Profiling Murder Fall 4 - 6 - Dania Dicken - E-Book

Profiling Murder Fall 4 - 6 E-Book

Dania Dicken

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Beschreibung

Laurie Walsh war eine erfolgreiche Polizistin. Bis sie aus Notwehr schießen musste - und ein Mensch starb. Die Bilder verfolgen sie jede Nacht - selbst jetzt, mehr als ein Jahr später. Doch dann meldet sich ihr ehemaliger Partner Jake und bittet sie um Hilfe bei einem Fall. Und Laurie wird klar, wie sehr ihr Herz noch an der Polizeiarbeit hängt. Immer wieder hilft sie Jake fortan bei harten Fällen, die die Ermittler tief erschüttern. Und gerät dabei nicht selten selbst ins Visier der Täter ...

Folge 4: Das FBI bekommt einen Hinweis und endlich gelingt es ihnen, Sams Entführer David Lester zu überwältigen und festzunehmen. Er hat eine Frau bei sich, und als Laurie ihr gegenübersteht, weiß sie: Die Frau ist Sam - ihre vermisste Schwester. Doch diese behauptet steif und fest, nicht Samantha Walsh zu sein. Offenbar hat sie in den elf Jahren in Lesters Gefangenschaft ihre eigene Identität vergessen. Es beginnt ein Wettlauf gegen die Zeit, denn es gibt keinerlei Beweise dafür, dass Lester Sam gegen ihren Willen festgehalten hat. Wenn sich der Verdacht innerhalb von achtundvierzig Stunden nicht erhärtet, müssen sie ihn frei lassen. Sam ist die Einzige, die ihn belasten kann. Laurie versucht alles, um zu ihrer Schwester durchzudringen - vergebens?

Folge 5: Jake erwacht im Dunkeln vor der Bar, in der er eben noch mit seinem Freund Steve ein Bier getrunken hat. Jemand hat ihn niedergeschlagen und seine Dienstwaffe gestohlen. Am nächsten Morgen dann ein weiterer Schock: Unweit der Bar wurde eine Leiche gefunden. Es ist Steve - und Jake ist der letzte, der ihn lebend gesehen hat. Es dauert nicht lang, bis der Verdacht der ermittelnden Detectives auf ihn fällt. Laurie muss ihm helfen, auch wenn es ihr ausdrücklich untersagt wurde. Bei ihren Nachforschungen lässt sie nichts unversucht - und bringt sich damit selbst in die Schusslinie der Täter.

Folge 6: Die Leiche einer jungen Frau wird brutal zerstückelt aufgefunden. Das Brisante: Sie hätte bei einem wichtigen Kartell-Prozess in der Jury sitzen sollen. Steckt das Kartell dahinter, weil sie das Urteil in eine unerwünschte Richtung hätte lenken können? Laurie und Jake ermitteln in dem Mordfall. Schnell stellt sich heraus, dass die Tote und der zuständige Staatsanwalt Haimsworth sich von früher kannten - und dass die beiden ein dunkles Geheimnis verbindet, das den Staatsanwalt nicht nur seine Karriere, sondern auch seine Freiheit kosten könnte.

eBooks von beTHRILLED - mörderisch gute Unterhaltung.

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Impressum

beTHRILLED Originalausgabe »be« - Das eBook-Imprint der Bastei Lübbe AG Copyright © 2020 by Bastei Lübbe AG, Köln Covergestaltung: Thomas Krämer unter Verwendung von Motiven von Shutterstock.com eBook-Erstellung: readbox publishing GmbH, Dortmund ISBN: 978-3-7517-0773-2

Dania Dicken

Profiling Murder Fall 4 - 6

Über diese eBox

Dania DickenProfiling Murder - Fall 4Folge 4: Das FBI bekommt einen Hinweis und endlich gelingt es ihnen, Sams Entführer David Lester zu überwältigen und festzunehmen. Er hat eine Frau bei sich, und als Laurie ihr gegenübersteht, weiß sie: Die Frau ist Sam - ihre vermisste Schwester. Doch diese behauptet steif und fest, nicht Samantha Walsh zu sein. Offenbar hat sie in den elf Jahren in Lesters Gefangenschaft ihre eigene Identität vergessen. Es beginnt ein Wettlauf gegen die Zeit, denn es gibt keinerlei Beweise dafür, dass Lester Sam gegen ihren Willen festgehalten hat. Wenn sich der Verdacht innerhalb von achtundvierzig Stunden nicht erhärtet, müssen sie ihn frei lassen. Sam ist die Einzige, die ihn belasten kann. Laurie versucht alles, um zu ihrer Schwester durchzudringen - vergebens? Laurie Walsh war eine erfolgreiche Polizistin. Bis sie aus Notwehr schießen musste - und ein Mensch starb. Die Bilder verfolgen sie jede Nacht - selbst jetzt, mehr als ein Jahr später. Doch dann meldet sich ihr ehemaliger Partner Jake und bittet sie um Hilfe bei einem Fall. Und Laurie wird klar, wie sehr ihr Herz noch an der Polizeiarbeit hängt. Immer wieder hilft sie Jake fortan bei harten Fällen, die die Ermittler tief erschüttern. Und gerät dabei nicht selten selbst ins Visier der Täter ... eBooks von beTHRILLED - mörderisch gute Unterhaltung.Jetzt lesen
Profiling Murder - Fall 5Folge 5: Jake erwacht im Dunkeln vor der Bar, in der er eben noch mit seinem Freund Steve ein Bier getrunken hat. Jemand hat ihn niedergeschlagen und seine Dienstwaffe gestohlen. Am nächsten Morgen dann ein weiterer Schock: Unweit der Bar wurde eine Leiche gefunden. Es ist Steve - und Jake ist der letzte, der ihn lebend gesehen hat. Es dauert nicht lang, bis der Verdacht der ermittelnden Detectives auf ihn fällt. Laurie muss ihm helfen, auch wenn es ihr ausdrücklich untersagt wurde. Bei ihren Nachforschungen lässt sie nichts unversucht - und bringt sich damit selbst in die Schusslinie der Täter. Laurie Walsh war eine erfolgreiche Polizistin. Bis sie aus Notwehr schießen musste - und ein Mensch starb. Die Bilder verfolgen sie jede Nacht - selbst jetzt, mehr als ein Jahr später. Doch dann meldet sich ihr ehemaliger Partner Jake und bittet sie um Hilfe bei einem Fall. Und Laurie wird klar, wie sehr ihr Herz noch an der Polizeiarbeit hängt. Immer wieder hilft sie Jake fortan bei harten Fällen, die die Ermittler tief erschüttern. Und gerät dabei nicht selten selbst ins Visier der Täter ... eBooks von beTHRILLED - mörderisch gute Unterhaltung.Jetzt lesen
Profiling Murder - Fall 6Folge 6: Die Leiche einer jungen Frau wird brutal zerstückelt aufgefunden. Das Brisante: Sie hätte bei einem wichtigen Kartell-Prozess in der Jury sitzen sollen. Steckt das Kartell dahinter, weil sie das Urteil in eine unerwünschte Richtung hätte lenken können? Laurie und Jake ermitteln in dem Mordfall. Schnell stellt sich heraus, dass die Tote und der zuständige Staatsanwalt Haimsworth sich von früher kannten - und dass die beiden ein dunkles Geheimnis verbindet, das den Staatsanwalt nicht nur seine Karriere, sondern auch seine Freiheit kosten könnte. Laurie Walsh war eine erfolgreiche Polizistin. Bis sie aus Notwehr schießen musste - und ein Mensch starb. Die Bilder verfolgen sie jede Nacht - selbst jetzt, mehr als ein Jahr später. Doch dann meldet sich ihr ehemaliger Partner Jake und bittet sie um Hilfe bei einem Fall. Und Laurie wird klar, wie sehr ihr Herz noch an der Polizeiarbeit hängt. Immer wieder hilft sie Jake fortan bei harten Fällen, die die Ermittler tief erschüttern. Und gerät dabei nicht selten selbst ins Visier der Täter ... eBooks von beTHRILLED - mörderisch gute Unterhaltung.Jetzt lesen

Inhalt

CoverPROFILING MURDER – Die SerieÜber diese FolgeÜber die AutorinTitelImpressumFreitag, 2. AugustSamstag, 3. August16. Februar 2008Samstag, 3. AugustNovember 2012Samstag, 3. AugustSonntag, 4. AugustMai 2015Sonntag, 4. AugustMontag, 5. August

PROFILING MURDER – Die Serie

Laurie Walsh war eine erfolgreiche Polizistin. Bis sie aus Notwehr schießen musste – und ein Mensch starb. Die Bilder verfolgen sie jede Nacht – selbst jetzt, mehr als ein Jahr später. Doch dann meldet sich ihr ehemaliger Partner Jake und bittet sie um Hilfe bei einem Fall. Und Laurie wird klar, wie sehr ihr Herz noch an der Polizeiarbeit hängt. Immer wieder hilft sie Jake fortan bei harten Fällen, die die Ermittler tief erschüttern. Und gerät dabei nicht selten selbst ins Visier der Täter …

Über diese Folge

Das FBI bekommt einen Hinweis und endlich gelingt es ihnen, Sams Entführer David Lester zu überwältigen und festzunehmen. Er hat eine Frau bei sich, und als Laurie ihr gegenübersteht, weiß sie: Die Frau ist Sam – ihre vermisste Schwester. Doch diese behauptet steif und fest, nicht Samantha Walsh zu sein. Offenbar hat sie in den elf Jahren in Lesters Gefangenschaft ihre eigene Identität vergessen. Es beginnt ein Wettlauf gegen die Zeit, denn es gibt keinerlei Beweise dafür, dass Lester Sam gegen ihren Willen festgehalten hat. Wenn sich der Verdacht innerhalb von achtundvierzig Stunden nicht erhärtet, müssen sie ihn frei lassen. Sam ist die Einzige, die ihn belasten kann. Laurie versucht alles, um zu ihrer Schwester durchzudringen – vergebens?

Über die Autorin

Dania Dicken, Jahrgang 1985, schrieb ihr erstes Buch als Zehnjährige – per Hand und mit dem guten Gefühl, eine Berufung gefunden zu haben, die bleiben würde. Während ihres Studiums verfasste sie dann zunächst Fantasyromane, die sie im Selbstverlag veröffentlichte. Nach einigen Semestern beschloss sie, ihr Soziologiestudium an der Universität Duisburg gegen einen interdisziplinären Psychologie- und Informatik-Studiengang zu tauschen, was sich schnell als richtige Entscheidung erwies. Mit den Grundlagen aus dem Psychologiestudium setzte sie ein lang gehegtes Vorhaben in die Tat um und schreibt seitdem spannende Profiler-Thriller. Die Autorin lebt mit ihrem Mann und ihrer kleinen Tochter in Krefeld und widmet sich hauptberuflich dem Verfassen spannender Bücher.

Dania Dicken

Fall 4Falsches Vertrauen

beTHRILLED

 

Originalausgabe

 

»be« - Das eBook-Imprint der Bastei Lübbe AG

 

Copyright © 2019 by Bastei Lübbe AG, Köln

 

Lektorat/Projektmanagement: Anna-Lena Meyhöfer

Covergestaltung: Thomas Krämer unter Verwendung von Motiven © Shutterstock: Mega Pixel | Daniel Tadevosyan ; © Lauren Bates/Getty Images

eBook-Erstellung: Dörlemann Satz, Lemförde

 

ISBN 978-3-7325-5393-8

 

www.be-ebooks.de

www.lesejury.de

Freitag, 2. August

Mit dem Klebeband auf den Lippen konnte sie kaum atmen. Alles war schwarz. Sie konnte nicht aufhören, sich vorzustellen, wie sie in diesem Sarg erstickte. Er musste ja bloß jedes Loch abdichten und schon bekam sie keinen Sauerstoff mehr.

Seit Stunden lag sie in derselben Position, ohne sich bewegen zu können. Sie konnte sich nicht einmal kratzen, er hatte sie ja gefesselt.

Würde sie hier sterben?

Erneut bahnte sich eine Panikattacke an. Laurie hatte das Gefühl, keine Luft mehr zu bekommen. Ja, sie würde hier sterben. Sie kam hier nie wieder lebend raus. Sie wollte schreien, aber sie konnte nicht. Stattdessen weinte sie nur.

Es waren ihre Tränen, die sie hochschrecken ließen. Ihr Herz raste, sie war schweißgebadet. Neben ihr schlief Jake seelenruhig, er hatte nicht gemerkt, dass sie wieder einen Albtraum hatte. Das war auch gut so, er machte sich ohnehin zu viele Sorgen. Laurie fand das zwar lieb von ihm, aber er konnte ja nichts tun. Er hatte schon alles getan, was in seiner Macht stand – er hatte sie gesucht und er hatte sich einigen Ärger eingehandelt bei seinem Alleingang, in dem er sie schließlich vor Patrick Keener gerettet hatte. Nicht zuletzt kümmerte er sich seitdem aufmerksam um sie, hatte ganz ohne ihre Hilfe in ihrer Wohnung aufgeräumt und verbrachte eigentlich jede freie Minute mit ihr.

Trotzdem spürte Laurie ein Gefühl von Kälte und Einsamkeit. Entweder träumte sie davon, wie Keener sie in den Sarg gesperrt hatte, oder sie sah vor sich, wie er andere Menschen oder sogar sie selbst brutal tötete. Die schrecklichen Bilder wurde sie einfach nicht los.

Mucksmäuschenstill stand sie auf und schlich in die Küche. Gerade hatte sie kein Eis da, aber sie holte sich Schokolade und ein Glas Orangensaft. Mit beidem ging sie hinaus auf ihre kleine Terrasse und lauschte dem Konzert der Zikaden und dem Verkehrsrauschen der Stadt. Wirklich dunkel war es nicht, die Lichter von Phoenix erhellten den Himmel. Obwohl Laurie nur ein Top und ihren Slip trug, war ihr nicht kalt. Nur selten sanken die Temperaturen zu dieser Jahreszeit nachts unter fünfundzwanzig Grad.

Schokolade tat gut. Der Orangensaft weckte ihre Lebensgeister ein wenig, aber es begann auch schon am Horizont zu dämmern. Es war kurz vor fünf. Damit war die Nacht wohl gelaufen.

Laurie beobachtete verträumt den Sonnenaufgang und ging dann um kurz vor sechs duschen. Als sie fertig war, kam Jake müde zu ihr ins Bad und begrüßte sie mit einem Kuss.

»Guten Morgen«, sagte er. »Du bist ja schon auf.«

»Ja … Ich wollte dich nicht wecken.«

»Hast du nicht. Duschen ist eine gute Idee.« Er wollte schon seine Shorts ausziehen, doch vorher strich er sanft mit den Fingern über Lauries langsam heilende Schussverletzung. Sie lächelte und ging ins Schlafzimmer, um sich anzuziehen, während er duschte.

Sie waren zwar erst seit wenigen Tagen zusammen, aber es fühlte sich so vertraut an. Das lag sicher daran, dass sie sich schon so lange kannten. Gerade war Laurie froh darüber, dass er bei ihr war.

Sie frühstückten ausgiebig und in Ruhe, bevor sie zusammen zur Arbeit fuhren. Seit ihrer Krankschreibung machten sie sich darüber keine Gedanken mehr. Sie kamen und gingen zusammen, aber bislang schien ihren Kollegen noch nicht aufgefallen zu sein, dass sie nun ein Paar waren. Bei der Arbeit ließen die beiden sich nichts anmerken, sondern arbeiteten als Kollegen zusammen wie eh und je.

Der Fall Patrick Keener beschäftigte die Polizei weiterhin ziemlich intensiv. Laurie und Jake waren nicht mehr in der Taskforce, um sich keinen Befangenheitsvorwurf gefallen lassen zu müssen, aber im Bilde waren sie trotzdem. Keener hatte sich inzwischen so weit von Jakes Kopfschuss erholt, dass die Kollegen ihn am Krankenbett verhören konnten. Tatsächlich war er sehr kooperativ und erzählte ihnen alles über seine Morde, was sie wissen wollten. Sie hatten immer noch nicht alle neunundfünfzig Leichen gefunden, Rebecca Collins mitgezählt, aber er hatte sie auch nicht alle auf seinem Grundstück verscharrt. Dort hatte er schlicht und ergreifend nicht genug Platz gehabt. Manche hatte er an irgendwelchen einsamen Orten in der Wüste vergraben und angeboten, den Ermittlern diese Orte zu zeigen. Beweisen konnten sie die Morde trotzdem, er hatte sie ja penibel aufgezeichnet.

Die Kollegen taten Jake und Laurie leid, denn sie mussten Keeners gesamte Aufzeichnungen sichten – jedes einzelne Folter- und Mordvideo. Sie hatten sein gesamtes Haus durchsucht und dabei seine grauenhaften Souvenirs und Mordwerkzeuge sichergestellt. Er war ein Sonderling, so viel stand fest, und die Staatsanwaltschaft rieb sich die Hände angesichts der wunderbaren Beweislage. Sie hatte bereits verlauten lassen, dass sie die Todesstrafe fordern wollte.

Laurie hatte an diesem Tag nicht viel zu tun und Jake musste noch einmal vor der Dienstaufsicht aussagen, damit sein Alleingang nicht den Prozess gegen Keener gefährden würde.

Als er vor der Mittagspause zurückkam, wirkte er nicht sonderlich beunruhigt. Deshalb entspannte auch Laurie sich, weil sie nicht wollte, dass er ihretwegen Ärger bekam.

»Wir reden uns mit den Grabhügeln heraus«, sagte Jake. »Ich habe zwar tatsächlich kurz gedacht, dass es Gräber sein könnten, aber ich war mir nicht sicher. Vermutlich reicht es, wenn ich sage, ich hätte die Hügel für Gräber gehalten, dann hätte nämlich ein hinreichender Tatverdacht bestanden.«

»Klingt doch gut. Mich hättest du ja niemals hören können.«

»Nicht wirklich. Aber die Hauptsache ist, dass wir ihn drankriegen.«

Laurie stimmte ihm zu. Sie gingen gemeinsam in die Mittagspause, holten sich Pasta in der Kantine und aßen zusammen mit den Kollegen. Sie verstanden sich gut mit den anderen, waren schon Teil des Teams. Das lag vermutlich nicht unmaßgeblich daran, dass sie einen ganz besonderen Einstand hingelegt hatten.

Sie waren nach der Pause noch nicht ganz in ihrem Büro, als Lauries Handy klingelte. Weil Laurie die Vorwahl erkannte, war sie gleicht gespannt. Sie durfte sich nicht zu viel davon versprechen – dass man Sam gesehen hatte, lag nun auch schon wieder über eine Woche zurück. Morrissey hatte ihr zwar versprochen, dass er ihre Schwester finden würde, aber was, wenn es wieder nicht geklappt hatte?

»Walsh«, meldete sie sich und blieb auf dem Flur stehen. Jake gab ihr mit einem Wink zu verstehen, dass er in die Kaffeeküche gehen würde.

»Agent Morrissey hier«, begrüßte der FBI-Agent sie. »Miss Walsh, ich habe gute Nachrichten für Sie.«

Laurie blickte auf, schlagartig wurde ihr heiß.

»Wir haben Samantha gefunden. Sie ist bei uns und in Sicherheit.«

Für einen Moment blieb Laurie die Luft weg. Sie stützte sich mit einer Hand an der Wand ab und schloss kurz die Augen, doch sie lächelte.

»Geht es ihr gut?«

»So weit die Kollegen es mir gesagt haben, ja. Sie haben David Lester und Samantha in Rochester, Minnesota gefunden. Er war mit ihr in einem Diner und ist dort einer Kellnerin gegenüber aggressiv geworden, die daraufhin die Polizei gerufen hat. Die Officers wussten erst überhaupt nicht, mit wem sie es zu tun haben. Weil er sich aber weiterhin äußerst verdächtig benommen hat und ihnen auch das Verhalten Ihrer Schwester seltsam erschien, haben sie ihn genauer überprüft und ihn schließlich erkannt.«

Laurie hörte das alles wie in Trance. Jake kam in diesem Moment aus der Kaffeeküche zurück und machte große Augen, als er sie sah. Sie konnte sich ihren eigenen Gesichtsausdruck ungefähr vorstellen.

»Sind Sie noch dran?«, fragte Morrissey.

»Ja … Ich bin noch da.«

»David Lester sitzt jetzt in einer Zelle, wo er hingehört. Ich fahre gerade mit einem Taxi zum Flughafen und fliege gleich nach Minneapolis, um dort die Ermittlungen zu übernehmen. Sie wollen doch sicher auch dorthin kommen, oder?«

»Sofort.«

»Das ist sehr gut, denn ich denke, Sie könnten hilfreich sein.«

Laurie stutzte. »Wie meinen Sie das?«

»Ich habe von meinen Kollegen aus Minneapolis gehört, dass Samantha nicht zu wissen scheint, wer sie ist.«

Das saß. Laurie schluckte hart und biss sich auf die Lippen. »Ich bin schon unterwegs.«

»Bis nachher. Melden Sie sich, wenn Sie wissen, wann Sie ankommen. Ich veranlasse dann, dass man Sie abholt.«

Sie versprach es ihm und legte auf. Jake musterte sie noch immer fragend, aber plötzlich hatte es Laurie die Sprache verschlagen.

»Wer war das? FBI?«

Laurie nickte. »Sie haben sie gefunden, Jake.«

»Wen, Sam?«

»Ja … Sie ist in Minnesota.«

»In Minnesota?«

»Morrissey fliegt jetzt nach Minneapolis. Ich muss da hin. Meine Schwester ist dort …«

Jake stellte seine Kaffeetasse auf den Aktenschrank neben sich und umarmte Laurie. »Endlich.«

»Er sagte, Sam weiß nicht, wer sie ist.«

»Okay«, murmelte Jake verhalten und mit bestürztem Gesicht.

»Wo ist Captain Walters?«

Die beiden machten sich gleich auf die Suche nach ihrer Vorgesetzten. Laurie sah aus, als hätte sie eine Erscheinung gehabt und versuchte Walters zu erklären, was vorgefallen war. Sie hatte mit dem Captain nie über Samantha gesprochen, weil sie das nie für nötig gehalten hatte, und musste deshalb erst einmal ganz von vorne anfangen..

»Du liebe Güte«, sagte Maryann Walters schließlich erschrocken. »Fliegen Sie ruhig nach Minneapolis, das ist doch selbstverständlich!«

»Ich würde Laurie gern begleiten«, warf Jake vorsichtig von der Seite ein.

»Natürlich, gehen Sie nur. Geben Sie mir aber bitte Bescheid, wenn Sie nach dem Wochenende noch fort sein sollten.«

»Danke.« Laurie war erleichtert. Sie verließen in Windeseile das Büro und fuhren zusammen zu ihr nach Hause, wo sie rasch die nötigsten Sachen einpackten. Sie beschränkten sich darauf, Handgepäck mitzunehmen, um flexibler zu sein. Vor dem Verlassen der Wohnung holte Laurie noch das letzte gemeinsame Foto von sich und Sam. Vielleicht würde das helfen. Außerdem packte sie ihre Kopie von Liams Bericht über Sam ein.

Jake fuhr sie beide zum Flughafen, suchte einen Parkplatz und buchte ihnen auf den letzten Drücker noch zwei Plätze in der Maschine, die in einer Dreiviertelstunde mit etwas Verspätung starten würde. Weil sie nur Handgepäck hatten, bestand eine Chance, dass sie es schafften, und sie hatten den Sicherheitscheck tatsächlich zügig hinter sich gebracht. Kurz vor Ende des Boardings rannten sie in die Maschine und ließen sich atemlos auf ihre Plätze fallen. Laurie war froh, dass Jake sich um alles gekümmert hatte, denn sie fühlte sich nach wie vor wie in Trance.

»Ich kann es immer noch nicht fassen«, sagte Laurie schließlich. »Sie haben sie tatsächlich gefunden. Nach elf Jahren …«

»Ich versuche die ganze Zeit, mir vorzustellen, wie sich das für dich anfühlen muss.«

»Ich weiß nicht, was ich fühlen soll. Eigentlich gar nichts. Es ist so eigenartig … Ich dachte immer, dass ich mich freuen würde, aber gerade fühle ich mich wie taub.«

»Kann ich verstehen«, sagte Jake.

Bevor das Flugzeug startete, schrieb Laurie Agent Morrissey eine Nachricht, um ihn wissen zu lassen, in welcher Maschine sie saßen und dass sie gegen 19.30 Uhr Ortszeit landen würden. Minnesota lag in der benachbarten Zeitzone und war ihnen eine Stunde voraus.

Schließlich schaltete Laurie ihr Handy aus. Das Flugzeug war auf dem Rollfeld und startete wenig später.

Sie hatten sie gefunden. Durch Zufall. Sie hatten Lester festgenommen und Sam endlich befreit. Auch wenn sie wie betäubt war, wollte ihr Herzschlag sich kaum beruhigen. So lang hatte sie diesen Moment herbeigesehnt und nun, da er gekommen war, fühlte es sich surreal an.

Jake tastete über die Armlehne hinweg nach ihrer Hand und drückte sie ganz fest. Die Blicke der beiden trafen sich, er lächelte ihr ermutigend zu.

Doch Laurie musste sich eingestehen, dass sie Angst vor dem hatte, was jetzt passieren würde.

Sie waren pünktlich gelandet und hatten die Ankunftshalle gerade verlassen, als ihnen ein Mann mit gepflegtem Kurzhaarschnitt und gut sitzendem Anzug auffiel, der ein Schild mit ihren Namen in die Höhe hielt. Jake und Laurie gingen zu ihm und begrüßten ihn.

»Special Agent Lucas Hammond, FBI Minneapolis«, stellte er sich vor. »Agent Morrissey bat mich, Sie hier abzuholen.«

»Danke, das ist sehr freundlich«, sagte Jake, während Laurie stumm wie ein Fisch dastand.

»Kommen Sie«, sagte Hammond, der eiskalt seine Sonderparkerlaubnis ausgenutzt und vor dem Terminalgebäude geparkt hatte. Dort herrschte ein reges Treiben und sehr dichter Verkehr, in den er sich jedoch in aller Seelenruhe einfädelte.

»Wir fahren jetzt zum FBI-Hauptgebäude in der Stadt«, erklärte er, als sie auf dem Freeway waren. Laurie starrte aus dem Fenster, jedoch ohne bewusst etwas wahrzunehmen.

»Morrissey hat veranlasst, dass wir Samantha und Lester dorthin bringen. Wir sind jetzt seit knapp drei Stunden in der Stadt und Morrissey ist gerade bei ihnen, deshalb konnte er nicht persönlich kommen.«

»Das macht doch nichts«, sagte Jake.

Hammond musterte Laurie im Rückspiegel, ohne dass sie es merkte. »Muss seltsam sein.« Als Laurie nicht reagierte, fragte er: »Miss Walsh?«

»Entschuldigung, ich war in Gedanken.«

»Das kann ich verstehen. Ich bin kein Experte im Fall Ihrer Schwester, ich bin hier aus Minneapolis und habe mit einigen Kollegen die Stellung gehalten, bis Morrissey aus Rochester zurück war. Die lokale Polizei dort wusste ohnehin nicht recht, was sie tun soll. Das hat man ja nicht so oft. Bestimmt ist das jetzt auch für Sie seltsam. Elf Jahre …«

»Sie haben ja keine Ahnung«, murmelte Laurie. »Ich weiß nicht, ob Sie das schon wissen, aber Lester hatte ein Video meiner Schwester ins Darknet gestellt. Ich kenne einen Teil davon und ich habe eine Vorstellung davon, wie sie die letzten elf Jahre gelebt hat.«

»Morrissey hat Ihnen gesagt, dass sie leugnet, Samantha Walsh zu sein?«

»Er hat es anders formuliert.«

»Wir haben sie gefragt. Wir haben ihr Bilder von sich vorgelegt. Sie leugnet es standhaft. Vorhin haben wir eine Speichelprobe genommen und würden Sie bitten, auch eine abzugeben, damit wir Ihr Geschwisterverhältnis zweifelsfrei nachweisen können.«

»Oh. Aber Sie sind sicher, dass sie es ist?«

»Ja, schon. Sie behauptet, sie heißt Meghan. Als wir sie nach ihrem Nachnamen gefragt haben, sagte sie, sie hat keinen.«

»Das ist doch verrückt«, murmelte Jake.

»Wir stehen noch ganz am Anfang. Ich kenne nur Eckdaten des Falls, aber ich kann mir vorstellen, dass Lester sie dazu gebracht hat, ihre Identität abzulegen. Ich habe ihn vorhin nur kurz erlebt, aber seine bloße Gegenwart löst ein ungutes Gefühl aus. Er ist ein unangenehmer, manipulativer und aufbrausender Mensch.«

»Sorgen Sie bloß dafür, dass er mir nicht unter die Augen tritt«, brummte Jake. Laurie hörte sich selbst im Geiste das Gleiche sagen.

»Ich bin gespannt, wie Samantha auf Sie reagiert, Miss Walsh. Vielleicht hilft die Begegnung.«

Sie schluckte und holte tief Luft. »Um ehrlich zu sein, habe ich ein wenig Angst.«

»Das kann ich verstehen. Ich habe mich mit Morrissey darauf geeinigt, dass wir Sie von vornherein ins Bild setzen, damit Sie gleich nicht erschrecken. Diese junge Frau, mit der ich da vorhin zu tun hatte, ist David Lester hörig und verleugnet ihre eigene Identität. Das müssen Sie wissen, das wäre sonst ein Schock. Ist es ohnehin, fürchte ich.«

Laurie nickte nur. Sie hatte immer gewusst, dass das passieren konnte, aber nun Gewissheit zu haben, machte es nicht besser. Inzwischen war ihre Angst tatsächlich größer als ihre Freude. Wie würde Sam sein? War sie überhaupt noch Sam?

Nach einer guten halben Stunde hatten sie das FBI-Gebäude erreicht und folgten Hammond aus der Tiefgarage in ein Büro. In einem Besprechungsraum hatten die Ermittler bereits ein Whiteboard aufgestellt und alles daran gepinnt, was sie hatten. Hammond erkundigte sich nach Morrissey und erhielt die Auskunft, dass er gerade bei Samantha war.

»Ich hole ihn«, sagte die Kollegin und verschwand. Laurie hatte die Arme vor dem Körper verschränkt und die Schultern hochgezogen. Sie war angespannt. Jake legte einen Arm um sie, ohne sich darum zu kümmern, wie das vielleicht aussah.

Augenblicke später kehrte die Agentin mit dem Mann zurück, von dem Laurie nur ein Foto und die Stimme kannte. Er lächelte, als er sie sah, und kam mit ausgestreckter Hand auf sie zu.

»Miss Walsh. Schön, Sie endlich persönlich kennenzulernen«, sagte er erfreut und blickte dann zu Jake, der sich gleich vorstellte.

»Ach, Sie sind das«, sagte Morrissey.

Jake nickte und sagte: »Ich konnte Laurie unmöglich allein herkommen lassen.«

»Ja, die Situation ist speziell. Hammond hat Sie über den Stand der Dinge informiert, nehme ich an?«

Laurie nickte. »Um ehrlich zu sein, bin ich jetzt ganz schön nervös.«

»Ich möchte einfach, dass Sie nicht zu viel erwarten. Sie wird Ihnen nicht um den Hals fallen, fürchte ich. Vielleicht erkennt Samantha Sie nicht einmal, ich weiß es nicht. Ich würde vorschlagen, dass wir beide jetzt zu ihr gehen. Sie können von nebenan zuschauen, Detective«, sagte Morrissey zu Jake.

»Klar, ich gehe da besser nicht mit rein.«

Der Agent nickte zufrieden. »Wir verstehen uns. Miss Walsh, haben Sie etwas dabei, das Samantha helfen könnte, sich zu erinnern?«

»Unser letztes gemeinsames Foto.«

»Das ist nicht schlecht. Wir werden sehen. Sind Sie bereit?«

Laurie fühlte sich kein bisschen bereit, aber sie nickte. »Gehen wir zu ihr.«

Er ging voran und Laurie folgte ihm, nachdem sie Jake ihren Rucksack gegeben hatte. Ihre Füße fühlten sich bleischwer an. Damit hatte sie nicht gerechnet, gerade wäre sie am liebsten weggelaufen. Seit elf Jahren hatte sie diesen Tag herbeigesehnt und jetzt war sie vielleicht eine Fremde für Sam …

Morrissey öffnete die Tür des Befragungsraums und ging voraus. Laurie blieb hinter ihm in der Tür stehen und blickte an ihm vorbei. Erst musste sie ihre Schwester sehen. Sie musste wissen, ob sie es war.

Am Tisch saß eine junge Frau mit schulterlangem, recht gepflegt wirkendem braunem Haar. Sie war hochgewachsen und recht dürr, so wie Laurie es erwartet hatte. Ihre grünen Augen starrten ins nichts. Ihre Wangen waren eingefallen und ihre Lippen schmal, aber Laurie erkannte ihre Schwester. Sie war elf Jahre älter und hatte sich nicht unbedingt zu ihrem Vorteil verändert, sie war blass und wirkte misstrauisch, fast ein wenig gehetzt.

»Samantha«, sagte Morrissey und wartete die Reaktion ab. Mit zusammengekniffenen Augen sah Samantha ihn an.

»Warum nennen Sie mich immer so?«

»Das ist Ihr Name.«

»Hören Sie auf damit.«

»Samantha, ich habe jemanden mitgebracht, den Sie kennen«, sagte Morrissey und gab Laurie einen Wink, um sie hereinzubitten. Laurie versuchte sich zu entspannen und Samantha freundlich anzusehen. Sie wusste zwar nicht, ob sie lachen oder weinen sollte, aber das sollte Sam nicht merken.

Sie stand ihrer Schwester genau gegenüber und lächelte. »Erinnerst du dich an mich?«

Verständnislos blickte Samantha zu Morrissey. »Wer soll das sein?«

Doch der Agent sagte nichts. Er überließ Laurie das Wort, die sich Samantha gegenübersetzte und sie immer noch unverwandt ansah.

»Ich bin Laurie, deine Schwester.«

»Meine was? Meine Schwester? Ich habe gar keine Schwester. Kann ich jetzt zu David?«

Unter dem Tisch hatte Laurie die Hände zu Fäusten geballt, senkte den Kopf und atmete einmal tief durch, um die aufsteigenden Tränen zurückzuhalten.

Morrissey hielt sich zurück. Für einen kurzen Moment war Laurie mit der Situation überfordert, aber dann sagte sie, ohne Samantha anzusehen: »Wir hatten einen Beagle namens Lucky, vielleicht erinnerst du dich. Wir haben auf der White Avenue in Hamilton, Baltimore gewohnt. Als wir dort nach der Trennung unserer Eltern mit Mum eingezogen sind, hatte sie diesen fürchterlichen Freund, Jasper … den hast du so gehasst.«

Skeptisch blickte Sam sie an. »Sie müssen mich verwechseln.«

Laurie schüttelte den Kopf. »Nein, Sam. Mit acht oder neun Jahren hast du dir bei einem Sturz vom Fahrrad den Arm so kompliziert gebrochen, dass er operiert und mit Schrauben gerichtet werden musste. Dreh mal deinen rechten Unterarm, dann wirst du eine lange Narbe sehen.«

Sam rührte sich nicht. »Unfug.«

»Mit vierzehn warst du unsterblich in Justin Clarke aus deinem Physikkurs verliebt. Das ging ein ganzes Jahr und es hat dir das Herz gebrochen, als er schließlich mit Emily Madden ging. Ich weiß noch, dass du bei mir im Bett geschlafen hast, als du davon erfahren hast.«

Gereizt blickte Samantha zu Morrissey. »Können wir das hier beenden? Ich will zu David!«

»Sie können nicht zu David«, sagte Morrissey ruhig.

»Was Sie ihm vorwerfen, ist so albern!«

»Ich habe es Ihnen bereits angeboten: Ich kann Ihnen ein Video zeigen, in dem Sie sehen können, warum wir ihn festgenommen haben.«

Laurie verstand. Morrissey hatte es also bislang anders versucht.

Sie stand auf und deutete auf ihren rechten Hüftknochen. »Du hast hier einen ziemlich großen Leberfleck.«

»Was soll das? Hören Sie auf!«, rief Samantha.

»Ich weiß nicht, was er dir erzählt hat, aber nachdem du verschwunden bist, haben wir dich gleich als vermisst gemeldet«, sagte Laurie. »Du bist zwar vorher schon dreimal von zu Hause weggelaufen, aber immer zurückgekehrt – bis zum Abend des 15. Februars 2008. Du wolltest zu einer Freundin, Anna Harris. Sie hat sich irgendwann bei Mum gemeldet und gefragt, wo du bleibst. Die Polizei hat die Ermittlungen aufgenommen und ein Zeuge hat ausgesagt, dass man dich am 7-Eleven-Shop an der Merryman Lane in einen dunklen Van gezerrt hat. Mehr wussten wir nicht. Wir haben überall Fotos von dir aufgehängt und alles versucht, um dich zu finden, aber ohne Erfolg. Ich habe aber nie die Hoffnung aufgegeben, dass du noch lebst. Sam, ich habe dich die ganze Zeit über so vermisst.«

»Das mag ja sein, aber ich bin nicht Ihre Schwester.«

Laurie blickte zu Morrissey. »Können Sie mir das Foto und den Zeitungsartikel holen?«

Der Agent nickte und verließ den Raum. Samantha schaute ihm wortlos hinterher und ignorierte Laurie. Es dauerte einige Augenblicke, bis Morrissey zurückkehrte, aber dann reichte er Laurie den Bilderrahmen mit dem Foto der Schwestern. Den Artikel legte Laurie auf ihren Schoß.

»Hier.« Laurie zeigte Samantha das Foto. »Das ist kurz vor deinem Verschwinden aufgenommen worden. Ich war achtzehn, du sechzehn. An dem Tag sind wir zum Inner Harbor gefahren und es war total warm, obwohl es schon November war. Danach haben wir uns in der Cheesecake Factory noch den Bauch vollgeschlagen.«

Mit hochgezogener Augenbraue nahm Sam das Bild in Augenschein. »Das bin ich nicht.«

»Doch, das bist du: meine Schwester«, beharrte Laurie.

»Das muss ein Irrtum sein.«

»Zeig uns doch mal deinen Unterarm.«

»Nein.«

»Bitte«, sagte Laurie. »Wenn da keine Narbe ist, dann bin ich sofort weg.«

»Also schön«, sagte Samantha, drehte ihren rechten Unterarm und zum Vorschein kam eine fast zehn Zentimeter lange, blasse Narbe.

»Toller Trick«, brummte sie wenig überzeugt.

»Du bist Samantha Walsh, geboren am 27. Januar 1992. David Lester hat dich 2008 entführt. Wir wissen nicht viel darüber, was in den letzten elf Jahren passiert ist, aber ich bin sogar Polizistin geworden, weil ich dich finden wollte. Ich habe immer wieder in deine Akte geschaut und nichts unversucht gelassen. Ich habe nie die Hoffnung aufgegeben, dass du noch lebst. Vor ein paar Monaten hat ein Freund von mir, der für die Baltimore Sun gearbeitet hat, einen Artikel über dich geschrieben. Darf ich ihn dir zeigen?«

Samantha nickte bloß und begann, den Text zu lesen, den Laurie ihr hingeschoben hatte. Schließlich blickte sie auf.

»Hier steht, du bist Sozialarbeiterin.«

Laurie fiel auf, dass Sam allmählich auftaute. »Ja, das war ich auch für etwa zwei Jahre. Inzwischen bin ich Detective beim Police Department in Phoenix, Arizona.«

»Arizona«, murmelte Samantha. »Hast einen weiten Weg hinter dir.«

»Du auch.«

Samantha lachte kurz. »Ja, und jetzt lässt man mich nicht zu David.«

Laurie beschloss, es anders zu versuchen. »Was ist David für dich?«

Samantha war von dieser Frage sichtlich überrascht, lehnte sich zurück und überlegte kurz. »Er ist der wichtigste Mensch in meinem Leben. Er kümmert sich um mich und all meine Belange. Ich muss mir keine Sorgen machen. Der Tisch ist gedeckt, er kauft mir Kleidung und er hat dafür gesorgt, dass ich das Haus nicht verlassen musste.«

Laurie nickte langsam. »Wolltest du denn nie?«

»Wohin hätte ich denn gehen sollen? Er sagte immer, draußen ist alles schlecht und feindlich und gefährlich … Jeder Mensch hat eine Waffe, es ist so leicht, erschossen zu werden. Die Arbeitslosigkeit ist hoch, besonders als Frau ist man in Gefahr …«

»Das hat er gesagt?«

»Ich hatte keinen Grund rauszugehen. Ich hatte doch alles bei ihm.«

»Liebst du ihn?«

Samantha erwiderte starr ihren Blick. »Er sorgt gut für mich.«

Laurie grinste unwillig. »Das ist keine Antwort.«

»Natürlich tue ich das.«

»Hast du bei ihm den Haushalt gemacht?«

»Bei uns«, präzisierte Samantha. »Aber ja, das habe ich. Ich habe dafür gesorgt, dass wir es schön zu Hause haben.«

»Du hättest also gehen können, wenn du gewollt hättest.«

»Ja, aber er sagte mir, dass es ihm das Herz brechen würde. Er sagte immer, er kann nur mit mir leben.«

Allmählich verstand Laurie. Das Video, in dem Lester Sam vergewaltigt hatte, war immerhin auch schon ein paar Jahre alt. Er hatte sie irgendwann gebrochen und sie ging in ihrem neuen Leben auf. Sie hatte wohl keine Wahl mehr gehabt.

»Wie lang warst du bei ihm, als er das gesagt hat?«, fragte Laurie.

»Das weiß ich nicht. Keine Ahnung.«

»Und du willst zu ihm zurück?«

»Ja. Bei ihm habe ich mich sicher gefühlt.«

Sie hatte es vergessen. Verdrängt. Allmählich gingen Laurie die Ideen aus, wie sie noch zu Sam vordringen konnte. Es hatte ja nicht einmal geholfen, ihr die eigene Narbe zu zeigen. Zwar war Laurie keine Expertin in Sachen Psychologie, aber besonders als Sozialarbeiterin hatte sie einiges erlebt, das sie sprachlos zurückließ. Die menschliche Psyche war zu vielem in der Lage, konnte sich abspalten und abschotten. Bei Samantha war es extrem, aber es war nur Selbstschutz.

»Ich bin gleich zurück«, sagte Laurie und nickte Morrissey zu. Die beiden verließen den Raum und gingen nach nebenan zu Jake, der hinter der verspiegelten Scheibe stand und alles über Lautsprecher mit angehört hatte.

»Ist sie es?«, fragte er gleich, um sicherzugehen, als Laurie und Morrissey bei ihm waren.

Laurie nickte. »Ohne genau zu wissen, was er gemacht hat, ist es schwer, sie zu knacken. Ich glaube, das ist das richtige Wort. Aber ich gehe davon aus, dass er sie irgendwann gebrochen und zur Kooperation gezwungen hat.«

»Das denke ich auch«, stimmte der Agent ihr zu. »Wir haben noch das Video …«

»Daran musste ich gerade denken«, sagte Laurie. »Da ich es nicht schaffe, sie mit positiven Erinnerungen zurückzuholen, könnte das vielleicht die einzige Chance sein, Sam wachzurütteln.«

»Ihr wollt ihr zeigen, wie er sie vergewaltigt?«, fragte Jake verständnislos.

»Hast du eine bessere Idee?«

»Nein, aber das ist doch grausam. Ich habe das Video gesehen, wie du weißt.«

»Ja, das habe ich nicht vergessen«, brummte Laurie.

Jake schüttelte den Kopf. »Tut das nicht, bitte. Ich weiß, was du dir davon erhoffst – du willst ihr die Augen über ihn öffnen. Aber ich sage euch, was passieren wird. Sie ist so verblendet, dass sie das nicht glauben wird. Sie wird es für einen Trick halten und dann haben wir jede noch so kleine Vertrauensbasis zerstört.«

»Das ist es, was mich bislang davon abgehalten hat«, sagte Morrissey.

Laurie wollte etwas erwidern, ließ es dann aber sein. Vielleicht hatte Jake recht und es war grausam. Sie konnte seinen Einwand nicht von der Hand weisen. Wenn sie Pech hatten, erreichten sie mit ihrer Idee das Gegenteil dessen, was sie im Sinn hatten. »Was sollen wir sonst tun?«

»Warten wir doch erstmal den DNA-Test ab«, schlug Jake vor.

»Den kann sie auch für einen Fake halten.«

Morrissey nickte nachdenklich. »Das stimmt. Trotzdem müssen wir ihn machen. Am besten komme ich gleich mit einem Wattestäbchen, wenn Sie wieder bei ihr sind. Ich habe auch immer noch die Option, einen meiner Profiler-Kollegen aus Quantico zu holen, wenn es sein muss.«

Laurie schüttelte den Kopf. »Ich versuche es weiter. Vorhin, als sie den Artikel gelesen hat, hatte ich das Gefühl, sie taut etwas auf. Sie spricht nicht mehr ganz so distanziert mit mir. Geben wir ihr etwas Zeit, über alles nachzudenken.«

Jake äußerte sich zustimmend, deshalb kehrte Laurie zu Samantha zurück, während Morrissey auf die Suche nach einem Wattestäbchen ging.

Sam taxierte Laurie genau, während die sich ihr wieder gegenübersetzte.

»Du glaubst also wirklich, wir sind Schwestern?«, fragte Samantha.

Laurie nickte. »Und ich will nicht wissen, was er dir angetan hat, damit du das vergessen hast.«

Plötzlich trat etwas Weiches, Zerbrechliches in Sams Blick. »Er ist ein guter Mann …«

Laurie schüttelte den Kopf. »Nein, Sam. Er hat dafür gesorgt, dass du mich vergisst. Daran kann ich nichts Gutes erkennen.«

Morrissey betrat mit einem Plastikröhrchen in der Hand den Befragungsraum und zog ein Wattestäbchen heraus.

»Sehen Sie, Samantha, ich nehme jetzt eine Speichelprobe bei Laurie, damit wir durch einen DNA-Test beweisen können, dass Sie Schwestern sind.«

»David hat mir immer gesagt, dass man der Polizei nicht trauen darf.«

Resigniert ließ Laurie den Kopf hängen und kämpfte mit den Tränen. Als Morrissey vor sie trat, blickte sie wieder auf und öffnete den Mund, damit er die Probe nehmen konnte.

»Ich bringe das gleich mal zu den Kollegen«, sagte er und verschwand wieder.

»Das manipulieren die doch nur«, murrte Samantha.

Mit Tränen in den Augen fragte Laurie: »Glaubst du das wirklich?«

»Natürlich! David kennt sich da aus.«

»David hat …« Laurie unterbrach sich selbst. Ihre Stimme zitterte ohnehin schon verräterisch und sie wollte nicht vollends in Tränen ausbrechen.

»Sam, woher weiß ich wohl von deinem Leberfleck an der Hüfte? Sieh ihn dir an! Ich hatte schon mit deiner Narbe am Arm recht«, sagte Laurie, als sie sich wieder gefasst hatte. »David ist ein Mörder, hat man dir das gesagt? Er hatte schon ein Mädchen bei sich, bevor er dich entführt hat. Sie hieß Tina Holford. Vielleicht hat er sie getötet, weil sie nicht so kooperativ war wie du.«

»Das sagst du doch jetzt nur, damit ich mich von David abwende.«

Laurie schüttelte den Kopf. »Ich habe dich auf einem Video gesehen. Das Video, das Agent Morrissey angesprochen hat. David hat dir da sehr weh getan. Wie kannst du das vergessen haben?«

»Das muss ein Irrtum sein.«

»Ich hätte große Lust, es dir zu zeigen, damit du endlich mit diesem Irrsinn aufhörst!« Nach kurzem Zögern stand Laurie auf und lief aus dem Raum. Zeitgleich mit ihr betrat Jake den Flur. Überrascht sah er sie an.

»Sie ist so verbohrt! Das tut wahnsinnig weh«, schluchzte sie frustriert. Als sie Jakes sichere Umarmung spürte, ließ sie ihren Tränen freien Lauf.

Es wurde immer surrealer. Laurie war Morrissey dankbar, dass er sie vorgewarnt hatte, denn sonst wäre sie am Boden zerstört gewesen. War sie eigentlich auch so, aber sie versuchte, es nicht zuzulassen.

»Das ist so verrückt«, murmelte Jake, der neben Laurie auf einem der Stühle auf dem Gang saß. »Sie hat nicht nur vergessen, wer sie ist – sie leugnet es ja regelrecht! Ich kann mir nicht vorstellen, wie das möglich ist.«

»Er muss ihr etwas Furchtbares angetan haben. Das ist ja, als hätte sie eine multiple Persönlichkeit entwickelt.«

»Vielleicht hat sie das wirklich.«

»Nein … Ich weiß nicht.« Seufzend fuhr Laurie sich mit der Hand über die Stirn. »Brauchen wir doch einen Profiler hier?«

»Du bist ihre Schwester und du hast auch psychologisches Feingefühl«, versuchte Jake, ihr Mut zu machen.

»So hätte das nicht sein sollen.« Erneut sammelten sich Tränen in Lauries Augen. »Jetzt ist meine Schwester frei und trotzdem ist sie für mich verloren.«

»Wir kriegen das hin«, sagte Jake und machte Anstalten, sie zu umarmen, aber Laurie war gerade nicht empfänglich dafür.

»Sie ist abhängig von diesem Mistkerl! Was hat er ihr angetan, um sie so kaputtzumachen?«

Während Laurie sich die Tränen abwischte und versuchte sich zu beruhigen, beobachtete sie Morrissey. Er sprach mit seinem Kollegen aus Richmond, der damit beschäftigt war, Lester zu verhören. In diesem Augenblick kamen die beiden auf sie zu.

»Miss Walsh, das ist mein Kollege, Special Agent Richard Sawyer. Er befragt seit einigen Stunden David Lester.«

»Sehr angenehm«, sagte Sawyer, während er Lauries Hand schüttelte. Dann machte er sich selbst mit Jake bekannt und wandte sich wieder an Laurie.

»Lester bezeichnet Samantha als seine Frau. Rechtlich gesehen ist das natürlich Unsinn, die beiden sind nicht verheiratet. Er nennt sie stur Meghan und leugnet, je etwas gegen ihren Willen getan zu haben. Ich fürchte, auf diesem Weg kommen wir erst mal nicht weiter.«

»Was heißt das?«, fragte Laurie irritiert.

»Nun, wir müssen ja nachweisen, dass ein Verbrechen stattgefunden hat. Der einzige Beweis, den wir dafür haben, ist dieses alte Video, auf dem man Ihre Schwester sieht. Wir können zwar auch beweisen, dass das in Lesters Keller aufgenommen wurde, aber wir können maximal mit einer Stimmanalyse nachweisen, dass er es war. Das ist vor Gericht immer schwierig.«

Laurie nickte verstehend. Da musste sie dem Agent recht geben.

»Wenn man das jetzt weiterdenkt, können wir ohne eine Aussage von Sam nicht beweisen, dass ein Verbrechen stattgefunden hat – oder anders gesagt, wir können nicht beweisen, dass Lester sie entführt und elf Jahre lang gefangen gehalten hat.«

»Du liebe Güte, natürlich«, murmelte Laurie entsetzt.

»Er behauptet, er hätte sie nicht entführt«, fuhr Sawyer fort. »Er behauptet weiterhin, sie würde freiwillig bei ihm leben. Bislang bestätigt sie das auch. Das ist nicht der erste Fall dieser Art, den ich betreue, und ich bin davon überzeugt, dass Lester der kranke Mistkerl ist, für den wir ihn halten. Ich gehe davon aus, dass er Samantha entführt, jahrelang isoliert und eingesperrt hat. Ich denke, er hat sie vergewaltigt und wie seine persönliche Sklavin gehalten. Vermutlich ging das bis vor kurzem so, nur hat sie es irgendwann nicht mehr so empfunden. Warum das so ist …« Er zögerte kurz.

»Wir haben solche Fälle an der Academy studiert. Denkt man jetzt an den Fall von Jaycee Lee Dugard aus Kalifornien, ist das ganz ähnlich gelagert. Bei ihr war es so, dass die Polizei nur auf sie aufmerksam geworden ist, weil Nachbarn der Polizei gemeldet haben, dass sie mit ihren Kindern im Garten ihres Entführers Philip Garrido lebt. Sie hat jahrelang mit in Garridos Betrieb gearbeitet, sie hatte sogar Kundenkontakt. Die Garridos haben sie nicht schlecht behandelt und als die Polizisten von ihr wissen wollten, wer sie ist, hat sie auch erst den Namen genannt, mit dem die Garridos sie achtzehn Jahre lang angeredet haben. Es ist der ermittelnden Beamtin mit Geduld und Fingerspitzengefühl gelungen, Jaycee zum Reden zu bringen. Sie hat ihr hinterher einen Zettel hingeschoben und sie gebeten, ihren Namen aufzuschreiben. Jaycee konnte ihn nicht sagen, weil man es ihr verboten hatte, immer und immer wieder.«

»Unvorstellbar«, murmelte Jake.

»Vielleicht ist es hier so ähnlich. Vielleicht hat Lester Samantha wehgetan, wenn sie auf ihren Namen beharrt hat. Irgendwann hat sie sich für Meghan gehalten. Isolation, ständige Angst und der völlige Kontrollverlust über das eigene Leben und die eigene Identität verändern einen Menschen. Er muss Samantha gebrochen haben. Sie wird festgestellt haben, dass es einfacher für sie wird, wenn sie kooperiert und so tut, als wäre sie Meghan. Irgendwann hat sie ihr neues Leben akzeptiert. Für uns als Außenstehende ist das kaum vorstellbar, aber leider kann so etwas passieren.«

»Sie war immer so rebellisch«, sagte Laurie kopfschüttelnd. »Was muss er ihr angetan haben, damit sie sich so aufgibt?«

»Es ist wichtig, das herauszufinden. Sie muss ihn belasten, denn sonst sind wir gezwungen die beiden schlimmstenfalls schon am Montag wieder laufen zu lassen.«

»Das darf nicht passieren!«

»So will es das Gesetz. Samantha muss gegen ihn aussagen, sonst sind uns die Hände gebunden.«

»Und Tina Holford?«, fragte Jake.

»Das können wir ihm noch nicht nachweisen. Wir müssen jetzt aufpassen, dass Samantha das nicht herausfindet und fortan schweigt. Wir haben ja Glück, dass das Wochenende noch dazwischen liegt, sonst würde uns Zeit fehlen.«

»Ich muss noch mal mit meiner Schwester reden. Ich muss sie dazu bringen, ihn zu belasten!«

»Würden uns Psychologen oder unsere Profiler helfen?«, richtete Sawyer sich an seinen Kollegen.

»Ich halte Samantha für zu misstrauisch. Mit ihrer Schwester spricht sie. Von Laurie geht für sie keine Bedrohung aus und vielleicht spürt sie innerlich, dass sie von ihr nichts zu befürchten hat.«

»Sie hat also wirklich vergessen, dass sie eine Schwester hat?«, fragte Jake ungläubig.

»Das ist ein Schutzmechanismus der Psyche. Die Erinnerung ist noch da, aber sie ist verschüttet. Wir müssen sie ausgraben«, erklärte Morrissey.

»Ich versuche alles. Sagen Sie mir nur, was.« Laurie hatte sich noch nie so motiviert gefühlt.

Morrissey sah seinen Kollegen fragend an. »Wir hatten vorhin überlegt, Samantha das Video zu zeigen.«

»Das habe ich auch schon in Erwägung gezogen. Ich halte es aber für sehr riskant. Wenn sie es leugnet, macht sie vielleicht komplett dicht.«

»Ich versuche noch mal was«, schlug Laurie vor. »Dann können wir immer noch darüber nachdenken.«

»Okay«, stimmte Morrissey ihr zu.

»Kann man hier irgendwo Schokolade kaufen? Früher hat Sam Hershey’s geliebt. Gibt es die hier?«

»Ich sehe mal nach, was der Snackautomat zu bieten hat.« Sawyer verschwand auf dem Flur.

»Gute Idee«, sagte Jake.

»Ich gebe meine Schwester nicht kampflos auf.«

»Die Profiler können wir immer noch dazu holen. Die sind im Handumdrehen hier. Ich setze trotzdem erst mal auf Sie, Laurie.«

Eigentlich wollte Morrissey ihr damit Mut machen, aber Laurie fühlte sich bloß noch stärker unter Druck gesetzt. Dafür kehrte Augenblicke später Agent Sawyer mit einem kleinen Hershey’s-Schokoriegel zurück.

»Der Snackautomat, dein Freund und Helfer«, murmelte er grinsend, während er Laurie den Riegel gab.

»Danke, das ist toll.«

Sawyer wollte ein wenig zusehen, bevor er wieder zu Lester zurückkehrte. Jake begleitete ihn und Morrissey ins Nachbarzimmer des Befragungsraums, in dem Samantha allein wartete. Laurie ging wieder zu ihr hinein, in der einen Hand ein Glas Wasser, in der anderen die Schokolade. Sie stellte beides vor Samantha auf den Tisch, die sie erstaunt ansah.

»Für dich.«

»Schokolade?«

»Deine Lieblingsschokolade. Zumindest war sie das früher.«

Ungläubig nahm Sam den Riegel in die Hand und betrachtete ihn. »Ich hatte ewig keine Schokolade.«

»Sie gehört dir.«

Langsam öffnete Samantha die Verpackung und biss ein Stück ab, dann lächelte sie.

»Mhm … Danke. Möchtest du auch was?«

Laurie winkte ab. »Nein, danke.«

Nun biss Sam ein größeres Stück ab. Währenddessen versuchte Laurie, sie nicht zu sehr anzustarren, beobachtete sie aber neugierig.

Die Schokolade machte etwas mit Sam. Auf einmal saß ihre Schwester ganz entspannt da und genoss den Geschmack.

»Die ist so lecker«, sagte sie irgendwann.

»Ich weiß. Ich mag sie auch.« Laurie lächelte und strich ihr Haar aus der Stirn. »Du konntest immer besser klettern als ich. Irgendwann bin ich mal vom Baum in unserem Garten gefallen und habe mir eine Platzwunde zugezogen. Du warst sofort bei mir und hast dich darum gekümmert. Dad ist ziemlich ausgerastet.«

Ausdruckslos starrte Sam sie an. »Du hältst uns wirklich für Schwestern.«

Laurie nickte. »Ich erinnere mich an dich. Woher sonst hätte ich von deiner Narbe gewusst?«

»Die hätte vorhin jeder sehen können.«

»Ja, aber deinen Leberfleck nicht. Der ist doch da, oder?«

»Keine Ahnung.«

»Willst du nachsehen?«

Mit der Antwort ließ Samantha sich Zeit, aber dann stand sie auf. Als Laurie sie in voller Größe vor sich sah, schluckte sie. Sam war wirklich dürr. Jetzt konnte sie auch alte Schnittnarben an ihren Armen erkennen, die ihr vorher nicht aufgefallen waren. Die mussten von Lester sein.

»Wo, sagtest du?«, fragte Sam.

»Darf ich?«

Sam nickte. Laurie ging um den Tisch herum und zog ein wenig an Sams locker sitzender Jeans. Sie zog sie nur so weit herunter, dass Sams Hüftknochen zum Vorschein kam. Genau darüber hatte sie einen bestimmt zwei Zentimeter langen Leberfleck.

Laurie nickte und kehrte schweigend zu ihrem Stuhl zurück. Samantha hielt ihre Jeans immer noch fest und starrte auf den Leberfleck.

»Aber ich müsste meine Schwester doch kennen.«

»Ich kann dir auch nicht genau sagen, was passiert ist. Das kann ich ja nicht wissen. Aber wir sind Schwestern, Sam. Es …« Erneut kamen Laurie die Tränen. »Es gab keinen Tag in den vergangenen elf Jahren, an dem ich nicht an dich gedacht habe. Ich wusste immer, dass du noch lebst … Irgendetwas in mir wusste das. Ich habe dich ziemlich vermisst. Irgendwann bin ich dann Polizistin geworden und ich kann dir sagen, bei der Polizei von Baltimore wird es nicht langweilig.«

»Warum bist du jetzt in Arizona?«

»Bessere Arbeitsbedingungen, ein Tapetenwechsel … Es gab verschiedene Gründe. Ich bin erst seit einem Monat dort.«

Samantha nickte verstehend. »Ist bestimmt heiß da unten.«

»Oh ja, ziemlich. Aber ich mag es. Ich kann es dir gern zeigen.«

»Eigentlich will ich wieder mit David nach Hause.«

»Aber David … er …« Laurie wusste nicht, was sie sagen sollte. »Hier draußen ist es nicht, wie er sagt. Es ist viel besser. Du könntest auch bei mir leben. Ich kann dir die Welt zeigen. Bitte, geh nicht zurück. Damit könnte ich nicht leben.«

Sie meinte es so, wie sie es sagte. Mit einem dicken Kloß im Hals wandte sie sich ab und versuchte, nicht die Fassung zu verlieren.

»Aber David … Ich will nicht undankbar sein«, sagte Samantha.

Am liebsten hätte Laurie sie angeschrien und ihr gesagt, dass sie aufwachen solle. Allerdings musste sie defensiv agieren und Sams Vertrauen gewinnen. Das war wichtig.

»Worum ging es in dem Diner? Als man heute die Polizei gerufen hat, meine ich.« Allmählich beruhigte Laurie sich wieder.

»Ach so … Ich wollte noch ein Dessert. Als die Kellnerin kam und fragte, ob wir noch etwas möchten, sagte ich ihm das auch. David hat das abgelehnt. Er meinte, er will nicht, dass ich von sowas fett werde.« Samantha erzählte das ohne jede emotionale Regung, ihr Blick ging durch die Tischplatte hindurch. »Die Kellnerin sagte dann … Wie war der genaue Wortlaut? Das war so ein freches junges Mädchen. Sie sagte, der Gentleman erfüllt seiner Liebsten einen Wunsch, während der … Ich weiß nicht, hat sie das Wort Schwächling benutzt? Kann sein. Jedenfalls meinte sie, nur ein Schwächling würde seine Frau so bevormunden. Da ist er ausgerastet.«

»Und wie hast du dich da gefühlt?« Laurie fand diese Schilderung sehr aufschlussreich.

»Ich weiß nicht. Was hätte ich denn fühlen sollen?«

Diese Frage verriet Laurie so viel. »Du hättest wütend auf ihn sein können. Du wirst doch nicht von einem Dessert fett.«

»Nein, aber bei uns gab es das nie. Er … Er hat immer darauf geachtet, wie viel ich esse.«

Laurie schluckte hart. Das war nicht mehr ihre rebellische Schwester Samantha. Diese Person sah nur so aus wie sie – und das quälte Laurie. Sie musste unbedingt etwas tun.

»Komm mit mir nach Arizona. Ich werde dir beweisen, dass wir Schwestern sind und du kannst mir von David erzählen. Von dem, was du bei ihm erlebt hast.«

»Aber was wird aus ihm?«

»Muss dich das denn kümmern?«

»Er ist doch … Ich gehöre doch zu ihm.«

Erneut spürte Laurie Tränen in den Augen. Das konnte doch nicht wahr sein. Sie legte ihre Hände auf den Tisch und wartete ab, ob Samantha es ihr gleichtat. Als sie ihre Hände einladend öffnete, reagierte Samantha tatsächlich und berührte Lauries Hände mit ihren.

»Ich erinnere mich nicht an dich«, sagte Sam mit tiefem Bedauern in der Stimme. Laurie glaubte ihr. Sie war kein Experte, sie konnte das, was in Sam vorging, nicht verstehen. Sie wusste, dass es das gab, aber es war ihr nicht möglich, es nachzuvollziehen. Wenn sie es versuchte, fühlte es sich an, als würden Traurigkeit, Verzweiflung und Angst sie verschlingen. David Lester hatte ihre Schwester zerstört. Laurie hatte große Lust, ihn dafür umzubringen.

»Warum erinnere ich mich nicht?«, fragte Sam dann.

»Das weiß ich nicht. Wir können nur vermuten. Ich fürchte, es steckt nichts Gutes dahinter.«

Plötzlich war Sam so zugänglich wie noch nie. »Dieser FBI-Agent sprach vorhin von einem Video.«

»Ja«, sagte Laurie überrascht. Sie hatte nicht damit gerechnet, dass Sam nun selbst davon anfing. »Was willst du wissen?«

»Was ist das für ein Video? Kennst du es?«

»Den Anfang, ja … Es hat uns Hoffnung gemacht, dass du noch lebst. Darauf bist du mit einem Mann zu sehen – wir nehmen an, dass es David ist. Man erkennt ihn nicht.«

»Und was ist zu sehen?«

Laurie räusperte sich und überlegte kurz, entschied sich dann aber dafür, bei der Wahrheit zu bleiben. Sam war auf dem richtigen Weg, jetzt durfte sie keinen Fehler machen.

»Es wurde in einem Keller aufgenommen. Der ist in Davids Haus, das FBI hat ihn dort gefunden. Du bist nackt und David …« Laurie holte tief Luft. »Ich habe selbst nicht so weit gesehen, aber die Ermittler, die es kennen, sagten mir, dass er dich vergewaltigt.«

Sam schüttelte sofort den Kopf. »Das würde er nicht tun. Das muss er auch gar nicht! Er würde nie etwas gegen meinen Willen tun.«

»Willst du es sehen? Bilde dir deine eigene Meinung.«

»Okay, zeigt es mir. Wenn ihr das für sinnvoll haltet …«

Damit hatte Laurie nicht gerechnet. Sie wusste erst nicht, was sie erwidern sollte, überlegte kurz und bat Sam um einen Augenblick Geduld, bevor sie nach nebenan ging.

»Sollen wir das machen?«, fragte sie unsicher.

»Unter diesen Voraussetzungen bin ich dafür«, sagte Morrissey. »Sie hat selbst danach gefragt. Sie haben ihr gesagt, was sie erwartet.«

»Sind Sie sicher? Laurie ist doch auf dem richtigen Weg«, widersprach Jake.

»Ja, aber wir haben nicht so viel Zeit, wie es vermutlich brauchen würde, bis sie sich wirklich erinnert und bereit ist, darüber zu sprechen. Lester muss bis Montagmittag vor dem Haftrichter stehen. Bis dahin brauchen wir eine belastende Aussage von Samantha«, erinnerte Sawyer ihn.

»Tut das nicht.« Jake schüttelte den Kopf.

»Ich glaube, dass es funktionieren kann.«

»Sie ist deine Schwester!«

Laurie atmete tief durch. »Was denkst du, weshalb ich das tun will? Damit sie wieder meine Schwester ist. Sie ist diesem Kerl hörig, soll das so weitergehen?«

»Versuchen wir es«, beschloss Morrissey. »Samantha will es ja selbst.«

Jake schüttelte unglücklich den Kopf, sagte aber nichts mehr.

Morrissey machte sich auf den Weg, um einen Laptop zu holen. Schließlich bat er Laurie, ihn zu Sam zu begleiten, sodass sie zusammen das Video anschauen konnten.

Er steckte einen USB-Stick an den Laptop und drehte den Computer zu Sam. Die ganze Zeit über sagte er bewusst kein Wort und blieb auf der anderen Seite des Tisches mit Laurie, doch Sam blickte plötzlich zu ihrer Schwester und sagte: »Siehst du es mit mir an?«

Überrascht nickte Laurie. »Wenn du das möchtest.«

»Ja … Bitte.«

Laurie stellte ihren Stuhl neben den ihrer Schwester.

»Soll ich es starten?«, fragte sie.

Als Samantha nickte, klickte Laurie auf Play und das Video begann zu laufen. Sie hielt die Luft an, denn sie erinnerte sich nur zu gut daran. Da war wieder dieses Hintergrundrauschen und Sam kam ins Bild.

In diesem Moment saß Samantha vergleichsweise ruhig vor dem Laptop und schaute es sich an. Schließlich beugte sie sich sogar vor und kniff die Augen zusammen, um das Bild genauer in Augenschein zu nehmen. Atemlos beobachteten Laurie und Agent Morrissey, wie Samantha sich das Video ansah. Der Ton war eingeschaltet, weshalb plötzlich David Lesters Stimme den Raum erfüllte.

Samantha erstarrte sichtlich. Ihre Augen wurden groß. Als Laurie die Ketten rasseln hörte, überlief sie ein eiskalter Schauer.

Schließlich versprach die Samantha im Video, es nicht wieder zu tun. Neben Laurie zuckte Sam zusammen und legte beide Hände vor den Mund. Wie gebannt schaute sie zu. Lauries Herz raste, denn so weit hatte sie das Video noch nicht gesehen. Sie wusste nicht, was jetzt geschah.

»Ich will doch hoffen, dass du es nicht wieder tust«, sagte Lester. »Willst du es wieder gut machen?«

Ängstlich starrte Sam ihn an. »Wie kann ich es wieder gut machen?«

»Oh, ich denke, das weißt du sehr gut. Knie dich aufs Bett.«

Die Samantha im Video schluchzte erstickt und begann zu zittern. Die Sam vor dem Bildschirm reagierte darauf noch nicht, sondern schaute sich immer noch wie gebannt dabei zu, wie sie tatsächlich tat, was Lester ihr befohlen hatte. Sie kletterte auf das Bett und kniete schließlich von der Kamera abgewandt da. Laurie sah, wie ihre Schwester noch immer zitterte und Lester schließlich hinter ihr Stellung bezog. Eine Träne löste sich aus ihrem Auge.

Es geschah tatsächlich. Lester zog seine Hose herunter und zwang sich Samantha auf, die zwar stillhielt, aber leise schluchzte. Mit zu Fäusten geballten Händen saß Laurie da und glaubte, keine Luft mehr zu bekommen. Sie hatte das nie sehen wollen. Samantha starrte indes noch immer fassungslos auf das Geschehen.

»So ist es gut«, sagte Lester. »So gehört sich das für mein braves Mädchen, nicht wahr?«

Samantha weinte. Tatsächlich erkannte man nicht viel von Lester, er war maskiert. Die vor ihm kniende Sam stieß immer wieder schmerzerfüllte Laute aus und wimmerte unter Tränen: »Nein …«

Während Laurie bereits in Tränen aufgelöst dasaß, überkam es Samantha ganz plötzlich. Sie schluchzte und sprang so unvermittelt auf, dass der Stuhl hinter ihr umfiel. Wimmernd wich sie an die Wand zurück, bevor sie zu schreien begann. Laurie reagierte sofort und klappte den Laptop zu. Morrissey rührte sich nicht.

Sam schrie immer noch. Laurie hatte noch nie zuvor einen Menschen so gellend laut schreien hören. In diesem Moment wusste sie, dass sie es geschafft hatten.

»Sam«, sagte Laurie ganz sanft und vermied es, ihre Schwester zu berühren. Sie stellte sich ihr gegenüber und wiederholte stoisch ihren Namen – so lange, bis Sam die Augen wieder öffnete und sie ansah.

»Es ist okay, Sam. Ich bin hier. Deine Schwester Laurie.«

Doch Sam war immer noch hysterisch. Laurie und Morrissey hatten beide das Gefühl, dass sie keine Luft mehr bekam, weshalb der FBI-Agent hektisch den Raum verließ. Laurie war ihm dankbar, weil er sich darum kümmerte, Hilfe zu holen, blieb aber bei ihrer Schwester. In diesem Moment betrat Jake mit einem Ausdruck der Bestürzung den Raum.

»Beruhige dich, Sam. Darf ich dich in den Arm nehmen?«, fragte Laurie vorsichtig.

Aber Sam schrie immer noch. Als sie sich plötzlich umdrehte und den Kopf gegen die Wand rammen wollte, war Laurie zur Stelle, packte sie und riss sie von der Wand weg. Sie wollte sich schon dafür entschuldigen, als Samantha schwer zur Seite sackte. Laurie schaffte es nur mit Mühe, ihre ohnmächtige Schwester aufzufangen, damit sie nicht ungebremst zu Boden ging. Vorsichtig bettete sie Sam erst einmal auf den Boden und hielt Jakes Blick stand, der voller Unverständnis und Vorwürfen war. Sie stand zu ihrer Entscheidung, dass es richtig gewesen war, Sam das Video zu zeigen – auch wenn sie nicht mit der Heftigkeit ihrer Reaktion gerechnet hatte. Dennoch war sie sicher, dass es funktioniert hatte.

»Was?«, fragte sie schließlich, als Jake sie immer noch anstarrte.

»Das war unverantwortlich. Sie ist total durchgedreht.«

»Dachtest du, dass sie sich freut? Du hast das Video doch auch gesehen.«

»Ja, eben. Dass ihr das wirklich gemacht habt …«

Laurie erwiderte nichts.

Sie betteten Sam im benachbarten Ruheraum auf eine Liege, während Morrissey mit einer Kollegin zurückkam, die ausgebildete Sanitäterin war. Sie ging von einer akuten Belastungsreaktion aus, mahnte aber auch an, einen Rettungswagen zu rufen, sollte Sam nicht innerhalb von dreißig Minuten wieder erwachen.

Laurie hatte immer noch an dem zu knabbern, was sie gesehen hatte. Sie war zu geschockt gewesen, um sich noch abzuwenden. So war sie nun doch Zeugin davon geworden, wie David Lester ihre Schwester vergewaltigte.

In der Zwischenzeit war ihr der dumme Gedanke gekommen, dass Sam sich überhaupt nicht gegen ihn wehrte. Darüber hatten sie im Vorfeld noch überhaupt nicht gesprochen. Laurie fragte sich nun ernsthaft, inwiefern dieses Video überhaupt als Beweismittel für eine Vergewaltigung taugte. Jeder geschickte Verteidiger würde es in der Luft zerreißen.

Ihr war schlecht. Sawyer war wieder bei Lester und wo Morrissey war, wusste Laurie nicht.

Während sie noch grübelte, schrak ihre Schwester neben ihr plötzlich hoch. Laurie stand auf und ging neben Sam in die Hocke, musterte sie besorgt, sagte aber nichts. Dann fiel Sams Blick auf Jake.

»Wer ist das?«, wollte sie ängstlich wissen.

»Erkennst du mich?«, fragte Laurie zaghaft.

»Ja … Du bist Laurie. Meine große Schwester.« Als Sam das sagte, huschte kurz ein Lächeln über ihre Lippen. »Ich erinnere mich wieder.«

Lauries Lippen bebten und in ihren Augen glitzerten Tränen, als Sam das sagte. Sie nickte, war unaussprechlich erleichtert und glücklich.

»Wer ist das?«, wiederholte Sam mit Blick zu Jake.

»Das ist mein Partner bei der Polizei – und mein Freund. Er heißt Jake McNeill«, sagte Laurie. »Er hat mir all die Jahre geholfen, nach dir zu suchen.«

»Er ist dein Freund?«

»Freut mich, dich kennenzulernen, Samantha.« Jake hob die Hand zum Gruß und lächelte.

Entsetzt blickte Sam zu ihrer Schwester. »Bitte sag, dass er das nicht gesehen hat.«

»Ich habe es gesehen, aber nur so konnten wir dich finden. Ich habe das Video zu unseren Technikern gegeben, die rausgeholt haben, was ging. Wir wussten, dass David aus dem Großraum Philadelphia kommt und schließlich hat ein Ermittler ein weiteres Video gefunden, das David mit einer anderen Frau zeigt. Das war unsere erste heiße Spur.«

»Oh mein Gott.« Schockiert sah Sam ihn an, ihre Blicke wechselten zwischen Jake und Laurie. »Eine andere Frau?«