Projekt Nighthawk - Clive Cussler - E-Book

Projekt Nighthawk E-Book

Clive Cussler

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Beschreibung

Das modernste Flugzeug der Welt wird vermisst – nur Kurt Austin hat eine Spur.

Die Nighthawk , das fortschrittlichste jemals gebaute Flugzeug, verschwindet über dem Südpazifik. Nicht nur die USA wollen ihr Eigentum zurückerlangen, auch Russland und China begehren die radikal neue Technologie. Kurt Austin setzt alles daran, das Rennen für die NASA zu gewinnen. Beinahe zu spät wird ihm klar, dass ihm seine Auftraggeber die hochgefährliche Fracht der Nighthawk verschwiegen haben. Und er erkennt: Wenn sie dieses Rennen verlieren, wird es keine Gewinner mehr geben.

Jeder Band ein Bestseller und einzeln lesbar. Lassen Sie sich die anderen Abenteuer von Kurt Austin nicht entgehen!

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Seitenzahl: 569

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Autoren

Seit er 1973 seinen ersten Helden Dirk Pitt erfand, ist jeder Roman von Clive Cussler ein »New York Times«-Bestseller. Auch auf der deutschen SPIEGEL-Bestsellerliste ist jeder seiner Romane vertreten. 1979 gründete er die reale NUMA, um das maritime Erbe durch die Entdeckung, Erforschung und Konservierung von Schiffswracks zu bewahren. Er lebt in der Wüste von Arizona und in den Bergen Colorados.

Der leidenschaftliche Pilot Graham Brown hält Abschlüsse in Aeronautik und Rechtswissenschaften. In den USA gilt er bereits als der neue Shootingstar des intelligenten Thrillers in der Tradition von Michael Crichton. Wie keinem zweiten Autor gelingt es Graham Brown, verblüffende wissenschaftliche Aspekte mit rasanter Nonstop-Action zu einem unwiderstehlichen Hochspannungscocktail zu vermischen.

Die Kurt-Austin-Romane bei Blanvalet

1. Tödliche Beute

2. Brennendes Wasser

3. Das Todeswrack

4. Killeralgen

5. Packeis

6. Höllenschlund

7. Flammendes Eis

8. Eiskalte Brandung

9. Teufelstor

10. Höllensturm

11. Codename Tartarus

12. Todeshandel

13. Das Osiris-Komplott

14. Projekt Nighthawk

Weitere Bände in Vorbereitung

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Clive Cussler

& Graham Brown

PROJEKT

NIGHTHAWK

Ein Kurt-Austin-Roman

Aus dem Englischen

von Michael Kubiak

Der Inhalt dieses E-Books ist urheberrechtlich geschützt und enthält technische Sicherungsmaßnahmen gegen unbefugte Nutzung. Die Entfernung dieser Sicherung sowie die Nutzung durch unbefugte Verarbeitung, Vervielfältigung, Verbreitung oder öffentliche Zugänglichmachung, insbesondere in elektronischer Form, ist untersagt und kann straf- und zivilrechtliche Sanktionen nach sich ziehen.
Sollte diese Publikation Links auf Webseiten Dritter enthalten, so übernehmen wir für deren Inhalte keine Haftung, da wir uns diese nicht zu eigen machen, sondern lediglich auf deren Stand zum Zeitpunkt der Erstveröffentlichung verweisen.
Die englische Originalausgabe erschien unter dem Titel »Nighthawk« bei Putnam, New York.
April 2019 bei Blanvalet, einem Unternehmen der Penguin Random House Verlagsgruppe GmbH, Neumarkter Str. 28, 81673 München Copyright © 2017 by Sandecker RLLLP By arrangement with Peter Lampack Agency, Inc., 551 Fifth Avenue, Suite 1613, New York, NY 10176 – 0187 USA Copyright © der deutschsprachigen Ausgabe 2019 by Blanvalet Verlag, in der Penguin Random House Verlagsgruppe GmbH Umschlaggestaltung und -motiv: © Johannes Wiebel | punchdesign, unter Verwendung einer Illustration von Max Meinzold Redaktion: Jörn Rauser HK · Herstellung: sam Satz: KompetenzCenter, Mönchengladbach ISBN: 978-3-641-22682-4V002
www.blanvalet.de

HANDELNDE PERSONEN

SPANISCHE EXPEDITION 1525

Diego Alvarado Spanischer Soldat und Anführer einer Expedition ins Innere Südamerikas um 1525, Zeitgenosse und Gegenspieler von Francisco Pizarro.

Costa Spanischer Adliger und Bankier, finanzierte Alvarados Expedition.

NATIONAL UNDERWATER AND MARINE AGENCY

Rudi Gunn Stellvertretender Direktor der NUMA.

Kurt AustinChef der Special Projects Division der NUMA, erstklassiger Taucher und Bergungsexperte, arbeitete vorher für die CIA.

Joe Zavala Kurts rechte Hand, hervorragender Mechaniker, außerdem versierter Hubschrauberpilot und Amateurboxer.

Hiram Yaeger Für alle Probleme der Datenverarbeitung zuständiges Computergenie der NUMA, Inhaber zahlreicher Patente auf dem Gebiet der Computertechnik.

Priya Kashmir Hiram Yaegers Assistentin, sollte ursprünglich bei einem Kommandoteam der NUMA eingesetzt werden, ist jedoch seit einem Autounfall an einen Rollstuhl gefesselt und erhielt stattdessen eine Position in der Abteilung für Computertechnologie.

Paul Trout Mit fast zwei Metern größtes Mitglied der Special Projects Division, verheiratet mit Gamay. Promovierte in Meereswissenschaften. Stets die Ruhe selbst und in heiklen Situationen absolut zuverlässig.

Gamay Trout Meeresbiologin, verheiratet mit Paul, Fitnessfanatikerin, versierte Taucherin und hervorragende Schützin.

Ed Callahan Kapitän des NUMA-Schiffes Catalina.

NATIONAL SECURITY AGENCY

Steve Gowdy Chef der Abteilung für Ex-Atmospheric Projects, kurz Weltraumprojekte, der NSA, Direktor des Nighthawk-Programms.

Emma Townsend Ehemalige NASA-Wissenschaftlerin, Expertin in Astrophysik, Mitinitiatorin des Nighthawk-Programms. Mitarbeiter gaben ihr den Spitznamen Hurricane Emma.

Agent Hurns Agent der NSA.

Agent Rodriguez Agent der NSA.

UNITED STATES AIR FORCE

Colonel Frank Hansen Kommandant der 9th Space Operations Squadron, stationiert auf der Vandenberg Air Force Base, Kalifornien.

RUSSISCHE FÖDERATION

Konstantin Davidov Leitender Angestellter des FSB, Nachfolgeorganisation des KGB, demKreml unterstellt und verantwortlich für Technologiebeschaffung.

Konteradmiral Sergei Borozdin Mit Davidov eng befreundet und Kommandant der russischen 1. Bergungsflotte (Pazifik).

Victor Tovarich Kapitän des U-Boots TK-17 der Typhoon-Klasse.

Major Juri Timonovski Kommandant und Pilot des Schwenkflügel-Überschallbombers Tupolew Tu-160 Blackjack 2.

VOLKSREPUBLIK CHINA

General Zhang Höchstrangiger Offizier des chinesischen Ministeriums für Staatssicherheit.

Daiyu (Schwarze Jade) Spezialagentin des Ministeriums, eins der »Kinder, die nie geboren wurden«.

Jian Daiyus Partner, ebenfalls eines der »Kinder, die nie geboren wurden«.

Li Ying Verbindungsoffizier, Peking.

Leutnant Wu Offizier des Ministeriums für Staatssicherheit.

Falconer Codename eines anonymen Agenten mit Verbindung zum Nighthawk-Programm der NSA.

MS REUNION

Buck Kamphausen Kapitän der MSReunion.

PERU

Urco Archäologe, der Ursprung und Untergang des Chachapoya-Volks erforscht.

Vargas Ein freiwilliger Helfer Urcos.

Reyes Ein weiterer freiwilliger Helfer Urcos.

WASHINGTON, D.C.

Collin Kane Bombenentschärfungsspezialist.

PROLOG

DER FEUERSTURM

Südamerika

Januar 1525

Der Speer prallte gegen Diego Alvarados Brust. Obwohl es ein schwerer Treffer war, der ihn zu Boden warf, konnte er die widerstandsfähige kastilische Rüstung, die Alvarado den ganzen weiten Weg von Spanien bis hierher getragen hatte, nicht durchbohren.

Er rollte sich über den Boden, kam auf ein Knie hoch und spannte seine Armbrust. Als er zwischen den Bäumen eine Bewegung wahrnahm, schoss er den Bolzen ab, der in das dichte Laubwerk eindrang und einen Schmerzensschrei auslöste.

»Zwischen den Bäumen auf der rechten Seite!«, rief er seinen Männern zu.

Eine Wolke blauen Pulverqualms wallte über dem schmalen Trampelpfad hoch, als mehrere großkalibrige Musketen, Arkebusen genannt, gleichzeitig feuerten. Die Geschosse rasten in den Wald hinein, rissen Zweige von den Bäumen und zerfetzten das üppig wuchernde grüne Laub.

Eine Woge von Pfeilen kam als Antwort auf sie zugeflogen. Zwei von Alvarados Männern brachen zusammen, und auch er selbst spürte einen stechenden Schmerz in seinem Oberschenkel, als sich die Obsidianspitze eines Pfeils in sein Fleisch bohrte.

»Sie haben uns umzingelt«, warnte einer seiner Männer.

»Haltet eure Position«, befahl Alvarado, drang humpelnd weiter vor, anstatt umzukehren, und ignorierte den Schmerz, während er seine Waffe lud.

Nach einem langen Marsch in die Hügellandschaft am Fuß des Gebirges waren sie in einen Hinterhalt geraten, auf einen Pfad durch den dichten Dschungel gelockt worden und wurden nun von beiden Seiten angegriffen. Eine andere Truppe wäre unter der Attacke wahrscheinlich in Panik geraten und hätte kopflos die Flucht ergriffen. Alvarados Männer aber hatten früher als Soldaten gedient, und jetzt standen sie dicht gestaffelt wie eine Mauer und dachten nicht daran, ihre wertvolle Munition zu vergeuden. Mehrere zückten ihre Schwerter, während die anderen ihre Feuerwaffen in Anschlag brachten.

Die Eingeborenen sammelten sich, um abermals anzugreifen. Mit schrillem Geschrei brachen sie zwischen den Bäumen hervor, stürmten dann auf die Lichtung, wo sie von spanischem Donner aufgehalten und niedergestreckt wurden, als eine zweite Salve von Schwarzpulverexplosionen die Luft erzittern ließ.

Etwa die Hälfte von ihnen ging im konzentrierten Feuer der Spanier zu Boden, die anderen machten kehrt und rannten um ihr Leben. Nur zwei setzten den Angriff fort. Sie stürmten auf Alvarado zu und ließen sich vom Pulverqualm nicht aufhalten. Eine grelle Kriegsbemalung machte ihre rötlich dunklen Gesichter, in denen ihre weißen Augen hell leuchteten, zu furchteinflößenden Fratzen.

Alvarado traf den Ersten mit dem Armbrustbolzen, sodass er mitten im Lauf zusammenbrach, aber der Zweite war nicht aufzuhalten und schleuderte einen Speer. Die Spitze der primitiven Waffe prallte von der nach vorne spitz zulaufenden Brustplatte von Alvarados silbern glänzender Rüstung ab. Da ihm solche schlichten Klingen nichts anhaben konnten, warf sich Alvarado seinem Angreifer entgegen. Er packte den Mann, nutzte seinen Schwung und schleuderte ihn zu Boden.

Dann ließ sich Alvarado mit seinem ganzen Gewicht auf den Eingeborenen fallen und tötete ihn mit einem Dolch.

Als er sich aufrichtete, hatten die restlichen Krieger längst das Weite gesucht.

»Nachladen!«, befahl er seinen Männern. »Sie kommen bald zurück!«

Während die Männer mit der mühsamen Arbeit begannen, Pulverladungen in ihre langläufigen Schusswaffen zu stopfen, versuchte Alvarado, den Pfeil des Eingeborenen aus seinem Oberschenkel zu ziehen. Er stocherte mit der Spitze seines Dolchs in der Wunde herum und hebelte die Pfeilspitze behutsam heraus. Dann betrachtete er den Pfeil und warf ihn schließlich achtlos beiseite. Er lieferte keine neuen Erkenntnisse. Aus Berichten wusste er, dass sich diese »Wolkenmenschen« erheblich von den Inka und den anderen Stämmen in dieser Region unterschieden. Dass sie tapfere Krieger waren, stand außer Zweifel, aber sie hatten keine besseren Waffen als die anderen Eingeborenen. Das Einzige, was sie so gefährlich machte, war ihre große Anzahl.

Alvarado träufelte ein wenig Wein aus einer kleinen Flasche auf die Wunde. Er verursachte zwar ein heftiges Brennen, aber es überlagerte immerhin den Wundschmerz und betäubte ihn – und würde, wie Alvarado hoffte, Gift und Schmutz herausspülen. Danach umwickelte er den Oberschenkel mit einem Tuch und sah zu, wie das Blut den Stoff tränkte und sich von einem Punkt in der Mitte ausbreitete, bis der gesamte Verband blutrot glänzte.

»Wir müssen uns zurückziehen«, sagte er und bemühte sich, auf die Füße zu kommen.

»Wie weit?«, wollte einer seiner Männer wissen.

»Den ganzen Weg«, antwortete Alvarado. »Bis zum Dorf.«

Niemand widersprach. Tatsächlich waren sie sogar erleichtert, als sie den Befehl hörten.

Sie stellten sich in Reih und Glied auf und setzten sich in Marsch. Die ersten zwei Kilometer schaffte Alvarado noch aus eigener Kraft, aber die schwere Rüstung und die Schmerzen in seinem Bein wurden ihm bald zu viel. Einer seiner Männer kam ihm zu Hilfe und führte ihn zu dem kräftigen Packpferd, das ihren Proviant trug. Der Gurt wurde gelöst, und die Vorräte fielen auf den Erdboden. Zwei Männer hoben Alvarado mit vereinten Kräften auf das Pferd. Er suchte sich eine halbwegs bequeme Position auf dem breiten Rücken des Tieres, und der gesamte Trupp setzte den Weg fort, eilte bergab und zum Lager zurück.

Nach mehreren Stunden erreichten Alvarado und seine Männer die Ansiedlung, von der aus sie am frühen Morgen des Tages aufgebrochen waren. Die Nacht war hereingebrochen, aber wärmende Feuer, die von den Soldaten, die er zurückgelassen hatte, angefacht worden waren, hießen ihn und seine Begleiter willkommen.

Ein Adliger namens Costa half Alvarado beim Absteigen vom Pferd. »Was ist geschehen?«, fragte er und erbleichte beim Anblick der Wunde.

Costa war ein Aristokrat mittleren Rangs. Er hatte sich bereiterklärt, die Kosten für die Expedition als Gegenleistung für ein Drittel aller Schätze zu übernehmen, die gefunden oder erobert wurden. Weshalb er persönlich an der Expedition teilnahm, wusste niemand zu erklären. Vielleicht aus Abenteuerlust oder, was eher wahrscheinlich war, um sicherzugehen, dass ihn niemand um seinen Profit betrog. Bisher hatte er allerdings wenig mehr zu dem Unternehmen beigetragen, als sich ständig zu beschweren.

»Wir wurden gründlich getäuscht«, sagte Alvarado. »Diese Wolkenmenschen sind uns ganz und gar nicht freundlich gesinnt. Eher würden sie uns töten, als sich mit uns zu verbünden, selbst wenn dies zur Folge hätte, dass sie weiterhin anderen Herren als Sklaven dienen müssen.«

»Aber was ist mit Pizarro?«, fragte Costa. »Wir sind seinen Zeichen gefolgt. Er hat diesen Weg genommen. Er sagte doch, wir würden Verbündete finden.«

Alvarado wusste über Pizarros Zeichen Bescheid. Der Möchtegernkonquistador hatte Inschriften in einige Baumstämme entlang des Pfades geritzt, sodass Alvarado und seine Hilfstruppen zu Pizarro und seinem Vorauskommando aufholen konnten.

Er kannte auch Pizarros weitere Pläne, andere Eingeborenenstämme gegen die herrschende Klasse aufzuwiegeln. In anderen Regionen war diese Taktik bereits aufgegangen, hier aber nicht.

»Irgendetwas muss ihm zugestoßen sein«, sagte Alvarado. »Entweder wurde Francisco getötet oder …«

Er brauchte den Satz nicht zu beenden, keiner von ihnen traute Pizarro über den Weg. Er redete ständig von Gold, von dem bisher niemand auch nur einen flüchtigen Schimmer zu Gesicht bekommen hatte, und versprach Reichtümer, die allerdings erst noch aufgestöbert werden mussten. Er war ein kleiner Mann mit fantastischen Träumen. Zweimal war er von dem Gouverneur abgewiesen worden, als er diesen um Unterstützung für seine Expeditionen gebeten hatte, und dann war er schließlich an Costa und an seinen unmittelbaren Rivalen, Alvarado, herangetreten.

Einerseits mochte Alvarado Francisco Pizarro ganz und gar nicht und vertraute ihm auch nicht im Mindesten, andererseits konnte er den Mann recht gut verstehen. Sie waren beide aus dem gleichen Holz geschnitzt. Beide waren von niederer Geburt, und beide hatten sich von Spanien aus auf den Weg gemacht, um sich Namen und Ansehen zu verschaffen. Aber nur wenige Monate zuvor hatten sie einander als Feinde gegenübergestanden, und so war es durchaus möglich, dass Pizarro eingewilligt hatte, sich mit ihnen zu verbünden, um sie in ihr Verderben zu locken.

»Wir müssen sofort zur Küste aufbrechen«, drängte Alvarado.

Costas Miene verdüsterte sich, als er den Vorschlag seines Schicksalsgenossen hörte.

»Ist mit diesem Befehl etwas nicht in Ordnung, mein Freund?«

»Das nicht«, sagte Costa. »Es ist nur so, dass …«

»Heraus damit.«

Costa zögerte. »Einige Männer sind erkrankt. Sie haben Fieber. Es könnten die Blattern sein.«

Alvarado konnte sich keine schlimmere Nachricht vorstellen. »Das muss ich sehen.«

Costa führte ihn zu der größten der Eingeborenenhütten. Sie war aus Lehm und Stroh erbaut und hatte möglicherweise als allgemeiner Versammlungsort gedient. In der Mitte brannte ein Feuer, dessen Rauch durch eine große Öffnung im Dach abzog. Darum herum lagen auf dem Lehmboden mehrere von Alvarados Soldaten in unterschiedlicher körperlicher Verfassung, aber ganz eindeutig waren sie nicht gesund.

»Wann hat das angefangen?«

»Kurz nachdem du aufgebrochen warst, um Pizarro zu suchen.«

Im flackernden Lichtschein des Feuers ging Alvarado neben einem der Männer auf die Knie hinunter. Der Soldat war kaum älter als ein halbwüchsiger Junge; er lag auf dem Rücken und hatte die Augen geschlossen. Sein Gesicht wies zu dem strohgedeckten Dach hinauf. Sein dünner Leinenkittel war mit Schweiß getränkt, und Hals, Gesicht und Brust waren mit kleinen roten Flecken übersät. Sein Fieber schien so hoch zu sein, dass Alvarado das Gefühl hatte, in nächster Nähe einer offenen Flamme zu knien.

»Es sind die Blattern«, bestätigte er die Diagnose. »Wie viele befinden sich in diesem Zustand?«

»Acht hat es heftig erwischt. Drei anderen geht es nicht ganz so schlecht, aber sie können kaum stehen. Auf keinen Fall würden sie es schaffen, zehn Leguas bis zur Küste zu marschieren.«

Wenn elf von seinen Männern krank waren, mehrere verwundet und zwei tot, so verfügte Alvarado nur noch über zwanzig Männer, die kampffähig waren. »Wir müssen sie zurücklassen.«

»Aber, Diego …«

»Sie sind zu schwach, um zu laufen, und zu schwer, um getragen zu werden«, sagte Alvarado eindringlich. »Zudem sind wir deutlich in der Unterzahl. Ich zähle dreißig Hütten auf dieser Lichtung, jede ist groß genug für eine vielköpfige Familie. Hier müssen mehr als zweihundert Menschen gelebt haben, bevor Pizarro vorbeigekommen ist. Selbst wenn die Hälfte Frauen und Kinder sind, werden wir uns nicht gegen sie behaupten können. Und wer weiß schon, ob es in der Nähe nicht noch andere Dörfer gibt, die sich mit diesem hier verbündet haben?«

Costa wollte sich mit dieser Einschätzung nicht zufriedengeben. »Vielleicht kehrt Francisco um und kommt uns zu Hilfe.«

»Es ist zu spät, um auf Rettung zu hoffen«, sagte Alvarado. »Du und die anderen, ihr müsst schnellstens aufbrechen, solange noch Zeit dazu ist.«

»Ich und die anderen?«, wiederholte Costa irritiert. »Du hast doch nicht etwa vor hierzubleiben?«

Alvarado legte eine Hand auf seine Stirn und wischte eine glänzende Schweißschicht ab. Sie mochte von der Hitze oder von der Wunde in seinem Bein herrühren, aber er hatte den Verdacht, dass sich auch bei ihm die Krankheit bemerkbar machte, die seine Männer heimgesucht hatte. »Ich würde euch nur behindern. Du solltest jetzt die Männer sammeln und sie zum Schiff führen. Nutzt die Gezeitenströmung, bis ihr weit genug von der Küste entfernt seid, dann nehmt Kurs nach Norden und kehrt nach Panama zurück.«

Costa starrte ihn einen Moment lang wortlos an, dann wandte er sich abrupt ab, um die restlichen Männer zusammenzutrommeln.

Alvarado hielt ihn derart kraftvoll am Arm fest, dass Costa schon glaubte, ihm würden jeden Augenblick die Knochen gebrochen. »Zahle meiner Familie, was du mir schuldest, sonst verfolge ich dich bis zum Ende deiner Tage.«

Costa nickte. Es war vermutlich das einzige Versprechen, das zu brechen er aus Angst vor dem Geist seines Geschäftspartners nicht riskieren würde.

Während die Männer das Dorf verließen, wurde Alvarado von einem heftigen Fieberschub heimgesucht. Er bewaffnete sich mit zwei geladenen Musketen und seiner Armbrust. An jeden der anderen Männer, die noch genügend Kraft aufbrachten, um eine Waffe festzuhalten, verteilte er jeweils eine geladene Pistole und mehrere Portionen Rum.

Beim Licht der Feuer, die sie in Gang hielten, und den dichten Rauchwolken, die sich zwischen den Hütten ausbreiteten, warteten sie und lauschten. Es kam ihnen wie eine Ewigkeit vor, aber schließlich wagten sich die Eingeborenen aus dem Dschungel.

Durch eine Lücke in der Lehmwand der Hütte sah Alvarado sie ins Dorf kommen. Als sie nahe genug waren, feuerte er auf die erste Gruppe.

Der Schuss trieb sie auseinander, aber die anderen kamen aus verschiedenen Richtungen. Von allen Seiten griffen sie die Hütten an.

Die Pistolen spuckten Feuer und Blei, und mehrere Krieger brachen tot oder verwundet zusammen, aber die nachdrängende Horde überrannte die Leiber ihrer gefallenen Gefährten, während andere in einem Sturmangriff durch die dünnen Wände der Hütten brachen.

Alvarado feuerte die zweite Arkebuse ab und schaltete zwei weitere Krieger aus. Einen dritten Angreifer schlug er mit dem Lauf nieder, aus dem sich noch der Pulverdampf kräuselte, aber dann wurde er selbst zu Boden gestreckt.

Noch hatte er seine Armbrust, mit der er nun mitten ins Gewimmel der Angreifer zielte. Und kaum hatte der Bolzen die Sehne verlassen, da griff Alvarado nach seinem Dolch. Aber eine Steinaxt traf seinen Arm und trennte seine Hand ab.

Er stieß einen heiseren Schmerzensschrei aus und griff mit der unversehrten Hand instinktiv nach dem Armstumpf. Doch ein Speer, der sich in seinen Rücken bohrte, lähmte ihn abrupt, schnitt seinen Schrei ab und warf ihn bäuchlings auf den Erdboden. Er war unfähig, sich zu rühren oder seinen Männern auch nur etwas zuzurufen.

Hilflos in dem blutgetränkten Gras liegend, musste Alvarado zusehen, wie die Eingeborenen seine kranken und sterbenden Männer niedermetzelten. In rasender Wut hackten und stachen sie auf die Spanier ein. Das Massaker wollte nicht aufhören, Blut, Schweiß und Speichel spritzten in alle Richtungen.

Als die Eingeborenen endlich von ihren Gegnern abließen, blieb Alvarado zurück, weil er für tot gehalten wurde. Während seine Augen trübe wurden, nahm er noch wahr, wie die Angreifer einige Überlebende in den Dschungel schleiften. Nie sollte er erfahren, was mit ihnen geschah.

Unsichtbar und unbemerkt in dem Tumult, waren die winzigen Krankheitserreger, die Blattern und Masern auslösten, mit jedem Blut- und Speichelspritzer verbreitet worden. Die Eingeborenen der Neuen Welt waren nie zuvor mit ihnen in Berührung gekommen. So verfügten sie über keinerlei Abwehrkräfte gegen diesen tückischen Feind.

Innerhalb einer Woche würden die meisten Krieger, die an diesem Kampf beteiligt waren, erkranken und im Sterben liegen. In einem Monat wäre dann das gesamte Dorf ausgelöscht. Am Ende des Jahres würden zahllose weitere Siedlungen von dem gleichen Schicksal heimgesucht werden, und zehn Jahre später wäre die ganze Region durch die Epidemie entvölkert.

Durch nichts gehemmt, würden die Blattern das gesamte Reich der Inka untergehen lassen, den Spaniern den Weg für ihren Raubzug ebnen und letztlich mehr als neun Zehntel der eingeborenen Bevölkerung Südamerikas töten. Ein gesamter Kontinent würde durch eine Waffe verwüstet werden, die niemand sehen konnte.

1

Vandenberg Air Force Base, Kalifornien

Gegenwart

Steve Gowdy saß in einem bequemen Sessel, der auf der obersten Ebene eines abgedunkelten Kontrollraums im Herzen der Vandenberg Air Base stand. Aufteilung und Einrichtung des Saals entsprachen den NASA-Kommandozentren in Houston und auf Cap Canaveral. Allerdings war das räumliche Angebot deutlich bescheidener, und das Personal bestand aus Angehörigen des Militärs anstatt aus Zivilisten.

Gowdy war Ende vierzig. Er trug ein graues Polohemd und eine schwarze Hose. Sein schütteres sandbraunes Haar war sorgfältig frisiert, aber zu dünn, um die nackte Kopfhaut darunter vollständig zu kaschieren. Er sah wie ein Golfspieler kurz vor dem Beginn einer Achtzehn-Loch-Runde in einem Country Club aus oder wie ein Tourist während einer Fremdenführung oder wie ein gelangweilter subalterner Manager während einer dieser sich endlos hinziehenden Routinekonferenzen. Nur die ausgeprägten Falten um seine leicht zusammengekniffenen Augen und das unbewusste Trommeln seiner Finger auf der Armlehne des Sessels verrieten, dass seine Sinne wachsam gespannt waren.

Gowdy war nicht nach Vandenberg gekommen, um die Einrichtung dort zu besichtigen oder sich an ihren technischen Glanzlichtern zu ergötzen, sondern um das letzte Stadium einer Mission zu überwachen, die so geheim war, dass überhaupt nur vierzig Personen auf der ganzen Welt von ihrer Existenz wussten.

Das Projekt trug den Namen Ruby Snow, was natürlich gar nichts bedeutete und keine Aussage über seine wahre Natur machte, aber die Wortkombination hatte einen poetischen Klang, der Gowdy gefiel. An dem Projekt beteiligt war ein von der National Security Agency finanziertes Flugzeug, und durchgeführt wurde es von der Air Force und anderen Abteilungen des Verteidigungsministeriums.

Flugzeug war das falsche Wort, rief er sich in Erinnerung. Die Nighthawk war ein hybrides Vehikel, teils ein Flugzeug, teils ein Raumschiff. Die jüngste Entwicklung einer langen Reihe von Plattformen, die aus der Raumfähre hervorgegangen waren. Sie war die höchstentwickelte Maschine, die je geflogen war, und gerade im Begriff, nach drei langen Jahren im Orbit zur Erde zurückzukehren.

Ein heftiger Sturm, der sich über dem Pazifik zusammenbraute, hatte die NSA zwar veranlasst, den Wiedereintritt in die Erdatmosphäre um eine ganze Woche vorzuverlegen, ansonsten aber verlief alles genau nach Plan.

Um den Wiedereintritt genau zu verfolgen, konzentrierte Gowdy seine Aufmerksamkeit auf die High-Definition-Bildschirme, die die vordere Wand des Raums bildeten. Auf einem dieser Schirme war eine Kolonne aus Zahlen und Symbolen zu sehen, die absolut keine Bedeutung für ihn hatten, außer dass alle angezeigten Werte grün leuchteten.

Ein zweites Display zeigte eine Karte mit einer Linie, die in scharfem Winkel von der linken oberen Ecke abwärts verlief, bevor sie in der Mitte des Bildschirms in die Horizontale überging, um danach zur rechten unteren Bildschirmecke weiter abzusinken. Mit der Bezeichnung Nighthawk Descent Profile versehen, hatte diese Karte etwas mit der Flughöhe, der Geschwindigkeit und der Entfernung des Flugkörpers vom Landepunkt zu tun. Aber Gowdys Interesse galt zu diesem Zeitpunkt ausschließlich dem mittleren Display, auf dem der Ausschnitt einer weltumspannenden Satellitenkarte mit Pazifischem Ozean und den Westküsten Nord-, Mittel- und Südamerikas zu sehen war.

Icons, die die Nighthawk darstellten, und Linien, die ihren Weg verfolgten, waren in hellen Farben gehalten. Da sich die Nighthawk in einem ungewöhnlichen polaren Orbit befand, begann der Anflug zum Wiedereintritt über der Antarktis und verlief in einem diagonalen Winkel quer über die Erdkugel. Sie hatte Neuseeland im Osten mit weniger als einhundert Meilen Abstand passiert und folgte von dort einem geraden Kurs über die Cook-Inseln nach Tahiti. Sie flog an der Südseite von Hawaii vorbei, und ihr Bildsymbol wanderte weiter in Richtung Vandenberg und der Gebirgswüsten von Kalifornien. Zwar musste sie noch mehrere tausend Meilen zurücklegen, aber bei einer Geschwindigkeit von über fünftausend Meilen in der Stunde würde es bis zu ihrer Landung weniger als vierzig Minuten dauern.

Ein mehrfach widerhallender Ruf drang aus dem »Loop« genannten Lautsprechersystem. »Fahrzeug hat Max Q überschritten«, sagte eine anonyme Stimme. »Hitzeschild intakt. Temperaturen sinkend.«

Max Q. Das war ein Begriff, den Gowdy kannte. Ein Gefahrenpunkt – der Punkt der höchsten aerodynamischen Belastung des Vehikels. Ein Punkt, an dem jede Materialschwäche oder jede noch so geringe Beschädigung mit hoher Wahrscheinlichkeit in einem strukturellen Versagen und dem Verlust des Luftfahrzeugs resultierte.

Die Meldung, dass die Nighthawk den Max Q unbeschadet passiert hatte, beruhigte Gowdy ein wenig. Nach wie vor konnte vieles schiefgehen, sogar katastrophal schief, aber die höchste Hürde war erst einmal überwunden.

Er schaute auf die mittlere Ebene des im Stil eines Amphitheaters angelegten Raums hinunter. Auf dieser Ebene befand sich das Reich des Flugdirektors. In diesem Fall war das ein Air Force Colonel namens Frank Hansen. Hansen, ein Veteran von dreißig Jahren, war ehemaliger Kampfflieger und Testpilot, der zwei Schleudersitzausstiege und einen Absturz überlebt hatte und nun Chef der 9th Space Operations Squadron war.

Hansen wandte sich um, stellte einen kurzen Augenkontakt mit seinem Besucher aus Washington her und nickte. So weit, so gut.

Unter allen Controllern, Systemspezialisten und technischen Experten war Hansen – abgesehen von Gowdy selbst – der einzige Mann im Raum, der überhaupt begriff, welches enorme Risiko sie hier eingingen. Und wenn Gowdy ihn richtig einschätzte, dann war Hansen genauso nervös wie er selbst.

Hansen schaltete sein Intercom ein. »Ich brauche eine Statusmeldung«, hallte seine Stimme durch den Raum.

Auf der untersten Ebene des Raumes wurden die Controller aktiv, die die Funktion der einzelnen Systeme überwachten. Jeder war nur für einen einzigen Bereich wie Lenkleitsystem, Telemetrie, Antrieb usw. zuständig. Ihre Position, die mit der ersten Sitzreihe eines Kinos zu vergleichen war, machte einen Blick auf den Hauptbildschirm für sie zu einer Strapaze, die einem den Hals verrenkte. Aber da jede Information, die sie brauchten, auf kleinere Monitore direkt vor ihnen übertragen wurde, schauten sie kaum einmal hoch, ehe sie ihre Aufgabe erfüllt hatten.

Gowdy lehnte sich zurück, ohne den Trommelwirbel seiner Finger zu unterbrechen, während der Strom von Rückmeldungen aus den Lautsprechern des Loops drang.

»Telemetrie: Go.«

»Stromversorgung: Go.«

»Flugsteuerung: Go.«

So ging es weiter. Jeder Controller, ob männlich oder weiblich, gab seine Meldung ab und bestätigte einen ordnungsgemäßen Verlauf des Landevorgangs – bis auf eine Station, die stumm blieb.

Eine unbehagliche Pause entstand und dehnte sich weiter. Hansen wartete unten auf seinem Platz und aktivierte schließlich seinen Transmitter. »Lenkleitsystem, wie ist Ihr Status?«

Keine Antwort.

»Lenkleitsystem?«

Im Raum wurde es totenstill. Gowdys Finger hielten inne. Bei allen Simulationsdurchläufen war es niemals zu einer Verzögerung gekommen, nicht einmal von Sekundendauer. Er stand auf und blickte über das Geländer hinunter zur untersten Arbeitsebene, wo der Controller der Steuerung seinen Platz hatte.

Ein junger Soldat der US Air Force mit Bürstenhaarschnitt hatte eine hektische Tätigkeit entwickelt, tippte Befehle auf seiner Tastatur und schaltete zwischen Monitorbildern hin und her.

»Lenkleitsystem?«, rief Hansen. »Ich brauche eine Bestätigung.«

»Lenkleitsystem ist Go«, erwiderte der Soldat schließlich, »aber die Rückmeldung erfolgt verzögert. Das verstehe ich nicht, Sir.«

Da die Nighthawk ein unbemanntes Luftfahrzeug war und von Vandenberg aus ferngesteuert wurde, wiederholte das System jede erteilte Instruktion und sendete sie zum Kontrollzentrum zurück, bevor das entsprechende Manöver ausgeführt wurde, ähnlich wie ein Flugzeugpilot die Anweisungen der Luftverkehrskontrolle wiederholt, um sicherzugehen, dass sich jeder auf der gleichen Bildschirmseite befindet.

Gowdy drückte auf die Sprechtaste seines eigenen Intercoms und wurde über einen abgeschirmten Kanal direkt mit Hansen verbunden. »Was ist los? Was hat das zu bedeuten?«

»Eine verzögerte Rückmeldung kann alle möglichen Ursachen haben«, erwiderte Hansen. Seine Stimme klang professionell emotionslos und gleichgültig. »Es könnte ein Problem bei der Weiterleitung des Kommandos vorliegen, ein Fehler bei uns oder sogar …«

Ehe er seinen Satz aussprechen konnte, meldete sich der Telemetrie-Controller. »Telemetrie zeigt Gelb. Signal nicht konstant.«

Auf dem großen Bildschirm mit den Zahlenkolonnen blinkten zwei Felder in gelber Alarmfarbe, ein drittes Feld begann rot zu flackern.

»Kursabweichung registriert«, meldete der Flugbahn-Controller. »Zwei Grad nach Süden und zunehmend … Fünf Grad und zunehmend …«

Gowdy spürte, wie sich seine Kehle verengte und ihm das Atmen zunehmend schwerfiel. Abermals rief er Hansen. »Was ist los?«

Hansen war zu beschäftigt, um zu antworten, und Gowdy richtete den Blick wieder auf den Bildschirm. Der Kursvektor der Nighthawk zeigte eine leichte Krümmung nach rechts, weg von Kalifornien und in Richtung Mittelamerika.

»Elf Grad nach Süden und zunehmend«, sagte der Flugbahn-Controller. »Geschwindigkeit nimmt ab, Sinkflug gestoppt. Konstante Höhe neun-eins-tausend Fuß.«

Gowdy konnte kaum glauben, was seine Augen sahen. Anstatt wie geplant an Höhe zu verlieren, ging die Nighthawk bei einundneunzigtausend Fuß in den Horizontalflug und verlor deshalb an Geschwindigkeit. Da das Fahrzeug an diesem Punkt seines Landeanflugs ein Gleiter war, musste es unbedingt seinem vorausberechneten Sinkflugprofil folgen; anderenfalls würde es so viel Geschwindigkeit einbüßen, dass es Kalifornien nicht mehr erreichte.

Gowdys Knie drohten nachzugeben. Er umklammerte die Geländerstange vor ihm mit einer Hand, während er die andere Hand in seine Hosentasche schob und nach einem Schlüssel suchte.

»Kurswerte erneut eingeben«, befahl Hansen gepresst.

»Wirkungslos«, sagte der Controller.

»Neustart Kommandoprogramm.«

»Neustart eingeleitet … Stand-by.«

Gowdy eilte die Treppe zu Hansens Ebene hinunter und starrte auf den Bildschirm. Ihm brach der Schweiß aus, seine Hände zitterten, und seine Finger fanden den Schlüssel, von dem er gehofft hatte, ihn niemals benutzen zu müssen.

Wie konnte alles in diesem Moment nur so entsetzlich schiefgehen? Ein ganzes Jahrzehnt Forschung und drei Jahre im Weltraum. Wie konnten all diese Bemühungen mit einem Fehlschlag enden?

»Dreiundzwanzig Grad nach Süden«, sagte der Flugbahn-Controller. »Flughöhe noch immer neun-eins-tausend, Geschwindigkeit sinkt auf viertausend.«

»Was ist da los?«, wollte Gowdy mit rauer Stimme von Hansen wissen und verzichtete auf das Intercom und seine bisher demonstrativ zur Schau gestellte Ruhe und Gelassenheit.

»Wir haben die Kontrolle verloren.«

»Das sehe ich«, erwiderte Gowdy. »Aber weshalb?«

»Momentan unmöglich festzustellen«, sagte Hansen. »Anscheinend fliegt das Fahrzeug eine weite Kurve. Die Ursache könnte eine Beschädigung der Tragfläche oder des Seitenleitwerks sein. Aber das würde nicht die Telemetrieprobleme oder die verzögerte Kommandobestätigung erklären.«

Gowdy betastete den Schlüssel in seiner Hosentasche und drehte ihn hin und her. Es lag in seiner Verantwortung, die Mission abzubrechen, wenn sie zu gefährlich würde. Es wäre seine Entscheidung. Zu früh zu reagieren, ehe sich jede Hoffnung auf ein gutes Ende zerschlagen hatte, wäre ein Fehler, aber zu spät zu handeln … könnte eine Katastrophe auslösen.

Er machte einen Schritt vorwärts in Hansens engsten Arbeitsbereich hinein. »Bringen Sie das verdammte Ding zurück auf Kurs.«

Hansen drängte sich ungestüm an ihm vorbei, wobei er Gowdy beinahe in einen Sessel stieß. Die beiden Männer hatten einander nie sonderlich gemocht. Hansen war der Meinung, dass Gowdys Kenntnisse in Physik und Astronautik bei weitem nicht ausreichten, um an einem solchen Projekt mitzuarbeiten, und Gowdy empfand den Air Force Colonel als arrogant und ihm gegenüber herablassend. Die hohen Tiere hatten verlangt, sie sollten miteinander auskommen, und für einige Zeit hatte es auch funktioniert, aber jetzt nicht mehr.

»Transponder-Datenübertragung nicht konstant«, sagte der Telemetrie-Controller. »Wir verlieren das Signal.«

»Neustart Transponder!«, rief Hansen. »Wenn der Transponder ausfällt, verlieren wir die Spur des Fahrzeugs. Es wird nicht per Radar überwacht.«

Gowdy ließ sich in den Sessel fallen, unfähig, sich zu rühren. Sein gesamter Körper wurde taub, und er verfolgte den verzweifelten Dialog wie in Trance. Es spielte keine Rolle, ob sie von einem Radar überwacht würden – zur Konstruktion der Nighthawk gehörte ein Tarnkappenschutz. Im Gegensatz zu anderen Raumfahrzeugen war sie schwarz und für optische Teleskope unsichtbar. Sie war mit der leistungsfähigsten – Radarstrahlen absorbierenden – Beschichtung versehen, die je entwickelt worden war.

Er hob den Kopf und schaute auf den Bildschirm. Das Luftfahrzeug raste mit dreitausendfünfhundert Meilen in der Stunde auf die Küste von Südamerika zu. Die Kursabweichung schwächte sich ab, die Geschwindigkeit sank weiterhin. Der maximale Gleitweg, dargestellt durch einen orangefarbenen Kreis auf der digitalen Landkarte, schrumpfte mit jeder Sekunde und wanderte weiter nach Süden. Er reichte nicht mehr bis zur Landmasse der Vereinigten Staaten.

Gowdy wusste, was er zu tun hatte. Es gab keinen Grund, länger abzuwarten.

Er zog den roten Schlüssel aus der Tasche und steckte ihn in einen Schlitz auf der Instrumententafel vor ihm. Eine Drehung öffnete ein Abteil darüber, und ein kleiner Sockel stieg hoch und rastete in der ausgefahrenen Position ein. Er war mit gelben und schwarzen Winkelstreifen markiert. In der Mitte ragte ein roter Knopf heraus, geschützt durch zwei Metallbügel, die verhinderten, dass er unabsichtlich betätigt wurde.

Gowdy richtete den Blick auf den Bildschirm. Von dort erhielten sie nun fehlerhafte Positionsdaten, die anzeigten, dass sich die Nighthawk an mehreren unterschiedlichen Orten gleichzeitig befand. Markierungen blinkten und erloschen, aber die Hauptlinie verlief weiterhin nach Süden in Richtung der Galapagosinseln und der Küste von Ecuador jenseits der Inseln.

»Lenkleitsystem-Neustart abgeschlossen«, sagte der Controller.

»Und?«, fragte Hansen.

»Keine Antwort.«

»Das war’s«, flüsterte Gowdy. Er drehte den Schlüssel nach rechts, und der rote Knopf leuchtete auf.

»Self-destruct, armed«, meldete eine Computerstimme.

Gowdy ließ den Schlüssel los und wollte auf den Knopf drücken.

Eine kräftige Hand hinderte ihn daran, legte sich um seinen Unterarm und zog ihn ruckartig weg.

Hansen war neben ihn getreten. »Sind Sie wahnsinnig?«, knurrte der Air Force Colonel.

»Sie ist vom Kurs abgekommen«, sagte Gowdy. »Wir können auf keinen Fall zulassen, dass sie in einer bewohnten Gegend aufschlägt. Das Risiko, dass es zum Schlimmsten kommt, ist zu groß.«

Hansen hielt Gowdys Arm weiterhin fest. »Das Schlimmste ist bereits geschehen. Es trat in dem Moment ein, als wir die Nighthawk und ihre Fracht in die Atmosphäre zurückgeholt haben. Sie jetzt zu zerstören würde die Katastrophe endgültig auslösen.«

Gowdy blinzelte verwirrt. Ihm wurde für einen kurzen Moment schwindelig. Er verstand nicht, was hier eigentlich los war. Aber genau darüber hatte sich Hansen von Anfang an beschwert. Dass Gowdy von den wissenschaftlichen Grundlagen des Projekts keine Ahnung hatte.

Plötzlich verschwand die Nighthawk vom Bildschirm. Die Kurve, die das Profil ihres Landeanflugs darstellte, verblasste, und sämtliche Zahlen auf dem Bildschirm froren ein und begannen rot zu blinken.

»Telemetrie ist ausgefallen«, meldete ein anderer Controller mit leidenschaftsloser Stimme. »Kontakt zur Nighthawk abgebrochen.«

Ein Raunen ging durch den Raum. Es klang besorgt, furchtsam. Gowdy starrte auf den Bildschirm, abwartend und voller Hoffnung, dass die Kurslinie wieder erschien. Er saß schweigend in seinem Sessel, während wiederholte Versuche, die Verbindung zwischen Vandenberg und dem Luftfahrzeug wiederherzustellen, fehlschlugen.

Schließlich erschien eine neue Zahl auf dem Bildschirm und begann einen hektischen Countdown in Richtung null.

»Was ist das?«, fragte Gowdy.

»Die Oberflächen-Interface-Zeit«, antwortete Hansen mit grausamer Sachlichkeit. »Die längstmögliche Zeitspanne, die sich die Nighthawk in der Luft halten kann, ehe sie auf Flughöhe null absackt.«

Die Zahlen tickten unbarmherzig abwärts von Minuten zu Sekunden und stoppten unerbittlich bei 0:00:00.

»Was nun?«, fragte Gowdy.

»Ich brauche sofort einen live gesendeten Satellitenstream«, befahl Hansen. »Weitwinkel. Vom Südpazifik und vom Westen Südamerikas.«

Die Controller lieferten das Verlangte. Niemand fragte nach dem Grund.

Nacheinander erschienen die Satellitenbilder auf dem Hauptbildschirm. Gowdy betrachtete das malerische Panorama. Wolken trieben über dem Pazifik. Die Westküste von Südamerika bildete einen scharfen Kontrast zum Blau des Ozeans. Die tropische Störung im Pazifik rotierte wie ein friedliches Kinderkarussell.

Alles erschien ruhig und unberührt.

»Nach was halten Sie denn Ausschau?«, wollte Gowdy wissen.

Der Air Force Colonel wandte sich mit ernster Miene zu dem NSA-Bürokraten um, den er so lange hatte ertragen müssen, und atmete aus. Es klang weniger sorgenvoll, sondern eher wie ein Seufzer der Erleichterung.

»Wenn von einer Bodenstation kein entsprechender Befehl erteilt wird, schaltet die Nighthawk in einen autonomen Modus um, denkt für sich selbst und trifft eigene Entscheidungen. Sobald das Flugobjekt seine Position errechnet hat und sich daraus ergibt, dass es Vandenberg nicht mehr erreichen kann, leitet es einen Notlandeprozess ein, verringert die Geschwindigkeit und kehrt sicher zur Erde zurück … per Fallschirm.«

»Woher wissen Sie, dass die Nighthawk nicht schon längst zerschellt ist?«, erwiderte Gowdy und bemühte sich um einen überlegenen Tonfall. »Woher wollen Sie denn wissen, dass das automatische Landesystem nicht ebenfalls ausgefallen ist wie alles andere?«

»Ich weiß es«, sagte Hansen, »weil wir noch hier sind.«

Es dauerte einen Moment, aber allmählich begriff Gowdy. Er blickte zu dem Bildschirm mit der Satellitenübertragung, die nichts zeigte, was den Rahmen des Normalen sprengte. »Wie viel Zeit haben wir?«

In Gedanken führte Hansen eine schnelle Überschlagsrechnung durch. »Sieben Tage«, sagte er dann. »Weniger, wenn die Treibstofftanks, die Solarzellen oder die Batterien beschädigt wurden.«

Gowdy konzentrierte sich wieder auf den Bildschirm und die Weite des darauf dargestellten Südpazifik. Sieben Tage, um den Ozean abzusuchen und eine Nadel in diesem nassen Heuhaufen zu finden. Sieben Tage, um eine tickende Bombe zu suchen und unschädlich zu machen – eine Bombe, die die Erde in ihren Grundfesten erschüttern konnte.

2

Kohala Point, Hawaii

Kurt Austin saß rittlings auf einem Surfbrett in den tropischen Gewässern eine halbe Meile vor dem Kohala Lighthouse auf Big Island, der größten der Hawaii-Inseln. Die kräftige Pazifiksonne wärmte seine gebräunte Haut, und die Dünung rollte unter ihm hindurch und wiegte ihn in einem beständigen Rhythmus. Seine Muskeln waren angespannt, während er einen fünf Meter hohen Wasserwulst beobachtete, der sich auf den Strand zuwälzte und zu einer vollendeten linkshändigen Welle hochbuckelte.

Weißer Schaum flitzte den Wellenhang hinab, um den Surfer einzuholen, der auf der Welle ritt, aber er steigerte sein Tempo, vollführte ein elegantes Lenkmanöver mit seinem Brett und nahm direkten Kurs auf den Strand, ehe sich der Wellenkamm zu einem Tunnel formte und mit lautem Getöse hinter ihm in sich zusammenbrach.

Die rohe Wucht der Welle entlud sich mit einem Donnerschlag, der sich an den Lavafelsen am südlichen Ende des Strandes brach, als Echo zurückrollte und zusammen mit dem Rauschen der Brandung die Luft vibrieren ließ. »Ich liebe diesen Klang«, sagte Kurt.

»Weil du ein Kaikane bist«, erwiderte der Surfer neben ihm mit einem deutlichen hawaiischen Akzent. »Schaumgeboren, ein Sohn des Ozeans.«

Kurt blickte nach rechts, wo ein athletischer Hawaiianer auf einem kurzen Surfbrett saß. Die Tätowierungen auf seiner Haut ähnelten dem Muster der Ornamente auf seinem Brett. Er hatte zotteliges schwarzes Haar, ein freundliches Lächeln und weiche Gesichtszüge. Sein Name lautete Ika, aber er wurde von allen nur Ike genannt.

Kurt grinste. »Da könntest du recht haben.«

Mittlerweile Mitte dreißig, war Kurt Austin in der nordwestlichen Region des Pazifik aufgewachsen und hatte den größten Teil seiner Freizeit mit Rudern, Segeln, Angeln oder Schwimmen ausgefüllt. In den Jahren der Mitarbeit in der Bergungsfirma seines Vaters hatte er bereits als Teenager das Tauchen erlernt. Seitdem hatte er unzählige Stunden unter Wasser verbracht, indem er für seinen Vater arbeitete, seinen Wehrdienst in der Navy absolvierte und anschließend in einer Spezialeinheit der CIA tätig war, zu deren Aufgaben die Tiefseebergung und die Erprobung von Unterwassertechnologie gehörte.

Seit seinem Ausscheiden aus der CIA war er bei der NUMA beschäftigt, der National Underwater and Marine Agency, einem Zweig der Bundesregierung, der für die Erforschung und den Schutz und Erhalt der Weltmeere zuständig war.

Seltsam war, dass ihn, je länger er seiner Tätigkeit nachging, eine sich rasant weiterentwickelnde Technologie zunehmend vom Element seiner Wahl, dem Wasser, abschirmte. Zuerst waren es Nass- und Trockentauchanzüge aus Neopren und anderen hochflexiblen Materialkombinationen gewesen. Danach folgten starre Tieftauchanzüge, die ihn vollständig einkapselten und wie einen ozeanischen Astronauten hatten aussehen lassen. Mittlerweile benutzte er vorwiegend Tauchfahrzeuge. Entweder waren es von der Wasseroberfläche aus gesteuerte Robotereinheiten oder bemannte U-Boote, in denen ein normaler Luftdruck herrschte und die außerdem beheizt wurden, sodass Shorts und T-Shirts als Dienstkleidung ausreichten. Aus diesem Grund hatte sich Kurt nach Abschluss eines Forschungsprojekts auf Oahu entschieden, den direkten Kontakt mit dem Wasser und dem Rhythmus des Meeres zu suchen.

Und den fand Kurt auf Hawaii am besten beim Wellenreiten. Die Wellen, an die sich Kurt in seinem unermüdlichen Bestreben, auch auf diesem Sektor einen hohen Grad an Perfektion zu erreichen, herantraute, wurden von Tag zu Tag höher.

Nach einigen Wochen war er fast so gut wie die einheimischen Surfguides, mit denen er sich angefreundet hatte. Auch seine Haut war von der Sonne entsprechend gebräunt worden, und wäre da nicht sein vorzeitig ergrautes silbern schimmerndes Haar gewesen, hätte man ihn für einen eingeborenen Hawaiianer halten können.

»Der Takt des Meeres verändert sich«, sagte Ike, drehte sich halb um und blickte auf die Wasserfläche hinter ihnen. »Kannst du es spüren?«

Kurt Austin nickte. »Die Dünung wird stärker. Die Wellen folgen dichter aufeinander.«

Weit draußen braute sich ein Unwetter zusammen. Sein Zentrum befand sich zwar noch hinter dem Horizont, aber es entwickelte sich zu einem Sturm von Orkanstärke. Die Wellen, die er vor sich herschob, gewannen zusehends an Höhe und Wucht.

»Bald wird die See zu rau sein, um zu surfen«, sagte Ike.

»Dann sollten wir das Beste daraus machen und uns beeilen«, erwiderte Kurt.

Er ließ sich mit dem Oberkörper auf sein Brett fallen und begann mit kräftigen Armbewegungen in Richtung der Zone, wo die Wellen brachen, zu paddeln.

Ike folgte seinem Beispiel, und sie näherten sich dem Strand, steigerten ihr Tempo und trennten sich dann. Eine starke Welle nach der anderen rollte unter ihnen hinweg, bis Kurt spürte, wie sich eine Monsterwelle hoch aufwölbte. Es war die größte des Tages.

Sie war genau das, was er sich wünschte. Eine Welle, die in gleichem Maß gefährlich war und zerstörerische Energie freisetzte. Er paddelte schneller, glitt auf dem Wellenberg aufwärts und setzte ein Knie auf das Brett. Er stemmte sich hoch, fand einen sicheren Stand, drehte das Brett in genau dem richtigen Moment quer zur Welle, stürzte sich in den Wellenhang und beschleunigte, während sich der Wellenkamm auftürmte und zu einem Tunnel einrollte.

Ike befand sich vor ihm, schnitt bereits eine weiße Kiellinie in die Woge, als ob sein Surfbrett von Raketen angetrieben würde. Kurt querte hinter ihm die Welle und musste unwillkürlich grinsen, als ihn das unglaubliche Gefühl durchströmte, mit der See zu verschmelzen und ihre Energie mit jeder Faser seines Körpers zu absorbieren.

Während er den Vorderhang der Welle hinabschoss und nach links schwenkte, blieb er dicht vor dem Wellenkamm, der sich weiter einrollte und nun hinter ihm einen Tunnel formte. Er ging leicht in die Hocke, senkte eine Hand, tauchte die Finger ins Wasser und drosselte das Tempo, bis er ringsum die blauen durchscheinenden Wände der Röhre sehen konnte, die in diesem Augenblick wie eine gewölbte Scheibe flüssigen Glases erschienen.

Die Welle brüllte wie ein lebendes Wesen und nahm ihn von beiden Seiten so in die Zange, dass er sich wie zwischen Skylla und Charybdis vorkam. Kurz bevor sie ihn zermalmte, manövrierte sich Kurt aus dem Tunnel heraus und glitt zurück ins Freie.

Ein Stück voraus entdeckte er Ike und einen anderen Surfer, der sich dieselbe Welle ausgesucht hatte. Sie kamen einander zu nahe, und Ike musste sich zurückfallen lassen. Sein Schwenk erfolgte zwar schnell genug, um eine Kollision zu vermeiden, aber der andere Surfer wurde von der Geschwindigkeit und der Wucht des Brechers überwältigt und ging unter.

Kurt schlug mit seinem Brett einen Haken, um ihm auszuweichen, doch dann hielt die See für sie alle eine Überraschung bereit, als die Welle plötzlich hochstieg und gleichzeitig überkippte.

Soeben noch ein lang gestreckter, sich majestätisch an Land wälzender Surfertraum, verwandelte sich die Welle nun in eine schäumende Wasserwalze. Ein wahres Gebirge entfesselten Ozeans ergoss sich auf Kurts Schultern, fegte ihn von seinem Surfboard und riss ihn mit sich.

Er wurde in die Tiefe gedrückt und pflügte durch den Sand. Ein aus dem Untergrund ragender Lavafelsen fügte seinem Unterarm einen tiefen Schnitt zu, und er spürte einen scharfen Ruck, als die Schlinge der Leash um sein Fußgelenk aufriss und sein Brett sich selbstständig machte.

Die mächtige Welle presste ihn zwar auf den Untergrund, aber Kurts langjährige Tauchpraxis bewahrte ihn davor, in Panik zu geraten. Er verhielt sich vollkommen ruhig, während die Unterströmung wieder einsetzte und die aufgewirbelten Sandmassen verteilte, sodass das Tageslicht von oben bis zu ihm vordringen konnte. Er stieß sich mit beiden Füßen vom Boden ab, um aufzusteigen.

Als er durch die Meeresoberfläche brach, schaute sich Kurt sofort suchend um. Eine weitere Welle stürzte auf ihn herab, und sein Brett war in die Brandung und weiter auf den Strand geschleudert worden. Ike befand sich ebenfalls im flachen Wasser, zog sich auf sein Surfbrett und paddelte heftig, um in den Wellengang zurückzukehren.

Kurt erkannte schnell, weshalb: Der andere Surfer war nirgendwo zu sehen. Er war untergegangen und offenbar auf dem Meeresgrund geblieben.

Kurt holte tief Luft und tauchte ab, während die nachfolgende Welle über ihn hinwegschäumte. Er spürte, wie ihn die Wellenfront erfasste, ihn hochhob und wieder losließ, als ob er ein lästiges Stück Treibgut sei. Dann hörte er das gedämpfte Dröhnen der Wassermassen, die auf den Strand auftrafen, und versuchte, in den Sandwolken, die von der Unterströmung mitgerissen wurden und sich zu ihm zurückwälzten, etwas zu erkennen.

Im Halbdämmer vor ihm nahm er einen gelben und roten Farbschimmer wahr, gedämpft sowohl vom Blau des Wassers als auch durch die eingeschränkte Sehfähigkeit menschlicher Augen unter Wasser. Er führte kräftige Beinstöße aus, ruderte mit den Armen und warf sich vorwärts, bis er das Brett des Surfers erreichte. Es hatte sich in einer Lücke im Lavafelsen verkeilt. Indem er sich an dem Brett entlangtastete, fand Kurt die Leash und benutzte sie, um den bewusstlosen Wellenreiter zu sich herüberzuziehen. Gleichzeitig riss er die Klettbandmanschette auf, die ihn ans Brett fesselte.

Die Unterströmung kam zurück. Die nächste Welle kündigte sich an. Kurt schlang einen Arm um den bewusstlosen fremden Surfer, stieß sich erneut vom Untergrund ab und tauchte hinter dem Wellenkamm auf.

Er schwamm in Richtung Strand. Die nächste Welle brach sich mit lautem Getöse hinter ihnen und schob sie in einer Wolke aus Gischt und schäumendem Wasser weiter vorwärts.

Während sie auf dem nassen Sand liegen blieben, näherten sich mehrere andere Surfer im Laufschritt, um ihnen zu helfen. Sie ergriffen den Verletzten an Armen und Beinen und zogen ihn vollends aufs Trockene.

Ike half Kurt auf die Beine und ging mit ihm den Strand hinauf, wo Kurt erst einmal stehen blieb, die Hände in die Hüften stemmte und mit tiefen Atemzügen Sauerstoff in seine Lunge pumpte. »Ist er okay?«

Wenige Schritte entfernt lag der gerettete Surfer jetzt hustend auf der Seite und spuckte Salzwasser. Einer der Männer, die sich um ihn kümmerten, nickte.

Grinsend hielt Ike das ausgefranste Ende von Kurts Sicherheitsleine hoch. »Sieh dir das an. Deine Leash ist gerissen. Jetzt bist du ein richtiger Big-Wave-Surfer.«

Er lachte über seinen Scherz und versetzte Kurt einen freundschaftlichen Rippenstoß.

»Das Ende dieses Ritts hatte ich mir eigentlich ein wenig anders vorgestellt«, sagte Kurt. »Was ist mit dieser Welle passiert? Erst sah die absolut großartig aus, und dann …«

Ike zuckte die Achseln. »Jede Welle ist anders, Bruder. Das ist Teil der Abmachung. Moana, die See, lässt dich gewähren, aber von Zeit zu Zeit ruft sie dir zu: Ich bin gefährlich. Ich bin unberechenbar. Eines Tages wende ich mich gegen dich. Und in diesem Augenblick der Wahrheit wirst du erfahren, dass du mich nicht bändigen kannst. Du wirst begreifen, dass du mir auf Gedeih und Verderb ausgeliefert bist, und nur ich allein entscheide, ob ich dich festhalte oder freilasse.«

Kurt fand so viel Gefallen an der Poesie dieser Erklärung, dass er gar nicht widersprach, sondern lediglich mit einem respektvollen Kopfnicken und einem Blick zurück auf den Ozean reagierte. Die Wellen türmten sich höher auf, der Wind frischte auf und kündigte das heraufziehende Gewitter an. Moana würde sie heute nicht mehr gewähren lassen.

Da wurde sein Gedankenfluss plötzlich unterbrochen. »Kurt Austin«, rief eine sonore Stimme vom oberen Teil des Strandes herüber.

Der Ruf, klar und akzentuiert, klang befehlend und wie an augenblicklichen Gehorsam gewöhnt. Es war ein Tonfall, der an einem Strand mit so viel malerischem Lokalkolorit vollkommen fehl am Platze war.

Kurt blickte hoch und sah einen Mann, der von der Uferstraße herunterkam. Er trug eine schwarze lange Hose, elegante Halbschuhe und ein weißes Oberhemd mit Button-down-Kragen. Er hatte schmale Schultern und schlanke Hüften, hielt sich kerzengerade und bewegte sich mit sicheren Schritten durch den weichen Sand. Offensichtlich war er mit einem weißen SUV eingetroffen, der hinter ihm am Straßenrand parkte.

»Kurt?«, rief der Mann noch einmal, während er sich näherte.

Ike beugte sich zu Kurt. »Wenn ich du wäre, würde ich nicht antworten«, flüsterte er. »Ich finde, er sieht aus wie Hawaii-fünf-null.«

»Schön wär’s«, sagte Kurt. Er erkannte einen Regierungsvertreter auf den ersten Blick, und speziell dieser war ihm besonders vertraut. »Rudi Gunn«, sagte er und streckte der Nummer zwei der NUMA eine Hand entgegen. »Ich hatte keine Ahnung, dass Sie auf der Insel sind. Sonst hätte ich Sie zum Surfen eingeladen.«

»Ich bin erst vor ein paar Stunden gelandet«, sagte Rudi und schüttelte Kurts Hand, »aber nach diesem Wipeout werde ich solche Einladungen von vornherein ablehnen, weil sie für mich Teil eines Plans sind, mich loszuwerden und meinen Job zu übernehmen.«

»Und den ganzen Tag am Schreibtisch zu sitzen und Akten zu wälzen? Nein, vielen Dank. Was verschlägt Sie hierher?«

»Ich versuche schon seit längerer Zeit, Sie zu erreichen«, sagte Rudi. »Ich habe Ihnen mindestens ein Dutzend Nachrichten auf Ihr Smartphone geschickt.«

»Smartphones und Surfen vertragen sich von Natur aus nicht«, sagte Kurt. »Welcher Notfall liegt denn an?«

»Wer hat etwas von Notfall gesagt?«

Kurt sah ihn ungläubig an.

»Okay«, lenkte Rudi ein. »Es ist wahrscheinlich ein Notfall – andernfalls hätte man mich wohl kaum losgeschickt, um Sie aufzugabeln –, aber ich weiß nicht, um was es geht. Ich hatte nur das Glück, dass sich der Parkwächter Ihres Hotels daran erinnerte, dass Sie ein Surfbrett eingeladen hatten und hierhergekommen waren.«

»Damit kann der Typ sein Trinkgeld in den Wind schreiben«, sagte Kurt.

»Mit dem, was ich ihm gegeben habe, wird er es leicht verschmerzen können«, sagte Rudi. »Das können Sie mir glauben.«

Kurt Austin wusste, dass es an der Zeit war, seine Zelte abzubrechen. Er schaute zu dem Surfer hinüber, den er aus dem Wasser gezogen hatte. Der junge Mann lächelte jetzt. Er gab ihm das Hang-Loose-Zeichen: eine Faust mit abgespreiztem Daumen und kleinem Finger.

Kurt erwiderte die Geste und wandte sich zu Ike um. »Nicht nur die See ist unberechenbar. Sieht so aus, als ob eine Menge Arbeit auf mich wartet.«

Er streifte sich ein schwarzes T-Shirt über die Schultern und griff nach dem Rucksack, den er zum Strand mitgebracht hatte. Während sie durch den Sand zum SUV hinaufstapften, stellte er die offensichtliche Frage. »Was können Sie mir erzählen? Nun, da wir außer Hörweite sind.«

Gunn schüttelte den Kopf. »Nur das Übliche«, sagte er. »Dass die Zeit drängt.«

Kurt war zwar klar, dass Rudi mehr wusste als das, aber er war genauso verschwiegen wie jeder andere bei der NUMA. Diese Art von Selbstdisziplin war offenbar eine Grundeigenschaft eines jeden Einserkadetten in West Point. »Ich nehme an, dass ich nicht einmal mehr Zeit habe, um zu duschen und mich umzuziehen.«

Gunn schüttelte den Kopf. »Nein, ich glaube, die haben Sie nicht.«

3

Rudi lenkte den Wagen zum Upolu Airport, einem kleinen Flugplatz an der nördlichen Spitze der Insel. Eine glänzende türkisfarbene Gulfstream wartete mit laufenden Triebwerken auf dem Rollfeld. Die NUMA-Maschine war, wie Kurt erkennen konnte, ein Modell mit größerer Reichweite.

Die Einstiegsluke wurde geschlossen, sobald Kurt Austin und Rudi Gunn ihre Plätze eingenommen hatten. Sekunden später rasten sie schon über die Piste. Nach einem langen Startanlauf stieg die Gulfstream in den Himmel auf und nahm Kurs nach Osten.

Während des Steigflugs schaute Kurt aus dem Fenster. In der Ferne sah er die dunklen Wolken des tropischen Tiefdruckgebiets, das die Wellenfronten auf den Strand geworfen hatte. Nachdem er sich mit einem kurzen Fingertipp gegen die imaginäre Hutkrempe von dem aufkommenden Sturm verabschiedet hatte, wandte er Rudi Gunn seine Aufmerksamkeit zu.

Von allen leitenden Vertretern der NUMA war Rudi Gunn sicherlich das größte Rätsel. Mittlerweile Ende vierzig, hatte er nichts von der Intensität und Präzision eingebüßt, die von jeher seine Markenzeichen waren. Einerseits hitzköpfig, andererseits aber schweigsam und verschlossen, konnte Rudi heiter und zu Scherzen aufgelegt sein, und doch ließ er sich niemals in die Karten schauen. Sein Geist arbeitete ständig auf Hochtouren. Selbst in diesem Augenblick, während er sich schweigend durch den Kopf gehen ließ, worüber sie sich in Kürze unterhalten würden, konnte Kurt spüren, dass Rudi Dinge plante, aufeinander abstimmte und umordnete. Er war ein logistisches Genie mit der besonderen Fähigkeit, für komplexe Abläufe stets das wirkungsvollste Handlungsmuster festzulegen.

Kurt ließ ihn in Ruhe und fasste sich in Geduld. Zwanzig Minuten verstrichen, ehe einer von ihnen das Wort ergriff. »Ist damit zu rechnen, dass sich irgendwann ein Flugbegleiter um uns kümmert? Ich würde gerne etwas trinken.«

»Sie wissen, dass in einem NUMA-Flugzeug kein Alkohol mehr gestattet ist«, sagte Rudi.

Kurt lachte verhalten. Streng nach Vorschrift, wie immer. »Ich dachte an eine Flasche Wasser oder an eine eisgekühlte Cola.«

»Oh«, sagte Rudi. »Sorry. Bedienen Sie sich.« Er deutete auf eine Kühlbox.

Kurt löste seinen Sitzgurt und ging zu dem Minikühlschrank. Er öffnete ihn und angelte zwei Flaschen Coca-Cola aus der hintersten Reihe, wo sie am kältesten waren. Glas-, keine Plastikflaschen, und er las den Aufdruck auf dem Etikett. Er war in Spanisch gehalten und verriet, dass die Vorräte der Maschine irgendwo südlich der Grenze aufgefüllt worden waren. Indem er die Flasche in der Hand hin und her drehte, fand Kurt die Adresse des Abfüllbetriebs und nickte, als er seine Vermutung bestätigt sah. Dann schloss er den Kühlschrank.

Er kehrte auf seinen Platz zurück, öffnete beide Flaschen und reichte eine an Rudi weiter. »Wir sollten miteinander reden«, sagte er. »Aus dem langen Startanlauf und dem langsamen Steigflug schließe ich, dass wir eine Menge Treibstoff an Bord haben. Unserem Kurs entnehme ich mit einiger Sicherheit, dass wir nicht nach Oahu oder Los Angeles fliegen – und Ihr zerknittertes Hemd verrät mir außerdem, dass Sie schon lange in dieser Maschine sitzen. Nur um mich abzuholen und zurückzubringen. Wo also liegt unser Ziel? Irgendwo in Südamerika?«

Rudi schenkte Coca Cola in ein Glas, während Kurt weitersprach. »Südamerika?«, sagte er. »Ist das Ihre Vermutung?«

»Das ist sie.«

»Ein ziemlich weites Feld«, erwiderte Rudi lächelnd. »Können Sie das ein wenig eingrenzen?«

Kurt druckste einige Sekunden herum, als dächte er angestrengt nach, obgleich er genau wusste, was er antworten würde.

»Ecuador.«

Gunns Augenbrauen ruckten hoch.

»Guayaquil«, fügte Kurt hinzu, »um genau zu sein.«

Gunn war sichtlich geschockt. »Mit allem gebotenen Respekt für den großen Johnny Carson, Carnac kann Ihnen nicht das Wasser reichen.«

»Wohl nicht, nein«, sagte Kurt grinsend und deutete auf die Colaflasche. »Diese Flaschen wurden in Quito abgefüllt. Aber das ist eine Binnenstadt, von Land umschlossen. Der größte Hafen von Ecuador befindet sich in Guayaquil. Und wir agieren gewöhnlich auf See.«

»Hmm«, sagte Gunn. »Ich weiß nicht, ob ich jetzt beeindruckt sein soll oder nicht.«

Ein rotes Telefon neben Gunns Sitz summte in diesem Augenblick. Er nahm den Hörer ab und lauschte einige Sekunden lang. »Wir sind bereit«, sagte er. »Stellen Sie durch.«

»Aber … wenn Sie nicht die Anweisungen geben, wer tut es dann?«

»Ein Kollege in der National Security Agency.«

»Arbeite ich jetzt für die NSA?«, fragte Kurt. Er war schon früher dorthin ausgeliehen worden.

»Nicht nur Sie«, erwiderte Gunn. »Sondern jedes NUMA-Schiff und jeder NUMA-Angehörige im Umkreis von fünftausend Meilen.«

Jetzt ruckten Kurts Augenbrauen in die Höhe. Das konnte nur einen einzigen Grund haben. »Sie haben etwas verloren.«

Weder bestätigte Gunn diese Vermutung, noch widersprach er ihr. »Ich überlasse ihnen die Erklärung.«

Ein Flachbildschirm an der Kabinenwand erwachte zum Leben. Zu sehen war das Innere eines Briefing Rooms mit zwei Männern, die an einem Tisch saßen. Der erste war ein Offizier der Air Force mit mehreren farbigen Ordensspangen an seinem blauen Uniformrock. Der zweite Mann war in Oberhemd und Krawatte gekleidet.

Der Mann mit der Krawatte redete als Erster. »Guten Tag«, sagte er. »Mein Name ist Steve Gowdy. Ich bin Direktor der Abteilung für ExAt-Projekte innerhalb der National Security Agency.«

»ExAt?«, fragte Kurt.

»Extraatmosphärisch«, erwiderte Gowdy. »Im Grunde beinhaltet das alles, was oberhalb der Stratosphäre stattfindet. Inklusive unserer Satelliten- und Lenkflugkörperprojekte.«

Kurt nickte, um zu signalisieren, dass er verstand, was gemeint war, und Gowdy beugte sich zur Kamera vor wie ein Fernsehreporter während der Abendnachrichten. »Ehe ich anfange, müssen Sie sich darüber im Klaren sein, dass dieses Projekt von höchster Wichtigkeit ist und in verschiedenen Bereichen der strengsten Geheimhaltung unterliegt.«

Kurt hatte diese Erläuterung schon früher gehört. »Bei der NSA gibt es nicht viel, das nicht streng geheim ist. Aber ich verstehe.«

Gunns Miene verzog sich zu einem Grinsen, aber Gowdy fand diese Bemerkung offensichtlich gar nicht lustig.

»Unser augenblickliches Projekt ist im letzten Moment aus dem Ruder gelaufen«, fuhr Gowdy fort. »Und zwar geht es um einen experimentellen Flugkörper während des Wiedereintritts über dem Südpazifik.«

Kurt wusste in etwa über die Weltraumoperationen der NSA Bescheid. »X-37«, sagte er in Bezug auf den bekannten Flugkörper der NSA, der mit einer Rakete in die Erdumlaufbahn gebracht wurde und wie das Spaceshuttle im Gleitflug zur Erde zurückkehrte.

»Nein«, sagte Gowdy. »Hier geht es um einen Flugkörper, den wir Nighthawk genannt haben. Seine offizielle Bezeichnung lautet VXA-01. Er ist der erste seiner Art. In gewisser Weise war X-37B ein Prototyp, eine Testversion, die benutzt wurde, um bestimmte Technologien zu entwickeln. Der neue Flugkörper ist zweimal so groß wie X-37 und auch weitaus leistungsfähiger.«

»Ich bin beeindruckt«, sagte Kurt. »Davon habe ich noch nie gehört. Nicht einmal gerüchteweise.«

»Wir haben uns nach Kräften bemüht, es aus der Öffentlichkeit herauszuhalten«, gab Gowdy zu. »Indem wir mit der X-37 einige mysteriöse Flugoperationen durchgeführt haben, haben wir die Öffentlichkeit abgelenkt und den Leuten etwas gegeben, worüber sie sich den Kopf zerbrechen konnten. In der Zwischenzeit arbeiteten wir an Nighthawk und hatten sie über drei Jahre lang im Weltraum im Einsatz. Unglücklicherweise kam sie aber beim Wiedereintritt in die Atmosphäre vom Kurs ab und reagierte nicht mehr auf unsere Kommandos.«

»Müssen wir deshalb jetzt befürchten, dass uns die Klingonen die Warp-Technologie rauben?«, fragte Kurt.

Gowdys Miene versteinerte, und er starrte einige Sekunden lang schweigend in die Kamera, bevor er antwortete. »Es gibt keinen Warp-Antrieb«, knurrte Gowdy ohne den geringsten Anflug von Humor, »aber die Nighthawk ist das technisch höchstentwickelte Flugzeug, das je gebaut wurde. Es vereinigt in sich Materialien und Technologien, die allem, was in europäischen, chinesischen oder russischen Raumfahrtprogrammen eingesetzt wird, um mindestens zwei Generationen voraus sind. Die Nighthawk ist ein durch und durch revolutionäres Flugzeug. Ich sage Flugzeug, weil sie genauso aussieht wie eines, aber täuschen Sie sich nicht, wir haben es mit einem Raumschiff zu tun, das in seiner Umlaufbahn uneingeschränkt und selbstständig manövrieren und Missionen durchführen kann, von denen das Shuttle niemals auch nur träumen könnte. Sie hat zwar keinen Warp-Antrieb, verfügt stattdessen jedoch über ein Ionenantriebssystem, das im Pendelverkehr zwischen Erde und Mond eingesetzt werden kann und die Reisezeit zum Mars halbieren würde.«

Kurt nickte. »Und jetzt wollen Sie, dass wir danach suchen.«

»Sie werden Teil eines Teams sein, das einen genau bezeichneten Sektor des Suchgebiets unter die Lupe nimmt. Einheiten der Marine, die in Pearl Harbor und San Diego stationiert sind, sind in der Region ebenfalls im Einsatz und beteiligen sich an der Suche.«

Während Gowdy sprach, öffnete Rudi Gunn einen Aktenkoffer, nahm eine Dokumentenmappe heraus und legte sie auf die Ablage zwischen seinem und Kurts Sessel.

Kurt schob eine Hand unter die Deckelklappe und brach mit der Handkante das Siegel auf. In der Mappe fand er Informationen über die Nighthawk. Sie bestanden aus Angaben über Kurs und Flugbahn sowie Flugdauer und einer Land- und Seekarte.

»Wie Sie sehen können«, fuhr Gowdy fort, »ist sie uns auf halbem Weg zwischen Französisch-Polynesien und der Küste von Südamerika verloren gegangen. Aufgrund der letzten übermittelten Telemetriedaten und unter Berücksichtigung der Geschwindigkeit und Flughöhe des Flugkörpers nehmen wir an, dass er irgendwo östlich der Galapagosinseln heruntergekommen ist.«

Kurt studierte das Satellitenfoto, das mit roten Linien überlagert war. Die Linien bildeten eine sich verbreiternde trichterförmige Zone, die östlich der Galapagosinseln begann. Sie erstreckte und weitete sich dann zu einem seitwärts abzweigenden V in Richtung Ecuador und Peru. Eine Skala lieferte Wahrscheinlichkeitswerte für eine Landung der Nighthawk in jedem Bereich innerhalb des Trichters.

»Verfügt der Flugkörper über einen Peilsender?«, fragte Kurt, während er die Seekarte betrachtete.

»Ja«, antwortete Gowdy, »aber wir empfangen kein Signal.«

»Demnach halten wir Ausschau nach Trümmern«, schlussfolgerte Kurt.

»Nein«, erwiderte Gowdy mit Nachdruck.

Kurt löste den Blick von der Karte und sah den Mann fragend an.

»Wir haben Grund zu der Annahme, dass die Nighthawk unversehrt gelandet ist«, sagte Gowdy.

Gowdy beschrieb und erklärte das automatische Landesystem, dessen Prozessoren die Flugkontrolle übernahmen, sobald die Kommandoverbindung der Flugbasis in Vandenberg unterbrochen war. Er betonte dreimal die Zuverlässigkeit des Systems, lieferte jedoch keinerlei Begründung, weshalb das Landesystem fehlerfrei funktionieren sollte, während zahlreiche andere Systeme an Bord des Flugkörpers versagt hatten.

Kurt verzichtete darauf, diesem Widerspruch auf den Grund zu gehen. »Welche Hilfsmittel stehen uns für die Suche zur Verfügung?«

An diesem Punkt schaltete sich Gunn in die Unterhaltung ein. »Alles, was wir aktivieren konnten«, sagte er. »In der Region operieren drei NUMA-Schiffe. Eins nähert sich von der chilenischen Küste, und zwei kommen durch den Panamakanal aus dem Golf von Mexiko.«

Kurt erhielt ein weiteres Dokument. Es war eine Liste, auf der die Schiffe aufgeführt waren.

»Paul und Gamay Trout sind bereits auf der Catalina.« Damit nannte Gunn die Namen der beiden zuverlässigsten und fähigsten Mitglieder des NUMA-Teams, das für die Durchführung von Spezialprojekten zuständig war. »Sie hatten vor der Küste von Chile gerade umfangreiche ökologische Untersuchungen durchgeführt. In etwa fünfzehn Stunden dürften sie das in Frage kommende Landegebiet erreichen.«

»Ein echter Glücksfall«, stellte Kurt fest.

Rudi nickte. »Die Jonestown und die Condor