Putins rechte Freunde - Michel Reimon - E-Book

Putins rechte Freunde E-Book

Michel Reimon

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Beschreibung

Russlands Präsident Wladimir Putin setzt auf Europas rechtspopulistische Parteien. Er fördert, finanziert und vernetzt sie untereinander. Sein Ziel ist, geopolitisch an Einfluss zu gewinnen und eine schwächelnde Europäische Union in die Bedeutungslosigkeit zu treiben. Europas rechte Parteien setzen auf die Allianz mit Putin. Ihr Ziel ist, die EU zu zerschlagen und ein Europa mit sich abkapselnden Nationalstaaten zu errichten. 2017 könnte ein entscheidendes Jahr für diese Strategie sein: Der AfD in Deutschland und dem Front National in Frankreich werden bei den anstehenden Wahlen massive Zugewinne vorhergesagt. Noch weiter könnte der Rechtsruck in Österreich gehen. Sollte die rechtsextreme FPÖ bei den nächsten Wahlen den ersten Platz erringen, könnte sie das Land auf einen nationalkonservativen, europafeindlichen Kurs drehen, ganz wie es die autoritären Parteien bereits in Polen und Ungarn gemacht haben. Der Europa-Abgeordnete Michel Reimon und die Journalistin Eva Zelechowski fachen mit „Putins rechte Freunde“ die politische Debatte zum Thema an.

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Seitenzahl: 133

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MICHELREIMON, EVAZELECHOWSKI

Putins rechte Freunde

Wie Europas Populisten ihre Nationen verkaufen

FALTER VERLAG

© 2017 Falter Verlagsgesellschaft m.b.H.

1011 Wien, Marc-Aurel-Straße 9

T: +43/​1/​53660-0, E: [email protected], W: www.falter.at

Alle Rechte vorbehalten.

Keine unerlaubte Vervielfältigung!

ISBN ePub: 978-3-85439-587-4

ISBN Kindle: 978-3-85439-588-1

ISBN Printausgabe: 978-3-85439-592-8

1. digitale Auflage: Zeilenwert GmbH 2017

Redaktionsschluss: Dezember 2016

Coverillustration: P.M. Hoffmann

Autorin und Autor danken Sara Hassan für die tatkräftige Hilfe bei Recherchen.

Inhalt

Cover

Titel

Impressum

Die autoritäre Allianz

Putins fünfte Kolonne

Ukraine und Syrien – Wie die Rechten Putin decken

Putins Propagandamaschine

Digitale Feuerkraft

Der Propagandakampf innerhalb Europas

Russische Medien in deutscher Sprache

Die Cyber-Sabotage

Willkommen in der Trollfabrik

Heinz-Christian Strache: Putins heißestes Eisen

Methoden und Strukturen

Öxit oder Nicht-Öxit, das ist hier die Frage

Marine Le Pen, Putins engste Freundin

„Malofejew stinkt“

Staatschefin Le Pen

Putins Partner im Herzen Europas

AfD als Vorreiterin: Alternative für Putin

Bindeglied zur Russland-US-Achse

Viktor Orbáns Allianz mit Russland

Durch Gasabhängigkeit zum „Puszta-Putin“

Abschaffung der Demokratie: Die Putin-Orbán-Kaczyński-Logik

Die „russischen Spione“

Und Donald Trump?

Trump hält Putin den Rücken frei

„Russland ist stark“

Putins rascher Aufstieg

Vorbild Russland? Wie es wirklich aussieht

Russland verfällt Putins Sowjet-Träumen

Geduldeter Landraub an Bauern

Zensur und Presse(un)freiheit

Ausblick und Prognose

Anmerkungen

Autorin/Autor

Die autoritäre Allianz

2017 befindet sich die westliche Welt in einem Umbruch, bei dem kein Stein auf dem anderen bleiben könnte: Rechtsradikale, autoritäre Parteien treiben die Regierungen vor sich her und greifen nach der Macht. In diesem Jahr wird erst Donald Trump angelobt, dann der Brexit eingeleitet, danach in den beiden größten EU-Staaten, Frankreich und Deutschland, gewählt.

Beide Wahlen haben nicht nur einen hohen Symbolwert, sondern werden die Union grundlegend verändern. Der Front National und die Alternative für Deutschland werden die Macht wohl nicht erringen, aber inhaltlich die Richtung bestimmen und die Weichen stellen. Noch weiter könnte der Rechtsruck in Österreich gehen: Da rechnen Beobachter ebenfalls mit vorgezogenen Wahlen 2017 – und seit langem liegt die rechtsextreme FPÖ in allen Umfragen auf dem ersten Platz. Heinz-Christian Strache könnte das Land auf einen autoritären, nationalkonservativen, europafeindlichen Kurs drehen, ganz wie Viktor Orbán es im Nachbarland Ungarn vorgezeigt hat.

Einen Mann freuen diese Verwerfungen besonders: Wladimir Putin, den Präsidenten Russlands. Er hat viel investiert in diese Entwicklung. Seit über einem Jahrzehnt finanziert und fördert er nationalautoritäre Parteien in ganz Europa, vernetzt sie untereinander und betreibt ein gewaltiges Propaganda- und Desinformationsnetzwerk, um sie medial in ihren „Vaterländern“ zu unterstützen. Putin und seine rechtsradikalen Freunde eint eine gemeinsame Vision: eine weiße, christliche, „reinrassige“ Heimat, in der sich die Nationen nicht mischen, in der Frauen die Kinder großziehen und Männer das Sagen haben, in der man sich an Traditionen orientiert und klare Kommandos gelten: Der starke Mann schafft an (auch wenn er Marine oder Frauke heißt, das Rollenbild wird trotzdem nie infrage gestellt). Dieses Reich der weißen Christen soll von Lissabon bis nach Wladiwostok reichen und eine Weltmacht sein. Die USA und die EU waren bislang die liebsten Feindbilder dieser eurasischen Allianz: Als zu multikulti, zu liberal, zu schwul und ‒ hinter vorgehaltener Hand ‒ zu jüdisch galten sie beide. Wie ein Präsident Trump das in Hinblick auf die USA schlagartig ändert, ist derzeit kaum abzuschätzen (dieses Buch wurde im Dezember 2016, also zwischen seiner Wahl und seiner Angelobung, fertiggestellt).

Noch dramatischer könnten aber die Verwerfungen in der Europäischen Union sein. „Unser Ziel ist die Zerstörung dieser EU“, sagte Marine Le Pen einmal ohne Umschweife. Die Nationalisten wollen 28 nur locker koordinierte Nationalstaaten und träumen davon, die Welt irgendwie „draußen“ zu halten. Auch Putin will anstelle der EU lose koordinierte, sich politisch autistisch verhaltende Nationalstaaten, weil er weiß, dass sie dann geopolitisch keine große Rolle mehr spielen.

Um die Relation zu zeigen: Russland produziert für den Weltmarkt Waffen und Rohstoffe, alle anderen Industrien haben praktisch keine Bedeutung. Das Land hat eine Wirtschaftsleistung von umgerechnet rund 1,1 Billionen US-Dollar BIP und liegt damit knapp vor Mexiko und noch hinter Australien, beides keine Schwergewichte der internationalen Politik. Italiens Wirtschaft ist eineinhalbmal größer als die russische, jene Frankreichs doppelt so groß, die Deutschlands mehr als dreimal so groß. In Summe ist die EU, die Briten noch mitgerechnet, wirtschaftlich 14-mal leistungsfähiger als Russland. Das schlägt sich natürlich auch auf das militärische Potenzial nieder: Allein die Militärbudgets von Deutschland und Frankreich gemeinsam sind schon größer als das russische.

Wenn die Union außenpolitisch koordiniert auftreten würde, wäre Putin auf der Stelle ein geopolitischer Zwerg, auch wenn er das flächenmäßig größte Land der Welt beherrscht.

Also will Putin eine schwach koordinierte Union mit Nationalstaaten, die lieber nach innen als in die Welt hinaus schauen. Er will Nationalisten, deren Horizont nur bis zur jeweiligen Landesgrenze reicht, die europäische Politik bestimmen lassen. Nur dann hat er freie Hand. Nur dann kann er außenpolitisch aggressiv auftreten, sei es bei der Besetzung der Krim oder seiner Unterstützung für das syrische Assad-Regime.

Putins fünfte Kolonne

Die politische Kluft zwischen Putin und den europäischen Regierungen wird immer größer, und in diese Lücke stoßen die Rechtsradikalen. Am deutlichsten zu sehen ist das in Frankreich, das traditionell gute Beziehungen zu Russland pflegte. Die Regierung kritisiert Putin, doch Marine Le Pen bekräftigt ihre Loyalität ihm gegenüber. Unter ihrer Führung werde Frankreich die Eurozone verlassen und ein EU-Austritts-Referendum nach Brexit-Vorbild abhalten.

Als in Großbritannien am 23. Juni 2016 die „Leave“-Fraktion jubelte, war auch aus Moskau ganz unverblümt und undiplomatisch Schadenfreude zu vernehmen. Putin verwies auf den „Hochmut und die oberflächliche Haltung der britischen Führung gegenüber Schicksalsfragen ihres eigenen Landes und ganz Europas“. Die Unterstützung der russischen Autokratie für autoritär-nationalistischen Parteien Europas ist also leicht nachvollziehbar.

Finanziert und geherzt werden jene politischen Akteure, die den Verdruss europäischer Bürger über ihre nationalen Regierungen und das „Brüsseler Bürokratiemonster“ nähren und von den aufgebrochenen Globalisierungsängsten profitieren wollen. Von einem „Zerfall der Europäischen Union“ sprach auch der russische Fernsehmoderator und Chefpropagandist Dmitri Kisseljow in seiner Brexit-Sondersendung. „Die Briten sind ein mutiges Volk, sie treten als Erste aus. Aber hinter ihnen stehen bereits andere in der Schlange“, prophezeite Kisseljow. Das verhasste Europa gehe zugrunde, Bilder der Endzeitstimmung aus Homo-Ehe, Abwendung von christlichen Werten, eine vom Staat aufoktroyierte Toleranz und Massen von Migranten, die über Europa herfallen, werden evoziert.

Dass Russland gleich in mehrfacher Hinsicht vom Brexit profitierte, wird dabei nicht erwähnt. So ziehen die mit dem historischen Austritt verbundenen Probleme die Aufmerksamkeit der europäischen Politiker ganz auf sich, die Krim und die Konflikte in der Ostukraine sowie repressive Handlungen innerhalb Russlands treten in den Hintergrund. Schon am Tag des Brexit-Referendums stimmte das russische Parlament für die größte Verschärfung von Anti-Terror-Gesetzen seit Jahren. In Russland wurde damit die Massenüberwachung wieder eingeführt – ohne großen Widerhall in der EU, die zu sehr am Hangover des Brexit litt.

Über eine politische und wirtschaftliche Destabilisierung der Union könne sich der Kreml-Chef also nur freuen, erklären diverse Politologen, aber auch Personen aus dem Föderationsrat, dem Oberhaus des russischen Parlaments. So sagte Andrej Klimow, dass es ganz klar leichter für Russland sei, bilaterale Verhandlungen mit Ländern zu führen als mit einem starken Verbund wie der EU, der immer wieder angestrebte Geschäftsbeziehungen etwa zu Österreich, Italien oder Ungarn sabotierte.

Wie die Strategie funktioniert, legte ein parteiinterner Zwist der FPÖ offen. Zwei Wochen nachdem ihr Kandidat Norbert Hofer bei der Wiederholung der Stichwahl doch nicht österreichischer Bundespräsident geworden war, reiste die Parteispitze nach Moskau. Angeführt wurde die Delegation von Heinz-Christian Strache persönlich, mit dabei waren der oberste Parteimanager und EU-Abgeordnete Harald Vilimsky, der Russisch sprechende und für seine engen Russland-Kontakte bekannte Wiener Parteichef Johann Gudenus und eben Norbert Hofer selbst. Die vier unterzeichneten ein Abkommen zur Zusammenarbeit mit Putins Partei Einiges Russland. Die Tinte war noch nicht trocken, als das Papier schon österreichischen Medien zugespielt wurde. Dass es just zu diesem Zeitpunkt eine heftige Auseinandersetzung zwischen Strache und dem oberösterreichischen FP-Chef Manfred Haimbuchner gab und das Papier von internationaler Bedeutung ausgerechnet über die oberösterreichische Redaktion der Kronen Zeitung seinen Weg in die Öffentlichkeit fand, mag Zufall sein oder auch nicht.

Hinter Punkt sieben des insgesamt zehnteiligen Vertrags, der die „Zusammenarbeit im Bereich Wirtschaft, Handel und Investitionen“ thematisiert, verbirgt sich unmissverständlich das Ziel, die Sanktionen der EU gegen Russland auszuhebeln. Die Annexion der Krim, also die erste militärische, nationalistische Grenzverschiebung in Europa seit zwei Generationen, soll damit straffrei bleiben und abgesegnet werden. Ein Strache als Kanzler bzw. die FPÖ in der österreichischen Regierung sind Putins beste Chance, die Europäische Union außenpolitisch endgültig handlungsunfähig zu machen. Bemerkenswert ist auch Punkt sechs der Vereinbarung, der erklärt, die zwei Parteien wollen bei „Jugend-, Frauen-, Bildungs-, Hilfs- und anderen gesellschaftlichen Organisationen“ zusammenarbeiten und für eine „Stärkung der Freundschaft und der Erziehung der jungen Generation im Geiste von Patriotismus und Arbeitsfreude“ eintreten. Diese Formulierung wird von Einiges Russland immer wieder verwendet.

Nicht klar ist, was die FPÖ für diese Kooperation bekommt.

Anders liegt der Fall beim Front National. Rund um die Geschehnisse in der Ostukraine 2014 knöpften sich russische Hacker unter anderem die Mobiltelefone des russischen Funktionärs Timur Prokopenko und einer Person mit dem Pseudonym „Kostya“ vor.1 Es soll sich dabei um Konstantin Rykow, Duma-Abgeordneter und Mitglied der Partei Einiges Russland, handeln.

Die geleakten SMS-Konversationen im Wortlaut:

Kostya: „Marine startet heute oder morgen ihre Kampagne, der Front National wird offiziell Stellung zur Krim beziehen.“

Prokopenko: „Toll. Vielleicht können sie sie überzeugen.“

Kostya: „Hat dich schon jemand wegen der Finanzierung kontaktiert?“

Prokopenko: „Ja, der stellvertretende Außenminister wird sie anrufen.“

Kurz darauf bestätigte Marine Le Pen ‒ am Tag des Krim-Referendums (16. März 2014) ‒ als einzige französische Politikerin die Rechtmäßigkeit der Annexion. Am selben Tag wurden weitere SMS der zwei Personen gehackt:

Kostya: „Marine Le Pen hat das Ergebnis des Krim-Referendums offiziell anerkannt.“

Prokopenko: „Sie hat uns nicht enttäuscht:-)“

Kostya: „Wir werden ihr auf die eine oder andere Weise danken müssen. Es ist wichtig.“

Der Front National hatte zu diesem Zeitpunkt bereits einen Millionen-Euro-Kredit von der First Czech National Bank, einem Institut unter russischem Einfluss, genehmigt bekommen. Kurze Zeit später, im Oktober 2014, überwies die Bank die ersten zwei der vereinbarten neun Millionen Euro. Doch dazu später etwas detaillierter.

Nach Recherchen des Budapester Forschungszentrums Political Capital von 2014 unterstützen 15 europäische Parteien, darunter auch die FPÖ, den Kreml offen mithilfe kritischer Rhetorik gegenüber der EU und dem Westen, etwa in Bezug auf die EU-Sanktionen. Peter Kreko, Forschungsleiter der Studie „The Russian Connection: The Spread of Pro-Russian Policies on the European Far-Right“, sagt: „Russland möchte die europäische Politik destabilisieren und schwächen, und diese Parteien sind allesamt auf Anti-EU-Kurs. Sie wollen das Haus niederbrennen.“

Wie schwer allerdings die internationale Kooperation von Nationalisten zu organisieren ist, zeigt sich gerade auf der gemeinsamen europäischen Ebene. Eine von fünf Rechtsparteien im Europaparlament angepeilte Zusammenarbeit scheiterte nach den Wahlen im Juni 2014. Durch die Bildung einer Fraktion bekommen Abgeordnete deutlich mehr parlamentarische Rechte und eine bessere Finanzierung der politischen Arbeit. 25 Abgeordnete aus sieben Ländern sind dafür im Europaparlament nötig, der Front National und die FPÖ hätten den Grundstock gebildet, aus den Niederlanden, Belgien und Italien waren Partner an Bord. Doch die AfD und Jobbik wollten nicht mit dem Front National zusammenarbeiten, den sie als zu links und sozialistisch einstufen, lautet die eine Erzählung auf den Fluren von Straßburg. Jobbik-Chef Gábor Vona stellte es anders dar und nannte den FN und die FPÖ „zionistische Parteien“, weil sich diese geweigert hätten, dieses Bündnis mit den Ungarn einzugehen. Man sei an solchen Partnern ohnehin nicht interessiert und hatte überhaupt lediglich finanzielle Motive, als man verhandelte. (Erst ein Jahr später gelang den Rechtsextremen im Europaparlament die Gründung der Fraktion „Europa der Nationen und Freiheiten“, drei Parlamentarier aus Großbritannien und Polen konnte die Initiatorin Marine Le Pen zur Mitgliedschaft überzeugen.) Damit hat Putin nun doch eine Fraktion im Europaparlament.

Dafür gibt es ein historisches Vorbild. Im Spanischen Bürgerkrieg kündigte der faschistische General Emilio Mola an, er werde vier Kolonnen Militär gegen Madrid führen, um die demokratische Republik zu stürzen. Die fünfte Kolonne, so Mola, sei schon dort: die Anhänger Francos, die die Demokratie von innen bekämpften.

Die Zeiten haben sich geändert. Putins fünfte Kolonne in den europäischen Hauptstädten agiert nicht versteckt, sie tritt zu Wahlen an, sitzt in Parlamenten und agiert offen in seinem Sinn.

Ukraine und Syrien – Wie die Rechten Putin decken

Russland wies in den Jahren vor der internationalen Finanzkrise 2008 ein sehr hohes Wirtschaftswachstum auf. Es folgten erst ein brutaler Absturz und dann eine Stabilisierung auf eher niedrigem Niveau. Und damit kommen wir zu Russlands militärischem Eingreifen in Syrien und in der Ukraine. Es ist keine neue Methode, eine angespannte Situation im Inneren durch imperiale Abenteuer zu kompensieren, sodass die russische Bevölkerung trotz schwieriger Wirtschaftslage und düsterer Zukunftsperspektive an ihren „starken Mann“ glaubt. Putins Beliebtheitswerte schossen nicht zuletzt deshalb in die Höhe, weil die militärischen Interventionen Russlands (auf der Krim offen geführt, in Syrien als Retter Baschar al-Assads) als geopolitische Heldentaten glorifiziert wurden. Moskau unterstützt die syrische Regierung und Armee, da es nur zwei Alternativen gebe, wie Dmitri Peskow, ein sehr enger Berater Putins, Ende 2016 erklärte: „Entweder wir haben Assad oder die Nusra und den Islamischen Staat in Damaskus.“

Eine Rechtfertigung für die Einsätze in Syrien nutzte der russische Präsident auch für einen Seitenhieb auf die USA: Ein anderes Vorgehen hätte eine Lage wie in Libyen und im Irak zur Folge, also den Zerfall staatlicher Einrichtungen und den Sturz bestehender Regierungen. Für die Syrien-Krise gebe es nur eine Lösung: die Stärkung der staatlichen Regierungsstrukturen unter Assad.

Von Anfang an verfolgte Russland klare Interessen in Syrien: die Unterstützung Assads ist eine eindeutige Kosten-Nutzen-Kalkulation. Um auf Augenhöhe mit den USA verhandeln zu können, musste Russland in Syrien aktiv werden. Am Ende hätte Russland zwei Dinge erreicht: seine Bedeutung gegenüber den USA gestärkt und seine Verhandlungsposition optimiert. Putins Strategie geht insofern auf, als er sich von Drohungen, man werde Verhandlungen abbrechen, nicht abschrecken ließ. Syriens Milizen sind ohne eigene Flugabwehr den russischen Luftangriffen schutzlos ausgeliefert – und die Milizen erhalten keine schultergestützten Luftabwehrraketen, da für die westlichen Unterstützer das Risiko, sie könnten in die Hände von Terroristen gelangen, zu groß ist. Die Trennlinie zwischen Rebellen und islamistischen Terroristen ist im fünften Jahr des Bürgerkriegs auch kaum noch zu ziehen, die kurdischen Verbände ausgenommen. Das liegt auch an der strategischen Planlosigkeit Europas, das nicht von Beginn an auf säkulare, demokratische Kräfte gesetzt hat und damit zuließ, dass diese de facto verschwanden. Diese Zaghaftigkeit des Westens macht sich der Kreml-Chef geschickt zunutze.

Zahnlos zeigen sich auch die Sanktionen der EU gegen Assad, deren Verlängerung trotz des Engagements der rechten Verbündeten vorerst um ein halbes Jahr, bis zum Sommer 2017, beschlossen wurde. Wird der Westen schließlich Baschar al-Assad als legitimen Präsidenten und Verhandlungspartner akzeptieren? Höchstwahrscheinlich, sofern Putin sich nicht verkalkuliert hat.

Tausende russische Bomben fielen in den letzten fünf Jahren auf Syrien und besonders Aleppo und trafen dort weniger Terroristen des sogenannten Islamischen Staates als Rebellen und Oppositionelle der syrischen Regierung. Die Stadt ist zum Synonym für die Untätigkeit der Welt geworden und wir wurden Zeugen, die in Echtzeit über Handyvideos der Bevölkerung dabei zusehen, wie sich die Trümmer in Ost-Aleppo häuften und Blut floss. Im Dezember wurden nach der völligen Zerstörung der Stadt Vereinbarungen zur Evakuierung der von Aufständischen kontrollierten Teile Ost-Aleppos getroffen, die immer wieder gestoppt wurden. Noch etwa 40.000 Zivilisten und 5000 Rebellen samt ihren Familien befanden sich zu dem Zeitpunkt in der Region. Zwischen September und Dezember flogen russische Kampfjets mehr als sechsmal so viele Luftangriffe wie die westliche Anti-IS-Allianz, das ergab eine Recherche der Süddeutschen Zeitung anhand von Daten der US-Firma Information Handling Service (IHS). Trotz möglicher Fehlerquote zeigt sich, dass Russland und Assads Regime bei weitem die meisten Bomben über Syrien abwarfen und der syrische Diktator so wichtige militärische Erfolge verbuchen konnte. Russland bombardierte demnach zwar auch IS-Stellungen, aber der Großteil russischer und syrischer Bomben fiel auf Gebiete, die von anderen, meist auch islamistischen, Rebellengruppen kontrolliert wurden. Das Resultat: Ende Dezember 2016 gewann Assad die Kontrolle über Aleppo vollständig zurück.