49,99 €
Die wichtigsten Psychopharmaka im Pocketformat
Praxisorientiert und gut verständlich erhalten Sie einen Überblick über die wichtigsten Psychopharmaka. Geeignete Präparate werden mit Indikation, Dosierung, Pharmakologie, Nebenwirkungen und Praxistipps des Autors vorgestellt.
Wichtige Aspekte:
- Depressionen, Angststörungen und Psychosen
- psychoaktive Genussmittel und Drogen
- medikamentöse Therapiemöglichkeiten in der Entzugsbehandlung
- Behandlung in der Gerontopsychiatrie
- Psychopharmaka in der Schwangerschaft
- psychiatrische Notfälle
- Wechselwirkungen von Medikamenten
Ihr Nachschlagewerk für den Arbeitsalltag
Viele Fallbeispiele veranschaulichen die Therapiesituationen. Stolperfallen und besondere Behandlungsweisen sind hervorgehoben.
Alle Kapitel dieser Neuauflage wurden aktualisiert und an den Stand der Forschung angepasst. Außerdem:
- neue Kapitel zu: Escitalopram, Risperidon, Depotneuroleptika, Akathisie, Lithium, und Schlafmittel
- erweitert um Kapitel zu: Johanniskrautextrakt, Desvenlafaxin, Bupropion und Acamprosat
Jederzeit zugreifen: Der Inhalt des Buches steht Ihnen ohne weitere Kosten digital in der Wissensplattform eRef zur Verfügung (Zugangscode im Buch). Mit der kostenlosen eRef App haben Sie zahlreiche Inhalte auch offline immer griffbereit.
Das E-Book können Sie in Legimi-Apps oder einer beliebigen App lesen, die das folgende Format unterstützen:
Seitenzahl: 382
Veröffentlichungsjahr: 2024
Jan Dreher, Verena Lucas
6., aktualisierte und erweiterte Auflage
22 Abbildungen
Das Gebiet der psychoaktiven Substanzen, also der Psychopharmaka, der psychoaktiven Genussmittel und der Drogen, ist mittlerweile ein Dschungel. Es gibt eine unüberschaubare Anzahl an einzelnen Substanzen, die scheinbar alle unterschiedlich sind. Sie verursachen eine Fülle an erwünschten und unerwünschten psychischen Wirkungen. Bei einigen Substanzen oder bestimmten Kombinationen lauern auch ernsthafte Gefahren.
Ich möchte Ihnen anbieten, Ihre ersten Exkursionen in den Dschungel der Psychopharmakotherapie als Ihr Reiseführer zu begleiten. In diesem Buch erkläre ich Ihnen, wie Sie sich selbstständig im Gebiet der Psychopharmaka orientieren, beschreibe die wichtigsten Vertreter der verschiedenen Spezies, die Sie auf Ihrem Weg vermutlich antreffen werden, und gebe Ihnen auch meine ganz persönliche Beurteilung mit auf den Weg.
Aufgrund meiner langjährigen Erfahrung in der psychiatrischen Aus- und Weiterbildung sowie meiner Arbeit als klinisch tätiger Psychiater habe ich einen Reiseplan entwickelt, der Ihnen Schritt für Schritt die wichtigsten Kenntnisse im Umgang mit Psychopharmaka näher bringt. Aufgrund der besonderen Bedeutung im psychiatrischen Alltag sind in diesem auch die wichtigsten psychoaktiven Genussmittel und Drogen sowie die Behandlung der damit verbundenen Krankheiten enthalten.
Die Psychopharmakologie entwickelt sich ständig weiter, deshalb habe ich auch in dieser Auflage mit dem Johanniskrautextrakt, Bupropion und Desvenlafaxin wieder neue Substanzen aufgenommen, habe alle Texte aktualisiert und an den neuesten Stand der Forschung angepasst.
Ich freue mich über Feedback zu diesem Buch zu den vorgestellten Darstellungen und Einschätzungen, die Sie mir gerne an [email protected] mailen können. Ich wünsche Ihnen viel Spaß bei der Erkundung des Dschungels der Psychopharmakotherapie!
Krefeld, im November 2023
Jan Dreher
Titelei
Vorwort zur 6. Auflage
1 Einleitung
2 Psychopharmaka im Überblick
2.1 Wahl des Psychopharmakons
2.2 Wirkung der Neurotransmitter
2.3 Verordnungshäufigkeit der Psychopharmaka
2.4 Literatur
3 Antidepressiva
3.1 Einteilung
3.2 Geschichte
3.3 Wirkprinzipien
3.4 Therapie
3.4.1 Depression
3.4.2 Angststörungen
3.4.3 Zwangserkrankungen
3.4.4 Somatoforme Störungen
3.5 Wirkstoffklassen
3.5.1 SSRI
3.5.2 SSNRI
3.5.3 NARI
3.5.4 Tri- und tetrazyklische Antidepressiva
3.5.5 MAO-Hemmer
3.6 Wirkstoffe
3.6.1 Escitalopram und Citalopram
3.6.2 Sertralin
3.6.3 Venlafaxin
3.6.4 Desvenlafaxin
3.6.5 Duloxetin
3.6.6 Milnacipran
3.6.7 Mirtazapin
3.6.8 Bupropion
3.6.9 Agomelatin
3.6.10 Amitriptylin
3.6.11 Moclobemid
3.6.12 Johanniskrautextrakt
3.7 Nebenwirkungen
3.7.1 Serotoninsyndrom
3.7.2 Antidepressiva und Suizidalität
3.7.3 Absetzerscheinungen
3.7.4 PSSD (Post-SSRI Sexual Dysfunction)
3.8 Antidepressiva Äquivalenzdosierungen
3.9 Welches Antidepressivum gebe ich wem?
3.10 Literatur
3.11 Weiterführende Literatur
4 Neuroleptika
4.1 Einteilung
4.1.1 Neuroleptische Potenz
4.1.2 Unterschiedliche Nebenwirkungen
4.2 Geschichte
4.3 Antipsychotika
4.3.1 Wirkprinzipien
4.3.2 Rezeptorbindungsprofile der Neuroleptika
4.3.3 Antipsychotische Therapien
4.3.4 Exkurs: Die CATIE-Studie
4.3.5 Intrinsische dopaminerge Aktivität
4.3.6 Wirkstoffe
4.3.7 Depotneuroleptika
4.3.8 Welches Antipsychotikum gebe ich wem?
4.3.9 Antipsychotika Äquivalenzdosierungen
4.4 Sedativa
4.4.1 Promethazin
4.4.2 Opipramol
4.5 Antihyperkinetika
4.5.1 Tiaprid
4.6 Neben- und Wechselwirkungen
4.6.1 Extrapyramidalmotorische Störungen (EPMS)
4.6.2 Akathisie oder „dauernde Bewegungsunruhe“
4.6.3 Metabolisches Syndrom
4.6.4 Agranulozytose
4.6.5 QTc-Zeit-Verlängerung
4.6.6 Thromboserisiko
4.7 Literatur
4.8 Weiterführende Literatur
5 Phasenprophylaktika
5.1 Phasenprophylaxe
5.2 Therapie
5.2.1 Manische Episode
5.2.2 Depressive Episode
5.3 Wirkstoffe
5.3.1 Lithium
5.3.2 Carbamazepin
5.3.3 Valproat
5.3.4 Lamotrigin
5.4 Literatur
5.5 Weiterführende Literatur
6 Anxiolytika
6.1 Neuroleptanxiolyse
6.2 Benzodiazepine
6.2.1 Äquivalenzdosierungen
6.2.2 Nebenwirkungen
6.2.3 Wirkstoffe
6.3 Literatur
7 Schlafmittel
7.1 Eskalationsplan Schlafstörungen
7.2 Gute Schlafhygiene
7.3 Pflanzliche Schlafmittel
7.4 Melatonin
7.5 Antihistaminika
7.5.1 Doxylamin
7.6 Antidepressiva
7.6.1 Trimipramin
7.7 Niederpotente Neuroleptika
7.8 Z-Substanzen
7.8.1 Zopiclon
7.8.2 Zolpidem
7.9 Benzodiazepine
7.9.1 Oxazepam
8 ADHS-Therapeutika
8.1 Atomoxetin
8.1.1 Pharmakologie
8.1.2 Klinischer Einsatz
8.1.3 Nebenwirkungen
8.1.4 Mein persönliches Fazit
8.2 Methylphenidat
8.2.1 Pharmakologie
8.2.2 Klinischer Einsatz
8.2.3 Nebenwirkungen
8.2.4 Mein persönliches Fazit
8.3 Literatur
8.4 Weiterführende Literatur
9 Genussmittel
9.1 Alkohol
9.1.1 Pharmakologie
9.1.2 Wechselwirkungen
9.1.3 Alkoholentzugsbehandlung
9.1.4 Acamprosat
9.2 Nikotin
9.2.1 Pharmakologie
9.2.2 Abhängigkeit
9.2.3 Nikotinentwöhnung
9.3 Koffein
9.3.1 Pharmakologie
9.3.2 Klinischer Einsatz
9.3.3 Entzugserscheinungen
9.4 Literatur
9.5 Weiterführende Literatur
10 Schmerztherapie
10.1 Überblick
10.2 Akute versus chronische Schmerzen
10.3 Akute Schmerzen
10.3.1 Die Schmerzleiter bei akuten somatischen Schmerzen
10.4 Chronische Schmerzen
10.4.1 Multimodale Schmerztherapie bei chronischen Schmerzen
10.5 Nicht-Opioid-Schmerzmittel
10.5.1 Klassische nichtsteroidale Antirheumatika (NSAR)
10.5.2 Coxibe
10.5.3 Andere Nicht-Opioid-Schmerzmittel
10.5.4 Opioid-Schmerzmittel
10.5.5 Opioid-Umrechnungstabelle
10.5.6 Andere Medikamente in der Schmerztherapie
10.6 Literatur
10.7 Weiterführende Literatur
11 Illegale Drogen
11.1 Heroin
11.1.1 Pharmakologie
11.1.2 Opiatsubstitution
11.1.3 Opiatentzugsbehandlung
11.1.4 Beikonsum-Entzugsbehandlung
11.1.5 Dosisfindung zu Beginn einer Substitution
11.1.6 Kurzfristige Substitution
11.2 Kokain
11.2.1 Pharmakologie
11.3 Amphetamine
11.3.1 Geschichte
11.3.2 Illegale Synthese
11.3.3 Pharmakologie
11.3.4 Verwendung als Droge
11.4 Cannabis
11.4.1 Pharmakologie
11.4.2 Klinischer Einsatz
11.4.3 Illegaler Konsum
11.4.4 Unerwünschte Wirkungen
11.5 Gamma-Hydroxybuttersäure
11.5.1 Pharmakologie
11.5.2 Klinischer Einsatz
11.5.3 Illegaler Konsum
11.6 Literatur
11.7 Weiterführende Literatur
12 Gerontopsychiatrie
12.1 Wasser
12.2 Eindosierung von Medikamenten
12.3 Antidementiva
12.3.1 Einteilung
12.3.2 Wirkprinzipien
12.3.3 Therapie
12.3.4 Wirkstoffe
12.4 Literatur
13 Notfälle
13.1 Pharmakotherapie des Erregungszustandes
13.1.1 Agitation durch Drogenintoxikation
13.1.2 Agitation im Rahmen eines Delirs
13.1.3 Agitation im Rahmen eines Alkoholrausches
13.1.4 Der psychotische Erregungszustand
13.1.5 Agitation unklarer Ursache
13.2 Suizidalität
13.3 Literatur
14 Psychopharmaka und Schwangerschaft
14.1 Weiterführende Literatur
15 Medikamentenwechselwirkungen
15.1 Pharmakokinetische Wechselwirkungen
15.1.1 Beschleunigter Abbau eines Medikaments durch ein anderes Medikament
15.1.2 Verlangsamter Abbau eines Medikaments durch ein anderes Medikament
15.2 Pharmakodynamische Wechselwirkungen
15.2.1 Sich gegenseitig verstärkende Wirkungen zweier Medikamente
15.2.2 Sich gegenseitig abschwächende pharmakodynamische Wechselwirkungen
15.2.3 Andere pharmakodynamische Wechselwirkungen
15.3 Mein persönliches Fazit
15.4 Weiterführende Literatur
16 Therapeutisches Drug Monitoring
16.1 Medikamentenspiegel
16.1.1 In welchen Situationen bestimmen?
16.1.2 Zu welchem Zeitpunkt?
16.1.3 Daumenregel
16.2 Expertenempfehlung zum therapeutischen Drug Monitoring
16.3 Therapeutische Referenzbereiche der wichtigsten Medikamente
16.4 Weiterführende Literatur
17 Sinnvolle Kontrolluntersuchungen
18 Glossar
Anschriften
Sachverzeichnis
Impressum/Access Code
Was ist Psychopharmakologie? Eine Tasse Kaffee am Morgen, eine Tablette gegen Depressionen nach dem Frühstück, eine Zigarette an der Bushaltestelle, ein Glas Wein am Abend, ein Schlafmittel: Die meisten von uns nehmen immer mal wieder Substanzen ein, die eine direkte oder indirekte Wirkung auf das Gehirn haben. Dabei setzen wir diese Substanzen oft gezielt ein, um den gewünschten Effekt zu erreichen. Der Kaffee soll uns wach machen, der Wein entspannen, das Schlafmittel müde machen.
Die Psychopharmakologie beschäftigt sich mit Medikamenten, Genussmitteln und Drogen. Alle 3 Wirkstoffgruppen haben eine Wirkung auf das Gehirn, auf die Psyche. Die Wirkung ist zumeist steuerbar, planbar, lenkbar, beschreibbar.
In der Behandlung psychiatrischer Erkrankungen wollen wir mit den eingesetzten Psychopharmaka ganz gezielt eine bestimmte Wirkung auf das Gehirn entfalten, um so Krankheitsbeschwerden zu lindern oder Krankheiten zu besiegen.
In diesem Buch beschreibe ich zunächst die psychiatrischen Medikamente, da sie den Schwerpunkt bilden.
Danach beschreibe ich die wichtigsten Genussmittel (Alkohol, Nikotin, Koffein) nach pharmakologischen Gesichtspunkten und beschreibe jeweils die Möglichkeiten der medikamentösen Unterstützung von Entzugsbehandlungen bei Abhängigkeit von diesen Genussmitteln.
Es folgt eine Darstellung der häufigsten Drogen, die in psychiatrischen Behandlungen eine Rolle spielen. Der Konsum bestimmter Drogen geht regelmäßig mit bestimmten psychiatrischen Störungen einher, die man besser verstehen kann, wenn man die Pharmakologie dieser Substanzen kennt.
Schließlich erläutere ich in einem neuen Kapitel die für psychiatrische Behandlungen relevanten Konzepte der Schmerztherapie und erkläre die wichtigsten Schmerzmittel, sowohl die Nicht-Opioide als auch die Opioide. Abgeschlossen wird das Buch mit speziellen Kapiteln zu den Themen Gerontopsychiatrie, psychiatrische Notfälle, Medikamente in der Schwangerschaft, Medikamentenwechselwirkungen und sinnvollen Kontrolluntersuchungen.
Einzelne Medikamente. Ich teile die Psychopharmaka in 5 Hauptgruppen ein, die die 5 hauptsächlichen Wirkungen psychiatrischer Medikamente abbilden: antidepressiv, antipsychotisch, phasenprophylaktisch, angstlösend und beruhigend.
Nachdem ich Ihnen einen Überblick über die jeweiligen Gruppen vermittelt habe, unterteile ich die Gruppen in sinnvolle Untergruppen. Die Untergruppen der Antidepressiva sind z. B. die SSRI, SSNRI, Trizyklika und MAO-Hemmer. Dann stelle ich Ihnen jeweils einige typische und prominente Vertreter dieser Untergruppen vor. Dabei erkläre ich Ihnen, wie ich das jeweilige Präparat verschreibe, welche Erfahrungen ich damit gemacht habe und wie ich es bewerte. Wenn Sie sich mit einem Präparat einer Untergruppe auskennen, können Sie üblicherweise daraus auf die anderen Präparate dieser Untergruppe schließen. Ich selbst glaube, dass 2 unterschiedliche Präparate einer Untergruppe weit weniger Unterschiede aufweisen, als man in vielen Fällen annimmt.
In der Psychopharmakologie ist es besser, einige wenige Substanzen zu kennen, diese aber richtig. Sammeln Sie zunächst mit einigen Standardpräparaten Erfahrungen. Im 2. Schritt können Sie Ihr Spektrum erweitern. Die Auswahl der hier vorgestellten Präparate ist dazu geeignet, sich zunächst auf diese grundlegenden Substanzen zu konzentrieren, um später weitere kennenzulernen.
Ich möchte explizit darauf hinweisen, dass sowohl die Auswahl als auch die Wertung der Medikamente aus meiner persönlichen Erfahrung erfolgten. Jeder Leser muss sich selbst ein Bild von den verschiedenen Substanzen sowie ihren Stärken und Schwächen machen. Ich hoffe aber, Ihnen mit meinen sehr persönlichen Einschätzungen einen Startpunkt und wesentliche Anhaltspunkte für Ihre Überlegungen zu geben.
Zielgruppe: Dieses Buch richtet sich an angehende Psychiater, angehende Psychologische Psychotherapeuten, Hausärzte, Internisten, Krankenpflegepersonal, Betreuer, Angehörige und Patienten.
Für angehende Psychiater stellt es alle relevanten Informationen zusammen, um sich im Dickicht der verschiedenen Präparate zu orientieren und einen eigenen Weg zu finden, selbst pharmakopsychiatrisch zu behandeln.
Dieses Buch ist ein einführendes, praxisorientiertes Lehrbuch. Es unterscheidet sich von vielen anderen verfügbaren Lehrbuchwerken über Psychopharmakologie dadurch, dass es bewusst auf Vollständigkeit und weitgehend auf theoretische Fundierungen verzichtet. Es konzentriert sich ganz auf das praktische, alltagsrelevante Wissen, das erforderlich ist, um medikamentöse Behandlungen psychischer Erkrankungen zu verstehen und selbst durchzuführen. Es richtet sich auch an Allgemeinärzte, Internisten, Krankenhausärzte und alle anderen Ärzte, die sich etwas besser mit Psychopharmaka auskennen wollen. Psychopharmaka gehören zu den am häufigsten verordneten Medikamenten überhaupt; angeführt von den breit eingesetzten Antidepressiva, gefolgt von Schlafmitteln und Beruhigungsmitteln. Indikationen, Wirkungen, Nebenwirkungen und Wechselwirkungen dieser häufig verordneten Substanzen sind für alle Ärzte relevant.
Weiterhin soll es als Orientierungshilfe dienen für angehende Psychologische Psychotherapeuten, Sozialarbeiter, Krankenpflegemitarbeiter, Betreuer und alle in der Psychiatrie Tätigen. Wenn Sie Ihren 1. Tag auf einer psychiatrischen Station beginnen und in den Medikamentenschrank schauen, werden Sie nach der Lektüre dieses Buches viele Präparate bereits kennen, andere können Sie schnell in Ihnen bekannte Medikamentengruppen einordnen.
Und schließlich eignet sich dieses Buch – zumindest zu weiten Teilen – auch für Patienten, Angehörige und alle anderen Interessierten, die etwas tiefer in die Materie einsteigen wollen. Die Kenntnis der ärztlichen Verschreibungspraxis kann Ihnen helfen, sich ein sehr viel differenzierteres Bild der verschiedenen Präparate, ihrer besonderen Anwendungsgebiete, aber auch ihrer häufigen Nebenwirkungen und Gefahren zu machen.
Und nun: Viel Spaß! Über Anregungen und Hinweise freue ich mich sehr, mailen Sie mir einfach an [email protected].
Antidepressiva sind die am häufigsten verordneten Psychopharmaka ( ▶ Tab. 3.1 ). Sie wirken mit einer Latenz von 2–6 Wochen gegen depressive Symptome. Die stärkste Wirkung zeigen Antidepressiva bei sehr schweren Depressionen und bei Depressionen, die früher als endogen klassifiziert worden sind; also Depressionen, die nicht hauptsächlich Folge akut belastender Lebensumstände sind.
Antidepressiva wirken auch gegen Angst- und Zwangserkrankungen, allerdings später und es bedarf oft einer höheren Dosis.
Tab. 3.1
Einteilung der Antidepressiva.
Wirkstoffklasse
Abkürzung
Wirkstoffe (Beispiele)
selektive Serotonin-Wiederaufnahmehemmer
SSRI
Citalopram, Escitalopram, Sertralin
selektive Serotonin- und Noradrenalin-Wiederaufnahmehemmer
SSNRI
Venlafaxin, Duloxetin, Milnacipran, Desvenlafaxin
selektiver Noradrenalin und Dopamin Reuptake Inhibitor
SNDRI
Bupropion
Monoaminoxidasehemmer
MAO-Hemmer
Moclobemid
Tri- und tetrazyklische Antidepressiva
Amitriptylin, Maprotilin
Melatoninagonisten
Agomelatin
Die ersten Antidepressiva, die in der Medizin Verwendung fanden, sind heute unter den Namen trizyklische Antidepressiva bekannt. Ein prominenter, noch heute sehr häufig verschriebener Vertreter ist das Amitriptylin. Es wirkt in hohen Dosen antidepressiv, hat aber bereits im mittleren Dosisbereich oft deutliche Nebenwirkungen wie Mundtrockenheit oder Müdigkeit.
Später übernahmen die ersten SSRI (s. Kap. ▶ 18 Glossar), „selective serotonin reuptake inhibitor“, ▶ selektive Serotonin-Wiederaufnahmehemmer die Fahne. Der heute am häufigsten verordnete SSRI ist Citalopram.
Die SSNRI (s. Kap. ▶ 18 Glossar), ▶ selektive Serotonin- und Noradrenalin-Wiederaufnahmehemmer stellen gewissermaßen eine Erweiterung des Wirkspektrums dar.
MAO-Hemmer nahmen früher einen kleineren, aber relevanten Anteil an den Verschreibungen ein, inzwischen werden sie aufgrund ihrer schweren Nebenwirkungen nur noch eingesetzt, wenn alle anderen Wirkstoffe erfolglos sind.
Serotonin ist ein insbesondere im limbischen System vorkommender Neurotransmitter. Es hat sich gezeigt, dass Depressionen schneller abklingen, wenn die Konzentration von Serotonin im synaptischen Spalt zunimmt. SSRI funktionieren wie folgt: Normalerweise werden in der „feuernden“ Nervenzelle, dem präsynaptischen Neuron, kleine Bläschen (Vesikel) mit Serotonin freigesetzt. Das freigesetzte Serotonin gelangt so in den synaptischen Spalt. Dort aktiviert es Serotoninrezeptoren am 2. Neuron, dem postsynaptischen Neuron. Damit wird das Signal übertragen.
Ein Teil des Serotonins wird im synaptischen Spalt durch die Monoaminoxidasen (MAO) zu einer wirkungslosen Aminosäure abgebaut. Oder es wird vom präsynaptischen Neuron recycelt, das Serotoninmoleküle wieder in sich aufnimmt, um sie erneut in Vesikeln zwischenzulagern. Für diese Wiederaufnahme hat die präsynaptische Zelle Transportproteine. SSRI hemmen diese Transportproteine. Dies führt dazu, dass Serotonin länger im synaptischen Spalt bleibt und damit länger die Chance hat, einen Serotoninrezeptor an der postsynaptischen Zelle zu aktivieren. Die Serotoninkonzentration im synaptischen Spalt steigt also, die Wirkung des Serotonins nimmt zu ( ▶ Abb. 3.1).
Wirkweise der SSRI.
Abb. 3.1
Die Wirkung der Antidepressiva besteht nicht ausschließlich in der Erhöhung der Serotoninkonzentration im synaptischen Spalt. Diese tritt innerhalb weniger Stunden nach Einnahme der Tablette ein. Die depressiven Symptome klingen allerdings frühestens einige Wochen nach Beginn der Therapie ab. Dies zeigt, dass es weitere von der Erhöhung der Serotoninkonzentration angestoßene Mechanismen geben muss, die die eigentliche Wirkung vermitteln. Bekannt ist, dass sog. „second messenger“ und „third messenger“ intrazellulär eine veränderte Übersetzung bestimmter Gene veranlassen. Es ist auch nachgewiesen, dass Antidepressiva die Neuentstehung von Synapsen modulieren. Die gesamte Kette der Wirkung der Antidepressiva ist aber letztlich noch nicht aufgeklärt.
Behandlung der Depression
Herstellung eines Vertrauensverhältnisses
Diagnostik: körperliche Untersuchung, ausführliche Blutuntersuchungen, EKG; bei ungewöhnlichen Konstellationen: cCT oder cMRT (s. Kap. ▶ 18 Glossar)
diagnostische Einordnung (Unipolare oder Bipolare Störung?)
Entscheidung über ein Antidepressivum
Entscheidung über ein Phasenprophylaktikum
Entscheidung über ein Anxiolytikum
Psychoedukation
Psychotherapie
Die Behandlung einer depressiven Episode erfordert zunächst eine sorgfältige Diagnostik. Diese beginnt mit einer gründlichen körperlichen Untersuchung, einer ausführlichen Blutuntersuchung einschließlich der Schilddrüsenwerte, des Eisenspiegels sowie der Entzündungszeichen. An apparativen Untersuchungen ist in jedem Fall ein EKG erforderlich, bei ungewöhnlichen Verläufen auch eine cCT oder cMRT. Je nach Situation können weitere Untersuchungen notwendig sein.
Diese Untersuchungen dienen vorwiegend dem Ausschluss einer körperlichen Erkrankung, die die depressive Symptomatik verursachen könnte. Die psychiatrische Diagnostik im engeren Sinne stützt sich auf die Erhebung der Anamnese und den psychischen Befund. Für die Behandlung einer Depression macht es einen großen Unterschied, ob es sich um eine klassische depressive Episode handelt, die quasi aus heiterem Himmel kommt und früher als Endogene Depression bezeichnet wurde, oder vorwiegend um eine nachvollziehbare Erlebnisreaktion, z. B. auf ein schwerwiegendes Lebensereignis. In der ICD-10 werden beide Krankheiten nicht unterschieden.
Endogene Depressionen sprechen in der Regel besser auf eine medikamentöse Therapie an. Bei Reaktiven Depressionen ist typischerweise eine Psychotherapie wirksamer, ggf. in Kombination mit einem moderat dosierten Antidepressivum.
Wichtig ist auch die Unterscheidung zwischen Bipolarer und Unipolarer Depression. Sie ist ganz einfach: Patienten mit einer Bipolaren Störung hatten mindestens eine unzweifelhafte manische oder hypomane Episode in der Vorgeschichte. Hierbei sind ganz leichte hypomane Nachschwankungen direkt im Anschluss an eine lange und schwere Depression ebenso wenig zu zählen wie medikamenteninduzierte Manien oder Hypomanien. Patienten mit einer Bipolaren Störung profitieren von einem Phasenprophylaktikum, wie Lithium oder Valproat. Patienten mit einer reinen Unipolaren Depression brauchen dies in der Regel nicht. Sie können allerdings im Einzelfall, wenn die ersten Behandlungsschritte nicht ausreichend wirksam waren, von einer Augmentation (s. Kap. ▶ 18 Glossar) mit Lithium profitieren.
Wenn sich 4 Wochen nach Beginn der Behandlung noch keine Besserung zeigt, sollte man über einen Wechsel des Antidepressivums nachdenken.
Behandlungsverlauf bei Gabe von Antidepressiva
In den ersten 2 Wochen verspürt der Patient im Wesentlichen die Nebenwirkungen des Antidepressivums, eine erwünschte Wirkung ist oft noch nicht erkennbar.
In der 3. und 4. Woche wird oft eine innere Unruhe im Sinne einer unangenehmen Getriebenheit beschrieben. Diese ist schwer aushaltbar, ist aber in aller Regel ein verlässlicher Vorbote der dann kommenden Genesung. Besonders in dieser Phase können verstärkt suizidale Gedanken auftreten, die eine sorgfältige Beurteilung erforderlich machen.
Die für den Patienten auch subjektiv erkennbare Stimmungsverbesserung zeigt sich häufig erst in der 3.–6. Woche.
Fallbeispiel
Antidepressive Therapie bei Reaktiver Depression
Frau R., eine 32-jährige Mutter von 2 kleinen Kindern, wurde nach zunehmenden Streitigkeiten von ihrem Ehemann verlassen und muss sich nun überwiegend selbst um die Versorgung der Kinder kümmern. Da sie die Kinder pünktlich aus dem Kindergarten abholen muss, kann sie keine Überstunden machen. Ihr Chef setzt sie diesbezüglich aber unter Druck. Sie entwickelt eine zunehmende Erschöpfungsdepression und ausgeprägte Schlafstörungen.
In diesem Fall stehen Psychotherapie und eine umsichtige Anpassung der Lebenssituation – vielleicht mit einer stärkeren Unterstützung von Dritten und einer verlässlicheren Beteiligung des geschiedenen Ehemannes an der Versorgung der Kinder – ganz im Vordergrund. Das Verordnen eines Antidepressivums löst hier keine Probleme. Allerdings kann die Gabe eines moderat dosierten sedierenden Antidepressivums zur Nacht – z. B. Mirtazapin 0–0–0–15 mg – zu einer Verbesserung des Schlafes führen und die Genesung von der depressiven Episode unterstützen. Man sollte der Patientin aber nicht den Eindruck vermitteln, sie müsse nur auf die Wirkung der Medikamente warten, dann werde schon wieder alles besser.
Im Jahr 2008 veröffentlichte der jetzt an der Harvard-Universität als Dozent tätige Psychologe Irving Kirsch eine richtungsweisende Metaanalyse zur Wirkstärke von Antidepressiva in Abhängigkeit von der Schwere der Depressionssymptomatik ▶ [11]. Sein Ergebnis war, dass Antidepressiva bei leichten und mittelschweren Depressionen keine dem Plazebo signifikant überlegene Wirkstärke haben. Erst bei schweren Depressionen zeigte sich eine signifikante Überlegenheit der Antidepressiva gegenüber Plazebo. Methodik und Implikationen dieser Veröffentlichung sorgten und sorgen bis heute für eine kontroverse Diskussion über den tatsächlichen Nutzen antidepressiver Medikamente bei leichten und mittelschweren Depressionen. Ich empfehle jedem Leser, die Kirsch-Studie einmal im Original zu lesen, um sich ein eigenes Urteil zu bilden. Aktuelle Leitlinien nehmen diese Forschungsergebnisse auf, indem sie bei leichten und eher reaktiv ausgelösten Depressionen in erster Linie Psychotherapie empfehlen ▶ [12].
Fallbeispiel
Antidepressive Therapie bei Endogener Depression
Die 52-jährige verheiratete Bürokauffrau Frau N. berichtet über die 4. depressive Episode im Rahmen ihrer seit 10 Jahren bestehenden rezidivierenden Depression. Seit 4 Wochen sei sie ohne erkennbaren äußeren Anlass wieder antriebslos, traurig gestimmt, habe Schlafstörungen und kaum Appetit. Bei früheren depressiven Episoden habe Citalopram nicht gewirkt, aber Venlafaxin in einer Dosierung von 225 mg habe ihr bei den letzten beiden Episoden gut geholfen. Dies habe sie allerdings vor 6 Monaten abgesetzt.
Die Patientin erhält wieder Venlafaxin, die Dosis wird schrittweise auf 225 mg gesteigert. Zur Nacht werden 7,5 mg Mirtazapin ergänzt, um der Schlafstörung zu begegnen.
Behandlung der Angststörungen
Therapie der 1. Wahl sind SSNRI wie Venlafaxin in einer eher höheren Dosis, (z. B. 150–225 mg/Tag).
Alternativ (etwa bei schlechter Verträglichkeit des SSNRI) können auch SSRI eingesetzt werden (z. B. Citalopram 40 mg/Tag). Für die Indikation Angststörungen hat Citalopram allerdings keine Zulassung.
Benzodiazepine sollten nur eingesetzt werden, wenn die Beschwerdeintensität dies unverkennbar erforderlich macht. Die Dosis sollte von Anfang an so knapp wie möglich gehalten werden, die Gabe sollte so kurz wie möglich andauern. Die Gefahr der Entwicklung einer Benzodiazepinabhängigkeit ist bei Patienten mit einer Angststörung äußerst hoch!
Angststörungen sind gut behandelbare Krankheiten. Sowohl Psychotherapie als auch Pharmakotherapie bewirken deutliche Verbesserungen bei einer großen Anzahl der Patienten. Die Kombination aus Psychotherapie und Pharmakotherapie bewirkt dabei insgesamt die besten Ergebnisse (siehe dazu auch die S3-Leitlinie „Angststörungen“ ▶ [13]).
Psychopharmakologisch besteht die Therapie der Wahl in einer höher dosierten Gabe eines SSNRI oder SSRI.
Im 1. Schritt wird häufig Venlafaxin verordnet, das eine Zulassung für die generalisierte Angststörung hat. Die Zieldosis sollte bei 150–225 mg/Tag liegen. Patienten, die zuvor unter Panikanfällen gelitten haben, verlieren diese oft unter der medikamentösen Behandlung innerhalb von 2–4 Wochen. Es dauert oft 6–10 Wochen, bis die Angstsymptomatik insgesamt deutlich und auch subjektiv erkennbar abnimmt.
Alternativ zu den SSNRI ist auch die Gabe eines SSRI eine häufig gewählte Medikation, die vielfach ebenso wirksam ist. Typischerweise wird Citalopram in einer Dosis von bis zu 40 mg/Tag verordnet.
Pregabalin ist ein Antiepileptikum, das seit 2004 auch zur Behandlung der generalisierten Angststörung zugelassen ist. Die Erfahrungen mit der Wirksamkeit dieser Substanz bei generalisierten Angststörungen sind unterschiedlich. Man kann es in dieser Indikation als Monotherapie einsetzen; häufiger wird ein Versuch zur Augmentation mit Pregabalin unternommen.
Zusätzlich zu der ursächlich wirksamen Therapie mit SSNRI oder SSRI können zu Beginn der Behandlung auch Benzodiazepine eingesetzt werden.
Benzodiazepine haben den Vorteil, sofort das Ausmaß der Angst erheblich zu reduzieren und auch die Panikattacken oft sofort vollständig oder weitgehend verschwinden zu lassen. Ein nicht zu unterschätzender Nachteil dieser starken Wirksamkeit ist die sehr hohe Gefahr der Entwicklung einer Abhängigkeit ( ▶ Tab. 3.2 ). Insbesondere besteht die Gefahr, dass die Patienten in Zukunft immer wieder nach dem Benzodiazepin verlangen und nicht mehr vom „steinigen Weg“ einer Psychotherapie in Kombination mit einem SSNRI zu überzeugen sind.
Vorsicht
Während der Behandlung mit einem Benzodiazepin sind die klassischen Psychotherapieverfahren zum Abbau der Angst, wie systematische Desensibilisierung oder Flooding, nicht möglich.
Die Patienten bauen unter der Wirkung von Benzodiazepinen keine ausreichende Angstreaktion auf, sodass es nicht zu einer Habituation kommen kann.
Tab. 3.2
Verlauf der medikamentösen Therapie von Angststörungen. Benzodiazepine sollten zum richtigen Zeitpunkt wieder ausgeschlichen werden.
Zeit der Einnahme
Antidepressiva
Benzodiazepine
1. Woche
Nebenwirkungen
Angst lässt stark nach
2.-4. Woche
weniger Panikattacken
Angst lässt nach
5.-6. Woche
Angst wird etwas weniger
Absetzen wird unangenehm
7.-12. Woche
Angst wird weniger
beginnende Abhängigkeit
13.-16. Woche
Angst wird deutlich weniger
Abhängigkeit
Daher ist es bei Angststörungen ganz besonders wichtig, sich an die Regel zu halten, Benzodiazepine nur nach sorgfältiger Abwägung des Nutzens und der Risiken und nur für kurze Zeit zu geben. Die Dosis sollte von Anfang an so knapp wie möglich gehalten werden.
Fallbeispiel
Angststörung
Die 28-jährige Jurastudentin Frau B. berichtet, immer schon eine sehr besorgte Person gewesen zu sein. Seit 4 Wochen habe jedoch die Angst ganz beträchtlich zugenommen. Sie habe zum einen eine ungerichtete, generalisierte Angst, die sie nicht genau beschreiben könne. Es sei aber so, dass sie ständig denke: „Was wird nur aus mir, wenn ich mein Examen nicht schaffe? Wovon soll ich dann leben?“ oder „Was passiert, wenn ich einen Unfall habe? Ist es nicht viel zu gefährlich, abends U-Bahn zu fahren?“ und ähnliche Gedanken mehr. Seit 2 Wochen habe sie zusätzlich noch Panikattacken entwickelt. Plötzlich, manchmal beim Einkaufen, manchmal in der Uni, bekomme sie panikartige Angst, ihr Herz rase dann, sie atme schnell, habe das Gefühl, sie verliere gleich das Bewusstsein und wolle am liebsten den Notarzt rufen oder weglaufen. Die Anfälle dauerten etwa 15–30 Minuten, dann beruhige sie sich wieder. Sie habe aber inzwischen gar keinen Mut mehr, alleine einkaufen oder in die Uni zu gehen, da sie Angst habe, dort wieder eine Panikattacke zu erleiden, da ihr dann keiner helfen könne.
Unter der Diagnose einer Agoraphobie mit Panikstörung ist in diesem Fall Venlafaxin in einer Dosis von 150–225 mg morgens die Therapie der 1. Wahl. Die Dosis sollte in den ersten 2 Behandlungswochen schrittweise gesteigert werden, um die Verträglichkeit zu prüfen. In den ersten Wochen der Behandlung kann man zusätzlich symptomatisch ein Benzodiazepin geben, um die Panikattacken zügig in den Griff zu bekommen. Man muss sich aber darüber im Klaren sein, dass Benzodiazepine bei Patienten mit einer Angststörung ein extrem hohes Suchtpotenzial haben. Daher sollte man es so schnell wie möglich wieder ausschleichen. Bei gutem Therapieerfolg sollte man Venlafaxin für zumindest 2 Jahre weiter geben, um einen Rückfall zu vermeiden.
Ergänzend zur medikamentösen Therapie sollte bei Angststörungen grundsätzlich auch eine verhaltenstherapeutisch orientierte Psychotherapie durchgeführt werden.
Behandlung der Zwangserkrankungen
Sie sollen immer auch psychotherapeutisch behandelt werden.
Sie können pharmakologisch mit SSRI oder SSNRI behandelt werden.
Bei Erfolglosigkeit modernerer SSRI und SSNRI wird zu Clomipramin geraten, das von vielen auch als Mittel der 1. Wahl bei Zwangserkrankungen angesehen wird.
Der Therapieerfolg stellt sich oft erst nach 6–12 Wochen ein.
Die Therapiedauer sollte zumindest 2 Jahre betragen, in vielen Fällen ist auch eine sehr viel längere Behandlung erforderlich.
Die Zwangserkrankung wird medikamentös interessanterweise sehr ähnlich wie eine generalisierte Angststörung behandelt.
Als Mittel der 1. Wahl gelten SSRI, nach Möglichkeit in einer hohen Dosis. Dabei ist zu beachten, dass gerade beim sehr häufig verordneten ▶ Citalopram seit einiger Zeit eine Warnung vorliegt, dass bei höheren Dosierungen gefährliche Herzrhythmusstörungen auftreten können. Regelmäßige EKG-Kontrollen sind daher erforderlich.
Die Therapiedauer bei Gabe von z. B. Citalopram 40 mg/Tag bei einer Zwangserkrankung beträgt aller Erfahrung nach mehr als 4 Wochen. Oft zeigt sich erst nach 6–12 Wochen Behandlungsdauer ein erkennbarer Fortschritt. Daher sollte die Substanz bei ausbleibendem Erfolg nicht zu früh gewechselt werden.
Reicht die Gabe von Citalopram nicht aus, wird oftmals auf ein SSNRI umgestellt.
Eine besondere Bedeutung in der Behandlung von Zwangserkrankungen kommt dem trizyklischen Antidepressivum Clomipramin zu, das seit den 1960er-Jahren, zunächst unter dem Präparatenamen Anafranil, zur Behandlung von Depressionen, Ängsten und Zwängen eingesetzt wird. Clomipramin ist pharmakologisch ein SSNRI, wenngleich eines der alten Generation.
Es gibt Studien, die Clomipramin als wirksamer in der Behandlung von Zwangserkrankungen einstufen als SSRI, weshalb es manche Psychiater als Mittel der 1. Wahl bei Zwangserkrankungen einsetzen. Spätestens dann, wenn die besser verträglichen neueren SSRI oder SSNRI sich in der Behandlung eines Patienten als nicht ausreichend wirksam erwiesen haben, wird Clomipramin eingesetzt, oft mit gutem Erfolg.
Fallbeispiel
Zwangserkrankung
Der 50-jährige Controller Herr B. berichtet, seit Jahren schon unter Zwangsgedanken und Zwangshandlungen zu leiden. Seit 2 Monaten sei es aber deutlich schlimmer geworden. Er müsse vor dem Verlassen des Hauses nun bis zu 12-mal prüfen, ob er die Kaffeemaschine ausgeschaltet und alle Wasserhähne zugedreht habe. Oft gehe er nach dem Verlassen der Wohnung mehrmals zurück, um alles nach einem bestimmten Ritual noch einmal zu prüfen. Er wasche sich bis zu 100 Mal am Tag die Hände, da er Angst vor Bakterien habe, die er sich an Türklinken im öffentlichen Raum holen könnte. Er müsse in Gedanken immer wieder den Rosenkranz durchgehen, obwohl er überhaupt nicht religiös sei und das auch ganz sinnlos finde. Insgesamt nähmen die Zwangshandlungen gegenwärtig 6 Stunden/Tag ein.
Er werde seit mehreren Jahren schon mit Citalopram in einer Dosis von 40 mg behandelt, hierunter und durch die Psychotherapie sei er eigentlich jahrelang ganz gut zurechtgekommen. Nun gehe es ihm aber schlechter. Die bislang erfolgreiche Therapie mit Citalopram 40 mg/Tag wird fortgesetzt. Nach Durchführung eines EKGs zur Bestimmung der QTc-Zeit wird Clomipramin in einer Dosis von 50–0–150 mg ergänzt. Der zusätzliche Wirkungsmechanismus des Clomipramins hilft dem Patienten, dass die Zwangsgedanken und -handlungen wieder auf ein erträgliches Maß zurückgehen. Er berichtet nach 6-wöchiger Therapie, dass er unter der Medikamentenkombination und der zwischenzeitlich intensivierten verhaltenstherapeutischen Psychotherapie nun nur noch etwa 60 Minuten/Tag mit Zwangshandlungen zubringe, womit er gut zurechtkomme.
Die Kombination von Citalopram und Clomipramin ist nur unter Auflagen indiziert, da beide Substanzen die QTc-Zeit verlängern können, die Kombination wird in der Praxis aufgrund der hohen zusätzlichen Wirksamkeit jedoch oft angewendet.
Behandlung von somatoformen Störungen
Somatoforme Störungen (s. Kap. ▶ 18 Glossar) sollten immer mit einer Kombination aus Psychotherapie und Pharmakotherapie behandelt werden.
Sie sprechen oft gut auf SSNRI oder SSRI an.
Wenn eine sedierende Komponente gewünscht ist, kann die Behandlung mit einem Trizyklikum wie Amitriptylin in einer Dosis von 50–150 mg/Tag gut wirksam sein.
Patienten mit einer somatoformen Störung erhalten oft eine Vielzahl von Medikamenten, oft auch Opiatschmerzmittel. Man sollte bei allen verordneten Substanzen prüfen, ob sie wirklich erforderlich sind, vor allem bei Opiaten und Benzodiazepinen.
Somatoforme Störungen sollten immer mit einer Kombination aus Psychotherapie und Pharmakotherapie behandelt werden. In aller Regel besteht schon ein längerer Krankheitsverlauf, oftmals wurden schon sehr viele Ärzte konsultiert und zahllose Medikamente eingesetzt, oft eher erfolglos. Eine chronifizierte somatoforme Störung geht häufig auch mit einer ausgeprägten depressiven Symptomatik einher.
Pharmakologisch werden typischerweise SSNRI eingesetzt, entweder die modernen Wirkstoffe Duloxetin, Venlafaxin und Milnacipran oder die klassischen trizyklischen Wirkstoffe Amitriptylin und Clomipramin, die ebenfalls die Serotonin- und Noradrenalin-Wiederaufnahme hemmen.
Die Behandlung zeigt oft nicht in der gleichen relativ kurzen Zeit einen Erfolg, wie man es bei der Therapie der Depressionen beobachten kann. Längere Behandlungsverläufe sind bei somatoformen Störungen sehr viel häufiger zu beobachten. Ein Wechsel des Wirkstoffs aufgrund von subjektiv empfundenen Nebenwirkungen oder zu früh vermisster Wirksamkeit muss besonders gut überlegt sein. Bei vielen Patienten ist eine sedierende Komponente explizit erwünscht. Dann kann die Behandlung mit einem niedrig dosierten Trizyklikum wie Amitriptylin genau richtig sein; typisch sind Dosierungen von etwa 50–150 mg/Tag.
Patienten mit Somatisierungsstörungen leiden oft unter erheblichen Schmerzen. Es ist daher häufig zu beobachten, dass im Laufe der Jahre eine immer ausgedehntere Behandlung mit Schmerzmitteln zusammen gekommen ist. Oft werden auch Opiate eingesetzt. Dabei helfen bei somatoformen Störungen die klassischen Schmerzmittel oft wenig oder gar nicht. Es kann daher sinnvoll sein zu versuchen, die Menge an Schmerzmitteln zu reduzieren, wenn dies nicht zu einer Verschlechterung des Befindens führt. Dabei muss man bei der Reduktion von Opiatschmerzmitteln eine anfängliche Entzugssymptomatik als solche einordnen und nicht als Verschlechterung der Schmerzsymptomatik fehldeuten. Es gibt aber auch viele Patienten, die sowohl einen körperlich begründeten Schmerz als auch eine zusätzliche somatoforme Schmerzstörung haben. Diese Patienten brauchen eine angemessene Schmerztherapie, möglicherweise auch unter Verwendung von Opiaten.
Benzodiazepine spielen in der Behandlung von Patienten mit einer somatoformen Störung in bestimmten Krankheitsphasen eine berechtigte Rolle.
Es besteht aber eine nicht zu unterschätzende Gefahr, dass Benzodiazepine zu lange oder ohne angemessene Indikation verschrieben werden. Wie bei anderen Patienten auch, ist es immer sinnvoll, verzichtbare Medikamente abzusetzen, auch wenn dies im Falle von Benzodiazepinen etwas länger dauern kann.
Selektive Serotonin-Wiederaufnahmehemmer (SSRI) gehören zu den am häufigsten verschriebenen Medikamenten überhaupt. Sie gelten zu Recht als sehr wirkungsvoll und haben häufig auch im gut wirksamen Dosisbereich kaum Nebenwirkungen. Wenn Nebenwirkungen auftreten, dann handelt es sich oft um innere Unruhe oder Getriebenheit, die aber normalerweise nach einigen Wochen der Behandlung wieder abklingen. Sie werden von vielen als notwendige Symptome des Ansprechens der antidepressiven Therapie angesehen. Tatsächlich ist es sehr häufig so, dass Patienten, die 2 Wochen nach Behandlungsbeginn mit einem SSRI unruhig werden, nach 4 Wochen eine deutliche Verbesserung und Stabilisierung der Stimmung beschreiben.
In bis zu ⅕ der Behandlungen mit SSRI treten Übelkeit oder andere gastrointestinale Beschwerden auf. Hier kann eine Dosisreduktion helfen. Bleibt diese Nebenwirkung bestehen, muss jedoch oft das Präparat umgestellt werden. Man muss das EKG auf eine Verlängerung der QTc-Zeit kontrollieren, da der prominenteste Vertreter der SSRI, das Citalopram, diese Nebenwirkung verursachen kann. Schließlich berichtet ein nicht unerheblicher Teil der männlichen Patienten über eine deutlich verzögerte Ejakulation. Auch hier kann eine Dosisreduktion oft helfen.
Insgesamt gelten SSRI zu Recht als relativ nebenwirkungsarm. Sie verursachen typischerweise weder Gewichtszunahme noch Sedierung und werden normalerweise auch langfristig gut vertragen.
Die 2. Gruppe der Antidepressiva sind die selektiven Serotonin- und Noradrenalin-Wiederaufnahmehemmer (SSNRI).
Unter dem Begriff SSNRI werden nur die neuen selektiven Serotonin- und Noradrenalin-Wiederaufnahmehemmer verstanden. Die alten Trizyklika hemmen zwar pharmakologisch gesehen auch die Wiederaufnahme von Serotonin und Noradrenalin, aber eben nicht selektiv, das heißt, sie haben auch relevante Wirkungen auf andere Neurotransmittersysteme. Daher gehören sie in eine andere Klasse. Bei den SSNRI steht wie bei den SSRI die Wiederaufnahmehemmung von Serotonin im Vordergrund, sie führen aber zusätzlich noch zu einer relevanten Wiederaufnahmehemmung von Noradrenalin. Da Noradrenalin die Wachheit reguliert, wirken SSNRI oft besser antriebssteigernd. Sie werden daher gerne bei psychomotorisch gehemmten Depressiven, also antriebsreduzierten und wenig aktiven Patienten verordnet. Auch ist die Wirksamkeit von SSNRI bei Angststörungen und Zwängen oft stärker als die reiner SSRI. Venlafaxin, Duloxetin und Milnacipran gehören zur Gruppe der SSNRI.
Es gab bis vor Kurzem zumindest einen häufiger verschriebenen reinen Noradrenalin-Wiederaufnahmehemmer (NARI), das Reboxetin. In den USA war es aufgrund negativer Studien zur Wirksamkeit nie zugelassen. Im November 2009 kam das IQWiG (s. Kap. ▶ 18 Glossar) nach einer Auswertung von Studien zu der Einschätzung, dass ein Nutzen des Medikaments nicht nachgewiesen werden kann. Reboxetin wird daher in Deutschland seit dem 1. April 2011 nicht mehr von der GKV erstattet.
Aktuell relevant ist Atomoxetin, das für die Behandlung des hyperkinetischen Syndroms zugelassen ist. Es ist ein NARI.
Trizyklische und tetrazyklische Antidepressiva sind geschichtlich gesehen die ersten spezifisch wirksamen Medikamente in der Behandlung von Depressionen und Angststörungen. Von 1950–1980 waren sie in diesen Anwendungsgebieten die einzige verfügbare Medikation.
Trizyklische Antidepressiva sind in hohen Dosierungen antidepressiv wirksam, erzeugen allerdings schon in mittleren Dosierungen oft unangenehme Nebenwirkungen wie Mundtrockenheit, Müdigkeit oder Benommenheit. Daher sind sie als Mittel der 1. Wahl von den SSRI und SSNRI weitgehend verdrängt worden.
Sie haben sich aber spezielle Anwendungsgebiete erhalten. So wird gerade das uralte Amitriptylin gerne bei leichten bis mittelschweren Depressionen eingesetzt, wenn zugleich eine Sedierung gewünscht ist. Eine abendliche Gabe von 50 mg Amitriptylin fördert den Schlaf und vertreibt leichtes zielloses Grübeln. Auch in der Therapie chronischer Schmerzen wird Amitriptylin häufig erfolgreich angewendet.
Die Monoaminoxidasen sind Enzyme, die an den Membranen der intrazellulären Mitochondrien sitzen und dort eine ganze Reihe von Monoaminen abbauen. Monoamine sind Neurotransmitter, die eine Amingruppe haben. Die bekanntesten sind Dopamin, Adrenalin, Serotonin und Histamin.
MAO-A und MAO-B haben unterschiedliche Präferenzen, das heißt, die MAO-A baut bevorzugt andere Monoamine ab als die MAO-B.
Bei den Medikamenten wird darüber hinaus zwischen reversiblen und irreversiblen MAO-Hemmern unterschieden.
Die MAO-A, die für die Psychiatrie interessanter ist, baut bevorzugt Noradrenalin und Serotonin ab. Sie kommt im Gehirn in katecholaminergen Neuronen vor. Ihre Hemmung erhöht also die Konzentration von Noradrenalin und Serotonin im synaptischen Spalt, was eine antidepressive Wirkung zur Folge hat. Moclobemid ist ein reversibler MAO-A-Hemmer. Er wird erfolgreich in der Therapie der Depressionen eingesetzt.
Die MAO-B baut hauptsächlich Dopamin und Histamin ab und kommt überwiegend in Gliazellen vor. In der Therapie des Morbus Parkinson werden MAO-B-Hemmer eingesetzt, um den Abbau des beim Morbus Parkinson knappen Botenstoffes Dopamin zu verlangsamen. Selegilin und Rasagilin sind selektive und irreversible Hemmer der MAO-B, Rasagilin ist 5- bis 10-fach stärker als Selegilin. Beide Substanzen werden oft zusammen mit einem dopaminergen Medikament verordnet.
Der nichtselektive MAO-Hemmer Tranylcypromin hemmt irreversibel, sowohl MAO-A als auch MAO-B. Aufgrund von etwas umständlichen Ernährungsregeln, die man bei der Einnahme einhalten muss, wird er recht selten verordnet.
Escitalopram und Citalopram
Citalopram ist seit den 1990er-Jahren auf dem Markt. Sein wirksamer Bestandteil ist das Escitalopram, das inzwischen zunehmend häufiger eingesetzt wird.
Beide sind selektive Serotonin-Wiederaufnahmehemmer (SSRI).
Sie werden eingesetzt gegen Angsterkrankungen, Depressionen und Zwangserkrankungen.
Escitalopram und Citalopram sind zumeist gut verträglich.
Allerdings müssen bei beiden regelmäßig EKG-Kontrollen durchgeführt werden, weil beide die QTc-Zeit verlängern können.
10mg Escitalopram entsprechen in ihrer Wirkung zumindest 20mg Citalopram, aus bestimmten Gründen vielleicht sogar 30–40mg Citalopram.
Escitalopram ist genauso wirksam und im Zweifel nebenwirkungsärmer. Daher gibt es keinen triftigen Grund mehr, Citalopram zu verordnen.
Seit den 1990er-Jahren ist Citalopram eines der am häufigsten verschriebenen Psychopharmaka. Das liegt unter anderem daran, dass Depressionen und Angststörungen sehr häufig sind und Citalopram meist gut verträglich und wirkstark ist. Mit Escitalopram steht nun auch das wirksame Enantiomer des Citaloprams zur Verfügung, das möglicherweise sogar weniger Nebenwirkungen hat. Deswegen ist es für viele Psychiater das Antidepressivum der ersten Wahl geworden – vor Citalopram.
In diesem Kapitel beschreibe ich beide Substanzen zusammen und weise auf Unterschiede hin, wenn sie von Bedeutung sind. Das betrifft insbesondere die Dosierung: 10mg Escitalopram entsprechen 20–40mg Citalopram. Auch die Nebenwirkungen können sich unterscheiden: Citalopram gilt als etwas nebenwirkungsreicher, weil auch das nicht wirksame R-Enantiomer Nebenwirkungen verursachen kann.