Vrenelis Gärtli - Tim Krohn - E-Book

Vrenelis Gärtli E-Book

Tim Krohn

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Beschreibung

Das Vreneli ist nicht wie andere Kinder. Schon über seine Eltern kursieren im Tal die seltsamsten Gerüchte, und als die Mutter früh stirbt, heißt es, der Vater habe mit bösen Mächten paktiert. Das Vreneli soll fort von ihm und auf die Schule, doch lernt es lieber das zwielichtige Handwerk des Zauberns und streicht in Gestalt eines roten Füchsleins über die zerklüfteten Berge und Gletscher. Nachdem es die Tochter eines reichen Fabrikanten aus der Gefangenschaft eines Hexers gerettet hat, verfolgt der es mit Wut und Ausdauer. Bald darauf trifft das Vreneli den Waisenknaben Melk, einen jungen Sennen, ein Quatemberkind wie sie und spürt ein Sehnen, das sie bis dahin nicht gekannt hat. Doch bringt der Fluch des Hexers auch den Melk in Gefahr

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Seitenzahl: 531

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Tim Krohn

Vrenelis Gärtli

Roman

Diogenes

{7}Erstes Buch

{9}Frühling auf Fessis

Das Glarnerland liegt in den Bergen, wie eine Axt im Scheit bheggt. Der Talboden ist selten breiter als einen Steinwurf oder zwei, manchmal auch nur ein Schlitz ganz ohne Boden, daneben und dahinter gehen die Felswände in die Höhe, stotzig, gar überhängend, bis in den Himmel und weiter. Einen Schlitz nennen die Eingesessenen das Tal daher auch, das eigentlich nicht eines ist, sondern zwei, oder noch eigentlicher zwar eines, das sich aber zmittst gabelt, so wie ein tanniges Wettergäbeli sich gabelt. Die beiden Äste heissen das Grosstal und das Kleintal, dabei sind in Wahrheit beides munzig kleine Täler und verlotteret dazu, und ständig troolen Trämel z’Tal und verschlagen die Hüttli, und mit dem Regen schwemmt es Steinigs durab, danach staut sich das Wasser, der Talboden ist überschwemmt und eine einzige Günte, das Fieber kommt übers Land, und am End ist das halbe Glarnerland verräblet. Oder es kommt die Pest, oder die Dürre, ständig kommt etwas, und die Glarner lernen daraus rein nüüt und machen weiter wie zuvor und bauen ihr Hüttli auch ein zweites und drittes Mal, aber fädig unter dem Lauihang oder holzen just an der Stelle, an der es schon den halben Berg z’Tal geschwemmt hat. Und immer finden sie einen Nachbarn, der schuld ist an ihrem Elend, damit sie selbst nicht schuld sind, und besonders, wenn der Nachbar {10}ein fremder Fötzel ist. Dann heisst es sofort, der sig mit dem Tüüfel im Bund, und ein Venediger muss den Zauber bannen, oder der fremde Fötzel wird erschlagen oder verjagt, und danach geht alles weiter wie davor, wahrscheinlich auf ewig.

 

Und z’Trotz trieb in einem kalten Maien ein Fremder unverdrossen seine Herde Kühe vom Flachen her in den Glarner Schlitz hinein, so als warte dem Veh dort saftiges Futter. Dabei lag noch alles unter Schnee und Pflotsch, und es schneite und regnete auch am säben Tag, und wo der Fremde entlangging, kamen die Bauern an den Weg und pfuttereten, was der Galöri sich denke, ihnen asen früh die Kühe für den Alpsommer zu bringen, als hätten sie nicht längst alles Heu verfüttert, und dass an den Hängen heuer nüüt wachse, gsäch er doch selber, sie wären mit dem eigeten Veh schon genug in der Not. Tatsächlich stägereten rings nur auf Haut und Bein abgemagerte Kühe über die Weiden, dort scharrten sie z’hürchletsen den Schnee nach einem faulen Hälmli vom Vorjahr auf. Aber der Fremde, der ein Spränzel war mit langen Scheichen und durchscheinenden Ohren, schlug stumm den Kragen hoch und beinlete an den verpfnüsleten Bauern vorbei, und erst als er Glarus erreichte, stand er kurz still. Denn da kam wieder ein Bauer an den Wegrand, einer mit einem Rücken wie ein Tenntor, doch statt zu pfutteren, fragte er, ob der Fremde nicht gschwind well auf ein heisses Kaffi unter Dach kommen, er heig gewiss den Chlummeri in den Fingern, und seine schönen Tiere wollten auch ruhen.

Das war der Tschudi vom Tschudihof ob Glarus, der gleich gesehen hatte, welch buspere Kühe der Fremde vor sich her trieb, mit leichten Grinden und feinen Hörnern {11}und breitem, appartigem Euter, und chäche Hintere hatten sie und die Ohren hoch und flammig fast wie Rehe. Und weil der Tschudi ein umsichtiger Bauer war, hatte er dem langen, zähen Winter zum Trotz noch Heu im Stock und bot dem Fremden graduus an, er well die Herde kaufen.

Der Fremde meinte jedoch, die könne er nicht verkaufen, mit der müsste er selber wirtschaften, und auch den Chlummeri heig er wohl, aber sie hätten vor dem Einnachten noch so viel vor, dass es für ein Kaffi will’s Gott nicht lange. Und so dankte er nur und trieb seine Herde tiefer ins Gfogg hinein, während die Bauern zum Tschudi liefen und wissen wollten, was die zwei geschnurret hätten, und danach werweissten sie, was einer, der hier weder Hof noch Weide hatte, sein Veh in ein nüüteligs, verfrornigs Tal trieb, aus dem kein Weg führte als der, den er gekommen war.

Der Fremde trieb derweil die Kühe ohne Rast bis zu den Sümpfen vor Untersool. Dort richtete er den Tschoopen, strich sich den Schnee aus dem Haar und stieg den Stotz hinauf nach Sool, wo er die Herde beim Dorfbrunnen liess und aufs Amt ging. Als er nach einer halben Stunde wiederkam, kauf‌te er noch im Dorf‌laden ein Fass Salz und zwei Sack Mehl, dann stieg er mit den Kühen weiter bergwärts, fädig in Eis und Wetter hinein, derweil der Gemeindeschreiber Muggli in den »Bären« preesnete, wo im Winter all die Sooler Bauern hockten und lang schon vom Fenster her gegüünet hatten, und verzellte, der fremde Fötzel heig gad den verlottereten, verfluchten Fessishof erstanden, und um lötigs Silber, und dazu heig der Teiggaff noch gemeint, er gedenke hier zu bleiben seiner Lebtig, und der Schreiber sell ihn afed als neuen Bürger ins Gemeindebuch schreiben.

{12}Was da der Muggli verzellte, gab ein zünftiges Glächt bei den einten, so sell ihm doch das Veh verhungern und erfrieren ob all dem Schnee oder vertroolen im Gestrüpp und losen Steinigen, meinten sie, andere meinten, der Tüüfel würde den fremden Fötzel noch vor dem anderen Morgen vertreiben, und zuletzt rief der Gemeindeschreiber gar eine Wette aus, ob der Siech die Nacht auf Fessis überstünde oder noch hinecht Reissaus nähmt.

Zwei Stunden später war der Fremde tatsächlich wieder im Dorf, doch als der Muggli schon den Gewinn einstreichen wollte, musste er sehen, dass der andere nur nochmals in den Dorf‌laden ging, dort kauf‌te er eine schwere Axt und stieg wieder in den wetterverhangenen Stotz hinein.

Und am selben Abend noch drehte der Wind, Föhn kam auf und vertrieb die Wolken. Über die Berge kam ein Abendgluet wie das Erröten von einem verschämten Jümpferli, und fast im Gleichen prätschte von Fessis herab ein Axtschlag und hallte am Glärnisch wider und war zu hören bis weit talauswärts. Ein zweiter folgte, und so prätschte es danach die halbe Nacht so stetig, als schlüge einer dem Frühling den Takt, und der Föhn blies fort und wurde wärmer und endlich so süttig, dass bis zum Morgen der Schnee bis über die Maiensässe hinauf geschmolzen war und zänntummen das Gras ausgeschossen, und mit dem ersten Morgenlicht tätschte es Primeli und Maienblumen auf, und endlich wagten sich auch die Amseli und die Schwalben in die Luft und metzgeten um den schönsten Ecken für ihre Nester, und die Hummeli schneuggten von Katzentääpli und Glockenblumen und taten überstellig wie Goofen.

 

{13}Wenn das Glarnerland aussieht wie ein Wettergäbeli, lag Fessis dort, wo das Ästli sich gabelt, zur einen Seite tat sich das Kleintal auf, zur anderen das Grosstaler Hinterland und zur dritten das Unterland. Und wohl lag Fessis höher am Berg als jeder andere Hof, höher gar als die meisten Maiensässe, doch weil rings die Berge sich öffneten und der Himmel so weit war, schien stets von irgendwo die Sonne auf die Flanken, und das Wildheu wuchs dicht und saftig wie sonst nieneds und mit Gräsern und Kräutern, für die hatten die Glarner nicht einmal Namen.

So war es in früheren Zeiten den Fessisbauern ein Leichtes gewesen, mit Frau und Kind und Veh z’Berg zu überwintern, und in Reichtum, denn ihr Käse war der beste weit und breit und meist schon vor dem Herbst um gutes Geld verkauft. Erst vor hundert Jahren geschah das Unglück, dass eine Tochter des Bauern beim Heuen die Heugabel aufrecht in der Erde bheggen liess, solange sie sägetste, wie man es eben macht. Doch als das Jümpferli dann das Heu tschöchelen sollte, konnte es die Heugabel ums Verroden nicht aus dem Boden rupfen, es musste ebigs schränzen, bis sie sich endlich aus der Erde löste, und mit der Heugabel kam der halbe Boden mit, und in der Tiefe funkelte es von Gold und Edelstein, und das Jümpferli staunte und fand es ein ebigs schönes Lugen und wollte schon zulangen, als zeinersmal der Hörelimaa in der Grube stand und meinte, hä ja, es sell nur ordeli zulangen, und ihm gar selber von dem Gold reichen wollte. Doch das Jümpferli war asen veschrocken, dass es laut »Jesses Mariili!« rief, wie es das immer tat im Verschrecken, und danach musste der Hörelimaa wohl oder übel fort und pfutterete wohl noch einen Weil, dass das {14}Jümpferli auch gescheiter sein Gold genommen hätte als sich dem Herrgott anbefohlen, der nämlich löhne für ihre Seel keinen Rappen, aber dann war er von der Alp und liess sich nicht wieder blicken.

Das Jümpferli blieb allerdings vertrüllet und vergesslich und sprach kaum noch ein Wort, und es machte auch nie mehr einen Schritt fort von Fessis, obwohl ihm nadisnah die ganze Familie starb und es allein zurückliess, und mit den Jahren verkam die Alp, weil das Jümpferli längst zu alt war zum Buurnen. Und all Jahr fiel Steinigs vom Gufelstock auf Fessis nieder, und wo auf den Weiden einst Mutteri und Hungblumen gewachsen waren, standen bald nur noch Fideri und Blätschgen. Und irgendeinmal brannte vom Blitz der Stall ab, und das Schöpf‌li frassen die Würmer, und das Hüttli wurde grab und eischier und verkeite nadisnah, und die Brombeeren wuchsen darüber, und der Schnee drückte das Dach ein. Die letzten Jahrzehnte lebte das altledige Fraueli ganz verhuschelet in einem Eggli, mit numen noch einem einzigen verrupf‌ten Geissli, das endlich z’beeggetsen auf Sool gelaufen kam, und da wussten die Glarner, das Jümpferli war gestorben. Hundert war es geworden. Und nicht einmal jetzt fand es seinen Frieden, denn im Tod trug es am Finger zeismal einen goldigen Ring, den hatten die Glarner davor nicht an ihm gesehen, und weil danach das Gerücht ging, das Jümpferli heig all die Jahre über mit dem Tüüfel als seinem Schpuusi auf Fessis gelebt, begrub es der Herr Pfarrer nur vor der Friedhofsmauer.

Fortan blieb Fessis verlassen, selbst das chüschtige Futter von den Wildheuplanggen liessen die Bauern verkommen. Die Alp sig ds Tüüfels, hiess es nur noch, und versprang {15}von den Nachbaralpen ein Stierli oder eine Geiss und lief auf Fessis, mussten die Sennen ihre Vehbuben mit Schlägen über die Alpgrenze treiben, damit sie ihm nachstiegen und es heimholten.

 

Von fremden Mächten bekam der neue Fessisbauer allerdings nichts zu fühlen. In schönstem Maienwetter, in einem Ghürsch von Summervögeln und Biendli schönte er in den kommenden Wochen die unteren Weiden ab und rodete das Bödeli vor dem Hüttli, er sägte Bretter und zimmerte Balken und baute den Kühen einen Unterstand, auch Steine hieb er zurecht und besserte damit das Hüttli aus. Stets bis weit in die Nacht und bereits wieder lange vor dem Morgengluet hörten die Glarner ihn werken und wunderten sich zwar ob seinem Fleiss, doch weil kein Übel übers Tal kam und auch der Fessisbauer selber sich nicht blicken liess, vergassen sie ihr Wäffelen über den Fremden, und bald war ihnen das Klopfen und Töggelen so vertraut wie das Singen der Vögel in den Bäumen und das wütige Chrosen der Linth, in der in säben Tagen von allen Stotzen her das Schmelzwasser nidsi fuhr. Wenn nachts das Pöpperlen auf Fessis anhub, weckten sie ihre Frau und hiessen sie aufstehen und einfeuern und meinten, der Fessisbauer schlage amel schon wieder den Morgen an.

Der Einzige, den der Fessisbauer besuchte, war der Joggel Marti, der hatte seinen Hof nicht weit von Fessis z’Tal an der Sernf. Der Fessisbauer hatte eine Brente mit abgerahmter Milch gebuckelt und meinte, er finde zum Käsen noch nicht die Zeit, und bevor ihm die Milch verderbe, well er sie lieber dem Joggel Marti zu verkäsen geben.

{16}Da durchfuhr den Joggel Marti erst der Schreck, was, wenn die Milch des Tüüfels wäre, dachte er. Doch seine eigenen Kühe gaben nach dem strengen Winter so wenig Milch, dass es zum Käsen kaum noch vertlohnte, und so sagte er nicht fädig nein, sondern meinte listig, hei, wie das Wetter due umgeschlagen heig, just mit des Fessisbauern Ankunft, das heig ihn ja fast wie Tüüfelsplunder gedünkt, und danach wartete er, was der Fessisbauer dazu sage.

Der lachte aber nur und meinte, hätte er in seinen jungen Jahren als Wildheuer im Wallis nicht das Wetterlesen gelernt gehabt, hätte ihn schon tuusigsmal der Blitz erschlagen, und dass vom Tödi her der Föhn drücke, heig man im Fall noch zu Zürich unten gerochen.

Dann hiess er den Joggel Marti von der Milch kosten, und der hatte seiner Lebtig keine bessere Milch getrunken und hätte noch so gern damit gekäst. Er könne den Fessisbauern nur leider nicht bezahlen, meinte er, der lange Winter heig ihn geradewegs z’Armentagen gebracht.

Der Fessisbauer verlangte aber nicht mehr als ein Vergeltsgott für seine Milch, und wenn der Joggel Marti ihm dazu noch ein Stündli lang well helfen, das Hüttendach frisch zu decken, so meinte er, wäre die Milch mehr als wie gelöhnet.

 

Von nun an brachte er dem Joggel Marti all Abend eine Brente voll Milch, und paar Tage später kam der Joggel Marti auch zum Helfen auf die Fessis Alp und wunderte sich lauthals, wie süüferli bereits die Flanken geschönt waren und das Bödeli umzäunt und die Wände am Hüttli geflickt, und ein frisch gezimmertes Bänkli stand vor der Tür, und die Kühe hatten schon ihren Unterstand. Doch der Fessisbauer {17}wollte kein Lob hören und stieg nur stumm aufs Dach und hiess den Joggel Marti ihm die Schindeln reichen, danach schnurreten sie kein Wort mehr. Und selbst als das Dach gedeckt war, meinte der Fessisbauer nur, er würde ihm ja gern ein Gläsli reichen, nur leider wäre er pressant, seine Herde müsste noch vor dem Regen auf die obere Weide, sonst vertschlipfe ihm beim Aufstieg im nassen Gras am End eines, die Kühe wären das stotzige Gelände noch nicht gewohnt.

Als der Joggel Marti obsi lugte, war aber der Himmel tätschblau und ohne alle Schlirggen, und beim Abstieg wäf‌felete er über den Geizknäpper und fand, ein Gläsli Weissen hätte er wohl verdient gehabt. Doch als er aus dem Hohwald herauskam, sah er, wie ob dem Tödi sich eine Föhnmauer türmte wohl tuusigs Schritt hoch, und noch bevor er wieder zu Sool war, prätschte ein Regen durab, als heig der Herrgott im Himmel seine Waschgelte überleert.

Er konnte sich eben noch in den »Bären« retten, und dort verzellte er allen von ds Fessisbauers Künsten im Wetterlesen und im Zimmern und Maurern, und der Gemeindeschreiber Muggli rief zwar dazwischen, das müsste auch erst bewiesen werden, dass all säb der Fessisbauer selber gemacht heig und nicht vielmehr der Hörelimaa, aber nachdem der Joggel Marti gemeint hatte, er heig ja mit eigeten Augen gesehen, wie geschickt der Fessisbauer sein Dach gedeckt heig, fanden auch die anderen Sooler, der Fessisbauer sig einen bitz maulfaul und menschenscheu, aber dängg schon ein ehrlicher Chrampfer. Nur der Gemeindeschreiber Muggli zündete auch fortan gegen den Fremden und meinte, im Sommer würden sie es schon sehen, dann würden die Talbauern nämlich ihre Herden zum Sömmern vergeben, und gewiss {18}würden heuer alle ihr Veh auf Fessis bringen wollen in der Hoffnung, es käme im Herbst so schön und pützlet zurück wie dem Fessisbauern seine eigete Herde, und die alteingesessenen Älpler hätten das Nachsehen.

Doch als der Joggel Marti einmal den Fessisbauern beim Milchfassen fragte, wie er es heuer eigentlich mit Alpnen well halten, er würde doch gewiss Zusenn und Vehbub dingen und ein währschaftes Sennten z’Berg nehmen und selber käsen, da meinte der Fessisbauer, für die Vehwirtschaft wäre ihm das nächste Jahr noch früh genug, heuer well er nur in die Wildi gogen heuen. Auf Fessis heig es asen gutgräsige Planggen, und die Glarner könnten paar mehr Arveln Heu im Winter schiints auch gut gebrauchen.

 

Das hörten die Sooler gern, und nicht einmal der Muggli wollte danach noch rüsslen. Aber z’Trotz hatte der Fessisbauer im Tal nicht nur Freunde. Als er eines Nachts in eine der obersten Flanken am Hächlenstock stieg, um mit dem ersten Licht zu heuen, chräsmete dort schon einer im Hang, ein junger Knecht mit einer grossen Hutte auf dem Buckel, und war just die Pflänzli am Günnen, um deretwegen die Kühe auf Fessis ihre süsse Milch gaben, die Frauenschüeli und das Brandknabenkraut und den Schwälbliwurz-Enzian. Und zwar entschuldigte er sich, als der Fessisbauer meinte, die säb Flanke wäre im Fall sein Eigen, und lief ohne Anstände ab der Alp. Aber schon am anderen Tag pöpperlete er den Fessisbauern aus dem Hüttli und stellte sich vor als der Fränz von Glarus und Gehilfe vom Doktor Tuet, und als der Fessisbauer fragte, was er well, verzellte der Fränz, er günne drum dem Doktor Tuet schon seit mängem Jahr {19}seltene Pflänzli, und der Doktor Tuet koche daraus seine Medizin und praktiziere wahre Wunder an den kranken Glarnern, aber die seltensten Pflänzli wüchsen just auf Fessis und nieneds sonst im Glarnerland, und so bat der Fränz im Auf‌trag vom Doktor Tuet, dass er auch künftig die säben Pflänzli dürfe günnen, den kranken Mäntschen zuliebe.

Darauf meinte der Fessisbauer aber, sein Veh wäre ihm nicht minder wichtig als die Mäntschen, und drum blüben die Pflänzli stehen und würden mit ins Futter geheuet, und wenn z’Tal einer wirklich so krank wäre, dass er ohne Frauenschüeli oder Knabenkraut müsste verräblen, so schenke er ihm gern eine Hampf‌len Kraut, aber nie und nimmer liesse er sie einem Tokter, dass der danach aus der Kranken Säckel ein Vermögen züche.

Am dritten Tag kam der Fränz nochmals, säb Mal brachte er Geld und einen verschlossenen Brief, in dem der Doktor Tuet schrieb, er heig zwar noch jede Medizin im Vorrat, aber im Hinblick auf die Zukunft well er hiermit den Fessisbauern zum Pflänzli-Günnen anstellen an ds Fränzes statt. Der Fessisbauer fragte danach den Fränz, ob er wüsste, was sein Meister geschrieben heig, und als der Fränz es nicht wusste, gab er ihm den Brief zu lesen und riet ihm, sich einen besseren Meister zu suchen. Dann schickte er ihn mit dem Geld wieder nidsi und hielt die Sach für erledigt.

{20}Das Vreneli chräsmet in die Welt

Das Heu, das der Fessisbauer in jenem Herbst verkauf‌te, roch süss und schwer wie eine Apotheke und fuhrete wie Nidel. Und weil er trotz seiner langen Scheichen kein Leider war, wurde er bald auf mängs einen Hof zum Bauernsonntag geladen. Er ging aber nie, und als der Joggel Marti meinte, so blübe er aber ledig seiner Lebtig, lachte er nur und meinte, das wäre immer noch besser, als sich beim Tanz die Scheichen zu brechen.

Erst sommers übers Jahr tauchte er an der Linthaler Chilbi auf. Bei einem fahrenden Händler kauf‌te er sich ein silberbeschlagenes Pf‌iifli, damit hockte er auf einen Schoppen in den »Adler«, und als er ein zweites Halbeli bestellte, fragte er die Wirtsmagd, ob sie nicht well auf ein Glas zuechen sitzen.

Die Wirtsmagd, mit Namen Mariili, war einen bitz ein Huscheli, aber mit Augen so gelb wie Honig und mit einer Stimme, als hätte der Herrgott ihr das Gurgeli mit Fell ausgeschlagen. Erst lugte sie den Fessisbauern nur ebigs lang an, fast als verstünde sie nicht recht, was er well, dabei wirkte sie nicht verärgert, nur vertwundert. Dann zuckten ihre Maulwinkel, als well sie giglen, doch dazu kam es nicht, denn vorher wandte sie sich ab, so heftig, dass die Bändel ihrer Schoss verflogen, und beinlete zurück in die Küche und kam nicht wieder.

{21}Der Fessisbauer wartete noch einen Weil vergebis auf sein Halbeli, dann klopf‌te er seine Pfeife aus, liess einen Batzen auf dem Tisch und ging. Und doch hiess es schon anderntags, der Fessisbauer well weiben, und just die kurligste und widerspinstigste Jumpfer im Tal.

 

Das Mariili war die Tochter aus einem Gschleigg, das seine Mueter mit einem welschen General gehabt hatte. Der war dem General Suworow nach, als der Napoleon wider die Russen zog, doch dann war der Suworow ab über den Panixer Pass, und als der Franzos ihm nachkam, lag schon Schnee, und es foggete weiter, und so blieb er ds Gotts Namen den Winter über zu Linthal und schmüselete stattdessen mit der Frieda Wichser, so hiess ds Mariilis Mueter, und als der Winter vorüber war, zog der welsche General z’Trotz nicht weiter, weil due die Frieda schon diggete und er sein Töchterli gschauen wollte. Und selbst im Jahr darauf, als das Mariili auf der Welt war und ds Friedas angeheirateter Mann, der Heiri Wichser, aus einem anderen Krieg heimkehrte – er hatte im Italiänischen gesöldnert –, wollte der Kommandant nicht fort und verlief lieber von seiner Truppe und lebte fortan mit dem Mariili im Keller unter ds Wichsers Haus versteckt. Wann immer der Heiri das Haus verliess, kam die Frieda zu ihnen in den Keller und schöppelete das Mariili und schmüselete mit dem Franzosen, oder sie holte beide an die Luft. Aber nach wieder einem Jahr oder zweien stieg auch der Heiri endlich in den Keller und metzgete den welschen Kommandanten und die Frieda und zuletzt sich selber, so oder ähnlich, denn nur der Heiri wurde tot gefunden, die Frieda und der Kommandant, so hiess es, hätten sich in {22}zwei Vögeli verwandelt und wären über den Panixer und weiter.

Das Mariili kam danach zu ds Leglers, die zu Linthal den »Adler« führten und keine Kinder hatten. Die zogen es auf wie die eigete Tochter und liessen es ihm an nichts fehlen, z’Trotz blieb das Mariili vertrüllet und verschtuunet und als wäre es schon halben ab der Welt. Nur selten machte es die Schnurre abenand, und selten merkte es, wenn etter mit ihm sprach. Und allpott verlief es von daheim, danach fanden es die Jäger neumeds hoch oben auf einem Grat, am Bös Fulen oder am Glärnisch oder am Ober Gheist, wie es zmittst in einem Lauihang hockte oder am äussersten Eck von einem überschüssigen Bort, mit nüüt als Leere unter sich wohl tuusigs Schritt tief, an Stellen, die für Mäntschen gar nicht zu erchräsmen waren. Dort sass es dann über Stunden mit offenem Maul und wie tot und machte keinen Wank. Und mängsmal hockte neben ihm ein Gämsi mit einem roten Bändel um den Hals, vielleicht hatte säb das Mariili getragen. Ein gewöhnliches Gämsi jedenfalls war es nicht, denn paarmal trafen die Jäger es ohne das Mariili an und wollten es schiessen, doch immer vertätschte es ihnen entweder das Gewehr in der Hand, oder die Kugel flog ganz neumeds anderscht hin.

Z’Trotz hatte das Mariili bald viele Verehrer, denn wenn es nicht gad amTraumen war, schaff‌te es ordeli, und zum Anlugen wurde es je längers, je appartiger. Von den zünftigen Bauern und Handwerkern wollten es nicht viele haben, den meisten war ds Mariilis Familie zu stigelisinnig für zum mit dem Mariili wiederum Kinder machen. Aber wilde Siechen und Abenteurer gab es eine Schwetti, die ihm nachstellten, und ahnungslose Reisende, die im »Adler« einkehrten und {23}das Mariili gschauten und gad ein zweites Kaffi bestellten oder gar ein Zimmer über Nacht und die es endlich wie der Fessisbauer auf einen Schoppen luden.

Das Mariili hockte aber zu keinem zuechen. Erst sagte es, es heig in der Wildi ein Gämsi mit einem Bändel um den Hals und heirate den Burschten, der ihm den säben Bändel bringe und keinen anderen. Dann musste die Obrigkeit zu Glarus ihm verbieten, sertigs zu sagen, denn um das Mariili zu gewinnen, stiegen so viele Burschten in die Berge, dass für die Jäger kein Platz mehr blieb, und das Wild floh ennet den Grat, und wer die Berge nicht kannte, verlor oft genug den Weg und fror sich z’Nacht z’Tod oder fiel in ein Tobel, und keiner fing je das Gämsi mit dem roten Bändel. Danach sagte das Mariili überhaupt nichts mehr, wenn ein Burscht es auf einen Schoppen lud, sondern verlief nur stumm, und den Leuten schien, das eint war dem Mariili so recht wie das ander.

All säb hatte der Fessisbauer schon gewusst, als er auf Linthal in den »Adler« kam, denn tags davor hatte er bei der Milchabfuhr dem Joggel Marti berichtet, er heig emalen am Urnerboden ein Meitli in der Wildi auf einem Stein gesehen, so still, als wäre es tot, gleichzeitig so gschpässig schön als wie das bare Leben, und säb Meitli gech ihm seither nicht aus dem Grind.

Darauf verzellte der Joggel Marti ihm ds Mariilis Geschichte und meinte endlich, in letzter Zeit gsäch man es oft beim Bersiäneli, einer Hex auf dem Urnerboden, und dort gehöre es auch hin, denn das Mariili heig mehr von einem Hexli oder von einem Tierli, als dass es den Glarnern im Tal gleiche.

{24}Der Joggel Marti fragte dann noch, ob das Mariili ihm öppen den Grind vertrüllet heig, und warnte ihn, eines wie säb bringe nur immer Elend. Der Fessisbauer gab keine Antwort, doch anderntags lief er, wie schon berichtet, auf Linthal in den »Adler« und lud das Mariili vergebis zum Schoppen, und wieder tags darauf trieb er all seine Kühe dem Joggel Marti auf den Hof und bat ihn, sie zu gaumen und zu melken, und kündigte an, er gech gogen das Mariili weiben.

 

Danach schritt er ein zweites Mal auf Linthal und ging in den »Adler« und stand vor allen Gästen vor das Mariili hin und sagte zu ihm, er gech jetzt und fange säb Gämsi. Und das Mariili schwieg zwar auch jetzt, aber bevor es mit Gläser figlen fortfuhr, schenkte es ihm doch ein Blickli aus seinen honiggelben Augen, und als der Fessisbauer wieder aus der Tür war, trat es zu den Bauern, die schon am Fenster güüneten und spöttleten, und sah dem Fessisbauern nach, wie er das nächstbeste Bort hinauf expresste mit Sätzen, so hoch und so wild als wie ein überstelliges Geissli.

Die Bauern hatten noch lange ob ihm ein Glächt. Erst als es einnachtete, und der Fessisbauer war noch immer nicht zurück, wurden sie still. Das Mariili hingegen wurde immer gischpliger, ein ums ander Mal vertleerte es den Wein, und als es noch ein Glas im Waschtrog zerschlug, schimpf‌te die Frau Legler es lauthals ein Fegnest und schickte es in die Kammer. Danach witzlete die Frau Legler noch mit Mann und Gästen darüber, ob das Mariili aus Sorge um den Fessisbauern asen ins Schuslen geraten war oder doch mehr im Sorgen um sein Jumpferen-Sein, aber so recht lachen mochte sie selber nicht, und so schwiegen bald alle im »Adler«, und {25}nicht anders den ganzen nächsten Tag, und das Mariili erschien gar nicht erst in der Wirtsstube, sondern hockte in seiner Kammer am Fenster bis in die Nacht und lugte bergwärts den Eckstock-Flanken nach, hinter denen der Fessisbauer verschwunden war.

Am dritten Tag endlich beschloss der Legler nach der Melketen, er lüf‌fe mit zwei Mannen obsi und hole den Fessisbauern z’Tal, oder was von ihm übrig wäre. Doch als sie eben marschieren wollten, kam das Mariili die Stäge durab polderet und weiblete an ihnen vorbei und rief, es müsse zu seinem Gämsi, das plange gewiss nach ihm, und rannte, wie es war, aus der Wirtsstube hinaus und den Flanken vom Eckstock zu. Vom Türloch her sahen ds Leglers es noch den Hoger empor segglen, und wie sich ihm erst die Zöpfe lösten und weiter oben am Hang der Bändel von seiner Schoss, die dann im Wiesli liegenblieb als ghüüsleter Tolggen im Gras, und die Frau Legler hatte zeinersmal nasse Augen und meinte zu ihrem Mann, ihr wäre, als würden sie das Mariili nicht wiedersehen.

Am Nachmittag verzellte dann ein Gast, der Fessisbauer wäre wohlbehalten wieder z’Tal und das Mariili mit ihm, aber heim auf Linthal kam es tatsächlich nümmen. Vom Glärnisch her waren sie gekommen und auf Schwanden abgestiegen, ohne ds Mariilis Gämsi, dafür trug das Mariili selber einen roten Bändel um den Hals, und es lief neben dem Fessisbauern her mit glänzigen Backen und asen im Frieden, als wären sie nie anders als zu zweit gewesen, und so stiegen sie ennet der Linth wieder z’Berg, durch den Hohwald auf Fessis zu, und nur zu Sool auf dem Amt kehrten sie kurz ein und bestellten das Aufgebot.

 

{26}Keinem verzellten sie, was am säben Tag am Glärnisch geschehen war, und überhaupt blieben das Mariili und der Fessisbauer für sich. Sie heirateten auch ganz ohne Fest, mit nur dem Joggel Marti und seiner Frau als Zeugen, nicht einmal ds Leglers hatten Bescheid. Das alles war sonderbar, und die Glarner zerrissen sich gehörig die Mäuler. Doch dann werkten das Mariili und der Fessisbauer asen appartig Hand in Hand, dass die Alp bald nochmals dopplet schön war – fast schien es, als wollten alle Blumen nur noch auf Fessis blühen. Dann herbstete es, Seite an Seite sägetsten sie am Gufelstock und am Heustock, stumm und mit leuchtigen Augen stiegen sie noch durch die gächsten Stötze dem Heu nach. Und auf den Winter kam ein nochmals ganz anderes Leuchten in ds Mariilis Augen, und bald darauf hatte es einen Bauch.

Im Frühjahr zur Quatemberzeit kauf‌te der Fessisbauer noch Kühe dazu und käsete fortan selber und war bereits in der Käschuchi am Einfeuern, als das Mariili eines Morgens zmittst in der Melketen zeismal ein Räblen und Morgsen fühlte und eben noch vom Melkschemel auf den Boden hocken konnte, bevor ein Meitli so bleich und gschmürelet als wie versottene Milch und mit einem Ghürsch von rotem Haar zur Welt kam und gad z’zabletsen kam, als das Mariili es mit einem Gutsch Milch aus der Brente abwusch und mit einer Hampf‌len Heu trocknete. Und als der Fessisbauer in den Stall kam, um die Milch zu holen, hob es eben da ein erstes Mal die Augendeckel und gschaute den Vatter mit Augen so tief und blau als wie zwei Bergseeli. Der Fessisbauer liess die Brente fahren und sprang zur Futterkrippe zum ihm ein Bettli machen, doch das Meitli hielt nüüt von Ranzenplanggen, das stemmte schon die feisten Ärmli ins Heu und schob {27}ein Bein unter den Ranzen und das zweite und stemmte den Hinder obsi, als wäre es ein Kälbli, und erst knickte ihm noch ein Knie ab, und es vertschlipf‌te ihm ein Tääpli, aber zuletzt stand es tatsächlich auf seinen vieren und gigelete ein erstes Mal und füdlete der Sonne nach auf das Bödeli hinaus.

Und das Mariili schien nicht einmal vertwundert ob seiner pressanten Tochter. »Luägsch, dass es nüd gad i ds Chäschessi gumped«, rief es dem Fessisbauern nur nach, als er dem Meitli nachen höselete, und als er zurückrief, wie sie das Meitli eigentlich nennen sollten, rief das Mariili, Vreneli würde passen, und dabei wischte es schon die Hände in der Strau ab und molk weiter. Und erst als die letzte Kuh gemolken war, legte es der Kuh die Stirn an die Flanke und kam ins Süüfzgen und ins Tschuderen, aber nur kurz. Dann knüpf‌te es den roten Bändel auf und lief über das Bödeli zum Hüttli, zum ihn dem Vreneli umtun, und dabei hatte es ganz für sich ein Glächt.

Die nächsten Wochen chräsmete das Vreneli meist über das Bödeli und schnäderete in tuusigs erfundenen Sprachen mit jedem Stein und Blüemli und Chäferli und hatte allen viel zu verzellen, und bald darauf fing es schon an laufen und beinlete den Kühen nach über die Weide, und wenn es ihm zu stotzig wurde, hangelte es sich von einem Kuhschwanz zum anderen, und mängsmal stürchlete es und bekam statt dem Schwanz nur noch das Euter zu fassen und einen Sprutz Milch ins Gesicht und hatte darob ein ebiges Glächt – ausser es war an dem Tag gad tuucht, das kam wie angeworfen, und dann brieggete es grüüli über die vergeudete Milch und entschuldigte sich tuusigsmal beim Chueli und gab ihm Ääli und hatte sich noch beim Einschlafen nicht beruhigt.

{28}Im Herbst dann lernte es dereinst beim Znacht die ersten Wörter, »Biner« und »süüferli« und »witt nu mih«, und das Mariili meinte, es wäre aber auch an der Zeit gewesen, dass es anfange schnurren. Was, rief der Fessisbauer vertwundert, ihn dünke im Gegenteil, beim Vreneli gech alles einen bitz gar gschwind. Doch darauf schüttelte das Mariili ganz kurlig den Kopf und tat erst, als well es antworten, und betrachtete ihn dann nur stumm und ebigs lang, und der Fessisbauer glaubte schon, es heig ihn am End gar nicht gehört gehabt, da lächelte das Mariili, aber nicht wie im Gschpass, sondern so, als heig es ettis im Sinn, das es noch nicht verraten dürfe, und dann sagte es ganz leise: »Für üüsereis isch ds Lebä duch schu asä kurz.«

Danach schwiegen sie erst alle beide, und als der Fessisbauer endlich doch fragte, warum es das jetzt gesagt heig, war seine Stimme eng und wie verhaglet. Aber das Mariili brauchte nicht mehr zu antworten, denn das Vreneli fing zeinersmal mit dem schweren hölzigen Löffel an schimpfen, dass der nicht well, wie es ihn heisse, und schlug ihn zur Strafe gegen den Tisch, und danach nahm das Mariili dem Vreneli den Löffel fort und hob es hoch und gab es dem Fessisbauern in die Arme, und dabei versprach es dem Vreneli, ihm warte itzed ein grosses und schwieriges Abenteuer, der Vatter würde es nämlich das Still-Schlafen lernen.

Dem Fessisbauern sagte es, es gech noch gschwind auf die Nachtweid und luge dem Veh, danach ging es aus dem Hüttli und kam nicht wieder, bis der Vatter das Vreneli das Still-Schlafen gelernt und den Znacht verraumt und den Tisch gefiglet und dem Mariili ein Licht ins Fenster gestellt hatte und selber schlafen gegangen war.

{29}Das goldige Hummeli

Im kommenden Jahr nahm der Fessisbauer zu den Milchkühen noch zwei Dutzend Jungkühe und Stierkälber z’Alp, die wollte er auf Fessis sömmern und auf den Herbst wieder verkaufen. Doch die Kälbli kannten sich nicht aus z’Alp und verliefen sich ständig, und der Fessisbauer musste ihnen nach, und daneben musste er melken und käsen und das Veh auf die Nachtweid bringen und wunde Euter sälbelen und sah das Mariili nur noch selten. Das flickte derweil im Hüttli Gwand und buk Brot und versott Beeren zu Saft und anknete im Keller. Und kaum war im Sommer das Wildheu ausgeschossen, da chräsmete es z’Berg und sägetste für zwei und blieb oft über Tage fort.

Und auch die Vriinä expresste mit dem ersten Morgenlicht aus dem Hüttli und beinlete das nächste Bort hinauf und kam erst zum Znacht zurück und verzellte von tuusigs Hexli und Schrättli und Wildmanndli, die sie auf ihrer Reise getroffen heig, und fiel noch z’schnurretsen ins Bett und pfuusete bis wieder zum ersten Sonnenstrahl und kein Minütli länger und sprang die Stäge vom Schlafgaden durab und höselete schon wieder vors Hüttli, und wenn der Vatter rief, sie heig doch aber noch keinen Zmorged gehabt, und gegessen müsse auch sein, rief sie zurück, das Wildmanndli am Gufelstock lange ihr gewiss ein Gamskäsli oder zwei, und wenn nicht, so well {30}sie von den Heublüemli chaf‌len, und trinken täg sie aus den Fessisseeli, die Gämsi miechten es auch derenweg.

 

Dann kam der erste Schnee, der Fessisbauer brachte das gesömmerte Veh z’Tal, damit es der Sooler Schmied beschlug, und beim Znacht meinte er, er züche anderntags mit der Herde über die Alpen ins Welsche, dort könne er sie um weit besseren Lohn verkaufen als hier. Da sprang das Mariili aber auf und rief, das wäre ja noch, und wenn etter auf Reisen gech, so wäre das noch immer die Mueter, und der Vatter blübe beim Kind und verzelle ihm von der Welt und tröste es z’Nacht und lerne ihn, was es zu lernen heig. Der Fessisbauer stutzte erst, dann meinte er geduldig, das wäre aber wider die Natur, bei allen Mäntschen luge die Mueter dem Kind, und der Vatter gech gogen wirtschaften. Davon wollte aber das Mariili nichts wissen, dafür fing es an stämpfelen und kam z’brieggen und rief, am End well er ihr einreden, sie wäre schuld, dass ihre Eltern due gestorben wären, und wenn sie ihren Vatter in die Welt entlassen hätte und mit der Mueter daheim geblieben wäre, so hätte ihn der Heiri nicht gepäcklet und säb Gstrütt gemacht, und die Mueter und der Vatter hätten nicht ab der Welt gemusst und als zwei Vögeli verfliegen. Und danach rannte das Mariili in den Keller und hockte auf ein altes schwarzes Käschessi, das dort noch vom altledigen Jümpferli her lag, und starrte ins Leere und hörte gar nicht mehr, was der Fessisbauer ihm noch alles sagte, und kam erst am anderen Morgen wieder obsi. Ganz bleich und durchsichtig war es geworden, aber es meinte, so sell der Vatter ds Gotts Namen mit der Herde ins Welsche, es blübe derweil beim Vreneli.

{31}Der Vriinä war nicht so wichtig, wer bei ihr blieb, sie war vor allem für die Kühe aufgeregt und stellte dem Vatter eifrig alles Veh in eine Reihe, das grösste zuvorderst, und band ihnen Blumen an die Schwänze und steckte Tannigs zwischen die Hörner und wünschte jeder Milchkuh ein schönes neues Diheimed und den Stierli ein schönes Brätlen in der Pfanne. Und als der Vatter endlich das rote Chäppli aufhöckte, das ihm das Mariili gleich nach der Heirat gelismet hatte, und die Herde durch den Hohwald durab trieb, segglete sie das Bort derauf und wollte von den Fessisseeli her winken, wenn sie aus dem Wald kämen und talauswärts lüf‌fen. Aber bis sie oben war, hatte sie schon wieder so vieles erlebt, dass der Vatter und das Veh darob vergessen gingen.

 

Zum Znacht hatte die Mueter ihr allerbestes Rahmmus gekocht und hockte stumm daneben, als das Vreneli ass. Doch dann hörte das Vreneli nicht auf gwünderen und wollte genau wissen, wie sie als kleines Mariili mit dem Vatter im Keller gelebt heig, und endlich kam das Mariili ins Berichten und hockte gar mit dem Vreneli in den Käskeller und sang ihm die Lieder, die ihm der welsche Kommandant gesungen hatte. Und als anderntags das Vreneli wissen wollte, wo jetzt der Vatter mit der Herde sig, verzellte das Mariili ihm, dass er im Welschen wäre, und zwar in einem anderen Welschen als dem, aus dem der welsche Kommandant kam, der Vatter war nämlich im Italiänischen, und der Kommandant war aus dem Französischen, und wie es im Italiänischen aussah, wusste das Mariili selber nicht genau, aber vom französischen Welschen kannte es dafür tuusigs Müsterli, {32}die ihm sein Vatter im Keller verzellt hatte, vom Meer verzellte es dem Vreneli und von der Stadt Paris, und es konnte sogar vormachen, wie sie dort schnurreten.

Und weil in jenen Tagen einenweg wüst Wetter war und der Wind Regen und später Eismöggli und nasses Laub und Tannigs gegen das Fenster schlug, hockten sie endlich fast stets im Käskeller und stellten sich vor, sie wären im Welschen, und schnurreten mitenand ein Kuderwelsch, das beim Mariili ettis hiess und beim Vreneli nicht, und das Mariili verzellte, wie seine Mueter ihm amed das Essen in den Keller gebracht hatte und danach wieder obsi stieg ans Licht, und es selber blieb mit dem Vatter allein zurück und stellte sich vor, wie sein Müeti nicht nur bis ins Hüttli stieg, sondern immer weiter obsi, z’Berg, und war überzeugt, die Mueter stägere all Tag asen in die Wildi und metzge sich mit Toggeli und Belzebuben. Dabei holte die Mueter es ans Licht, sobald der Heiri, vor dem sie sich versteckten, für einen Weil fort war, und das Mariili konnte rein nüüt Wildes um das Hüttli entdecken, nur ein grünes Bödeli mit Herdöpfeln und Kohl und paar Geissli. Und doch blieb in seiner Vorstellung die Mueter eine, die wohnte hoch oben im gächsten Steinigen, und wenn dann wieder der Heiri mit der Mueter im Hüttli war und das Mariili mit dem Vatter im Keller, und wenn dann ein Räblen war über ihren Grinden, und der Heiri und die Mueter ächzten und triisseten und geusseten zuletzt gar, und der Vatter liserete ihm ins Ohr, dort oben herrsche jetzt drum die Erwachsnigenwelt, und bei ihnen im Keller herrsche die Kinderwelt, und in der Erwachsnigenwelt wäre oft genug numen Mord und Krieg und ein ebigs Wüsttun, und er sig schon noch froh, dürfe er mit dem Mariili im Keller {33}verhocken und müsse nümmen zurück zu seiner Armee, dann stellte das Mariili sich die Mueter nicht mit dem Heiri im Hüttli vor, sondern es sah sie hoch im Gebirge tuusigs wilde Siechen besiegen, und der Heiri diente der Mueter zu, und all säb, zum das Mariili und den Kommandanten beschützen, weil eben die Welt rings um das Hüttli in Wahrheit doch grüüli gefährlich war, wenn es von Auge auch nicht zu sehen war.

Und wenn z’Nacht die Vriinä und das Mariili aus dem Käskeller kamen und in den Schlafgaden stiegen, lag das Mariili ganz eng beim Vreneli und hebete es, wie früher der welsche Kommandant das Mariili gehebet hatte, und wenn sie danach einschliefen, war dem Vreneli, als gingen sie jetzt selbst auf Reisen und flögen ebigs weit, es und sein Müeti, bis auf Paris und überall dorthin, wo das Mariili mit dem welschen Kommandanten gewesen war, und einmal flogen sie gar zum Tanz um ein Feuer auf einem Berg, der aber ganz anders aussah als die Berge, wie sie die Vriinä kannte, und eine Frau mit numen einem roten Schuh war dort und lachte allpott, dass der Berg gwagglete, aber gefährlich war es nicht, weil nämlich die säbe Frau uumäär stark war und alle beschützte.

Als danach das Vreneli vertwachte, roch ds Mariilis Haar noch immer nach dem Feuer am Berg, und wenn auch das Mariili nur lachte und meinte, es wäre nächtig gewiss auf keinem Berg gewesen und das Vreneli heig alles geträumt, so wusste das Vreneli doch, sie waren dort gewesen, und das Mariili wollte es nur nicht verraten.

Dann polderete es einst beim Einnachten vor der Tür, der Fessisbauer war zurück und liess den vollen Geldgurt auf das {34}Tischblatt tämeren, zudem brachte er goldige Ohrringli für das Mariili, ein Flötli für das Vreneli, dann Salz zmittst aus dem Meer für jene Kühe, die daheimgeblieben waren, und Tubak für sein Pfiifli. Dann sass er ab und war für einmal gar nicht maulfaul, sondern verzellte lange, wie er bis auf Neapel gelof‌fen war und dort die ganze Herde auf einen Tätsch einem richtigen Herzog verkauft heig, wobei ein Herzog ettis war öppen wie ein Alpvogt, wie er dem Vreneli erklärte. Und das Mariili und das Vreneli loseten wie die Schweine im Föhn, und erst als die Vriinä fragte, wie er das Salz aus dem Meer geholt heig, lachte der Vatter und meinte, das blübe sein Geheimnis, und danach verzellte er nicht mehr, sondern zeigte der Vriinä, wie sie ins Flötli blasen musste, dass es tönte.

Und das Mariili stand zeinersmal auf und ging die Kühe melken. Und wann immer danach das Vreneli mit ihm in den Käskeller hocken wollte, damit es ihm verzelle oder eines von seinen welschen Liedli singe, meinte es nur, jetzt wäre der Vatter wieder da und müsste verzellen. Doch auch der Vatter war, nachdem er seine Reise fertig berichtet hatte, wieder nur maulfaul und zimmerte stumm an Haus und Stall ummenand. Und seit das Vreneli sein Müeti gebeten hatte, es sell doch wieder emalen neben ihm einschlafen wie due, stapf‌te das Mariili all Nacht zum Hüttli hinaus in die Wildi, als müsste es gogen heuen, zmittst im Winter, und blieb fort bis zum Morgen, bis auch das Vreneli nichts mehr auf Fessis hielt, es beinlete z’Berg noch vor dem Zmorged und stüübte durch den Schnee den Wildmanndli und den Hasen nach und wollte mit ihnen spielen.

Das Mariili aber fand im säben Winter den Rangg {35}nümmen. War es für einmal nicht ab in die Wildi, vergass es zmittst im Werken seine Arbeit und hockte über Stunden im Stall bei den Kühen oder im Käskeller über dem Ankenfass, ohne zu melken und zu anknen, oder dann stieg es am hellen Tag in den Schlafgaden und verhockte dort am offenen Fenster bleich und steif und wie tot und wollte sich selbst dann nicht verroden, als das Vreneli es entdeckte und zu ihm kam und ihm rief und an ihm rupf‌te, und erst ebigs später dünkte das Vreneli, es wäre gad ettis Kleines, Goldigs seinem Müeti ins Maul geflogen, und das Mariili tat wie vertwachen und schüttelte den Grind und meinte, im Traumen heig es ganz vergessen, dass Winter sig und kalt, und schloss das Fenster und lief dem Vreneli voran in die Stube.

Sertigs geschah immer öfter, und das Vreneli gewöhnte sich daran, auf das Mariili aufzupassen, wenn säb die Milch am Sieden war und je längers, je verschtuuneter das schwarze Ofenloch gschaute, als gschaute es den schönsten Garten, und derweil übersott ihm die Milch, oder wenn es auf dem Weg zwischen Stall und Hüttli im Traumen zeinersmal das Laufen vergass und nadisnah im Schnee versoff.

Die Vriinä fand sertigs sogar noch lustig, und als der Vatter eines Tages mit dem Heuschlitten überobsi wollte zum den Kühen ein frisches Fuder holen, und die Vriinä durf‌te mit, da fragte sie zum Gschpass, ob nicht eines von ihnen daheimbleiben müsste und die Mueter gaumen. Gleich wurde aber der Vatter gällig wie nie zuvor und packte die Vriinä und sagte ihr ins Gesicht hinein, dass das Mariili in zwei Welten daheim wäre, das sig im Fall nicht zum Lachen, sondern eine ganz bsunderige Gabe, und hätte das Mariili nicht jene Gabe, so hätte er es am End auch nicht geheiratet {36}gehabt und so wäre auch das Vreneli nicht geboren worden, und darum sell es fortan zweimal studieren, ob es ob seinem Müeti well ein Glächt haben.

Doch auch dem Fessisbauern war mit dem Mariili nicht mehr wohl, und endlich holte er beim Schwandener Apotheker eine Kur mit Aufgüssen und Umschlägen und hiess das Mariili, es sell auf den Ofenbank hocken und kuren. Das meinte aber nur, ihm fehle nüüt, und jetzt, da es eine Tochter heig wie das Vreneli und einen Mann wie den Fessisbauern und dazu die schönste Alp im Tal, da wäre es auch will’s Gott eine Schande, wäre es nicht glücklich. Und wie zum Beweis, dass es glücklich sig, nahm es zuletzt ds Vrenelis Flötli und blies darauf ein Lied, das geriet nur leider elend traurig.

 

Sig’s wegen dem traurigen Lied oder weil das Mariili danach wieder die halbe Nacht auf einem Bort ob dem Hüttli im Schnee verhockte und steifgefroren war, als es der Vatter fand, jedenfalls lief er anderntags gad wieder z’Tal, und ohne ein Wort, und danach wurde das Mariili so still und angespannt, als wüsste es, jetzt gschäch glii ettis uumäär Wichtigs, und so unheimlich wurde es im Hüttli, dass nicht einmal das Vreneli mehr schnurren mochte und stumm neben seinem Müeti im Stübli hockte den ganzen Tag lang. Da hörte es ein erstes Mal, wie es tönte, wenn es einfach nur still war in der Welt, denn vor dem Fenster fiel der Schnee und hatte schon das halbe Hüttli verschluckt, und weil das Mariili wohl hatte einfeuern wollen, es dann aber wieder vergessen hatte, vertätschte es auch nie ein Scheit im Ofen, und keine Glut liserete. Nur ein Talglicht brannte still, davon kamen in der Luft schwarze Schlirggen von Russ z’hangen, die im Leeren {37}schwebten blab und müd wie Totenseelen, und ds Vrenelis und ds Mariilis Schnauf machte Wölkli, von denen wuchsen am Fenster gläsige Blüemli.

Dann endlich polderete es, das war der Vatter, der sich den Schnee von den Böden schlug, danach stemmte er die Tür auf und wollte etwas sagen, es wurde dann aber nur ein Grochzen daraus, dann lief er mit langen Schritten zum Ofen und feuerte erst einmal ein, und zmittst ins Einfeuern hinein meinte er endlich, er wäre auf dem Urnerboden gewesen, beim Bersiäneli, und säb läss ausrichten, das Mariili könne zu ihm ins Hüttli züglen.

Während der Vatter säb sagte, lugte er das Mariili nicht an, sondern tat, als wäre er ebigs beschäftigt mit Holz nachenschoppen, und er sagte auch nichts mehr, und das Mariili auch nicht, und als er fertig war mit Einfeuern, war es fast wieder so still wie den Tag durch, ausser dass es jetzt mängsmal ein Scheit im Ofen vertätschte. Dann rief aber das Mariili zeismal, es well doch gar nicht fort, es heig beim Bersiäneli nüüt mehr verloren, es well kein Hexli sein wie säb, es sig jetzt eine Bäuerin wie sein Müeti und ein Mäntsch wie alle Mäntschen, es heig amel Mann und Kind, denen well es lugen, das sig seine Aufgabe im Leben, und wenn es mängsmal ettis verschtuunet wäre und ab der Welt, so täg das überhaupt nüüt zur Sach, sein Müeti wäre auch all Tag fort in eine andere Welt und immer zurückgekommen – amel immer ausser ganz am Schluss, als das Müeti und der Kommandant als Vögeli verflogen wären. Und dann rief das Mariili zeinersmal nümmen, sondern meinte ganz liislig, wenn es der Vatter jetzt zum Bersiäneli schicke und es fortan kein Mäntsch mehr sein dürfe wie alle Mäntschen und all säb aufgeben müsse, {38}das Vreneli und den Vatter und das Wirtschaften auf dem Hof, so well es lieber sterben.

Danach gschaute es den Fessisbauern, als müsste der ettis sagen, aber er stand nur stumm am Ofen und sah ins Feuer, und auch das Mariili wusste nüüt mehr zu sagen und schwieg so still, dass das Vreneli schon brieggen wollte, dann meinte es aber stattdessen, gegessen müsse auch sein, und stand auf und holte ganz allein den schweren Käs vom Gestell und schleiggte ihn zum Tisch, und dann nickte endlich auch der Vatter und wandte sich vom Feuer ab und meinte, er möge will’s Gott einen Schnäfel Käs und Brot vertragen. Und wenn auch das Mariili nicht mit ihnen ass, sondern das Kopfweh hatte und gogen liggen ging, wurde es doch noch fast gemütlich, als der Vatter zur Vriinä zuechen hockte und ihr einen Kanten Brot und einen Moggen Käs schnitt und sich selber auch; und als er fragte, was sie den ganzen Tag getan hätten, strahlte sie und meinte, sie und das Müeti hätten Blüemli ans Fenster zauberet.

Nachts stürmte es dann und rüttlete an den Fenstern, so dass der Vatter aus dem Hüttli musste die schweren Läden einhängen, und als sie anderntags vertwachten, war zwar der Sturm vorbei, doch ettis pöpperlete noch fein gegen die Läden, und als der Vatter vors Hüttli trat, sah er gad noch ettis Goldigs, Pelzigs ab dem Bödeli fliegen und fort. In seiner Müedi dachte er zwar nicht viel und hängte numen gschwind die Läden wieder aus, damit der Tag ins Hüttli scheinen konnte. Erst als das Mariili vom Licht nicht vertwachte und auch nicht, als er es päcklete und rief, begriff er zeinersmal und hockte schwer ab und musste grüüli brieggen, und als das Vreneli über das Mariili zu ihm gechräsmet {39}kam und meinte, er sell nicht asen brieggen, der Mueter müsse nur ettis Goldigs ins Maul fliegen, danach vertwache sie von selber, da meinte er, säb Mal vertwache das Mariili drum nümmen. Das Vreneli suchte z’Trotz im Hüttli ettis Goldigs und fand zuletzt die goldigen Ohrringli von ds Vatters Fahrt ins Welsche und schoppete sie der Mueter ins Maul. Aber der Vatter behielt recht, auch mit den Ohrringli im Maul wollte die Mueter nümmen vertwachen, und endlich stand der Vatter auf und deckte das Mariili mit dem Liilachen und hiess die Vriinä an den Tisch hocken und reisete den Zmorged.

Und während er dem Vreneli Milchmöggli brockte, erklärte er ihm, dass das Mariili drum ein Hummeli gewesen sig, das heig das Bersiäneli ihm verraten gehabt, und so ein Hummeli müsste halt auch fliegen, das wäre ds Gotts Namen seine Natur, und nächtig war das Mariili zu weit geflogen und hatte den Heimweg nümmen gefunden.

Das Müeti wäre doch aber schon dervor verflogen und heig den Heimweg immer gefunden, sagte das Vreneli. Der Vatter wusste jedoch, dass ein Hummeli, wie das Mariili eines gewesen war, nur neunundneunzig mal neunundneunzig Schnaufer aus seinem Mäntsch heraus durf‌te, danach musste es zurück sein, sonst war ihm der Weg wie vernaglet, und das Mäntsch fing an kalten. Und säb Mal war ds Mariilis Hummeli drum länger fortgeblieben als neunundneunzig mal neunundneunzig Schnaufer, sig’s wegen dem Sturm oder weil er die Fensterläden eingehängt hatte, oder weil das Mariili es gar nicht anders hatte wellen, und darum hatte es jetzt gekaltet.

Ja, kalt sig ds Müetis Mäntsch beim Eid gewesen, fand das {40}Vreneli und wollte wissen, was sie jetzt mit dem Mäntsch miechten, weil wenn das Müeti nümmen heimkam, war vielleicht das Mäntsch für anderes zu gebrauchen. Der Fessisbauer verzellte ihm aber, der Brauch well, dass sie das Mäntsch im Boden verlochten und der Pfarrer darob die Messe sang, und erst wollte das Vreneli ds Müetis Mäntsch für sertigs nicht hergeben, aber dann fand es, eigentlich wäre ihm gleich, was mit dem Mäntsch würde, viel mehr nähmt’s es wunder, ob auch es selber und der Vatter und überhaupt alle Mäntschen in Wahrheit Hummeli wären mit numen einem Mäntsch ringelsum.

Ein Tierli in sich hätten die wenigsten, sagte der Vatter, die meisten hätten numen die bare Seel, die sig wie durchsichtig, aber das Vreneli wollte viel lieber ein Tierli in sich haben als nur eine bare Seel, und am liebsten ein Füchsli, da musste es nicht lang studieren. Und am allerschönsten wäre gewesen, der Vatter wäre auch ein Füchsli, und sie könnten fortan zämen im Hohwald oder oben in der Wildi am Gufelstock leben und bräuchten gar kein Hüttli mehr und kein Gwand und müssten nie mehr Löffel und Biner figlen. Aber der Vatter meinte, er heig doch eher nur eine bare Seel, und so figleten sie ds Gotts Namen nach dem Zmorged das Geschirr und lugten dem Veh, und nach der Melketen liefen sie ins Dorf zum Pfarrer und hiessen ihn ds Mariilis Mäntsch begraben.

{41}Das Bersiäneli

Mit dem Mariili war auch der Frieden auf Fessis verflogen. Zänntummen schnurreten die Glarner über sie. Die einten meinten, der Fessisbauer heig das Mariili gezwungen, sich z’Tod zu chrampfen, andere nahmen seinen Tod als Beweis, dass die Fessis Alp eben doch ds Tüüfels war, und ds Mariilis Seel war der Abschlag, den der Fessisbauer dem Hörelimaa geschuldet hatte für all sein Gfell mit Alpnen über die Jahre.

Am Abend vor der Beerdigung erzählte der Sooler Totengräber im »Bären«, als sie das Mariili aufgebahrt hätten, heig es bald böckelet und gjeselet in der Kirche, als wäre der Tüüfel selber abgelegen, und erst nachdem der Pfarrer das Weihrauchchessi geschwungen und dreizehn Mal den Englisch Gruss gebetet heig, sig der Gestank verrochen. Aber auch danach heig der heilige Boden das Mariili nicht wellen haben, sondern sig vom einten Tag auf den anderen asen hart gefroren gewesen, dass ihm beim Graben gad beide Schaufeln verbrochen wären.

Danach kamen nur wenige Sooler und Linthaler an die Beerdigung, kein Einziger langte am Grab dem Fessisbauern und dem Vreneli die Hand, und auch zum Totentrunk in den »Bären« kamen sie nicht. Und weil der »Bären«-Wirt auch ganz vergessen hatte, im Säli Licht zu machen, hockten {42}der Vatter und das Vreneli allein ein halbes Stündli im Dunkeln bei einem Tassli Tee und warteten stumm, ob vielleicht noch etter käme, zumindest der Joggel Marti mit seiner Frau oder der Herr Pfarrer, dann stiegen sie wieder auf Fessis.

Am anderen Tag hängte der Fessisbauer noch das Liilachen, in dem das Mariili gestorben war, an einem Stecken vor das Hüttli und meinte zur Vriinä, asen well es der Brauch: Wie nämlich das Totentuch im Wetter verrotte und verkeie, so verrotte und verkeie im Gleichen ds Mariilis Mäntsch unter der Erde, und dadermit wäre bewiesen, dass sie das Mariili nicht öppen lebig begraben hätten. Danach ging alles seinen Gang wie davor, der Fessisbauer molk die Kühe wie immer und anknete und besserte die Käsledi aus. Nur war er noch stummer als vor ds Mariilis Tod, und erst half das Vreneli ihm noch melken und misten, aber dann wurde es ihm zu still daheim, lieber pfurrete es durch den Schnee und spielte, es wäre ein Füchsli, oder es warf im Hohwald den Jägern Schneeböllen an oder baute hinter den tuusigs Eiszäpfen am Wasserfall vom Hellbächli an einem Palast, und wenn es gschwind zum Vatter ins Hüttli kam, verzellte es, wie das Wildmanndli am Morgen am Gufelstock seine Gämsi in eine Brente aus Kristall gemolken heig und danach die Milch zu Käsli verkäset oder wie es den Wetterhexen am Oberen Gheist geholfen heig, Eisblumen zu blasen, und der Vatter losete ihm stumm, oder vielleicht losete er auch nicht und blieb sonst stumm, und wenn das Vreneli verzellt hatte und noch einen Weil gewartet, ob ihm vielleicht für einmal doch ettis zu schnurren z’Sinn käme, und es kam dem Vatter aber nie nüüt z’Sinn, sprang es auf und lief wieder überobsi.

Doch ein Wildmanndli oder eine Wetterhex traf es nicht {43}alle Tage, und Mäntschen kamen keine mehr auf Fessis, und auch im Schnee war es oft nur ebigs still, und so blieb es doch wieder beim Vatter und wollte ein Ärbetli, und der Vatter schickte es zum Anknen in den Käskeller und merkte erst, als es den Anken versalzen hatte, dass ettis nicht recht war, und als er fragte, verzellte das Vreneli, dass ihm drum im Käskeller wie angeworfen im Sinn gestanden war, dass sein Müeti ja nicht nur neumeds z’Berg war wie früher und irgendwann zurückkäme und ihm ein Rahmmus kochte, sondern säb Mal war es fort auf ebigs, und säb »ebigs« war im Käskeller so grüüli schwarz vor ihm gestanden, dass es dahinter gar nüüt anders mehr gesehen hatte, und für ein Momentli hatte es gemeint, es müsste gad selber auch sterben, so leer war ihm geworden, und je länger es anknete und je mehr im Fass der Nidel diggete und zu Anken wurde, desto fester und verhocketer war es in ihm selber geworden, und zuletzt fühlte es sich in ihm numen noch hart und kalt an wie Eis und Stein, und darum wollte es fortan auch lieber hinaus in den Schnee und an der uumäären Stille dort verräblen, als dass es noch einmal allein in den Käskeller stiege.

So hiess es der Vatter den Geissen lugen, die brauchten zwar keinen Gaumer und taten überstelliger, wenn sie gehütet wurden, als wenn man sie sich selbst überliess, aber dafür waren sie weder schwarz noch still, und wenn die Vriinä ihnen Schimpfis gab, gaben sie zurück und püff‌ten sie von hinten, und die Vriinä hatte zu wäffelen und fitzte mit der Rute und war beschäftigt.

 

Und einmal nach dem Einnachten kam der Fränz von Glarus, und die Vriinä weiblete um ihn herum und hatte ebigs Freud {44}ob dem Besuch und fragte, ob der Fränz auch Kinder heig, und als der Fränz von seinen Buben verzellte, dem Fridli und dem Melk, bettelte sie, dass er sie mit auf Fessis brächte, es well ihnen seine Wildmanndli zeigen und seine Seeli und das Totentuch von seinem Müeti. Dann musste es aber ins Bett, ohne dass der Fränz ettis versprochen hätte, und als es im Schlafgaden verschwunden war, fragte der Vatter den Fränz, ob er wieder in ds Tuets Namen käme, weil Pflänzli verkaufe er dem säben nach wie vor nicht, und der Fränz meinte, dem Tuet ginge zwar tatsächlich immer mehr von seinem Heilkraut aus, doch darum sig er nicht gekommen, sondern weil er den Fessisbauern ettis fragen well. Und also sass der Vatter mit ihm zuechen und losete, was er zu fragen heig.

Er sig drum in der Not und bräuchte Hilfe, fand der Fränz, und ob es stimme, dass der Fessisbauer zaubere. Danach sah ihn der Fessisbauer erst nur stumm an, dann fragte er, wer sertigs meine. Alle, antwortete der Fränz, zänntummen heisse es, er heig an seinem allerersten Tag auf Fessis den Föhn ins Glarnerland gezaubert, und das Mariili heig er danach auch mit Zauberkraft päcklet, und dass sein Veh und seine Milch und sein Käs und sein Heu allesamt die besten im Land wären, sig dängg auch mit nüüt als Zauber oder Tüüfelspakt zu erklären.

Solange er Hände zum Chrampfen heig, sagte darauf der Fessisbauer, sell keiner ihm mit Zauberwar kommen, sertigs wäre für Ranzenplangger und Galgenvögel, ein rechter Bauer käme ohne aus. Und einenweg ligge auf Fessis ein Bann, der alle Zauberei vernüüte, wer es nicht glaube, sell es nur versuchen. Auf Fessis, sagte er dann noch, und dabei stand {45}er schon auf und öffnete dem Fränz die Tür, auf Fessis käme alles Glück und alles Unglück vom Herrgott und von keinem sonst, und asen müsste es auch sein.