Quatemberkinder - Tim Krohn - E-Book

Quatemberkinder E-Book

Tim Krohn

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Beschreibung

Quatemberkinder sind nicht wie andere Kinder sie leben nicht nur unter Menschen, sondern gleichzeitig in der wundersamen Welt der Sagen und Mythen. Ein solches Quatemberkind ist der Waisenknabe Melchior, genannt der Melk. Er verbringt die Jugend auf der Alp, zwischen rauhen Sennen und wilden Berggeistern, und trifft auf das unbändige Mädchen Vreneli. Bald sind die beiden unzertrennlich. Als aber das Vreneli nach dramatischen Ereignissen verschwindet, treibt es den Melk zu einer rastlosen Reise

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Seitenzahl: 386

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Tim Krohn

Quatemberkinder

und wie das Vreneli die Gletscher brünnen machte

Roman

Diogenes

Für Sabina

{9}Erstes Buch

{11}Das lockend Füchsli

Der Melchior, genannt der Melk, war ein Quatemberkind. Das wird nur wenigen etwas bedeuten – sagen wir also, er sei ein trauriges Kind gewesen, ein weitsichtiges. Ein Kind, das Dinge sieht, die anderen verborgen bleiben.

Der Graaggen Fidel zum Beispiel denkt, wenn er beim Einnachten von der oberen Weide heim auf den Talboden läuft, an eine warme Milch im Kacheli, vielleicht ans Musizieren mit Frau und Kind, manchmal, wenn es in einem Jahr enger wird, rechnet er auch an Milchabrechnung oder Kästeilet. Worüber der aber immer zu studieren hat, er nimmt die steile Flanke im Nu und denkt sich nichts dabei und jodelt stets schon im Hof ein erstes Musikalisches.

Der Melk ist da anders. Der kann, wenn er nachts das Dutzend Schritte vom Stall ins Hüttli tut, nicht sicher sein, dass er vor dem Morgengrauen seine Ruhe findet. Dem streicht eines Abends eine Katze um die Beine und tut ihm schön, und danach findet er plötzlich den Weg nicht mehr und irrt umher mit leerem Kopf, bis es ihm endlich einfällt, den linken Schuh mit dem rechten zu vertauschen und so den Zauber zu bannen – da ist er aber schon zwischen Fittereggli und Sittli und drei Stunden von zu Haus. Der nimmt winters den gleichen Weg wie alle Fabrikkinder, und wie das Grüppli zum Dorfbrunnen kommt, tanzt darin splitternackt der Geist {12}eines Älplers den Alt-Schottisch und maulörgelet dazu, den sieht aber niemand als der Melk.

Quatemberkinder leben inmitten der Menschen und doch in einer anderen Welt. Denen sind Geister und Hexli und Schrättli so selbstverständlich wie anderen das Nachtgebet, vieles dafür bleibt ihnen fremd, was jeder sonst im Dorf für gottgegeben hält. Gewissheit um ein Kacheli mit warmer Milch zum Beispiel oder dass der kürzer Weg auch stets der gschwinder sei, kann es für ein Quatemberkind nicht geben. Das wird nie sein Heimetli haben und Frau und Kind in alle Ewigkeit und den Segen des Herrn Pfarrer. Das lebt zusammen mit Wassernixli und Hornmelkern in Geissengestalt und mit zum Leben erweckten Heubaben, das ist so seine Gesellschaft – von denen lernt es, was es zum Leben braucht, und denen schuldet es am Ende seinen Tod.

Nun ist es allerdings nicht so, dass irrende Seelen und Toggeli und Geister in Tiergestalt nur den Quatemberkindern erschienen. Wer immer in die Alpen steigt, wie sie um die alten Orte Uri und Schwyz herum stehen oder im Glarnerland, der kann vor dem geschundenen Ochs nicht sicher sein, der seine Haut am Schwanz nachzieht. Dem begegnet auf seinem Weg eine Riesin mit reichlich zwei Mass Salz in Säcken auf dem Kopf, die strickt beim Aufstieg noch an einem roten Socken, und mancher ist schon im Schreck ob ihrem Anblick zu Tal gestürzt. Selbst den kopf‌losen Schimmel hat auch der eine oder andere Fremde talwärts traben sehen, von der Mugiweid in der Stotzigwaldrisi nach Netstal herab durch die Blänklirus, wo er dann nachts die Fensterläden aushängt. Und ein Toggeli oder ein Schrättli hat schon fast jeder auf sich gespürt, das sich ihm in kalten {13}Bergnächten warm und schwer auf die Brust legte und ihm die Luft abdrückte. In den Alpen gibt es mehr Leben als nur die Menschen, das Veh und die Gämsen, das ist bekannt.

Vieles, wenn nicht das meiste, bleibt gewöhnlichen Menschen aber verborgen, und wer kein Quatemberkind ist, wird mir kaum Glauben schenken, wenn ich von einem Boz erzähle, das sich zum Abendbrot die eigenen Haxen röstet, oder von einer russischen Popentochter, die weit ins Glarner Gebirge ins Bad Stachelberg reist, um dort ein Mann zu werden, und der Melk verkauft ihr zu diesem Zweck noch seine liebste Kuh.

Manch einem mag aber auch aufgehen, dass er am End selber ein Quatemberkind ist und es nur noch nicht wusste, und er wird sich daran freuen, wie der Melk mit einer Heugabel gegen das Mendrisch kämpft und einem lieblichen Echo verfällt, das ihm als Nebelchen mit goldenen Fussstapfen erscheint, wie ihn ob einem brünnigen Gletscher ganz fürchterlich das Sehnen überkommt und wie er einen Venediger zum Freund gewinnt und den Hörnlimann zu Diensten und das Vreneli zu seiner Lehrmeisterin, und wie die Vriinä ihm nicht nur das Zaubern beibringt, sondern auch Sachen, von denen ich gar nicht erzählen kann – sonst schimpft man mich schon einen Säuniggel, bevor das Buch noch recht begonnen hat.

 

Ihren Anfang nimmt diese Geschichte aber lange Jahre bevor der Melk geboren wurde. Als da die Pest ins Glarnerland kam, lebte in Glarus einer, der hiess Fränz und sollte dereinst dem Melk sein Vater werden – das dauerte jedoch noch einen Weil, denn was das Weiben anging, war der Fränz {14}mit dem Glück nicht gesegnet. Nicht, dass er ein wüster Burscht gewesen wäre. Es war nur so, dass er schlecht haushalten konnte, und mit weniger als einem halben Batzen im Sack wird noch dem gattligsten Mann das Weiben schwierig. Und als der Fränz nach langem Geläuf endlich weit draussen im Sanktgallischen eine meinte gefunden zu haben, erschrak sein Meitli in der Hochzeitsnacht so sehr darob, dass die Männer anders sind als die Frauen, dass er es noch in derselben Nacht zurück nach Flums zu seinen Eltern bringen musste. Danach wollte er nur noch ledig bleiben.

Dann kam aber jenes Pestweib ins Tal, eine eigenartig altväterisch gekleidete Jumpfer mit einem Nastuch um den Kopf und langen Zähnen und gespaltenen Kuhfüssen, die bezog ein Hüttli zu Mitlödi und pässlete den jungen Burschten ab, und wen immer es in sein Hüttli schleiggte, der erfiel nicht lang danach dem Schwarzen Tod. Einer der Ersten, denen die Jumpfer begegnete, war aber der Fränz, und da er mit Gott und der Welt seit der verdorbenen Heirat schon im Argen lag, drängte es ihn gar nicht, vor dem Pestweib zu verspringen wie die anderen, sondern es packte ihn wie eine Wut die Lust, etwas zu probieren und sich mit der Jumpfer anzulegen und sie zu überlisten.

Und so tat er dem Pestweib lieb und als well er ettis mit ihm angattigen, und bald ging er bei ihm aus und ein. Und das Pestweib hatte seine Freude am Fränz und liess ihm seine Gesundheit und langte fast keine anderen Burschten mehr an, und am End wurde es so vertraulich, dass es, als es einmal einen Brei gekocht hatte und ihn zum Auskuhlen vor der Küche auf das Fenstersims stellte, dem Fränz verriet, dieser Brei sig ein Zauberbrei, und mit dem Auskuhlen {15}käme der Frost über das Tal und zerstöre die ganze Ernte, und danach müssten alle fort von ihren Höfen, und sie beide hätten das Glarnerland für sich allein.

Der Fränz hockte an dem Abend noch einen rechten Weil mit dem Pestweib in der Stube und schwatzte mit ihm, als ginge ihn der Frost überhaupt nichts an. Endlich sagte er aber, ihm drücke der Ranzen, und ging vor die Tür, und danach schlich er unter das Fenster und schob die Schüssel mit dem Brei in die Küche zurück und zog das Fenster zu. Und dann höselete er davon, so schnell und so lange ihn seine Beine mochten tragen, bis über den Höch Turm und auf den Gross Chilchberg hinauf.

Als er anderntags herabgestiegen kam und nachsah, was der Brei wohl gewirkt hatte, war der Frost auch wirklich im Hüttli einbeschlossen geblieben, und das Pestweib war in seinem Bett festgefroren und hart wie altes Brot, und der Fränz brauchte nur noch den Doktor Tuet von Glarus zu holen, und der nähte dem Pestweib zuerst den Hinder ans Bett und machte ihm dann mit einer Medizin den Garaus, und so hatte der Fränz die Pest im Land besiegt.

Recht froh mochte er darob aber nicht werden, denn wo er die Breischüssel berührt hatte, war ihm noch in der Nacht eine Pestbeule gewachsen. Nun war der Doktor Tuet aber ein Zauberdoktor, und weil er dem Fränz zu danken hatte, musste der Fränz nicht ins Bett und bittere Kräuter gegen den Tod schlucken, sondern der Tokter hiess ihn nur gad die Beule abschneiden und daheim in ein Loch in der Wand sperren und das Loch vernageln, und wenn er emal die Zeit heig, käme er vorbei und zaubere sie ordentlich und für immer aus der Welt. Und so tat der Fränz und blieb gesund {16}und half fortan dem Doktor Tuet, die anderen zu heilen, die die Jumpfer betääpelet hatte, und sammelte ihm Korallenbeeren und Bockswurzel und Enzian und Strenzen für die Medizin, und bald lag niemand mehr mit der Pest im Bett.

Der Fränz war jetzt fast eine Berühmtheit, und nachdem er auch das Sparen gelernt hatte, heiratete er schliesslich noch ein zweites Mal, und zwar eine Bristerin. Die war zwar anders als die Meitli aus dem Glarnerischen und wurde von vielen ein fremder Fötzel genannt, aber sie war auch schön und schaffig, und sie ass vom Brot lieber das Weiche und der Fränz das Harte, und mit einem Wort hatte er am Anneli und es an ihm eine rechte Freude, so dass das Anneli ihm bald einen Fridli gebar und nicht lang danach den Melk.

Das Einzige, was dem Fränz in seinem Glück manchmal zu schaffen machte, war die Beule in der Wand, die wegzuzaubern der Doktor Tuet nie die Zeit finden wollte, und mehr noch das vernaglete Loch, das nämlich dem Anneli wiederum so gar nicht gefallen mochte und vor dem es oft in einem Anfall wie vergelstert stand und den Fränz anflehte, doch endlich die eichenen Bolzen aus dem Brett zu ziehen und durch solche aus Eisen zu ersetzen, es bekäm von Eichenholz das Kopfweh. Damit machte es den Fränz aber fast närrisch, damit und mehr noch mit einer Frage, die es ihm in seinen Anfällen immer wieder stellte und die den Fränz zu stigelisinnig dünkte, als dass er ihm auch nur einmal geantwortet hätte – was das Anneli ihn nämlich fragte, war nichts anderes, als wem jetzt eigentlich die beiden Buben, der Fridli und der Melk, gehörten.

Weil beides, das sonderbare Fragen wegen den Buben wie auch sein ohnmächtiges Tun wegen den eichenen Nägeln, {17}das Anneli aber nur alle Quartal überkam, wollte der Fränz gern damit leben, und so war der Melk bald dreijährig und der Fridli noch eine Handbreit grösser, und immer noch waren die Nägel in der Wand. Dann stand aber das Anneli eines Tages wieder vor dem Brett und flamänderte, und da war der Fränz das ebige Gestrütt endlich leid und holte beim Schmied zwei Eisenstifte und grüblete die hölzigen Bolzen aus der Wand.

Als das Anneli dann aber mitten in sein Werken auch fragte, wem denn wohl diese beiden gschpässigen Buben gehörten, hatte der Fränz im Versehen gerade das Brett von der Wand gehebelt, und in seinem Ärger mochte er nicht mehr aufs Maul hocken wie alle Male dervor, sondern meinte unleidig, das Anneli sell jetzt nicht so dumm tun, das wisse es doch, dass der Melk und der Fridli je zur Hälfte ihrer beider siged. Und kaum hatte er das gesagt und war noch auf dem Boden das Brett am Suchen, da sprang die Beule aus dem Loch und dem Fränz geradewegs ins Gesicht hinein, und der Fränz beinlete Hals über Kopf und schreiend zum Doktor Tuet, und hinter ihm her beinlete der Melk und glaubte an ein Wettlaufen und fing an tun wie närsch, als der Vatter ihn nicht wollte gewinnen lassen, und höslete ihm schluchzend weiter nach.

Wie der Doktor Tuet aber abends mit dem Melk auf dem Arm in die Hütte kam, um dem Anneli Bescheid zu geben, der Fränz hätte dann die Pest nicht überlebt, da fand er das Hüttli leer und verlassen und nur auf dem Tisch noch die eine Hälfte vom Fridli hocken. Mit der anderen war das Anneli auf und dervon und wurde im Tal nie wieder gesehen.

 

{18}Danach wurde der Doktor Tuet den Buben ihr Vormund. Den halben Fridli konnte er nicht retten, der blieb ihm schwächlich und anfällig für jeden Muckenschiss und starb endlich an der Englischen Krankheit.

Der Melk dagegen hatte geschickte Hände, er hatte eine Ader für das Veh, und er ass nicht viel. Dem Doktor Tuet war es daher ein Leichtes, ihn zu verdingen, und so hütete der Bub sommers Kälbli auf der Allmend und in den Ställen krankes Veh, mistete dem Iseli und anderen Bauern, half heuen und beim Ausbessern der Ställe für den Winter, oder dann sammelte er dem Doktor Tuet wie schon sein Vater ein gesundes Kraut von den Bergen. Winters kam er in eine Tuchfabrik, dort schaffte man für die weite Welt und fertigte Türkenkäppli und indonesische Faselettli und persischen Möbelstoff und Glarner Nastüechli, und der Melk verteilte dem Drucker die Farbe im Chassis und putzte die Druckmodel, oder er brachte die bedruckten Bahnen zum Trocknen auf den Turm. Dann wieder half er auf einem Hof bei der Fuhr von Brennholz, und zu misten gab es im Winter mit allem Veh im Tal nochmals so viel wie im Sommer, und zum Lohn gab es ein Bett im Heu, in der Wärme bei den Kühen. Denn der Doktor Tuet sorgte zwar dafür, dass der Melk zu schaffen hatte, aber so weit ging seine Sorge nicht, dass er ihm auch eine Kammer bereitet hätte. Wer den Melk dingen wollte, der musste ihm schon Schlafstatt, einen Kanten Brot und ein Tassli Milch stellen und winters eine warme Suppe, und darüber sollte auch ja keiner verhandeln, wollte er, dass der Tokter ihm auch weiterhin die rechte Medizin verordnete.

Nur hin und wieder packte den Doktor Tuet das {19}Sentiment, dann holte er den Melk zu sich, wies ihm eine Ecke bei den Rössern und einen Stuhl am Herd, gab ihm ein Ärbetli im Hof oder nahm ihn mit sich auf Visite und liess ihn den Wagen führen, und abends holte er ihn noch für eine Stunde in die Stube, wo er ihm das Lesen und Kalkulieren beibringen wollte. Nach einigen Tagen war ihm das aber stets wieder vertleidet, und er schickte den Melk auf Leuggelbach oder Mitlödi, dort wartete ihm ein neuer Meister. Und so kannte der Melk bald jeden im Tal, ausgenommen die Herren von der Industrie und die Studierten, er hatte auf mängem Hof und in fast allen Fabriken gewerkt, und doch hatte er kein Mäntsch, das ihm auf mehr als ein paar Worte gut war. Bis auf eines, aber von dem wusste er nichts.

Das Vreneli, auch Vriinä gerufen, war eines wie der Melk selber, eines, das alle kannten und das doch fremd blieb. Anders als der Bub, der mehr ein stiller war und öfter durch stummes Gschauen lernte als durch Fragen, war das Vreneli ein Vorlautes, ein Ummengumpi und Ummenfenderi, das es in keiner Stube lange aushielt und stets bald wieder das Freie und die Berge suchte. Eines, das so gschwind von einer Alp zur anderen expresste, dass es im Tal schon hiess, die Vriinä heig wie der Hund von Uri keine Milz im Ranzen – was der Doktor Tuet aber als dumms Züügs abtat. Dazu kam, dass das Vreneli ein Laferi war mit einem Maulwerk wie ein Sturmglöckli, und eine Gigelitante war es auch, und wäre es nicht bei allem ein so Gmögigs und Freundliches gewesen, es hätte wohl nicht zweimal eine Anstellung in der Fabrik gefunden. Dort nämlich schaffte es winters, mehr schlecht als recht und nie alle Tage in der Woche, und verdiente dem Vater, einem einsiedlerischen und maulfaulen Wittlig und {20}Senntenbauern auf Fessis, ein Zubrot. Der Fessisbauer war aber ein so Ruucher und fremdelete so sehr, dass die Leute sagten, er wäre noch ein Nachfahr von den Wildmanndli, und im Vreneli stecke drum ein akkurates Wildmanndli-Enkelkind.

Von der Vriinä verzellten die Leute aber überhaupt vieles. So hiess es, sie liebe in ihren jungen Jahren schon eine Gämse wie anderes Weibervolk einen Mann. Andere sagten, das Gämsi sig sein Geschwister, und das Vreneli halte es hoch auf dem Fryberg versteckt, damit die Jäger es nicht totschössen, und heig ihm ein Ei aus reinem Kristall an einem sammetigen Bändel um den Hals gehängt. Dann wieder hiess es, die Vriinä könne man mängsmal in den Fessisseelein baden sehen – und weil das so appartig zum Gschauen sig, heig vor nicht langer Zeit ein Zusenn aus dem Bündnerischen dem Vreneli, wie es so am Baden war, das Gewand gestohlen und das Vreneli päcklet und an sich gezerrt und wie verruckt abgeschmüüselet. Darauf soll es den säben Zusenn aber überall so grüüli gebissen haben, dass er meinte, er müsse verbrünnen, und sich mit der Milch von einer Kuh, die ihm am Weg stand, heig vom Gebrünne wellen loswaschen und mit einem Vehstriegel losstriegeln, und am Schluss heig er sich im Plangen nach Erleichterung gar in die wilde Sernf gestürzt und sig versof‌fen.

Vielleicht von Fessis her oder von hier oder da und bestimmt aus der Fabrik war das Vreneli auch dem Melk bekannt. Weil der es sich aber nicht gewohnt war, dass man etwas anderes von ihm wollte als saubere Arbeit, und er von keinem mehr erwartete als ein »Mach säb, und machs höfäli!« und ein »Das isch dis Beggäli, und dettän im Eggli {21}chusch nächtigs ruäbä«, hatte er die Vriinä, die solches zu ihm nicht sagte, nie gross geachtet. Eigentlich kannte er nicht mehr als ihren Namen, und auch den nur deshalb, weil bei mängem Gewiechs und Weibergeschnurr, das über den Druckboden zu hören war, der Kolorist neben ihm pfutterete: »Ninnt mich numä wunder, für was das Vreneli nuch glohnet wird!«

Aber sie wurde gelohnet, und der Melk wurde es auch, und so lang war es ihm gleich, was für eines das Vreneli war, und er merkte bis in den Frühling hinein nicht, dass die wilde Vriinä ihm zum Gefallen schon fast gsunntiget in die Fabrik kam, zwar mit baren Wädli und Füssen, aber im Gestaltröckli und mit geglätteter Schoss, und gar nicht so verrupft und dreckig, wie man sich eine Wildmanndli-Enkelin vorstellt, die durch die Finger pfeift und am liebsten einer versprengten Geiss nachsegglet. Und dass sie ihm in der Znünipause und beim Lohnfassen Augen machte, merkte er auch nicht – es sagte ihm aber auch keiner ettis.

Was dem Melk am End das Herz pöpperlen machte und ihn z’Nacht im Heu ins Träumen brachte, war drum auch nicht die Vriinä, das war ein Füchsli. Das lag abends, wenn die Fabrikbuben über das Brückli ins Oberstübli des Torschliessers gingen, wo sie ihr Lager hatten, auf einer Holzbeige und sah den Buben nach, und vor allem dem Melk. Der aber hatte bald heraus, dass eines kein normales Füchsli sein konnte, wenn es so einfach verbutzte, dass die Buben Schneeballen nach ihm warfen und es zu fangen versuchten, und wenn es mit zwei Sätzen so weit versprang wie die Buben mit zwei Dutzend und doch gad wieder stehen blieb und sich nach dem Melk wandte, der nicht mit den Buben gesprungen {22}war, sondern noch am Brückli stand, und ihm ins Gesicht lugte, dass es dem Melk so recht bsunders zumut wurde.

Das ging so nicht alle Abende, aber auch nicht zu selten, und mit der Zeit begann der Melk auszuschauen, wenn er aus der Druckerei kam, und er war enttäuscht und fast schon tuucht, wenn kein Füchsli zu sehen war, und werweisste ganz für sich, ohne jemanden zu fragen, was es mit diesem Füchsli wohl mög auf sich haben, das ihm so gut gefiel, mit seinen ganz besonderen Augen und seiner Frechi und dem glänzigen Pelz – und das Vreneli in der Fabrik mochte er ob all dem Werweissen erst recht nicht achten.

Dann warf einmal einer der Buben einen Stein und traf das Füchsli am Pfötli, dass es einen traurigen Wiechs abliess und ganz tschienggig ins Bachtobel floh, und danach kam es nicht mehr zum Brückli, und der Melk hielt vergeblich nach ihm Ausschau.

Vom selben Tag an war auch das Vreneli verschwunden, das fiel dem Melk aber nicht weiter auf. Die erste Zeit hatte er seinen Kummer um das verletzte Füchsli, und dann kam von einem Tag auf den anderen der Föhn und mit ihm der Frühling, und der Doktor Tuet nahm ihn aus der Druckerei und verdingte ihn als Vehbub an eine Alpgeteilschaft. Es sig an der Zeit, sagte er zum Melk, dass er einen Beruf lerne, und mit ihm seinem Gespüri für das Veh sig doch das Sennen gad das Rechte.

{23}Das Tunscheli auf Chäseren

Dass sie mit dem Melk einen glücklichen Griff taten, wussten auch die von der Alpgeteilschaft, der Doktor Tuet musste drum auch nicht lang stürmen. Der Gilg Tschudi, der in dem säben Jahr der Alpvogt war, kannte den Melk vom Hüten auf der Allmend her und wusste, dass der, wenn er auch noch ein Kind war, so doch fast jede Kuh im Dorf beim Namen nennen konnte und ganz bestimmt bei ihrem Besitzer – und das war mehr, als er von den Sennen erwarten wollte. Denn weil er für die Dräckloch Alp keinen einheimischen Senn hatte finden können, hatte er in seiner Not so geschleckte Fötzel aus dem Bernischen müssen dingen, die nicht nach dem Zustand der Weiden und nach dem Vehbestand fragten, sondern als Erstes nach der Löhnung. Und da war einem erfahrenen Bauern wie dem Tschudi doppelte Vorsicht gad das Mindeste, denn ein Senn, der nicht von der ersten Melketen an weiss, welche Kühe wie viel Milch gegeben haben, kann schliesslich am End vom Alpsommer auch keine gerechte Kästeilet vornehmen.

Der Tschudi nahm sich drum dem Melk auch mit eigeten Händen an, er nahm ihm sogar den Hirteneid ab, obwohl der Melk nur gad der Vehbub war, für die Alpauf‌fahrt vertlehnte er ihm ein Sennenhempli und gattlige Schuhe, die ersten ledrigen, die der Melk seiner Lebtig an den Füssen hatte – {24}und überhaupt tat er alles, dass der Melk denken sollte, die Dräckloch Alp sig auch ein bitzeli seine eigete Alp, und den Sennen auch gehörig auf die Finger lugte.

Bevor die Dräckloch Alp bestossen werden konnte, musste aber noch der Aufstieg von umgelitzten Tänndli und Lauischutt geräumt werden, und auf der Alp selbst waren die Weiden abzuschönen und die Zäune zu richten, und schliesslich hatte man dem Käser eine neue, drehbare Betze zum Hängen des Käschessi versprochen.

Und so stiegen die Bauern der Alpgeteilschaft früh im Maien zum gemeinsamen Alpwerk z’Berg. Die neuen Sennen waren auch dabei, zu sehen waren sie aber nicht lange. Erst zmittst im Tag, als er schon seit mänger Stund den Steinbruch von der Nachtweide las, entdeckte sie der Melk, wie sie mit einer Gutteren Fendant hinter einem Felsen hockten und auf ihre Anstellung tranken und kuderwelsche Lieder sangen. Später halfen sie doch noch einen Zaun aufrichten und taten, als gmerkten sie die Blicke der Bauern nicht, dann mussten sie aber beizeiten wieder ins Tal, man erwarte sie noch daheim im Bernischen, sagten sie, und nur der Koch blieb mit den anderen auf der Alp und schaffte schweigend nach, was Senn und Zusenn versäumt hatten.

Der Alpvogt sprach danach kein Wort mehr. Überhaupt war es kein Heimkommen, wie es sonst nach einem Alpwerk üblich ist. Statt zünftig einzukehren und das Tagwerk zu begiessen, nahm der Alpvogt die Bauern mit sich heim, danach war er für einige Tage verreist. Er sig auf Biel gefahren, hiess es, die leidig Anreisung mit den faulen Sennen klären, mehr erfuhr der Melk nicht, und fragen und gwündern mochte er nicht. Als aber kurz darauf die Sennen wieder auf {25}Glarus kamen und ohne Fendant und ohne den Melk ins Dräckloch stiegen, das danach so pützlet dalag und auf die Sömmerung wartete wie ein mehrbesseres Milädi, da konnte sich auch der Melk vorstellen, was für ein Donnerwetter der Alpvogt zu Biel abgelassen hatte.

Die Alpfahrt wurde trotzdem ein Fest. Der Melk durf‌te vorweg laufen, der Alpvogt ernannte ihn kurzerhand zum Geissbub, und so führte er die Herde an, sennisch gekleidet, als wäre es ihm aufgeschneidert, mit Käppi und wadenlangen Socken, er kam sich ordeli busper vor. Hinter dem Melk und seinen Geissen lief dann der Senn im nägelineuen Feststaat und mit Blumen auf dem Hut, der duftete und glänzte und sah drein wie sein eigetes Helgeli, und neben ihm ging ein Trachtenmeitli, die Tochter vom Graagen Fidel, und gleich dahinter kamen die zwölf Treichelkühe mit dem Treichelgeläut und Blumen um die Hörner, und die Leitkuh hatte gar einen geschmückten Tannenbaum an einem Melkstuhl auf den Grind gebunden. Hinter dem Treichelzug kamen der Zusenn, so schmöggig wie der andere, und der Alpvogt und danach die ganze Herde, neben der die Bauern der Alpgeteilschaft hergingen, alle in Tracht oder zum mindesten gsunntiget, und den Abschluss machte der Koch auf seinem Wagen, auf dem er neben dem Käschessi und dem Salz und anderem, was es zum Käsen und zum Kochen brauchte, auch ein paar Säuli schoffierte. Der Koch fuhr auch sennisch, nur ohne Schmöggiwasser.

Die Fahrt begann am frühen Morgen, und bis weit hinter die letzten Häuser stand Volk am Weg oder lief ihnen nach und hielt mit einem Bauern einen kurzen Schwatz im Gehen, und die Meitli gafften nach den Sennen und gigelten und {26}bewarfen die Kühe mit Blumen, und immer wieder reichte einer ein Fläschli oder einen Schoppen, und dann wurde es noch lustiger. Und das Veh war bald noch überstelziger als die Leute und verwarf die Grinden, und mehr als einmal wollte ein Chueli in seinem Übermut in einen Garten einbrechen und dort den Salat wegfressen.

Als nach Riedern der bewaldete Stotz kam zum Bluttenen hinauf und unter dem Schlattberg vorbei, wurde es ruhiger, da war bald nur noch das Geläut zu hören und derhinder das Schnaufen vom Veh und ganz vorn diggemal der Melk, wenn er fluchend einer Geiss nachsprengte, die wieder die schnellste sein wollte. Und mit dem Einnachten erreichten sie den Rhodannenberg, dort durf‌ten die Tiere verschnaufen und saufen, und die Rhodannenwirtin schenkte Weisswein aus und gschprächlete ettis mit den Bauern, und der Koch reichte vom Wagen herab Schnäfel Brot und Käs. Dann ging es aber weiter, das Klöntal derauf, und bald kam der See, über den ein liisliger Luft ging, und die Kühe dampf‌ten und schnauf‌ten, und dem Melk wurde ganz weh in der Brust, so warm war ihm von den Tieren und vom Schweigen.

Kurz nach Mitternacht waren sie am Hinder Klöntal angekommen, und die Sennen und der Alpvogt beschlossen, die Herde ein paar Stunden ruhen zu lassen. Der Melk lehnte an ein Chueli, das im Gras lag, und sann darüber, dass er es doch gut getroffen heig und dass die Sennen sich jetzt viel schaffiger und verständiger zeigten, und dass mit sertigen lieben Chueli und Geissen der Sommer nicht anders werden konnte als prächtig. Dann schloss er die Augen und pfuuste halb weg, bis er vom Koch geweckt wurde, weil es über dem Glärnisch zu blauen begann und der Melk geheissen war, {27}Holz zu holen und Kaffiwasser. Der Melk setzte das Wasser auf, während der Koch, der ein Welscher war und Schangschagg hiess, nochmals Brot in Schnäfel schnitt. Wie der Melk aber feuerte und dem Rauch nachsah, fielen zeismal von einer Felswand neben dem Melk Knochen herab, erst ein paar Rippen und danach grosse Beinknochen und Armknochen und ganze Füsse und Hände und schliesslich noch mit einem schweren Chlapf ein bleicher Schädel, und die setzten sich am Boden von selber zusammen und waren am End ein ganzes Totengeripp, das aufstand und den Melk aus seinen Löchern angaffte, ob traurig oder ob im Spott, das wusste er im Schrecken nicht zu sagen, und sich noch schüttelte und gleich darauf wieder in die Luft stieg und verschwand, über das Veh hinweg dem See zu. Dann kam der Koch und tat, als heig er nichts gesehen, und warf nur das Bohnenmehl ins Wasser und hiess den Melk ein Auge haben, dass es nicht zu heftig strodle, und die Bauern streckten sich und kamen ans Feuer, und mit ihnen auch der Alpvogt. Zuerst war der Melk der Meinung, er allein heig das Geripp gesehen, es war ihm ja nichts Ungewohntes, dass er solche Sachen sah. Jedenfalls machte er das Maul nicht abenand, sondern trank sein Kaffi und sammelte die Geissen.

Dann aber, als der Kochwagen entladen und die War auf die Rösser verteilt war und es weiterging der Rosstaler Chlön nach Chäseren zu, dem Under Stafel von der Dräckloch Alp, merkte er, dass der Alpvogt ihm nicht mehr von der Seite wollte, und nach und nach bändlete der ettis wie ein Gespräch oder ein Verhör an, ob der Melk auch beten gelernt heig und ob er imstand sig, den Alpsegen und den Englisch Gruss auszurufen, falls er sollte gmerken, dass den {28}fremden Fötzeln daran selber nicht gelegen sig, und ob er auch wüsste, was tun, wenn die Herdstatt verhext würde und die Milch anbrenne oder beim Käsen nicht mehr dicke oder wenn der Nidel ums Verroden nicht zu Anken well werden. Und bis sie auf Chäseren anlangten, wusste der Melk, wie man das Chämi mit Katzenschwänz ausfegt und von eichenen Nägeln im Feuerloch, die die Milch verderben, und dass man die Schelle der besten Milchkuh ausglühen muss, wenn das Ankenfass verhext ist, und den Englisch Gruss hatte er auch noch ein paarmal zusammen mit dem Alpvogt hergebetet. Wenn aber gar nichts helfe, sagte der Tschudi zum Schluss, als sie auf Chäseren anlangten und das Veh zum Melken in den Stall führten und der Zusenn bereits unter dem Käschessi feuerte, dann sell der Melk zum Senn von der Silberen Alp, der wüss in jedem Fall, was zu tun sig.

Dann ging der Alpvogt melken, und seit da, und auch hinterher bei der Mehlsuppe im Hof, sprach er zum Melk kein Wort mehr, und als der ihm das Sennische und die Schuhe zurückgab und höfeli die Hand reichte, sah er ihm nicht einmal mehr ins Gesicht, sondern tat ganz, als sig ihm ettis gar nümmen recht, schwatzte weiter mit dem Iseli Bauern, nahm sein Bürdeli und drückte am End dem Melk die Hand, als kenne er ihn nicht.

Dann musste der Melk das Veh auf die Weid bringen. Und wie er schon ein rechtes Stück Wegs von der Alphütte war, sah er zurück und sah die Bauern sich auf den Abstieg machen und den Alpvogt, wie er noch gschwind auf einen Hoger stägerete und von dort den Segen über die Alp ausrief, zmittst im Tag und so laut, als müsse das für den ganzen Sommer langen.

 

{29}Die ersten Tage auf Chäseren vergingen danach, ohne dass noch etwas Besonderes geschehen wäre. Schon als der Melk am ersten Abend das Veh zur Melketen durab zum Stall trieb, sah er allerdings, weshalb der Senn, den die anderen den Stecken This nannten, darauf bestanden hatte, einen Koch mitzunehmen, er konnte selber nämlich gar nicht käsen. Das musste der Koch, der Schangschagg, für ihn tun, und von dem erfuhr der Melk auch, dass der Stecken This nämlich im Bernischen nur Küher im Flachen gewesen war und gar kein rechter Senn, und nichts als Sauerkäs gemacht und geanknet hatte.

Statt zu käsen, hütete der Stecken This daher mit dem Melk das Veh, und zwar so, dass er mit der Herde auf der Weid blieb und der Melk den versprengten Chueli und den Geissen nachsteigen musste. Ausser am ersten Tag, da war der Senn auch zum Hüten noch zu müde gewesen, nach der langen Zügleten, da hatte er erst in der Hütte einen Nugg gemacht und war vor der Abendmelketen nicht mehr aufgestanden.

Wie der Stecken This seine Arbeit machte, war aber nicht dem Melk seine Sache. Er selber stand in der späten Nacht auf und holte die Kühe von der Nachtweid, dann half er melken, siebte und vermass die Milch und leerte sie ins Käschessi, in dem der Koch schon mit dem Erwellen der entrahmten Milch vom Vorabend begonnen hatte. Der Zusenn, der Gunggel Sepp, fütterte derweil die Schweine, danach war seine Sach das Zigern und das Fegen der Geschirre, da gab der Melk schon den Kühen und Geissen ihr Salz zu lecken. Dann gab es auch für die Alpmannschaft den Zmorged, den hatte der Schangschagg bereitgestellt, ehe er noch {30}das Käsen angegangen war, und nach dem Zmorged trieb der Melk gemeinsam mit dem Senn das Veh auf die Weid, und der Gunggel Sepp feuerte dem Käser nach, spaltete Holz, schönte das Bödeli vom Steinschlag von der Nacht ab oder zerschlug Mistschollen.

Den hellen Tag verbrachte der Melk dann damit, die jungen, unerfahrenen Chueli von den stotzigsten Stellen abzuhalten und ein Aug auf die Geissen zu haben, wenn sie meinten, den Milchplanggen Stock erobern zu müssen. Nachchräsmen musste er ihnen nicht, die kamen schon, wenn er sie rief.

Sobald die Sonne hinter die Lang Wand wollte, trieben der Melk und der Stecken This die Herde wieder vom Schlattalpli oder vom Zeinenstafel zu den Hütten. Der Schangschagg hatte inzwischen die Morgenmilch verkäst und noch etwas geanknet und den Znacht gereiset. Vor dem Essen musste aber erst wieder gemolken werden, das brauchte einen Weil bei hundert Stück Veh, und der Schangschagg machte sich an den Abendkäs, und danach brachte der Melk das Veh auf die Nachtweid, dann erst gab es den Znacht. Und tüüf in der Nacht stieg der Melk noch auf einen Büchel, der nicht weit von der Nachtweid stand, und liess von dort einen Heuerlig für den Silberen Senn ab, und der gab mit einem Juuchzer Antwort, so wussten sie beide, dass auf der anderen Alp alles am Leben war. Und zuletzt sang der Melk noch den Alpsegen und den Englisch Gruss ab, danach ging er in die Hütte zurück, wo der Koch noch den Käs am Einreiben war und die anderen bereits im Nest, und dann ging der Melk auch abliggen. Nur mängsmal setzte er sich mit dem Schangschagg noch veraussen auf den Trog, und sie gschauten {31}den schwarzen Himmel, loseten den Chlepfen der Kühe von der Nachtweid herab und dem Liseren der Alpgeister und sannen beide über ettis nach, der Schangschagg auf Welsch und der Melk auf Tüütsch.

 

Nach einigen Tagen oder Wochen, als er sah, wie friedlich die Tage für den Stecken This verlof‌fen, der meist mit einem Margritli im Maul in der Wiese lag und faulenzte, und dass auch der Melk auf der Weid nicht viel mehr tun musste, so brav folgten ihm die Tiere, da fand der Gunggel Sepp, das Holzspalten und Suufi zu den Sauen tragen sig eine Arbet, die ein Jüngerer besser mache, und wollte mit dem Melk abtauschen. Dem Stecken This war eines wie das ander, mit dem Gunggel Sepp konnte er auf der Weid gar noch einen Jass klopfen, und weil den Melk noch niemand das Neinsagen gelehrt hatte, galt die Sache als abgemacht, und der Melk blieb die nächsten Tage in der Hütte beim Schangschagg, der bleich war wie seine Käsli, und lernte die Molke zu Ziger verarbeiten und wie man Lab ansetzt und dass die Milchgebse im Welschen Biorä heisst und was eine Trangschgaiee ist – nach einer Flätteren hinter die Ohren, als er statt der Käsharfe die Kelle holte, vergass er das nicht mehr. Er half dem Schangschagg beim Pressen und Wenden der frischen Käslaibe, erwellte die Schotte, die nach dem Zigern übrig blieb, kochte darin die Kästücher aus und hängte sie zum Trocknen unters Vordach und putzte die Brenten und Trichter und den Brecher und die Siebe und überhaupt die ganze Ledi und danach das Chessi selber und den Kästisch, und dann fing er auch schon an mit Znachtkochen. Nach dem Znacht aber wurden wieder zwei Käs gemacht, und danach {32}musste wieder gwaschen und gefiglet sein, und wollte er alles genau machen, blieb ihm kaum die Zeit, noch vor dem Schlafengehen den Milchtrichter zu packen und auf dem Büchel den Alpsegen abzusingen. Es war wirklich die härtere Arbeit als das Vehgaumen.

Aber auch dem Gunggel Sepp lief es nicht, wie er es sich vorgestellt hatte. Dass ein Veh einem Gaumer nur folgt, wenn es anderes als einen Gingg in den Ranzen erwarten kann, wollte ihm nicht in den Kopf, und mit dem Stecken This einen Jass klopfen tat er genau einmal, danach konnte er den Nachmittag lang den Geissen nachsteigen und musste am End doch noch den Melk holen, dermit der sie ihm wieder einfange.

Als der Melk am säben Abend mit der letzten Geiss heim zu den Chäserenhütten kam, sah er auf einem grossen Stein am Bachufer ein schwarzes Möggli und einen Rauch, und in der Hütte warf der Gunggel Sepp mit den Gebsen ummenand, statt sie zu fegen. Wie der Melk die Geissen nachzählte und sah, dass noch immer ein Gitzi fehlte, wollte er gad in der Hütte Bescheid sagen, dass er noch einmal zum Nebelchäppler hinauf würde. Da kam aber der Gunggel Sepp z’fluchetsen aus der Hütte und verschwand im Saugaden, und der Schangschagg, der nämlich schon Tüütsch konnte, wenn es anders nicht ging, berichtete dem Melk mit käsweissem Gesicht, er müsse nach dem letzten Geissli nicht mehr suchen. Der Sepp heig vorhin das Gitzi vertwütscht, wie es auf das Hüttendach gestägeret sig, und heig ihm nach müssen und sig dabei vertschlipft und ab dem Dach gefallen und danach derenweg gällig gewesen, dass er das Gitzi genommen und mit Tannenharz bestrichen und es noch lebig {33}ins Feuerloch gehalten heig. Am Schluss heig er es dann z’brennetsen über das Bödeli gejagt, und beim Bach zu sig das Tierli endlich verrochen.

Der Gunggel Sepp blieb danach einige Tage gällig, und das Veh überliess er wieder dem Melk. Das Zusennen wollte ihm aber deshalb nicht besser passen als dervor, und immer öfter hörte man ihn rüsslen, auf eine Alp gehöre ein Weibervolk, das das Putzen und Fegen mache, das sig keine Arbet für einen Mann. Einen Weiberschoss auf der Alp hätte indes auch der Stecken This gern gesehen, und zuletzt stieg er gar ins Tal durab, um ein Meitli zu dingen. Die wenigen Batzen, die er und der Gunggel Sepp dafür gesammelt hatten, langten ihm dann aber nur für eine Nacht mit einem Weibervolk in der Mühle zu Mollis, und davon hatte der Gunggel Sepp nichts als den Schaden, und der Stecken This musste ihm nach einem wüsten Streit seine Batzen ersetzen, sonst wäre es ihm in der Nacht nicht viel anders gegangen wie dem Gitzi.

Der Melk war froh, dass er die Tage wieder mit dem Veh verbringen durf‌te und weit weg vom Alpboden, und nachts blieb er meistens auch gleich vor der Hütte. Den Sennen war das nicht unrecht, bei ihren Suufsünntig störte es nur, wenn einer nicht mittat, derzu kam, dass einer einenweg nüchtern bleiben musste wegen dem Veh, und schliesslich und endlich galt der Melk als ein Schnudergoof, der wusste ja nicht einmal, was die Sennen meinten, wenn sie von einem Futz sprachen oder von vöglen, und warum sie überhaupt ihre Namen hatten und was die hiessen.

Der Schangschagg wollte zwar auch nicht wissen, was ein Futz ist, dafür soff er umso besser, und als Koch hatte er den Chrüüter unter Verwaltung, und dann konnte er nach einer {34}Gutteren Pflümli oder Chrüüter ganz grün werden, was den Sennen chogengut gefiel, und so sof‌fen die Sennen zu dritt, und der Melk wachte dem Veh.

Als die Sennen in einer Nacht wie oft kein Ende fanden und es wieder mit nichts anderem als mit dem Vöglen haben wollten und sogar den baren Hinder im Trog kühlten und mit ihrem Geschrei den Melk nicht schlafen liessen, da begann der Stecken This endlich in seiner Gaudi, Hudlen zusammenzusuchen. Und gleich darauf beteiligte sich auch der Gunggel Sepp an der Arbeit, und während der Koch für die beiden Bernischen mitsoff, werkten die Sennen an einer Hudlenbaabe, die ihnen das Weibervolk ersetzen sollte.

Dazu waren sie sich zeismal auch nicht mehr zu schade, eine Nadel in die Hand zu nehmen, um den mit Heu ausgestopf‌ten Ranzen zu verbüezen. Danach machten sie dem Dittitolgg Brüste, mit Geissenblateren, die sie mit Wasser gefüllt hatten, dann musste ein Milchtrichter in die Hose genäht werden und dann hinten in die Hose noch ein Sock. Und ganz am Schluss besannen sie sich, dass die Baabe auch noch einen Tschüder sollte haben, und der Gunggel Sepp meinte, er müsse sich als Künstler versuchen, und machte aus Stroh und Kuhdreck einen richtigen Weibsgrind mit dicken Lippen und mit Äugli aus Bachkieseln und mit einer Nase, die er aus dem Dreck herausdrückte, und mit Ohren aus Ziger und einer Frisur, für die er mängem Chueli die Haare vom Schwanz abschnitt.

Bis der Gunggel Sepp aber damit fertig war, war der Stecken This schon lange auf dem Heuboden am Pfuusen, und dann fand auch der Schangschagg, nachdem er erst grün und dann wieder weiss und dann noch blau geworden war, {35}dass er jetzt besser ins Tril läge, und liess den Gunggel Sepp allein. Der mochte so aber nicht gogen pfuusen, das sig kein rechtes End für einen währschaften Suufsunntig, meinte er. Und so pröblete er halt allein, wie der Dittitolgg zu gebrauchen sig, und vöglete ihm eines und grochzte und schnob, als sig er am Verräblen. Danach spürte er aber noch einen Hunger und setzte sich mit einem Mocken Käs zur Baabe und fütterte sie, und erst, nachdem es ihn gekehrt und er über den Dittitolgg gebrochen und zu ihm auf Tüütsch wie der Herrn Pfarrer gesagt hatte: »Dadermit bischt du jetzt getauft, jetzt heissischt du Tunscheli!«, wurde es ihm langweilig, und er kroch auch ins Tril.

Der Melk, der nicht weit von allem an der Hüttenwand gelegen hatte, war gottenfroh, als endlich die Ruhe einkehrte, und schloff tiefer unter die Decke und wollte noch zwei Stunden pfüüselen, bevor er das Veh zum Melken holte. Da zupf‌te es ihn aber am Hempli, als er gad am Einschlafen war, und wie er sich umtrüllte, war es dem Gunggel Sepp seine Hudlenbaabe.

»Hä nuch nüd gnuäg kha«, sagte die gar nicht ruuch, eher schüchtern, und langte dem Bub an den Hosenstall.

Der Melk sagte aber: »Itz lass der Seich!«, und gab dem Tunscheli einen Schupf und kehrte sich der Wand zu. »Gang zum Sänn, wännd witt vöglä, ich chu das nüd.«

Darauf fragte das Tunscheli den Melk, wo dann ächt der Senn zu finden sig, und der Melk wies ihm den Weg und schloff noch tiefer unter die Decke. Er dachte dann noch, dass er niemals im Leben well vöglen, dann nuggte er endlich ein.

{36}Die ermolkene Lisä

Danach kamen sonnige und friedliche Tage. Der Melk führte das Veh immer weiter ins Ruchband hinein und fast bis zum Glärnischfirn, wo noch viel saftiges Mutteri zu fressen stand. Der Senn liess ihn jetzt meistens allein mit Gaumen, denn die Tiere blieben dem Melk geduldig und machten keine Sperenzli wie unter dem Gunggel Sepp, und unterwegs fand der Melk noch Zeit, Rafauslen und Katzenschwänz zu sammeln, die er dem Doktor Tuet im Herbst gegen ein paar Batzen bringen wollte, und in die Sonne liggen und mit einem offenen Aug ein Schläf‌li machen und nachholen, was er in der Nacht versäumt hatte, mochte er auch noch.

Das Tunscheli blieb und wurde eines von der Älplerfamilie. Die ersten Tage wollten Senn und Zusenn sich gar nicht beruhigen und vögleten es ein nach dem ander Mal und hörten nicht auf, einander und dem Schangschagg und dem Melk, wenn er zur Hütte kam, und gar dem Veh und dem Echo zu verzellen, dass das Tunscheli es schon eine Saugüeti mäch, das müsse man probiert haben. Es probierte dann aber niemand als die beiden Sennen.

Das Tunscheli konnte allerdings noch mehr als nur vöglen, es half bei der Melketen und beim Fegen und Putzen und machte am End all das, wozu der Zusenn zu überwerket {37}oder zu faul war. Im Melken war es bald das Tifigste, und beim Abschönen der Weiden genügte ihm ein Tschutt, um die herabgerollten Steine wieder auf den Berg zu schaf‌fen. Nur Käsen mochte es nicht, und der Schangschagg hätte es auch nicht gelassen, dafür kochte es den Fänz und machte den Ziger, und beim Znacht langte es noch dem Melk an den Laden und meinte, er wäre halt schon ein ganz Appartiger und ob es ihm nicht beibringen sell, wie es gech mit dem Vöglen. Aber der Melk wollte das nicht lernen, und das Tunscheli hatte auch gar nicht gesprengt tun wollen, es sig ihm halt numen ein bitzeli traurig z’gmuet, wo es doch zum Vöglen gemacht sig, und es brauchte vom Melk mehr Worte, als er seiner Lebtig hintereinander gesagt hatte, um dem Tunscheli zu erklären, dass er es trotzdem recht gern möge leiden, nur halt auf eine andere als die bernische Art, und dass es in jedem Fall einen Fänz zu machen wisse, wie er ihn noch nicht mängs Mal gegessen heig.

Mit dem Tunscheli war auf der Alp vieles zum Besseren geraten, alle Arbeit war beizeiten gemacht und ordentlich, und ohne dass der Gunggel Sepp einen Lätsch herauszuhängen brauchte und übers viele Schaffen chienen, und säb wiederum verbesserte dem Schangschagg und dem Stecken This ihre Laune. Dazu kamen das schönste Brachetwetter und gesunde Tiere, und wäre nicht das mit dem verbrannten Gitzi gewesen, das dem Melk nicht aus dem Kopf wollte, und das Gefühl, da sig ettis nicht recht, wenn man mit einer Hudlenbaabe zusammen alpnete, da müsse noch ettis nachkommen, der Melk wäre so zufrieden gewesen, wie er es sich im Maien bei der Alpzügleten, nachts das Klöntal herauf, geträumt hatte.

{38}Einmal kam auch der Alpvogt auf Chäseren und konnte nichts anderes sehen, als dass alles zum Besten ging. Das Tunscheli sah er nicht, das blieb im Tril versteckt, und auch von der fehlenden Geiss bemerkte er nichts, und der Melk fand, es sig nicht an ihm, das anzumelden. Ein Chueli, die Lisä, gab fast keine Milch mehr, daran war aber nichts Besonderes, wenn es auch zuvor die beste Milchkuh gewesen war, sertigs kam vor. Der Tschudi hiess den Sennen in der Sache erst einmal abwarten und stieg mit ihm in die Planggen, um den Grasstand zu beschauen. Als sie wieder herabkamen, hiess es dann, es sig jetzt an der Zeit, den Ober Stafel zu bestossen.