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SÂR DUBNOTAL Nr. 10 enthält zwei Geschichten: Azzef,der König der Provokateurs-Agenten Der Terrorist Azzef plant erneut ein Attentat auf den Polizeidirektor, das aber verhindert werden kann. Dennoch gelingt ihm die Flucht. Double Taf, der letzte Pentyern Azzef findet in Frankreich Unterschlupf bei einem Grafen. Er überwältigt seinen gutmütigen Gönner und versucht, fortan dessen Rolle zu spielen. Doch Sâr Dubnotal hat die Spur zu Azzef bereits aufgenommen.
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Seitenzahl: 211
Veröffentlichungsjahr: 2025
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In dieser Reihe bisher erschienen:
1001 Edgar Rice Burroughs Caprona - das vergessene Land
1002 Ernst Konstantin Sten Nord - der Abenteurer im Weltraum
1003 Unbekannter Autor Jack Franklin, der Weltdetektiv
1004 Robert E. Howard Die Geier von Wahpeton
1005 Robert E. Howard Abrechnung in den Los Diablos
1006 Robert E. Howard Steve Costigan – Seemann und Boxer
1007 Murray Leinster Der tollwütige Planet
1008 Robert E. Howard Grabratten
1009 Martin Winfried u. a. Percy Stuart 1
1010 Egon Schott Rifland - Reiseabenteuer 01: Zurück vom Amazonas
1011 Gerd Frank (Übersetzer) Sar Dubnotal 01: Das Spukschloss
1012 Martin Winfried u. a. Percy Stuart 2
1013 Martin Winfried u. a. Percy Stuart 3
1014 Martin Winfried u. a. Percy Stuart 4
1015 Egon Schott Rifland - Reiseabenteuer 02: Die Expedition
1016 Martin Winfried u. a. Percy Stuart 5
1017 Egon Schott Rifland - Reiseabenteuer 03: Im Dschungel
1018 Hein Patrik Kapitän Grant
1019 Gerd Frank (Übersetzer) Sar Dubnotal 02: Der verhängnisvolle Brunnen
1020 Gerd Frank (Übersetzer) Sar Dubnotal 03: Der blutige Streit
1021 Gerd Frank (Übersetzer) Sar Dubnotal 04: Der Hypnotiseur
1022 Martin Winfried u. a. Percy Stuart 6
1023 Martin Winfried u. a. Percy Stuart 7
1024 Gerd Frank (Übersetzer) Sar Dubnotal 05: Jack the Ripper
1025 Gerd Frank (Übersetzer) Sar Dubnotal 06: Die Braut aus Gibraltar
1026 Gerd Frank (Übersetzer) Sar Dubnotal 07: Die Vampire vom Friedhof
1027 Gerd Frank (Übersetzer) Sar Dubnotal 08: Die Schlafwandlerin
1028 Gerd Frank (Übersetzer) Sar Dubnotal 09: Terroristen
1029 Gerd Frank (Übersetzer) Sar Dubnotal 10: Provokateurs-Agenten
1030 Egon Schott Rifland - Reiseabenteuer 04: Unter Kopfjägern
1031 Egon Schott Rifland - Reiseabenteuer 05: In den Todes-Lagunen
Kult Romane
Buch 29
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Copyright © 2025 BLITZ-Verlag
Ein Unternehmen der SilberScore Beteiligungs GmbH
Mühlsteig 10, A-6633 Biberwier
Redaktion: Hans-Peter Kögler
Logo und Umschlaggestaltung: Mario Heyer
Satz: Gero Reimer
Alle Rechte vorbehalten.
www.Blitz-Verlag.de
ISBN: 978-3-68984-372-4
1029 vom 24.03.2025
Azzef, Der König Der Provokateursagenten
Schiffbruch
Azzef kann’s nicht lassen
Ein unerwarteter Besuch
Das neue Mitglied des Komitees
Die Überlebenden
Ein Polizeiskandal
Wie du mir, so ich dir
Verurteilt!
Ein geheimes Treffen
Dem Tod gegenüber
Jeder kommt dran
Die Wölfe
Epilog
Double-Taf, Der Letzte Pentyern
Ein Menschenfreund
Die Folge von Gutgläubigkeit
Eine beunruhigte Gattin
Über Land
Die Befreiung des Pentyern
Seltsame Vorbereitungen
Ein Schurke verliert die Nerven
Die Rückkehr des Pentyern
Der Plan des Psychagogen
Die Praktiken des Nirwana
Das Begräbnis des Psychagogen
Epilog
Schiffbruch
Die Nacht war dunkel und elektrizitätsgeladen; das Meer phosphoreszierte. Kein Hauch war in der schweren Luft zu spüren. Man hätte meinen können, dass alles Leben ganz plötzlich erloschen sei.
An Bord der Yacht jedoch entstand eine ungewöhnliche Unruhe. Seitdem die Präzisionsinstrumente – Sextant, Bussole, Barometer und so weiter – aufgehört hatten, normal zu funktionieren, weil sie wegen einer plötzlichen atmosphärischen Störung durcheinandergebracht worden waren, begriff man, dass es galt, die Wachsamkeit zu verdoppeln und sich für den Fall aller Fälle bereitzuhalten.
Alle Männer der Besatzung waren auf ihren Posten. Von der Kabine aus rief ihnen Kapitän Kerouadec, der Kommandant des Derwisch, gelegentlich einen kurzen Befehl zu, den sie unverzüglich ausführten. Zwei Matrosen hielten die Bank, ein anderer kümmerte sich um den Davit.1 Der Erste und der Zweite Leutnant standen dicht neben ihrem Chef, sie waren nervös und unruhig und hatten besorgte Falten auf der Stirn.
Lediglich Sâr Dubnotal, der sich ebenfalls auf der Kommandobrücke der Yacht befand, bewahrte wie immer seine Gleichmütigkeit. Der außergewöhnliche Mensch, dem der Derwisch gehörte, hatte gerade die Forschungsreise des Schweden Nordenskjöld wiederholt.
Seine Dampfyacht, die für eine Polarexpedition aufgetakelt war, hatte vor vier Monaten einen Hafen an der Ostsee verlassen, um den Großen Ozean von einem Ende bis zum anderen, entlang der nördlichen Küsten Sibiriens, in viermal schnellerer Geschwindigkeit zu durchqueren. Dabei sollte vor allem auch die Beringstraße überwunden werden.
In diesem Moment war der Derwisch von Petropawlowsk aus über Nagasaki und Hongkong in Richtung Pazifik quer durch das Chinesische Meer unterwegs.
Er befand sich auf der Höhe der Paracel-Inseln und der Philippinen, denn er hatte die Absicht, in Manila Kohle zu laden, bevor es endgültig nach Redemption Island gehen sollte, jenem erst kürzlich entdeckten und von dem großen Psychagogen erworbenen Atoll, auf dem er eine kleine Sträflingskolonie gegründet hatte.
Diese lange Fahrt der Yacht verfolgte ein anderes Ziel als das der Erforschung wenig bekannter Küsten. Der eigentliche Auslöser war für Sâr Dubnotal der Wunsch gewesen, zehn Nihilisten zu befreien, die zur Bergwerksarbeit in Jakutsk verurteilt worden waren.
Das Unternehmen war erfolgreich verlaufen.
Unter dem Decknamen Powlaw hatte sich der Psychagoge selbst unter die abgeschobenen Unglücklichen gemischt, deren Konvoi schließlich zur sogenannten Katharinenbucht unterwegs war, wo seine Yacht schon wartete, um den Flüchtlingen nach der Überwindung zahlreicher Hindernisse Zuflucht an Bord zu bieten.
Das Beste aber war, dass es Sâr Dubnotal gelungen war, Azzef, den Provokateursagenten der Ochrana, also der Politischen Polizei, gefangen zu nehmen. Er war ein Mann mit zwei Gesichtern: Einerseits hatte er unter dem Namen Raskin das Vertrauen seines Chefs enttäuscht, andererseits aber auch als Trobjenski das seiner Mitrevolutionäre, die er verriet, nachdem er sich vorher bei ihnen eingeschlichen hatte. Der große Psychagoge hatte über den Verräter gerichtet. Mehrmals hatte Azzef ihm selbst nach dem Leben getrachtet; mit Mitteln, die sowohl raffiniert als auch grausam, vor allem aber wahrhaft teuflisch waren.
Dieser polnische Jude war ein elender Judas und verdiente keinerlei Nachsicht. Doch selbst in diesem Fall wollte sich Sâr Dubnotal nicht die Hände mit dem Blut des abscheulichen Verbrechers schmutzig machen, sondern war geneigt, ihm großmütig all das zu verzeihen, was er ihm angetan hatte. Er zog es vor, Azzefs Opfer zu befreien, um diese Menschen über sein Schicksal entscheiden zu lassen, was sie auch ganz souverän taten. Dieses Urteil sollte auf Redemption Island gesprochen werden, wo Sâr Dubnotal auch die früheren Mitglieder des sogenannten revolutionären Zentralkomitees für einige Zeit unterbringen wollte.
Wenn er den Grund hätte benennen sollen, warum er mit den Nihilisten so verfahren wollte, dann lag das nicht etwa an seiner Sympathie für deren Doktrin, sondern vielmehr an seiner stark ausgeprägten Gerechtigkeitsliebe. Denn diese Leute waren Opfer düsterer und verabscheuungswürdiger Machenschaften eines Provokateursagenten geworden, der sie auf den Weg des Verbrechens geführt hatte, um sie dann später höchstpersönlich der Polizei des Zaren auszuliefern.
Als Sâr Dubnotal die Nihilisten ihren unmenschlichen Bewachern entrissen hatte, verlangte er im Gegenzug von ihnen, ihrer Ideologie zu entsagen und keinerlei Terrorakte mehr zu begehen, welche ohnehin nur Schande auf ihre Gemeinschaft werfen konnten.
Außerdem verpflichtete er sie, nie mehr nach Russland zurückzukehren und – gemeinsam mit ihren Familienangehörigen – auf dem wundervollen, kleinen Atoll zu bleiben, wo sie unter der väterlichen Betreuung des früheren Obersts Tedworth wieder auf den rechten Weg gebracht werden sollten. Tedworth war Ausbilder der chinesischen Armee gewesen und amerikanischer Staatsbürger.
Dies waren die Pläne des Psychagogen. Wie heißt es so schön: Der Mensch denkt, aber Gott lenkt. Nun, das galt auch hier: Die Pläne sollten deshalb wohl noch nicht realisiert werden. Die Ruhe in jener tiefen Nacht, in der lediglich die Leuchtfeuer des Derwisch die Nebel zerrissen, war wohl die berühmte Ruhe vor dem Sturm.
„Fällt das Barometer immer noch, Kommandant?“, fragte Sâr Dubnotal.
„Ja, immer noch“, antwortete der Offizier. „Und dieses Fallen geschieht erschreckend schnell! Ich weiß nicht recht, was uns da bedroht, aber ich wäre nicht überrascht, wenn das ein Taifun2 wäre.“
„Haben Sie Möglichkeiten, ihm zu entgehen?“
„Unglücklicherweise nicht. Ich habe keine Ahnung, woher er kommen wird, und trotz meiner Vorsichtsmaßnahmen befürchte ich, dass er unverhofft und heimtückisch losbrechen wird.“
Sâr Dubnotal studierte mit funkelnden, aufmerksamen Blicken das Meer und den Himmel. Am Horizont war kein Strich zu sehen; alles hatte sich mit den Nebelschleiern vermengt.
Der Derwisch wühlte sich mit seinem Vordersteven durch schweres, brackiges Wasser, das entlang seiner Flanken wie in Bächen flüssigen Pechs abrann. Ein Mensch, der irgendetwas ins Meer geworfen hätte, würde einen Funkenregen verursacht haben.
Die Schiffsschrauben hinterließen eine lange phosphoreszierende Spur Kielwassers.
Am Unheimlichsten aber war, dass sich am Ende der Masten der Yacht ein St.-Elms-Feuer3 entzündete und prasselte, wie wenn die Yacht von selbst Elektrizität entwickeln würde.
„Ja“, sagte Sâr Dubnotal, „dies alles deutet zweifellos darauf hin, Kommandant. Wir müssen die Augen offen halten!“
Der Derwisch hatte seine Fahrt verlangsamt und machte nur noch knapp zehn Knoten. Sein weißer Rumpf bewegte sich vorsichtig in der Dunkelheit, denn er konnte sich nicht mehr auf den verrücktspielenden Kompass verlassen; man konnte sich lediglich an der Stellung der Sterne orientieren.
Kapitän Kerouadec verließ sich in diesem Stadium als alter Seewolf lieber auf seinen eigenen Instinkt. Er navigierte nach Schätzung, wie die Seeleute sagen.
Wenn er sich irrte, würde die Yacht Kurs auf Osten oder Westen nehmen, statt nach dem Süden zu steuern.
Es verstrichen mehrere Stunden, in denen er auf diese Weise im Dunkeln tappte, beunruhigt von der Sorge, mit jemandem zusammenzustoßen oder aber an der Küste von Annam zu stranden, deren ungastliche Umrisse sich in einigem Abstand schon abzeichneten.
Plötzlich erfasste ein heftiger Windstoß das Schiff, das sofort zu schlingern begann. Der Derwisch lag quer im Wasser, zum Kurswechsel gezwungen.
„Pinne nach Steuerbord!“, befahl Kapitän Kerouadec. Der Befehl verlor sich im Lärm des Sturms; das Meer hatte sich augenblicklich aufgebläht. Riesige, schaumgekrönte Wellen kamen in schwindelerregendem Tempo vom Horizont her. Obwohl unter Dampf stehend konnte der Derwisch nicht daran denken, dass er diesen monströsen Naturgewalten entgehen könnte, die von der Rückseite her auf ihn einstürmten. Sie schaukelten ihn wie ein leeres Ei, warfen ihn geradezu von einer Seite auf die andere – wie einen Federball, der mit Schlägern hin und her geschlagen wird.
Auch in der Luft brach die Hölle los: War bisher alles ruhig gewesen, so wurde sie nun gleichsam wie das Meer aufgewühlt.
Die Männer von der Besatzung klammerten sich an die Schiffsplanken, die Rampen und überhaupt an alle Stützpunkte, die sich in ihrer Reichweite befanden, die Offiziere und Sâr Dubnotal wurden wie Blätter im Wind geschüttelt. Dieser schreckliche Wirbelsturm, der das Tauwerk ächzen und die Spanten krachen ließ, wurde von einem sintflutartigen Regen begleitet, einer Art Wasserhose.
Es war in der Tat ein Zyklon, der über den Derwisch hergefallen war, einer jener entsetzlichen Taifune, welche so oft das Chinesische Meer heimsuchen. Dabei hatte er noch gar nicht richtig begonnen, und so fragte sich jeder, was den Derwisch wohl erwarten würde, wenn der Sturm seinen Höhepunkt erreichte.
Da der Sturm von Nordosten her tobte, blieb Kapitän Kerouadec nichts anderes übrig, als den Kurs in Richtung Südwesten auszurichten. Das einzige Mittel, einem Schiffsunglück auf dieser Route zu entgehen – war Flucht, falls dazu noch Zeit war. Aber eine solche Flucht würde die Yacht in eine Lage zwischen Scylla und Charybdis4 bringen.
Jetzt nahm der Derwisch direkten Kurs in die Richtung der Küste von Annam – getrieben von seinen Schiffsschrauben und dem Wirbelsturm gleichermaßen.
In welcher Entfernung von dort befand man sich gerade? Davon hing alles ab. Der Kapitän hatte sich bemüht, dieser Küste, die keinerlei Schutz bietet, nicht zu nahe zu kommen; ausgenommen der Bucht von Turan. Aber er war sich nicht sicher, ob er das schaffen würde.
Andererseits war es gut möglich, dass der Zyklon noch eine Stunde anhielt. Und in dieser einen Stunde konnte der Derwisch bei der Geschwindigkeit, mit der er unterwegs war, gut dreißig oder gar mehr Meilen zurücklegen.
Wenn man mehr als dreißig Meilen vom Land entfernt war, bestand nämlich noch eine Chance auf Rettung. Andernfalls würde ein Schiffbruch unvermeidlich, denn die arme Yacht würde wie eine Nussschale an der Felsenküste Annams zerschellen.
Würde sie der Katastrophe widerstehen können? Nach zehnminütiger Flucht nach vorne bestand Anlass, dies zu bezweifeln. Von einem Augenblick auf den anderen verdoppelte der Sturm seine Wut. Obwohl er sehr schnell fuhr, so war der Derwisch von seiner Größe her nicht geeignet, eine entsprechende Distanz herzustellen.
Der Taifun, der in einer Geschwindigkeit von mehr als dreißig Meilen in der Stunde blies, war gut viermal so schnell. An Bord wurde mittlerweile die Situation mit der Ausrüstung kritisch.
Die ersten Wellen waren noch unter dem Schiff vorbeigestürmt, hatten aber schon, nicht so sehr gefährliche, aber doch unangenehme Schwingungen hervorgerufen. Jetzt aber klatschten sie immer höher und brandeten gegen das Heck, das sie zu zermalmen drohten.
Wassersäcke mit dem Gewicht mehrerer Tonnen wurden auf die Brücken geschafft. Sie sollten die Planken voneinander lösen und die Bootsdecks überschwemmen. Da also jegliche Pumpmanöver bei diesem Sturm, der die Matrosen wie Federn umherwirbelte, unmöglich waren, war Kapitän Kerouadec nahezu zur absoluten Ohnmacht verdammt.
Er hatte alle Luken und Bullaugen schließen und alle Öffnungen der Treppenaufgänge verstopfen lassen, dennoch drang das Wasser unaufhörlich bis in die Kiel- und Laderäume ein, gelangte auch zu den Laderäumen achtern und breitete sich sogar im Maschinenraum aus.
Über das Bordtelefon beschrieb der Chefmechaniker das alarmierende Fortschreiten der Überflutung.
„Das Wasser breitet sich immer mehr aus, Kommandant!“
„Wie hoch steht es im Maschinenraum?“, fragte Kerouadec ängstlich.
„Drei Fuß. Die Heizkessel ragen nur noch in der Höhe einiger Daumen aus dem Wasser. Meine Männer verlieren den Kopf, Kommandant! Wenn das Feuer ...“
Der brüllende Wind machte es unmöglich, den Offizier zu verstehen. Den Mund an die Sprechmuschel gepresst und das Ohr am Empfänger brüllte er: „Lauter! Sprechen Sie lauter!“
„Ich sage, dass wir, wenn das Feuer ausbricht, in die Luft fliegen werden!“
„Löschen Sie es ganz!“, gebot der Kapitän. „Wir werden tun, was wir können. Gott befohlen!“
Sâr Dubnotal blieb weiterhin gleichmütig. Für die Disziplin an Bord war der Kapitän verantwortlich, und so beobachtete der Meister höchst aufmerksam, wie es um dessen nautische Fähigkeiten stand, wie er seine Anordnungen erteilte und welche ihm geeignet erscheinende Maßnahmen er ergriff. Der Kampf des Schiffes gegen die entfesselten Elemente wurde ziemlich ungleich, da man des wichtigsten Fortbewegungsmittels beraubt war.
Der Derwisch, dessen Feuer nun gelöscht war, war inzwischen nichts weiter als ein seelenloser Körper. Eine Welle hatte das Steuerruder weggerissen und so tanzte er wie ein Riesenfloß auf stürmischen Wellen.
„Ich glaube, wir sind verloren, Meister!“, meinte Kerouadec. „Nichts kann uns retten, wenn nicht ein Wunder geschieht.“
„Kämpfen Sie bis zum Schluss“, erwiderte der Psychagoge lakonisch. „Könnte man nicht ein Steuerruder improvisieren?“
„Bei diesem Hundewetter nicht!“
Die Dunkelheit war extrem. Niemand vermochte zu sagen, ob der Derwisch fuhr, ob das Meer sich noch immer vor ihnen öffnete oder ob er schon bald an die Klippen des Ufers stieß. Sâr Dubnotal versuchte, mit seinen Luchsaugen die Nacht zu durchdringen.
Doch er sah nichts, außer enormen Massen von Schaum und riesige Wellen, welche die schutzlose Yacht attackierten. Nun versuchte der Psychagoge, das charakteristische Geräusch der Brandung an die Felsen wahrzunehmen.
Aber der vom Sturm herrührende Lärm, das Quietschen des Windes im Tauwerk, das Rollen der donnernden Wellen, welche sich brachen, all das erzeugte eine Kakophonie,5 die es ihm alles andere als leicht machte, das Brandungsgeräusch herauszuhören, und mit einer Stimme, welche den Tumult übertönte, rief er dem Kapitän zu: „Telefonieren Sie nach unten, Kommandant, damit alle – also Mechaniker, Heizer, Passagiere und selbst Azzef – nach oben kommen. Die Küste ist nahe. Wir werden ungefähr in zehn Minuten stranden.“
„Nach oben! Nach oben!“, schrie der Kapitän. Sâr Dubnotal hatte sich nicht geirrt. Als die Kohlentrimmer, die Nihilisten, der Schüler, die Gehilfen und der Gefangene des Meisters mit ihren Rettungsringen um die Lenden auf der Brücke erschienen, klammerten sie sich sogleich krampfhaft an die Seile und Geräte.
Der Derwisch wurde von einer monströsen Welle hochgehoben und dann auf einen riesigen Felsen geschleudert, von dem er buchstäblich gepfählt wurde. Der Rumpf spaltete sich in zwei Teile. Der vordere, dann auch der hintere Teil der Yacht kippten ins Meer, und in der dichten Dunkelheit, welche das Entsetzen nach dieser tragischen Nacht noch verdoppelte, wurden die unglücklichen Schiffbrüchigen gewaltsam aus ihrem Wrack gerissen und in den Abgrund geschleudert.
1Der Davit ist ein aus Holz oder Eisen gefertigter Kran nahe der Bordwand eines Schiffes, mit dem Boote ausgesetzt oder heraufgeholt werden. Hauptsächlich wird er für Rettungsboote genutzt.
2Tropischer Wirbelsturm in Ost- und Südost-Asien, auch im nordwestlichen Teil des Pazifiks.
3*St.-Elms-Feuer ist eine seltene, durch elektrische Ladungen hervorgerufene Lichterscheinung, welche nach Bischof Erasmus von Antiochia (italienisch: Elmo) benannt ist, den Seeleute in Not anrufen.
4Sich zwischen zwei unvermeidlichen, gleich großen Übeln befinden; in einer Zwickmühle sein. Scylla war ein sechsköpfiges Meeresungeheuer und Charybdis ein als Riesin gedachter Meeresstrudel – beide waren Fabelwesen aus Homers Odyssee.
5Klänge oder Töne, die als besonders unangenehm empfunden werden.
Azzef kann’s nicht lassen
Drei Monate nach dem Schiffbruch des Derwisch an der Küste von Annam betrat ein etwa vierzigjähriger Mann ein Café in der Nowgorod-Straße in St. Petersburg. Der Mann hatte eine platte Nase, schwarze und glänzende Augen, welche tief unter bogenförmigen Augenbrauen lagen, und war athletisch – aber etwas schwer – gebaut; er hatte niedrige und gewölbte Schultern.
St. Petersburg, russisch kurz Piter genannt, war stets eine Lieblingsstadt der Revolutionäre – einerseits wegen seiner Größe und der Einwohnerzahl (um 1900 dürften es im Stadtgebiet etwa 1,5 Millionen gewesen sein), andererseits, weil sich dort der Sitz der Kaiserlichen Regierung befand und damit auch die politische Hauptstadt des Reiches.
Außerdem war sie das Behörden- und Verwaltungszentrum. Es gab dort außerordentlich viele Beamte, und trotz aller Vorsichtsmaßnahmen der Polizei war es stets verhältnismäßig leicht, gegen den einen oder anderen von ihnen ein Attentat zu organisieren.
Die Nowgorod-Straße, welche parallel zum rechten Ufer der Newa verlief, befand sich im Viborg-Viertel, nicht weit von der Alexanderbrücke entfernt, welche zum Liteini-Viertel führt.
Sie war viel eher ein Gässchen als eine Straße im eigentlichen Sinne und glich einem engen, sich dahinschlängelnden Schlauch, der beidseitig von alten und baufälligen Bruchbuden umrahmt war.
Der vereiste Schnee, der sich in dicken Bergen türmte, und die zahlreichen Abfallhaufen, alles bunt durcheinander, machten den Zugang für Fremde nahezu unmöglich, weshalb sie übrigens meist auch zögerten, ob sie sich überhaupt dorthin wagen sollten.
Im Frühjahr, zur Zeit der Schneeschmelze, verwandelte sich das Ganze in eine üble Kloake, so dass man eigentlich nur während der heißen Sommermonate durch diese Straße trockenen Fußes gehen konnte.
Darüber hinaus war es notwendig, sich die Nasenlöcher zu verstopfen, damit man nicht an den pestilenzartigen Gerüchen erstickte, welche den Häusern entströmten, und gleich nach Tagesende sollte man sich hüten vor Güssen mit schmierigem Regen und anderen, noch übelriechenderen Flüssigkeiten, welche die Hausfrauen – ohne sich hierbei zu bedenken – aus ihren Türen oder durchs Fenster über die Köpfe der Vorübergehenden gossen.
Die Nowgorod-Straße beunruhigte die Polizei übrigens nicht. Sie wurde von armen Leuten bewohnt, aber diese Armen hatten tatsächlich nichts oder schienen zumindest nichts zu haben. Die Polizei ging davon aus, dass es sich hier um eine Brutstätte von Freischärlern handelte, weshalb sie sich auf allgemeine Überwachung beschränkte und das Ganze als absolut unbedeutend einstufte.
Damit lag sie in der Einschätzung daneben.
Bei entsprechender Sorgfalt hätte sie nämlich bemerkt, dass mindestens seit einiger Zeit ein gewisses Café in der Nowgorod-Straße täglich von verdächtigen Subjekten besucht wurde.
Diese Individuen waren wie die anderen Bewohner des Viertels in schäbige Lumpen gekleidet, doch unterschieden sie sich von ihnen durch ihren Gesichtsausdruck, ihre Manieren und ihre Art, daherzukommen und sich auszudrücken. Das waren zwar Kleinigkeiten, doch sie verrieten ihre Herkunft, vor allem aber, dass sie gehobeneren Gesellschaftsschichten angehörten.
Und in der Tat: Es waren Nihilisten, welche sich immer wieder aus armen oder reichen Intellektuellen neu zusammensetzten. Weil man sie in den anständigen Stadtvierteln verfolgte, hatten sie den Einfall gehabt, ihre Treffen in die Nowgorod-Straße zu verlegen, wobei sie annahmen, dass sie dort nicht auffielen.
Das Café, welches ihnen als Versammlungsort diente, war so ausgestattet, dass es ihnen dort jeden Abend ein geheimes Treffen gestattete.
Eine Scheidewand trennte das eigentliche Café von einem Hinterraum ab, weshalb einige von ihnen der Form halber im Café vor einem Becher Kwas saßen, während die anderen nebenan, im Hinterraum, diskutierten und Pläne schmiedeten.
Dieser Hinterraum schien sehr klein zu sein: Es gab kaum genug Platz für ein paar Stühle und einen runden Tisch.
Aber die von einem Ingenieur der Bande geschickt gefälschte Holzvertäfelung ließ sich auf Wunsch durch einen speziellen Mechanismus auf drei Seiten des Zimmers zur Seite schieben, wodurch es möglich war, dasselbe um den doppelten Umfang zu erweitern.
Überdies konnten sich dort bequem zwanzig Männer aufhalten und bei Gefahr sofort hinter den beweglichen Trennwänden verschwinden. Hierfür genügte es, auf den Auslöseknopf, welcher die Paneele an ihren ursprünglichen Platz beförderte, zu klicken, wonach man schnell dahintergleiten konnte.
Jener struppige und plattnasige Athlet, den wir zu Beginn dieses Kapitels dem geneigten Leser vorgestellt haben und der gleichfalls dieses Pseudo-Café betreten hatte, wurde von drei oder vier an der Theke sitzenden Nihilisten freudig begrüßt.
Der Wirt des Hauses, ein Revolutionär namens Alexiew, drückte ihm die Hand und sagte: „Ich freue mich, dich zu sehen, Trobjenski. Kommst du mit in den Befreiungssaal? Man erwartet dich schon mit Ungeduld.“
„Ich gehe dorthin, Alexiew, ich gehe dorthin. Aber vorher muss ich dir sagen, dass die Person, du weißt schon, wen ich meine, heute Abend zu uns kommt. Ich denke, dass sie bald erscheinen wird. Lass sie nicht lange vor deiner Theke stehen, sondern führe sie sofort zu uns.“
„Weiß sie das Kennwort?“
„Natürlich.“
„Sehr gut“, sagte Alexiew.
Trobjenski beeilte sich, den verborgenen Raum zu betreten, der bereits voll mit Nihilisten beiderlei Geschlechts besetzt war.
Universitätsprofessoren, Lehrer und Studenten waren das, also eine Elite von Intellektuellen – sie alle hatten sich im erwähnten Saal versammelt und hatten, wie es schien, offenbar nur auf den Neuankömmling gewartet, um mit ihrer Besprechung zu beginnen.
Als sie ihn nun sahen, entrang sich der Menge ein allgemeiner Seufzer der Genugtuung.
Azzef, denn er war es – wie der aufmerksame Leser aufgrund seines Decknamens erkannt hat –, nun, Azzef schüttelte den Revolutionären kräftig die Hände, setzte sich vor den kleinen Tisch, auf dem eine einfache brennende Kerze stand, und holte aus der Tasche seines zerlumpten und schmutzigen Überziehers ein großes Blatt Papier hervor, das er vor sich entfaltete.
„Brüder“, sagte er, „ihr wisst ja schon, wie ich den Wärtern entfliehen konnte, die uns – meine armen Gefährten und mich – in die Bergwerke von Jakutsk schaffen wollten. Einer meiner Freunde, der tüchtige und großmütige Powlaw, hat uns während des Zuges befreit und ans Meer gebracht, wo uns ein Schiff aufnahm. Unglücklicherweise erlitt es im Chinesischen Meer Schiffbruch und alle, die an Bord waren, sind jämmerlich zugrunde gegangen. Ich aber konnte wie durch ein Wunder schwimmend die Küste erreichen. Eingeborene haben mich aufgenommen und so konnte ich mich nach Turan durchschlagen, wo mich die Behörden für einen russischen Matrosen hielten und wieder einbürgerten.
Wieder zurück in Piter, habe ich versucht, mit euch, meinen Brüdern, in Verbindung zu treten. Seit ich vor sechs Monaten das Land verlassen habe, ist hier viel passiert. In der Folgezeit nach dem Attentat gegen Polukin, dem Direktor der Politischen Polizei, sind wegen des Verrats des angeblichen Tschergin viele verhaftet worden, das alte Komitee existierte nicht mehr. Aber, Kameraden, ihr habt nicht lange gebraucht, um ein neues Komitee zu gründen. Und in Anbetracht der Dienste, die ich euch erwiesen habe, habt ihr mich auf den Platz gesetzt, den ich schon in dem alten Komitee eingenommen hatte.
Ich danke euch für die Ehre, die ihr mir erwiesen habt. Ich will euch dadurch danken, dass ich die Linie der Partei weiterhin vertrete und es als meine heiligste Aufgabe ansehe, unsere Brüder zu rächen. Keine Pflicht könnte mir angenehmer sein als diese.
Ich spreche von der Gegenwart, Kameraden, und nicht von der Zukunft, beachtet das. Ich glaube, dass tatsächlich jetzt die Stunde der sozialen Gerechtigkeit geschlagen hat: Den Worten müssen Taten folgen.“
Der Verräter holte tief Atem, zweifellos um die Tirade auf seine Zuhörer, die ihm mit größter Aufmerksamkeit gefolgt waren und die ihre Befriedigung durch ein beifälliges Gemurmel geäußert hatten, dadurch noch besser wirken zu lassen.
Dann fuhr er fort: „Von einem Moment auf den anderen hat die Person, die ich ohne Mühe entdecken konnte und deren Mitwirkung für ein weiteres Handeln unverzichtbar ist, beschlossen, sich euch vorzustellen. Ich bitte euch zu glauben, dass die besonderen Bedingungen gegeben sind. Das heißt, dass sie auch vor euch meine Anweisungen erhalten wird, die sie ohne Bedenken ausführen wird.“
„Wie ist ihr Name? Ihr Name?“, fragten mehrere ängstliche Stimmen.
„Ist es sehr wichtig, das zu wissen?“, fragte Azzef zurück.
„Ja, Trobjenski“, sagte Wera Turgenjewa, eine leidenschaftliche Freischärlerin des Komitees. „Ich wundere mich nämlich für meinen Teil ein bisschen, dass du geglaubt hast, hier unter uns die Hilfe zu finden, die du benötigst, um Polukin zu erledigen.“
„Oh, ich weiß sehr wohl, dass dich das interessiert, Schwester“, fügte der Nihilist gerührt hinzu. „Bist du von selbst auf diesen Einwand gekommen? Gott1 würde es wohl nicht gefallen, wenn ich auch nur den geringsten Zweifel an deiner edlen und heroischen Haltung aufkommen ließe. Ich weiß, dass du eine entschlossene Frau brauchst, eine Frau, die bereit ist, ihr Leben für unsere Sache zu opfern, und die freien Zugang zu den Polukins hat – oder wenigstens zu dem Milieu, in dem er verkehrt oder wo man ihn erreichen kann.“
„Aber sind dies derart außergewöhnliche Bedingungen, dass eine von unseren Kameradinnen vom Komitee sie etwa nicht erfüllen könnte? Glaubst du nicht, dass zum Beispiel Maria Wassiljewa hier, die Tochter eines Brigadegenerals ist und die – wie auch ich oder wir alle hier – sich gerne freiwillig als Brandopfer anbieten würde, diese Aufgabe nicht einwandfrei erledigen könnte?“
Azzef lächelte düster.