover

Impressum

Das Schloss der 1000 Geister

Leserseite

Vorschau

BASTEI LÜBBE AG

Vollständige eBook-Ausgabeder beim Bastei Verlag erschienenen Romanheftausgabe

© 2021 by Bastei Lübbe AG, Köln

Programmleiterin Romanhefte: Ute Müller

Verantwortlich für den Inhalt

Titelbild: Kiselev Andrey Valerevich / shutterstock

eBook-Produktion:3w+p GmbH, Rimpar (www.3wplusp.de)

ISBN 9-783-7517-0870-8

www.bastei.de

www.luebbe.de

www.lesejury.de

Das Schloss der 1000 Geister

von Christian Schwarz

Leap Castle, Irland, nahe Vergangenheit

Fiona Walsh schreckte aus dem Schlaf hoch, der sicher noch nicht allzu lange andauerte.

Ich habe den Herd nicht ausgeschaltet, durchzuckte es sie.

Schlagartig war sie wach. Schnell verließ sie ihr warmes Bett und eilte in Richtung Küche. Dabei musste sie das Kaminzimmer durchqueren.

Als sie die Tür öffnete, schlug ihr ein geisterhaftes Wispern entgegen, in dem sie Lachen und Kichern zu erkennen glaubte ...

Fiona spürte Gänsehaut am ganzen Körper. Sie verharrte und beobachtete die beiden feinstofflichen Geisterkinder, die vor dem offenen Kamin standen, die Handflächen lachend gegeneinander klopften und dabei auf eigenartige Weise leuchteten.

Emily und Charlotte, dachte sie. Schon länger nicht mehr gesehen ... Fiona kannte die Geister von Leap Castle alle. Als sie gerade das Licht anmachen wollte, erschrak sie wirklich. Auf dem Absatz des Treppenaufgangs erschien wie hingezaubert eine mächtige Gestalt, die sie noch nie hier gesehen hatte. Die goldene Elfe fixierte Fiona mit kaltem Blick.

»Da kommen die Ersten«, sagte Mary Walsh zu ihrer Mutter. Sie stand am Fenster des Wohnzimmers und beobachtete den BMW, der in der beginnenden Dämmerung auf den Burghof fuhr.

»Na dann, viel Spaß bei der Geistertour«, sagte ihre Mutter, ohne von dem Buch aufzublicken, das sie gerade las.

Mary lächelte. »Danke, Mum. Aber ich habe ja noch etwas Zeit, bis alle Gäste eingetrudelt sind und Dad sie mit Begrüßungs-Whisky versorgt hat.«

Nachdem vier weitere Autos auf den Hof gefahren waren, machte Mary sich auf den Weg in die Eingangshalle. Sie war eine hübsche, schlanke, sportlich wirkende Frau in den Vierzigern, die mit ihrem Dutzendgesicht und ihrer ruhigen Art unauffällig wirkte. Mary war niemand, den man sich merkte, und sie wusste es. Aber es machte ihr längst nichts mehr aus. Nachdem ihre beiden großen Lieben sie abgewiesen hatten und zwei Beziehungen krachend gescheitert waren, hatte Mary der Hauptstadt Dublin den Rücken gekehrt, um erneut bei ihren Eltern einzuziehen. Ihr Vater hatte die einstige Brandruine vor rund fünfzehn Jahren gekauft, weil er schon sein Leben lang Burgherr werden wollte. Am besten in einem Anwesen, in dem es spukte. Leap Castle war die ideale Möglichkeit gewesen, diesen Traum zu verwirklichen.

Mary hatte Leap Castle von Anfang an nicht gemocht. Vor allem, weil sie von ihrer allzeit spöttisch vertretenen Meinung, es gebe keine Geister, Abschied hatte nehmen müssen. Viele der Geister, die Leap Castle zugeschrieben wurden, hatte sie bereits mit eigenen Augen gesehen. Und die Kälte gespürt, die sie um sich verbreiteten.

Zunächst hatte Mary an Sinnestäuschungen geglaubt. Und war eines Besseren belehrt worden. Heute gehörten die Geistererscheinungen zu ihrem Alltag wie Frühstück und Abendessen. Sie leitete sogar die Ghost Tour, die ihr Vater seit sieben Jahren anbot und die sich großer Beliebtheit erfreute. Trotzdem verursachte ihr das uralte Gemäuer nach wie vor Albträume. Eigentlich war es immer der gleiche. Sie bewegte sich in einer surreal anmutenden grünen Umgebung, die aus endlos langen Wasserleitungen, Pflanzenteilen und Knoten bestand. Das löste jedes Mal beklemmende Gefühle in ihr aus, nicht zuletzt deswegen, weil sie diese Träume überhaupt nicht einordnen konnte. Mit den Geistern schienen sie nichts zu tun zu haben. Oder vielleicht doch?

Mary schob die schwere Eichentür auf, die in die Eingangshalle führte. Sie knarrte gewaltig. Vierzehn Augenpaare starrten ihr entgegen, als sie die von Fackeln erleuchtete Halle betrat. Geheimnisvolle Schatten huschten über die Wände und ließen den Staub und vor allem die Spinnweben glitzern, die überall in den Ecken hingen.

»Darf ich vorstellen, meine Tochter Mary«, sagte Peter Walsh zu den Gästen. »Sie wird Sie auf der Ghost Tour begleiten und Ihre Fragen beantworten. Mary weiß wirklich über alles Bescheid, nicht wahr?« Er lächelte in ihre Richtung und kniff ein Auge zusammen. »Aber das ist ja auch kein Wunder, schließlich lebt sie bereits seit vierhundertneunundfünfzig Jahren hier.«

Mary lächelte, während einige Frauen kicherten und ein Mann abgehackt lachte. Diesen Witz machte ihr Vater immer.

Peter Walsh, ein großer kräftiger Mann mit eisgrauem Kurzhaarschnitt und freundlichen Augen, wandte sich wieder den Gästen zu. »Wir waren, glaube ich, noch nicht ganz fertig. Will noch jemand auf das Erscheinen diverser Geister wetten, bevor ich Sie der Obhut meiner reizenden Mary übergebe?« Er schaute in die Runde. »Nein, niemand? Auch gut.«

Eine junge blonde Frau, die an der Armbeuge ihres wesentlich älteren Begleiters hing, hakte sich aus und zeigte, dass sie keineswegs nur eine Rolle als hübsches Anhängsel spielte – was Mary zunächst vermutet hatte. Sie zückte lächelnd ihre Geldbörse und kramte vier Münzen heraus. »Ach, was soll's. Dann setze ich vier Pfund auf The Elemental«, erwiderte sie mit starkem Liverpooler Slang. »Vielleicht habe ich ja Glück. Na ja, ich weiß schon, dass die Tourteilnehmer nur sehr selten einen der Geister zu sehen kriegen. Aber man weiß ja nie. Und wenn nicht, dann sind's ja nur vier Pfund, die ich in den Sand gesetzt habe. Die Tour soll ja auch so gruselig genug sein ...«

Sie streckte dem Burgherrn die Hand mit den Münzen hin. »Da, nehmen Sie, Mister Walsh. Vielleicht habe ich ja so viel Glück wie meine Schwägerin Jane, die vor sechs Wochen hier war. Da ist The Elemental tatsächlich aufgetaucht, wenn auch nur kurz. Zumindest behauptet sie das steif und fest. Der soll ja besonders schrecklich aussehen.«

»Meine Schwester Jane war schon hier?«, wunderte sich der ältere Mann, ebenfalls ein Liverpudlian, wie die Bewohner Liverpools genannt wurden. »Und warum weißt du das und ich nicht?«

»Frauen mit Geheimnissen waren schon immer interessanter als die ohne«, behauptete sie und lächelte ihn beinahe hämisch an.

Mary wusste nicht, warum sie das für einen irritierenden Moment lang auf sich bezog. Auf jeden Fall erinnerte sie sich noch sehr gut an die Tour, bei der The Elemental aufgetaucht war. Der schreckliche Gestank, den er von alters her um sich verbreitete, war Beweis genug gewesen, dass es sich nicht etwa um eine Halluzination gehandelt hatte.

»Also gut. Dann wette ich zehn Pfund auf die Red Lady. Einfach, weil das ein herrlicher Spaß ist«, brummte ein älterer Mann mit mächtigem Bauch, Schnauzbart und Hut, bei dem es sich eindeutig um einen US-Amerikaner handelte. Auch er hatte eine Frau dabei, die sich schon jetzt mit großen, ängstlichen Augen umsah und Gänsehaut im Gesicht hatte. »Dabei glaube ich nicht mal an Geister«, schob er grinsend hinterher und schaute sich so gewichtig um, wie er daherkam. »Wer an Geister glaubt, biegt sich doch nur die Wirklichkeit nach seinen Wünschen zurecht.«

Auch dieser gedrechselte Satz berührte Mary seltsam und ließ sie innerlich frösteln. Wieder plagte sie für einen Moment das unbestimmte Gefühl, er würde ihr so perfekt wie ein hautenges Kleid passen, wenn man ihn ihr überstülpte.

»Das ist ja so ansteckend wie ein Virus. Dann wette ich auf die goldene Elfe«, mischte sich nun eine kräftige Frau in mittleren Jahren ein und kramte in ihrer Handtasche. Sie war schlank, trug die roten Haare kurz und schaute über den Rand einer modischen bunten Brille hinweg. Ihr Hiberno-Englisch wies sie als Irin aus. »Im Munster Express habe ich gelesen, dass es sich bei der goldenen Elfe um einen neuen Geist handelt, der erst zwei Mal überhaupt auf Leap Castle gesehen wurde. Stimmt das?«

Mary nickte lächelnd und legte die Fingerspitzen gegeneinander. »Wenn ich unsere Putzfrau Milli hinzunehme, dann sogar schon drei Mal. Ob der Geist der Goldenen neu hier ist, können wir allerdings nicht mit Bestimmtheit sagen. Denn es gibt auch sehr viele namenlose Geister in der Burg und welche, die wir noch gar nicht kennen, obwohl sie schon lange hier spuken müssen. Auch wir erleben immer noch Überraschungen hier. Ich zum Beispiel habe erst vor zwei Wochen den Geist eines kleinen rothaarigen Jungen durch die Kellerräume tappen sehen, den ich im Geister-Verzeichnis, das wir tatsächlich führen, nirgendwo gefunden habe. Sein Kopf sitzt schräg auf den Schultern, an seinem Hals ist deutlich der Abdruck eines Seils zu erkennen. Er ist ganz sicher irgendwann mal erhängt worden.«

»Das erzählen Sie uns jetzt nur, um uns Angst zu machen«, murmelte die Amerikanerin und schüttelte sich.

»Ich wünschte, es wäre so, Ma'am«, antwortete Mary. »Aber ich schwöre Ihnen, dass es sich wirklich so zugetragen hat. Und ich schwöre Ihnen ebenfalls bei meinem Leben, dass es eine Minute nach Mitternacht war, als der gehängte Junge plötzlich auftauchte. Ich hatte gerade etwas aus dem Regal genommen, als er mit weit offenem Mund und panischem Gesichtsausdruck durch die Wand kam und orientierungslos hin und her ging, so als suche er etwas. Er war feinstofflich und nicht mehr als ein Nebelhauch, aber doch deutlich wahrzunehmen. Dann verschwand er wieder in der gegenüberliegenden Wand, ohne mich in irgendeiner Weise wahrgenommen zu haben.«

»Niemals würde ich alleine in diesen Keller gehen«, murmelte die Amerikanerin angstvoll.

»Dazu hast du ja mich.« Der Dicke mit dem Hut grinste erneut. »Aber sagen Sie, Miss Mary, Mister Walsh, was halten Sie denn von der Theorie, dass die goldene Elfe gar nicht zu diesem prächtigen Steinhaufen hier gehört? Ich habe diesen Artikel im Lokalteil des Munster Express auch gelesen. Und da stand drin, dass die goldene Elfe auch ein paarmal in den umgebenden Feldern und Wäldern gesichtet worden sein soll. Der Besitzer des Ballycurragh Cottages, das wohl irgendwo hier in der Nähe liegen muss, schwört Stein und Bein, dass er sie vor dem Haus gesehen hat. Und auch bei der Andachtsstätte Saint Molua Holy Well soll sie schon aufgetaucht sein und die ist ja ein ganzes Stück entfernt. Meine Frau und ich waren gestern dort. Wir wohnen nämlich in Roscrea, und auch dort hat man sie wohl schon gesehen. Mitten in der Stadt.«

»Ich weiß es nicht, Sir. Aber es wird immer sehr viel spekuliert, wie Ihnen sicherlich bekannt sein dürfte«, erwiderte Peter Walsh. »Aber nun würde ich sagen, erklärt Ihnen alles Weitere Mary, die Sie nicht nur mit den einzelnen Geistern, sondern auch mit der überaus grausamen und blutigen Geschichte Leap Castles bekannt machen wird. Viel Spaß und angenehmes Gruseln.«

Fürstentum Offaly, Irland, im Jahre des Herrn 1257

Teighe O'Carroll führte den Trupp aus bewaffneten Reitern an. Sie verließen Leap Castle am späten Nachmittag, um Teighes Bruder Thaddeus entgegenzureiten. Auch wenn Thaddeus mit einer bewaffneten Leibwache aus Clanangehörigen reiste, so machte sich Teighe doch Sorgen. Seit einigen Tagen tauchten wieder verstärkt normannische Reiter im Grenzgebiet Offalys auf und machten die Gegend unsicher. Eine Bauernfamilie hatte unter normannischen Schwertern ihr Leben lassen müssen.

Teighe, ein Hüne von Mann mit schulterlangen, braunen, lockigen Haaren und einem mächtigen Vollbart, der in vier Zöpfe geflochten war, ritt an der Spitze von 20 Getreuen auf dem Weg, der über weite purpurne Heide und durch dichte Wälder zum Kloster Clonmacnoise führte. Von dort kam Thaddeus. Nachdem er zwei Tage bei dem Abt des Klosters, Bruder William, verweilt hatte, um mit ihm einige wichtige Dinge zu besprechen, musste er heute am frühen Morgen wieder von Clonmacnoise aufgebrochen sein. Wenn alles gut gegangen war, musste der Tross bereits das Herrschaftsgebiet des O'Carroll-Clans erreicht haben.

Schon kurz nachdem sie in die dichten Wälder eingedrungen waren, hörten sie Schreie und Kampflärm. »Los, vorwärts, Männer!«, schrie Teighe, holte seinen Morgenstern aus dem Gürtel und ließ bereits die Kugel kreisen, während er seinem Pferd die Fersen in die Flanken drückte. Wiehernd stürmte es los. Teighe hörte seine Männer hinter sich galoppieren, aber nun konzentrierte er sich nur noch auf sich.

Oh gütiger Gott im Himmel, lass uns nicht zu spät kommen, schoss es ihm durch den Kopf.

Es war tatsächlich Thaddeus' Tross. Die normannischen Reiter hatten ihn auf einer kleinen Waldlichtung gestellt. Sie ritten gegen Thaddeus' Männer an, die zu Fuß waren und verzweifelt versuchten, die Kutsche, vor der die Pferde tot in ihren Geschirren hingen, gegen die Feinde zu verteidigen. Mindestens sechs von ihnen lagen bereits in ihrem Blut, die restlichen 30 würden mit ihren Spießen und Schwertern keine Chance gegen die gut ausgebildeten normannischen Soldaten haben, die von Kettenhemden geschützt wurden und Langbögen mit sich führten. Mit diesen wussten sie vortrefflich umzugehen. Auch ihre Pferde, die sie immer wieder vor Thaddeus' Männern steigen ließen, waren an den wichtigen Stellen gepanzert.

Teighes Männer wussten, wie sie sich gegen normannische Reiter verhalten mussten. Viele Wochen lang hatten sie den Ernstfall geübt. Es gelang ihnen, den Gegner völlig zu überraschen. Nur noch vereinzelte Pfeile flogen in Richtung der Heranpreschenden. Teighe suchte sich den Reiter ganz hinten aus, den er für den Anführer hielt. Mit voller Wucht prallte er auf den schon etwas älteren Mann. Dessen Pferd wurde umgeworfen, der Normanne fiel brüllend auf den Rücken.

Teighe hörte an dem infernalischen Lärm, der aus panischem Wiehern, dumpfen Schlägen, Waffenklirren und fürchterlichen Schreien bestand, dass auch seine Männer in die Normannen hineingeritten waren. Sein direkter Gegner versuchte hochzukommen, hatte aber durch das schwere Kettenhemd Probleme. Und genau das war die verwundbare Stelle der Normannen. Wenn man sie in den Bodenkampf Mann gegen Mann zwingen konnte, waren sie deutlich unbeweglicher, und ein guter Kämpfer konnte so die Oberhand behalten.

Teighe sprang vom Pferd. Als sein Gegner gerade stand, beendete er dessen Leben mit einem furchtbaren Schlag seines Morgensterns, der das Gesicht in blutigen Matsch verwandelte. Sofort drehte sich Teighe um. Er sah, dass zwei normannische Reiter den Aufprall überstanden hatten und nach wie vor auf ihren Pferden saßen. Sie ließen sie steigen und mit den Hufen auf seine Männer eintrommeln. Zwei sanken mit blutigen Köpfen nieder.

Teighe rannte auf den vordersten Reiter zu, packte ihn am Bein und hob ihn aus dem Sattel. Auch er hatte im Zweikampf keine Chance gegen den Hünen, der nun mit der Streitaxt auf ihn eindrang.

Als auch dieser Normanne in seinem Blut lag und drei seiner Männer den zweiten Reiter gerade vom Pferd rissen, schrie Teighe entsetzt auf. Ein Normanne, der siegreich geblieben war, riss soeben die Tür der Kutsche auf, um mit blutigem Schwert einzudringen. Der Hüne wusste, dass er es durch die wogenden Scharmützel nicht mehr rechtzeitig zur Kutsche schaffen würde. So schleuderte er seine Kampfaxt. Das war seine Spezialdisziplin. Blitzend überschlug sich das Beil einige Male – und knallte gegen den Helm des Normannen. Der fiel in sich zusammen wie ein gefällter Baum. Teighe half seinen Männern, indem er noch zwei Gegner aus dem Weg räumte, dann stand er vor der Kutsche. Wild entschlossen, jedem feindlichen Kämpfer den Weg ins Innere zu versperren.

Kurze Zeit später war der Kampf vorbei. Kein Normanne hatte fliehen können. Die meisten waren tot. Ein paar Verwundete wälzten sich stöhnend am Boden, während einige Pferde schnaubend kreuz und quer über die Lichtung trabten oder im Wald verschwanden. Auch Teighe hatte zahlreiche Tote und Verletzte zu beklagen. Seine eigenen Wunden spürte er nicht, als er voller Sorge die Kutschentür aufriss. Erleichtert atmete er auf. Thaddeus, sein Bruder, saß unverletzt darin. Er kauerte sich furchtsam in eine Ecke und hatte sich die Kapuze seines braunen Talars über den Kopf gezogen.

»Es ist vorbei, Bruder«, sagte Teighe. »Ihr braucht keine Furcht mehr zu haben, wir haben sie besiegt.«

Thaddeus hob den Kopf. Das bartlose Gesicht war totenbleich. Er zitterte am ganzen Körper. Das Lächeln, das er versuchte, missriet zur Grimasse. »Danke, Bruder«, murmelte er mit belegter Stimme, »Eure Hilfe war wohl zur rechten Zeit. Der Normanne hätte mich getötet oder als Geisel genommen, um den freien Abzug seiner Leute zu erzwingen.«

Teighe grinste, setzte sich neben seinen Bruder und legte den Arm um dessen Schultern. »Ich bin froh, dass ich Euer Leben retten konnte, Thaddeus«, sagte er. »Unser Clan braucht in diesen unruhigen Zeiten eine starke Führung.«

»Die hat er in mir nicht«, erwiderte Thaddeus und schüttelte den Kopf. »Ich bin nur ein Priester und eher den geistlichen Dingen zugetan. Ihr hingegen seid der geborene Krieger, Bruder, ein herausragender Kämpfer und ein ebenso herausragender Stratege. Ihr habt es eher verdient, Chieftain zu sein. Übernehmt Ihr die Führung des Clans, ich würde sie nur allzu gern in Eure Hände legen.«

Teighe schüttelte den Kopf. »Ihr mögt recht haben, Bruder. Aber Ihr wisst, wie ich darüber denke. Als der Ältere von uns beiden seid Ihr von Gott selbst dazu ausersehen worden, den Clan zu führen. Der Herr wird sich schon etwas dabei gedacht haben, Euch an diese Stelle zu setzen und mich an diese. Oder glaubt Ihr, dass der Herr sich darin irren könnte, Thaddeus?«

»N-nein, natürlich nicht«, murmelte der Priester und senkte den Kopf. »Manchmal denke ich, Ihr seid gottesfürchtiger als ich. Dann lassen wir also Gottes Willen geschehen. Und ich werde mein Möglichstes tun.«

»So ist's recht.« Teighe nickte. »Ihr wisst, dass Ihr mich jederzeit um Rat fragen könnt, Thaddeus, wenn Ihr ihn denn hören wollt. Aber am Ende entscheidet Ihr, was zu tun ist.« Der Hüne schlug seinem deutlich kleineren und schmaleren Bruder freundschaftlich auf die Schulter und stieg wieder aus.

Kilian, der Druide, der Teighes Trupp angehörte und sich aus den Kampfhandlungen herausgehalten hatte, war eingetroffen und versorgte die Verwundeten. Der Heil- und Zauberkundige gehörte zu Teighes engsten Vertrauten und hatte seine Kunst schon zahlreiche Male bewiesen. Kilian war so groß und kräftig wie Teighe. Dass er auf die Menschen düster und fast ein wenig unheimlich wirkte, hatte aber kaum etwas mit den rabenschwarzen Haaren, die ihm bis auf die Brust fielen, und dem ebenso schwarzen Vollbart zu tun. Und nur wenig mit der knöchellangen schwarzen Kutte, die er bevorzugte. Es waren vielmehr seine Augen, in denen ein schwarzes Feuer zu wüten schien. Aber Teighe wusste, dass die Äußerlichkeiten trogen. Kilian war stets hilfsbereit, eine Seele von Mensch geradezu. Deswegen versorgte er auch, mit Teighes ausdrücklicher Einwilligung, die normannischen Verwundeten. Die überließ Teighe dann aber sich selber, während die nicht mehr gehfähigen Verwundeten auf eilig zusammengebundene Tragen gelegt wurden.

Als Teighe und seine Männer nach Leap Castle zurückkehrten, wurden sie in vorderster Front von Aiven empfangen, dem siebenjährigen Sohn von Teighes Schwester Aislyn. Aiven, der die roten Haare seines Vaters geerbt hatte, schwenkte begeistert sein Spielschwert, als er vom Sieg der O'Carrolls hörte.

»Habt Ihr einen anderen Clan besiegt, Oheim?«, fragte der Kleine mit leuchtenden Augen.

»Nein, es ging gegen normannische Reiter«, erwiderte Teighe lächelnd von seinem Pferd herunter.