Quiet Leadership – Wie man Menschen und Spiele gewinnt - Carlo Ancelotti - E-Book

Quiet Leadership – Wie man Menschen und Spiele gewinnt E-Book

Carlo Ancelotti

4,6
9,99 €

-100%
Sammeln Sie Punkte in unserem Gutscheinprogramm und kaufen Sie E-Books und Hörbücher mit bis zu 100% Rabatt.
Mehr erfahren.
Beschreibung

Carlo Ancelotti gehört zu den erfolgreichsten Fußballtrainern der Welt, fünf Champions-League-Siege gehen auf seinen Namen. Dabei könnte sich sein Ansatz nicht stärker unterscheiden vom aggressiven Führungsstil anderer Trainerlegenden. In „Quiet Leadership“ gibt der neue Cheftrainer des FC Bayern Einblick in seine Führungsphilosophie: Worauf kommt es Ancelotti an, wenn er ein Team übernimmt und an die Spitze führt? Wie baut er Talente auf? Wie geht er mit den Topstars um? Und wie schafft er es, die Leidenschaft für den Fußball trotz Erfolgsdruck und Professionalisierung immer weiter brennen zu lassen?

Ancelotti nimmt den Leser mit in die Kabine, auf eine Spurensuche zu Vorbildern, Herausforderungen und wichtigen Entscheidungen seiner internationalen Laufbahn. Mit exklusiven Beiträgen von David Beckham, Cristiano Ronaldo, Zlatan Ibrahimovic, John Terry, Sir Alex Ferguson u.a.

Das E-Book können Sie in Legimi-Apps oder einer beliebigen App lesen, die das folgende Format unterstützen:

EPUB
MOBI

Seitenzahl: 394

Bewertungen
4,6 (40 Bewertungen)
28
7
5
0
0
Mehr Informationen
Mehr Informationen
Legimi prüft nicht, ob Rezensionen von Nutzern stammen, die den betreffenden Titel tatsächlich gekauft oder gelesen/gehört haben. Wir entfernen aber gefälschte Rezensionen.



Das Buch

In »Quiet Leadership« gibt einer der erfolgreichsten und meistrespektierten Trainer des internationalen Fußballs Einblick in seine Führungsphilosophie: Worauf kommt es Carlo Ancelotti an, wenn er ein Team übernimmt und an die Spitze führt? Wie baut er Talente auf? Wie geht er mit den Topstars um, und wie mit den mächtigen Klubeigentümern?Wie geht er mit Rückschlägen um? Und wie schafft er es, die Leidenschaft für den Fußball trotz Erfolgsdruck und Professionalisierung immer weiter brennen zu lassen?

Die Autoren

Carlo Ancelotti, 1959 in Reggiolo/Italien geboren, begann seine Karriere als Mittelfeldspieler beim AS Rom und beim AC Mailand. Er trainierte und managte u.a. AC Mailand, FC Chelsea, Paris Saint-Germain und zuletzt das Team von Real Madrid, das er mit dem Sieg in der Klub-WM zum besten der Welt gemacht hat. Er hat den wichtigsten Preis im europäischen Fußball, die Champions League, fünfmal gewonnen – zweimal als Spieler und dreimal als Trainer. Zur Saison 2016/2017 unterschrieb Ancelotti als Cheftrainer beim FC Bayern München.

Chris Brady ist Professor für Managementstudien und Direktor des Centre for Sports Business der Salford University (England).

Mike Forde gehört zu Englands führenden Sportmanagern, er ist seit 15 Jahren in verschiedenen Funktionen in der englischen Premier League tätig, unter anderem war er von 2007 bis 2013 Sportdirektor des FC Chelsea.

Weitere Informationen zu unserem Programm unter www.knaus-verlag.de

Carlo Ancelotti

Mit Chris Brady und Mike Forde

Quiet Leadership

Wie man Menschen und Spiele gewinnt

Aus dem Englischen von Thomas Bertram

KNAUS

Der Inhalt dieses E-Books ist urheberrechtlich geschützt und enthält technische Sicherungsmaßnahmen gegen unbefugte Nutzung. Die Entfernung dieser Sicherung sowie die Nutzung durch unbefugte Verarbeitung, Vervielfältigung, Verbreitung oder öffentliche Zugänglichmachung, insbesondere in elektronischer Form, ist untersagt und kann straf- und zivilrechtliche Sanktionen nach sich ziehen.
Sollte diese Publikation Links auf Webseiten Dritter enthalten, so übernehmen wir für deren Inhalte keine Haftung, da wir uns diese nicht zu eigen machen, sondern lediglich auf deren Stand zum Zeitpunkt der Erstveröffentlichung verweisen.
Das Original erscheint 2016 unter dem Titel »Quiet Leadership – Winning hearts, minds and matches« bei Penguin Books Ltd., London.
Copyright der Originalausgabe © Axiomatix Ltd. 2016Copyright der deutschsprachigen Ausgabe © 2016beim Albrecht Knaus Verlag, München, in der Penguin Random House Verlagsgruppe GmbH,Neumarkter Str. 28, 81673 MünchenRedaktion: Oliver DomzalskiUmschlaggestaltung: Favoritbuero, MünchenUmschlagmotiv: © Getty/Levon Biss/KontributorUmsetzung E-Book: Greiner & Reichel, KölnISBN 978-3-641-20149-4V003
www.knaus-verlag.de

Giuseppe und Carlo Ancelotti,Olympiastadion, Turin 1985

Carlo Ancelotti

In liebevoller Erinnerung an mein erstes großes Vorbild, meinen Vater Giuseppe.

Chris Brady

Für meine Frau Anita und meine Lieblingstochter Eleanor, weil ich sie beide liebe.

Mike Forde

Für meinen Vater, der mich das Verantwortungsgefühl lehrte, das man braucht, um andere zu führen; für meine Mutter, die mir zeigte, wie man ein Umfeld schafft, in dem Menschen sich wohlfühlen, das sie inspiriert und ihnen ermöglicht, sie selbst zu sein; und für meine Frau Daniela, die mich tagtäglich bedingungslos darin unterstützt, mein volles Potenzial auszuschöpfen.

Inhalt

Vorwort

Über das Buch

Teil 1: Erfolgskurven

1. Über Erfahrung

Cristiano Ronaldo über Ancelotti

Teil 2: Das Kerngeschäft

2. Über Kultur

Zlatan Ibrahimović über Ancelotti

3. Über Hierarchie

Adriano Galliani über Ancelotti

4. Über Stars und Talente

David Beckham über Ancelotti

5. Über Zusammenarbeit

John Terry über Ancelotti

6. Über Verantwortung

Paul Clement über Ancelotti

7. Über das Produkt

Sir Alex Ferguson über Ancelotti

8. Über Daten und Analysen

Roberto Martínez Montoliú über Ancelotti

Teil 3: Führen lernen

9. Über Entwicklung

Paolo Maldini über Ancelotti

10. Über Werte

Alessandro Nesta über Ancelotti

11. München

Toni Kroos über Ancelotti

Schlussbetrachtung

Nachwort von Chris Brady & Mike Forde

Quiet Leadership – Die Erfolge

Dank

Vorwort

Habe ich als kleiner Junge, der auf einem Bauernhof im Norden Italiens aufwuchs, jemals davon geträumt, eine führende Position in einem globalen Multi-Millionen-Business zu haben? Natürlich nicht. Alles, was ich wollte, war Fußball spielen.

Wenn ich heute zurückblicke, erkenne ich, dass wir damals arm, aber glücklich waren. Viele Erkenntnisse, die ich in diesem Buch mit Ihnen teile, verdanke ich zuallererst meiner Familie und meiner Herkunft. Respekt und Loyalität, der Wert von Geld und harter Arbeit, die Bedeutung der Familie – all dies wurde mir früh in die Wiege gelegt, und es entwickelte sich und kam zur Blüte, als mir das besondere Privileg zuteilwurde, eine Laufbahn zunächst als Profifußballer und dann als Trainer einzuschlagen.

Quiet Leadership erzählt die Geschichte(n) meiner bisherigen Zeit im Fußball. Zugleich enthält das Buch meine Gedanken und Reflexionen darüber, was es braucht, um in meinem Beruf eine führende Rolle zu spielen. Im weiteren Sinne lassen sich die Lektionen dieses Buchs aber durchaus auf andere Berufe übertragen – denn die Anforderungen an Führungskräfte ähneln sich in vielerlei Hinsicht über alle Branchengrenzen hinweg. Im Profisport kommt es oft auf dasselbe an wie im Geschäftsleben, und ich bin ein großer Freund davon, Wissen aus anderen Gebieten zu übernehmen, so wie ich meine eigene Sachkompetenz in Paris, London und Madrid eingebracht habe und sie jetzt nach München mitbringe. Natürlich haben sich meine Erfahrungen und Fähigkeiten dabei ständig erweitert. Denn eines sollten wir niemals tun: aufhören zu lernen.

Für manche mag »Quiet Leadership« – eine ruhige und zurückhaltende Führung – wie Nachgiebigkeit oder gar Schwäche aussehen, aber genau das bedeutet sie für mich nicht. Und ganz bestimmt versteht das niemand falsch, der je mit mir oder für mich Fußball gespielt hat. Im Gegenteil, die Art von Zurückhaltung, die ich meine, ist eine Stärke. Wer ruhig und überlegt handelt, Vertrauen aufbaut und besonnen Entscheidungen trifft, seinen Einfluss und seine Überzeugungskraft einsetzt und eine Aufgabe professionell angeht, der verströmt Macht und Autorität. Schauen Sie sich Vito Corleone in Der Pate an: Sehen Sie einen schwachen, in sich gekehrten Mann, oder sehen Sie einen ruhigen, mächtigen Mann, der die Dinge unter Kontrolle hat?

Ich glaube, dass eine Führungskraft nicht herumbrüllen oder mit eiserner Faust regieren muss, um ihre Autorität zu behaupten. Es ist wirkungsvoller, Macht und Einfluss indirekt auszuüben. Es sollte sonnenklar sein, wer das Sagen hat – aber diese Einsicht muss das Ergebnis von Respekt und Vertrauen sein und nicht von Angst. Ich habe mir meinen Respekt zum einen durch eine erfolgreiche Karriere als Spieler und Trainer erworben – indem ich meinen Klubs Titel verschafft habe. Aber wichtiger ist das andere: Ich respektiere die Menschen, mit denen ich zusammenarbeite. Die Leute trauen mir zu, dass ich das Richtige tue, so wie ich darauf vertraue, dass sie ihre Rolle in der Organisation richtig wahrnehmen.

Mein Führungsstil ist Teil meiner Persönlichkeit – er entspricht meinem Naturell, und das ist entscheidend. Führungsstärke lässt sich erlernen, aber man kann sie nicht nachahmen. Natürlich kann man anderen großen Führungspersönlichkeiten bei der Arbeit über die Schulter schauen, aber wenn man von Natur aus eher zurückhaltend, still und mitfühlend ist, dann wäre es unklug, ein anderer sein zu wollen.

Ich bin mit der »ruhigen Methode« seit meiner Kindheit durch meinen Vater vertraut und wende sie an, seit ich als Spieler Kapitän des AS Rom wurde, ich behielt sie bei, als ich zum AC Mailand wechselte und die Spieler von mir erwarteten, dass ich in der Kabine eine Führungsrolle übernahm. Und ebenso später, als ich diesen Klub und Teams wie Chelsea, Paris Saint-Germain und Real Madrid trainierte. Und wenn ich mich ab Sommer 2016 der Herausforderung bei Bayern München stelle, werde ich es nicht anders halten. Denn jeder, der mich engagiert, weiß, dass er mit mir auch diesen Führungsstil akzeptiert.

Was Sie in diesem Buch nicht finden werden, ist ein Kapitel über Beziehungen. Und zwar deshalb, weil Beziehungen die Grundlage von allem bilden, was ich als Führungskraft tue, sodass sie auf jeder einzelnen Seite vorkommen – Beziehungen zu jenen, die über mir stehen, zu meinem Assistenzteam und, was am wichtigsten ist, zu meinen Spielern.

Ohne die Spieler kann es kein Spiel geben, so wie es ohne Mitarbeiter und ohne Produkt kein Geschäftsleben gäbe. Die Tausende in den Stadien, die Millionen zu Hause vor den Bildschirmen – sie zahlen nicht, um mich an der Seitenlinie zu sehen oder Pep Guardiola oder Sir Alex Ferguson. Sie wollen die Spieler sehen und die Magie erleben, die sie heraufbeschwören können.

Mit diesen Sportlern zu arbeiten, sie in ihrer Entwicklung zu fördern, Vertrauen und Loyalität aufzubauen, unsere Erfolge gemeinsam zu feiern und Enttäuschungen gemeinsam zu überwinden: All das macht für mich den Kern meiner Tätigkeit aus. Und genau deshalb stehe ich jeden Morgen mit einem Lächeln auf und gehe zur Arbeit.

Als Kinder spielen wir Fußball zunächst einmal, weil wir uns in das Spiel verlieben. Als ich anfing, professionell zu spielen, konnte ich mein Glück kaum fassen, dass ich dafür bezahlt wurde, etwas zu tun, das ich liebte. Natürlich können die Belastungen und Schwierigkeiten auf dem Spielfeld und abseits davon dazu führen, dass die Leidenschaft irgendwann abkühlt oder sich ganz zu verflüchtigen droht. Dann ist es meine Aufgabe, den Spielern dabei zu helfen, dass sie sich die Begeisterung für das Spiel bewahren oder sie wiederfinden. Wenn mir das gelingt, bin ich zufrieden.

Dieses Buch zu schreiben und meine beiden Co-Autoren und Freunde Chris Brady und Mike Forde an Geschichten und vielen großartigen – aber auch an einigen schwierigen – Erinnerungen teilhaben zu lassen, war eine überaus bereichernde Erfahrung für mich. Ich hoffe, dass Sie als meine Leserinnen und Leser in diesem Buch Dinge finden werden, von denen Sie für Ihr eigenes Leben und Ihre Karriere profitieren können – und vielleicht etwas, das auch Sie zufrieden macht.

Carlo Ancelotti, im Februar 2016

Über das Buch

[Chris Brady] Dieses Buch auf die Beine zu stellen hat mehrere Jahre gedauert – in erster Linie, weil Carlo Ancelotti, Mike Forde und ich es als echte Gemeinschaftsarbeit wollten. Wobei wir uns zunächst einmal darüber verständigten, was dieses Buch nicht sein sollte: Wir wollten keine normale Autobiografie; wir wollten Leser weit über die Gruppe der Fußballinteressierten hinaus erreichen; es sollte kein praxisfremdes Businessbuch sein; und ganz sicher kein Enthüllungsbuch mit Klatsch und Tratsch.

Wir haben vielmehr ein Buch für Menschen geschrieben, die – egal ob im Geschäftsleben oder im Sport – eine Leitungsfunktion oder Führungsrolle wahrnehmen, davon fasziniert sind oder eine solche Funktion anstreben. Ein Buch, das ehrlich, originell und überzeugend ist und eine neugierige Leserschaft zu Diskussion und Widerspruch reizt. Es ist keine Sammlung von Geschichten und Anekdoten (obwohl die konkreten Erfahrungen von Carlo Ancelotti natürlich eine wichtige Rolle spielen). Im Mittelpunkt stehen vielmehr die Überlegungen eines Praktikers, der Erfahrung damit hat, Teams in einem der dynamischsten und umkämpftesten Märkte, die es gibt, zum Erfolg zu führen.

Wir wollen Carlo Ancelottis grundlegende Prinzipien und seine »Leadership Journey«, seine Entwicklung zur Führungspersönlichkeit, sichtbar machen. Außerdem betrachten wir seine Kernaufgaben, seine Schlüsselqualifikationen und seine prägenden Erfahrungen: Wie lernte er zu führen und was hat es mit der »Marke Ancelotti« auf sich? Wie sieht er sich selbst und wie wird er von anderen wahrgenommen? Wir wollten ganz genau wissen, wie er sich kontinuierlich weiterentwickelte, mit Rückschlägen fertig wurde und wiederholt Erfolge auf der größtmöglichen Bühne feierte.

Natürlich gehört die wichtigste Stimme in diesem Buch Carlo. Er tritt auf den folgenden Seiten als Ich-Erzähler auf. Seine Schilderung ist das Ergebnis von mehr als fünfzig Stunden ausführlicher Interviews, die wir überall auf der Welt mit ihm geführt haben und deren Hauptaugenmerk der Frage galt, was seine Erfahrungen zur Lösung aktueller und zeitloser unternehmerischer und geschäftlicher Herausforderungen beitragen können. Seine »Lektionen« sind implizit in seinen Überlegungen und Schilderungen enthalten, aber um das Nachschlagen zu erleichtern, findet sich am Ende jedes Kapitels eine knappe Zusammenfassung mit den wichtigsten Aspekten der »ruhigen Philosophie«.

Weil wir wollten, dass dieses Werk zugleich ein Buch von Ancelotti und über Ancelotti ist, haben wir zusätzlich Interviews mit jenen geführt, die seine Führungsqualitäten am besten kennen. Sie wissen ja: Wenn Sie wirklich wissen wollen, wer Sie sind, müssen Sie wissen, was die Leute über Sie sagen, wenn Sie den Raum verlassen. Wir haben Carlos Vorgesetzte, Mitarbeiter, Konkurrenten und vor allem jene, die für ihn gespielt haben, dazu eingeladen, »hinter seinem Rücken« über ihn zu reden. Zu den interviewten Spielern gehören Cristiano Ronaldo, David Beckham, Zlatan Ibrahimović und John Terry, die alle auch für die anderen Trainergiganten im Fußball gespielt haben, also Leute wie Pep Guardiola, José Mourinho und Sir Alex Ferguson, der als Vertreter der großen Rivalen ebenfalls zu Wort kommen wird. Von den Vorgesetzten haben wir Adriano Galliani befragt, den Geschäftsführer des AC Mailand. Letzterer war in der einen oder anderen Funktion etwa dreizehn Jahre lang Ancelottis Chef, während dieser Spieler oder Trainer war.

Es zeugt von der Stärke der Bindungen, die Ancelotti schafft, und von der Wertschätzung für ihn, dass all diese Angehörigen der absoluten Fußball-Elite großzügig ihre Zeit opferten, um über ihn zu sprechen. Tatsächlich waren sie geradezu erpicht darauf und gerieten derart ins Schwärmen, dass die Interviews den vorgesehenen Zeitrahmen fast immer überschritten. (Ich schätze, Zlatan würde heute noch reden, wenn ich ihm nicht nach neunzig Minuten vorsichtig nahegelegt hätte, zum Schluss zu kommen.)*

* Mehrere der Befragten erzählen von den (seltenen, aber eindrucksvollen) Wutanfällen von Carlo Ancelotti. Das scheint nicht ganz zum Leitmotiv dieses Buchs, der »ruhigen Philosophie«, zu passen. Und in der Tat liegt der Grund nicht darin, dass allen beim Thema Ancelotti als Erstes seine »Ausraster« einfielen, sondern dass sie von den Co-Autoren des Buchs ausdrücklich danach gefragt wurden. (Anm. d. Verlags)

Teil 1: Erfolgskurven

[Chris Brady] Abgesehen von Ausnahmeerscheinungen wie Sir Alex Ferguson bei Manchester United oder Arsène Wenger bei Arsenal London folgen die Karrieren der Trainer von Profiteams (wie generell die Laufbahnen von Führungskräften) stets einem ähnlichen Muster.

Zuerst kommt das »Werben«: wenn der Klub dich ausguckt und versucht, dich zu gewinnen. Es folgt die Schonzeit, in der alle – die Spieler, die Mitarbeiter, die Fans – dir Zeit geben, dich zu etablieren. Diese Phase währt allerdings wie alles Unbeschwerte im Leben, leider, nicht allzu lange. Als Nächstes kommen – hoffentlich – Stabilität und Erfolg. Für einen Spitzenklub bedeutet das: Titel. Weiter unten in der Liga wird Erfolg anders gemessen. Die Stabilität wird irgendwann zur Routine, und dann beginnen die Probleme: die Risse in der Beziehung. Und schließlich kommt der Bruch – die unvermeidliche Trennung.

Mit dem sogenannten »Leadership Arc«, also dem Phänomen von Aufstieg und Fall der Führungskräfte, das wir in diesem Buch kurz und bündig als »Erfolgskurve« bezeichnen, beschäftigen sich unzählige Management-Bücher. Ob es Ken Blanchards Arbeiten sind (die um 2005 entstanden), ob es um George D. Parsons und Richard T. Pascales »Summit Syndrome«* geht, oder auch um die Seminare, die an der Wharton School stattfinden – all diese Konzepte basieren auf der Erkenntnis, dass die Karrieren selbst der bedeutendsten Führungskräfte einem stets ähnlichen Muster folgen.

Die durchschnittliche Beschäftigungsdauer eines britischen Börsenmanagers liegt momentan bei 5,18 Jahren; bei Trainern in der englischen Premier League sind es nur 2,36 Jahre (rechnet man den »Dino« Arsène Wenger heraus, sinkt der Durchschnitt auf 1,7 Jahre). In Italiens Serie A beträgt der Durchschnitt 1,31 Jahre; in Spaniens La Liga sind es 1,34 Jahre. In anderen Sportarten sieht es kaum besser aus mit der der Langlebigkeit. In den USA liegt die durchschnittliche Beschäftigungsdauer eines Trainers in der NFL (National Football League) bei 3,4 Spielzeiten; ein neuer Trainer in der NBA (National Basketball Association) kann mit 2,4 Spielzeiten rechnen.

Das Ende kommt oft plötzlich und brutal. Die englischen Profiligen erlebten in der Saison 2014/15 insgesamt 47 Trainerentlassungen. In 17 Fällen handelte es sich um Trainerneulinge, die keine besonders guten Aussichten auf eine zweite Chance haben. Darüber hinaus verloren mehr als 150 Assistenztrainer ihren Job** als unmittelbare Folge der durch die Trainerentlassung verursachten Instabilität – die Vereine (oder der neue Trainer) wollen oft den gesamten Trainerstab austauschen. Eine kleine Elite ausgenommen, hat das Gerede vom »Trainerkarussell« wenig mit der Realität im Fußball zu tun; in der Mehrzahl der Fälle hat die Familie des Entlassenen von einem Tag auf den anderen ihre Haupteinkommensquelle auf Dauer verloren. Der moderne Profisport ist kein Geschäft für Zartbesaitete.

Einmal mehr liegen die Parallelen zur Geschäftswelt auf der Hand. Ein Sporttrainer unterliegt Woche für Woche einer Überprüfung, wie sie der Vorstand einer AG nur einmal pro Quartal überstehen muss. Ein Vereinsvorstand aus der englischen Premier League bemerkte einmal treffend: »Jede Woche tauchen 40000 Aktionäre auf und sagen mir ihre Meinung darüber, wie ich den Laden schmeiße.« Im Sport wird alles in die Zeitspanne einer einzigen Saison gezwängt, während der Lebenszyklus in der Geschäftswelt wahrscheinlich etwa zehn Quartale oder 30 Monate beträgt; erst danach können Ergebnisse abschließend bewertet werden.

Sowohl im Geschäftsleben als auch im Sport scheint die Verweildauer von Führungskräften in erfolgreichen Organisationen einen unaufhaltsamen Kurvenverlauf zu nehmen, ungeachtet solcher Sonderfälle wie Sir Alex Ferguson, Bill Belichick bei den New England Patriots oder Gregg Popovich bei den San Antonio Spurs.

Während jedes Engagements bei einem Verein gibt es Schlüsselmomente, in denen man als Führungskraft Ereignisse beeinflussen und ihren Verlauf bestimmen kann.

* George D. Parsons and Richard T. Pascale, ›Crisis at the Summit‹, Harvard Business Review, March 2007.

** Alle Angaben stammen von der League Managers Association (LMA), der englischen Trainervereinigung.

1. Über Erfahrung

Die erste Trainerstelle: Reggiana (Sommer 1995 – Sommer 1996)

Würde der Präsident des AC Reggiana heute mit dem Gedanken spielen, einen ehemaligen Spieler mit lokalen Wurzeln als neuen Trainer zu verpflichten, und er fragte mich um Rat, dann würde ich antworten: »Wieso denn den? Er hat keine Lizenz, und er hat noch nie irgendwo gecoacht. Er mag ein guter Spieler gewesen sein, aber wen interessiert das?« Zu meinem Glück funktioniert die verrückte Welt des Fußballs nicht so.

Denn es lief wirklich so: Reggiana stellte mich im Sommer 1995 ein, weil ich ein berühmter Spieler und ein Junge aus der Gegend war. Manchmal sind es die kleinen Dinge, die den Ausschlag geben. Wenn man es liest, ergibt es vielleicht überhaupt keinen Sinn, aber für mich war Reggiana absolut sinnvoll, und umgekehrt traf es ebenso zu. Der Klub war soeben in die Serie B abgestiegen, und sie brauchten einen Namen. Ich hatte diesen Namen, und ich war bereit. Nicht unbedingt für das Projekt, aber auf jeden Fall dafür, Verantwortung zu übernehmen.

Heute weiß ich, dass eine erfolgreiche Spielerkarriere allein nicht ausreicht, um ein guter Trainer zu werden. Sie ist eine hilfreiche Grundlage, um einen Draht zu den Spielern herzustellen und sie zu verstehen. Aber was alle anderen Aspekte betrifft, ist eine fundierte praktische und theoretische Ausbildung unerlässlich. Am Anfang hatte ich noch nicht mal eine Trainerlizenz. Ich hatte zwei Drittel der Trainerausbildung fertig; den abschließenden Teil absolvierte ich dann parallel zur bereits begonnenen Trainertätigkeit bei Reggiana. Ich bin grundsätzlich der Meinung, dass man seine Qualifikationen erwerben sollte, bevor man eine Berufslaufbahn einschlägt, aber manchmal ist das nicht möglich. Die formale Qualifikation sollte generell kein Selbstzweck sein in Unternehmen – manchmal gibt es Naturtalente, bei denen es Verschwendung wäre, sie auf die Schulbank zu zwingen. Aber wenn immer möglich, sollte man sich qualifizieren, und die Arbeitgeber sollten diese Ausbildung wertschätzen.

Da ich keine Lizenz hatte, musste ich jemanden einstellen, der pro forma der Trainer war und faktisch als mein Assistent fungierte. Außerdem brauchte ich einen Torwarttrainer. Ich suchte im alphabetischen Verzeichnis des italienischen Trainerverbands nach einem Mann, der zu mir passte und der beide Kriterien erfüllte. Der erste Name, auf den ich stieß, war der von Giorgio Ciaschini. Er lebte in der Nähe von Reggio Emilia, und ich hatte noch nie von ihm gehört, aber ich rief ihn trotzdem an, und er willigte ein, zu kommen und mit mir zusammenzuarbeiten. Und das taten wir dann über zehn Jahre lang. Er ist seit Beginn meiner Trainerkarriere ein loyaler Teil meiner Fußballfamilie, und wie in diesem Buch immer wieder deutlich werden wird, sind mir solche langfristigen Bindungen sehr wichtig. Treue Kollegen sind ein elementarer Faktor für Erfolg und Zufriedenheit im Laufe der Karriere.

Der Präsident hatte zu Saisonbeginn die Meisterschaft der Serie B, also den sofortigen Wiederaufstieg, als Saisonziel ausgegeben. Aber am 7. Spieltag fanden wir uns mit vier Unentschieden und drei Niederlagen am Ende der Tabelle wieder. Wahrscheinlich war der schlechte Start meiner Unerfahrenheit geschuldet, denn am Anfang war es nicht so einfach, der Boss zu sein, nachdem ich gerade noch Spieler gewesen war.

Natürlich war ich nicht vollkommen unerfahren. 1992 hatte sich mir die Gelegenheit geboten, Assistenztrainer von Arrigo Sacchi in der italienischen Nationalmannschaft zu werden. Ich hätte durchaus noch eine Saison als Spieler bei Milan dranhängen können, aber ich zog es vor aufzuhören, weil ich dachte, dass die Erfahrung bei Sacchi gut für mich wäre. Und in der Tat war diese Zeit von entscheidender Bedeutung für meine Entwicklung als Trainer, und vielleicht wäre ich ohne diese Jahre mit den Azzurri bei Reggiana gescheitert.

Als ich Sacchi mitteilte, dass ich den Job bei Reggiana annehmen und künftig auf eigenen Füßen stehen wolle, sagte er, es sei an der Zeit, und wünschte mir Glück. Aber obwohl ich in der Nationalmannschaft die Nummer zwei hinter Sacchi gewesen war, ist es doch etwas völlig anderes, wenn man selbst der Boss ist.

Wenn man Trainer wird, nachdem man gerade erst seine aktive Karriere beendet hat, besteht das Problem vor allem darin, dass man meint, alles zu wissen. In Wirklichkeit weiß man nichts. Zunächst einmal muss man zwei schwierige und wichtige Dinge hinbekommen – ein gutes Verhältnis zu den Spielern und die eigene neue Rolle als Boss. Beides ist nicht unmöglich, und es ist seltsam, dass viele Leute bestreiten, dass ein Trainer gleichzeitig einen guten Draht zu den Spielern haben und seine Autorität wahren könne.

Richtiggehend Angst machte mir anfangs, dass ich jetzt regelmäßig vor die Spieler hintreten und zu ihnen sprechen musste. Zu begreifen und zu akzeptieren, dass ich der Boss war, fiel mir sehr schwer. Ich kenne meine eigenen Unzulänglichkeiten, meine eigenen Verletzlichkeiten, und ich konnte nicht glauben, dass andere sie nicht sehen konnten. Deine Leute erwarten vielmehr, dass es perfekt läuft, weil du der Boss bist. Dass es für dich selbst neu ist, interessiert sie nicht. Man hat plötzlich die Karrieren anderer Menschen in der Hand und darf sie nicht merken lassen, wie nervös einen das macht. Vielleicht ist das für die meisten von uns das Schwierigste am Übergang vom Angestellten zum Chef.

Aber ich musste lernen, meine Angst zu besiegen. Die Ansprachen sind das wichtigste Führungsinstrument des Trainers. Idealerweise spricht man zugleich für die Spieler und mit ihnen.

Während meiner Kabinenansprachen vor dem Spiel waren nicht immer alle aufmerksam und hellwach. Der eine gähnte, ein anderer saß mit geschlossenen Augen in der Ecke. Manche starrten ausdruckslos aus dem Fenster – und bisweilen schlief auch mal einer tief und fest ein. Vor allem für einen Anfänger ist es wirklich schwierig, die ganze Zeit jedermanns Aufmerksamkeit zu fesseln – und die unterschiedlichen Arten des Zuhörens und die verschiedenen Grade der Aufmerksamkeit nicht persönlich zu nehmen. Immerhin saßen da ja – Kader und Mitarbeiter – 25 bis 30 Leute.

Am Anfang hörten normalerweise alle zu, aber sobald ich die Aufstellung bekannt gab, wurde es schwierig. Man hat achtzehn, vielleicht zwanzig Spieler, aber sobald man die elf für die Startformation genannt hat, machen die Nicht-Nominierten plötzlich mürrische Gesichter und schalten ab. Ich kannte dieses Phänomen noch bestens aus meiner aktiven Zeit. Eine Zeit lang sparte ich mir die Nennung der Startelf bis ganz zum Schluss der Teambesprechung auf, damit alle zuhörten und mitbekamen, was ich mir überlegt hatte. Aber egal, wann man die Aufstellung bekannt gibt – mit dem Phänomen der unzufriedenen Spieler muss man stets leben.

Eine andere Schwierigkeit, vor der man in seinem ersten Job als Cheftrainer steht, ist die simple Frage, wie man die Mannschaft auf das Spiel vorbereitet. Spielern fehlt das volle Verständnis für die umfangreiche Vorbereitung, die aus Sicht eines guten Trainers nötig ist – ich weiß, dass es mir als Aktivem nicht anders ging. Aus der Perspektive der Spieler sieht alles so einfach aus. Ich habe gelesen, dass Bill Parcells, der legendäre American-Football-Cheftrainer, davon überzeugt war, dass »alle den Willen haben, zu gewinnen, aber nur die Besten den Willen haben, das Gewinnen auch vorzubereiten«. Er hatte ja so recht! Am Anfang wusste ich nicht mal, wie ich eigentlich das Training aufbauen sollte. Ich weiß nicht, wie es anderen Trainerneulingen geht, aber mir fehlte damals schlicht das Fachwissen darüber, wie man das Training richtig organisiert. Immerhin konnte ich auf meine Erfahrungen bei Sacchi zurückgreifen. Am Anfang kopierte ich einfach seine Methoden, aber allmählich begann ich meine eigenen Ideen und Ziele zu entwickeln – und meine eigenen Trainingspläne.

Mein Assistent Giorgio Ciaschini war mir während dieser Zeit eine enorme Hilfe. Ich musste lernen, zur Mannschaft zu sprechen, damit sie an mich glaubte, denn wir mussten langsam mal anfangen zu gewinnen. Ich trommelte die Spieler zusammen und sagte ihnen: »Ich habe meine Ansichten darüber, wie wir spielen und auftreten sollten. Wenn ihr damit einverstanden seid, können wir zusammenbleiben. Wenn ihr nicht einverstanden seid, will ich nicht warten, bis der Besitzer mich rauswirft. Dann gehe ich. Wenn wir uns nicht einig sind, können wir hier und jetzt Schluss machen.« Fast alle Spieler waren auf meiner Seite. Nur zwei wollten mir nicht folgen – einige unzufriedene Akteure hat man, wie gesagt, immer im Kader. Allmählich erzielten wir bessere Ergebnisse, und wir beendeten die Saison schließlich auf einem Aufstiegsplatz. In der folgenden Saison würden wir in der Serie A spielen.

Während der ersten sieben Spiele hatte ich gedacht, dass ich es nicht packen würde als Trainer. War das wirklich der richtige Beruf für mich? Und wollte ich mich diesem permanenten Druck aussetzen? Der war übrigens zum größten Teil selbst erzeugt: Ich stand am Beginn meiner Trainerlaufbahn und wusste, wie entscheidend diese Phase für meine gesamte Karriere war. Heute bin ich Mitglied der League Managers Association, und wenn ich in den Unterlagen der LMA lese, wie wenig Zeit die meisten neuen Trainer in einem Job bekommen, dann wird mir angst und bange. Ich bin froh, dass ich diese Zahlen nicht kannte, als ich bei Reggiana war.

Das Ende meiner Erfolgskurve, die Trennung, erfolgte nicht in Form eines Rauswurfs, sondern weil mir ein Job bei einem größeren Klub angeboten wurde – beim AC Parma. Eine Trennung kann ja sowohl von der Führungskraft als auch vom Unternehmen ausgehen, und es ist wichtig, mit beiden Varianten gelassen umzugehen. Manchmal geht man, weil man es selbst will, und manchmal wird man nicht mehr gewollt. So ist es eben – im Fußball wie auch im Geschäftsleben.

Die zweite Trainerstation: Parma (Sommer 1996 – Sommer 1998)

AC Parma wollte mich, da ihre Verhandlungen mit einem anderen Trainer nicht wie gewünscht liefen. Da diese Situation erst kurz vor der Sommerpause auffiel, hatten sie bei Parma nicht sehr viel Zeit, sich nach einem Ersatz umzusehen. Ich hatte bei Reggiana gute Arbeit geleistet, ich kannte den Geschäftsführer von Parma, und der Wechsel zu einem größeren Klub war ein sinnvoller nächster Schritt für mich. Eine neue Erfolgskurve nahm ihren Anfang.

Genau wie bei Reggiana starteten wir schlecht, aber am Ende konnten wir auf eine erfolgreiche erste Saison zurückblicken und wurden Vizemeister. Ich hatte einen guten Kader zur Verfügung, mit Leuten wie Gigi Buffon im Tor und Lilian Thuram in der Abwehr, der in der Innenverteidigung mit Fabio Cannavaro ein Paar bildete. Und sie waren alle jung. Buffon war erst siebzehn Jahre alt, Cannavaro dreiundzwanzig und Thuram vierundzwanzig. Dann hatte ich einen Stürmer, Hernán Crespo, den ich in der argentinischen Olympiaauswahl entdeckt hatte – er war ihr Topscorer bei den Olympischen Spielen 1996, wo er mit sechs Treffern in sechs Spielen neben dem Brasilianer Bebeto Torschützenkönig wurde. Und er war erst einundzwanzig Jahre alt. In dieser Zeit kauften wir auch Rivaldo und danach Cafu. Rivaldo wurde sofort an Deportivo La Coruña weitergereicht, Cafu 1997 an den AS Rom. Parma war damals noch ein kleiner Verein, sodass wir regelmäßig Spieler abgeben mussten. Vielleicht hatte Capello letztlich doch recht gehabt …

Parma hatte eine interessante Partnerschaft mit dem brasilianischen Klub SE Palmeiras São Paulo, die für uns gut funktionierte. Themen wie »Dritteigentum« (Third Party Ownership, TPO), also der spekulative Handel zwischen Investoren mit den Verträgen begabter junger Spieler, galten damals noch als unproblematisch, und viele europäische Klubs hatten »Arrangements« mit lateinamerikanischen Vereinen, wodurch alle möglichen Deals denkbar waren.

In meinen ersten beiden Spielzeiten bei Parma qualifizierten wir uns für die Champions League (1997) und den UEFA-Pokal (1998), bevor ich, nach einer Reihe schlechter Ergebnisse, zum ersten Mal in meiner Karriere gefeuert wurde.

Nach sechs Monaten ohne Job begann ich einen kurzen Flirt mit Fenerbahçe Istanbul. Diesmal war ich es, der noch vor dem Start absprang – was die Türken allerdings partout nicht akzeptieren mochten. Sie ließen nicht locker, und ich stellte immer absurdere Forderungen, um sie abzuwimmeln – aber sie willigten einfach immer ein. Doch dann meldete sich Juventus – und diese Entscheidung fiel mir leicht.

Angestellter der »Firma«: Juventus Turin (Sommer 1999 – Sommer 2001)

Das Werben eines Vereins wie Juventus Turin war eine neue Erfahrung für mich. Ich stand gerade im Begriff, in die Türkei zu fliegen, um die Verhandlungen mit Fenerbahçe nun doch abzuschließen, als ich einen Anruf von Luciano Moggi erhielt, dem Manager von Juventus. Er bat mich, nichts zu unterschreiben, bevor wir miteinander gesprochen hätten. Also suchte ich ihn im Haus von Juves Geschäftsführer Antonio Giraudo auf. Neben Giraudo und Moggi war auch Roberto Bettega da, der Vizepräsident des Vereins und legendäre frühere Juventus-Stürmer. Sie redeten nicht groß um den heißen Brei herum, sondern sagten einfach: »Wir wollen, dass Sie der nächste Trainer von Juve werden.« Weil mein Vertrag in Parma noch lief – genaugenommen war ich nicht gefeuert, sondern beurlaubt worden –, einigten wir uns auf einen Vertrag ab Sommer 1999. Ein paar Stunden später hatte ich bereits einen Vorvertrag unterschrieben. Bald danach, im Januar 1999, warf der damalige Juve-Trainer Marcello Lippi wegen Misserfolgs vorzeitig hin. So fing ich doch schon im Februar 1999 an, während der Klub die noch ausstehenden Vertragsdetails mit Parma regelte.

Nach den eher gemütlichen Verhältnissen bei Reggiana und Parma war ich nun in einer echten »Firma«. Die Eingewöhnung fiel mir entsprechend schwer. Juventus ist ein großartig organisierter Klub, aber wenn ich zum Trainingsgelände ging, hatte ich das Gefühl, ich ginge zur Arbeit in einer Fabrik. Eindrucksvolle Menschen arbeiteten dort – der Besitzer Gianni Agnelli und Luciano Moggi beispielsweise –, aber es war keine Familie wie Reggiana oder Parma oder, wie ich später feststellen sollte, Milan. Nachdem ich bei meinen ersten beiden Stationen recht erfolgreich gewesen war, wollte ich aber unbedingt die nächste Stufe erreichen, und mittlerweile hatte ich auch das nötige Selbstvertrauen für einen Verein wie Juventus mit seiner großen Tradition und seiner langen Geschichte.

Abgesehen von der anderen Unternehmenskultur gab es noch einen weiteren Grund, aus dem ich mich schwertat in diesem Job: Die Juve-Fans hassten mich. Warum? Weil ich als Spieler bei der Roma und bei Milan gewesen war. Und mit Parma hatte ich Juventus bis weit ins Frühjahr 1997 hinein den Titel streitig gemacht. Sie hassten mich also wirklich. Meistens warteten sie vor dem Trainingsgelände auf mich, um mich zu triezen. So was passiert in Italien leider wirklich, und das gar nicht so selten. Es war eine Riesenaufgabe, die Fans für mich zu gewinnen.

Ich blieb mehr als zwei Jahre bei Juventus, bis ich im Sommer 2001 auch dort gefeuert wurde und vier Monate lang ohne Engagement war. Meine Erfolgskurve bei Juventus war beendet worden, bevor ich fertig war mit meiner Arbeit. Ich hätte mich vielleicht gar nicht auf diesen Job einlassen sollen. Aber immerhin vermittelte er mir einen Eindruck davon, wie es bei einem großen Klub zugeht. Denn genau dort wollte ich als Trainer hin.

Wieder zu Hause: AC Mailand (November 2001 – Mai 2009)

Lange Zeit sah es so aus, als würde ich zu Parma und in die relative Sicherheit meiner Heimatregion zurückkehren. Doch ein solcher Schritt »zurück« wurde in letzter Minute durch einen Anruf des Klubs abgewendet, der mir meine großartigsten Momente als Spieler geschenkt hatte: des AC Mailand. Milan hatte gerade mit dem türkischen Trainer Fatih Terim 0:1 beim AC Turin verloren, und wie sich herausstellte, hatte Milans Geschäftsführer Adriano Galliani mich seit längerem auf dem Schirm. Wir hatten ein paar Tage zuvor geplaudert und ich hatte beiläufig erwähnt, dass ich wieder bei Parma unterschreiben würde.

Nach dem Spiel in Turin sprach Galliani mit Silvio Berlusconi, dem Eigentümer, und sie beschlossen, den Trainer zu wechseln. Dabei konzentrierten sie sich sofort auf mich – offenbar in der Hoffnung, dass ich noch nicht bei Parma unterschrieben hätte. Diese spezielle Werbungsphase würde zügig vonstattengehen müssen. Galliani rief mich umgehend an, und ich sagte ihm, dass ich am nächsten Tag bei Parma unterschreiben wolle.

Der nächste Anruf von Galliani kam am Montag, als ich gerade auf dem Weg zur Unterzeichnung eines Vertrages mit Parma war. Ich hatte dem Präsidenten Calisto Tanzi bereits per Handschlag zugesagt.

»Haben Sie schon in Parma unterschrieben?«, fragte Galliani.

»Nein, noch nicht, aber ich bin unterwegs«, sagte ich.

»Ich komme zu Ihnen nach Hause«, sagte Galliani.

»Wozu?«

»Ich habe mit Berlusconi gesprochen, und wir sind uns einig, dass Sie hierherkommen müssen, zu Milan. Wir sind bereit für Sie.« Also schaltete ich mein Telefon aus.

Sobald ich den Vertrag mit Milan unterschrieben hatte, schaltete ich es natürlich wieder ein, um Tanzi bei Parma anzurufen. Ich sagte ihm: »Es tut mir leid, aber Milan ist meine Familie. Ich habe dort gespielt, und das tut mir jetzt so leid – ich hoffe, dass Sie das verstehen können.« Und er sagte zu mir: »Ich verstehe alles.« Selbst nach fünfzehn Jahren bin ich mir immer noch nicht sicher, was Tanzi damit meinte. Natürlich war er der große Boss: Er war der Gründer und Hauptanteilseigner des Parmalat-Konzerns, dem der AC Parma fast ganz gehörte, und er wurde später wegen eines der größten europäischen Konkurse und Finanzbetrugsfälle angeklagt und verurteilt.

Ich kam im November 2001 zu Milan – und fühlte mich augenblicklich zu Hause. Das Gefühl war so gut. Nicht so gut war allerdings die Mannschaft. Heimzukehren ist nicht immer einfach, und die ersten sechs Monate waren hart. Zur neuen Saison gelang es uns, Clarence Seedorf und Alessandro Nesta zu holen, zwei herausragende Spieler. Nesta war siebenundzwanzig, im besten Fußballeralter, und Lazio Rom verlangte sehr viel Geld für ihn. Der Manager konnte Berlusconi anfangs nicht überzeugen, eine solche Summe zu bezahlen, da Berlusconis Unternehmen in finanziellen Schwierigkeiten steckte. Er fürchtete das Urteil der öffentlichen Meinung und wollte nicht als Verschwender dastehen – vor allem nicht für einen Verteidiger. Nesta sollte dreißig Millionen Euro kosten, aber ich musste Berlusconi trotz dieses Preises überzeugen, dass er unentbehrlich für uns war. Nicht alle Zwänge, denen Führungskräfte unterliegen, sind offen erkennbar. Die Tatsache, dass die Arbeit eines Trainers unter den Augen der Öffentlichkeit stattfindet, bedeutet nicht, dass die Öffentlichkeit auch alles sieht und versteht.

Ich hielt Nesta für so unentbehrlich für die Mannschaft, dass ich beschloss, es selbst bei Berlusconi zu versuchen. Er war zu der Zeit in Dänemark, und ich sagte ihm am Telefon: »Herr Präsident, alle wollen die Champions League gewinnen, aber wenn Sie Nesta nicht kaufen, werden wir sie nicht gewinnen. Geben Sie mir Nesta, und ich gebe Ihnen die Champions League.« Am Ende war es ein großartiger Deal für uns beide: Er kaufte Nesta, und ich präsentierte ihm in der Saison 2002/03 den Champions-League-Titel. Später würden wir noch einen Champions-League-Triumph liefern (2006/07) sowie ein Finale (2004/05), ein Halbfinale (2005/06) und ein Viertelfinale (2003/04) – es war eine fantastische Zeit für den Klub.

Meine Erfolgskurve bei Milan war die bislang längste meiner Karriere – acht Jahre –, und die Länge meiner Anstellung eröffnete mir die Chance, im Laufe der Zeit die Spieler auszutauschen und das Team allmählich nach meinen Vorstellungen umzugestalten. Die größten Veränderungen passierten am Anfang – aus purer Notwendigkeit, weil der Kader nicht gut genug war. Meine erste Saison beendeten wir nur als Vierter, was bedeutete, dass wir zu Beginn der folgenden Saison (2002/03) in die Qualifikation zur Champions League mussten. Doch da ich erst im November des Vorjahres gekommen war und noch keine volle Saison und keine Saisonvorbereitung gehabt hatte, war der vierte Platz für uns ein schöner Erfolg. In der nächsten Saison kamen Seedorf und Nesta, zusammen mit anderen, etwa Rivaldo. Wir hatten bereits Rui Costa, und diese vier Spieler waren die wichtigsten für mich, weil ich wusste, dass der Präsident nach Capello und seinen Nachfolgern den Stil der Mannschaft ein bisschen verändert sehen wollte. Capellos Teams waren wirklich gut organisiert, aber vielleicht spielten sie nicht in dem Stil, den der Präsident wollte. Es sollte nicht das letzte Mal sein, dass ich beauftragt wurde, die Spielweise einer Mannschaft so umzustellen, dass der Klubbesitzer damit glücklich war.

Angesichts all der neuen Spieler standen wir vor einer neuen Schwierigkeit, nämlich wie man so viele Klasseleute bei Laune halten konnte. Nicht jeder konnte in jeder Partie spielen, aber genau das wollen Topspieler am liebsten tun. Im Mittelfeld mussten wir irgendwann Kaká, Gennaro Gattuso, Rui Costa, Andrea Pirlo, Seedorf und Rivaldo unterbringen, und vorne hatten wir Crespo, Schewtschenko, Jon Dahl Tomasson und Filippo Inzaghi. Meine Herausforderung bestand darin, sie alle bei guter Stimmung zu halten und mir gleichzeitig über die Weiterentwicklung der Mannschaft Gedanken zu machen. Die Atmosphäre bei Milan war gut, was ungeheuer wichtig ist, und die Spieler wussten, dass sie in einem fantastischen Team waren und für einen großartigen Klub spielten, sodass sie sich leichter damit abfanden, nicht in jedem einzelnen Match aufzulaufen. Natürlich gab es Schwierigkeiten, aber sie wurden individuell geregelt.

Zu Beginn meiner ersten vollen Saison hatten wir ein Champions-League-Spiel, und ich setzte Rivaldo, der weder eine volle Saisonvorbereitung noch die Vorbereitung auf das Match mitgemacht hatte, auf die Bank. Er war aufgebracht. Ich versuchte ihm zu erklären, dass er drei Tage später spielen würde, aber er sagte: »Rivaldo hat noch nie auf der Bank gesessen.«

Ich sagte ihm: »Okay, es gibt immer ein erstes Mal, und jetzt ist der richtige Zeitpunkt für das erste Mal.«

»Nein, nein«, sagte er zu mir. »Rivaldo setzt sich nicht auf die Bank.«

Ich erwiderte: »Rivaldo, du musst dich auf die Bank setzen.« Er stand einfach auf und fuhr nach Hause.

Den wirklich außergewöhnlichen Spielern fällt es schwer zu verstehen, warum sie nicht spielen dürfen, selbst wenn sie nur zu 80 Prozent fit sind. Sie sind auch deshalb große Spieler, weil sie in jeder Partie dabei sein wollen, selbst wenn sie nicht fit sind. Diese Einstellung macht einen Teil der Persönlichkeit eines Champions aus.

Der Klub sprach mit Rivaldo und seinem Berater, und Rivaldo kam zurück und setzte sich für das Match gegen Modena, eine unbedeutende Partie, auf die Bank. Erst danach redete ich wieder mit ihm. »Hör mal«, sagte ich, »Du machst es um deinetwillen, nicht für uns. Du musst dir keine Sorgen machen, denn es kann heute passieren, es kann im nächsten Spiel passieren, und es kann jedem Spieler passieren. Wir haben sehr viele Spiele, und wenn du aussetzt, bist du im nächsten Spiel frischer.«

Milan hatte in den Jahren zuvor nicht viel Erfolg gehabt, aber wir arbeiteten daran. 2003 gewannen wir die Champions League, und der Erfolg festigte unter den Spielern die Auffassung, dass sie bei einem tollen Verein waren. Sie verstanden, dass sie manchmal spielen würden und manchmal nicht. Es wurde einfacher, mit den wichtigen Spielern zurechtzukommen, weil alle Spieler wichtig waren.

Eine weitere Herausforderung bei einem großen Klub wie Milan besteht darin, die Konkurrenz unter den Spielern zu moderieren. Am Anfang war Christian Abbiati die Nummer eins im Tor und Dida die Nummer zwei. Dida musste also warten. Zu seinem Glück – und zum Pech seines Rivalen – brach Abbiati sich eine Rippe und stand dem Team eine Zeit lang nicht zur Verfügung. Dida stieg in seiner Abwesenheit auf, sodass ich Abbiati, als er nach seiner Verletzung zurückkehrte, sagen musste, dass Dida gut gehalten habe und die neue Nummer eins sei. Er nahm es gut auf und blieb noch eine Weile als Nummer zwei, bis er ab 2005 an Juve, den FC Turin und Atletico Madrid ausgeliehen wurde. So läuft das bei großen Klubs. Du musst auf deine Chance warten und sie dann nutzen. Aber auch wenn du sie genutzt hast, muss dir klar sein, dass du ständig herausgefordert werden wirst. In einem großen Klub ist kein Platz für Bequemlichkeit und Selbstzufriedenheit. Und alle Spieler müssen wissen, dass sie jederzeit ihre Chance bekommen können, wenn sich die Gelegenheit bietet und sie ihre Sache ordentlich machen. Natürlich wusste Abbiati das und verhielt sich absolut professionell.

Wir hatten eine großartige Zeit mit Milan, gewannen zweimal die Champions League und 2004 den Scudetto, und ich fühlte mich heimisch in meiner Fußballfamilie. Aber irgendwann kühlte das Verhältnis ab, und beide Seiten wurden ein bisschen müde. Acht Jahre sind eine lange Zeit, und Berlusconi wollte etwas verändern. Ich ebenfalls. Ich suchte nach einer neuen Erfahrung im Ausland.

Ein Jahr vor der Trennung hatte ich schon einmal sehr konkret mit Real Madrid verhandelt, ihnen aber zugleich Folgendes gesagt: »Ich verlasse Milan nur, wenn der Klub will, dass ich gehe. Ich bin bereit, nach Madrid zu kommen, aber nur, wenn Milan mich gehen lässt.« Ich ließ sogar eine Klausel einfügen, die festlegte: »Dieser Vertrag wird erst gültig, wenn der AC Mailand seine Zustimmung gibt.« Als ich Galliani von meiner Chance berichtete, sagte er: »Nein, nein, nein – bleiben Sie. Sie müssen bleiben.« Also blieb ich. Galliani hatte großes Vertrauen in mich bewiesen, wie auch die Madrilenen, als sie mich wollten. Nichts ist so wichtig, wie geliebt und geschätzt zu werden.

Im Jahr darauf war es Chelsea, und ich sagte den Londonern dasselbe: »Ich werde mit Milan sprechen, und wenn Milan will, dass ich bleibe, bleibe ich.« Als ich diesmal mit Galliani sprach, war er ehrlich und sagte: »Das könnte eine Idee sein.« Die Zeit, Italien zu verlassen, war gekommen.

Chelsea London (Juni 2009 – Mai 2011)

Chelsea hatte erstmals bei zwei Treffen im Mai 2008 in Genf und Paris sein Interesse signalisiert. Der Trainerposten würde bald frei werden, weil man mit dem Ersatz für José Mourinho, Avram Grant, nicht glücklich sei. Der Versuch, diese Treffen heimlich über die Bühne gehen zu lassen, gab dem Ganzen eine leicht komische Wendung, denn die Vorstellung, eine Begegnung zwischen zwei bekannten Leuten wie Roman Abramowitsch und mir könne geheim gehalten werden, erwies sich bereits wenige Stunden später als naiv. Adriano Galliani rief mich an, um zu fragen, wie es gelaufen sei. Damals kamen wir gar nicht an den Punkt, dass ich Milan um Zustimmung bitten musste, weil Abramowitsch Luiz Felipe Scolari vorzog – angeblich wegen meines schlechten Englisch.

Scolari erwies sich als nicht so effektiv für Chelsea und wurde im Februar 2009 gefeuert. Guus Hiddink wurde – wie erneut 2016 – als »Feuerwehrmann« bis zum Saisonende angeheuert, und so stand ich plötzlich wieder zur Debatte. Die ganze Gesprächsprozedur wurde wiederholt, einschließlich weiterer »geheimer« Treffen mit Abramowitsch und seinen Mitarbeitern. Im Februar 2009 nahm sich Chelseas Sportdirektor Mike Forde sechs Wochen Zeit für eine Reihe von Besprechungen mit mir und meinem Assistenten Bruno Demichelis. Diese Gründlichkeit war für mich ungewohnt. In den Gesprächen wurden unter anderem Chelseas Vision, das Geschäftsmodell des Vereins, zentrale strategische Ziele, die Nutzung biometrischer Daten, die gezielte Spielerverbesserung, der Umgang mit den wichtigen Spielern und meine Bedingungen für eine erfolgreiche Arbeit thematisiert. Zu all diesen Dingen und noch mehr befragte Mike mich in großer Ausführlichkeit.

Diese Werbung war sehr intensiv und anders als alles, was ich bis dahin erlebt hatte. Im März willigte ich ein, und im Juni 2009 trat ich meinen neuen Job dann an. Bereits seit der Unterschrift hatte Mike mir außerordentlich dabei geholfen, die Personalstruktur, die Besonderheiten der Premier League, Chelseas Rekrutierungspolitik und die Erwartungen des Eigentümers zu verstehen – wobei letztere mir bereits sehr deutlich klargemacht worden waren. Zusammen mit Bruno wurde ich zu einem einwöchigen Englisch-Intensivkurs nach Holland gebracht; der Unterricht dauerte jeweils von morgens um acht bis abends um acht. Diesmal sollte die Sprache auf keinen Fall ein Problem sein. Ich mag es, wenn man mich als guten Schüler kennt, also lernte ich fleißig. Kurz nachdem ich meine Arbeit aufgenommen hatte, hielt ich meine erste Pressekonferenz bei Chelsea ab und sprach vor mehr als zweihundert Journalisten Englisch. Natürlich war ich nervös, aber auch sehr zufrieden.

Im Kader von Chelsea gab es jede Menge starker Persönlichkeiten, und ich bin mir sicher, dass meine eigenen Karriereerfolge mir anfangs sehr zugutekamen. Es hilft dabei, sich bei einem neuen Klub Respekt zu verschaffen, wenn man bereits zweimal die Champions League gewonnen hat – allerdings nur am Anfang. Diese Schonzeit, die die Spieler dir gewähren, dauert nie lange, weil sie dich sehr bald abzuchecken beginnen unter dem Aspekt »Was kann dieser Typ für mich tun?«

Ich beließ die Trainingsweise zunächst so, wie ich sie vorgefunden hatte. Die Spieler fühlten sich wohl damit – warum also etwas ändern? Was wir sehr wohl änderten, war die Spielweise. Abgesehen davon, dass man die Mannschaft damit erfolgreicher und attraktiver machen will, hat eine solche Änderung auch noch einen anderen Vorteil: Die Spieler müssen sich konzentrieren und etwas Neues lernen, was die besten von ihnen stets zusätzlich motiviert. Und wie bei Milan und auch später bei Real Madrid war es natürlich auch der Wunsch des Bosses, einen anderen Stil spielen zu lassen. Bei einer meiner ersten Begegnungen mit Abramowitsch sagte er mir: »Ich brauche einen Trainer, der meinem Team ein eigenes Gesicht gibt. Wenn ich mir Barcelona oder Manchester United ansehe, finde ich eine Identität – bei Chelsea sehe ich keine.« Also änderten wir die Spielweise und spielten ab jetzt mit mehr Ballbesitz. Und wie kann man den Ballbesitz besser kontrollieren als mit einem Spieler wie Andrea Pirlo? Vergeblich versuchten wir ihn von Milan wegzuholen; so ließ ich zunächst Michael Essien auf dieser zentralen Position spielen. Er passte sich an die Situation an und entwickelte sich zu einem der besten Spieler auf der Position.

Mein Start bei Chelsea war wunderbar. Wir hatten gleich eine Saisonvorbereitungs-Tournee in den USA und gewannen jedes Spiel. Die Spieler nahmen meine Ideen und meine Herangehensweise offenbar an. Auch die eigentliche Saison fingen wir sehr gut an: Die Mannschaft gewann vierzehn der ersten sechzehn Begegnungen in allen Wettbewerben. Doch schon damals gab es Anzeichen, dass das Verhältnis zum Besitzer schwierig werden könnte. Während dieser tollen Serie von Spielen verloren wir eines mit 1:3 gegen Wigan. Für meine Begriffe war das bloß ein Ausrutscher, wie er nun mal vorkommt im Fußball, aber Abramowitsch kam am nächsten Vormittag aufs Trainingsgelände und stellte mich zur Rede. Ich versuchte, ihm vor allem zuzuhören und nicht impulsiv zu reagieren, aber vielleicht hätte ich besser vorbereitet sein und ein paar Antworten für ihn parat haben sollen. Diese Episode hätte mir eine Warnung sein sollen. Auf einen solchen Boss musste ich mich erst einstellen – selbst Berlusconi war nicht so fordernd gewesen.

Anfang Dezember waren wir Tabellenführer in der Premier League und hatten unsere Vorrundengruppe in der Champions League gewonnen. Für das Achtelfinale wurde uns Inter Mailand mit José Mourinho zugelost – und beinahe augenblicklich setzten der Druck und die Erwartungshaltung ein, obwohl es bis zu den Spielen noch mehr als zwei Monate waren. Zum Jahresauftakt spielten wir stark im FA Cup, aber im Februar trafen mich zwei Blitze, die sich ernsthaft auf mein Verhältnis zu Abramowitsch auswirken sollten. Zuerst verloren wir zu Hause mit 2:4 gegen Manchester City, was vor allem deshalb schlimm war, weil wir sowohl kämpferisch als auch taktisch unterlegen waren. Abramowitsch berief für neun Uhr am nächsten Morgen eine Besprechung ein, um zu fragen, was los gewesen sei. Er kann Niederlagen generell nicht akzeptieren – so etwas darf Chelsea seiner Meinung nicht passieren. Der zweite – und schlimmere – Nackenschlag war unsere 1:2-Auswärtsniederlage gegen Inter im Achtelfinal-Hinspiel der Champions League.