Psychoanalytische Erkenntnishaltungen und Interventionen - Wolfgang Mertens - E-Book

Psychoanalytische Erkenntnishaltungen und Interventionen E-Book

Wolfgang Mertens

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Beschreibung

In der zeitgenössischen Psychoanalyse hat sich das Repertoire der Behandlungstechnik stark ausgeweitet. Neben der klassischen Psychoanalyse und Ichpsychologie wurden neue psychoanalytische Richtungen wie Objektbeziehungstheorien, Selbstpsychologie und intersubjektive Psychoanalyse sowie modifizierte Verfahren entwickelt, die weltweit praktiziert werden. Gibt es noch eine gemeinsame Basis oder nur noch die Konkurrenz miteinander konkurrierender Richtungen? In diesem Buch wird für ein kritisches Überdenken schulenbedingter konzeptueller und methodischer Engführungen und damit für eine patientengerechtere und integrativere psychoanalytische Behandlung plädiert. "Mertens ist es wieder einmal gelungen, in höchst anschaulicher und doch kurzer Weise Schlüsselbegriffe der Psychoanalyse in alphabetischer Anordnung gut zu erörtern, dabei modernste Fachliteratur berücksichtigend." (Georg R. Gfäller, Z. f. Individualpsychol. 34/2009)

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Seitenzahl: 506

Veröffentlichungsjahr: 2014

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Wolfgang Mertens

Psychoanalytische Erkenntnishaltungen und Interventionen

Schlüsselbegriffe für Studium, Weiterbildung und Praxis

2., aktualisierte und erweiterte Auflage

Verlag W. Kohlhammer

Dieses Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwendung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechts ist ohne Zustimmung des Verlags unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und für die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen.

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Es konnten nicht alle Rechtsinhaber von Abbildungen ermittelt werden. Sollte dem Verlag gegenüber der Nachweis der Rechtsinhaberschaft geführt werden, wird das branchenübliche Honorar nachträglich gezahlt.

 

2. Auflage 2014

Alle Rechte vorbehalten

© W. Kohlhammer GmbH, Stuttgart

Gesamtherstellung: W. Kohlhammer GmbH, Stuttgart

Print:

ISBN 978-3-17-024372-9

E-Book-Formate:

pdf:        ISBN 978-3-17-024374-3

epub:     ISBN 978-3-17-024373-6

mobi:     ISBN 978-3-17-024375-0

Für den Inhalt abgedruckter oder verlinkter Websites ist ausschließlich der jeweilige Betreiber verantwortlich. Die W. Kohlhammer GmbH hat keinen Einfluss auf die verknüpften Seiten und übernimmt hierfür keinerlei Haftung.

Inhalt

Vorwort

1     Einige Überlegungen zur Weiterentwicklung psychoanalytischer Erkenntnishaltungen und Interventionen

2     Psychoanalytische Erkenntnishaltungen und Interventionen

Adaptives Handeln fördern

Affektive Blindheit überwinden

Anerkennung

Anti-Regression beachten

Arbeitsbündnis herstellen und aufrechterhalten

Arbeiten mit dem Unbewussten

Atmosphäre, emotionale

Außer-Übertragungsdeutung – Übertragungsdeutung außerhalb der analytischen Beziehung oder Deutung der außertherapeutischen Situation

Autonomie fördern

Autorität, funktionale ausüben

Behandlungspraxis, explizite und implizite

Beobachten, behavioral und empathisch-introspektiv

Beobachten der Körpersprache

Bestätigung kleinster Lernfortschritte

Bewältigungsmotiv anerkennen

Beziehungsregulierung, achten auf die

Bindungstheoretische Orientierung

Biographisches Kontextualisieren

Blinde Flecken, Umgang mit blinden Flecken des Analytikers

Coaching, sich vom Patienten coachen lassen/Lernen vom Patienten

Container/Contained

Denkprozesse, Wahrnehmung der eigenen

Deutung

Deutung als Sprechhandlung

Deutung, analytikerzentriert, patientenzentriert

Deutung, genetische

Deutung, mutative

Deutung, neurowissenschaftliche

Deutung, prozessbezogene (»Deutungen zweiter Ordnung«)

Deutung, virtuelle

Dialoghandeln

Durcharbeiten

Eigenübertragung

Einfühlung

Einsicht fördern

Emotionszentrierte Interventionen

Enactment, Erkennen des und Umgang mit dem

Entwicklungstheoretische Orientierung

Erklären, kausales und intentionales

»Etwas mehr« als Deutung

Fokaltherapeutisch konzeptualisieren

Fragen stellen

Freie Assoziation, zulassen und fördern

Gegenübertragung erkennen

Gegenwartsmoment

Gemeinsames Regredieren

Gleichschwebende Aufmerksamkeit für die Inhalte des freien Assoziierens

Handhabung der Übertragung

Handlungsdialog

Ich-Funktionen ansprechen und fördern

Ich-Funktionen stärken (auf niedrigem Strukturniveau)

Ichpsychologische Orientierung

Implizites Beziehungswissen beachten

Innerer Analytiker

Inszenierende Interaktion

Interaktionelles Prinzip

Interaktionelle Mikroanalyse der Beziehung

Interkulturelle Sensibilität entwickeln

Interpersonelle Orientierung

Intersubjektive Orientierung

Introspektion

Klarifizieren

Kleinianische Orientierung

Körperinszenierungen erkennen

Körperpsychotherapeutische Interventionen

Komplementäre Identifizierung

Konfrontieren

Konkordante Identifizierung

Kontext bezogenes Intervenieren

Korrigierende emotionale Erfahrung

Kreditierung

Lebenskunst

Lokale Ebene

Mentalisierung fördern

Metaphern verwenden

Metaphernbildung beim Analysanden anregen und fördern

Mitteilen der Gegenübertragung

Neutralität, eine neutrale Erkenntnishaltung einnehmen

Nichtdeutende Mechanismen

Nichtwissen ertragen können

Nonverbale Kommunikation beachten

Oberfläche, von der Oberfläche ausgehen

PAM – Prototypische affektive Mikrosequenzen

Prinzip Antwort

Projektive Identifizierung, Umgang mit der

Prosodie, auf die Prosodie achten

Prozessmonitoring, engmaschige Beobachtung des assoziativen Prozesses

Prozessorientiert vorgehen

Prozessphantasien (des Patienten) berücksichtigen

Rahmen, Umgang mit dem

Regression ermöglichen

Relationale Orientierung

Respekt

Role-responsiveness, Rollenbereitschaft

Selbstanalyse fördern

Selbstenthüllung/-mitteilung

Selbstobjekt-Übertragung

Selbstpsychologische Orientierung

Selbstregulierung/Fremdregulierung, interaktive Regulierung

Sicherheit ermöglichen

Sprechhandeln

Strukturniveau beachten

Suggestion

Supportive Intervention

Szenisches Verstehen

Teilnehmende Beobachtung

Theorien verwenden

Theory of Mind, Entwicklung einer Theory of Mind fördern

Tiefenpsychologisches Intervenieren

Traumaspezifische Techniken

Traumatisierende Übertragung

Traumdeutung entsprechend einem Traumklassifikationsdiagramm

Übertragung – Arbeit in der Übertragung, Arbeit an der Übertragung

Übertragung der Gesamtsituation

Übertragungsdeutung im Hier und Jetzt

Übertragungsdeutung, klassische

Übertragungsfokussierung

Übertragungsneurose, Herstellung einer

Verändern lassen, sich

Widerstand beachten

(Zu-)Hören

Literatur

Personenregister

Vorwort

Die moderne Psychoanalyse weist eine Vielzahl an Erkenntnishaltungen, Methoden und behandlungstechnischen Vorgehensweisen auf. In der Regel kennen Außenstehende aber lediglich das Deuten von unbewussten Beweggründen als genuin psychoanalytische Vorgehensweise. In den hundert Jahren ihres Bestehens hat sich das Repertoire ihrer Behandlungstechnik jedoch sehr verbreitert. Die beherrschende Stellung der nordamerikanischen Ichpsychologie ging mittlerweile zurück, neue psychoanalytische Richtungen, wie Objektbeziehungstheorien, Selbstpsychologie, interpersonelle Psychoanalyse, lacansche und postlacansche Theorien, und vor allem auch ein neues »postmodernes« Paradigma – die intersubjektive Psychoanalyse – breiteten sich in der weltweiten psychoanalytischen Gemeinschaft aus. Auch die Berücksichtigung von Befunden aus der Kleinkind-, Gedächtnis-, Interaktions- und Emotionsforschung hat das interdisziplinäre Wissen um nichtbewusste Kommunikationsvorgänge in den letzten Jahren bereichert. Diese Erkenntnisse erweisen sich als sehr anschlussfähig an Konzepte psychoanalytischer Praktiker, die aufgrund ihres Professionswissens zu ähnlichen Erkenntnissen kommen. Des Weiteren wurden neben der klassischen Psychoanalyse modifizierte Verfahren entwickelt, wie z. B. die analytische Psychotherapie, die tiefenpsychologisch fundierte Psychotherapie, Kurz- und Fokaltherapien, die körperorientierte Psychotherapie, die strukturbezogene Psychotherapie, die analytische Traumatherapie, psychodynamische Therapien von Panik- und Borderlinestörungen u. a. m. Diese am Patienten orientierten, jeweils unterschiedlichen Vorgehensweisen und Interventionen scheinen auf den ersten Blick allerdings recht heterogen zu sein. Dennoch liegen allen Verfahren eine oder auch mehrere Erkenntnishaltungen zugrunde, welche die verschiedenen Modi der Beziehung zwischen Therapeut und Patient v. a. hinsichtlich ihrer unbewussten Abläufe kontinuierlich zu reflektieren und soweit es sinnvoll und angebracht ist, zu thematisieren versuchen. Dies macht ihre psychoanalytische Schnittmenge aus.

In diesem Buch werden die wichtigsten psychoanalytischen Erkenntnishaltungen und behandlungstechnischen Vorgehensweisen definiert, unterschiedliche Auffassungen und Handhabungen aufgrund verschiedener Richtungen aufgezeigt sowie etwaige Engführungen, die sich aufgrund der Überbetonung einer zu einseitig verfolgten Richtung ergeben, problematisiert und diskutiert. Die Erläuterung der Gemeinsamkeiten, aber auch der Unterschiede in den einzelnen Auffassungen lässt neue Überlegungen entstehen, wie psychoanalytische Erkenntnishaltungen, Interventionsmodi und explizite sowie implizite Theorien zukünftig besser erforscht werden können.

Der Autor plädiert für ein kritisches Überdenken so mancher, gelegentlich immer noch antreffbarer, konzeptueller und methodischer Engführungen und damit für eine patientengerechtere, prozessorientierte und integrativere psychoanalytische Behandlungseinstellung. Wo es sinnvoll erscheint, werden auch empirische Forschungsmethoden angesprochen. Erläuternde Beispiele dazu sind in der »Einführung in die psychoanalytische Therapie« zu finden (vgl. Mertens 2015).

Herrn Dr. Ruprecht Poensgen danke ich für die Inverlagnahme und die stets gute Zusammenarbeit, Frau Filbrandt für die sorgfältige Betreuung des Manuskripts.

Wolfgang Mertens

München, im Oktober 2013

1          Einige Überlegungen zur Weiterentwicklung psychoanalytischer Erkenntnishaltungen und Interventionen

Obwohl viele Psychoanalytiker heutzutage pluralistisch vorgehen, d. h. aus der Fülle theoretischer Modelle über Entwicklung, Persönlichkeit, Psychogenese von Leidenszuständen, Behandlungstechnik und Krankheit diejenigen Metaphern und Konzepte auswählen, die ihnen für einen bestimmten Patienten passend erscheinen, lassen sich in der Literatur doch immer wieder polarisierende Behauptungen antreffen, bei denen die Überlegenheit des eigenen Ansatzes betont und die Theorien anderer Richtungen zumeist in Schwarz-weiß-Zeichnung abgewertet werden. In dieser Abhandlung wird deshalb dafür plädiert, die Ausschließlichkeit bestimmter polarisierender Behauptungen kritisch zu betrachten und ihre Relativität zu erkennen, denn der psychoanalytische Erfahrungsschatz, der im 20. Jahrhundert entstanden ist, ruht auf den Schultern vieler Praktiker, Theoretiker und Methodiker der Psychoanalyse. Das nimmt zwar einigen Konzepten etwas von ihrer Bedeutsamkeit und verringert das allgegenwärtige Bedürfnis, einzelne Personen idealisieren zu können, trägt aber auch zu einer Verwissenschaftlichung der Psychoanalyse bei, deren Ideen und Hypothesen immer auch in Bezug auf interne und externale Kohärenz und Stimmigkeit überprüft werden müssen. »Schulen«, deren Gründer und Jünger tendieren hingegen eher dazu, sich theoretisch wie institutionell abzuschotten, ihre Hypothesen nicht ausreichend zu explizieren und sich methodisch zu wenig in die Karten schauen zu lassen. Nicht zuletzt auch aus diesem Grund ist es in der Psychoanalyse in den letzten Jahren zu einer nahezu unüberschaubaren Anzahl von Minitheorien gekommen. Nach außen erscheint dies nicht nur wie ein überbordender Theoriekörper, sondern auch wie die Fragmentierung eines einst doch relativ zusammenhängenden Gebäudes. In manchen holzschnittartigen Vereinfachungen der ersten und zweiten Generation von Psychoanalytikern ließen sich Übertragung, Übertragungsneurose, Widerstand sowie Gegenübertragung und Deutung wie ausgestanzte Gebilde beschreiben und handhaben. Nach und nach wurde dann aber der Prozesscharakter dieser Phänomene erkannt und schließlich gehen wir in der Gegenwart von einem komplexen Ineinander von verbalen und nonverbalen Beziehungsfaktoren, Handlungsmustern und Interventionsformen aus. Und im Unterschied zu lehrbuchhaften Handlungsanleitungen muss jeweils für den einzelnen Menschen bzw. für die Therapeut-Patient-Dyade entschieden werden, welche Priorität die verschiedenen Konzepte haben (vgl. Zwiebel 2007).

Wenn es in den zurückliegenden 20 bis 30 Jahren zu einer enormen Erweiterung psychoanalytischer Interventionsformen gekommen ist, dann ist dies in erster Linie natürlich auch den Patienten zu verdanken, die mit ihren unterschiedlichen Leidenszuständen immer wieder etablierte, manchmal auch festgefahrene Vorgehensweisen in Frage gestellt haben. Ein weiterer Grund sind aber sicherlich auch die soziokulturellen Veränderungen im Verlauf des 20. Jahrhunderts, die zu neuen Auffassungen über eine optimale analytische Vorgehensweise führten, und nicht zuletzt hat auch die Auseinandersetzung mit Theorien und Befunden aus der Kleinkind-, Bindungs-, Emotions-, Gedächtnis- und neurowissenschaftlichen Forschung entweder zu ganz neuen Anregungen, häufig aber auch zu einer präziseren Fassung bereits seit längerer Zeit intuitiv gehandhabter und der Praxis entsprungener Überlegungen und Konzepte geführt.

Eine Bestandsaufnahme lässt so manche bislang als identitätsstiftend betrachtete Interventionsform in den Hintergrund treten, rückt zeitgenössische Auffassungen dementsprechend stärker in den Vordergrund, macht aber auch gemeinsame Schnittmengen zwischen vormals als unvereinbar betrachteten Positionen sichtbar und hilft vielleicht auch, den immer wieder aufflackernden »Schulenstreit« konzeptuell ein wenig zu entschärfen. Denn das dogmatische Insistieren auf der »Richtigkeit« eines einzigen theoretischen Modells lässt gerade die psychoanalytische Erkenntnis von der prinzipiellen Unabgeschlossenheit einzelner Erkenntnisperspektiven unberücksichtigt (Gabbard 2007, Mertens 2010–12).

Denn während noch in der amerikanischen Ichpsychologie die Übertragungsdeutung so etwas wie psychoanalytische Identität verbürgen konnte, gibt es in Zeiten einer pluralistischen Psychoanalyse eine Vielzahl an Vorgehensweisen, die je nach Schulrichtung die Geltung für sich beanspruchen, der jeweils primäre Wirkfaktor zu sein. Glen O. Gabbard und Drew Westen (2003) haben deshalb für eine multimodale Auffassung von psychoanalytischen Wirkfaktoren plädiert, anstelle der früheren normativen »Übertragungsdeutungs-Psychoanalyse«, einer ausschließlich ich- oder selbstpsychologischen Herangehensweise oder der aus heutiger Sicht allzu einfach erscheinenden Zweiteilung »psychoanalytisch« versus »psychotherapeutisch«, wobei Letzteres mit dem Stigma des Zweit- oder gar Drittklassigen behaftet war. Mehr und mehr hat sich auch die Erkenntnis durchgesetzt, dass eine psychoanalytische Kur für jeden einzelnen Patienten maßgeschneidert sein sollte im Sinne von »Legt die Lehrbücher oder die Manuale beiseite«. »Multimodal« könnte dann bedeuten, dass z. B. auch supportive Interventionen, die lange Zeit als antianalytisch galten, für eine analytische Psychotherapie bedeutsam werden, weil sie den Bedürfnissen eines Patienten nach Orientierung hinsichtlich seiner äußerst prekären nichtbewussten Interaktionserwartungen zunächst einmal entgegenkommen, statt ihn durch eine zu stark abstinente Haltung – die für einen anderen Patienten oder in einer späteren Phase der Behandlung durchaus angezeigt sein kann – zusätzlich zu verunsichern.

Mit der Einstellung, dass entsprechend einem schulenspezifischen Denken nur bestimmte Vorgehensweisen als genuin psychoanalytisch gelten, stand und steht zum Teil immer noch die Psychoanalyse in der Gefahr, einen sehr engen Indikationsbereich für sich zu beanspruchen bzw. darauf festgelegt zu werden. Patienten, die überwiegend psychosomatisch erkrankt waren, wurden für psychoanalyseuntauglich erklärt; Patienten, denen eine körperbezogene Intervention geholfen hätte, wofür sich die Psychoanalyse aber nicht zuständig erklärte, wurden an Körperpsychotherapeuten verwiesen; für schizoide und narzisstische Patienten mit präödipalen Erkrankungen wie schizoiden oder narzisstischen Persönlichkeitsstörungen, die Schwierigkeiten mit Reflexion und Symbolisierung hatten, schien nur eine stützende Psychotherapie indiziert; Patienten mit schweren Kindheitstraumatisierungen wurden an eigens dafür ausgebildete Traumaspezialisten weitergereicht; zwischen Einsicht und als suggestiv eingeschätzten Beziehungsfaktoren wurde vereinzelt immer noch eine strikte Trennungslinie gezogen u. a. m. Es schien, als sei der Olymp der Psychoanalyse nur einigen wenigen Patienten vorbehalten. Und in dieser derartigen Engführung der Psychoanalyse wurde lediglich der metakommunikative Diskurs, das Erleben und Thematisieren der Beziehung im Hier und Jetzt als i. e. S. psychoanalytisch eingeschätzt.

Eine metareflexive Kompetenz ist bei nicht wenigen Patienten durch frühe Traumatisierungen und Erfahrungs- sowie Lerndefizite in verschiedenen präverbalen und verbalen Erlebnisbereichen dermaßen eingeschränkt, dass es einer Münchhauseniade gleichkäme, zu glauben, ihnen von Anfang an allein mit verbalen Beziehungsdeutungen zu mehr selbstanalytischer Reflexionsfähigkeit verhelfen zu können. Denn diese Patienten neigen dazu, ihren augenblicklichen Stimmungs- und Affektzustand für die Gesamtheit ihres Erlebens zu halten; das damit einhergehende Pars pro Toto-Denken ist ihnen reflexiv nicht zugänglich. Ebenso überwiegen voneinander getrennt gehaltene affektive Bewertungen des eigenen Selbst und anderer Menschen. Dieser Mangel an Ambivalenztoleranz führt zur Unfähigkeit, intrapsychische Konflikte zwischen Liebe und Abneigung bzw. Hass zu erleben. Projektive und introjektive Vorgänge führen zu Externalisierungen eigener Affektzustände in andere Menschen oder zu einer blitzschnellen Affekt- und Stimmungsansteckung, denen sich der Betreffende hilflos ausgeliefert fühlt. Überhaupt herrschen dysphorische, depressive, verzweifelte und gelegentlich auch Aufmerksamkeit erheischende, grandiose und manische Gefühlszustände und/oder unmentalisierte körperliche Spannungszustände vor. Weil sie häufig kein Gespür für ihre eigene Feindseligkeit haben, die sie in Mimik, Sprache und Handlungen ausstrahlen, erleben sie sich zumeist als Opfer von vermeintlichen oder per projektiver Identifizierung erzwungenen Unverschämtheiten und Zumutungen anderer Menschen. Es fällt ihnen schwer, Affektzustände zu verbalisieren, weshalb sie zum motorischen Agieren, zum Somatisieren und zur unmittelbaren Affektabfuhr neigen. Sprechen wird oft zum Sprechhandeln, von dem etwas Aggressives, Zwingendes und Beherrschenwollendes ausgeht. Ebenso können Erinnerungen nicht als Vorstellungen repräsentiert werden, sondern müssen unmittelbar als Beziehungserfahrung ausgelebt werden. Es kann nicht ausbleiben, dass schwere Beeinträchtigungen der Selbstwertregulierung in Form von starker Selbstüberschätzung, vernichtend empfundener Minderwertigkeit, übermäßiger Idealisierung und massiver Entwertung anderer Menschen ebenfalls das Erleben charakterisieren.

Andere Vorgehensweisen, die sich in einem zeitgenössischen Verständnis jedoch alle als psychoanalytisch begreifen lassen, sind für die Behandlung dieser strukturell beeinträchtigten Menschen notwendig und sie sind in der psychoanalytischen Literatur ausgiebig beschrieben worden (vgl. z. B. Bergmann-Mausfeld 2006, Kernberg et al. 1993, Riesenberg-Malcolm 2003, Robbins 1983, 1988, 1996, Rosenfeld 1981, Rohde-Dachser & Wellendorf 2004, Steiner 1998). Selbst eine psychoedukative Maßnahme kann, wenn sie in ein psychoanalytisches Verständnis der bewussten und unbewusst ablaufenden Beziehung eingebettet bleibt, durchaus als angemessen gelten.

Das Kriterium der Analysierbarkeit war viele Jahre so etwas wie ein Gütesiegel der Psychoanalyse; nur wer über eine ausreichende Introspektionsfähigkeit und psychological mindedness verfügte, kam in den Genuss einer psychoanalytischen Behandlung. Damit wurde aber auch der Kreis der Menschen, für die eine Psychoanalyse überhaupt in Frage kam, sehr stark eingeschränkt. »Times have changed in many ways«: Wilma Bucci (2002) hat – wie viele andere Psychoanalytiker der Gegenwart – darauf aufmerksam gemacht, dass im Fall einer nicht erfolgreichen analytischen Behandlung die Frage nach der Eignung eines Patienten in den zurückliegenden 15 bis 20 Jahren der Einschätzung gewichen ist, ob es nicht vielmehr die analytische Standardtechnik ist, die sich als ungeeignet für diesen Patienten erweist.

Gabbard und Westen (2003) betonen, dass Psychoanalytiker immer mehr erkannt haben, dass Einsicht und Deutung der Übertragung bzw. der Beziehung im Hier und Jetzt kein Entweder-Oder darstellen, wie es z. B. noch vor 20 Jahren gang und gäbe war, sondern synergistisch wirken, wobei bei manchen Patienten in bestimmten Therapieabschnitten mehr die Einsichtsgewinnung, bei anderen wiederum mehr Übertragungsdeutungen Wirksamkeit entfalten. Es gibt keine scharfe Trennungslinie mehr zwischen Deutung und Beziehung (vgl. Pulver 1992, Daser 1999). Diese Gegenüberstellung wird sogar zunehmend als überholt betrachtet. Psychoanalytische Interventionen treten zumeist in gemischter Form auf und sind als Kontinua zu betrachten (vgl. Waldron et al. 2004). Deshalb kann auch in der gegenwärtigen Psychoanalyse ein viel größeres Augenmerk auf beziehungsförderliche Faktoren, ja sogar auf supportive, anerkennende und selbstwertstützende Interventionen gelegt werden, ohne damit in den Verdacht zu geraten, dass dies nichts mehr mit einer psychoanalytischen Vorgehensweise zu tun hat (vgl. z. B. Levy & Inderbitzin 1997, Jiménez 2006). Bereits für Sandler und Sandler (1983) war es wichtig, eine nichtverurteilende Atmosphäre für den Analysanden zu schaffen, wozu sicherlich nicht nur Schweigen und taktvolle Zurückhaltung gehören, in der Annahme, damit den Auftrieb des Unbewussten zu fördern, – aber auch nicht nur temperamentvolle Beziehungsdeutungen – sondern eine auf jeden einzelnen Patienten individuell abgestimmte Vorgehensweise, welche die Interventionen auf die jeweilige Schamanfälligkeit für die implizit regressiven Aspekte des analytischen Settings wohl zu dosieren versteht und den Patienten auch entsprechend seiner jeweiligen Symbolisierungs- und Mentalisierungsfähigkeit an dem Punkt abholt, an dem er sich gerade befindet.

Das klassische sprachphilosophische Paradigma mit seinem semantisch-logischen Bezugssystem und dem Schwerpunkt auf dem Wahrheitsgehalt von Aussagen beachtete nicht die pragmatische Funktion der menschlichen Sprache bzw. ordnete diese völlig der repräsentativen semiotischen Funktion der Zeichen unter. Es berücksichtigte somit nicht, dass die Pragmatik menschlichen Sprechens zur Bedeutung von Aussagen in einem entscheidenden Ausmaß beiträgt und die Intersubjektivität der ausgetauschten Bedeutungen überhaupt erst ermöglicht. Die »pragmatische Wende«, die in der Sprachphilosophie vor allem anhand der Arbeiten von John L. Austin (1962) und John R. Searle (1969) eingeleitet wurde, ermöglicht demgegenüber ein völlig neues Verständnis von Sprache als einer »Sprechhandlung«, das mit vielen psychoanalytischen Überlegungen über Sprache und Sprechen Überschneidungen aufweist. Der verbale Inhalt ist in Therapien meistens nur deshalb wirksam, weil er eine emotionale Erfahrung auslösen kann, und nicht, weil die darin enthaltene inhaltliche Botschaft die hauptsächliche Bedeutung hätte. Allerdings wird die pragmatische Funktion des Sprechens in der Psychoanalyse ergänzt durch die psychodynamisch unbewusste Wirkabsicht und – worauf es in diesem Buch besonders ankommen wird – durch die nichtbewusste Emotionsregulierung, die »unterhalb« der Sprache verläuft.

Wallerstein (1998) spricht hinsichtlich der US-amerikanischen Verhältnisse von einem Paradigmenwechsel, der durch den Wandel von einer tendenziell als elitär und autoritär eingeschätzten Psychoanalyse zu einer intersubjektiven Psychoanalyse zustandegekommen ist, die eine ungleich größere Sensibilität für die Belange eines Patienten aufweise.

Es wäre jedoch mehr als bedauerlich, wenn der Eindruck entstünde, die Psychoanalyse sei aufgrund ihrer Anforderungen an die Reflexionsfähigkeit, Belastbarkeit und psychische Stabilität Relikt einer zu Ende gegangenen Epoche und deshalb nur noch einem kleinen nostalgischem Kreis besonders reflexionsfähiger und introvertierter, vielleicht auch autoritätshöriger und zu wenig für notwendige Wandlungsprozesse aufgeschlossener Personen vorbehalten und zu empfehlen, vielleicht schließlich nur noch solchen Menschen, die dieses Verfahren wegen einer Ausbildung zum Psychoanalytiker erlernen wollen.

Die vorliegende Abhandlung zielt in die entgegengesetzte Richtung: Es lässt sich so viel Psychoanalyse durchführen wie möglich, vorausgesetzt, man zwingt Patienten nicht, sofort in den obersten Stockwerken einzusteigen, sondern lädt sie ins Erdgeschoss ein und bemüht sich dann darum, einen Weg zu finden, wie die Betreffenden mit sich selbst und mit ihrem Analytiker selbstreflexiver umgehen können, weniger gezwungen zur unmittelbaren Bedürfnisbefriedigung und zum Ausagieren in Krankheitssymptomen und ständigen Konflikten mit anderen Menschen und mit zunehmender Freude daran, immer komplexere Bedeutungszusammenhänge über sich und ihr interpersonelles Handeln zu erfahren und sich gefühlsmäßig zu Eigen machen zu können. Vielleicht kommt nicht jeder im obersten Stockwerk an, aber der Weg dorthin ist allein schon mit vielen fruchtbaren Lernerfahrungen verbunden.

Erkenntnisse der Kleinkindforschung, der Gedächtnis- und Emotionspsychologie geben der Psychoanalyse viele Möglichkeiten an die Hand, ihre bisherigen Konzepte noch besser fundieren zu können, manchmal durchaus auch in Abgrenzung zu interdisziplinären Befunden. So hat z. B. die Auseinandersetzung mit der Bindungsforschung deutlich gemacht, dass diese zwar den von Freud eher als selbstverständlich betrachteten Teil mitmenschlicher Bezogenheit differenziert betrachten kann, aber zu den Phänomenen der psychosexuellen Entwicklung und Konflikte bislang wenig zu sagen hat. In der Auseinandersetzung mit der Bindungsforschung mit ihren z. T. irreführenden Behauptungen über ein angeblich beziehungsloses psychoanalytisches Kleinkind sind deshalb wichtige und weiterführende Überlegungen entstanden (vgl. z. B. Cohen 2007, Diamond 2004, Müller-Pozzi 2008, Peskin 2001, Weinstein 2007, Zepf 2006), die zu einer Differenzierung psychoanalytischer Interventionen führen. Überlegungen, ob es eine bindungsorientierte Psychotherapie geben sollte, die statt auf die Triebentwicklung auf die Bindungsentwicklung fokussieren sollte, erscheinen angesichts irreführender Polarisierungen von bindungsbezogenem Kind versus psychosexuellem Kind somit nicht länger haltbar.

Aber auch die Auseinandersetzung mit den Konzepten und Forschungsbefunden der kognitiven und neurobiologischen Gedächtnisforschung hat deutlich gemacht, dass Psychoanalytiker sich vor der neueren Gedächtnisforschung nicht zu verstecken brauchen (vgl. z. B. Koukkou et al. 1998, Leuzinger-Bohleber et al. 1998a, b; Mancia 2007).

Schon des Längeren wird immer wieder daran erinnert, dass die Praxis nicht deduktiv aus theoretischen Grundannahmen abgeleitet werden kann, sondern ihr eigenes Handlungswissen generiert (vgl. Buchholz 1996, 1999). Statt sich ausschließlich mit normativen und idealtypischen Vorgaben und Theorien zu beschäftigen und deren buchstabengetreue Anwendung in der Praxis zu überwachen, sollte deshalb in viel größerem Ausmaß eine Untersuchung der tatsächlichen therapeutischen Praxis stattfinden. Was tun Psychoanalytiker tatsächlich? Wie denken sie? Welche Theorien und Konzepte unterlegen sie – wenn überhaupt – ihrem Vorgehen? Welche impliziten Theorien lassen sich eruieren (vgl. Bohleber et al. 2013, Tuckett 2007, 2012)? Es kommt hinzu, dass bisherige empirische Untersuchungen nicht den Nachweis erbringen konnten, dass bestimmte idealtypisch postulierte Orientierungen oder Richtungen erfolgreicher sind als andere.

Wenn aber die expliziten, theoretischen Orientierungen letztlich keine Unterschiede bezüglich des Behandlungserfolgs aufweisen und wir auch innerhalb der analytischen Richtungen von einem »Äquivalenz-Paradox« ausgehen müssen – zumindest angesichts der heute zur Verfügung stehenden empirischen Forschungsmethoden und deren Resultate –, dann wird die folgende Thematik immer bedeutsamer: Was macht ein Psychoanalytiker wirklich, wenn er sein Vorgehen als psychoanalytisch ausgibt und auch entsprechend als solches erlebt? Welchen Einfluss haben z. B. seine Alltagspsychologie, sein Weltwissen und seine Lebenskunst auf die Behandlung seines Patienten (vgl. Bohleber 2007, Canestri 2006, Gödde & Zirfas 2006, Will 2008)? Dennoch bleibt auch eine Explikation der verschiedenen Orientierungen und Einstellungen – der sog. expliziten Theorien – wichtig, da sie so etwas wie das Selbstverständnis führender Psychoanalytiker ausmachen. Diese Orientierungen stellen zudem generelle Möglichkeiten der Perspektivierung des behandlungspraktischen Vorgehens dar, mit deren Hilfe man sein eigenes methodisches Vorgehen einzuschätzen lernt. Vielleicht sind sie aber auch nur die oberste bewusstseinsmäßige Schicht eines viel komplexeren Beziehungsgeschehens, das jenseits des derzeitigen theoretischen und methodischen Wissensstandes seine eigene Dynamik entfaltet. Deshalb kann auch eine multimethodische und die verschiedenen Perspektiven (behandelnder Psychoanalytiker, Off-line-Forscher, Patient) triangulierende Psychotherapieforschung sehr hilfreich sein, um in das Dunkel der Komplexität von Veränderungsprozessen etwas mehr Licht zu bringen (z. B. Bucci & Maskit 2007, Bucci, Maskit & Hoffman 2012, Freedman et al. 2009). Diese Überlegung führt zu einem letzten Punkt:

Wenn man untersucht, was Psychotherapeuten verschiedener Therapieschulen jenseits ihrer für sich in Anspruch genommenen Identität als kognitiv behaviorale, interpersonelle, psychodynamische oder psychoanalytische Psychotherapeuten tatsächlich tun, kommt man zu erstaunlichen Ergebnissen. Es ist nämlich keineswegs so, dass kognitiv behaviorale Therapeuten nur Anweisungen bzw. Hausaufgaben geben oder festgefahrene kognitive Überzeugungen in Frage stellen; genauso wenig fokussieren Psychoanalytiker überwiegend nur auf Phantasien und Gefühle und geben permanent Übertragungsdeutungen im Hier und Jetzt. Vielmehr kommt in Wirklichkeit ein breites Spektrum keineswegs nur therapieschulengebundener Interventionen zum Einsatz.

Dies lässt sich mittlerweile auch mit Methoden der modernen psychoanalytischen/psychodynamischen Psychotherapieforschung belegen. Mit Hilfe des von Jones (2000) entwickelten Psychotherapieprozess-Q-Sets haben Jones, Ablon und Mitarbeiter Prototypen für jedes der oben genannten Verfahren bestimmt. Damit lässt sich für jede durchgeführte Therapiestunde angeben, wie hoch sie mit dem idealen Prototypen der jeweiligen Therapieschule korreliert.

In einer Weg weisenden Untersuchung einer manualisierten psychodynamischen Kurztherapie für Panikstörungen von Barbara Milrod et al. 1997 (die sich in vorausgegangenen Untersuchungen sowohl der verhaltenstherapeutischen Kurztherapie von Panikstörungen als auch der pharmakologischen Behandlung als gleichwertig und in einer Sechs-Monate-Katamnese als überlegen erwies), gingen Ablon, Levy und Katzenstein (2006) folgendermaßen vor: Zunächst bestimmten sie anhand des Psychotherapieprozess-Q-Sets die Korrelationen mit den idealen Prototypen »kognitiv-verhaltenstherapeutisch«, »psychodynamisch« sowie »interpersonell« und stellten fest, dass diese erfolgreiche psychodynamische Kurztherapie hinsichtlich ihrer am häufigsten eingesetzten Interventionen die größte Nähe zum kognitiv-verhaltenstherapeutischen Prototypen aufwies, was natürlich sehr erstaunlich war, da die psychodynamische Kurztherapie von Milrod entwickelt worden war, um dem verhaltenstherapeutischen Verfahren die Stirn zu bieten. Als Ablon et al. jedoch die Korrelationen zwischen Symptomverbesserung und den einzelnen prototypischen Items berechneten, erwiesen sich die Items der interpersonellen Vorgehensweise, dicht gefolgt von den psychodynamischen Items, als am erfolgreichsten.

Dies ist für die Autoren – abgesehen von dem für die Psychoanalyse letztlich doch wieder beruhigenden Ergebnis – dennoch ein Hinweis darauf, dass die Zukunft der Psychotherapie »jenseits der Markennamen« liegen wird. Was man auch immer von einer einzelnen, empirischen Psychotherapiestudie und von dieser Schlussfolgerung halten mag, so wird auf jeden Fall doch deutlich, dass erst auf der Grundlage einer stärkeren Feinauflösung und differenzierteren Bestimmung dessen, was Psychoanalytiker in ihrer Praxis denn nun wirklich tun, die Auseinandersetzungen über die Überlegenheit bestimmter Theorierichtungen und auch Psychotherapieergebnis- und -prozessforschung sinnvoll werden. Dabei wird die Berücksichtigung unbewusster psychodynamischer Prozesse und nichtbewusster Beziehungsregulierungsvorgänge sicherlich zentral bleiben.

In den folgenden Ausführungen über Erkenntnishaltungen, Methoden und Interventionen, die sich auch als Voraussetzung für die Einschätzung von psychoanalytischen Kompetenzen auffassen lassen (vgl. Tuckett 2005, 2012, Will 2006), werden – soweit es mir sinnvoll erscheint – Methoden der empirischen Psychotherapieforschung zumindest skizzenhaft erwähnt. Denn seit geraumer Zeit existieren gehaltvolle methodische Möglichkeiten, psychoanalytische Prozesse mit diversen Verfahren zu untersuchen. Auch wenn der Aufwand immens ist, so sind viele der in dieser Abhandlung aufgeworfenen Fragen letztlich nur mit Hilfe differenzierter Einzelfallstudien über das konkrete analytische Vorgehen weiter zu klären. Die Explikation der theoretischen Voraussetzungen ist hierfür ein wichtiger Schritt. Denn vor einer empirischen Reduktion sollte die Reflexion über die konzeptuellen und methodischen Grundlagen erfolgen. Und diese Studien können darüber hinaus immer wieder deutlich machen, wie stark psychoanalytische Idealvorstellungen von der praktizierten Wirklichkeit abweichen. Dennoch bleibt der Anspruch aufrechterhalten, dass ein Psychotherapeut in der Bearbeitung unbewusster Probleme seiner Patienten letztlich nur dann erfolgreich sein kann, wenn er seinen eigenen bewussten wie unbewussten Beitrag zur jeweiligen Beziehung reflektieren und einigermaßen gut regulieren kann. Insofern ist dieses psychoanalytische Essential die unverzichtbare Richtschnur, an der sich alle Neuerungen messen lassen sollten.

Und vielleicht kann diese Zusammenstellung verschiedener Erkenntnishaltungen, Methoden und Interventionen auch zu einem flexibleren Umgang mit unseren zeitgenössischen Patienten anregen, auch wenn dabei immer wieder eigene Ängste überwunden werden müssen. »Damit Analytiker innerlich für eine Bandbreite von Möglichkeiten verfügbar bleiben, müssen sie sich besonders in Richtungen offen halten, die ihrem theoretischem Vorverständnis und ihren persönlichen Neigungen eher widerstreben. Es ist kein so großes Problem, in einem psychischen Heimspiel gut zu analysieren. Für konsistent gute Ergebnisse muss man aber auch auswärts gut spielen« (Parsons 2013, S. 118).

2          Psychoanalytische Erkenntnishaltungen und Interventionen

A

Adaptives Handeln fördern

Dies stellt eine grundlegende Vorgehensweise bei Patienten mit gering integrierten Ich-Funktionen in bestimmten Erlebens- und Handlungsbereichen dar. Ausgehend von einer interpersonellen Orientierung liegt der Schwerpunkt therapeutischen Handelns hierbei in der Klarifizierung und Konfrontation mit eingeschränkten oder schlecht angepassten (maladaptiven) Reaktionen des Patienten in zwischenmenschlichen Beziehungen, wie z. B. in Partnerschaft und beruflichen Beziehungen. Die Einschränkung des adaptiven Handelns bei einem Patienten hat seinen Ursprung oftmals bereits in pathologischen Passungserfahrungen im präverbalen Bereich der Mutter-Kind-Interaktion und erfordert dann jenseits sprachlicher Interventionen ein affektives Eingestimmtsein auf früh gestörte Beziehungserfahrungen, die offensichtlich immer noch mehr oder weniger wirksam sind ( Entwicklungstheroetische Orientierung, Implizites Beziehungswissen).

Jahrelang hatte »Anpassung« hierzulande die Konnotation von Mitläufertum, Unterwerfung; die Hartmann’sche Ichpsychologie wurde wegen ihrer metapsychologischen Betonung der Anpassung an die Umwelt heftig kritisiert ( Ichpsychologische Orientierung). Aus heutiger Sicht sind aber die erstaunlichen Anpassungsleistungen von kleinen Kindern ein Forschungsschwerpunkt der Säuglings- und Kleinkindforschung. Sie ermöglichen überhaupt erst Prozesse der affektiven Kommunikation, der geteilten Aufmerksamkeit u. a. m. und sind Ausgangspunkt einer wirkmächtigen Selbstentwicklung. Erst missglückte Affektabstimmungsprozesse führen zu maladaptiven interpersonellen Einstellungen und Handlungsmustern.

In der Analytiker-Patient-Beziehung gilt es, permanent auf beeinträchtigte Anpassungsprozesse zu achten – wie z. B. auf ein Reden ohne Punkt und Komma, was nicht mit freier Assoziation des Patienten verwechselt werden darf –, in dem frühe Beeinträchtigungen der Selbst- und Fremdregulierung zum Ausdruck kommen können, Angst vor dem Überwältigtwerden, aber auch ein eher hysterisch phallisch zu begreifendes Imponiergehabe ( Widerstand).

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