Pussy - Howard Jacobson - E-Book

Pussy E-Book

Howard Jacobson

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Beschreibung

Ein Jahr Donald Trump - eine bissige Gesellschaftssatire vom Booker-Preisträger In der einst so friedlichen Republik Urbs-Ludus sind unruhige Zeiten angebrochen: Zu viele ausländische Brotbäcker bedrohen den Frieden in der Stadt. Alle Hoffnungen ruhen auf dem Prinzen mit dem senfgelben Haar. Doch weiß der, wie man ein Land regiert? Böse Zungen behaupten, er habe sogar Schwierigkeiten, vollständige Sätze zu bilden ... Prinz Fracassus ist der einzige Sohn des Herzogs von Urbs-Ludus und wächst im Überfluss heran. Dem Knaben mit dem senfgelben Haar mangelt es weder an Bildung noch an Zerstreuung. Viel spricht er zwar nicht, dafür verbringt er zu viel Zeit vor dem Fernseher, aber das wird schon noch, oder? Es wird nicht. Selbst dem liebenden Vater fällt irgendwann auf: Seinem Sohn fällt es schwer, zusammenhängende Sätze zu formulieren. Stattdessen ist eine große Begeisterung für Prostituierte, Gladiatorenkämpfe sowie für Reality-Shows zu verzeichnen. Kann so ein Mann ein ganzes Land regieren? Ein Land, das murrt, weil es zu viele ausländische Brotbäcker gibt? Verzweifelte Zeiten verlangen verzweifelte Maßnahmen. Politische Berater werden herbeigeholt, Allianzen werden geschlossen, eine Twitterkampagne organisiert. Und am Ende? Am Ende siegt die Einfalt. "Wenn Trumps Präsidentschaft irgendetwas Positives bewirkt hat, dann ist es die Tatsache, dass einer der besten Schriftsteller unserer Zeit diese geschliffene und gnadenlose Satire verfasst hat." Andrew Anthony, Observer

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EPUB

Seitenzahl: 246

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Howard Jacobson

Pussy

Aus dem Englischen von Johann Christoph Maass Mit Illustrationen von Chris Riddell

Impressum

Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung ist ohne Zustimmung des Verlags unzulässig. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Speicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen.

Tropen

www.tropen.de

Die Originalausgabe erschien unter dem Titel »Pussy« im Verlag Jonathan Cape, London

© 2017 by Howard Jacobson

Illustrationen © 2017 by Chris Riddell

Für die deutsche Ausgabe

© 2018 by J. G. Cotta’sche Buchhandlung

Nachfolger GmbH, gegr. 1659, Stuttgart

Alle deutschsprachigen Rechte vorbehalten

Cover: Zero Media GmbH, München

unter Verwendung einer Illustration von Chris Riddell

Datenkonvertierung: Dörlemann Satz, Lemförde

Printausgabe: ISBN978-3-608-50351-7

E-Book: ISBN 978-3-608-11009-8

Dieses E-Book basiert auf der aktuellen Auflage der Printausgabe.

Inhalt

Erstes Buch

Offenbarung

PrologDer Vormarsch der Ignoranz

1. Kapitel… in dem Fracassus, mutmaßlicher Thronfolger im Fürstentum Origen, geboren wird

2. Kapitel… das sich um Vaterängste und das Kleid einer Lehrerin dreht

3. Kapitel… in dem erkannt wird, dass sich die Sprache zurückentwickelt

4. Kapitel… das sich damit beschäftigt, welche Rolle das Fernsehen in der Erziehung eines Staatslenkers spielt

5. Kapitel… das wehtut und Dinge enthält, über die man besser schweigen sollte

6. Kapitel… in dem man übereinkommt, nicht die Pferde scheu zu machen

7. KapitelEin Wind geht durch die Republik Urbs-Ludus

8. KapitelDas Ende der Einfalt

9. Kapitel… in dem Fracassus eine wichtige Lektion in Sachen Steuervermeidung lernt und eine großartige Idee hat

10. KapitelWie ein Wetterfrosch in Fracassus’ Herz für Sonnenschein sorgte

11. KapitelEin kurzes Kapitel über Betongold

12. KapitelDie Sorgen einer Mutter in 140 Zeichen

13. Kapitel… in welchem Fracassus der Welt eröffnet, was er so isst

14. KapitelWenn meine Liebe schwört, sie sei mir treu …

15. Kapitel… so glaub’ ich ihr, obgleich ich weiß, sie lügt

Zweites Buch

16. Kapitel… welches die Wissenschaft der Staatsführung in Gänze enthält

17. KapitelEin Held unserer Zeit

18. Kapitel… in dem Fracassus beinahe ein Buch liest

19. KapitelDas Gesetz des Dschungels

20. KapitelFracassus entdeckt, dass Freiheit ihren Preis hat, und twittert darüber

21. KapitelDie Einsamkeit des Angebers

22. Kapitel… in dem der Prinz seine Talente noch mehr zu schätzen lernt

23. KapitelEin kurzes Kapitel, in dem es nichts zu lernen gibt

24. KapitelÜber die Traurigkeit der Dinge. Ein Sohn kehrt heim, ein Vater macht sich zur Abreise bereit

25. Kapitel»Schluss jetzt!«

26. KapitelVolldeppen

27. Kapitel… in dem Fracassus unter Beweis stellt, nicht mehr verliebt zu sein

28. KapitelEine kurze Abhandlung zur Hanswursterei

29. KapitelDie Geschwindigkeit der Lügen

30. KapitelDas Ende aller Tage

Für Donald Zec – den besten Redner, den besten Zuhörer, den besten Freund

Wie sollte man annehmen, dass die Menschheit auf Rat hört, wenn sie nicht einmal sich warnen lässt?

Jonathan Swift

Erstes Buch

Offenbarung

Und ich sah ein Tier aus dem Meer steigen …

Und das Tier, das ich sah, war gleich einer Hyäne und seine Füße wie Clownsfüße und sein Gesicht wie das eines verzogenen Kindes …

Und die Menschen gaben ihm seine Kraft und seinen Thron und große Macht …

Und sie beteten das Tier an und sprachen: Wer ist dem Tier gleich, und wer kann mit ihm kämpfen?

Und es wurde ihm ein Maul gegeben, zu reden große Dinge …

Und es tat sein Maul auf zur Lästerung gegen die Wahrheit …

Und es wird sich dereinst begeben, dass alle, die auf Erden weilen, sich fragen werden, warum sie es anbeten …

Und sie werden erkennen müssen, dass das Tier nicht dem Meer, sondern den eigenen Herzen entsprungen ist …

Und Schrecken wird herrschen darob, dass, ihm einmal entstiegen, das Tier sich nicht mehr wird überzeugen lassen, zurückzukehren …

Prolog

Der Vormarsch der Ignoranz

Eines frühen Morgens während des bekanntermaßen außergewöhnlich heißen Sommers 20** konnte man beobachten, wie eine Gestalt zwischen den höchsten Obelisken und Zikkurats der von einer Mauer umschlossenen Republik Urbs-Ludus hindurchlief. Ein schlanker Mann Mitte vierzig, überdurchschnittlich groß, allerdings ohne Haare. Er war auf der Suche nach dem Palast mit den Goldenen Toren und man versicherte ihm, er könne ihn gar nicht verfehlen. Obgleich die meisten Leute, die er passierte, so taten, als spürten sie die Hitze nicht, und die Kragen zugeknöpft und die Schals umgewickelt behielten, trug er den Mantel über der Schulter. Etwas an ihm – es mochte sein kahlgeschorener Kopf sein, war dies doch eine Gesellschaft, die auf fantastische Haartrachten großen Wert legte – deutete Unnachgiebigkeit an und womöglich sogar, dass er vor den Autoritäten in Ungnade gefallen war. Es war Professor Kolskeggur Probrius, der bis zum Jahr zuvor Leiter von Phonoethics gewesen war, einem universitären Forschungsprogramm, das sich mit der Bedeutung von Sprache für ethisches Denken beschäftigte. Die Worte, die wir verwendeten, und die Art und Weise, wie wir sie zum Ausdruck brächten, so argumentierte er, hätten Einfluss auf unsere Gedanken und Taten. Die Phrase »Eine schlechte Grammatik bringt schlechte Menschen hervor« wird der Subtilität seines Denkens kaum gerecht, aber so lautete die Kernthese.

Der Junggeselle mit der asketischen Lebensführung hatte sich die Bewunderung der Studentenschaft dadurch erworben, sich ganz ihrem Fortkommen verschrieben zu haben. Dann erfolgte die Große Säuberung der Illuminaten und Professor Probrius sah sich mit dem Vorwurf konfrontiert, erkenntnismäßiges Herablassen betrieben zu haben, sprich daraus, über Expertenwissen zu verfügen, eine Tugend gemacht zu haben. Die Studenten würden an der gefühlten Kluft zwischen seinen und den eigenen Errungenschaften verzweifeln. Er sorge dafür, dass sie sich ihm unterlegen fühlten und man von oben auf sie herabschaue. Zwar räumte man ein, dass er sich durchaus bemühe, die Studenten vor Komplexität zu bewahren, indem er versuche, andere Worte für jene zu finden, an denen sie verzweifelten, dies aber habe nur dazu geführt, wie man vortrug, dass sie sich »remedialisiert« vorkamen. Der Augenblick, als er behauptete, das Verb »remedialisieren« noch nie gehört zu haben, war derjenige, in dem sein Schicksal besiegelt wurde. Da hatte man es ja: Er sei wohl der Überzeugung, die Sprache gehöre ihm. Bei einer extra einberufenen Anhörung des Däumling-Gerichts gingen siebenundsiebzig Daumen runter und nur zwei rauf. Stimmenthaltung wurde in der Däumlingskultur nicht befördert. Professor Probrius war den Job los.

Es war wie prophezeit: Den Palast der Goldenen Tore konnte man nicht verfehlen. Er war mindestens ein Dutzend Stockwerke höher als die restlichen Zikkurats, über dem Eingang prangte in Riesenlettern der Name ORIGEN, ebenso wie auf Himmelsniveau, und er hatte goldene Tore.

Vor dem Palast sammelten sich bereits Busse an der Vorhalle, entluden Mammon-Touristen, die ihn in ihrem I-Spy Book der Monolithen markiert hatten, bevor sie zum nächsten gefahren wurden.

In einem offenkundig dafür vorgesehenen, eng umzäunten Bereich fand eine Demonstration statt. Aus der Art und Weise, wie sich die Polizei gegenüber den Protestlern verhielt, schloss Professor Probrius, dass es sich um ein regelmäßiges Vorkommnis handelte, das für die Sicherheit des Gebäudes keine unmittelbare Bedrohung darstellte. Als symbolischer Mittelpunkt republikanischer Satisfaktion an sich war der Palast, drei Jahre zuvor, Schauplatz der ersten Bäckerbrot-Aufstände gewesen, der gewalttätigsten Unruhen in der Geschichte der Republik. Jahrelang hatte man in Urbs-Ludus nichts anderes getan, als Türme zu errichten. Produziert wurde nichts. Selbst das Brot wurde von anderswo eingeflogen und traf unvermeidlicherweise altbacken ein. Der weißen, in Scheiben geschnittenen Laibe, trockenen Muffins und unelastischen Pizza-Böden überdrüssig, ging die Bevölkerung in solcher Stärke auf die Straße, dass die Obrigkeiten Arbeitskräfte in Person erfahrener Teigmacher aus Ländern jenseits der Mauer importieren mussten. Das aber hatte eine unerwartete Konsequenz. Bald schon dämmerte es Urbs-Ludus, dass die Republik überschwemmt wurde – nicht von Bäckerbrot, sondern von Bäckern.

Ein Teil der Bevölkerung wandte sich gegen den anderen. Die Wohlhabenden hatten ihre Brioches, die Mittellosen aber mussten sich vor Armenhäusern hinter jenen anstellen, die sie herstellten. Die Kriminalität nahm zu – kleine Diebstähle zunächst, dann jedoch auch Delikte gegen Menschen, speziell Frauen, denen, so schien es, viele Bäcker noch nie zuvor begegnet waren, zumindest nicht in dem unanständigen Aufzug, der indes in der Republik für die Frauen und Töchter von Bauträgern als angemessen erachtet wurde. Im Palast als weiterer Beleg für die unermessliche Undankbarkeit der Leute betrachtet, gestattete man der jüngsten Verstimmung, sich Bahn zu brechen, diskret allerdings, damit man sie im Blick behalten konnte. Aber es konnte kein Zweifel daran bestehen, dass das Volk – wenn auch eine andere soziale Schicht – erneut zu rumoren begann.

Professor Probrius war wegen eines Vorstellungsgesprächs in den Palast gekommen, es ging um den Posten des Privatlehrers für den zweiten Sohn des Großherzogs von Origen – jetzt sogar, aufgrund unvorhergesehener Umstände, der mutmaßliche Erbe –, Prinz Fracassus. Probrius stellte sich am Empfang vor, wo man ihn, weil er keinen Mantel trug, derart beleidigt ansah, dass er es für schlauer hielt, ihn wieder anzuziehen, bevor er ihn erneut auszog. Das Sicherheitspersonal war streng, lächelte aber. Er musste sich auf dreierlei Art ausweisen und sein Smartphone in einem Ablagefach mit der Aufschrift »Informationsübermittlungsgeräte« zurücklassen. Zwei Sicherheitsbeamte tasteten ihn ab, einer das eine Bein, der andere das andere. Ein dritter, der eine Gesichtsmaske trug, wies ihn an, »Ah!« in einen Ballon zu sprechen. Man konnte nie wissen, zu welchen Maßnahmen die jüngsten Feinde der Lotterieökonomie, egal ob bäckerophil oder bäckerophob, als Nächstes greifen würden und biologische Kampfführung mit Viren, übertragen von Mund zu Mund, konnte nicht ausgeschlossen werden. Professor Probrius stieß Luft aus. »Ah!« Der Ballon füllte sich, wechselte aber nicht die Farbe. Das schien allerdings auch niemand erwartet zu haben. Man bat ihn, Platz zu nehmen. Über dem Empfangstresen hing ein Gemälde im Stile Tizians, das den Großherzog beim Golfspielen mit dem Papst zeigte. Professor Probrius schüttelte den Kopf, als wäre der ein Kaleidoskop und er wollte die Formenanordnung darin ändern. Die Kristallleuchter reflektierten derart viel Licht, dass er möglicherweise gar nicht sah, was wirklich vorhanden war. Aber nein: Dort, auf seinen silbernen Putter gestützt, war der Großherzog von Origen und ihm gegenüber, lachend, neben einem Kardinal, der als sein Caddy fungierte, der Papst. Die einzige offene Frage war die, ob das Gemälde an eine reale Begebenheit erinnerte oder an eine herbeifantasierte.

Irgendwann wurde er dann mit dem Aufzug hinauf in den 117. Stock gefahren und in die Gegenwart von Großfürst und Großfürstin geschubst. Obgleich sie an einem Tisch gesessen und das Brettspiel Cashflow gespielt hatten, bei dem die Großfürstin, weil sie ein ruhiges Leben bevorzugte, den Großfürsten stets gewinnen ließ, waren sie gekleidet und herausgeputzt, als würden sie von einem Filmteam erwartet. Der Großfürst gepudert und mit seinen Medaillen behängt, die Großfürstin, noch stärker gepudert, in einem schwindelerregend tief ausgeschnittenen, paillettenbesetzten Abendkleid, das vollständig offen zu sein schien und nur noch an einer Seite von einer Büroklammer zusammengehalten wurde. Sie musste sich ihrer gefährlich hohen Highheels entledigt haben, denn sie war noch dabei hineinzuschlüpfen, als er eintrat. Professor Probrius, der nicht ihre Füße anstarren wollte, zählte stattdessen ihre Rippen. Sie war einen Kopf größer als der Großfürst und Probrius dachte, nach den bewundernden Blicken, die der Großfürst von Zeit zu Zeit zu ihr hinaufwarf, dass ihm dies gefiel und er überhaupt nichts dagegen gehabt hätte, wäre sie sogar zwei Köpfe größer gewesen. Die Haare beider hatten die Farbe von Zitronencreme, wobei die der Großfürstin lang und irritierend mädchenhaft waren wie die von Alice im Wunderland, die des Großfürsten dagegen in Lagen übereinandergeschichtet, als sollten sie den Millefeuilles ähneln, die es nun repulikweit in guten Pâtisserien zu kaufen gab. Professor Probrius konnte nicht sagen, wie alt sie waren. Der Ausdruck »ewige Jugend« kam ihm in den Sinn. Die Großfürstin hatte an ihren Brüsten die üblichen Operationen durchführen lassen und sah so aus, als sei sie des ganzen Gewichts, das sie zu tragen hatte, müde.

Professor Probrius wurde vertraulich begrüßt, der Großfürst klopfte ihm auf die Schulter, wie er in Probrius’ Vorstellung auch dem Papst am achtzehnten Loch auf die Schulter geklopft hatte.

»Bitterkalt draußen heute, wie ich höre«, sagte der Großfürst.

Probrius war unsicher, wie er reagieren sollte. Er war ein Mann der Prinzipien, zu diesen Prinzipien aber gehörte, sich unter den Mächtigen nicht unnötig Feinde zu machen.

»Hatte ich gar nicht den Eindruck, Eure Durchlaucht«, gab er zurück. »Aber es kann auch sein, dass ich mein eigenes Ökoklima mit mir herumtrage.«

»Da haben Sie Glück, Professor«, sagte der Großfürst. »Wir heizen im Palast mit Nuklearwärme, aber wir frieren trotzdem. Ich habe der gesamten Belegschaft die Order erteilt, heute eine zusätzliche Strickjacke anzuziehen.«

Die Kraft der Suggestion war stark, sodass Professor Probrius sich einen kurzen Moment lang um die Großfürstin sorgte, die der Kälte ausgesetzt gewesen wäre, wäre es nicht so heiß gewesen.

Sie lächelte, seine Sorge bemerkend, und raffte ihr Kleid zusammen.

»Die Großfürstin«, sagte der Großfürst, »trägt wohl auch ihr eigenes Ökoklima mit sich herum. Davon, sich eine Strickjacke überzuwerfen, will sie nichts hören.«

Professor Probrius war sich nicht sicher, ob jetzt gefragt war, der Großfürstin ein Kompliment wegen ihrer Robustheit zu machen. Glücklicherweise kam sie ihm zu Hilfe, bevor er eines formulieren konnte. »Es wäre schön, Professor«, sagte sie, wobei sie zentimeterweise näherkam, »wenn wir ein Foto machen könnten. Wir fotografieren alle unsere Gäste.«

Professor Probrius nahm an, dies sei ein Euphemismus für eine weitere Sicherheitsüberprüfung und stellte sich darauf ein, erneut »Ah!« zu sagen, aber das Fürstenpaar postierte sich lediglich rechts und links von ihm. Die Großfürstin fischte in ihrem Ridikül, fand, was sie suchte und ließ einen Arm nach vorn schnellen. Probrius hatte gerade noch Zeit, sich zu fragen, ob auch Arme dem Gesetz des dynamischen Evolutionsprozesses folgten und immer länger wurden, bevor die Großfürstin »lächeln« sagte. Dann, lächelnd, schoss sie ein Selfie.

Über ihnen, auf einer Reihe von Monitoren, war in dreifacher Ausführung zu sehen, wie die Großfürstin ein Selfie von sich schoss, während sie gerade ein Selfie schoss.

Mit leicht hüpfenden Bewegungen, die an ein Mädchen beim Himmel-und-Hölle-Spielen erinnerten, schritt sie in einen der angrenzenden Räume voran, wo ein riesiger Tisch gedeckt war wie für eine tausendköpfige Delegation. Eine zehnstöckige Etagere, die eine Replik des Origen-Turms darstellte, quoll über vor Kindergeburtstagsessen – Cupcakes in Pastelltönen, Minihotdogs, Bagelschlangen und Kartoffelmännchen, die Smarties als Augen hatten. Man bot Probrius einen Milchshake an und forderte ihn auf, sich seine eigene Strohhalmfarbe auszusuchen.

Durch den Hitzedunst hindurch bot der Raum großartige Panoramen der Stadt. »Von diesem Fenster aus«, sagte die Großfürstin, »schauen wir auf unsere Rivalen hinab.«

»Meine Frau, Professor«, sagte der Großfürst, »verdreht auf lebhafte Weise Ausdrücke. Das kommt vom Bücherlesen und davon, dass sie in einem anderen Land geboren ist. Als Rivalen verstehe ich sie nicht.«

Es folgte eine komplizierte Beschreibung, mit der Schritt zu halten selbst Professor Probrius Schwierigkeiten hatte. Sie handelte vom meriokratischen System, das Bauträgern proportional zu Höhe und Luxusquotient der Hotelkomplexe, Apartmentblocks, Einkaufszentren und dergleichen, die sie errichtet hatten, aristokratische Titel verlieh. Während also ein paar Eigentumswohnungen oder ein Glücksspielresort außerhalb der Stadt einen womöglich in den Baronenstand versetzten, machten sie einen noch lange nicht zu einem Viscount. Die Dinge hätten sich extrem entwickelt, erzählte er dem Professor, seit den Monopoly-Runden, die sie als Kinder alle gespielt hatten, wo ein schlichter Bungalow auf dem eigenen Grundstück bereits zum Bankrott des Gegners hatte führen können. Der Großfürst selbst vermarktete heute Fantasien und führte seinen Titel in der Absicht, bei den Unzufriedenen mit strahlenden Lichtern, innerstädtischen Skihallen und Unendlichkeitsbecken Begehrlichkeiten zu wecken. Dabei war es vollkommen egal, dass sie es sich niemals würden leisten können, in einem seiner festungsgleichen Hotels abzusteigen. Dass sie von ihrer Existenz wussten, genügte. Seinem Sohn Fracassus würde die Bürde zufallen, die Größenordnung unverantwortlicher Immobilienentwicklung weiter auszudehnen – unverantwortlich im Sinne von unreguliert – die vom Hause Origen vorgegeben wurde.

»Er meint, die Profite zu steigern«, schaltete sich die Großfürstin ein. Beim Aussprechen des Wortes vermehrte sie die fffs derart, dass sich Professor Probrius fragte, ob der Begriff in ihrem Heimatland wohl eine andere Bedeutung habe. Er fragte sich außerdem, ob der Großfürst und die Fürstin auf irgendeiner Ebene ihrer Ehe Krieg gegeneinander führten.

»Meine Frau«, fuhr der Großfürst fort, »ist Mutter. Sie macht sich Sorgen wegen des Drucks auf ihren Sohn. Je höher Fracassus klettert, so sieht sie es, desto tiefer wird er fallen. Aber Männer fallen bloß, wenn sie ihre Konzentration verlieren, ihre Interessen streuen, andere Dinge wahrnehmen; Fracassus hat überhaupt keine Interessen und nimmt gar nichts wahr. Wenn wir Monopoly spielen, wirft er die Würfel, als seien es Handgranaten. Er baut eine ganze Stadt, während ich im Gefängnis schmore. Sehen Sie es mir nach, dass ich stolz auf ihn bin. Er ist nicht so wie andere Jungen. Er vergeudet keine Zeit damit, Briefmarken zu sammeln, Musik zu hören oder Witze zu erzählen. Es spricht für ihn, dass er keinen Witz versteht. Spaß bedeutet für Fracassus, zu siegen. Spielen heißt für Fracassus, Krieg zu führen.«

Die Großfürstin warf Professor Probrius einen flüchtigen Blick zu, wie um eine frühe Allianz der Empfindsamen zu schmieden.

»So«, verkündete der Großfürst, nachdem man den Tee abgeräumt hatte. »Sollen wir dann zum Geschäftlichen kommen?«

»Gewiss«, sagte Professor Probrius, setzte sein charmantestes Lächeln auf und dachte, wie wunderbar es doch war, sich nicht mehr im universitären Umfeld zu bewegen und auf jedes Wort achten zu müssen. »À nos moutons.«

Der Großfürst sah die Großfürstin an und die Großfürstin den Großfürsten. Es war, als ob, egal welcher Natur ihr Konflikt auch war, sie wieder eine Einheit bildeten und einhellig entschieden hätten, just in diesem Augenblick den Richtigen gefunden zu haben.

»Lassen Sie uns einander doch duzen«, sagte die Großfürstin.

Probrius senkte den Kopf. »Ich heiße Kolskeggur, Eure Durchlaucht«, sagte er.

»Und wir sind Großfürst und Großfürstin von Origen«, erwiderte der Großfürst. »Nun aber zu unserem kleinen Problem …«

1. Kapitel

… in dem Fracassus, mutmaßlicher Thronfolger im Fürstentum Origen, geboren wird

Für die Geburt eines Potentaten der von einer Mauer umgebenen Republik Urbs-Ludus verlief die von Prinz Fracassus nicht sonderlich vielversprechend. Keinerlei Blitze zuckten über dem Palast. Kein nie zuvor gesehener Stern, heller als ein Meteorit, tauchte am Morgenhimmel auf. Keine Löwinnen gebaren Junge in den Straßen. Ganz im Gegenteil, es war ein ruhiger Tag. Der Großherzog kam früher als gewöhnlich vom Golfen zurück. Es war nicht die erste Entbindung der Großherzogin, weshalb sie – obgleich man sagt, die Schmerzen der Geburt sind schnell vergessen – wusste, was sie erwartete. Sie schrie nur einmal, veranlasste so den Großherzog dazu, die Witzeseite seiner Zeitung beiseite zu legen und sich sorgfältig mit den Fingern durchs Haar zu fahren. Es war von Angst geplättet. »Sehen Sie zu, dass sie genügend Bücher hat«, gab er der Hebamme telefonisch durch. Dann rief er seinen obersten Effektenhändler an. »Es ist gleich so weit«, sagte er. »Kaufen. Es sei denn, Sie denken, wir sollten verkaufen.«

Er wartete auf ein Telegramm des Premiermotivators Aller Republiken, aber es kam keines. Er hätte sich nicht wundern sollen. Die Exekutivgewalt in der Föderation Aller Republiken oblag Nichtadeligen, die die Meritokraten mit ihren belanglosen Titeln von oben herab betrachteten, welche wiederum ihre jeweiligen Republiken wie mittelalterliche Lehensgüter führten. Gleichzeitig rieben sich die Nichtadligen an der Popularität auf, die die Großfürsten und -fürstinnen kraft ihres zur Schau gestellten Wohlstands genossen. Die Leute bejubelten ihre Titel. Schnappten angesichts ihrer wolkengekrönten Türme nach Luft. Was hatten der Premiermotivator und seine Bürokraten dem entgegenzusetzen? Sie verabschiedeten unbeliebte Gesetze und verkrochen sich in flachen Bürokomplexen auf einem Schurz mulchigen Sumpflandes, den die Monopoly-Aristokraten den Schweinepferch nannten und auch dann nicht gekauft hätten, wenn sie bei jedem einzelnen Wurf darauf gelandet wären. Interessanterweise war Schweinepferch zugleich der Name, den die Exekutive der Ansammlung von Türmen und Zikkurats gegeben hatte, in denen die Großfürsten und Großfürstinnen ihre Business-Leben führten. Jede Seite, wenn sie sich über die Ineffektivität und Korruption der anderen empörte, sprach davon, den Schweinepferch ausmisten zu wollen.

Die konkurrierenden Oligarchien der Föderation konnten sich also, kurz gesagt, nicht ausstehen, und so schickte niemand dem Großfürsten ein Telegramm, um ihm zur Geburt des zweiten Sohnes zu gratulieren, von dem das zukünftige Fortbestehen der Dynastie abhing.

Der Großfürst schlief, als Prinz Fracassus geboren wurde.

Es gab einen Grund für die mäßige Begeisterung. Fracassus hatte einen älteren Bruder. Jago. In Jago hatte man große Hoffnungen gesetzt, von denen er aber nicht eine erfüllt hatte. Als gebranntes Kind hielt der Großfürst deshalb nun erst einmal an sich. Er war kein verbitterter Mann. Die Republik Urbs-Ludus, unter der Ägide des Hauses Origen, operierte vorzugsweise mit kleinlichem Groll statt mit offener Missgunst, und als Großfürst musste er da andauernd mit gutem Beispiel vorangehen. Er würde weder Feinde noch Schicksal verfluchen. Und er würde auch nicht erneut beides herausfordern, indem er die Größe seiner Erwartungen durchscheinen ließ.

Von daher weder sehnlich erwartet noch gefürchtet, wurde er dennoch, kaum Fleisch geworden, schon öffentlich bejubelt – Hosianna! – denn er war, für alle offensichtlich, ein Origen, mit den winzigen Augen, immer leicht klagend dreinschauend wegen irgendeiner Petitesse, dazu eine Schnute, die Empfindlichkeit signalisierte und ein Haarschopf, der bereits die Farbe der Palasttore trug. So kam Fracassus jammernd in die Welt, in Erwartung jedweder Segnung, die ein liebender Vater, ein bombensicheres Immobilienimperium, ein dem Lotterieprinzip zugeneigtes Steuersystem und ein Zeitalter, das es leid war, kenntnisreiche Urteile zu fällen, in Hülle und Fülle zuteilwerden zu lassen bereit war; allerdings abzüglich einer zuvorkommenden Art, einer großmütigen Gesinnung, jeglicher Kritikfähigkeit, eines Gespürs für Lächerlichkeit, einer schnellen Auffassungsgabe und eines Händchens für Sprache.

Die frühe Phase seines Lebens verbrachte Fracassus in wonniger Unkenntnis dieser Defizite. Wie sehr unterschied er sich überhaupt von gewöhnlichen Kindern? Kein Baby ist großmütig, alle Kinder sind dünnhäutig. Kleine Jungen verwechseln häufig Ungestüm mit Fröhlichkeit und Schikane mit Witz, und Sprachlosigkeit ist, wie hinlänglich bekannt, etwas, aus dem Kinder zu jeweils unterschiedlichen Zeitpunkten herauswachsen. So manch großer Redner beginnt sein Leben als stummer Knirps, wenn auch die größten Redner in der Geschichte von Urbs-Ludus für immer just dies blieben.

Daher hatten auch Fracassus’ Eltern keinen Grund, etwas zu bemerken, das nicht in Ordnung gewesen wäre, und so lebten auch sie in wonniger Unkenntnis seiner Schwächen, wenn man sie denn so nennen konnte. Er war ein durchschnittlich streitlustiges, selbstbezogenes und angeberisches Kind, nicht sonderlich an seiner Außenwelt interessiert und daran gewöhnt, seinen Willen durchzusetzen.

Palastbesucher taten, was Palastbesucher so tun, und waren ganz vernarrt in den mutmaßlichen Erben. Dass er in keiner Weise Notiz von ihnen nahm, war ihnen Beleg sowohl für seine Selbstgenügsamkeit als auch für sein reiches Innenleben. Dass er sofort anfing zu weinen, wenn man ihm verweigerte, wonach seine kleinen Finger griffen, stellte bloß seine Resolutheit unter Beweis. Dass er nie auch nur ein Wort sprach, das man erkannte, deutete an, dass er bereits unzählige Fremdsprachen beherrschte. Dass er in ihrer Anwesenheit spuckte, spie und furzte, zeigte bloß seine Indifferenz hinsichtlich der Meinung der Welt.

Es braucht wohl kaum erwähnt zu werden, dass in einer Republik, deren Macht in dem Bann aus Ehrfurcht und Erhabenheit begründet liegt, mit dem sie ihre Bürger umgarnt, sich das Internet hoher Wertschätzung erfreute. Der Großfürst lieh einem Dutzend Blogs seinen Namen und unterstützte jede Webseite, die Werte propagierte, die ihm am Herzen lagen – die Freiheit, zuckrige Getränke zu trinken, zum Beispiel. Zur Zeit der Niederkunft der Großfürstin war die führende von ihnen Brightstar, eine Plattform für nativistischen, homophoben, konspirationsaffinen, völkischen Ethno-Nationalismus, was vielleicht Menschen in höheren Positionen mehr Bauchschmerzen bereitet hätte, wenn sie bloß einen dieser Begriffe verstanden hätten.

Brightstar ergriff die Chance, Prinz Fracassus gleich vom Moment der Geburt an wie ein Schatten zu folgen. Tatsächlich verband sie die Berichterstattung zu seiner Entwicklung mit einem solchen Maß an Speichelleckertum, dass einige Abonnenten der Seite nicht so recht wussten, ob sie nun ein Loblied auf den Prinz lasen oder eine Parodie. Gab es da überhaupt einen Unterschied? Jedenfalls wurde, mit dem Ziel sie zu verstehen, die außergewöhnliche autodidaktische Meisterschaft des Prinzen in Fremdsprachen sorgfältig untersucht. Geräusche, die er produzierte, wurden phonetisch seziert und die Leser dazu angehalten, entweder ihre Bedeutung zu erraten oder, sollten sie selbst eine dieser mutmaßlichen Fremdsprachen beherrschen, deren lautliche Korrektheit zu bestätigen. Schon in diesem jungen Alter wurde Fracassus zu einer Inspirationsquelle, einem Beispiel dafür, was man erreichen konnte, wenn man vom Schulunterricht befreit war.

Während einer der vorübergehenden politischen Kursänderungen, die wohl bei jeder wirklich originären Internetplattform vorkommen, war Brightstar gezwungen, eine Weile nichts zu veröffentlichen und so gingen einige Aktivitäten unwiderruflich verloren. Es lässt sich also nicht mehr bestätigen, dass man am zweiten Geburtstag des Prinzen seinen Urin in Flaschen abfüllte und, für einen bestimmten Betrag, den Abonnenten anbot, zusammen mit einem Echtheitszertifikat in seiner eigenen Handschrift. Dasselbe gilt für Pillendöschen aus Porzellan, die Stuhlproben enthielten. Einige behaupten, das seien bösartige Lügengeschichten, aber es gibt Leute, die behaupten, das eine oder andere oder beides gekauft zu haben und noch immer zu besitzen.

Unter den engsten Freunden des Großfürsten und der Großfürstin stand die übliche Missgunst einer Vergötterung von solchem Ausmaß im Wege. Ein bisschen mehr Munterkeit wäre nicht verkehrt, brummelten sie sich untereinander zu. Von einem Prinzen wurde nicht erwartet, intellektuell vielversprechend zu sein, aber war dieser Prinz nicht ziemlich langsam, über die übliche Bedeutung des Wortes hinaus? Und diese Augen – würden sie sich denn jemals öffnen? Aber nach außen hin waren sie stets voll des Lobes. »Er wird ein Schmuckstück der Dynastie sein. Er wird eine Blume im Garten der Republik sein. Er wird ein Prinz unter Prinzen sein.« Dem Großfürsten gefiel die Vorstellung von seinem Sohn als »Schmuckstück«, er war sich bei der »Blume« aber nicht so sicher und mit dem gleichmacherischen »unter« überhaupt nicht einverstanden. Sein Sohn, so hoffte er, würde alle anderen in seinem Kielwasser zurücklassen. Die anderen waren keine Prinzen, sondern Träum-weiter-Prinzelchen, so ineffektiv wie das ancien régime, von dem sie, neben den fliehenden Kinnen und der Syphilis, ihre Titel geborgt hatten. Einige von ihnen konnten es sich nicht einmal leisten, in eigenen Wohntürmen zu wohnen.

Unter seiner Geringschätzung für geringere Monopoly-Aristokraten verborgen, saß ein nagendes Bewusstsein für die eigene Unzulänglichkeit, das sich nur als Scham dafür erklären ließ, selbst ein Monopoly-Aristokrat zu sein. Der Großfürst schaute auf alle herab, außer auf jene, die auf ihn herabschauten – die Schichten der Gouverneure, unvermögend, titellos, unbemerkt von den Medien und oft schlecht gekleidet, aber weise in der Kunst der Staatsführung und dabei von einem Einfluss, der nicht quantifizierbar war und aus just diesem Grund einen beinahe mystischen Neid und Respekt hervorrief. Trotz all des Reichtums und der Berühmtheit war der Großfürst noch nie dem Premiermotivator Aller Republiken begegnet, dessen Reden, obgleich von einer mittelmäßigen Adresse aus gehalten, auf der ganzen Welt gehört wurden.

Das piekste den Großfürsten an.

Daher waren seine Ambitionen für den Sohn insgeheim grenzenlos. Der Name Origen konnte noch höher hinauf ins Empyreum klettern. Fracassus würde Spielhallen von solcher Pracht erbauen, dass nur Götter es sich leisten konnten, darin zu spielen. Danach aber … danach wollte der Großfürst, dass sein Sohn den Schweinepferch ausmistete, die Hebel der Macht eroberte und dem Hause Origen den mystischen Respekt sicherte, der ihm bislang gefehlt hatte.

Und dann würden sie schon sehen, wer hier wessen Avancen verschmähte.

An Realismus mangelte es dem Großfürsten nicht. Er war Republikaner in einer Republik, bewundert und kopiert, die aber, trotz ihrer Hingabe zu unschuldigem Luxus, auch immer Kritiker gehabt hatte – Grummler und Wildplakatierer, Halbtagsaufrührer, die auf Yogamatten aus Gummi saßen und ihre Botschaften verkündeten. Gewalt gab es keine; es war schwierig, außerhalb des Palastes mit den Goldenen Toren wütend zu sein. Das Gebäude brachte die Menschen zum Lächeln. Es gefiel ihnen, hinaufzuschauen und sich benommen zu fühlen. Selbst die Wohnungslosen schauten gern, wo andere Menschen so wohnten. Zuletzt aber, beflügelt vom Erfolg der Bäckerbrot-Aufstände, waren diese Meinungsäußerungen ungestümer geworden. Der Großfürst liebte soziale Medien, aber auch diese verbreiteten Unzufriedenheit, schürten Neid und ermutigten die Unzufriedenen, sich gegenseitig am Schorf herumzufummeln. Führerfolgschaftsverdruss nannte er das.

In einer frostigen Ecke im Bewusstsein des Großfürsten lauerte Unheil. Wie auf dem Spielbrett war die Leiter hoch und die Schlange glitschig. Man konnte sich nicht darauf verlassen, oben zu bleiben. Das galt, derselben Logik folgend, genauso für den Premiermotivator. So verkörperte die Figur, die er so fürchtete, für den Großfürsten gleichzeitig just das, was er sich ersehnte: dass der Schweinepferch ausgemistet wurde und Fracassus an die Weltspitze gelangte.

Hinter vorgehaltener Hand hörte man von Leuten aus dem Umfeld des Palastes, der natürliche Optimismus des Großfürsten mache ihn blind gegenüber der Wahrheit, was den Charakter und die Fähigkeiten seines Sohnes betraf. Andere waren der Meinung, er habe klug die Zeichen der Zeit erkannt und wisse genau, was sie bedeuteten: dass sich der denkbar Ungeeignetste für die Aufgabe im Handumdrehen als erste Wahl erweisen konnte.

Die Großfürstin war zu gramgebeugt, um hinsichtlich des Säuglings Fracassus eine klare Meinung zu haben, egal in welche Richtung. Sie tat sich schwer, ihn zu mögen und hielt sich von ihm fern, aus Höflichkeit ihnen beiden gegenüber.