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Gehen Sie seelischen Problemen auf den Grund
Interessieren Sie sich für andere Menschen und das, was sie bewegt? Arbeiten Sie vielleicht in einem sozialen oder medizinischen Beruf? Oder kennen Sie jemanden, dem es gerade seelisch schlecht geht, und möchten ihn unterstützen? Psychotherapie kann in vielen Fällen helfen. Adrian Urban beschreibt die Hintergründe von seelischen Schwierigkeiten und stellt Ihnen die wichtigsten Behandlungsansätze und deren Gründer vor, von der Psychoanalyse bis zur Systemischen Therapie. Zudem erläutert er den Ablauf einer Psychotherapie, gibt Hilfestellung bei der Beantragung und erklärt die wichtigsten rechtlichen Hintergründe.
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Seitenzahl: 576
Veröffentlichungsjahr: 2025
Psychotherapie für Dummies
Eine wichtige Voraussetzung für die Finanzierung einer ambulanten oder stationären Psychotherapie durch die gesetzlichen Krankenversicherungen in Deutschland ist die Diagnose einer »psychischen Störung mit Krankheitswert«. Dazu gehören unter anderem folgende Störungsbilder:
Akute und chronifizierte Reaktionen auf schwere Belastungen, zum Beispiel Reizbarkeit, Ängste oder quälende Erinnerungen nach einem TraumaAnpassungsstörungen: Kurz- bis mittelfristige Probleme durch negative Lebensereignisse, oft mit biografischen Vorbelastungen (häufig Angst und/oder depressive Symptome wie Niedergeschlagenheit, Passivität und Selbstvorwürfe als Folge)Neurosen, zum Beispiel Angststörungen und Zwänge – etwa ein Waschzwang – und neurotisch-affektive Störungen wie eine Depression mit Wurzeln in der Lebensgeschichte: Starker Leidensdruck, meistens verbunden mit einer konflikthaften Biografie und chronischen SelbstwertproblemenPersönlichkeitsstörungen: Umfassende, langjährige Schwierigkeiten mit traumatischer Vorgeschichte, zum Beispiel schwache Identität, Schwarz-Weiß-Denken und instabile soziale Beziehungen bei einer Borderline-PersönlichkeitsstörungKörperlich-seelische Probleme, etwa Angst bei unklaren inneren Signalen oder stressbedingte Kopf- beziehungsweise RückenschmerzenEssstörungen, zum Beispiel Magersucht oder Ess-Brech-SuchtWahnerkrankungen, etwa ein Verfolgungswahn bei der Schizophrenie, akute Suizidgefährdung und Suchtkrankheiten werden normalerweise zunächst in der stationären Psychiatrie behandelt.
Die meisten anderen seelisch-emotionalen Probleme lassen sich gut im Rahmen einer ambulanten Psychotherapie bearbeiten.
Falls eine ambulante Behandlung nicht genügt, empfiehlt sich möglicherweise eine stationäre Therapie in einer psychosomatischen Akutklinik. Anders als in der Psychiatrie werden in solchen Krankenhäusern und Abteilungen keine Patienten mit Wahnerkrankungen, Suizidalität oder stoffgebundenen Süchten, etwa einer Heroinabhängigkeit, behandelt. Hier stehen eher schwere Verläufe von psychischen oder seelisch-körperlichen Störungen im Zentrum, die nicht zu erheblichen Kontrollverlusten führen.
Wie erfolgreich eine psychotherapeutische Behandlung verläuft, hängt in erster Linie von der Arbeitsbeziehung zwischen Therapeut und Patient ab.
Der Klient sollte sich bei seinem Psychotherapeuten gut aufgehoben und respektiert fühlen und eine vertrauensvolle Beziehung zu ihm aufbauen können.Wer professionelle Hilfe sucht, möchte verstehen, wie seine Probleme entstanden sind, was sie aufrechterhält und was er im Behandlungsverlauf tun kann, um aus der Krise herauszukommen. Abhängig vom Verfahren, das der Helfer anwendet, unterscheiden sich die Erklärungs- und Lösungsmodelle – zum Beispiel Tiefenpsychologie oder Verhaltenstherapie.Ein guter Therapeut wird die Wahrnehmungen und Gefühle seines Patienten nie infrage stellen. Er nimmt sie ernst und fragt nach, um sie richtig zu verstehen, weil sie zum Selbstbild des Klienten gehören. Zu allen Veränderungen muss der Erkrankte selbst bereit sein. Überredungsversuche haben in einer Psychotherapie keinen Platz, Ermutigungen schon.Wenn ein Psychotherapeut die individuellen Ressourcen seines Patienten erkennt und verstärkt, bietet er ihm Unterstützung bei der Bewältigung seiner Probleme. Niemand ist nur psychisch gestört. Es hilft jedem Menschen, wenn er seinen gesunden Anteilen mit Wertschätzung begegnen kann, um auf ihnen aufzubauen.Das gewählte Therapieverfahren, zum Beispiel Verhaltenstherapie, Psychoanalyse oder Systemische Therapie, ist für den Behandlungserfolg weniger wichtig als die Therapeut-Patient-Beziehung und andere allgemeine Wirkfaktoren.Neben dem Verhalten und den Persönlichkeitseigenschaften des Therapeuten hängt der Behandlungserfolg auch davon ab, wie stark der Patient motiviert ist, sein Leben zu ändern, um einen Weg zur Gesundung zu finden (Veränderungsmotivation).Diese Veränderungen können auch Angst machen, was oft zu Widerständen in der Psychotherapie führt. Wenn ein Arzt oder Psychologe solche Widerstände erkennt und sie im Therapieverlauf auflösen kann, dient das dem Erfolg der Behandlung.
Psychotherapie für Dummies
Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek
Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.
2. Auflage 2025
© 2025 Wiley-VCH GmbH, Boschstraße 12, 69469 Weinheim, Germany
Alle Rechte vorbehalten inklusive des Rechtes auf Reproduktion im Ganzen oder in Teilen und in jeglicher Form.
Wiley, the Wiley logo, Für Dummies, the Dummies Man logo, and related trademarks and trade dress are trademarks or registered trademarks of John Wiley & Sons, Inc. and/or its affiliates, in the United States and other countries. Used by permission.
Wiley, die Bezeichnung »Für Dummies«, das Dummies-Mann-Logo und darauf bezogene Gestaltungen sind Marken oder eingetragene Marken von John Wiley & Sons, Inc., USA, Deutschland und in anderen Ländern.
Alle Rechte bezüglich Text und Data Mining sowie Training von künstlicher Intelligenz oder ähnlichen Technologien bleiben vorbehalten. Kein Teil dieses Buches darf ohne die schriftliche Genehmigung des Verlages in irgendeiner Form – durch Photokopie, Mikroverfilmung oder irgendein anderes Verfahren – in eine von Maschinen, insbesondere von Datenverarbeitungsmaschinen, verwendbare Sprache übertragen oder übersetzt werden.
Das vorliegende Werk wurde sorgfältig erarbeitet. Dennoch übernehmen Autoren und Verlag für die Richtigkeit von Angaben, Hinweisen und Ratschlägen sowie eventuelle Druckfehler keine Haftung.
Print ISBN: 978-3-527-72310-2ePub ISBN: 978-3-527-85197-3
Coverfoto: © Ratana21 — stock.adobe.comKorrektur: Dr. Johanna Rupp, Walldorf
Adrian Urban ist Psychologe und Psychotherapeut. Neben journalistischen und lektoriellen Tätigkeiten veröffentlichte er bislang zwölf Sachbücher, zuletzt Burn-out überwinden für Dummies.
Nach seinem Psychologie-Diplom 1995 arbeitete Urban einige Jahre als Familienhelfer in Berlin. Von 1997 bis 2002 ließ er sich zum Verhaltenstherapeuten für Erwachsene weiterbilden. Sein Klinisches Jahr absolvierte er auf einer psychosomatisch-psychotherapeutischen Station, wo er auch Einblicke in tiefenpsychologische und gruppentherapeutische Ansätze bekam. Von 2003 bis 2009 war er in einem Münchner Vorort in einer Gemeinschaftspraxis tätig und machte eine Zusatzausbildung in Verhaltenstherapie für Kinder und Jugendliche. Von 2012 bis 2023 arbeitete er in einer Gemeinschaftspraxis in Berlin.
Seitdem widmet er sich ganz dem Schreiben. Im Jahr 2025 erschien Das Albtraumsystem, Band 2 einer Science-Fiction-Romanreihe, bei p.machinery. Adrian Urban lebt in Berlin und betreibt die Website Adrian-Urban.de
Cover
Titelblatt
Impressum
Über den Autor
Inhaltsverzeichnis
Einführung
Über dieses Buch
Konventionen in diesem Buch
Neue Entwicklungen in den letzten Jahren
Törichte Annahmen über den Leser
Was Sie nicht lesen müssen
Wie dieses Buch aufgebaut ist
Symbole, die in diesem Buch verwendet werden
Wie es weitergeht
Teil I: Behandlungsbedürftige seelische Störungen
Kapitel 1: Was Psychotherapie bedeutet und wann professionelle Hilfe sinnvoll ist
Psychotherapie – Definition und Abgrenzung
Wann eine Psychotherapie helfen kann
Kapitel 2: Wenn schwierige Lebenssituationen krank machen – reaktive Störungen
Belastungsreaktionen und Anpassungsstörungen: Definition und Abgrenzung
Belastungsstörungen – Symptome, Hintergründe und Folgen
Die posttraumatische Belastungsstörung
Anpassungsstörungen: Symptome, Hintergründe und Behandlung
Kapitel 3: Leiden an sich selbst und an der Welt – Neurotische Störungen
Neurotische Störungen: Definitionen und Abgrenzungen
Traurigkeit ohne Selbstakzeptanz – neurotische Depressionen und verwandte Störungsbilder
Wenn Furcht das Leben regiert – Angststörungen
Übermäßige Kontrolle statt Angst – neurotische Zwangsstörungen
Neurosen: Therapeutische Hürden und ihre Bewältigung
Kapitel 4: Massive, langjährige Beeinträchtigungen – Persönlichkeitsstörungen
Persönlichkeitsstörungen: Definition und Abgrenzung
Wenn Egozentrik zur Krankheit wird – narzisstische Persönlichkeitsstörung
Leben zwischen Schwarz und Weiß – Borderline-Persönlichkeitsstörungen
Andere Persönlichkeitsstörungen in der Psychotherapie
Kapitel 5: Abschied von der Wirklichkeit – Wahnerkrankungen
Psychosen: Wahnideen, die durch Gespräche nicht korrigiert werden können
Wenn die Persönlichkeit zerfällt – Schizophrenie
Krankheit als »selbstverdiente Strafe« – wahnhafte Depressionen
Himmelhoch jauchzend, zu Tode betrübt – bipolare Affektstörungen
Wege zur Heilung psychotischer Störungen und die Bewältigung von therapeutischen Problemen
Kapitel 6: Wenn die Psyche den Körper krank macht – körperlich-seelische Probleme
Psychosomatische Krankheiten und körperlich-seelische Wechselwirkungen
Abhängigkeitserkrankungen: Symptome und Folgen
Verbreitete Essstörungen: Symptome, Hintergründe und Folgen
Aufmerksamkeitsdefizit-/Hyperaktivitätsstörungen (ADHS)
Psychopharmaka im Überblick
Teil II: Die wichtigsten Therapierichtungen: Gründer, Geschichte, Ideen
Kapitel 7: Psychoanalyse und tiefenpsychologische Therapien
Sigmund Freud und die Psychoanalyse
Alfred Adler und die Individualpsychologie
Carl Gustav Jung und die Analytische Psychologie
Kapitel 8: Verhaltenstherapie und Lernpsychologie
Behaviorismus und Verhaltensforschung
Die kognitive Wende in der Verhaltenstherapie
Kapitel 9: Humanistische Therapien: Alternativen zu Tiefenpsychologie und Verhaltenstherapie
Die Finanzierung humanistischer Therapieverfahren im deutschsprachigen Raum
Das Menschenbild der humanistischen Therapien
Der Klient weiß am besten, was ihm guttut – Carl Rogers und die Gesprächspsychotherapie
Den Kontakt zu sich und zu anderen Menschen stärken – Fritz Perls und die Gestalttherapie
Das Unbewusste als Ressource – die Hypnotherapie von Milton Erickson
Kapitel 10: Gemeinsam eine Lösung suchen: Gruppen- und Familientherapien
Wie sich Einzel- und Gruppentherapien voneinander unterscheiden
Jakob Moreno und das Psychodrama
Veränderungen im System: Paar- und Familientherapien
Teil III: Ambulante und stationäre Behandlungen: Anbieter, Rechtslage und Therapieverlauf
Kapitel 11: Die Grundlagen von ambulanten Kassen-Psychotherapien in Deutschland
Psychische Störungen mit Krankheitswert in der ambulanten Praxis
Seelische Schwierigkeiten, die nicht als »Störungen mit Krankheitswert« gelten
Kleine Unterschiede, große Folgen
Zugelassene Therapieverfahren
Therapeutische Weiterbildung von Psychologen
Vor und nach der Weiterbildungsreform
Weiterbildung von Ärztlichen Psychotherapeuten
Von den Sprechstunden bis zur Bewilligung einer Psychotherapie
Kapitel 12: Ambulante Therapien in der Praxis
Kassenfinanzierte Psychotherapien in der ambulanten Praxis
Analytische Psychotherapien in der Praxis
Tiefenpsychologisch fundierte Therapien in der Praxis
Kognitive Verhaltenstherapien in der Praxis
Systemische Therapien in der Praxis
Kinder- und Jugendlichenpsychotherapien in der Praxis
Heilpraktiker-Psychotherapien in der Praxis
Kapitel 13: Rehabilitation und stationäre Psychotherapien
Medizinische Reha-Behandlungen, stationäre Psychotherapien und Kuren
Stationäre Psychotherapien – Vor- und Nachteile
Kapitel 14: Behandlungen in der stationären Psychiatrie
Psychiatriebehandlungen im Wandel
Einweisung und Betreuung: Der rechtliche Rahmen von Zwangsmaßnahmen in der Psychiatrie
Störungsbilder und Therapieansätze in der Psychiatrie
Hilfsangebote nach der Entlassung aus der Akutpsychiatrie
Teil IV: Psychotherapie – Wirkungen und Nebenwirkungen
Kapitel 15: Ambulante Behandlungen im Vergleich
Äpfel und Birnen vergleichen – Probleme bei der Erfassung des Therapieerfolgs
Welches Therapieverfahren sich bei welchen seelischen Störungen empfiehlt
Wirksamkeitsstudien für andere Therapieverfahren
Seelische Erkrankungen und der passende therapeutische Zugangsweg
Therapeutenverhalten, Motivation und andere »unspezifische Wirkfaktoren«
Überlegungen zu einer integrativen Psychotherapie
Kapitel 16: Einen guten Therapeuten finden
Auf der Suche nach einem passenden Psychotherapeuten
Günstige und ungünstige Kommunikationsformen von Psychotherapeuten
Kapitel 17: Erfolge und Misserfolge in der Psychotherapie
Häufige Ursachen für das Scheitern einer Psychotherapie
Wann eine Behandlung erfolgreich beendet werden kann
Teil V: Der Top-Ten-Teil
Kapitel 18: Zehn Überlegungen, die dafür sprechen, eine Psychotherapie zu machen
Kapitel 19: Zehn Kennzeichen einer erfolgreich verlaufenden Psychotherapie
Kapitel 20: Mehr als zehn Internetadressen zur Psychotherapeutensuche in Deutschland
Kapitel 21: Zehn Schritte zur ambulanten Kassen-Psychotherapie in Deutschland
Kapitel 22: Zehn Adressen zu ambulanten und stationären Psychotherapien in Deutschland
Stichwortverzeichnis
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Cover
Titelblatt
Impressum
Über den Autor
Inhaltsverzeichnis
Einführung
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Es ist wissenschaftlich umstritten, ob die Häufigkeit von seelisch-emotionalen Störungen in den letzten Jahrzehnten zugenommen hat, oder ob es heutzutage einfach mehr Menschen gibt, die ihre Probleme psychotherapeutisch behandeln lassen wollen. Auf jeden Fall spielt es eine Rolle, dass psychische Probleme und Termine bei einem Psychotherapeuten deutlich weniger stigmatisiert sind als in früheren Zeiten.
Nach einer seriösen Studie sind jedes Jahr 27,8 Prozent der Erwachsenenbevölkerung in Deutschland von einer seelischen Erkrankung betroffen. Das entspricht immerhin 17,8 Millionen Männern und Frauen. Und nach den Statistiken der Krankenkassen sind psychische Probleme inzwischen die zweithäufigste Ursache für krankheitsbedingte berufliche Ausfälle.
Doch die meisten Betroffenen haben gute Chancen, wenn sie eine ambulante Psychotherapie bei einem qualifizierten Arzt oder Psychologen machen. In manchen Fällen empfiehlt sich auch eine stationäre Behandlung auf einer psychiatrischen oder psychosomatisch-psychotherapeutischen Klinikstation.
Dieses Buch befasst sich mit allen Aspekten rund um das Thema Psychotherapie, von den Störungsbildern über die Theorien der Gründer der wichtigsten Verfahren bis zum Therapieprozess und den Ursachen für den Erfolg oder das Scheitern einer Behandlung.
Durch zahlreiche Fallbeispiele möchte ich Ihnen veranschaulichen, wie ambulante oder stationäre Psychotherapien in der Praxis verlaufen. Die meisten Behandlungen habe ich selbst durchgeführt, in anderen Fällen beziehe ich mich auf Schilderungen anderer Therapeuten oder auf Berichte von ehemaligen Klienten. Auf Ortsangaben habe ich verzichtet, und alle Namen, Berufe und Altersangaben der Patienten wurden verändert, um die Anonymität der Betroffenen zu gewährleisten.
Während meiner Praxistätigkeit habe ich kognitiv-verhaltenstherapeutisch, aber integrativ gearbeitet. Das bedeutet, dass ich auch für wirksame Ansätze aus anderen Therapieverfahren offen war, wenn sie gut zum Klienten und zum Behandlungsprozess gepasst haben.
Obwohl die meisten Therapeuten Therapeutinnen und die meisten Patienten Patientinnen sind, beschränke ich mich in vielen Fällen aus Gründen der besseren Lesbarkeit auf die männliche Form. Ich hoffe sehr, dass sich auch meine Leserinnen angesprochen fühlen.
Die Fallgeschichten von Klienten sind als grau unterlegte Kästen formatiert. Das Gleiche gilt für die Lebensläufe der wichtigsten Gründer von Therapieschulen.
Was die Behandlungsansätze betrifft, beschränke ich mich auf eine kleine Auswahl aus mehreren Hundert Modellen, die es inzwischen gibt. Besondere Aufmerksamkeit gilt hier den sogenannten Richtlinien-Therapieverfahren, die in Deutschland von den gesetzlichen Krankenkassen finanziert werden, wenn eine psychische Störung mit Krankheitswert vorliegt.
Die meisten Erkrankungsbilder und Therapieverläufe in diesem Buch betreffen Erwachsene. Kinder- und Jugendlichentherapien werden in einem Überblick dargestellt.
Seit dem Erscheinen der ersten Auflage von Psychotherapie für Dummies im Jahr 2011 gab es in Deutschland mehrere Gesetzesnovellen im Bereich der Psychotherapie.
2017 trat ein Gesetz zur Strukturreform der Psychotherapie-Richtlinie in Kraft. Damit hat sich ein Teil der Rahmenbedingungen für ambulante Behandlungen verändert. Ziel: die langen Wartezeiten auf einen Therapieplatz verkürzen.
Seit 2017 dürfen auch Psychotherapeuten mit dem Grundberuf Psychologe bestimmte Behandlungen verordnen. Zum Beispiel in der stationären Psychiatrie, falls ein Patient in eine schwere Lebenskrise gerät, die sich ambulant nicht mehr auffangen lässt.
Die sogenannte Systemische Therapie gehört seit 2020 zu den Verfahren, die von den gesetzlichen Krankenversicherungen bezahlt werden.
Im Jahr 2020 wurde ein Gesetz zur Reform der Psychotherapeutenausbildung verabschiedet, um die Qualifikationen anzugleichen und gemeinsame Standards für die Weiterbildungen festzulegen.
Österreich novellierte sein Psychotherapeutengesetz 2024. In der Schweiz haben sich die Arbeitsbedingungen für Psychologische Psychotherapeuten 2022 geändert. In der Neuauflage von Psychotherapie für Dummies werden diese Psychotherapie-Reformansätze ausführlich dargestellt und geprüft.
Ich mag mich irren, aber ich bin beim Schreiben von Psychotherapie für Dummies davon ausgegangen, dass sich meine Leserinnen und Leser für das Thema Psychotherapie interessieren, ohne in diesem Bereich Experten zu sein.
Vielleicht arbeitet jemand in einem sozialen Beruf und möchte wissen, wie er benachteiligten Menschen helfen kann. Ein anderer studiert möglicherweise Medizin oder Psychologie und denkt darüber nach, eine Psychotherapieausbildung zu beginnen. Manche Leserinnen und Leser kennen vielleicht ein Familienmitglied oder einen Freund, dem es seelisch schlecht geht, oder überlegen, ob sie sich selbst behandeln lassen wollen.
In jedem Fall erfordert die Lektüre dieses Buches keinerlei Vorkenntnisse. Sie soll neugierig machen auf Ideen zum Thema, was den Menschen ausmachen könnte, auf unsere Schattenseiten und Stärken und auf das, was bei einer ambulanten oder stationären Therapie passiert.
Manche Abschnitte dieses Buches erinnern an Darstellungen aus früheren Kapiteln. Diese Ausführungen können Sie beim Lesen überspringen.
Falls Sie Psychotherapie für Dummies jedoch eher kreuz und quer lesen, ist es empfehlenswert, zumindest die Abschnitte zu lesen, die neben diesem Symbol stehen.
Wenn Sie wollen, können Sie das Buch zum Nachschlagen verwenden, abhängig davon, was Sie gerade interessiert und über welches Thema Sie gerne ausführlicher informiert werden wollen.
Sie müssen Psychotherapie für Dummies also keineswegs von vorn bis hinten durchlesen, da die einzelnen Teile und Kapitel nicht aufeinander aufbauen. Fremd- und Fachwörter erkläre ich jedes Mal, wenn sie im Buch auftauchen. Ein ausführliches Stichwortverzeichnis hilft bei der Orientierung.
Nach einem Überblick zu den Themen des Buches beschreibe ich die meisten seelisch-emotionalen Probleme, die ambulant oder stationär behandelt werden sollten. Fallberichte ergänzen den ersten Teil.
Zunächst geht es um Belastungsstörungen, bei denen ein schlimmes Lebensereignis oder wiederholte Traumatisierungen psychische Probleme verursachen. Anschließend stelle ich Ihnen verbreitete neurotische Erkrankungen vor, zum Beispiel Ängste und bestimmte Depressionen, die zu großem Leidensdruck führen und mit biografischen Belastungen im Zusammenhang stehen.
Danach folgen die sogenannten Persönlichkeitsstörungen, langjährige, umfassende Krankheitsbilder, die tief in der Lebensgeschichte des Patienten verwurzelt sind.
Im weiteren Verlauf stehen schwerwiegende seelisch-emotionale Störungen wie Wahnerkrankungen im Fokus, die normalerweise einen Psychiatrieaufenthalt erfordern, bevor eine psychotherapeutische Aufarbeitung möglich ist.
Neben seelisch-körperlich beeinflussten Krankheiten wie Hypochondrie, Essstörungen und ADHS beschreibe ich auch die wichtigsten Medikamentengruppen, die Ärzte bei psychischen Problemen verordnen, in verständlicher Form.
Im zweiten Teil des Buches stelle ich Ihnen die wichtigsten Gründergestalten der Psychotherapie, ihre Biografien und Theorieansätze vor. Nach den tiefenpsychologischen Ideen von Sigmund Freud, Alfred Adler und Carl Gustav Jung stehen die naturwissenschaftlich orientierten Verhaltensforscher des 20. Jahrhunderts im Mittelpunkt, aus deren Theorien sich die moderne kognitive Verhaltenstherapie entwickelt hat.
Anschließend beschreibe ich einige humanistische Behandlungsverfahren. Das ist eine Richtung, die sich sowohl von der Psychoanalyse als auch von der Verhaltenstherapie abgrenzt und auf eine Unterstützung der Selbstheilungskräfte des Klienten setzt. Dazu gehören unter anderem die Gesprächspsychotherapie von Carl Rogers, die Gestalttherapie nach Fritz Perls und die Hypnotherapie von Milton Erickson.
Ein weiteres Kapitel befasst sich mit Therapieansätzen, die als Gruppenverfahren entwickelt wurden: das Psychodrama, aus dem die Familienaufstellungen entstanden sind, und die Systemischen Therapien, die das ganze Familiensystem im Blick haben und dort heilsame Veränderungen anstoßen wollen.
Im dritten Teil von Psychotherapie für Dummies beschreibe ich die Bedingungen und den Verlauf von ambulanten und stationären Psychotherapien in Deutschland. Patienten- und Therapeutenberichte ergänzen die Kapitel. Die Verhältnisse in Österreich und in der Schweiz stelle ich im Überblick dar.
Zunächst geht es um den Personenkreis, der in der Bundesrepublik Therapien als Kassenleistung abrechnen darf.
Neben den zugelassenen Weiterbildungsgängen informiere ich Sie auch über die einzelnen Schritte von der Therapeutensuche bis zur Bewilligung einer ambulanten Therapie durch die Krankenversicherung.
Vielleicht helfen Ihnen auch ein paar praxisorientierte Tipps, was Sie bei überlangen Wartezeiten tun können.
Danach stelle ich Ihnen die vier Psychotherapieverfahren, die in Deutschland von den Kassen finanziert werden, in der Praxis vor:
analytische Psychotherapie (oder Psychoanalyse)
die sogenannte tiefenpsychologisch fundierte Therapie
die kognitive Verhaltenstherapie (VT) und
die Systemische Therapie.
Kinder- und Jugendlichenbehandlungen und psychotherapeutisch angelegte Heilpraktikergespräche fasse ich in einer Übersicht zusammen.
Anschließend stehen stationäre Rehabilitationsbehandlungen und psychosomatisch-psychotherapeutische Kliniktherapien im Fokus, von der Antragstellung bis zur Beendigung des Krankenhausaufenthalts. Ein Kapitel zu Psychiatrieaufenthalten und zur Nachsorge für die ehemaligen Patienten schließt diesen Teil ab.
Der vierte Teil befasst sich mit der Frage, welche Aspekte einer Psychotherapie zum Gelingen der Behandlung beitragen. Viele wissenschaftliche Untersuchungen belegen, dass das gewählte Verfahren einen geringeren Einfluss auf den Erfolg einer Therapie hat als die professionelle, vertrauensvolle Beziehung zwischen dem Arzt oder Psychologen und seinem Klienten.
Danach stehen Persönlichkeitseigenschaften im Mittelpunkt, die einen guten Therapeuten ausmachen. Ein weiteres Thema sind Überlegungen, die sich empfehlen, wenn es darum geht, sich für oder gegen einen bestimmten Anbieter zu entscheiden.
Zuletzt beschreibe ich, was zum Erfolg oder Misserfolg einer Psychotherapie beitragen kann und wie es nach der Behandlung weitergeht.
Wie in jedem … für Dummies-Band finden Sie in diesem Teil einige nützliche Listen mit Informationen zu den Themen des Buches.
Dazu gehören Fragen, die Sie sich stellen können, um herauszufinden, ob Sie Psychotherapiebedarf haben. Außerdem erläutere ich den Ablauf von der Therapeutensuche bis zur Therapiebewilligung und zeige, woran Sie erkennen, ob eine Behandlung erfolgreich verläuft.
Websites mit Informationen und Entscheidungshilfen zum Thema Psychotherapie sowie zu Kliniken und ambulanten Therapeuten beenden den letzten Teil.
Mit diesem Symbol werden historische Darstellungen und die Lebensgeschichten der wichtigsten Gründergestalten markiert, von der Psychoanalyse bis zur Systemischen Therapie.
Fallschilderungen und Behandlungsberichte von Therapeuten und Patienten sind mit diesem Symbol gekennzeichnet.
Dieses Symbol weist auf wichtige Informationen zu den dargestellten Themen hin, von den Störungsbildern über die Therapieverfahren bis zu Forschungsergebnissen über die Wirksamkeit von psychotherapeutischen Behandlungen.
Dieses Symbol verweist auf Schwierigkeiten bei der Behandlung von seelisch-emotionalen Störungen, auf Fehler, die manchen Ärzten oder Psychologen unterlaufen, und auf verbreitete »Therapiefallen«.
Dieses Symbol zeigt Ergebnisse aktueller Studien zur Psychotherapie an und vertieft theoriebezogene Themen.
Mit diesem Symbol sind Abschnitte gekennzeichnet, die bereits in einem früheren Kapitel dieses Buches dargestellt wurden und aus Verständnisgründen noch einmal erwähnt werden.
Wenn Sie Lust haben, können Sie dieses Buch von vorn bis hinten durchlesen, oder Sie beginnen mit einem Kapitel, das Sie besonders interessiert. Außerdem lässt sich Psychotherapie für Dummies auch zum Nachschlagen benutzen.
Einige Fallschilderungen führen ziemlich tief in menschliche Abgründe. Doch mich als Psychotherapeut hat es immer wieder erstaunt und berührt, wie viele Patienten nach einer ambulanten oder stationären Behandlung aus der Krise herausfinden konnten.
Mich interessiert, was uns Menschen ausmacht. Unser Leid, unsere Abgründe, aber auch alle Kraftquellen, Stärken und Hoffnungen. Falls es mir gelingen sollte, diese Faszination mit Ihnen zu teilen, freue ich mich.
Teil I
IN DIESEM TEIL …
erfahren Sie, was Psychotherapie bedeutet, was sie von anderen Formen der Unterstützung unterscheidet und unter welchen Umständen sie helfen kann. Anschließend beschreibe ich die wichtigsten psychischen Störungsbereiche, von den Folgen gravierender Lebensereignisse über Neurosen bis zu Persönlichkeitsstörungen, Psychosen und körperlich beeinflussten Erkrankungen.
Neben den Hintergründen der Störungsbilder geht es auch um die Aufgaben, die Patienten und Therapeuten in einer Psychotherapie bewältigen müssen. Ein weiteres Thema sind therapeutische Hürden und Ideen, wie sich solche Schwierigkeiten bearbeiten lassen. Informationen zu den wichtigsten Klassen der Psychopharmaka, die von Fachärzten verordnet werden, beenden diesen Teil des Buches.
Kapitel 1
IN DIESEM KAPITEL
Was eine Psychotherapie ist – und was nichtWann sich eine ambulante oder stationäre Psychotherapie empfiehltDaten und Zahlen zu psychotherapeutischen Behandlungen in DeutschlandZunächst erkläre ich, was die Begriffe »Psyche«, »Psychotherapie« und »psychische Störung« bedeuten. Sie erfahren, wie eine professionelle psychotherapeutische Behandlung definiert wird und wie sie sich von anderen Formen der Unterstützung abgrenzt.
Anschließend beschreibe ich, unter welchen Umständen eine Psychotherapie hilfreich sein kann, wer solche Behandlungen in Deutschland anbietet und wie viele Menschen sie zurzeit in Anspruch nehmen. Außerdem geht es um die Frage, ob der Psychotherapiebedarf in den letzten Jahren wirklich zugenommen hat.
Die Bezeichnung »Psychotherapie« leitet sich von den altgriechischen Wörtern psyche (Seele) und therapìa (Heilen) ab. Ein Psychotherapeut ist also ein »Seelenheilkundiger«. In den Wissenschaften ist »Seele« seit Langem ein äußerst umstrittener Begriff.
Falls die Seele unabhängig von Körper und Zeit existiert, ist sie wahrscheinlich unsterblich. Davon gehen noch immer viele Menschen aus, vor allem, wenn sie religiös geprägt sind. Solche Modelle entziehen sich jedoch einer wissenschaftlichen Beschreibung, und in der Psychotherapie spielen sie normalerweise keine Rolle. Falls hingegen sämtliche Ausdrucks- und Erlebensweisen körperliche Prozesse sind, auch wenn wir viele Vorgänge im Gehirn noch nicht sehr gut kennen, ergibt das Wort »Seele« keinen Sinn. Das ist die Position der meisten Neurowissenschaftler.
Trotzdem hat sich »Psyche« – oder »Seele« – als Sammelbegriff für mehr oder weniger bewusste Erlebens- und Handlungsweisen durchgesetzt. Dazu gehören unter anderem:
Bewusstseinszustände, Temperamente, Speichern und Abrufen von Erinnerungen und der Umgang mit vertrauten oder unvertrauten Erfahrungen (Lernen)
Emotionen und Stimmungen, Gedanken und Bewertungen (oder »Kognitionen«) sowie das Verhalten. Wenn bestimmte Herangehensweisen für einen Menschen typisch sind, spricht man von »Mustern«, zum Beispiel von »Verhaltensmustern«.
Psychosomatische Wechselwirkungen: Psychische Vorgänge können sich sowohl positiv als auch negativ auf körperliche Prozesse auswirken, und umgekehrt. Soma steht im Altgriechischen für »Körper«, »Leib« und »Leben«.
Unter Psychotherapie versteht man alle psychologischen, wissenschaftlich überprüfbaren Verfahren zur Behandlung von seelischen und psychosomatischen Störungen, bei denen keine Medikamente im Mittelpunkt stehen.
In manchen Fällen wird eine Psychotherapie jedoch durch Psychopharmaka ergänzt, durch die sich die Gehirnprozesse des Patienten normalisieren sollen. Solche Medikamente darf nur ein Mediziner verordnen, zum Beispiel ein Facharzt für Psychiatrie und Psychotherapie oder ein Facharzt für Psychosomatische Medizin und Psychotherapie.
Jeder Psychotherapeut nutzt bestimmte Kommunikationsmittel, um dem Patienten zu helfen, und beobachtet, wie der Patient auf seine Interventionen reagiert.
Neben dem besonders wichtigen Bereich der Sprache geht es hier auch um nonverbale Kommunikation. Die Körperhaltung und der Tonfall eines Klienten sagen zum Beispiel einiges darüber aus, wie er sich gerade fühlt. Auch bei therapeutischen Rollenspielen ist nonverbales Verhalten wichtig.
In Deutschland werden vier Therapierichtungen als sogenannte Richtlinienverfahren von den gesetzlichen Krankenversicherungen bezahlt, wenn eine sogenannte psychische Störung mit Krankheitswert diagnostiziert wurde.
Die Wirksamkeit dieser Behandlungsansätze wurde in vielen Studien wissenschaftlich überprüft.
Analytische Psychotherapie (oder Psychoanalyse)
Tiefenpsychologisch fundierte Therapie (die beiden tiefenpsychologischen Behandlungsansätze stelle ich Ihnen in den
Kapiteln 7
und
12
vor)
Kognitive Verhaltenstherapie (siehe
Kapitel 8
und
12
)
Systemische Therapie (mehr zu diesem Verfahren, das 2020 in den Leistungskatalog der Krankenkassen aufgenommen wurde, lesen Sie in den
Kapiteln 10
und
12
).
Bei einigen anderen Therapierichtungen lässt sich ebenfalls belegen, dass sie sich bei vielen psychischen Störungen positiv auswirken. Trotzdem gelten sie in Deutschland nicht als Richtlinienverfahren und werden deshalb im Regelfall nicht von den gesetzlichen Krankenversicherungen finanziert.
Dazu gehören:
das Psychodrama als Gruppenverfahren,
die Gesprächspsychotherapie, die sich auch klienten- oder personzentrierte Psychotherapie nennt,
die Gestalttherapie und
die Hypnotherapie (mehr zu den letztgenannten Ansätzen finden Sie in
Kapitel 9
).
Solche Psychotherapien muss der Klient normalerweise selbst bezahlen.
Richtlinientherapeuten können Hypnotherapie wie auch einige Entspannungsverfahren mit den gesetzlichen Kassen abrechnen. Voraussetzung: Der Arzt oder Psychologe weist eine entsprechende Weiterbildung nach.
Außerdem lassen sich Richtlinientherapien durch andere Ansätze und Methoden ergänzen. Zum Beispiel wenn eine Verhaltenstherapeutin eine Ausbildung zur Traumatherapeutin abschließt und beide Ansätze in der Behandlung von Traumapatienten kombiniert.
In Österreich und der Schweiz wurden Psychotherapiegesetze verabschiedet, die in mancherlei Hinsicht von den deutschen Bestimmungen abweichen. (Mehr dazu lesen Sie in den Kapiteln 10 bis 12.)
Wie nun unterscheidet sich eine Psychotherapie von anderen Hilfen bei seelischen Schwierigkeiten?
Gemeinsamkeiten: Zuhören, Vertrauen, Trost, eventuell hilfreiche Ratschläge
Unterschiede: Oft berichtet auch das Gegenüber von seinen Schwierigkeiten. Ein Psychotherapeut möchte seinen Patienten nicht damit belasten – außerdem sollen
dessen
Lösungsansätze im Zentrum der Behandlung stehen.
Gemeinsamkeiten: Unterstützung, Trost; Zurückhaltung, was eigene Probleme betrifft; Konzentration auf das Gegenüber. Das Beichtgeheimnis katholischer Priester lässt sich mit der Schweigepflicht eines Therapeuten vergleichen.
Unterschiede: Religiöse Fragen stehen normalerweise nicht im Zentrum einer Psychotherapie, obwohl es natürlich auch religiöse Therapeuten und Patienten gibt. Wissenschaftlich überprüfte Methoden wiederum spielen in den meisten Seelsorgergesprächen keine große Rolle.
Das gilt auch für Sitzungen bei einem charismatischen Guru oder für andere esoterische Hilfsangebote, die ausschließlich auf die persönlichen Erfahrungen des Anbieters bauen.
Gemeinsamkeiten: Unterstützung in Problemsituationen, kommunikativer Austausch und Ratschläge; bei Selbsterfahrungsgruppen Hilfe durch Mitbetroffene.
Unterschiede: Oft stehen keine »klinischen« psychischen Störungen im Zentrum, so wie bei einer Gruppentherapie, sondern allgemeine Lebensschwierigkeiten.
In anderen Fällen, etwa bei einer Selbsthilfegruppe für Angstpatienten, geht es um gravierendere seelische Probleme. Solche Gruppen werden jedoch in den meisten Fällen nicht von einem professionellen Therapeuten geleitet. Die Teilnahme ist normalerweise kostenlos.
Gemeinsamkeiten: Hilfe bei Depressionen, Angstzuständen, ADHS oder Wahnerkrankungen. Verantwortungsvoll verschriebene Medikamente können die Symptome abmildern oder verschwinden lassen.
Unterschiede: Der Patient nimmt die Tabletten und vereinbart Kontrolltermine mit seinem Arzt. Die Krankheitsursachen spielen in vielen Fällen keine große Rolle. Manchmal genügt ein Medikament, in anderen Fällen empfiehlt es sich, die medizinische Behandlung mit einer Psychotherapie zu verbinden (Kombinationsbehandlung).
Eine wichtige Voraussetzung für eine anerkannte und kassenfinanzierte Psychotherapie in Deutschland ist eine »psychische Störung mit Krankheitswert«.
Gemeint sind erhebliche, krankheitsartige Abweichungen vom »normalen« Erleben und Verhalten, die neben dem Handeln auch das Denken und Fühlen des Betroffenen beeinträchtigen.
Auch bei stärkeren seelischen Belastungen ist nicht immer eine Psychotherapie angezeigt: Manche Schwierigkeiten gehen durch die Selbstheilungskräfte des Betroffenen oder durch private Unterstützung wieder zurück. Zudem sind Menschen unterschiedlich robust – was den einen aus der Bahn wirft, kann für andere noch gut zu bewältigen sein.
Bei vielen Menschen führen gravierende Lebensprobleme jedoch zu einer seelischen Krise. Hier spricht man von Belastungsreaktionen und Anpassungsstörungen, die häufig therapeutische Unterstützung erfordern (mehr dazu in Kapitel 2).
Andere erkranken in Situationen, die mit ungelösten Konflikten verbunden sind. Der Leidensdruck bei diesen neurotischen Störungen ist oft enorm, eine ambulante Psychotherapie kann helfen (mehr zu diesem Thema lesen Sie in Kapitel 3).
Wenn seelische Probleme großes Leid verursachen, hat das nicht nur negative Auswirkungen: Starker Leidensdruck kann dazu motivieren, einen Psychotherapeuten aufzusuchen und aktiv daran zu arbeiten, seine Schwierigkeiten zu bewältigen.
Eine weitere wichtige Gruppe von psychischen Krankheitsbildern sind Probleme, die sich wie ein roter Faden durch das Leben der Patienten ziehen: die sogenannten Persönlichkeitsstörungen (mehr dazu in Kapitel 4). Die Erkrankten versuchen, ihre Schwierigkeiten zu kompensieren, um weniger darunter zu leiden. Doch diese Selbststabilisierungsmaßnahmen haben ihren Preis, denn sie beeinträchtigen Denkmuster, Persönlichkeitsentwicklung und Flexibilität. Psychotherapie hilft auch hier, doch da bei vielen Persönlichkeitsstörungen die Umwelt mehr unter dem Verhalten des Erkrankten leidet als der Patient selbst, lässt sich nur ein Teil der Betroffenen motivieren, eine Therapie zu machen.
Hinzu kommen Störungen durch Wechselwirkungen von Körper und Seele, zum Beispiel psychosomatische Probleme und Suchterkrankungen (mehr dazu erfahren Sie in Kapitel 6). Abhängigkeitsprobleme werden häufig in psychiatrischen oder psychotherapeutischen Kliniken behandelt, danach kann eine ambulante Therapie stattfinden. Wenn bei psychotherapeutischen oder psychosomatischen Krankheiten eine ambulante Psychotherapie nicht ausreicht, verbringen die Patienten einige Wochen in einer sogenannten psychosomatischen Akutklinik (mehr dazu lesen Sie in Kapitel 13).
Bei einer weiteren Störungsgruppe, den Wahnerkrankungen (mehr dazu finden Sie in Kapitel 5), wird der Bezug zur Realität so stark beeinträchtigt, dass eine stationäre Behandlung in der Psychiatrie erforderlich ist. Hier stehen Schutz, fester Tagesrhythmus und Medikation im Mittelpunkt. Eine Psychotherapie im eigentlichen Sinne ist erst nach dem Abklingen der Wahnsymptome möglich. (Psychiatrische Behandlungen beschreibe ich in Kapitel 14.)
In den meisten Fällen verspricht eine Psychotherapie umso mehr Erfolg, je stärker der Patient motiviert ist, etwas an seiner Situation zu verändern. Wenn jemand seit vielen Jahren unter umfassenden seelisch-emotionalen Problemen leidet, dauert eine Behandlung oft relativ lange. Falls ein Patient psychisch gesund war, bevor er eine behandlungsbedürftige Krise erlebt, genügt häufig eine kürzere Psychotherapie.
Bezogen auf die Einwohnerzahl gibt es die meisten Psychotherapeuten in den Stadtstaaten Berlin, Hamburg und Bremen. In ländlichen Gebieten ist die Versorgungssituation teilweise deutlich schlechter.
Neben den etwa 55.000 Psychotherapeuten, die ursprünglich Psychologie studiert haben, arbeiten ungefähr 31.000 Ärztliche Psychotherapeuten, die ein Medizinstudium absolviert haben, im Gesundheitswesen. Zu ihnen gehören:
mehr als 12.400 Fachärzte für Psychiatrie und Psychotherapie
über 4.100 Fachärzte für Kinder- und Jugendpsychiatrie und -psychotherapie
mehr als 2.600 Fachärzte für Psychosomatische Medizin und Psychotherapie
knapp 11.800 Angehörige anderer Facharztgruppen mit Zusatzbezeichnung »Psychotherapie« oder »Psychoanalyse«, die eine entsprechende Weiterbildung abgeschlossen haben
Wie alle Mediziner dürfen Ärztliche Psychotherapeuten Medikamente verordnen und an andere Fachärzte überweisen. (Psychologischen Psychotherapeuten ist dies nicht erlaubt.) Ungefähr die Hälfte von ihnen ist ambulant tätig, die andere Hälfte stationär.
Die meisten Psychotherapeuten sind hingegen Psychologen. Etwa 45.000 haben sich auf Erwachsene spezialisiert, ungefähr 10.000 behandeln Kinder und Jugendliche. Mehr als 70 Prozent dieser Therapeutengruppe arbeiten ambulant in einer Praxis, der Frauenanteil liegt bei etwa 75 Prozent.
Seit dem Jahr 2020 werden alle nichtärztlichen approbierten Psychotherapeuten als »Psychotherapeut/-innen« bezeichnet. Dieses Wort fasst die früheren Berufsbezeichnungen »Psychologische(r) Psychotherapeut/-in« (PP) und »Kinder- und Jugendlichenpsychotherapeut/-in« (KJP) zusammen – ganz schön verwirrend. Nur der Begriff »Ärztliche(r) Psychotherapeut/-in« hat sich nicht verändert. Also müsste man eigentlich »Ärztliche Psychotherapeuten« den »Psychotherapeuten« gegenüberstellen. Da das kaum verständlich ist, verwende ich gelegentlich die alten Begriffe »Psychologischer(r) Psychotherapeut/-in« oder »Kinder- und Jugendlichenpsychotherapeut/-in«, um die Berufsbilder voneinander abzugrenzen.
Im Jahr 2019 haben etwa 50 Prozent der ambulanten Psychotherapeuten kognitiv-verhaltenstherapeutisch gearbeitet. Ungefähr 45 Prozent der Behandlungen waren tiefenpsychologisch fundiert und nur etwa zwei Prozent psychoanalytisch ausgerichtet. Kombinationen bei Therapeuten, die in mehreren Richtlinienverfahren ausgebildet wurden, machen den Rest aus. Für die Systemische Therapie, die erst seit 2020 zu den Kassenleistungen zählt, fehlt bislang die Datengrundlage.
Am häufigsten führen Angststörungen zu einer ambulanten oder stationären Psychotherapie. Es folgen Depressionen, Anpassungsstörungen nach belastenden Lebensereignissen und Suchtprobleme.
Jährlich leiden fast 28 Prozent aller Erwachsenen in Deutschland unter einer oder mehreren behandlungsbedürftigen Störungen. Im Jahr 2018 ließen sich etwa elf Prozent der Frauen und acht Prozent der Männer aus solchen Gründen in einer Praxis oder einer Klinik behandeln.
Die meisten ambulanten Behandlungen betreffen Erwachsene. In 2018 waren nur 5,6 Prozent aller Psychotherapiepatienten minderjährig.
Doch seit die Covid-19-Pandemie im Jahr 2020 größere Teile der Gesellschaft lahmgelegt hat, sind die Zahlen vor allem in diesem Bereich stark angestiegen. Gerade die Lockdowns mit den Schließungen von Kitas und Schulen waren für viele Kinder und Jugendliche traumatisch.
Neben der Angst vor einer Ansteckung mit dem Coronavirus litten Minderjährige häufig unter Einsamkeit, Bewegungsmangel und dem Gefühl, das Leben zu verpassen. Teenager konnten sich nicht mehr mit ihren Freunden treffen, Schularbeiten im Homeoffice waren eine Herausforderung, und aus Langeweile verbrachten viele Jugendliche mehr Zeit im Internet, als ihnen guttat. Hinzu kamen bei nicht wenigen Kindern und Jugendlichen familiäre Belastungen: Längerfristig gestresste Eltern und Geschwister hatten sich weniger unter Kontrolle, was seelische oder körperliche Gewalt begünstigen kann.
In 2021 und 2022 wurden deutlich mehr Angststörungen, Depressionen und Essstörungen bei Minderjährigen diagnostiziert als in den Jahren zuvor.
Vor allem die Zahl der stationären Behandlungen von Mädchen in der Pubertät und im Teenageralter ist 2022 stark angestiegen. Im Vergleich zum Vorjahr gab es ein Drittel mehr Angststörungen. Depressionen haben um über ein Viertel zugenommen und Essstörungen sogar um mehr als 50 Prozent.
Nach einer seriösen Umfrage hielten sich 2023 ganze 41 Prozent der 18- bis 34-jährigen Frauen für psychisch krank. Auch die seelisch-emotionalen Folgen von Post-Covid- und Long-Covid-Erkrankungen dürften hier eine Rolle spielen.
Doch die langfristigen Konsequenzen der Pandemie betreffen nicht nur junge Menschen. Der Fachverband Deutsche Psychotherapeuten-Vereinigung (DPtV) schrieb 2022, dass die Nachfrage nach kassenfinanzierten ambulanten Therapieplätzen in den zwei Jahren nach dem Beginn der Gesundheitskrise 2020 um mehr als 40 Prozent höher war als vor der Pandemie. Seit der Coronazeit ist der Psychotherapiebedarf hoch geblieben. In den letzten Jahren sind akute und chronifizierte Belastungsstörungen die häufigsten Störungsbilder in der ambulanten Erwachsenen-Psychotherapie.
Eine Arbeitspsychologin der Kaufmännischen Krankenkasse (KKH) fasst die häufigsten Probleme der Patienten mit den Worten »ungewöhnlicher Druck, große Belastungen, Dauerstress« zusammen.
Nach einer Studie des Axa Deutschland Mental Health Report von 2023 konnten 69 Prozent der Allgemeinbevölkerung »nicht mehr richtig abschalten«, 67 Prozent waren »niedergeschlagen«, 76 Prozent fühlten sich »unruhig und aufgewühlt«, 61 Prozent überreagierten oft und 58 Prozent gaben an, sich »über nichts mehr (zu) freuen«.
Allerdings sind manche dieser Klagen wahrscheinlich eher Momentaufnahmen als Ausdruck von langfristigen seelischen Erkrankungen. Nicht jeder Betroffene braucht unbedingt eine professionelle Behandlung.
Auf jeden Fall zeigt das Beispiel Covid-19-Pandemie, dass gesellschaftliche Krisen langfristig negative Auswirkungen auf die seelisch-emotionale Gesundheit haben können. Da nach dem Virus in schneller Folge weitere Verunsicherungen hinzukamen – Angriffskrieg gegen die Ukraine, Energiekrise, Inflation, Nahostkrieg, Klimaextreme –, wird der Psychotherapiebedarf vermutlich auf absehbare Zeit nicht zurückgehen.
Kapitel 2
IN DIESEM KAPITEL
Belastungs- und AnpassungsstörungenSymptome, Ursachen und Konsequenzen von reaktiven StörungenPsychotherapeutische Aufgaben und Herausforderungen bei der Behandlung von Belastungs- und AnpassungsstörungenZunächst grenze ich den Begriff »reaktive Störung« von anderen seelischen Schwierigkeiten ab. Dann stelle ich Ihnen die häufigsten reaktiven Erkrankungen vor.
Akute
Belastungsreaktionen
, bei denen jemand kurzfristig unter einem schlimmen Lebensereignis leidet, etwa dem Tod eines Familienmitglieds oder einem Überfall
Chronifizierte Belastungsstörungen
, bei denen traumatische Ereignisse zu langfristigen seelischen Schwierigkeiten führen, und
die sogenannten Anpassungsstörungen. Hier lösen negative, aber nicht katastrophale Lebenserfahrungen Symptome aus, die bis zu sechs Monaten anhalten. Häufig geht es dabei um leichtere Ängste und/oder depressive Probleme. In vielen Fällen sind die Betroffenen biografisch vorbelastet.
Neben den Ursachen, Symptomen und Folgen dieser psychischen Probleme geht es in diesem Kapitel auch um ambulante Behandlungsansätze. Außerdem beschreibe ich, wie sich Probleme, die bei einer Therapie von Patienten mit reaktiven Störungen auftreten können, lösen lassen. Fallberichte ergänzen das Kapitel.
Unter reaktiven Störungen versteht man seelisch-emotionale Reaktionen auf externe Belastungssituationen. Dazu gehören akute Belastungsreaktionen und posttraumatische Belastungsstörungen.
Wer unter einer akuten Belastungsreaktion oder einer posttraumatischen Belastungsstörung leidet, hat etwas erlebt, das so gravierend war, dass es jeden – oder fast jeden – Menschen für eine gewisse Zeit aus der Bahn werfen würde.
Bei einer akuten Belastungsreaktion lassen die quälenden Erkrankungszeichen nach Stunden oder Tagen nach, falls nach dem kritischen Lebensereignis keine langfristigen, chronischen Symptome entstehen – eine posttraumatische Belastungsstörung (PTBS).
Wenn jemand nach einer negativen Lebenserfahrung längere Zeit unter leichteren Ängsten oder depressiven Symptomen leidet, spricht man von einer Anpassungsstörung.
Anders als bei einer akuten Belastungsreaktion oder einer posttraumatischen Belastungsstörung stehen hier normalerweise keine besonders schlimmen oder katastrophalen Ereignisse im Hintergrund, sondern eher unangenehme Lebenssituationen wie eine Trennung oder eine Scheidung, andere nachhaltige Enttäuschungen oder Probleme am Arbeitsplatz.
Oft sind verletzliche und vorbelastete Menschen von dieser Störung betroffen. Ohne die Belastungssituation hätten sich die psychischen und/oder körperlichen Symptome jedoch nicht entwickelt.
Anders als akute oder chronische Belastungsstörungen, die auch bei zuvor gesunden Männern und Frauen beobachtet werden, liegt eine Anpassungsstörung häufig im Grenzbereich zwischen einer reaktiven Problematik und der neurotischen Entwicklung einer Depression oder einer Angststörung (mehr dazu in Kapitel 3).
Eine akute Belastungsreaktion ist eigentlich eine ganz normale Reaktion auf ein als negativ empfundenes, unnormales Lebensereignis.
Wer zum Beispiel als Fußgänger gerade einen schweren Verkehrsunfall beobachten musste, zittert und schwitzt möglicherweise eine Zeitlang, kann sich kaum konzentrieren und hat nachts Albträume. Am nächsten Tag, zum Beispiel nach einem Entlastungsgespräch mit der besten Freundin, gehen die Symptome wieder zurück. Vielleicht helfen auch einige Termine bei einem Psychotherapeuten.
Anders bei einer posttraumatischen Belastungsstörung: Hier leidet der Patient lange Zeit unter Erkrankungszeichen wie Schreckhaftigkeit, Reizbarkeit, Schlafstörungen, Wut oder Verzweiflung – so als habe das schlimme Ereignis nicht vor ein paar Wochen oder Monaten stattgefunden, sondern vor einer halben Stunde.
Die Unfallbilder, um beim Beispiel zu bleiben, gehen dem Betroffenen immer wieder durch den Kopf, wie eine Horrorfilmschleife, die sich nicht abschalten lässt.
Bei einer posttraumatischen Belastungsstörung (PTBS) stoßen Selbsthilfemaßnahmen schnell an ihre Grenzen, vor allem, wenn langjährige, wiederholte Traumatisierungen im Hintergrund stehen. Wenn eine PTBS nicht psychotherapeutisch behandelt wird, kann daraus eine Persönlichkeitsstörung entstehen, zum Beispiel eine Borderline-Problematik (mehr dazu in Kapitel 4).
Zu den Folgen von traumatischen Erlebnissen können auch andere schwere Erkrankungsbilder wie eine Sucht, eine Essstörung oder eine Wahnerkrankung gehören. (Mehr über Abhängigkeitsprobleme und Essstörungen erfahren Sie in Kapitel 6, Wahnkrankheiten beschreibe ich in Kapitel 5.)
In den Medien wurde über eine besonders drastische Form der posttraumatischen Belastungsstörung berichtet, die man bei amerikanischen Irakkriegsveteranen beobachtet hat: Die Soldaten, körperlich gesund, gingen bei jeder Fehlzündung eines Automotors reflexhaft in Deckung, weil sie das Geräusch an den Häuserkampf in Bagdad erinnerte, so als wären sie noch dort.
Manche GIs wurden drogen- oder alkoholsüchtig, um die quälenden Erinnerungsschleifen (oder Flashbacks) abzudämpfen. Einige neigten zu Gewaltausbrüchen, oder sie nahmen sich das Leben.
Falls es Anzeichen gibt, die darauf hindeuten, dass eine akute Belastungsreaktion einen chronischen Verlauf nimmt, empfiehlt sich eine ambulante Psychotherapie. Am besten bei einem Arzt oder Psychologen, der eine traumatherapeutische Weiterbildung abgeschlossen hat. In schweren Fällen kann auch eine stationäre Behandlung in einer psychiatrischen Klinik sinnvoll sein.
Es gibt viele Situationen, die zu einer akuten Belastungsreaktion führen können. Einige Beispiele:
Tod oder die körperliche beziehungsweise seelische Krankheit eines Angehörigen
Diagnose einer eigenen schweren Erkrankung
Beobachtung eines Unfalls oder die Erfahrung, zum Unfallopfer zu werden
Psychische, körperliche oder sexualisierte Gewalterlebnisse, die die Betroffenen erleben (oder als Zeugen mitbekommen).
Bei Menschen, deren psychische Konstitution nicht sehr stabil ist, können auch objektiv weniger schlimme Lebenserfahrungen zu einer akuten Belastungsreaktion oder einer längerfristigen Belastungsstörung führen.
Zu den häufigsten Anzeichen einer akuten Belastungsreaktion gehören:
Herzklopfen, Schweißausbrüche, Zittern, Beklemmung, Schreckhaftigkeit und erhöhte Reizbarkeit
Konzentrationsschwierigkeiten und Einengung der Aufmerksamkeit, Anspannung und/oder Schlafstörungen
Orientierungsschwierigkeiten, Kommunikationsprobleme und sozialer Rückzug, manchmal auch hektische Überaktivität
Aggressionen, starke Trauergefühle, Verzweiflung oder Hoffnungslosigkeit
Gefühl der Betäubung oder Desorientiertheit
Verhaltensweisen, die automatisiert und unangemessen bis sinnlos wirken
Gefühl, nicht man selbst zu sein oder die Realität verfremdet wahrzunehmen. In solchen Fällen spricht man von dissoziativen Symptomen (»dissoziativ« bedeutet im Lateinischen »getrennt« oder »aufgelöst«).
Nicht alle Erkrankungszeichen aus dieser Liste müssen bei einem Patienten beobachtet werden, um die Diagnose »akute Belastungsreaktion« zu stellen. Normalerweise treten die Symptome sofort oder innerhalb einer Stunde nach dem traumatischen Ereignis auf.
Häufig schwankt die Gefühlslage der Patienten nach dem belastenden Ereignis stark, etwa zwischen Angst und Wut oder zwischen leiser Hoffnung, Teilnahmslosigkeit und starker Verzweiflung. Doch diese Erkrankungszeichen bilden sich wieder zurück, falls die Belastungsreaktion nicht zu einer chronischen Störung wird. Die wichtigste Sofortmaßnahme: Die Betroffenen müssen aus dem Gefahrenbereich in eine geschützte Umgebung gebracht werden.
Das sogenannte Debriefing, ein professionell geleitetes Gespräch mit einer traumatisierten Gruppe direkt nach einer Katastrophe, geht manchmal nach hinten los, weil einige Menschen durch die Schilderungen der anderen getriggert, also erneut traumatisiert werden können.
Häufig vermeiden die Betroffenen bei einer akuten Belastungsreaktion zunächst Sinnesreize, die an die schlimme Erfahrung erinnern, etwa dunkle Straßenecken nach einem Überfall. Auch das Erregungsniveau der Patienten ist oft noch eine Weile unangenehm erhöht, was zu Schreckhaftigkeit, Reizbarkeit, Schlafstörungen, verstärkter Schweißbildung oder einer Neigung zu Spannungskopfschmerzen beitragen kann.
In der Verarbeitungsphase bilden sich die belastenden Symptome allmählich zurück. Das Trauma wird in die anderen Gedächtnisinhalte integriert. Bis es so weit ist, leiden viele Betroffene unter Albträumen. Manchen helfen Gespräche mit Angehörigen oder einem Therapeuten, um das Erlebnis zu verarbeiten.
Wenn die akuten Symptome in den Stunden und Tagen nach dem schlimmen Ereignis langsam zurückgehen, ist alles in Ordnung. Wenn nicht, kann die akute Belastungsreaktion in eine chronifizierte posttraumatische Belastungsstörung münden, die auf jeden Fall psychotherapeutisch behandelt werden muss.
Die lang anhaltende Variante der akuten Belastungsreaktion wird posttraumatische Belastungsstörung (PTBS) genannt. Sie tritt meistens innerhalb von sechs Monaten nach dem Trauma auf. Es gibt zwei Erkrankungsvarianten:
Eine einfache posttraumatische Belastungsstörung ist dadurch definiert, dass das Trauma einmalig war, nicht lange angehalten hat oder nicht als Katastrophe erlebt wurde.
In solchen Fällen empfiehlt sich eine sogenannte EMDR-Therapie bei einem Arzt oder Psychologen, der diese Methode beherrscht und sie in seine Richtlinientherapie integriert. (EMDR stelle ich Ihnen im weiteren Kapitelverlauf vor.)
Bei einer komplexen posttraumatischen Belastungsstörung stehen schwere, wiederholte oder anhaltende Traumatisierungen im Hintergrund. Die EMDR-Technik ist bei komplexen PTBS nicht geeignet, aber eine sogenannte Dialektisch-behaviorale Therapie (DBT) kann helfen.
Die DBT wurde speziell für Menschen entwickelt, die eine Krise nach der anderen erleben. Da viele DBT-Patienten unter einer Borderline-Problematik leiden, beschreibe ich diese Methode in Kapitel 4 (Persönlichkeitsstörungen). Ausführliche Informationen zum DBT-Verfahren finden Sie in DBT für Dummies von Gillian Galen und Blaise Aguirre.
Die belastenden Krankheitszeichen einer PTBS lassen sich manchmal auch bei akuten Belastungsreaktionen beobachten, vor allem bei gravierenden Traumata. Im Unterschied zu diesen klingen sie jedoch nicht nach einigen Stunden oder, bei anhaltenden Belastungen, nach bis zu zwei Tagen ab, sondern quälen den Betroffenen über Wochen, Monate oder Jahre.
Zu den wichtigsten Symptomen einer posttraumatischen Belastungsstörung gehört eine schleifenartige Wiederholung der Einzelheiten, die den Erkrankten im Gedächtnis geblieben sind, sogenannte Flashbacks. Anderen Patienten gelingt es nicht, sich bestimmte Aspekte des Traumas überhaupt ins Gedächtnis zu rufen – eine Schutzreaktion des Gehirns. Kleine Signale, die den Betroffenen an das schlimme Ereignis erinnern, sogenannte Trigger, lösen oft starke Angst und Vermeidungsverhalten aus. Auch Aggressionsdurchbrüche, Selbstverletzungsverhalten und Suizidversuche können Folgen einer PTBS sein.
Schwere Verlaufsformen lassen sich häufig nach schlimmen Erfahrungen beobachten, die niemanden unberührt lassen, zum Beispiel Vergewaltigung oder sexueller Missbrauch, Erdbeben und Flutereignisse, Kriegstraumata oder der Versuch, eine totalitäre Sekte zu verlassen.
Meistens wirken sich Katastrophen, die von Menschen verursacht wurden, stärker auf das Seelenleben aus als solche, die der Natur zuzuschreiben sind. Neben dem erheblichen Leid kommt hier das Gefühl hinzu, ungerecht und brutal behandelt worden zu sein und dadurch vielleicht den Glauben an das Gute im Menschen verloren zu haben. Extremtraumatisierungen, wie sie zum Beispiel Kriege und Völkermorde mit sich bringen, führen zudem bei manchen Opfern zu Schuldgedanken, weil sie, anders als viele Leidensgenossen, das Grauen überlebt haben.
Eine 1983 durchgeführte Untersuchung in den USA, bei der Vietnamkriegsveteranen befragt wurden, zeigt, dass bestimmte Faktoren das Risiko für eine posttraumatische Belastungsstörung erhöhen beziehungsweise vermindern können. Langfristig erkrankten etwa 31 Prozent der Soldaten und 27 Prozent der Soldatinnen an einer posttraumatischen Belastungsstörung.
Die Gefahr einer solchen Entwicklung stieg, wenn die Soldaten
aus instabilen Familienverhältnissen stammten,
Eltern mit einem bestrafenden Erziehungsstil hatten,
bereits vor dem Kampfeinsatz unter Depressionen litten,
nach dem Kampfeinsatz weitere Traumatisierungen erlebten, zum Beispiel eine Scheidung, den Tod eines Angehörigen oder eine schwere Krankheit,
während des Traumas starke dissoziative Symptome zeigten.
Zu Letzteren gehört das Gefühl, von sich selbst entfremdet zu sein (Depersonalisation), und der Eindruck, die Außenwelt verzerrt wahrzunehmen (Derealisation).
Das Risiko einer posttraumatischen Belastungsstörung sank, wenn die GIs
eine enge und gute Beziehung zu ihren Eltern pflegten,
einen hohen gesellschaftlichen Status hatten,
nach dem Trauma von Kameraden und Angehörigen angemessen unterstützt wurden.
Einige Persönlichkeitsfaktoren bieten einen gewissen Schutz vor nachhaltigen Traumatisierungen. Außerdem helfen sie, wenn es um die Heilungschancen nach einer posttraumatischen Belastungsstörung geht, etwa im Rahmen einer Psychotherapie.
Psychologen sprechen von »Resilienz« und meinen damit die Fähigkeit, schwierige Lebenssituationen erfolgreich zu bewältigen.
Resilienz hilft also bei der Traumabewältigung. Studien zeigen, dass diese Charaktereigenschaft verschiedene Facetten hat. Dazu zählen unter anderem:
gute Stressverarbeitungs- und Problemlösekompetenzen,
der Mut, andere bei persönlichen Schwierigkeiten um Unterstützung zu bitten,
Offenheit, mit Angehörigen auch über die eigenen Gefühle und Probleme zu sprechen,
die Fähigkeit, sich nach einem erschütternden Lebensereignis nicht als passives, hilfloses Opfer zu definieren. Viele resiliente Männer und Frauen betrachten sich stattdessen als »Überlebende«, die die Katastrophe mit innerer Stärke überstanden haben.
Einen Sinn im eigenen Leben zu sehen und Menschen zu helfen, wenn sie Unterstützung brauchen, gehört ebenfalls zu den Merkmalen einer resilienten Persönlichkeit.
Im Rahmen einer psychotherapeutischen Behandlung, ambulant oder stationär, sollte das Trauma, soweit es möglich ist, durchgearbeitet werden. Dadurch schwächen sich die negativen Erinnerungen ab. Sie verknüpfen sich mit den anderen Gedächtnisinhalten und fühlen sich nicht mehr wie ein Horrorfremdkörper an.
Wenn der Patient das Trauma verarbeitet hat, gehört es zu den unschönen Aspekten seiner Lebensgeschichte, aber es überwältigt ihn nicht mehr, wenn er daran denkt.
Die belastenden Gedächtnisschleifen (Flashbacks) verschwinden normalerweise im Therapieverlauf. Auch die Neigung zu Vermeidungsverhalten in Situationen, die an das schlimme Ereignis erinnern, verringert sich. Allerdings erfordert es Mut, Zeit und Übung, Triggersituationen so lange auszuhalten, bis die Angst zurückgeht.
Vor allem muss sichergestellt sein, dass im Alltagsleben keine weiteren Traumatisierungen stattfinden: Wenn etwa eine Klientin mit PTBS während einer Psychotherapie immer wieder von ihrem Partner misshandelt wird, kann es keine echten Behandlungserfolge geben.
Bei schweren Formen einer posttraumatischen Belastungsstörung verschreiben manche Fachärzte, ergänzend zur Psychotherapie, ein Antidepressivum. In besonders gravierenden Fällen ist die Verordnung eines Antipsychotikums sinnvoll, das zur Vorbeugung oder zur Behandlung von Wahnzuständen dient. (Mehr zu Psychopharmaka finden Sie in Kapitel 6.)
Bei posttraumatischen Belastungsstörungen ist es besonders wichtig, dem Patienten das Tempo beim Behandlungsverlauf zu überlassen.
Falls der Therapeut, ob bewusst oder unbewusst, Druck ausübt, besteht die Gefahr, dass sich die traumabedingten Symptome verschlimmern, etwa die besonders belastenden Gefühle, nicht ganz da zu sein, die Wirklichkeit wie durch einen Filter wahrzunehmen und an schleifenartigen Flashbackerinnerungen zu leiden.
Vor allem wenn die Symptome des Erkrankten durch Übergriffe von anderen Menschen entstanden sind, ist sein allgemeines Vertrauen zunächst einmal auf dem Nullpunkt. Druck durch den Arzt oder Psychologen führt dann nicht selten zum Abbruch der Therapie.
Ein fordernder oder drängender Psychotherapeut kann das Trauma, benutzt oder missbraucht zu werden, wiederaufleben lassen (Retraumatisierung). Falls der Klient nun das Vertrauen in seinen Arzt oder Psychologen verliert, weil er von ihm retraumatisiert wurde, sucht er möglicherweise nie wieder nach professioneller Hilfe. Er sieht sich dann alleingelassen mit seinen Problemen, und alles wird noch schlimmer, als es ohnehin für ihn ist.
Ein Psychotherapeut sollte akzeptieren, dass sein Patient selbst bestimmt, wann er etwas erzählt, welche Details er preisgibt und mit welchen Aspekten des Traumas er sich gerade beschäftigen will und kann. Irgendwann jedoch sollten die belastenden Erinnerungen zum Thema der Gespräche werden. Eine vertrauensvolle, von Respekt geprägte Arbeitsbeziehung ist hier besonders wichtig.
Carla Schneider, eine 21-jährige Verkäuferin, ließ sich nach einer Vergewaltigung auf einer psychotherapeutischen Station behandeln. Sie litt unter Symptomen einer posttraumatischen Belastungsstörung wie Flashbacks. Außerdem vermied sie Situationen, die sie an das Trauma erinnerten, und misstraute seit dieser Zeit den Männern in ihrem Freundeskreis erheblich. Zunächst wollte sie nicht über die belastende Erfahrung sprechen. Das habe ich akzeptiert.
In den Einzel- und Gruppentherapien lernte Frau Schneider, wie sie sich besser abgrenzen konnte. Vorher hatte sie ihre Bedürfnisse und Grenzen immer wieder zurückgestellt, um anderen Menschen zu gefallen. Dieses Verhalten stellte sie nun infrage.
Nach etwa einem Monat bat ich die Patientin darum, wenigstens den Rahmen des Traumas zu schildern, da ich sonst nicht wüsste, wie ich ihr helfen könne, die schlimmen Erfahrungen aufzuarbeiten. Es fiel ihr sichtlich schwer, doch sie fasste sich ein Herz und berichtete, ein früherer Freund habe ihr Nein nicht akzeptiert und sie stundenlang zum Oralsex gezwungen. Carla Schneider schämte sich dafür, dass sie »mitmachte«, obwohl der Bekannte sie vor dem Übergriff »nur« verbal bedroht hatte.
Nachdem sie das Trauma in groben Zügen beschreiben konnte, gelang es ihr, ihre Traurigkeit und ihre Wut zu spüren. Nach vielen unterstützenden Gesprächen fühlte sich Frau Schneider nicht mehr mitverantwortlich für die Vergewaltigung. Das Vermeidungsverhalten, die Flashbacks und die vegetativen Störungen – Durchfall, Magenschmerzen, Herzrasen – bildeten sich in den letzten Wochen des Klinikaufenthalts zurück. Die 21-Jährige konnte allmählich wieder Vertrauen zu sich selbst und zu ihren Fähigkeiten aufbauen, die Absichten anderer Menschen intuitiv zu erkennen.
In den letzten Jahrzehnten wurde ein interessantes neues Behandlungsverfahren für posttraumatische Belastungsstörungen entwickelt: EMDR, »Eye Movement Desensitization and Reprocessing«.
Klingt wie ein Iris-Scanverfahren, um Zugang zu einem hoch gesicherten Computer zu bekommen, bedeutet aber »Desensibilisierung und Aufarbeitung durch Augenbewegungen«. Dabei wird das Trauma durch eine spezielle Technik verarbeitet, die die Abläufe im Gehirn des Betroffenen gezielt verändert.
Diese Methode stammt von der amerikanischen Psychologin und Literaturwissenschaftlerin Francine Shapiro (1948 – 2019). Sie entdeckte sie zufällig bei einem Parkspaziergang, als sie über ihre Krebserkrankung nachdachte. Shapiro bewegte ihre Augen von links nach rechts und zurück. Sie bemerkte, dass sie danach weniger an Ängsten und depressiven Grübeleien litt. Später systematisierte sie das Verfahren und nutzte es zur Behandlung von Traumapatienten.
Die Wirksamkeit von EMDR bei der Behandlung von PTBS wurde erfolgreich wissenschaftlich überprüft. Allerdings wird diese Technik nur bei sogenannten einfachen posttraumatischen Belastungsstörungen empfohlen. Für komplexe posttraumatische Erkrankungen mit schweren, wiederholten oder lang anhaltenden Traumatisierungen sind andere Behandlungsformen besser geeignet, vor allem die Dialektisch-behaviorale Therapie (DBT, mehr dazu in Kapitel 4).
Shapiro beobachtete, dass bei starken Traumatisierungen immer wieder Bilder auftauchen, die hauptsächlich in der rechten Gehirnhälfte verarbeitet werden, und gleichzeitig das Sprachzentrum in der linken Gehirnhälfte blockiert ist. Deshalb können die Betroffenen nicht – oder nur zum Teil – über das berichten, was sie erlebt haben. Das gilt auch für die visuellen Flashbacks, die viele Patienten quälen.
Bestimmte Augenbewegungen, die beide Gehirnhälften stimulieren, sollen diese neuronalen Blockaden abbauen. Übererregungssymptome und Angstgefühle gehen dadurch mit der Zeit ebenfalls zurück.
Ob EMDR in der Traumatherapie tatsächlich so wirkt, wie es Shapiros Theorie beschreibt, ist wissenschaftlich umstritten. Nicht umstritten ist, dass diese Methode bei vielen einfachen Traumatisierungen eine gute Erfolgsbilanz aufweist.
In Deutschland dürfen Psychoanalytiker, Tiefenpsychologen, Verhaltenstherapeuten und Systemische Therapeuten EMDR anbieten und mit den Kassen abrechnen, wenn sie eine entsprechende Zusatzausbildung abgeschlossen haben. Auch viele Traumatherapeuten haben EMDR erlernt.
Bevor diese Methode zum ersten Mal genutzt wird, berichtet der Patient, unter welchen Erkrankungssymptomen er leidet, wie stark sie sind und in welchen Situationen sie auftreten. Auch seine Ressourcen, die persönlichen Kraftquellen, sind Thema der Gespräche. Wenn es um das traumatische Ereignis selbst geht, ist therapeutisches Fingerspitzengefühl gefragt, und der Erkrankte muss auch nicht alles erzählen.
Es kann eine ganze Weile dauern, bis ein Traumapatient bereit ist, sich intensiver mit den Belastungen auseinanderzusetzen. Erst dann ist es Zeit für die erste EMDR-Übung.
Zunächst unterstützt der Psychotherapeut den Klienten, in seiner Fantasie oder in seiner Erinnerung einen sicheren Ort zu finden. An den kann er sich zurückziehen, wenn es zu belastend wird, sich mit dem Trauma zu beschäftigen. Auch beliebt: Der Patient stellt sich einen Tresor vor, um notfalls sämtliche belastenden Erinnerungen einzusperren. Diese Methoden erinnern an die Hypnotherapie (mehr dazu in
Kapitel 9
) und dienen der Stabilisierung und dem Schutzgefühl.
Der Erkrankte wählt eine einzelne bildhafte Erinnerung an das Trauma aus und bewertet sie so, wie sie ihm immer wieder vorkommt. Zum Beispiel »Ich bin völlig verängstigt und hilflos.« Danach sucht er nach einem positiven Gegengedanken, etwa »Es ist vorbei, jetzt kann ich wieder etwas für mich tun.« Schließlich überprüft er, ob er den Gedanken zum Kontern überzeugend findet. Vielleicht verbindet er sich mit einem guten Gefühl.
Während der Therapeut eine Hand – oder eine LED-Lampe – relativ schnell von links nach rechts und zurück bewegt, folgt ihm der Patient mit den Augen. Sein Kopf bleibt dabei ruhig. Gleichzeitig versetzt er sich gedanklich und emotional in das Traumabild hinein.
Oft ist das ein visueller Eindruck, der wie schockgefroren wirkt und sich wie ein Fremdkörper im Gedächtnis anfühlt. (In späteren Sitzungen werden möglichst alle belastenden Erinnerungen, die sich um das Trauma drehen, mit EMDR durchgearbeitet.)
In dieser Phase kommt es häufig zu starken Reaktionen, zum Beispiel Weinen, heftiges Atmen oder Zittern. Der Therapeut hilft seinem Gegenüber, sich weniger hilflos zu fühlen, zum Beispiel durch die Sicherer-Ort-Fantasie oder den Tresor.
Sobald der Patient diesen Teil des Traumas ohne starke Belastungsgefühle erträgt, ruft er sich den positiven Gegengedanken und das gute Gefühl aus dem zweiten Behandlungsschritt in Erinnerung. Der Therapeut verstärkt dies mit langsameren Handbewegungen, denen der Erkrankte mit den Augen folgt. Häufig kommt es in dieser Phase bereits zu ersten subjektiven Entlastungsempfindungen.
Nach den ersten EMDR-Sitzungen führt die Traumaverarbeitung manchmal zu unangenehmen Nebenwirkungen, zum Beispiel zu vermehrten Albträumen. Doch auch diese Erfahrungen helfen dem Klienten dabei, die schlimme Erinnerung allmählich in sein Leben zu integrieren. Wenn der Therapeut ihn darauf aufmerksam macht, kann er sich darauf einstellen.
Wissenschaftliche Studien haben gezeigt, dass EMDR auch bei depressiven Problemen und einigen Formen von Schmerzstörungen helfen kann.
Die sogenannten Anpassungsstörungen liegen im Grenzbereich zwischen reaktiven Problemen und einer neurotischen Entwicklung, also zwischen einer leicht nachvollziehbaren Krise, weil kürzlich etwas Schlimmes passiert ist, und einer Neigung zu Depressionen oder Ängsten, die tiefer in der Lebensgeschichte des Patienten wurzelt.
Ohne das belastende Ereignis wäre die Anpassungsstörung jedoch nicht entstanden. Die Symptome gelten als Reaktion auf einmalige oder wiederholte negative Lebensereignisse.
Auf der anderen Seite spielen die individuelle Verwundbarkeit und die Vorerfahrungen der Betroffenen eine wichtige Rolle beim Ausbruch und bei der Aufrechterhaltung der Problematik. Schätzungen zufolge leiden etwa fünf bis 20 Prozent aller Psychotherapiepatienten an einer Anpassungsstörung.
Die Ursachen einer Anpassungsstörung sind nicht von objektiv außergewöhnlichem oder katastrophalem Ausmaß. Es stehen also eher Unfälle, Krankheiten, Todesfälle oder eine belastende Scheidung im Hintergrund als Kriegsfolgen, Misshandlungs- oder Vergewaltigungstraumata.
Die Symptome beziehen sich sowohl auf die Gefühle als auch auf die Einstellungen und Verhaltensweisen der Klienten. Häufig lassen sich eines oder mehrere der folgenden Erkrankungszeichen beobachten:
Gefühle von Bedrängnis, Überlastung und verminderter Stresstoleranz
Probleme im Sozialverhalten, häufige Auseinandersetzungen, manchmal auch längerfristiger sozialer Rückzug
Neigung zu Grübeleien, vermehrte Sorgen, Traurigkeit, Freudlosigkeit und andere relativ leichte depressive Symptome
Zukunfts- und Bewältigungsängste, zum Teil verbunden mit Vermeidungsverhalten
Verringertes Selbstwertgefühl