Prophezeiung - Dämonenerbe 2 - Mara Laue - E-Book

Prophezeiung - Dämonenerbe 2 E-Book

Mara Laue

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Beschreibung

Sie sind dazu ausersehen, das magische Tor zu öffnen, das den Dämonen den Weg in die Welt öffnet. Doch die beiden Halbdämonen Bronwyn und Devlin haben andere Pläne. Fest entschlossen, das Tor für immer zu versiegeln, suchen sie in Indien nach der Vajramani-Prophezeiung. Die Reise nach Indien wird zu einer enormen Belastung der noch jungen Liebe. Um ihren Feinden zu entkommen, müssten sie ihre magischen Kräfte vereinen, doch Bronwyn schreckt vor diesem ultimativen Test ihres Vertrauens zurück und steht vor einer schweren Entscheidung. Denn die Kraft ihrer Liebe entscheidet darüber, ob sie Devlins Seele retten und sich damit auch die alte Prophezeiung zum Wohl der Menschen erfüllen kann. "ÜBERARBEITETE NEUAUFLAGE" Prophezeiung ist der zweite Band der Dark-Romance-Trilogie Dämonenerbe. Ebenfalls erschienen: Band 1 – Erweckung Band 3 – Erben der Macht

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Seitenzahl: 494

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Dämonenerbe 2

Prophezeiung

Mara Laue

Impressum

Prophezeiung

Dämonenerbe 2

Mara Laue

© 2018 vss-verlag, 60389 Frankfurt

Covergestaltung: Sabrina Gleichmann

Korrektorat: Hermann Schladt

www.vss-verlag.de

Kapitel 1

Maroon Lake, Aspen, Colorado, 21. Oktober 2012

Wayne Scott schüttelte Lieutenant Sarah Connolly vom Aspen Police Departement die Hand. Er musste nicht ihre Gedanken lesen, um zu erkennen, dass ihr die Anwesenheit des FBI nicht passte. Es gefiel grundsätzlich niemandem, wenn die Bundespolizei auftauchte und einen Fall übernahm. Jede Investigationsbehörde schmückte sich gern selbst mit den Ermittlungserfolgen; besonders wenn es sich um spektakuläre Fälle handelte, die der Karriere förderlich waren. Wenn dann das FBI kam und so einen Fall an sich riss, sorgte das für Missmut, der nicht selten in unterschwellige Feindseligkeit ausartete.

„FBI Special Agent Wayne Scott“, stellte er sich vor, setzte sein gewinnendstes Lächeln auf und deutete auf seinen Begleiter, der ihr ebenfalls die Hand schüttelte. „Mein Partner, Special Agent Travis Halifax.“

„Ich habe keine Ahnung, woher Sie von diesem Fall wissen.“ Sarah Connollys Stimme klang reserviert. „Aber was daran für Sie so interessant ist, kann ich mir schon denken: die grüne Asche. Stimmt’s?“

Wayne lächelte nur.

Sie verzog das Gesicht. „Ja, das habe ich mir gedacht: Sie sind nicht befugt, darüber zu reden.“

„So ist es“, bestätigte er. „Nach unseren Informationen erhielten Sie einen anonymen Anruf.“

Sie nickte. „Von einem Mann. Unterdrückte Rufnummer. Der Anruf ließ sich nicht zurückverfolgen. Er sagte, am Maroon Lake, bei einer Hütte in der Nähe des Touristenparkplatzes, seien Schüsse gefallen. Ziemlich viele und mitten in der Nacht. Mal abgesehen davon, dass ohnehin Schonzeit ist und im Oktober nur Bogenschützen auf Rotwildjagd gehen dürfen, jagt sowieso niemand bei Nacht mit Schusswaffen. Als wir hier ankamen, fanden wir das da.“ Sie deutete auf eine völlig ausgebrannte Blockhütte. „Und daneben die Leiche eines Mannes, den man in den Rücken geschossen hatte. Außerdem drei weitere Leichen, von denen zwei erschossen wurden und eine verbrannt ist. Die Erschossenen trugen Mönchskutten. Der vierte Tote ist bis zur Unkenntlichkeit verbrannt.“

„Kennen Sie schon deren Identität?“ Scott warf einen kurzen Blick auf die Überreste des Blockhauses, die ganz normal verkohlt schwarz und aschgrau waren.

„Nur die von dem mit der Kugel im Rücken. Er hatte einen Führerschein bei sich, der auf den Namen Joshua Harker lautet. Er war Flötist im Colorado Symphony Orchestra in Denver. Ihm gehört die Hütte. Er hat von dem Brand nichts abbekommen. Offenbar konnte er die Hütte verlassen, ehe der Brand ausgebrochen ist. Vielmehr gelegt wurde.“

Travis ging zu der zerstörten Hütte hinüber. Er ging in die Hocke, nahm etwas von der Asche auf und roch daran, ehe er Wayne einen kurzen Blick zuwarf und den Kopf schüttelte.

„Wie kommen Sie darauf, dass der Brand gelegt wurde?“

Sarah Connolly schnaufte. „Ich sehe so ein Szenario nicht zum ersten Mal, Agent Scott. Hier wollte jemand ganz offensichtlich Spuren beseitigen. Die Frage ist nur: welche?“

„Sie erwähnten grüne Asche. Die hätten wir uns gern angesehen. Ich hoffe, Ihre Leute haben den Fundort nicht angetastet.“

„Wir sind keine Anfänger, Agent.“ Das klang ausgesprochen frostig.

„Das wollte ich damit keinesfalls andeuten. Aber Sie wissen, dass auch der Beginn der professionellsten Untersuchungen einen Tatort verändert.“

Sie ging nicht darauf ein. „Kommen Sie. Da nur ein Wanderpfad dorthin führt, müssen wir laufen.“ Sie deutete auf einen Trampelpfad, der hinter der zerstörten Hütte entlang begann, und ging voran. „In unmittelbarer Nähe der grünen Asche haben wir eine zweite Leiche gefunden. Einen Mann ebenfalls in einer schwarzen Mönchskutte mit einem Loch in der Stirn. Er hielt eine Pistole in der Hand. Entweder er und seine Kumpane hatten sich nur als Mönche verkleidet oder Ordensbrüder laufen neuerdings mit Waffen herum. Was ich mir nicht vorstellen kann. Und neben den Aschehaufen fanden wir weitere Pistolen.“ Sie blickte die beiden Agents fragend an, die ihr keine Antwort gaben. Sie zuckte mit den Schultern. „Diese grüne Asche – ist das was Gefährliches? Eine Chemikalie? Muss eine Behörde darüber informiert werden?“

Wayne schüttelte den Kopf. „Nicht, wenn es das ist, was wir vermuten.“

„Und diese Vermutung fällt garantiert auch unter Ihr umfassendes FBI-Schweigegelübde.“

Er schnitt eine Grimasse. „Bedauerlicherweise. Glauben Sie mir, Lieutenant, uns gefällt auch nicht, dass wir so verschwiegen sein müssen. Wir arbeiten lieber offen mit Ihnen zusammen. Schon deshalb, weil Sie uns sehr viel besser unterstützen können, wenn Sie wissen, worum es geht und nicht das Gefühl haben, dass wir Ihnen Informationen vorenthalten, um die Lorbeeren einzuheimsen. Das tun wir nicht. Aber falls dieser Fall tatsächlich in die Zuständigkeit unserer Spezialabteilung fällt, ist es essenziell, alles, was damit zu tun hat, unter dem Siegel der Verschwiegenheit zu lassen. Dazu verpflichtet uns unser Eid.“

Sie blickte ihn misstrauisch an. „Zu welcher Spezialabteilung gehören Sie?“

Travis Halifax grinste und zwinkerte ihr zu. „Akte X.“

Sie verzog das Gesicht. „Ich habe verstanden.“

Das hatte sie mit Sicherheit nicht, denn Travis hatte die Wahrheit gesagt. Zwar hieß die Abteilung, zu der er und Wayne gehörten, nicht Akte X, sondern DOC – Department of Occult Crimes –, aber sie kümmerte sich tatsächlich um scheinbar unerklärliche oder auf den ersten Blick nur mit dem Übersinnlichen zu erklärende Verbrechen. Die Mitarbeiter vom DOC wussten nicht nur, dass Dinge wie Magie und Wesen wie Vampire, Werwölfe und Dämonen real waren, einige Wenige der Mitarbeiter gehörten selbst zu denen. Andere besaßen übersinnliche Fähigkeiten. Wayne konnte die Gedanken seiner Mitmenschen lesen und in geringem Maß auch manipulieren. Travis besaß die Gabe der Retrospektion und konnte vergangene Ereignisse im Geist sehen, wenn sie nicht zu lange zurücklagen. Davon abgesehen war er der einzige Agent in der Abteilung, der keine Angst davor hatte, dass sein Partner seine Gedanken lesen könnte.

Die Arbeit des DOC unterlag extrem restriktiven Geheimhaltungsvorschriften, dass nicht einmal der Präsident von seiner Existenz wusste, vielmehr nicht über das wahre Ausmaß seiner Arbeit informiert war. Offiziell beschäftigte sich das DOC mit der Aufklärung von Ritualmorden, im Rahmen von Schwarzen Messen begangenen Verbrechen, behielt fanatische Sekten im Auge und ähnliche Dinge. Das wahre Ausmaß der Aufgaben kannten nur die Leute, die im DOC arbeiteten.

„Wir gehören zu Special Cases Unit“, erklärte Wayne deshalb Lieutenant Connolly. „Wir sind für Fälle zuständig, in denen merkwürdige Dinge wie grüne Asche vorkommen.“

Da sie zu diesem Zweck die Polizeiberichte des ganzen Landes nach einschlägigen Auffälligkeiten durchforsteten, waren sie auf die Meldung von der grünen Asche am Maroon Lake gestoßen. Grüne Asche deutete darauf hin, dass das Feuer durch magische Blitze verursacht worden war. Sollte sich das bestätigen, stellte sich die Frage, von wem.

Der Fundort lag auf einer Waldlichtung. In deren Mitte befand sich ein schwarzer Brandring. Die grünen Aschehaufen waren kreisförmig darum verteilt. Sieben Stück. Ebenfalls außerhalb des Brandrings war auf dem Waldboden der Fundort der Leiche markiert, die man inzwischen abtransportiert hatte. Das ganze Gelände war weiträumig abgesperrt.

Travis ging zu einem Aschehaufen, nahm eine Probe, die er zwischen den Fingern rieb, während er daran schnüffelte. Er warf Wayne einen bezeichnenden Blick zu und nickte.

„Lieutenant Connolly, das ist eindeutig unser Fall. Es tut mir leid. Können wir trotzdem auf Ihre Unterstützung bauen?“

Sie war sichtbar enttäuscht, denn bis jetzt hatte sie gehofft, dass sie den Fall behalten konnte. „Selbstverständlich. Sagen Sie mir, was Sie brauchen.“

„In erster Linie, dass Sie uns alle bisherigen Ermittlungsergebnisse und natürlich die Leichen überlassen.“

„Ich veranlasse das.“

Wayne blickte sich um. Der Brand auf dem Boden und an den Bäumen rund um die Lichtung war nicht von magischen Blitzen verursacht worden. Das Entfachen von Feuer gehörte zwar zu den paranormalen Fähigkeiten, über die manche Menschen verfügten; in Anbetracht der Tatsache, dass hier aber auch Magie am Werk gewesen war, lag der Verdacht nahe, dass der Verursacher entweder eine Hexe oder Magier oder sogar ein Dämon gewesen war. Letzteres passte durchaus zu den übrigen Anzeichen, die sich landesweit mehrten, dass etwas im Gange war, was eine gravierende Bedeutung hatte.

Menschen, die eine visionäre Gabe besaßen, prophezeiten zwar nicht den Untergang der Welt, aber eine Zeit des Schreckens für die Menschheit; sofern sie überhaupt darüber redeten und sich nicht lieber bedeckt hielten aus der sehr berechtigten Angst, sonst für verrückt gehalten zu werden. Das war zwar nichts Neues, denn solche Prophezeiungen hatten zu allen Zeiten mehr oder weniger Hochkonjunktur. In diesem Jahr sollte auch mal wieder die Welt untergehen, wenn man alten Maya-Legenden glauben wollte.

Das DOC machte sich jedoch die Mühe, solche Prophezeiungen zu prüfen; besonders wenn sie von Special Agent Jenna Paricci ausgesprochen wurden. Jennas Hellsichtigkeit hatte dem DOC schon oft geholfen, einen Fall zu lösen. Diesmal stand jedoch eine Menge mehr auf dem Spiel.

Die inzwischen siebzigjährige Dame hatte bereits vor dreiunddreißig Jahren eine starke Vision gehabt, die besagte, dass das Schicksal etlicher Menschen von zwei Halbdämonen abhing, die an dem Tag geboren worden waren, an dem Jenna ihre Vision gehabt hatte. Seitdem versuchten alle Mitarbeiter des DOC, die über entsprechende Fähigkeiten verfügten, diese beiden zu finden. Ohne Erfolg. Wahrscheinlich lag es daran, dass deren Eltern sie magisch schützten, denn es gab keine konkrete Spur von ihnen. Alle vagen Hinweise, die vielleicht zu einem von ihnen hätten führen können, hatten sich als Sackgassen erwiesen.

Man konnte nur zweifelsfrei sagen, dass das, was vor dreiunddreißig Jahren mit ihrer Geburt begonnen hatte, in diesem Jahr am Tag der Wintersonnenwende zu Ende gebracht wurde. Deshalb war es eminent wichtig, wenigstens einen von ihnen zu finden, idealerweise beide und vor allem lebend. Für Letzteres standen die Chancen nicht allzu gut, denn Jenna hatte mehr als eine akute Gefahr für das Leben der beiden gesehen. In einer ihrer Visionen spielten Mönche in schwarzen Kutten eine entscheidende Rolle, in einer anderen wurden sie von Mitgliedern eines Geheimbundes bedroht, den das DOC bis heute nicht hatte ermitteln können; nicht einmal ein einziges Mitglied. Zumindest kein lebendes. Und die Toten, die vielleicht dazu gehört haben könnten, schwiegen für immer.

In einer dritten Vision, der Bedrohlichsten von allen, wurde durch irgendetwas, das die beiden Halbdämonen taten oder das mit ihnen getan wurde, einen Horde von Schlangendämonen auf die Welt losgelassen. Da die Wintersonnenwende in einundsechzig Tagen stattfand, dieses Ereignis aber schon vorher eintrat, drängte die Zeit. Deshalb hatte Special Agent in Charge Cecilia O’Hara, die Chefin des DOC, Wayne und Travis hierher geschickt, als sie den Bericht von toten Mönchen mit Schusswaffen in den Händen und grüner Asche erhalten hatte. Mit etwas Glück würden sie hier einen Hinweis auf die beiden Halbdämonen finden.

Travis nickte Wayne zu.

Wayne wandte sich an Lieutenant Connolly und deutete in den Wald, wo etliche Bäume angekohlt waren. „Ich sehe, dass der Brand ziemlich ausgedehnt war. Haben Sie auch weiter hinten nach möglichen Opfern gesucht?“ Er ging ein paar Schritte in die Richtung.

Sarah Connolly folgte ihm. „Selbstverständlich, Agent Scott. Wie ich schon sagte, sind wir keine Anfänger. Wir haben das Gebiet im Umkreis von einer Meile durchkämmt. Auch mit Suchhunden. Was immer sich hier abgespielt hat, passierte an der Hütte und hier. Und auf dem Weg dazwischen.“

„Welche Spuren haben Sie noch gefunden?“

„Die eines Feuergefechts zwischen diesen Mönchen – oder was immer sie sind – und einer weiteren Partei, auf deren Identität wir bis jetzt keine Hinweise haben. Wir vermuten, dass der anonyme Anrufer zu letzterer gehört. Wäre er nur ein besorgter Bürger, hätte er erstens seine Rufnummer nicht unterdrückt und der Anruf wäre zweitens zurückzuverfolgen gewesen.“

„Ich stimme Ihnen zu.“

Wayne sah an Travis’ starrer Körperhaltung, dass er bereits seine Gabe der Retrospektion einsetzte und sich auf das konzentrierte, was hier geschehen war. Er lenkte Lieutenant Connolly mit ein paar weiteren Fragen ab und sorgte dafür, dass sie Travis dabei den Rücken zudrehte, damit sie die katatonisch wirkende Starrte seines Partners nicht mitbekam. Auch in diesem Punkt waren die beiden Männer ein eingespieltes Team.

„Agent Scott, können Sie mir wenigstens einen Hinweis auf das geben, womit wir es hier zu tun haben? Meinetwegen auch einen inoffiziellen. Was hat es mit dieser grünen Asche auf sich? Und diese Mönche sind doch keine, nicht wahr?“

Wayne lächelte, warf einen Blick an ihr vorbei auf Travis, fasste Connolly leicht am Arm und zog sie ein Stück weiter von seinem Partner weg. „Wenn ich darüber reden dürfte“, er flüsterte, damit sie den Eindruck bekam, dass er offen zu ihr war und sein Partner das nicht hören sollte, „dann würde ich sagen, dass Sie recht haben. Die grüne Asche ist das Ergebnis einer experimentellen Munition, die aus einem militärischen Entwicklungsinstitut gestohlen wurde. Die Leute, die sich als Mönche tarnen, wollten sich vermutlich in der Hütte mit einem Käufer treffen. Irgendwas ging schief, und das Ergebnis sehen Sie hier.“

„Wie passt der Musiker da rein? Joshua Harker?“ Connolly flüsterte ebenfalls.

Wayne zuckte mit den Schultern. „Falls er nichts damit zu tun gehabt haben sollte, war er wohl nur zur falschen Zeit am falschen Ort. Vielleicht dachten die Schurken, die Hütte wäre um diese Jahreszeit leer, aber zufällig war der Eigentümer da. Das finden wir noch heraus.“ Er blickte ihr eindringlich in die Augen. „Sarah, ich verlasse mich darauf, dass Sie diese Information absolut vertraulich behandeln und keine Silbe darüber verlauten lassen. Die Sache mit der Munition ist topsecret.“

Sie nickte. „Das habe ich mir schon gedacht.“ Sie lächelte. „Ich danke Ihnen sehr für Ihre Offenheit, Agent Scott.“

Er lächelte ebenfalls. „Ich wünschte, ich dürfte immer so offen sein. Aber ...“

„Ich verstehe vollkommen“, unterbrach sie ihn. „Danke.“

Wieder brauchte er keine Telepathie, um zu spüren, dass sie ihm wirklich dankbar war, weil er ihr das Gefühl gegeben hatte, dass er ihr vertraute und vor allem ihre Kompetenz anerkannte. Wieder bedauerte er – wie so oft in einer Situation wie dieser –, dass er hatte lügen müssen. Aber das Wissen um die reale Existenz paranormaler Fähigkeiten und Wesen wie Dämonen war derart brisant, dass es nicht an die Öffentlichkeit gelangen durfte. Abgesehen davon, dass Leute wie Sarah Connolly die Wahrheit gar nicht geglaubt hätten. Hanebüchene Ausreden wie eine neu entwickelte Munition, die ihre Opfer zu grüner Asche verbrannte, waren dagegen für sie plausibel.

Wayne sah, dass Travis sich entspannte. „Wir sind dann hier fertig, Lieutenant. Wenn Sie uns noch einen Moment entschuldigen würden. Wir kommen gleich nach.“

Sarah Connolly verstand den Wink, nickte ihm zu und machte sich auf den Rückweg. Wayne wartete, bis sie außer Hörweite war, ehe er Travis auffordernd anblickte.

„Nun?“

Der grinste. „Lies doch meine Gedanken.“

Das war ein alter Scherz zwischen ihnen. Travis wusste genau, dass Wayne das nicht tun würde. Nicht nur aus ethischen Gründen, sondern auch, weil Telepathie dermaßen anstrengend war und ihm ab einem gewissen Zeitpunkt Kopfschmerzen verursachte, sodass er diese Gabe nur in Notfällen benutzte.

„Ich konnte nichts Relevantes mehr wahrnehmen. Das Einzige, was ich sicher weiß, ist, dass zwei Personen den Schauplatz verlassen haben. Ich konnte ihre Gesichter nicht erkennen. Da sie aber von einer Sekunde auf die andere verschwunden sind, als hätten sie sich in Luft aufgelöst, bin ich mir ziemlich sicher, dass sie Dämonen sind, denn die Gabe der Teleportation ist unter Menschen extrem selten. Was hier passiert ist, liegt aber schon über vierundzwanzig Stunden zurück. Deshalb kann ich es nicht mehr sehen.“

„Zwei Dämonen ist doch schon mal ein guter Hinweis. Könnten unsere beiden Halbdämonen sein.“

„Da bin ich mir ziemlich sicher.“ Travis rieb sich die Stirn. Nach der Anwendung seiner Gabe bekam auch er immer mehr oder weniger starke Kopfschmerzen. „Auch wenn natürlich die Möglichkeit besteht, dass es zwei andere Dämonen waren.“

„Unwahrscheinlich.“ Wayne wollte noch etwas hinzufügen, aber das Klingeln seines Handys unterbrach ihn. Der Anruf kam von Cecilia O’Hara.

„Es gibt einen Fall in Denver, bei dem Mönche in schwarzen Kutten involviert sind. Sie haben vor drei Wochen eine Frau angegriffen, um den Aufenthaltsort ihrer Nachbarin zu erfahren. Sie hatte daraufhin einen Zusammenbruch und ist erst vor vier Tagen aus der Klinik entlassen worden. Haken Sie da mal nach. Könnte eine Spur zu der Halbdämonin sein.“

„Ja, Ma’am. Wir kümmern uns darum.“

„Wie sieht die Sache am Maroon Lake aus?“

Wayne gab ihr eine Zusammenfassung, ehe er das Gespräch beendete. „Wir müssen als Nächstes nach Denver“, teilte er Travis mit. „Aber als Erstes sehen wir uns an, was Connollys Leute noch für uns haben.“

*

Denver, Colorado, 22. Oktober

1640 Fillmore Street war ein unauffälliges sauberes Einfamilienhaus mit einem gepflegten Rasen im Vorgarten. Der Briefkasten an der Grundstücksgrenze trug den Namen Benson. Schräg gegenüber befand sich Nummer 1637 – das Haus, in dem Joshua Harker wohnte. Weder Wayne noch Travis hielten das für Zufall. Auch nicht, dass neben den Bensons in Nummer 1638 eine alleinstehende Frau namens Bronwyn Kelley lebte, die vor dreiunddreißig Jahren geboren worden war, als Jenna Paricci ihre Vision von der Geburt der beiden Halbdämonen gehabt hatte. Zwar stimmte das Geburtsdatum auf ihrem Führerschein nicht mit dem der Dämonengeburt überein, aber das wollte nichts heißen. Urkunden konnte man fälschen.

Wayne klingelte an der Tür der Bensons. Zunächst kam niemand heraus. Allerdings bemerkte er, dass sich die Gardine am Fenster neben der Tür bewegte. Es war also jemand zu Hause. Er klingelte erneut; diesmal länger. Wenig später wurde die Tür einen Spalt geöffnet. Ein dunkelhaariger Mann blickte sie finster an. Da er dem Bild glich, das Wayne sich von seinem Führerschein in der Datenbank der Zulassungsstelle angesehen hatte, musste er Edwin Benson sein.

„Verschwinden Sie. Wir geben keine Interviews.“ Benson versuchte, ihnen die Tür vor der Nase zuzuschlagen.

Wayne stellte einen Fuß dazwischen.

FRIEDEN!

Hätte er es laut ausgesprochen, hätte er das Wort wohl gebrüllt. Aber er hatte längst gelernt, auch mit seinem Geist zu brüllen. Benson nahm das zwar nicht bewusst wahr, aber Waynes Gedanke vermittelte ihm, dass die beiden Männer keine Bedrohung waren. Das ließ ihn zögern.

Wayne und Travis zückten ihre Ausweise. „Wir sind vom FBI und untersuchen den Angriff auf Ihre Frau.“

Benson öffnete die Tür und bat sie mit einer Handbewegung ins Haus. „Wir haben doch schon alles den Cops erzählt. Mehrfach. Und ganz ehrlich: Meine Frau kann nicht mehr. Besonders da das alles überhaupt nichts bringt. Die Cops haben nicht die geringste Spur zu den Mistkerlen, die Lissy das angetan haben.“

„Wir schon.“ Wayne schenkte Benson ein gewinnendes Lächeln. „Wir brauchen nur noch eine Bestätigung von Ihrer Frau.“

Das überzeugte den Mann endgültig. Er führte sie ins Wohnzimmer, wo seine Frau auf der Couch saß, die Beine hoch gelegt hatte, und aus dem Fenster in den Garten hinter dem Haus blickte.

„Liebling, diese Leute sind vom FBI.“

Wayne schenkte Lissy Benson ein freundliches Lächeln und reichte ihr die Hand. „Bitte behalten Sie Platz, Mrs. Benson.“ Er verstärkte die Aufforderung, indem er ihr die Hand auf die Schulter legte, als sie aufzuspringen versuchte. „Wie geht es Ihnen?“

Er sah ihr die Antwort an und fragte nur aus Höflichkeit. Lissy Benson war blass, ihre Hände zitterten, und ihre Bewegungen waren fahrig. Außerdem hatte sie spürbar Angst. Sie hatte sich noch lange nicht von dem Angriff auf sie erholt.

„Es geht, danke.“

„Fühlen Sie sich in der Lage, uns ein paar Fragen zu beantworten?“

Sie nickte. „Ich denke schon. Bitte, nehmen Sie doch Platz.“

Wayne und Travis setzen sich.

Benson nahm neben seiner Frau Platz und legte den Arm um ihre Schultern. „Sie sagten, Sie wüssten, wer Lissy das angetan hat. Wer sind die Kerle? Und was wollen sie von Bron?“

„Sie meinen Ihre Nachbarin Bronwyn Kelley?“

Lissy Benson nickte und blickte Wayne und Travis besorgt an. „Ihr ist doch nichts passiert? Unser Nachbar Josh Harker ist auch seit Tagen verschwunden, und weder er noch Bron gehen an ihr Handy. Ist immer nur die Mailbox dran.“

„Über Miss Kelleys Verbleib wissen wir nichts. Aber Mr. Harker ist bedauerlicherweise tot.“

„Oh Gott!“ Lissy Benson begann zu weinen. Ihr Mann drückte sie an sich und streichelte ihre Schulter.

„Bitte, Mrs. Benson, wenn Sie uns erzählen würden, was passiert ist? In den Protokollen der Polizei steht, dass vier Männer in Mönchskutten in Ihr Haus eingedrungen sind und nach Ihrer Nachbarin gefragt haben.“

Sie schüttelte den Kopf. „Sie haben nicht gefragt. Sie haben mich bedroht. Wenn ich ihnen nicht sage, wo Bron ist ...“ Sie brach ab und drückte ihr Gesicht gegen ihres Mannes Schulter.

„Vielleicht solltest du den Agents erzählen, was davor passiert ist, Liebes.“

„Das wäre?“ Travis blickte die beiden aufmerksam an.

„Bron hat zwei Tage vor dem Ganzen – also einen Tag vor ihrem Geburtstag – erfahren, dass sie adoptiert wurde“, erklärte Benson.

Seine Frau nickte. „Ihre Adoptiveltern haben ihr einen Brief hinterlassen, der wohl mehr Fragen aufgeworfen als beantwortet hat. Jedenfalls war Bron ziemlich durch den Wind deswegen. In dem Brief stand, dass ihre Eltern, also die leiblichen, sie zur Adoption gegeben hätten, weil sie in Gefahr war.“

„Was für eine Gefahr?“

Lissy Benson zuckte mit den Schultern. „Keine Ahnung. Das stand in dem Brief wohl nicht. Jedenfalls sollte an ihrem Geburtstag ein Mann kommen und ihr alles erklären. Der ist aber nicht aufgetaucht. Daraufhin hat Bron beschlossen, am nächsten Tag nach Dunraven zu fliegen zum Haus ihrer Adoptiveltern. Sie hoffte, dort alte Tagebücher oder andere Hinweise zu finden, aus denen sie entnehmen könnte, wer sie wirklich ist.“

Travis warf Wayne einen kurzen Blick zu. Der musste nicht seine telepathischen Fähigkeiten bemühen, um zu wissen, was sein Partner dachte.

„Und seitdem haben wir von Bron nichts mehr gehört. Einen Tag später sind dann diese ... diese Mönche aufgetaucht.“ Lissy Benson blickte Wayne und Travis eindringlich an. „Was wollen die von ihr? Haben die Josh umgebracht?“

„Wir ermitteln noch“, wich Travis einer direkten Antwort aus. „In welchem Verhältnis stehen Sie und Miss Kelley zu Mr. Harker?“

„Wir sind alle vier befreundet“, antwortete ihr Mann.

„Na ja, zwischen Bron und Josh war mehr.“

„Eine Liebesbeziehung?“, vergewisserte sich Wayne.

Lissy Benson nickte. „Zumindest von Joshs Seite aus. Bron ist ab und zu mal mit ihm ausgegangen. Sie hat auch ein paar Mal mit ihm geschlafen. Aber sie war nicht in ihn verliebt. Wir haben uns noch am Tag vor ihrem Geburtstag darüber unterhalten, dass sie langsam mal daran denken sollte, eine Familie zu gründen.“ Sie zuckte mit den Schultern. „Aber sie und Josh ...Ich glaube nicht, dass das gutgegangen wäre. Dazu ist Bron zu rastlos. Sie ist freischaffende Journalistin und immer auf Achse. Kaum ist sie hier, ist sie ein paar Tage später schon wieder weg.“

„Ein Vierteljahr war mal die längste Zeit, die sie an einem Stück hier geblieben ist“, ergänzte Benson. „Ich nehme an, das ist der Preis für ihren Erfolg.“

„Haben diese angeblichen Mönche irgendetwas gesagt, was einen Hinweis darauf gibt, warum sie so sehr an Miss Kelley interessiert sind?“

Lissy Benson blickte verlegen zu Boden.

„Mrs. Benson?“

„Wenn ich Ihnen das sage, halten Sie mich für verrückt.“

„Ganz sicher nicht, Ma’am. Sagen Sie uns ruhig, was die Männer gesagt haben. Im Zweifelsfall halten wir die für verrückt, nicht Sie.“

Sie hüstelte. „Also, die haben behauptet, Bron wäre“, sie holte tief Luft, „ein leibhaftiger Dämon.“ Sie blickte von einem zum anderen. Als weder Wayne noch Travis zu lachen begannen oder andere Anzeichen von Unglauben zeigten, fuhr sie fort. „Sie sagten Bron würde die Welt ins Verderben stürzen und die Menschheit versklaven.“ Sie schüttelte heftig den Kopf. „Das ist doch krank. Wir kennen Bron seit zehn Jahren, und glauben Sie mir, es gibt keinen netteren Menschen. Sie ist die Taufpatin von unserer Kleinen, und sie hat ganz sicher nichts Dämonisches an sich.“

„Bestimmt nicht“, beruhigte Wayne sie. „Aber das erklärt natürlich den Fanatismus dieser Leute.“

„Haben die Bron umgebracht?“ Allein die Möglichkeit ängstigte Lissy Benson sichtbar. Ihre Augen füllten sich mit Tränen.

„Das wissen wir nicht, Ma’am.“

Wayne holte sein Handy heraus, legte das Foto eines der toten Mönche, das er im Leichenschauhaus in Aspen aufgenommen hatte, auf das Display und hielt es Lissy Benson hin. Der Mann hatte ein Einschussloch mitten in der Stirn. Die ballistische Untersuchung hatte ergeben, dass er von einer Kugel aus seiner eigenen Waffe getroffen worden war, die er noch in der Hand gehalten hatte, als man ihn fand. Aber dem Einschusswinkel nach konnte er sich unmöglich selbst erschossen haben. Die Polizei vermutete, dass seine eigene Kugel ihn als Querschläger getroffen hatte. Wayne und Travis spekulierten auf Magie, die diesen „Querschläger“ verursachte hatte.

„Ist das einer Ihrer Angreifer, Ma’am?“

Lissy Benson wimmerte, presste die Hände vor den Mund und zitterte am ganzen Körper. Ihr Mann legte schützend die Arme um sie und drückte einen Kuss auf ihren Scheitel.

„Das ist der Anführer. Der hat mich mit der Pistole bedroht und wollte mir ins Knie schießen.“

„Es tut mir leid, dass wir Ihnen das zumuten müssen, Mrs. Benson. War der hier auch dabei?“ Wayne holte das Foto des zweiten Mönchs auf das Display.

Sie schüttelte den Kopf. „Den kenne ich nicht.“

„Oder der hier?“

Sie nickte heftig. „Der war auch dabei. Der hat die ganze Zeit an der Tür Schmiere gestanden. Die haben behauptet, sie würden für das Kloster St. Francis Spenden sammeln. Sonst hätte ich sie gar nicht erst reingelassen.“

„Aber wie wir inzwischen wissen, hat St. Francis erstens gar keine Haus-zu-Haus-Sammlung durchgeführt. Und zweitens tragen deren Leute keine schwarzen Kutten.“ Benson ballte die Faust. „Hätten wir das doch nur früher gewusst.“

„Dann hätten Sie den Angriff auf Ihre Frau auch nicht verhindern können, Sir“, war Travis überzeugt. „Ich bin mir sehr sicher, dass diese Leute in dem Fall eine glaubhafte Ausrede für die falsche Farbe ihrer Kutten gehabt hätten. Und Männern in Mönchskleidung traut man nun mal nicht zu, dass sie Verbrecher sein könnten.“

Lissy Benson blickte Wayne unsicher an. „Die ... sind die erschossen worden?“

„Ja, Ma’am.“

„Oh Gott! Hat Bron das getan?“

„Wie kommen Sie darauf?“

Wayne bemühte seine telepathische Fähigkeit, als sie mit der Antwort zögerte. Ihre Gedanken wirbelten durcheinander wie Blätter im Herbstwind. Angst um ihre Freundin, Angst, dass sie noch einmal angegriffen werden könnte, Trauer um den Tod von Joshua Harker und Angst um ihre Familie waren vorherrschend. Der dringlichste Gedanke war jedoch die Befürchtung, mit ihrer letzen Bemerkung Bronwyn Kelley in Schwierigkeiten gebracht zu haben oder sie in Schwierigkeiten zu bringen, wenn sie Waynes Frage beantwortete. Er lächelte beruhigend.

„Es deutet nichts darauf hin, dass Ihre Freundin mit dem Tod dieser Männer irgendwas zu tun hat. Deshalb hat mich Ihre Frage etwas irritiert.“

Sie atmete auf. „Ihr Vater – Adoptivvater – hat ihr das Schießen beigebracht und sie oft mit auf die Jagd genommen. Bron ist, glaube ich, eine ziemlich gute Schützin.“ Ihr Gesicht nahm einen bekümmerten Ausdruck an. „Seit sie kurz vor ihrem Geburtstag von dieser Expedition zurückgekommen ist, hat sie ständig ihre Pistole bei sich getragen. Da war irgendeine Sache mit einem Drogenbaron in Kolumbien, den sie und ihre Begleiter wohl haben auffliegen lassen und der sich vielleicht an ihr rächen will.“ Ihr kamen die Tränen. „Bestimmt haben die Bron was angetan. Wenn alles in Ordnung wäre, hätte sie sich doch längst bei uns gemeldet.“

„Oder sie meldet sich nicht, um Sie nicht in Gefahr zu bringen“, versuchte Wayne sie zu beruhigen.

„Moment“, sagte Benson. „Josh hat sie erreicht. Einen Tag nach dem Überfall. Hat er jedenfalls behauptet. Angeblich hat sie einen neuen Auftrag in San Francisco und wollte so schnell wie möglich zurückkommen, als er ihr erzählt hat, was mit Lissy passiert ist.“

Lissy Benson schüttelte den Kopf. „Bron war ganz bestimmt nicht in San Francisco. Ich sollte doch ihren Bekannten nach Dunraven schicken.“

Travis beugte sich vor. „Welchen Bekannten?“

Sie machte eine fahrige Handbewegung. „Irgendeinen Typen, den sie auf der Expedition kennengelernt hatte, von der sie gerade zurückgekommen war. Sie hatte seine Telefonnummer nicht. Sie war wohl mit ihm an dem Tag verabredet, an dem ...“ Sie erschauerte und rieb sich die Oberarme. „Ich sollte ihm die Adresse in Dunraven geben, falls er bei mir nachfragt, wo sie ist.“ Sie runzelte die Stirn. „Der Zettel. auf dem die Adresse stand. Er ... Der war weg, als ich aus dem Krankenhaus gekommen bin. Ich hatte ihn in die Tasche meiner Bluse gesteckt.“

Wieder warf Travis Wayne einen bezeichnenden Blick zu. Höchstwahrscheinlich hatten die Mönche den Zettel gefunden und waren nach Dunraven geflogen.

„Geben Sie uns bitte die Adresse, Ma’am. Und können Sie uns sagen, wie der Bekannte heißt, den Miss Kelley erwartet hat?“

„Devlin Blake.“ Sie lächelte flüchtig. „Ich hatte das Gefühl, dass er ihr nicht gleichgültig ist. Ich war schon neugierig auf ihn. Bron ist sehr zurückhaltend, müssen Sie wissen. Ein Mann, der ihr Interesse weckt, muss was ganz Besonderes sein. Und die Adresse ist 23 Benecke Road, Dunraven, New York.“ Sie blickte die beiden Agents besorgt an. „Sie werden Bron doch finden?“

„Das haben wir vor“, versicherte Travis. „Zu dem Zweck werden wir uns als Nächstes in ihrem Haus umsehen.“

„Ich gebe Ihnen die Schlüssel. Wenn Bron nicht da ist, halte ich ihr Haus in Ordnung. Außerdem ist in ihrer Abwesenheit immer die Alarmanlage eingeschaltet. Aber Ihnen kann ich den Code ja anvertrauen. 13-74-08-51.“

„Vielen Dank, Ma’am.“ Wayne stand auf, und auch Travis erhob sich.

„Ed, holst du den Gentlemen bitte den Schlüssel?“

„Klar.“ Benson an und ging zu einem Schlüsselkasten, der im Flur hing.

Wayne reichte Lissy Benson die Hand. „Sie waren uns eine große Hilfe, Mrs. Benson. Haben Sie vielen Dank. Weiterhin gute Besserung.“

Sie hielt seine Hand fest und blickte ihm eindringlich in die Augen. „Bitte, finden Sie Bron.“

Er lächelte und tätschelte ihre Hand. „Das werden wir. Auf Wiedersehen.“

Auch Travis reichte ihr die Hand und folgte Wayne nach draußen, wo er die Schlüssel zum Haus 1638 von Ed Benson in Empfang nahm und hinüber ging.

„Diese Bronwyn Kelley scheint tatsächlich eine von den beiden Halbdämonen zu sein.“

Wayne nickte. „Sieht so aus.“

Er schloss die Tür des Nachbarhauses auf und gab den Code in die Alarmanlage ein. Obwohl seine telepathische Gabe ihm sagte, dass sich niemand im Haus aufhielt, blieb er einen Moment in der Diele stehen und lauschte, die Hand an der Waffe, ehe er sich entspannte. Ein süßer Geruch lag in der Luft. Er schnupperte, folgte dem Duft und lokalisierte drei vertrocknete Rosen in einer Vase auf dem Schreibtisch im Wohnzimmer, von denen dieses betörende Odeur ausging.

Travis starrte ins Leere und verfiel in die Starre, die seine Retrospektion begleitete. Sie dauerte nur kurz. „Hier war seit Tagen niemand mehr. Wenn ich raten sollte, würde ich sagen, seit dem Tag nicht mehr, an dem Miss Kelley das Haus verlassen hat.“

„Ihr offizielles Geburtsdatum lautet achtundzwanzigste September. Nach dem, was ihre Freundin nebenan gesagt hat, muss sie am neunundzwanzigsten abgereist sein.“

Travis nickte. „Sie kann inzwischen sonst wo sein. Ich kann mir nicht vorstellen, dass sie immer noch in Dunraven ist. Sie wusste, dass sie sich in Gefahr befindet. Wenn sie halbwegs intelligent ist, konnte sie sich ausrechnen, dass die Leute, die ihre Freundin überfallen haben, von ihr die Adresse in Dunraven erfahren haben. Immerhin war das Einzige, das Mrs. Benson nach dem Überfall laut Polizeiprotokoll in der Lage war zu sagen: ‚Sie wollen Bron’. Mit Sicherheit ist sie untergetaucht, so schnell sie konnte.“

„Das werden wir feststellen, wenn wir uns in Dunraven umsehen.“

Wayne durchsuchte einen Stapel Post, der auf dem Tisch lag, fand aber keinen Brief, der Bronwyn Kelley darüber informierte, dass sie adoptiert worden war. Falls sie den nicht anderswo abgelegt hatte, musste sie ihn mitgenommen haben. Dafür fand er das Schreiben eines Notars aus Albany, der ihr mitteilte, dass ihre Eltern einen Brief bei ihm hinterlegt hatten mit dem Auftrag, ihr den eine Woche vor ihrem Geburtstag zuzustellen. Wayne hätte zu gern gewusst, was in dem Brief stand.

„Wenn wir davon ausgehen, dass sie tatsächlich eine der beiden Personen war, die an dem Geschehen am Maroon Lake beteiligt waren, dann ist sie höchstwahrscheinlich noch am Leben“, schloss Travis. „Wenn sie wirklich eine der beiden Halbdämonen ist, dann sind wir ihr so nahe wie noch nie zuvor. Vielleicht sogar beiden, falls ihr Begleiter der zweite ist.“

„Was uns aber nicht zwangsläufig ans Ziel bringt“, dämpfte Wayne seine Hoffnung, obwohl er sich ihr selbst nur zu gern hingegeben hätte. „Doch bevor wir uns darüber Gedanken machen, müssen wir sie erst einmal finden.“

Sie durchsuchten das Haus, fanden aber nichts, das ihnen einen Hinweis auf etwas Ungewöhnliches im Leben von Bronwyn Kelley gegeben hätte. Keine Bücher über Magie, Esoterik oder Okkultes, keine Gerätschaften oder Symbole, die auf das Praktizieren von Magie hingedeutet hätten, keinen verborgenen Raum im Haus. Absolut nichts. Bronwyn Kelley war demnach nur eine ganz normale Journalistin. Auch ihre Kontoauszüge wiesen nichts Ungewöhnliches auf. Überweisungen von Tantiemen, Reisekostenerstattungen und Honoraren, Scheckeinreichungen von namhaften Zeitungen, Zeitschriften und Verlagen, die üblichen Abbuchungen für Alltägliches. Aber auch das wollte nichts heißen, denn eine Halbdämonin, die unter Menschen lebte und sogar die Taufpatin eines Menschenkindes war, musste ihre Tarnung als Mensch perfekt aufrecht erhalten.

Interessant war, dass die letzten Abbuchungen von ihrem Konto der Kauf des Flugtickets nach Albany am 29. September und die Anzahlung der Miete eines Leihwagens dort waren. Seit dem Tag gab es nur noch Routineabbuchungen für Strom, Telefon und das Haus. Entweder Bronwyn Kelley hatte eine Unmenge Bargeld gehortet und mitgenommen, sodass sie ihr Konto nicht zu belasten brauchte, oder sie besaß ein zweites, das auf eine Tarnidentität ausgestellt war. Oder sie bekam von jemand anderem Geld.

Jedenfalls war sie untergetaucht oder tatsächlich tot. Jemanden in beziehungsweise vor ihrem Haus zu postieren und auf ihre Rückkehr zu warten, war nicht sehr sinnvoll. Die fehlenden Kontobewegungen und dass sie seit ihrem Verschwinden nicht mehr auf ihrem Handy zu erreichen war, sprachen deutlich dafür, dass sie nicht zurückkommen würde. Wayne hoffte, dass sie in Dunraven eine Spur zu ihr fanden.

Er verließ mit Travis das Haus, lieferte den Schlüssel wieder bei den Bensons ab und erstattete der Chefin Bericht. Anschließend machten sie sich auf den Weg nach Dunraven.

*

Dunraven, Delaware County, New York, 23. Oktober

Die Benecke Road war wohl die einsamste Straße in ganz Dunraven, obwohl auch das Dörfchen an sich einsam genug war mit so wenigen Einwohnern, dass die zu dem mit knapp sechshundert Einwohnern auch nicht gerade großen Margaretville gezählt wurden. Sie lag fast mitten in der Wildnis am Beginn der Dry Brook Ridge und endete an einem kaum zweihundert Fuß durchmessenden Teich. Nummer 23 war das letzte von nur drei Häusern in dieser Straße, in der die Hausnummern nach der ihrer Grundstücksparzelle verteilt wurden. Es wirkte so verlassen wie Bronwyn Kelleys Haus in Denver. Ihr Mietwagen stand zwar vor der Tür, war aber von Laub bedeckt und mit Vogelscheiße bekleckert, sodass er offenbar längere Zeit nicht benutzt worden war.

Das Haus selbst, obwohl außen so unscheinbar wie die beiden übrigen Häuser, entpuppte sich dagegen als Hochsicherheitsfestung. Die Fenster bestanden aus Panzerglas, wie die geschulten Augen von Wayne und Travis erkannten, die Tür war mit zwei Sicherheitsschlössern und einer Alarmanlage versehen, die auch die Fenster mit einschloss. Wayne und Travis hatten einen halben Tag auf die Kollegen von der FBI Division aus Albany warten müssen, deren Spezialisten ihnen Zugang zum Haus verschafften.

Eine Überprüfung hatte ergeben, dass Brian und Erin Kelley das Haus Anfang Oktober vor dreiunddreißig Jahren auf der Basis von Erbpacht vom Vorbesitzer übernommen hatten, mit dem sie aber nicht verwandt gewesen waren. Kaum eingezogen, hatten sie die Sicherungen einbauen lassen, die vom Vorbesitzer bezahlt worden waren. Ein halbes Jahr später war er gestorben. Somit hatten die Kelleys das Haus extrem günstig bekommen. Doch der Totenschein des Vorbesitzers nannte natürlichen Tod durch Altersschwäche, was bei seinem Alter von über neunzig Jahren wohl der Wahrheit entsprach.

Wayne fragte sich aber, was die Kelleys dazu veranlasst haben mochte, das Haus derart zu sichern. Die Kriminalitätsrate in Dunraven und Margaretville lag unter einem Prozent, und Hauseinbrüche gab es extrem selten. Seit Beginn der Statistik des Ortes hatte es noch nie einen in der Benecke Road gegeben. Es musste also andere Gründe gegeben haben, das Domizil in eine Festung zu verwandeln.

„Sie hat sich hier wohl nur kurz aufgehalten“, meinte Travis, nachdem ihm die Retrospektion wieder nichts gezeigt hatte.

„Und sie ist wohl ziemlich überhastet verschwunden.“

Wayne deutete auf eine angebrochene Whiskyflasche, die neben einem leeren Glas auf dem Tisch im Wohnzimmer stand. Daneben stand ein Karton, in dem mehrere Fotoalben lagen. Eins lag aufgeschlagen auf dem Tisch. Dessen Inneneinband war halb abgerissen. Obenauf lag ein Grundriss vom Keller des Hauses. Wayne winkte Travis an seine Seite.

„Sieh dir das mal an.“ Er deutete auf einen Wandbereich auf dem Plan, der mindestens vier Yards breit war. Darin war ein ungefähr drei Yards breiter und höchstens vier Yards langer Hohlraum eingezeichnet.

Travis warf einen Blick darauf. „Wie es aussieht, birgt der Keller ein Geheimnis.“ Er wartete Waynes Antwort nicht ab, sondern nahm den Plan und ging in den Keller.

Wayne folgte ihm. Ein spärlich gefülltes Vorratsregal stand vor der fraglichen Wand. Spuren am Boden bewiesen, dass es öfter verschoben worden war, wofür auch die darunter montierten Rollen sprachen. Travis schob es zur Seite und studierte die Mauer dahinter. Er deutete auf Risse zwischen den Steinen, die sich nahtlos aneinander anschlossen und einen etwa zwei Yards breiten, gezackten Bogen bildeten.

„Ich müsste mich schwer täuschen, wenn das keine Geheimtür ist und dies“, er legte seine Hand auf einen Mauerstein, der lose zu sein schien, „der Türöffner.“ Er drückte gegen den Stein, der sich problemlos in die Mauer schieben ließ.

Mit einem knirschenden Geräusch schwang ein Teil der Mauer nach innen. Dahinter gab es tatsächlich einen Raum. Wayne leuchtete mit der Taschenlampe hinein. An der Decke hing eine nackte Glühbirne. Er schaltete sie ein.

„Wow!“

„Bingo“, stimmte Travis ihm zu.

So klein der Raum war, er beherbergte neben zwei Tapeziertischen und einem Stuhl ein Bücherregal voller teilweise recht alter Bücher über Dämonen, Okkultismus und Prophezeiungen. An den in unregelmäßigen Abständen mit Kork verkleideten Wänden waren eine Unmenge von Notizen gepinnt, auf denen Diagramme und Symbole zu sehen waren. An einer Stelle hin das geschnitzte Relief einer Waage, auf deren Waagschalen und ihrem Fuß die Worte eingraviert waren, No Good No Evil But Balance Shalt Be. Unter der Waage standen die Wort Keepers of the Scales.

Travis umfasste den Raum mit einer Handbewegung. „Ich glaube, wir wissen jetzt wie der Geheimbund heißt, der laut Jenna hinter den beiden Halbdämonen her ist. Sie nennen sich also Hüter der Waage.“

„Wenn dieses Wappen, oder was das sein soll, tatsächlich von denen stammt. Nehmen wir an, Bronwyn Kelley ist wirklich eine der beiden Halbdämonen. Nehmen wir weiter an, Jennas Visionen, dass das Leben der beiden von einem Geheimbund bedroht wird, sind korrekt.“

„Wovon wir ausgehen können, denn Jenna hat sich noch nie geirrt.“

Wayne nickte. „Falls die Hüter der Waage dieser Geheimbund sein sollten und falls die Kelleys deren Mitglieder waren, wäre es reichlich unlogisch, wenn sie das Mädchen adoptieren und hier verstecken. Dann wäre es viel sinnvoller gewesen, die Kleine zu töten.“

Travis warf einen Blick auf die Notizzettel und fotografierte sie mit dem Smartphone. „Mal abgesehen von der Möglichkeit, dass die Kelleys dem Bund abtrünnig geworden sein könnten, denke ich, dass wir hier eine Antwort darauf finden werden.“

Wayne seufzte. Es würde Stunden, wenn nicht Tage dauern, alle Notizen zu sichten. Und ihnen lief immer noch die Zeit davon. Er griff zum Handy und wählte die Nummer von Jenna Paricci.

„Agent Paricci, wir haben möglicherweise eine Spur zu einem der beiden Halbdämonen gefunden und vielleicht einen Hinweis auf den Geheimbund, der sie bedroht. Etwas scheint dabei aber nicht zusammenzupassen. Wie sicher sind Sie, dass dieser Geheimbund tatsächlich eine Bedrohung für die beiden ist?“ Wayne schaltete ihre Antwort auf den Lautsprecher.

„Sehr sicher, Agent Scott. Jedenfalls jetzt. Bislang waren meine entsprechenden Visionen nur Möglichkeiten, die eintreten könnten oder auch nicht. Dagegen war es vom Tag ihrer Geburt an ein Faktum, dass diese Mönche sie töten werden, falls sie sie finden.“ Jenna Paricci machte eine kurze Pause, in der Wayne und Travis sie seufzen hörten. „Meine letzten Visionen in Zusammenhang mit dem Geheimbund zeigen ihn nun ebenfalls eindeutig als eine ebenso tödliche Gefahr.“ Wieder machte sie eine Pause. „Und zwar seit drei Wochen. Irgendetwas muss vor drei Wochen geschehen sein, das den Geheimbund zu ihren Todfeinden gemacht hat. Agent Scott, Agent Travis, wir müssen sie finden, bevor einer von ihnen getötet wird oder beide sterben.“

„Das ist uns bewusst, Ma’am“, sagte Travis. „Sie haben nicht zufällig einen Anhaltspunkt, wo wir nach ihnen suchen sollten?“

Sie seufzte wieder. „Nicht den geringsten. Da sie halbe Dämonen sind und über entsprechend starke magische Kräfte verfügen, können sie natürlich auch verhindern, dass man ihren Aufenthaltsort durch Visionen oder andere Formen von Magie ausfindig macht. Ich fürchte, ich kann Ihnen nicht helfen. Sie müssen die beiden mit profanen Mitteln finden.“

„Danke, Ma’am.“

Wayne unterbrach die Verbindung. Er sah Travis an und zuckte mit den Schultern. „Machen wir uns also an die Arbeit.“

Travis deutete auf den Teil eines der beiden Tische, vor dem der Stuhl stand. In der Staubschicht auf dem Tisch war eine viereckige Lücke. „Hier lag ein Buch. Wahrscheinlich hat Miss Kelley es mitgenommen.“

„Und das hat sie höchstwahrscheinlich deshalb getan, weil darin all die schönen Informationen zusammengefasst waren, die wir uns jetzt mühsam zusammensuchen müssen.“ Er seufzte, trat vor die Wand und begann, die Notizen zu lesen.

Drei Stunden später hatten sie ihre Antworten bekommen. Brian Kelley, von dem die Notizen der männlich geprägten Handschrift nach zu urteilen stammten, war sehr methodisch vorgegangen. Neben einem unvollständigen Stammbaum der Dämonendynastien Ke’tarr’ha und Py’ashk’hu, hatten sie eine Art Chronik der Hüter der Waage gefunden, die ihnen nahezu sämtliche ihnen noch fehlenden Puzzleteile lieferte.

Wayne rief Cecilia O’Hara an. „Ma’am, wir kennen jetzt weitgehend die Zusammenhänge. Die einzige wichtige Information, die uns noch fehlt, ist, wo wir die beiden Halbdämonen finden können.“

„Das sind gute Neuigkeiten, Agent Scott.“

„Nicht wirklich, Ma’am. Falls die Aufzeichnungen, die wir hier gefunden haben, nicht maßlos übertreiben, geht von den beiden eine immense Gefahr aus.“

„Einen Moment, ich schalte das Gespräch auf Lautsprecher. Agent Paricci ist gerade bei mir. Sie sollte das auch hören. Berichten Sie bitte der Reihe nach.“

„Also, der Geheimbund nennt sich Hüter der Waage und spielt eine etwas zwiespältige Rolle. Gemäß ihrer Chronik hat eine Gruppe von Dämonenanbetern vor über dreitausend Jahren ein magisches Tor geöffnet, durch das es etwa dreihundert Dämonen zweier verbündeter Dynastien gelungen ist, diese Welt zu betreten. Bevor die jedoch noch weitere ihrer Gefolgsleute herüberholen konnten, ist es einer Gruppe von menschlichen Magiern gelungen, das Tor zu versiegeln. Aus dieser Gruppe sind später die Hüter der Waage entstanden. Seit damals versuchen die Dämonen, einen Weg zu finden, es wieder zu öffnen.“

„Wurde ein Grund dafür genannt?“

„Nein, Ma’am, nicht in der Chronik. Lassen Sie mich der Reihe nach berichten.“

„Fahren Sie fort.“

„Gemäß einer alten Prophezeiung sind für das Öffnen des Tores zwei aus den Herrschergeschlechtern der beiden Dynastien geborene Dämonen erforderlich, die aber zur Hälfte Menschen sein müssen. Der Grund dafür wird leider nirgends erwähnt. Allerdings kann das Dämonentor aufgrund irgendeiner magischen Gesetzmäßigkeit nur alle 333 Jahre geöffnet werden, und die beiden Halbdämonen müssen am einundzwanzigsten September dreiunddreißig Jahre zuvor geboren worden sein. Ich lese Ihnen die Prophezeiung vor: Die Dynastien der Py’ashk’hu und Ke’tarr’ha werden sich erheben über alle anderen, denn ihr Blut besitzt die Macht, die Patala-Tore zu öffnen und noch viel mehr zu tun. Verbinden sie sich mit Menschenblut, so werden sie auch in dieser Welt herrschen können. Wenn zwei von den Herrschern beider Dynastien mit Menschen gezeugte Kinder sich in einem Blutritual in Körper, Herz und Seele vereinen, so erlangen sie dadurch die Macht, das Eine Tor zu öffnen, das allen Dämonen ungehinderten Zugang zur Welt der Menschen verschafft, nicht nur denen ihrer eigenen Art. Diese Hochzeit muss stattfinden an einer Wintersonnenwende, die mit einem T’k’Sharr’nuh-Opfer zusammenfällt, was nur alle 333 Jahre der Fall ist. Gelingt die Vereinigung, wird nichts sie noch aufhalten können, und die halbmenschlichen Wesen werden über beide Völker herrschen. Wenn sich beide jedoch entscheiden …“

Wayne räusperte sich. „An dieser Stelle bricht die Prophezeiung ab. Ich denke, Sie werden mir zustimmen, dass sie nichts Gutes verheißt. Und um diese ultimative Katastrophe zu verhindern, haben es sich die Hüter der Waage zur Aufgabe gemacht, diese beiden halbdämonischen Kinder – oder wenigstens eins von ihnen – zu finden, zu entführen und dadurch sicherzustellen, dass die beiden einander niemals begegnen, um sich ‚in Körper, Herz und Seele’ vereinigen zu können. In Fällen, wo sie die beiden Kandidaten erst gefunden hatten, nachdem das bereits geschehen war – zweimal nach den Aufzeichnungen –, haben sie einen von beiden getötet, um die Katastrophe dadurch zu verhindern.“

„Das ist es!“ Jenna Paricci klang aufgeregt. „Der Grund, warum die Hüter der Waage jetzt auch den Tod der beiden wollen. Offenbar sind sie sich bereits begegnet, haben sich verliebt und miteinander geschlafen. Nichts anderes ist mit der Vereinigung von Körper, Herz und Seele gemeint. Und damit haben sie die magische Voraussetzung geschaffen, dass das Dämonentor geöffnet werden kann.“

„Und somit sind sie eine Gefahr für die Menschheit“, wandte Travis ein. „Ich halte es unter diesen Umständen nicht für sinnvoll, mit unserem bisherigen Plan fortzufahren.“

„Dem widerspreche ich entschieden, Agent Halifax.“ Wayne und Travis waren sich sicher, dass Jenna in diesem Moment in der ihr eigenen Art so heftig den Kopf schüttelte, dass ihr langes Haar hin und her flog und grinsten sich an. „Die Prophezeiung ist unvollständig. Der fehlende Teil beinhaltet offensichtlich eine Möglichkeit, die Katastrophe abzuwenden.“

„Ja, Ma’am, das interpretieren wir auch so. Gemäß dem Wortlaut liegt es wohl an der, sagen wir mal, Einstellung der beiden, ob die mit den Plänen ihrer Leute einverstanden sind.“

„Genau das ist es. In meinen Visionen habe ich sie nie als Bedrohung gesehen. Kein einziges Mal. Glauben Sie mir, Agent Halifax, diese beiden Halbdämonen sind keine Gefahr für die Menschheit. Ich weiß nicht warum, aber ich bin mir dessen zu hundert Prozent sicher.“

Wayne und Travis blickten einander zweifelnd an. Einerseits vertrauten sie Jennas Visionen, weil bisher keine einzige falsch gewesen war. Aber bei dem, was, wie sie jetzt wussten, auf dem Spiel stand, gingen sie ein verdammtes Risiko ein, wenn sie den bisherigen Plan weiter verfolgten.

„Was haben Sie noch, Agents?“, wollte Cecilia O’Hara wissen.

„Dieser ominöse Mönchsorden nennt sich Orden der Heiligen Flamme Gottes. Der Chronik nach hat er sich vor ungefähr tausend Jahren von den Hütern der Waage abgespalten. Damals gab es einen Disput unter dessen Mitgliedern über die Vorgehensweisen gegenüber magisch begabten Menschen und den beiden Halbdämonen. Diejenigen, die später den Orden gegründet haben, waren getreu der Bibel der Meinung, dass man Hexen und Zauberer nicht am Leben lassen sollte und haben jeden, den sie erwischten, grundlos getötet, nur weil er oder sie über magische Kräfte verfügte. Die Hüter der Waage haben solche Leute in ihre Obhut genommen, sie ausgebildet und erst wieder auf die Menschheit losgelassen, wenn sie ihre Magie gut genug beherrschten, um keinen Schaden damit anzurichten oder sich versehentlich zu verraten. Das tun sie wohl heute noch.“

„Deshalb sieht es so aus“, ergänzte Travis, „dass die Kelleys, die zu den Hütern gehörten, das halbdämonische Mädchen adoptiert und als Mensch großgezogen haben. Wie ihnen das gelungen ist, ohne dass die Dämonen oder die Mönche sie finden konnten, wissen wir noch nicht.“

„Man kann magische Kräfte blockieren, wenn man über die entsprechende Macht verfügt“, erklärte Jenna. „Meines Wissens muss aber so eine Blockierung regelmäßig erneuert werden.“ Sie atmete hörbar ein. „Ich glaube, ich weiß ungefähr, was geschehen ist. An ihrem dreiunddreißigsten Geburtstag hat die Blockierung ihrer magischen Kräfte nachgelassen, weil sie wohl seit dem Tod der Adoptiveltern nicht mehr erneuert wurde. Dadurch konnten nicht nur die Dämonen sie aufspüren, sondern auch diese Mönche, die offensichtlich einen oder mehrere Seher in ihren Reihen haben. Dann hat der Geheimbund erfahren, dass sie mit dem männlichen Halbdämon bereits intim war, sich wahrscheinlich sogar in ihn verliebt hat, weshalb die in ihr – in beiden – jetzt ebenfalls eine Bedrohung sehen und sie töten wollen. Oder sie werden es erst noch erfahren. Meine Vision sagte nichts darüber aus, wann der Geheimbund das erfährt oder erfahren hat.“

Cecilia O’Hara mischte sich wieder ins Gespräch. „Und deshalb müssen Sie die beiden endlich finden, Agents. Die dürfen nicht sterben. Wir brauchen mindestens einen von ihnen lebend.“

Wayne schnaufte. „Gern, Ma’am. Vielleicht sollten wir die Seher der Mönche fragen, wo sie stecken, da Agent Paricci uns das nicht sagen kann.“

„Sie vergreifen sich im Ton, Agent Scott“, rügte O’Hara.

„Schon gut, Cecilia“, wandte Jenna ein. „Er hat ja recht. Agent Scott, meine Visionen sind hinsichtlich der Lokalisierung von bestimmten Personen nur dann von Nutzen, wenn sie erstens so konkret sind, dass sie mir außer einem Geschehen auch den Ort zeigen, an dem dieses Geschehen stattfindet. Das ist nicht immer der Fall. Zweitens hilft mir auch das nur dann, wenn ich den Ort kenne und drittens einen Anhaltspunkt habe, an welchem Datum zu welcher Uhrzeit die betreffende Person dort ist. Wenn ich in einer Vision jemanden, sagen wir mal, an einem See stehen sehe, ich aber nicht weiß, wo auf der Welt sich dieser See befindet, dann könnte der theoretisch in der nächsten Stadt oder auf der anderen Seite der Welt liegen.“

„Verzeihung, Ma’am, ich wollte Ihnen nicht zu nahe treten. Aber die Frage bleibt: Wieso können die Seher dieser Mönche sie finden?“

„Ich vermute, weil deren Gabe so funktioniert, dass sie Menschen mit magischen Kräften in einem gewissen Umkreis fühlen können. So ähnlich wie ein Hai einen einzigen Tropfen Blut im Ozean noch in einem Kilometer Entfernung riechen kann. Meine Gabe funktioniert so nicht. Bedauerlicherweise für diesen Fall.“

„Also bleiben Sie am Ball, Agents“, entschied O’Hara, bevor Wayne oder Travis noch etwas sagen konnten. „Wir im Hauptquartier versuchen, noch mehr über diesen Mönchsorden und den Geheimbund herauszufinden. Für das Haus in Dunraven holen Sie sich das Spurensicherungsteam von Albany. Vielleicht finden die einen Hinweis auf den Verbleib von Miss Kelley.“

Die Chefin unterbrach die Verbindung.

Wayne rief in der Albany Division an. Special Agent in Charge Morris Miller war zwar nicht sehr erbaut davon, ihnen unter die Arme zu greifen, da aber das DOC alias SCU seit seiner Gründung einen Sonderstatus mit entsprechenden Befugnissen genoss, blieb ihm nichts anderes übrig, als Waynes Bitte zu entsprechen.

„Was hältst du von der Sache?“, fragte Travis, nachdem er das Gespräch beendet hatte. „Persönlich, meine ich. Sind die Halbdämonen wirklich keine Gefahr für die Menschen, oder ist dies der erste Fall, bei dem Jenna sich irrt?“

Wayne tat einen tiefen Atemzug. „Ehrlich gesagt, ich habe keine Ahnung. Und deshalb vertage ich mein Urteil darüber auf den Moment, in dem wir die beiden oder einen von ihnen haben und fragen können.“ Er sah an Travis’ Blick, dass dem diese ausweichende Antwort nicht genügte. „Ich tendiere dazu, Jennas Vision auch in diesem Fall zu vertrauen. Zumindest von Miss Kelley wissen wir, dass sie wohl wie ein ganz normaler Mensch aufgewachsen ist. Höchstwahrscheinlich hat sie ihr Leben lang nicht gewusst, dass sie zur Hälfte Dämonin ist, bis sie nach ihrem dreiunddreißigsten Geburtstag die Wahrheit erfahren hat. Selbst wenn ich in Betracht ziehe, dass sie sich in ihr männliches Pendant verliebt hat und Liebe und erst recht akute Verknalltheit blind macht, kann ich mir nicht vorstellen, dass sie gewillt ist, eine Horde von Dämonen auf die Menschheit loszulassen, indem sie mit ihm die dafür erforderliche Bluthochzeit vollzieht.“

„Freiwillig vielleicht nicht. Aber man kann sie zwingen. Dämonen dürfte das nicht schwerfallen.“

Wayne nickte grimmig. „Und das ist ein verdammter Grund mehr, sie schnellstmöglich zu finden.“

Kapitel 2

Detroit, 26. Oktober 2012

Parker O’Malley beendete das Gespräch, das er auf dem Handy erhalten hatte. Er fühlte sich, als hätte man ihm einen Schlag in den Magen versetzt und gleichzeitig in Eiswasser getaucht. Klare Anzeichen dafür, dass er Angst hatte. Er blickte seine fünf Besucher ernst an, während er nach einer Möglichkeit suchte, ihnen die Hiobsbotschaft möglichst schonend beizubringen, aber keine fand.

„Nun red schon“, forderte Camilla Stevens, als er nach über einer Minute immer noch kein Wort gesagt hatte. „Du bist ja kreidebleich.“

Er atmete tief ein und schüttelte den Kopf. „Wie es aussieht, muss ein Wunder geschehen, wenn die Katastrophe noch aufgehalten werden soll.“

Nicht nur Camilla blickte ihn ungläubig an, ehe sie den anderen einen unsicheren Blick zuwarf. „Was soll das denn heißen?“ In ihrer Stimme lag ein Unterton von Furcht. „Gestern hat das Hauptquartier die freudige Botschaft verkündet, dass sie die Ke’tarr’ha-Königin in Gewahrsam haben. Heute Morgen hieß es noch, es wäre alles in Ordnung, weil sie dem Py’ashk’hu-König noch nicht begegnet ist. Und kaum zwölf Stunden später stehen wir vor der Katastrophe? Was ist passiert?“

Parker schloss für einen Moment die Augen. „Offenbar hat sie gelogen, was ihre Beziehung zu dem Dämonenkönig betrifft. Clive teilte mir gerade mit, dass der sie heute Mittag aus der Zuflucht befreit hat. Und nach allem, was wir wissen, hätte er sie dort gar nicht finden können, wenn sie nicht schon miteinander verbunden wären.“

„Oh Gott!“ Camilla wurde blass.

„Wie konnte das passieren?“ Jack Cunningham schüttelte den Kopf. „Haven ist unser bestgesichertes Versteck. Wie konnte er da rein und mit ihr wieder rauskommen?“

Parker zuckte mit den Schultern. „Er ist ein halber Dämon und unter Dämonen aufgewachsen. Seine magischen Kräfte sind entsprechend ausgeprägt.“ Er seufzte. „Die Wachen haben zwar auf die beiden geschossen und mindestens einen von ihnen auch getroffen. Aber wir wissen ja, wie Dämonen sind. Wenn noch ein Funken Leben in ihnen ist, können sie selbst von Wunden genesen, die jeden Menschen in Sekunden töten würden. Wir müssen also davon ausgehen, dass beide noch leben. Clive ist davon jedenfalls überzeugt.“

„Scheiße.“ Jack fuhr sich mit der Hand über das Gesicht.

„Das ist die Untertreibung des Jahrhunderts“, war Camilla überzeugt. „Was tun wir jetzt?“

Parker blickte in die Runde, ehe er ans Fenster trat, in die nur spärlich von der Straßenbeleuchtung erhellten Dunkelheit blickte und zu erkennen versuchte, ob draußen schon eine Gefahr lauerte. „Wir fliehen. So schnell und so weit wir können.“

„Also Moment mal“, wandte Ana Martinez ein. „Ich habe Familie und einen Job. Ich kann nicht einfach abhauen. Schon gar nicht ohne meine Familie. Wieso sollten wir überhaupt fliehen?“

„Dumme Frage.“ Parker schüttelte den Kopf und setzte sich zu den anderen an den Tisch. „Egal ob die beiden Halbdämonen noch leben oder nicht, sie und ihre dämonischen Untertanen werden Jagd auf uns machen und jeden Hüter töten, den sie finden können; weil wir es gewagt haben, ihre Königin zu entführen und einen von beiden zu verletzen. Als Erstes werden sie Haven angreifen und vernichten. Danach alle anderen Zufluchten, die sie aufspüren können. Glaub mir, Ana, die Rache der Dämonen wird furchtbar sein.“

Jack stand auf. „Hat Clive gesagt, wohin wir gehen sollen?“

Parker nickte. „Nach Merman’s Island. Das liegt Detroit am nächsten. Wir gehen jeder für sich. Falls einer von uns von den Dämonen abgefangen wird, erwischen sie nur einen und nicht gleich die ganze Detroiter Zelle.“

„Wir wissen aber nicht, wo Merman’s Island liegt“, wandte Ana ein. Sie war noch nicht lange Mitglied der Hüter der Waage und kannte sich mit dem Notfallprotokoll noch nicht aus.

„Aus gutem Grund, denn was wir nicht wissen, können wir auch den Dämonen nicht verraten.“ Parker winkte ab. „Wir werden eingewiesen. Als erstes fahren wir nach Columbus. Sobald wir dort angekommen sind, rufen wir die Notfallnummer des Hauptquartiers an. Von dort erhalten wir weitere Anweisungen. Nehmt nur das Allernötigste mit. Merman’s Island ist eine autarke Siedlung. Dort bekommen wir alles, was wir brauchen und ...“

Er unterbrach sich, als das Flutlicht, das vom Parkplatz des Shaw Parks in seine Wohnung fiel, schlagartig erlosch.

„Die haben wohl einen Stromausfall“, vermutete Camilla. Ihre Stimme zitterte.

Parker trat wieder ans Fenster und blickte auf die Wamer Avenue, die sein Grundstück vom Park trennte. Nicht nur auf dem Parkplatz war das Licht erloschen, sondern die ganze Straße entlang. Er ging zum anderen Fenster, das auf die Jarvis Avenue hinaus ging. Auch dort war alles dunkel – auf der Straße. In den Häusern brannte noch Licht. Also konnte es sich nicht um einen Stromausfall handeln, der den gesamten Straßenzug betroffen hätte.

Im nächsten Moment erlosch das Licht in Parkers Haus. Mit einem lauten Knall fielen die Jalousien vor allen Fenstern herunter, und die Temperatur im Wohnzimmer wurde um einige Grad kälter.

„Mein Gott, sie sind hier!“

Parkers Warnung kam zu spät. Er hörte die anderen schreien. Bevor er reagieren konnte, wurde er von einer kalten Hand an der Kehle gepackt, die ihm die Luft abschnürte.

Das Licht ging wieder an. Die sechs Hüter der Waage hingen buchstäblich in den Händen von ebenso vielen Dämonen. Obwohl sie menschliche Gestalt besaßen, waren sie nicht nur an dem kalten Gesichtsausdruck, den schwarzen Augen und der darin lesbaren Grausamkeit erkennbar, sondern auch an der Kraft, mit der sie die Menschen vom Boden gehoben hatten und sie mühelos in der Luft hielten. Und an der Tatsache, dass sie nicht von einer Sekunde zur anderen in Parkers Wohnzimmer hätten auftauchen können, wenn sie Menschen wären. Ihre Anführerin, eine überirdisch schöne Frau mit schwarzen Haaren und blutroten Augen, die ihm langsam die Kehle zudrückte, lächelte bösartig.

„Ja, wir sind hier, Mensch.“ Ihre Stimme klirrte wie zu Sprache gewordenes Eis. „Und bevor wir euch töten, werdet ihr uns sagen, wo wir den Rest eures lächerlichen Geheimbundes finden. Vor allem diejenigen, die sich erdreistet haben, die Königin zu entführen.“

Parker sah, wie seine Kameraden im Griff der Dämonen zappelten und sich vergeblich zu befreien versuchten. Die Höllenkreaturen genossen die Angst und den Todeskampf ihrer Opfer und verlängerten absichtlich ihre Qualen. Er wusste, dass sie alle sterben würden.

„Niemals“, quetschte er mühsam heraus.

Die Dämonin lachte. „Ihr Menschen seid so dumm. Glaubst du ernsthaft, dass du mir widerstehen könntest?“ Sie brachte ihr Gesicht dicht vor seins. „Ein netter kleiner Zauber entreißt deinem Gehirn jede Erinnerung, die du darin versteckt hast. Ich erfahre alles, was du weißt, in einer einzigen Sekunde, wenn ich will. Aber es macht viel mehr Spaß, das aus dir herauszufoltern.“

Eine Welle von Schmerz raste durch seinen Körper, als würde er in Flammen stehen. Er wollte schreien, aber der Klammergriff der Dämonin um seinen Hals verhinderte, dass ein Laut herauskam außer dem Pfeifen und Keuchen, mit dem seine Luftröhre versuchte, genug Luft in die Lunge zu pumpen. Er würde nicht mehr lange leben und konnte nur hoffen, dass die mit jeder Sekunde schlimmer werdende Tortur bald vorbei war.

*

Reya ließ Parker O’Malleys Leiche achtlos zu Boden fallen. Der Mensch war leider nicht so widerstandsfähig gewesen, wie sie gehofft hatte und viel zu schnell gestorben. Immerhin hatte seine Agonie sie gestärkt und ihren dämonischen Geschmackssinnen herrlich süß geschmeckt. Und nebenbei hatte sie erfahren, was sie wissen wollte, auch wenn sie das nicht befriedigte.

„Es gibt keinen Ort, der Merman’s Island heißt“, stellte Corshonn fest, der gegenwärtig ihre Gunst genoss und deshalb zu ihrem Stellvertreter avanciert war.

„Natürlich nicht.“ Reya machte eine Geste, als verscheuche sie ein Insekt, und die Leichen verschwanden. Ebenso alle Spuren des Blutrausches, den sie und ihre Leute ausgelebt hatten. „Ihre magisch gesicherten Enklaven haben, wie wir gerade feststellten, ausnahmslos Tarnnamen. Merman’s Island, Haven, Star View, Silver Forest, Rainbow’s End ...“ Sie verzog angewidert das Gesicht, ehe sie lachte. „Aber wir werden sie alle finden.“ Sie blickte Corshonn an. „Du weißt, was du zu tun hast.“

Er grinste und wob einen Zauber. Sein Körper nahm die Gestalt und das Gesicht von Parker O’Malley an. Ein Bringzauber beförderte dessen Handy in seine Hand. „Ich werde nach Columbus fahren“, sagte er mit Parkers Stimme, „und mich von dort aus nach Merman’s Island führen lassen.“ Er schwenkte das Handy.

Reya lächelte zufrieden. Je nachdem wie weit diese Enklave der Hüter der Waage von Detroit entfernt war, würde es höchstens einen Tag dauern, bis sie sie gefunden und vernichtet hatten. Mit etwas Glück würden sie von deren Bewohnern erfahren, wie sie die nächste finden konnten und so weiter. Mit ein bisschen mehr Glück würde es ihnen endlich gelingen, alle Mitglieder dieses lästigen Geheimbundes ein für allemal auszulöschen.