Railin - Claudine Hallier - E-Book

Railin E-Book

Claudine Hallier

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Beschreibung

Schönen Gruß vom Universum, Götter sind auch nicht allmächtig. Elin, die letzte Göttin, hat die Aufgabe die Erde vor ewiger Dunkelheit zu retten. Doch gleich nach ihrer Ankunft auf der Erde verliert sie ihr Gedächtnis und begegnet dem Vampir Raimond. In Raimond findet sie schnell ihre große Liebe und er erwidert ihre Gefühle gleichermaßen. Als sie herausfinden wer Elin ist und sie sich in ihre göttliche Gestalt, das weiße Einhorn, verwandelt, droht Elin Raimond zu vergessen. Stark verbunden durch ihre Liebe finden Raimond und Elin einen Weg dem Vergessen zu entrinnen und stellen sich gemeinsam der Aufgabe die Erde zu retten. Eine Geschichte voll Abenteuer, Liebe, Gefühl und Leidenschaft. Eine Achterbahnfahrt zwischen Hoffnung und Verzweiflung.

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Seitenzahl: 484

Veröffentlichungsjahr: 2017

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Inhaltsverzeichnis

Prolog: Elin

Raimond

Das Erwachen

Max

Der Ausbruch

Zuneigung

Leena

Wahrheiten

Railin

Ferdinand

Der Entschluss

Das Versprechen

Der Schattenwald

Götter

Das Rätsel

Der Plan

Hindernisse

Die Waldlinge

Die Erkenntnis

Agnes

Das Universum

Zugeständnisse

Schatten

Hoffnung

Iris

Die Gabe

Neue Perspektiven

Prolog

Elin

Ich falle. Der Strudel von Raum und Zeit wirbelt um mich herum. Jahrtausende, Jahrhunderte, die grenzenlosen Weiten des Universums, Galaxien der Unendlichkeit ziehen an mir vorbei. Ich falle vom Gipfel der Unendlichkeit auf die Erde, mit der Aufgabe die verlorene Zutat zur Entfaltung meiner göttlichen Macht zu finden und die Erde vor drohender ewiger Dunkelheit zu bewahren. Mein Name ist Elin, ich bin eine Göttin. Die letzte Göttin.

Vor beinahe tausend Jahren haben die Götter aufgehört zu existieren. Damals waren sie das letzte Mal auf der Erde gewesen, um die Erdenbewohner vor der Machtübernahme durch die Schatten zu bewahren. Der Kampf hatte vorerst in einer unbarmherzigen, brutalen Schlacht geendet, während der die Verbindung der Schatten zerschlagen und alle Götter, bis auf mich, durch das Tor der Unendlichkeit gegangen waren. Besiegt waren die Schatten jedoch nicht.

Nach jener letzten Schlacht war ich von meiner Schwester Iris und ihrem Hexenzirkel gerettet worden. Ich hatte gekämpft, hatte wie alle anderen versucht die Schatten auseinander zu treiben. Eine kleine Schattengruppe hatte es geschafft mich zu isolieren, doch bevor sie mich in den Strudel ziehen konnten, hatte ich mich mit letzter Macht aufgebäumt und mich aus ihrem Sog befreien können. Das hatte mich meine gesamte Kraft gekostet, ich hatte meine göttliche Gestalt nicht halten können, und war in meiner menschlichen Hülle auf die Erdoberfläche gestürzt, während die anderen Götter in die Unendlichkeit katapultiert wurden. Meine Schwester hatte mich zu den Elfen gebracht, mit deren Hilfe wir auf den Gipfel der Unendlichkeit geflohen waren.

Nun bin ich auf dem Weg zurück auf die Erde. Die Schatten verbinden sich wieder, sie versuchen erneut die Erde ins Dunkel zu stürzen. Doch wir können sie vernichten. Ich kann sie vernichten, wenn ich das Rätsel um die vollkommene göttliche Macht löse und diese Entfalte.

Das Rätsel lautet:

„ … Zu entfalten deine göttliche Macht füge hinzu was erschaffen dich hat … „

Die Zeit drängt und die Handlanger der Schatten, die dunklen Bewohner, Vampire, werden versuchen mich aufzuhalten.

Ich spüre die Erdanziehungskraft. Fühle die schwere. Ich kann es schaffen, muss es schaffen. Ich bin die letzte Hoffnung der Erdenbewohner. Die träge Schwerfälligkeit der Atmosphäre umfängt mich. Bremst mich. Mühselige Langsamkeit trägt mich Umlaufbahn für Umlaufbahn elendig schleichend näher an die Erdoberfläche heran. Tag- und Nachtphasen wechseln im Minutentakt, Wolken, erstrahlen schillernd in Morgen- und Abendrot. Was ist das? Etwas stimmt nicht! Ich falle! Die Atmosphäre verschlingt mich!

Elin schlug die Augen auf, es war dunkel, ihr Körper schmerzte furchtbar. Schemenhaft erblickte sie eine dunkle Gestalt, die sich über sie beugte. Diese Gestalt, … Ein Vampir!

>>Die Schatten…<<, flüsterte sie erschrocken und Dunkelheit umfing ihre Sinne.

1

Raimond

Raimond lief mit energischen, langen Schritten die kaum beleuchtete Straße entlang. Es war eine dunstige, dunkle Nacht, Nebelschwaden durchzogen die Häuserschluchten, der Asphalt schimmerte noch feucht vom abendlichen Regen. Er war bei Max gewesen. Wegen Max waren Thomas und er vor einem Jahr in die Stadt gekommen. Max hatte berichtet, dass vermehrt Schatten gesichtet worden waren und ein Angriff auf den Elfenstein bevor stand. Thomas und er sollten bei der Verteidigung helfen. Thomas, sein bester Freund, der ihm vor vielen Jahren das Leben gerettet und vor genau einem Jahr den Tod gefunden hatte. Er war von den Wölfen zerfleischt worden. Oben beim Elfenstein. Verzweifelte, zehrende Wut durchströmte Raimond bei der Erinnerung an jene Nacht. Thomas und er hätten die Gruppe Vampire, die von den Schatten mit dem Angriff auf den Elfenstein beauftragt waren, aufhalten können. Aber die Wölfe waren bereits zum Schutz der Elfen eingetroffen und Thomas war Mitten in das Gemetzel geraten. Wut und Trauer loderten in Raimonds Brust, als er in einer Seitengasse zwei seiner Artgenossen beim Jagen bemerkte. Normalerweise interessierten ihn die Jagdgewohnheiten seiner Artgenossen nicht, es ging ihn nichts an. Nur eine Sache war ihm wichtig, er ließ seine Opfer niemals leiden. Im Gegensatz zu den beiden Vampiren, die er in der Gasse bemerkt hatte. Sie spielten mit ihrem Opfer, was bedeutete sie waren nicht besonders hungrig. Zwei Vampire und ein junger Mann in Todesangst. Die Vampire schubsten ihr Opfer zwischen sich hin und her, wobei sie abwechselnd Schlückchen weise von im tranken und sich über die offensichtliche Angst des jungen Mannes amüsierten. Das war die Sorte Vampire, die von den Schatten eingespannt werden und die Raimond dafür hasste. Die Szene, die sich im darbot widerte ihn an. Es waren bestimmt nicht diese zwei gewesen, die vor einem Jahr an dem Angriff auf den Elfenstein beteiligt gewesen waren, aber das war Raimond egal. Sie hätten es sein können. Mit all seiner Wut ging er auf die zwei los, prügelte brutal auf sie ein. Er wollte ihren Tod.

>>Verschwinde von hier!<<, befahl er gerade noch dem jungen Mann, der vor Angst wimmernd am Boden kniete, bevor er den einen Vampir mit einem Hieb gegen die Hauswand schmetterte, dass ihm mit lautem, knirschenden Knacken das Rückgrat brach und er zunächst bewegungsunfähig auf dem Bauch liegen blieb. Blut rann ihm aus einer klaffenden Wunde aus dem Hinterkopf. Den anderen packte Raimond an der Gurgel, drückte ihm den Hals zu und wollte ihm mit der nächsten Bewegung den Kopf abreißen, doch der Andere hatte sich erstaunlich schnell regeneriert und packte Raimond von hinten mit dem Arm um den Hals. Der Griff war nicht besonders fest, einen rippenbrechenden Tritt in den Bauch musste er jedoch einstecken, bevor er sich aus dem Griff befreien, seinen Angreifer über die Schulter zu Boden befördern und ihm den Kopf von den Schultern reißen konnte. Der verbliebende Gegner trat Raimond, der noch über seinem Opfer gebeugt, dessen Kopf in den Händen hielt, gegen den Kopf, dass sein Kiefer brach und er rücklinks zu Boden krachte. Blut rann ihm aus dem Mund, seine Rippen waren noch nicht wieder ganz regeneriert, als sein Gegner ihn an den Haaren packte und gegen die Hauswand presste. Aber Raimonds Wut war noch nicht verflogen. Er sammelte seinen Kräfte und rammte dem Vampir mit dem er kämpfte die Faust in die Brust. Die oberste Schicht von Haut und Sehnen zerriss unter der Wucht seines Hiebes. Raimond drang mit der Faust in den Körper seines Gegners ein, suchte das Herz, packte es und riss es mit einen schnellen Ruck heraus. Sein Gegner blickte noch eine Sekunde ungläubig auf sein Herz in Raimonds Hand, bevor er leblos zusammen brach und zu Boden sackte. Raimond stand einen Moment schwer atmend da, blickte hinab auf seine Opfer, dann ließ er das Herz neben den am Boden liegenden Kadaver fallen. Es schlug mit einem schmatzenden Geräusch auf. Raimond stieg über die zerfetzten Kadaver hinweg, ließ sie liegen, bis zum Morgengrauen würden sie bereits unkenntlich verwehst sein. Er schritt die zwielichtig beleuchtete Straße entlang. Er war noch immer wütend und aufgewühlt, das Scharmützel hatte ihm nicht die gewünschte Befriedigung der Rache gebracht. Er musste an den Ort zurückkehren, an dem Thomas ein Jahr zuvor den Tod gefunden hatte. Er musste hinauf zum Elfenstein, sonst würde er keine Ruhe finden, selbst auf die Gefahr hin das nächste Opfer der Wölfe zu werden.

Es war nicht weit bis zu ihm nach Hause. Raimond stapfte, mit sich und der Welt hadernd, die drei Häuserblocks entlang, bis er das ehemaligen Fabrikgebäude in dem er sich ein Loft eingerichtet hatte, erreichte. Sein Auto parkte direkt davor, er musste nicht hinauf, die Autoschlüssel hatte er immer dabei. Er ließ den Motor an und bog mit quietschenden Reifen auf die Straße. Er raste die dunkle, regennasse Straße entlang, die Häuserschluchten der Stadt mit ihren matten, gelblich scheinenden Straßenlaternen zogen schemenhaft an ihm vorüber. Erst, als er die Waldgrenze erreicht hatte beruhigte er sich langsam und fing an seine Umgebung wieder wahrzunehmen. Es war nicht mehr weit bis zur Abfahrt ins Dickicht des Waldes, von wo aus er nur noch zu Fuß weiter konnte. Was mache ich hier eigentlich, fragte er sich grimmig. Dieser Ort war gefährlich für ihn. Die Wölfe waren vermutlich in der Nähe und sobald die Elfen seine Gegenwart spürten, würden sie ihren Schutzwall errichten. Aber das war Raimond egal, es trieb ihn in diesen Wald. Er musste dort hin. Er lenkte den Wagen scharf von der Straße in eine kaum als Weg erkennbare Lücke zwischen den dichtstehenden Stämmen. Als das Dickicht zu eng wurde hielt er den Wagen an, stellte den Motor ab, besann sich, bevor er ausstieg. Etwas stimmte nicht. Mit einem Mal war seine Wut vollkommen verflogen und seine Vampirsinne in Alarmbereitschaft. Er stieg langsam aus und lauschte in den Wald. Es war mucksmäuschenstill, nicht ein Blatt regte sich, absolute Windstille. Normalerweise regte sich so viel Leben im Wald, dass es ihm beinahe zu laut war, wenn er sein Vampirgehör einsetzte. Aber es war nichts zu hören, absoluter Stillstand. Raimond ging langsam in den Wald hinein, seine eigenen Schritte so leicht und lautlos, wie es ihm als Vampir möglich war. Was ging hier vor? Es wäre das schlaueste gewesen so schnell wie möglich das Weite zu suchen, aber das konnte er nicht. Er musste wissen was passierte, außerdem zog ihn etwas ungreifbares weiter. Er konnte nicht stehen bleiben. Die Lichtung mit dem Elfenstein war schon fast in Sichtweite als es losbrach. Ein ohrenbetäubendes Getöse, wie startende Turbinen eines Düsenjets, woraufhin eine Explosion in der Nachtluft zerbarst. Raimond platzten augenblicklich die Trommelfelle, der stechende Schmerz zwang ihn in die Knie. Dann fegte ein Windwirbel über ihn hinweg, der ihn gegen einen, unter der Sturm Böe ächzenden, Baumstamm schmetterte. Ein greller Blitz blendete ihn, bevor er unsanft zu Boden stürze. Ein wildes Getöse rund um ihn herum, das so schnell vorüber war, wie es angefangen hatte. Raimond lag auf dem Bauch im Unterholz des Waldes, wartete auf die vollständige Regeneration seines Körpers, lauschte. Ein derartiges Wetterphänomen hatte er noch nicht erlebt, eine solch spontane, kurze, explosive Energieentladung war ungewöhnlich aber sicher nicht ausgeschlossen. Er brauchte einige Minuten, bis sich seine Augen von dem grellen Blitz erholt hatten, doch dann erblickte er etwas. Ein schwaches Schimmern im völligen Dunkel des Waldes, nur wenige Meter von ihm entfernt, zwischen den Wurzeln einer riesigen, uralten Eiche. Raimond rappelte sich langsam auf, lauschte, bewegte sich beinahe lautlos in Richtung dieses Schimmerns. Als er angekommen war, glaubte er seinen Augen nicht zu trauen. Eingebettet in die Wurzeln dieses gigantischen Baumes lag ein Menschenmädchen, eine junge Frau, bewusstlos, nur bekleidet mit einem hauchdünnen hellblauen Hemd, das ihren Körper gerade notdürftig bedeckte. Sie hatte sehr lange weißblonde Haare, die sie wie eine vom Mond angeleuchtete Wolke einrahmten. Raimond, noch immer verdattert über seine Entdeckung, kniete sich neben das Mädchen und strich ihr eine Haarsträhne aus der Stirn, was ihr Gesicht zu Vorschein brachte. Ihre makellose, elfenbeinfarbene Haut schimmerte wie Sternenglanz. Sie sieht aus wie eine kleine Fee, dachte Raimond und schalt sich im selben Augenblick selbst für diesen aberwitzigen Gedanken. Er berührte sie leicht am Arm, versuchte sie zu wecken. Als sie begann sich zu bewegen sprach er sie leise an. >>Hallo<<, sagte er sanft.

Elin schlug die Augen auf und blickte ihm direkt in seine.

>>Die Schatten…<<, flüsterte sie erschrocken und ihr schwanden die Sinne.

Raimond traf es wie ein Schlag, durchzuckte ihn wie ein Blitz. Kurz war er nicht in der Lage zu denken, doch dann realisierte er wieder wo er war. Die Geräusche des Waldes kehrten zurück, es rumorte, die Wölfe waren nicht weit. Es war gefährlich. Sanft hob er das Mädchen auf und so schnell er konnte zurück zum Auto.

2

Das Erwachen

Was hatte das zu bedeuten? Was hatte dieses Mädchen dort oben in den Wäldern zu suchen? Dieses Mädchen mit den ungewöhnlichsten Augen, die Raimond je gesehen hatte, welches jetzt bewusstlos in seinem Bett lag. Diese Augen. Was war es, das diese Augen so ungewöhnlich machte? So weit wie die Tiefen des Universums, als ob all umfassendes Wissen in ihnen verborgen wäre, in einem tiefdunklen, ruhigen blau, gespickt mit kleinen tanzenden Fünkchen. Dieser eine panikerfüllte Blick, bevor sie ohnmächtig geworden war hatte ihn völlig aus der Fassung geworfen. Er fühlte sich auf unerklärliche Weise für sie verantwortlich und fühlte eine Art Beschützerinstinkt in sich aufkeimen. Doch da war noch ein anderes Gefühl, welches sich in ihm ausbreitete, ein Gefühl, das er nicht zu beschreiben vermochte, so etwas wie eine dunkle Vorahnung stieg in ihm auf. Was hatte sie mit den Schatten zu tun?

Raimond erinnerte sich an den ersten Versuch der Machtübernahme durch die Schatten vor beinahe tausend Jahren. Er dachte nicht gern daran zurück, es war eine verdammt dunkle Zeit gewesen. In diese Welt der Zerstörung geboren, hatte er kurz in ihr gelebt, war getötet worden, verwandelt und hatte schließlich selbst unter dem Zwang der Schatten gedient.

Er wusste was die Schatten wollten. Weltherrschaft. Warum? Darauf hatte er keine Antwort, er war einer ihrer manipulierten Handlanger gewesen, der die Drecksarbeit ausgeführt hatte. Der Auftrag, zerstöre, terrorisiere, töte, erschaffe neue Vampire, vergrößere die Armee. Die Manipulation erreichen die Schatten durch Eindringen in die Köpfe willensschwacher Wesen, pflanzen ihren Auftrag ins Bewusstsein und ziehen weiter, mit dem Ziel die vollständige Verbindung zu vollziehen.

Raimond schauderte beim Gedanken an diese heimtückischen, hinterhältigen, bösartigen, manipulierenden Wesen, die auch ihn selbst schon einmal kontrolliert hatten. Er wollte das nie wieder erleben. Die Schatten ließen damals die dunklen Bewohner die Menschen terrorisieren, und Vampire waren es, die damit beauftragt gewesen waren die Elfensteine zu zerstören. Sie sind es wieder. In jenen dunklen Umständen war Raimond zum Vampir geworden und terrorisierte, mordete, zerstörte. Heute war er alles andere als Stolz darauf, aber damals kannte er es nicht anders. Und dann. Dann waren die Schatten plötzlich verschwunden. Nicht vernichtet, aber weg. Mehr wusste er nicht. Die Manipulation jedoch hielt bei den meisten dunklen Bewohnern weiterhin an, sie überfielen und mordeten, wie es ihnen zuvor die Schatten befohlen hatten. Doch die Erdenbewohner fingen an sich zu wehren, sie hatten gespürt, dass die drohende Dunkelheit verschwunden war. Sie hatten es schließlich geschafft sich zu befreien, lebten ungezwungen, hatten sich entwickelt. Doch wie lange noch? Die Dunkelheit hat sich wieder erhoben.

Raimond überlegte, was die Elfen wohl wissen mochten. Oft hatte er sich das bereits gefragt, mit dem Gedanken nach dem Warum gespielt. Wenn ich sie doch einfach nur fragen könnte, grummelte es erneut in seinem Gemüt, doch er kam wegen ihres Schutzwalles nicht nahe genug an sie heran. Mal davon abgesehen, dass sie auf Vampire im Allgemeinen nicht sehr gut zu sprechen sind, und sich Menschen nicht zeigen. Raimond selbst und Thomas hatten es sich zur Aufgabe gemacht die noch verbliebenen Elfensteine zu schützen und zu verteidigen. Sie wussten nicht, warum die Elfensteine so wichtig waren nur, dass sie auf der Zerstörungsliste der Schatten ganz oben standen, aber eben aus diesem Grund hielten Raimond und Thomas sie für besonders Schützenswert. Die Elfensteine, moosüberwachsen oder rankenüberzogen, liegen meist auf einer Lichtung tief im Wald versteckt. Es gibt nur noch wenige, weit verstreut, nach den vernichtenden Angriffen. Ihre Lichtungen sind mit einem Schutzwall vor dunklen Bewohnern versehen, ein Zauber, den ihnen die Hexen kurz vor ihrer Flucht gezeigt hatten, dieser Schutzwall lässt keinen dunklen Bewohner nahe an den Stein herankommen. Damals gab es diesen Verteidigungszauber noch nicht, dennoch hatten einige Elfen entkommen können. Raimond erinnerte sich, er war dabei gewesen, panisch hatten sie sich mit ihren kleinen Flügeln flatternd ins Unterholz gerettet, versteckt in Baumwurzeln wartend, bis sie es wagen konnten neue Steine zu besiedeln. Sie sind so groß wie ein menschlicher Finger und ähneln in ihrer Gestalt einer Mischung aus Raupe und Schmetterling, ohne Füße oder Arme, dafür überproportional große, scharfe Augen, noch ergänzt durch zwei wippende Fühler, und gespitzte Ohren. Eigentlich ganz putzig, überlegte Raimond, so lange sie einen nicht auf dem Kicker haben. Es war ihm im Grunde ganz recht nichts weiter mit ihnen zu tun zu haben, es reichte sie aus der Ferne zu beschützen, was ab und zu gar nicht so einfach war, weil sie die lästige Angewohnheit haben beim kleinsten Anzeichen von einem Vampir die Wölfe zu rufen. Wölfe, wie die, die Thomas zerfleischt hatten. Wut klopfte wieder in Raimonds Brust, auch wegen der Sinnlosigkeit, diese sturen kleinen Dinger, dachte er. Die Wölfe folgten ihren Instinkten, sie unterscheiden nicht, ein Wolf riecht einen Vampir, der Jagdtrieb wird ausgelöst, der Funke des Jagdtriebes springt im Rudel von Wolf zu Wolf, was das Rudel zu einer unaufhaltsamen Lawine zerfleischender Bestien werden lässt.

Raimond schauderte, er hatte keine Ahnung wie er die Schatten aufhalten sollte. Thomas und er hatten die Elfen und Menschen gegen die verwüstenden Vampire beschützt und verteidigt, doch Thomas war tot und gegen die Schatten selbst konnte er nichts ausrichten. Raimonds Blick fiel wieder auf das Mädchen in seinem Bett und er überlegte erneut, was sie darüber wissen konnte. Die Menschen hatten keinerlei Überlieferungen aus jener Zeit.

Raimond tigerte in seinem Loft auf und ab. Die Sonne würde bald aufgehen, das was man unter der dichten Dunstschicht der Stadt Sonne nennen konnte. Das Mädchen schlief noch immer, ihr wallendes fast weißblondes Haar, am Ansatz glatt, ringelte sich in den Längen zu weich fallenden großen Wellen, umrahmte beinahe ihren kompletten Körper, weshalb es so aussah, als liege sie auf einer bauschigen Wolke. Einige Male hatte sie sich unruhig gewälzt und es schien als würde sie jeden Augenblick aus einem Alptraum erwachen. Tat es aber nicht. Raimond wagte es nicht sie zu wecken. Sie führte offensichtlich einen inneren Kampf aus. Genau wie er. Er blieb an einer der Fensterfronten des riesigen Raumes stehen und blickte auf die unter ihm liegenden verhangenen Lichter der Stadt. Es war eine dunstige, dunkle Nacht. Ideal für jagende Vampire.

Vampire. Raimond sann über seine eigene Spezies. Was machte einen Vampir aus, einen dunklen Bewohner, wie sie im Volksmund genannt wurden? Äußerlich unterschieden sie sich kaum von den Menschen, nur in ihren Augen liegt beim genauen hinein sehen ein bedrohlicher, stechend heller Schein, der sie bläulich schimmern lässt, umrahmt von gemeißelten Gesichtszügen. Ihre lederne Haut spannt sich straff um ihre drahtig schlanken Körper, definiert wie bei Raubtieren, was ihre Bewegungen außerordentlich geschmeidig erscheinen lässt. Sie werden wegen ihrer Emotionslosigkeit gefürchtet, gnadenlos Jagen und Töten sie, wie es ihnen aufgetragen ist. Wenige, einzelne haben sich von dem Zwang befreit und haben ihre Menschlichkeit wiedergefunden.

Raimond sah an sich herunter, auf die deutlichen Spuren des Kampfes an seiner Kleidung. Er zog seine schwarze Lederjacke aus, die zuvor bereits einiges abgekriegt hatte und auch dieses Scharmützel überleben würde. Das weiße Shirt hingegen war nicht mehr zu retten, zerrissen und blutbefleckt. Seines eigenen Blutes und dem seiner Gegner. Beide tot. Er würde dieses Shirt noch wechseln müssen, bevor das Mädchen aufwachte schoss es ihm durch den Kopf. Doch zunächst schaute er, die Stirn an seinen am Fensterrahmen abgestützten Arm gelegt, in den Nachthimmel und dachte an die Ereignisse der letzten Nacht. Verdammt, dachte Raimond und die verzweifelte, zehrende Wut, die beim Gedanken an seinen toten Freund in ihm loderte, schäumte wieder auf. Er schlug mit der Faust gegen den stählernen Fensterrahmen. Angewidert riss er sich das besudelte Shirt vom Leib und ging ins Bad um sich Blut und Schmutz vom Körper zu waschen. Er stand vor dem großen, grell beleuchteten Spiegel im Badezimmer, der über dem Waschtisch hing, stützte sich mit beiden Armen auf, beugte sich vor und blickte sich selbst in die stechend blau schimmernden Augen. Seine dunkelblond, gelockten Haare, die ihm wild in die Stirn fielen, klebten ihm feucht und schmutzig von Blut und Dreck im Gesicht. Auf seiner nackten, drahtig muskulösen Brust waren die Spuren seiner Rippenbrüche bereits verschwunden. Er sah sich im Spiegel und zum wiederholten Male während des letzten Jahres fragte er sich, was das für eine Person ist, die ihn so bedauernswert verächtlich anschaut. Was war nur aus ihm geworden? Schnell entledigte er sich seiner Jeans und Stiefel, stieg unter die Dusche, wusch sich die Todessehnsucht der letzten Nacht aus den Poren. Als er den großen Raum wieder betrat hörte er an dem Atem des Mädchens, dass es aufgewacht war. Rasch zog er sich frische Hosen und ein sauberes Shirt über, bevor er langsam zum Bett herüber ging in dem sie lag.

Elins erster Gedanke galt dem äußerst kuriosen Traum den sie gehabt hatte. Sie war gefallen, tief und lange, sich im Kreis drehend. Lichtblitze, Galaxien, überall Sterne waren an ihr vorübergezogen. Dann Wolkenfetzen und schließlich war sie in einer Art Tornadoauge umhergewirbelt worden. Ihr Körper schmerzte. Jede einzelne Faser schien geprellt, oder kurz vorm zerreißen. Physischer Schmerz! Sie empfand physischen Schmerz! Warum kam ihr das so merkwürdig vor? Sie stöhnte leise auf, als sie versuchte sich zu bewegen, ein dumpfer aber intensiver Schmerz pochte in jeder ihrer Muskelfasern. Als sie die Augen aufschlug blickte sie an eine hohe graue Waschbetondecke, von breiten Stahlträgern gehalten. Ein mattes künstliches Licht erhellte notdürftig den Raum in dem sie sich befand. Was ist passiert? Wo bin ich? Ich liege in einem Bett?! Ihr Blick fiel auf die zwei massiven, hoch aufragenden Stahlpfosten am Fußende dieses überdimensional veranlagten Bettes in dem sie, eingewickelt in dicke Decken, umrahmt von aufgeplusterten Kissen, lag. Das Bett war so groß, sie hätte vier Mal hinein gepasst. Ein leichtes Panikgefühl stieg in ihr auf, ihr Herz begann zu rasen und ihr brach kalter Schweiß aus. Das war nicht richtig. Es stimmte etwas ganz und gar nicht. Aber was? Sie dachte fieberhaft nach, ihr Name war Elin und sie war auf der Erde und … Nichts. Absolute Leere, sie konnte sich an nichts mehr erinnern. Plötzlich blitzten in ihrem Kopf diese stechend hellen Augen auf, ihr Herz schien eine Sekunde auszusetzen um dann mit einem festen harten Schlag wieder in den gewohnten Rhythmus überzugehen. Sie hatte sich so sehr erschreckt, dass sie sich mit einem Ruck aufgesetzt hatte.

Sie saß schwer atmend in diesem riesigen Bett, als sie eine Bewegung wahrnahm. Eine dunkle Gestalt bewegte sich auf sie zu, kam näher, setzte sich auf die Kante des Bettes. Ihr Herz schlug ihr bis zum Hals. Die Gestalt war ein Vampir. Ein dunkler Bewohner!

Raimond versuchte sich ihr so langsam wie möglich zu nähern, >>Hallo<<, sagte er behutsam. Elin starrte ihn starr vor Angst aus ihren funkelnden Augen an. Und ja, er erinnerte sich richtig, so tief und weit wie das Universum.

>>Hab keine Angst. Ich tue dir nichts<<, sprach er langsam und ruhig, bemüht um einen beschwichtigenden Unterton. Kein Wunder, dass die Kleine Angst hatte. >>Ich bin Raimond. Verrätst du mir deinen Namen?<<

>>Du bist ein Vampir!<<, presste sie panisch hervor. Sie atmete schnell und hielt krampfhaft die Arme um ihre Knie geschlungen.

>>Das stimmt. Aber bitte glaube mir. Ich werde dir nichts antun<<, versuchte Raimond sie zu beschwichtigen.

Er neigte leicht den Kopf zur Seite und betrachtete sie einen Augenblick. Ihr wallendes, im weichen Seitenscheitel fallendes, von den Kissen zerzaustes Haar ringelte sich auf der Decke, die sie an sich herangezogen hatte. Krampfhaft versuchte sie ihre bebenden, blassrosa Lippen, eingefasst von ihrem elfenbeinfarben schimmernden Gesicht, zu beruhigen. Die Fünkchen in ihren Augen schienen in ihrer Angst schneller zu tanzen. Raimond war fasziniert, sie hatte etwas weltfremdes, entrücktes an sich, als käme sie aus einem weit entfernten Zauberland. Vielleicht war sie ja wirklich eine Fee. Raimond musste bei diesem Gedanken über sich selbst lächeln. Ihr Anblick war einfach bezaubernd.

>>Elin. Mein Name ist Elin.<<, flüsterte sie vorsichtig. Ihr Atem wurde ruhiger.

Raimond lächelte verzückt, >>Hallo Elin. Geht es dir gut?<<

>>Ich, ähm … Ich, Ich denke schon.<<, stammelte sie und begann sich umzuschauen, sie beruhigte sich ein wenig, sie schien nicht verletzt zu sein und dieser merkwürdige, verwirrt wirkende Vampir schien sie nicht fressen zu wollen. Er hat sogar irgendwie etwas liebenswürdiges an sich, dachte sie, als sie ihn betrachtete, so unbeholfen wie er da saß. >>Wo bin ich? Was ist passiert?<<, fragte sie dann, die Situation war ihr dennoch nicht geheuer.

>>Du bist in meiner Wohnung. Ich habe dich letzte Nacht bewusstlos im Wald gefunden und hierher gebracht. Es ist gefährlich da draußen. Was hast du denn da gemacht?<<, erklärte er, wartete ihre Antwort jedoch nicht ab, sondern fuhr mit der für ihn wichtigsten Frage fort. >>Du hast die Schatten erwähnt Elin. Was weißt du über sie?<<

Elin sah ihn nur verständnislos an, realisierte aber in diesem Augenblick erneut, dass sie keine Ahnung hatte. Ihr Kopf war leer, sie erinnerte sich an nichts. Sie kannte ihren Namen, wusste dass sie auf der Erde war, in diesem Bett saß und mit einem Vampir sprach. Das Panikgefühl steigerte sich wieder und sie fühlte wie sich eine heiße Flüssigkeit in ihren Augen sammelte. Was ist hier nur los? Was soll das? Wald? Schatten? >>Ich weiß es nicht!<<, brach es in verzweifeltem Schluchzen aus ihr heraus, >>Ich weiß gar nichts!<<

Tränen füllten schimmernd ihre Augen und rannen ihr schließlich über die Wangen. >>Ich erinnere mich an gar nichts Raimond. Ich weiß nicht wer ich bin!<<, hauchte sie atemlos vor Entsetzen. >>Ich weiß nicht was ich hier tue oder wo ich herkomme. Du sagst du hast mich im Wald gefunden aber ich weiß nicht wie ich dorthin gekommen bin.<< Elin weinte bitterlich. Sie fühlte sich verzweifelt und verlassen, schluchzend drückte sie ihr Gesicht in die Decke, die sie um ihre Beine gewickelt hatte.

Raimond sah sie fassungslos an. Seine Gedanken überschlugen sich. Sie weiß es nicht? Was sollte das heißen, sie weiß es nicht! Und jetzt weint sie auch noch. Oh Mann! Großartig! Was zu Hölle hab ich mir da schon wieder eingebrockt? Ein heulendes Menschenmädchen, das nicht weiß wo es herkommt! Und ich hab das Ding jetzt am Hals oder was. Verdammt! Und warum verdammt nochmal ist dieses kleine Ding so bezaubernd?! Du meine Güte! Raimond fühlte eine Art Hilflosigkeit in sich aufsteigen, ein Gefühl, mit dem er es in seinem langen Leben noch nicht zu tun hatte. Das verunsicherte ihn. Aber gleichzeitig meldete sich noch ein anderes Gefühl, welches sich als äußerst ausgeprägt entpuppte. Sein Beschützerinstinkt war erwacht, er würde auf dieses Mädchen aufpassen, koste es was es wolle.

>>Hey, hey, hey… Das wird schon wieder<<, war alles, was ihm einfiel. Unbeholfen fischte er ein Shirt, das auf dem Boden lag heran, um ihr damit die Tränen zu trocknen. Dabei stelle er sich so ungelenk an, dass Elin ihm schließlich das Shirt aus der Hand nahm und ihre Nase hineindrückte. Er schaute verlegen auf seine Knie, absolut unschlüssig was er tun sollte und rutschte nervös auf der Bettkante hin und her. Was war nur los mit ihm, dachte er, er war doch sonst nicht so unbeholfen. Er beschloss nicht albern zu sein, das war schließlich nur ein Menschenmädchen und streckte langsam seine Hand in ihre Richtung aus, sie wich nicht zurück, um ihr eine Haarsträhne aus der Stirn zu streichen. >>Du hast dir bestimmt nur den Kopf angeschlagen. Und nach ein wenig Ruhe ist alles wieder gut, dann bringe ich dich nach Hause<<, brummelte er unsicher. >>Ok?!<<, versuchte er eher sich selbst mit einem schiefen Lächeln zu überzeugen, als sie.

Die Tränen waren versiegt, Elin schnüffelte noch in Raimonds Shirt, welches außerordentlich gut roch, wie sie fand, und überlegte was sie tun sollte. Dieser etwas tollpatschig wirkende Vampir wollte ihr offensichtlich helfen, sie fühlte sich verloren und allein, aber konnte sie das Risiko eingehen zu bleiben?, er war ein dunkler Bewohner. Aber was für andere Möglichkeiten hatte sie? Sie wusste ja nicht einmal wo sie war, geschweige denn wohin sie gehörte, also beschloss sie diesem sonderbaren Exemplar eine Chance zu geben, sie fühlte er würde ihr nichts tun. >>Ok!<<, erwiderte sie schniefend, sah ihm direkt in seine stechend hellen Vampiraugen, spiegelte seine Geste, indem sie ihm eine seiner blonden Locken aus der Stirn strich, dabei sanft seine Schläfe streifte, den Kopf leicht neigte und ihm ein schüchternes Lächeln schenkte.

3

Max

Elin schaute sich in Raimonds Loft um, sie war allein. Raimond war zu einem Max gegangen, sie hatte ein Bad genommen, sich den Schmutz des Waldbodens abgewaschen und war in Raimonds Freizeithosen und Shirt geschlüpft. Die Sachen passten ihr einigermaßen, Raimond war nicht viel grösser wie sie selbst, vielleicht einen halben Kopf, nur die Hose musste sie am Bund umkrempeln. Das Loft, das oberste Stockwerk eines leerstehenden, ehemaligen Fabrikgebäudes bestand aus einem einzigen riesigen Raum, unterteilt von stählernen Stützpfeilern, nur das Badezimmer hatte einen kleinen abgetrennten Bereich auf der Rückseite. Die Rückwand mit einem vergitterten Aufzug als Eingang bestand aus einer massiven Steinmauer, die rundum von Fensterfronten ergänzt wurde, wodurch sich ein beeindruckender Panoramablick über die Stadt erstreckte, bei klarer Sicht, was recht selten vorkam, war sogar der angrenzende Waldrand erkennbar. Getragen wurde alles von massiven Stahlträgern, die sich über die Decke erstreckten. Der Eingang befand sich in der Mitte der Rückwand, etwas zurückgesetzt der Aufzug in einem kurzen Flur. Rechts davon stand das riesige, freistehende Bett, wodurch beinahe die komplette Seite des Raumes ausgefüllt wurde. Links vom Eingang erstreckte sich eine Küchenzeile, übergehend in einen Sitzbereich mit zwei gegenüber stehenden Sofas, in der Mitte ein flacher Wohnzimmertisch. Die Einrichtung an sich war eher zweckmäßig und unscheinbar, alles in Grautönen gehalten, es sah nicht so aus, als würde Raimond viel Zeit an diesem Ort verbringen, oder Wert auf eine individuelle Einrichtung legen. Es wirkte eher wie ein vorübergehender Rückzugsort, als ein zu Hause. Es gab keine Gardinen, oder Jalousien an den Fenstern, was Elin wunderte. Sie fragte sich warum ausgerechnet ein Vampir, dem Sonnenlicht unangenehm war, einen Ort bewohnte, der am Tag lichtdurchflutet war und nicht abgedunkelt werden konnte, später stellte sie fest, dass nur die schwachen, dunstverhangenen Strahlen des Sonnenunterganges tatsächlich den Raum erreichten. Noch mehr wunderte sie sich allerdings über die Tatsache, dass sie sich über diesen Aspekt wunderte. Wie hatte sie wissen können, dass Raimond ein Vampir war und diese das Tageslicht nicht mögen. Wieso waren ihr all die Gegenstände um sie herum und Gebräuche nicht fremd? Wie konnte sie ihren Namen kennen, aber nicht wissen woher sie kam? Was hatte sie nur in diesem Wald gemacht? Verdammt, dachte Elin in einem Anflug von Frustration. Sie fühlte sich hilflos und allein. Die Angst und Panik, die sie beim Aufwachen empfunden hatte waren Wut und Ärger gewichen. Ihre Hilflosigkeit frustrierte sie und das machte sie ärgerlich. Sie hoffte Raimond würde vielleicht schon irgendwelche Informationen über sie haben, wenn er zurückkam. Sie hatte keine Angst mehr vor ihm, sie vertraute ihm sogar, er würde ihr nichts tun, irgendetwas in ihr war sich dessen sicher. Es war zwar äußerst ungewöhnlich, dass sich ein Vampir um einen Menschen sorgte und dabei sogar etwas zu Empfinden schien, aber aus unerklärlichem Grund fühlte sie sich in seiner Gegenwart sicher. Es war zum verrückt werden. Elin pfefferte das schmutzige hellblaue Hemd, welches sie im Wald getragen hatte, wütend auf den Boden. Dann besann sie sich einen Augenblick. Es hatte keinen Sinn trotzig und wütend zu sein, die Dinge waren so wie sie waren. Sie hatte ihr Gedächtnis verloren.

>>Hey Mann, alles klar?<< Max stellte ein Glas und eine Flasche hochprozentiges an den Platz wo Raimond sich an die Bar setzte und musterte ihn, er war früh dran für seine Gewohnheiten. >>Du warst gestern Abend nicht wirklich gut drauf, als du gegangen bist.<<, bemerkte er, während er fortfuhr die Barbestände aufzufüllen. Er war mittleren Alters, hatte kurzgeschnittene, dunkle Haare und einen stämmigen Körperbau, welcher durch seine selbst auferlegte Arbeitsuniform, bestehend aus schwarzem, gebügeltem Hemd und Hosen, ergänzt durch eine ebenfalls schwarze Weste mit gelbem Einstecktuch, woneben zwei Stifte klemmten, unterstrichen wurde. Max litt ebenfalls unter dem Verlust von Thomas, weshalb er Raimond aus verständnisvollen, gutmütigen Augen ansah, während er den Abendbetrieb seines Restaurants vorbereitete. Max war eine Institution in der Stadt, standesübergreifend war sein Restaurant die beliebteste Adresse, was an seinem simplen, wie produktiven Konzept lag, welches vorsah für die Gerichte nur regionale Zutaten vom Marktplatz zu verwenden. Von langen Transportwegen für Lebensmittel hielt er nichts, es reichte, dass er eine Auswahl exklusiver Getränke für die abendlichen Besuche der High Society heranschaffen musste. Sein Publikum war genau so breit gefächert, wie sein Bekanntheitsgrad und seine bodenständige Speisekarte, machte ihn umso beliebter. Bei Max aß und unterhielt sich jeder gerne. Das Lokal an sich war aufgeteilt in einen Bar und einen Speisebereich, welcher schlicht aber stilvoll in gedeckten Farben gehalten war, ein hinterer separater Teil des Raumes wurde noch renoviert.

Raimond, der in seinem obligatorischen Jeans mit Shirt Outfit einen visuellen Stilbruch des Ambientes darstellte, schenkte sich ein, stürzte das Glas in einem Zug runter, schenkte sich nach, und stürzte das zweite Glas hinterher. Das dritte drehte er zwischen seinen Fingern und starrte hinein.

>>Ist was passiert?<<, fragte Max, der Raimond ansah, dass etwas im Busch war.

>>Nur das eine oder andere Scharmützel.<<, antwortete Raimond gedankenverloren. Er musste mit Max über Elin reden, er musste einen Plan machen, wie am besten vorzugehen war, um herauszufinden wer sie war und wie sie in die Schattengeschichte passte, wusste aber nicht recht damit herauszurücken, es war doch alles sehr mysteriös.

>>Ah. Du meinst die zwei Vampirkadaver, zwei Blocks von hier? Das warst du, ja?!<<, Max hatte vermutet, dass die zwei auf Raimonds Konto gingen, als er am Morgen von den Kadavern erfahren hatte, er sah Raimond jedoch an, dass das nicht alles war. >>Hmm. Ist es jetzt besser?<<

Raimond starrte noch immer in sein Glas. Dann blickte er hoch und sah Max direkt ins Gesicht. >>Max, ich glaub, ich hab da ein Problem.<<, startete er einen ersten Versuch.

Max war seltsam belustigt, Raimond saß auf seinem Hocker wie ein unbeholfener Teenager, >>Ein Problem?! … Oh Je, … was mag das wohl sein…?<<, er amüsierte sich über die hilflose Ernsthaftigkeit die Raimond ins Gesicht geschrieben stand. >>Kannst du dich nicht entscheiden welche Haarfarbe dein Abendessen haben soll? … oder …?<<, doch da war etwas von aufrichtiger Sorge in Raimonds Blick zu erkennen, was Max so gar nicht einordnen konnte, er wurde aufmerksam, da war tatsächlich etwas im Busch, dachte er.

>>Nein, ich meine es ernst Max!<< Raimond rutschte auf seinem Hocker nach vorne, stützte sich auf die Arme, nahm noch einen großen Schuck und sprach zögerlich weiter, >>Ich habe letzte Nacht etwas gefunden.<<

Max hob die Augenbrauen. >>Gefunden?<<

>>Ja, gefunden.<<, druckste Raimond, >>Oben beim Elfenstein.<<, er wusste, dass Max das nicht gefallen wird.

Max Stimmung änderte sich schlagartig, >>Du bist also gestern noch beim Elfenstein gewesen, ja?!<< Er hatte das insgeheim befürchtet, Raimonds unbedachter Leichtsinn ärgerte ihn, >>Mann du weißt das es gefährlich da oben ist. Vor allem für dich! Ich kann ja verstehen, dass du schräg drauf bist wegen Thomas. Aber so ein Scheiß ist echt überflüssig!<<

>>Ja, ich weiß!<<, diese Standpauke hatte Raimond erwartet, >>Es geht jetzt aber nicht um Thomas, sondern…<<, wie sollte er das nur erklären, dachte er und warum fiel es ihm so schwer?

>>Nicht um Thomas,<< Max war wirklich sauer, >>Ok! Um was geht es denn dann?<<, er machte sich Sorgen um Raimond und befürchtete er könnte etwas dummes anstellen. >>Was hast du denn da oben im Wald beim Elfenstein so grandioses gefunden, dass du nicht mit der Sprache rausrücken willst?<< Max hatte Raimond noch nie so erlebt, was konnte da nur hinter stecken, überlegte er.

>>Ein Mädchen.<<, sagte Raimond knapp und ärgerte sich, dass er nicht einfach einen sachlichen Bericht der letzten Nacht abliefern konnte, sondern irgendwie emotional reagierte. Er schaute von seinem Glas auf, dann wieder zurück und wieder auf Max.

Wie bitte?, dachte Max, das darf jawohl nicht wahr sein, >>Ein Mädchen?!?<<, und starrte Raimond, der bloß nickte, ungläubig an. >>Willst du mich verarschen?!<<, am liebsten hätte Max laut gelacht, so unerwartet wie diese Aussage ihn traf, doch aus Raimonds Blick sprach der pure Ernst, er rutschte auf seinem Stuhl hin und her, hielt sich an seinem Glas fest, dann stammelte er drauf los, >>Ja, ähm, Nein! Ihr Name ist Elin, da war ein Gewitter oben im Wald und dann lag sie da auf einmal bewusstlos unter einem Baum. Was hätte ich denn machen sollen? Sie liegen lassen? Sie ist jetzt oben bei mir im Loft, sie ist ein ganz bezauberndes kleines Ding. Nur hat sie ihr Gedächtnis verloren. Und jetzt… Ja, und jetzt…<<, und blickte Max erwartungsvoll an. Max glaubte nicht, was er da hörte, >>Sag mal, kann es sein, dass deine letzte Mahlzeit ein paar Zusatzstoffe enthalten hat?<<, und schüttelte ungläubig den Kopf. >>Im Ernst Rai! Was erzählst du mir da für eine Räuberpistole?<<

Raimonds erste Erleichterung wich leichter Verärgerung. >>Im Ernst Max<<, sagte er völlig ruhig, >>das Mädchen ist bei mir zu Hause.<<, er sah Max direkt in die Augen.

Max war noch immer perplex, lenkte aber ein. >>Also schön Rai. Dann erzähl mal bitte von vorne von deinem Waldmädchen.<<

>>Sie ist nicht mein Mädchen.<<, widersetzte Raimond und schenkte sich nach.

>>Aber bezaubernd. Ja?!<<, argumentierte Max mit hochgezogenen Augenbrauen.

Raimond brummelte nur eine Antwort vor sich hin, rutschte auf seinem Stuhl herum und begann Max die Ereignisse der letzten Nacht zu erzählen. Max runzelte die Stirn und sah Raimond ernst an. >>Bist du schon auf die Idee gekommen, dass dieses Mädchen von den Schatten auf den Elfenstein angesetzt worden ist?<<

>>Was? Das ist doch absurd. Wie kommst du denn darauf Max?<<, auf diese Idee war er tatsächlich nicht gekommen.

>>Was ist daran absurd Rai?<<, setzte Max an, der die gesamte Geschichte äußerst absurd fand und alles, was er nicht erklären konnte mit Misstrauen quittierte. >>Überleg mal. Die Schatten versammeln sich da oben hinter dem Bach im Unterholz des Nadelwaldes. Der Elfenstein ist ihnen noch immer im Weg, nachdem der Angriff letztes Jahr schief gegangen ist. Und so unschuldig deine Elin auch scheinen mag, sie war da oben und weiß etwas über die Schatten ... Richtig?<< Raimond hatte das Bild dieses bezaubernden Geschöpfes im Kopf und konnte sich beim Besten Willen nicht vorstellen Elin könnte auf der Seite der Schatten stehen und ihn ärgerte welche Richtung dieses Gespräch eingeschlagen hatte. >>Du denkst sie war manipuliert den Elfenstein anzugreifen? Wie hätte sie das alleine schaffen sollen?<< Das war wirklich absurd, dachte er.

>>Vielleicht war sie nicht allein, bevor dieses ominöse Wetterphänomen aufgetreten ist<<, konterte Max misstrauisch, >>es ist etwas schief gegangen und jetzt weiß sie nichts mehr davon, oder tut nur so. Kannst du diese Möglichkeit absolut ausschließen?<<

>>Nein<<, musste Raimond missmutig zugeben, ihm gefiel diese Wendung absolut nicht, er blinzelte Max ärgerlich an, der bereits fortfuhr, >>Also gut, dann schlage ich vor, du behältst die Kleine im Auge, falls die Schatten versuchen sie zu reaktivieren. Ich hör mich um, ob jemand mit ihrer Beschreibung auffällig geworden, oder vermisst wird und ich schicke jemanden hoch um nach den Elfen zu schauen.<<

Raimond war enttäuscht, er hatte sich darauf gefreut gemeinsam mit Max zu überlegen, was zu tun war, er war aufgeregt gewesen von seiner Entdeckung zu berichten und einen Plan zu machen, dass sein Besuch so endet hatte er nicht erwartet, dennoch lenkte er ein, der Plan klang vernünftig. >>Ok Max. Wir müssen eh rausfinden wohin sie gehört.<< Er hatte nicht erwartet, dass sein Freund so feindselig auf seine Entdeckung reagieren würde. >>Kannst du mir bitte noch etwas zu Essen für sie einpacken, sie muss schon halb verhungert sein.<< Sein Beschützerinstinkt war wieder erwacht und mischte sich in seine Enttäuschung über diesen Besuch, was ihm aber eine klare Erkenntnis bescherte. Er fing an sich Sorgen um Elin zu machen, sie war ganz alleine bei ihm zu Hause. >>Max<<, begann er selbstsicher, >>sie ist nicht manipuliert … Noch nicht! Wir müssen sie vor den Schatten beschützen, sie sind hinter ihr her … Da bin ich mit sicher.<<

>>Mir gefällt die Geschichte nicht Rai. Da ist was im Busch.<<, brummte Max zum Abschied.

4

Der Ausbruch

Elin saß auf einem der hohen Hocker in Raimonds Küchenzeile und beobachtete ihn, wie er ihr das Essen von Max auf einen Teller füllte. Er stand mit dem Rücken zu ihr, so dass sie seine schlanke, drahtige Gestalt betrachten konnte. Seine Muskeln an Rücken und Armen zeichneten sich detailliert unter dem dünnen Stoff seines eng anliegenden, dunkelgrauen Shirts ab, dessen Ärmel er bis zu den Ellenbogen hochgestreift hatte. Er war trotz seiner Muskeln eher schmal gebaut, was seine raubtierhaften, eleganten Bewe gungen als Vampir noch unterstrich. Elin fuhr mit ihrem Blick von seinen nackten, recht großen Füßen, über seine langen, schlanken Beine, an der kleinen Wölbung seines Hinterteiles kurz innehaltend, weiter über seinen Rücken, hinauf zum Kopf, wo sich seine goldblonden Locken im Nacken kräuselten. Irgendwie konnte sie ihren Blick nicht abwenden, seine Gestalt hielt sie gefangen. Mit seinen kräftigen, sehnigen Händen, die so aussahen, als ob sie schon viel grobe Arbeit geleistet hatten, hielt er einen Teller voll mit dampfendem Essen, als er sich zu ihr umdrehte. Eine seiner Locken hing ihm in der Stirn und Elin juckte es in den Fingern ihm diese Strähne hinters Ohr zu streichen, wie sie es schon zuvor getan hatte. Er stellte den Teller vor ihr auf die Theke und reichte ihr Besteck.

>>Was ist?<<, fragte Raimond, der Elins Blick nicht deuten konnte. Den ganzen Rückweg von Max hatte er befürchtet sie könnte weggelaufen sein wenn er zurückkommt, zu verdenken wäre es ihr nicht. Umso mehr hatte er sich gefreut sie zu sehen, als er zu Hause angekommen war, sie trug seine Sachen, was ihn schmunzeln ließ. Eine Welle der Erleichterung hatte ihn durchflutet und was ihn noch mehr freute war, dass sie anscheinend keine Angst mehr vor ihm hatte und nicht mehr so verzweifelt war. Sein Entschluss stand fest, er würde ihr helfen und sie beschützen.

>>Nichts<<, antwortete Elin und griff nach Messer und Gabel. Ein wunderbarer Duft des großen Berges gekochter Kartoffeln mit geschmortem Fleisch und dicker Bratensoße stieg ihr in die Nase, augenblicklich zog sich ihr Magen vor begehren zusammen. Sie hatte keine Ahnung gehabt, wie hungrig sie war und begann begeistert zu essen. Es schmeckte wunderbar und ein warmes, wohliges Gefühl breitete sich in ihrem Körper aus. Raimond lehnte auf der anderen Seite der Theke an die Arbeitsplatte der Küchenzeile und lächelte über ihren gesunden Appetit. Als sie den Teller halb aufgegessen hatte und der erste brennende Hunger gestillt war regte sich Elins Neugier.

>>Hast du etwas über mich herausgefunden?<<, fragte sie, während sie Kartoffeln mit Bratensoße zusammenstampfte. Sie hatte sich gefreut ihn zu sehen, als er endlich nach Hause gekommen war und nicht nur weil sie auf Neuigkeiten gewartet hatte.

Raimond verschränkte die Arme vor der Brust und sah sie ernst an, >>Nein. Noch nicht. Sieh Elin das ist nicht ganz so einfach, du bist dort oben aufgetaucht wie aus dem Nichts.<<, er wollte ihr behutsam beibringen, dass es eine Weile dauern konnte und wollte unbedingt vermeiden, dass sie wieder anfing zu weinen. >>Aber es gibt einen Plan.<<

>>Warum hast du mich mitgenommen?<<, fragte Elin weiter, wenn es schon keine Informationen über sie gab, wollte sie mehr über diesen seltsam menschlichen Vampir erfahren, >>Es scheint, ich mache dir einen Haufen Umstände.<< Elin manschte weiter in ihren Kartoffeln und sah ihn neugierig an. Raimond stieß sich von der Arbeitsplatte ab und setzte sich auf den Hocker ihr gegenüber. >>Sag mal, hätte ich dich einfach liegen lassen sollen? Wohlmöglich hätten dich die Wölfe zerfetzt, oder die Schatten hätten dich geholt. Irgendetwas ist dort oben letzte Nacht passiert und du steckst da mitten drin und wir werden herausfinden was du damit zu tun hast.<< Raimond war wieder vom Hocker aufgestanden, er war aufgewühlt und versuchte eigentlich wieder eher sich selbst zu überzeugen, als sie. Unruhig lief er in der Küchenzeile auf und ab.

>>Danke<<, sagte Elin sanft. Raimond blieb abrupt stehen, drehte sich zu ihr um und sah sie verwundert an, >>danke, dass du mich gerettet hast und mir jetzt hilfst. Weißt du, … es macht mich wahnsinnig nicht zu wissen wer ich bin. Ich muss diese Tatsache für den Augenblick akzeptieren und das ist verdammt schwierig. Aber sag mir bitte wenn es irgendetwas gibt was ich tun kann, um dir bei der Suche nach meiner Identität zu helfen, diese Ungewissheit ist schrecklich!<< Elin schaute ihm direkt ins Gesicht und er sah die ehrliche Verzweiflung in ihrem Blick, es rührte ihm das Herz, er durchquerte die Küchenzeile, nahm eine ihrer Hände zwischen seine und sah sie eindringlich an. >>Elin, ich verspreche dir, dass ich alles tun werde um dir zu helfen<<, er zögerte, natürlich könnte er jetzt sofort mit ihr in den Wald fahren, wo er sie gefunden hatte und versuchen, ob ihre Erinnerungen wieder kommen würden. Das wäre das logischste, doch wenn die Schatten hinter ihr her waren, überlegte er weiter, würden sie auch dort sein und auf sie warten. Er konnte sie keinesfalls erneut dieser Gefahr aussetzen, außerdem wollte Max jemanden nachsehen lassen, ob es dort Spuren gab. Nein, überlegte er weiter, wenn er sie mit raus nehmen würde, würde er sich permanent Sorgen um sie machen und könnte sich nicht auf die Spurensuche konzentrieren, deshalb fuhr er fort, >>für den Augenblick hilfst du mir am meisten, wenn du hier bleibst. Hier bist du in Sicherheit. Du scheinst der Teil von etwas größerem zu sein, das werde ich dir noch erklären. Vertraust du mir? Und bleibst erst einmal hier?<<

Elin atmete tief ein, hier bleiben und nichts tun? Das gefiel ihr nicht sonderlich, aber wenn es tatsächlich gefährlich war rauszugehen, blieb ihr wohl nichts anderes übrig. Was meinte er mit `Teil von etwas größerem`? Konnte sie ihm vertrauen? Aber diese Frage hatte sie sich bereits selbst beantwortet. Sie horchte auf ihr Gefühl und das sagte ihr, dass sie diesem Vampir glauben konnte. >>Ok, Raimond, ja ich vertraue dir … Also, was ist der Plan?<<

>>Isst du das noch auf?<<, fragte Raimond auf ihren halb leeren Teller deutend, froh über ihre Antwort und den Funken Kampfgeist in ihrer Stimme, keine Spur mehr von verzweifelten Tränen. Elin schaute überrascht auf ihren Teller, den hatte sie ganz vergessen. >>Ja, tue ich.<<, sagte sie bestimmt und fing wieder an zu essen.

>>Gut!<< Raimond ließ ihre Hand lächelnd los. >>Also, der Plan sieht erst einmal so aus, dass Max und ich uns umhören, ob jemand mit deiner Beschreibung vermisst wird oder irgendwie auffällig geworden ist. Ich denke, dass wir nicht direkt morgen, aber bald eine Spur haben werden.<<

>>Wer ist Max?<<

Oh je, dachte Raimond, Konversation, reden war nicht wirklich seine Stärke, er würde ihr viel lieber einfach nur beim Essen zuschauen, was ihm überraschender Weise Freude bereitete, aber natürlich war sie neugierig. Und Reden war besser als Tränen, also, >>Max ist ein Freund, ein Mensch. Ihm gehört ein Restaurant und er kennt ne Menge Leute, von denen ihm einige noch Gefallen schuldig sind … er hat das Netzwerk bereits in Gang gesetzt, es sollte nicht lange dauern bis er jemanden gefunden hat, der dich kennt.<<

Elin kratzte die letzten Reste Soße von ihrem Teller und schob ihn nachdenklich zur Seite. >>Das hört sich irgendwie so an, als ob ihr denkt ich wäre als Partygag im Wald ausgesetzt worden.<<

Raimond, der nach ihrem Teller gegriffen hatte hielt in der Bewegung inne und schaute sie sehr ernst an. >>Nein Elin das glauben wir nicht, ich wünschte es wäre so einfach. Es tut mir leid, wenn ich mich eben etwas unbekümmert ausgedrückt habe. Ich wollte dir nur Mut machen, aber ehrlich gesagt vermuten wir, dass die Sache sehr ernst ist. Und ich hoffe sehr, dass wir verdammt schnell herausfinden wie du da hinein passt … ach so, im Übrigen, der Polizeichef gehört mit zum Netzwerk, er ist eingeweiht.<<

>>Warum denkt ihr es ist so ernst?<<

>>Weil du die Schatten erwähnt hast!<<

Elin schreckte ein wenig zusammen. Raimond war es wirklich ernst, er war beinahe laut geworden. Sie überlegte angestrengt. >>Nach den Schatten hast du mich schon einmal gefragt. Ist das die größere Sache von der du gesprochen hast?<<

>>Ja, und ich werde dir alles erklären<<, in diesem Augenblick wünschte er sich inständig, Max würde anrufen und die ganze Sache tatsächlich als Partygag klarstellen, aber das passierte nicht, >>erinnerst du dich denn wirklich an überhaupt nichts?<<

Jetzt war es Elin die beinahe laut wurde, sie sprang verärgert vom Hocker auf und sagte mit Nachdruck, >>Nein Raimond … Nein, da ist nur ein dunkles Nichts in meinem Kopf, ein großes schwarzes Loch, und das macht wahnsinnig. Ich habe den ganzen Tag versucht mich an irgendetwas zu erinnern, aber nichts, … absolut nichts. Ich meine, das kann doch nicht sein! … Ich fühle mich so hilflos und das macht mich wütend. Denkst du nicht, ich würde es dir sagen, wenn ich etwas wüsste?!<<

Wow, dachte Raimond, da hat aber jemand verstecktes Temperament, wo war denn das kleine verängstigte Mädchen geblieben? Diese Überraschung störte ihn absolut nicht, im Gegenteil, trotzdem versuchte er sie zu beruhigen. >>Schon gut. Schon gut.<<,sagte er und ging beschwichtigend auf sie zu. >>Natürlich würdest du das. Das weiß ich. Es ist nur…<<

>>Es ist nur was?<<, brause sie ihn an.

>>Es ist nur, dass Max denkt du könntest etwas mit einem erneuten Angriff auf den Elfenstein zu tun haben<<, platzte es aus ihm heraus, er hatte ihr das eigentlich nicht erzählen wollen, aber es war besser, wenn sie es wusste, >>und unter dem Einfluss der Schatten stehen.<<

Elin schwieg und starrte ihn an, ihr schwirrte der Kopf. Das war tatsächlich ein größeres Ding. Ein Ding, das sie nicht verstand. Max war wohl sehr misstrauisch, dachte sie, aber das würde Raimond ihr schon noch erklären, es schien jedoch gerade eine ganz andere Frage im Raum zu stehen. Es schien nicht nur darum zu gehen ob sie Raimond vertraute, sondern auch, ob Raimond ihr vertraute. Sie stellte sich ihm gegenüber und sah ihn direkt an. >>Glaubst du das auch Raimond? … Ich verstehe zwar gerade nicht worum es geht, aber glaubst du das auch, was Max glaubt?<<

Er erwiderte ihren Blick und antwortete ruhig. >>Nein. Ich glaube das nicht.<<

In diesem Augenblick trafen sie eine stillschweigende Übereinkunft. Er vertraute ihr genauso blind, wie sie ihm, rein aus einem inneren Gefühl erschaffen, verband sie das Wissen um diese Tatsache.

>>Dann erkläre mir bitte die Zusammenhänge. Bevor ich komplett durchdrehe.<<

>>Ok<<, stimmte Raimond zu, sah sie aber eindringlich mit gerunzelter Stirn an, sie schien ihm ein wenig blass um die Nase, >>möchtest du, dass ich einen Arzt rufe, der sich deinen Kopf ansieht? Ich hatte das nicht für nötig befunden, weil es dir soweit gut geht, aber…<<

Kopfschüttelnd unterbrach Elin ihn, >>Schon gut, das ändert doch auch nichts … komm, erzähl mir von den Schatten.<<

Raimond führte sie zu einem der Sofas, sie setzten sich, der Raum lag im Zwielicht der dunstverhangenen, untergehenden Sonne und Raimond erzählte ihr die wichtigsten Zusammenhänge über die Verbindung der Schatten, nur Thomas erwähnte er nicht.

Während der nächsten Tage traf sich Raimond täglich mit Max, sie tauschten Rechercheergebnisse aus und stellten neue Pläne auf, es stellte sich jedoch heraus, dass es absolut keine Spur zu Elins Identität gab, sie schien buchstäblich vom Himmel gefallen zu sein und auch am Elfenstein gab es keine besonderen Aktivitäten. Elin wurde zunehmend unruhiger, ihr Gefühl, dass etwas ganz und gar nicht in Ordnung war verstärkte sich täglich, dazu machte ihr die Untätigkeit mehr und mehr zu schaffen. Sie ging die Schattengeschichte immer wieder im Kopf durch und überlegte fieberhaft welche Rolle sie dabei spielen könnte, es war wirklich unheimlich was da vor sich ging und sie war froh, dass Raimond sie davor beschützen wollte, dennoch lief sie unruhig in der Wohnung umher wenn er nicht da war, sie wusste sie war nicht eigesperrt, fühle sich aber so. Raimond war sehr zuvorkommend, er versuchte sie abzulenken, während Max Leute versuchten Erkundigungen über sie einzuholen, dennoch es war frustrierend wie die Tage ohne Ergebnisse dahin gingen. Sie konnte doch nicht einfach vom Himmel gefallen sein, dachte sie niedergeschlagen. Raimond brachte ihr jeden Tag warmes Essen und leistete ihr Gesellschaft, einen Tag hatte er ihr einen besonderen Nachtisch mitgebracht, Max berühmtes Schokoladensoufflé, er hatte gemeint, er hätte gehört, es wäre das Beste der Stadt. Sie freute sich, wenn er da war und Zeit mit ihr verbrachte, sie fühlte sich wohl in seiner Nähe, und auch er freute sich offensichtlich über ihre Anwesenheit, immer wenn er nach Hause kam strahlte er sie übers ganze Gesicht an und sie hatte schlagartig bessere Laune. Sogar seinen Rhythmus hatte er für sie umgestellt, er fand es zwar nicht so erfreulich hauptsächlich tagsüber unterwegs zu sein, aber es war zweckmäßig, so konnte er den Ermittlungsstand besser verfolgen und nachts, wenn Elin schlief, auf sie aufpassen. Eines Abends hatte er ihr theatralisch aus der Tageszeitung vorgelesen, er hatte so übertrieben, dass sie Tränen gelacht hatte. Alle Aufmerksamkeit und Zuneigung nützten am Ende jedoch nichts gegen Elins brennendes Verlangen raus zu wollen, sie hatte mehrfach mit Raimond diskutiert, ja fast gestritten und sie verstand auch seine Argumente, aber das Gefühl blieb und wurde immer stärker, wie ein körperliches Bedürfnis. Sie musste raus. Elin hörte den Fahrstuhl, endlich, dachte sie. Raimond war länger als sonst weggeblieben, es war schon eine ganze Weile dunkel und es war ein besonders schlimmer Tag für sie gewesen. Sie war die ganze Zeit umhergelaufen, ihr Kopf tat weh und sie fühlte sich, als würde sie jeden Moment zerspringen.

Raimond kam strahlend aus dem Fahrstuhl, die obligatorischen Essensboxen auf dem Arm balancierend. >>Es tut mir leid, dass es später geworden ist. Ich wollte dich anrufen, aber…<<, rief er ihr aus dem Flur zu.

Elin lief ihm entgegen, sie hielt es nicht mehr aus. >>Raimond ich muss hier raus.<<, fiel sie ihm ins Wort. >>Ich kann nicht mehr! Ich platze!<<, rief sie und sah ihn flehend an. Raimond ging auf sie zu, legte seine Hände auf ihre Arme, sie zitterte vor innerer Anspannung. >>Das hatten wir doch schon Elin. Es ist im Moment noch zu gefährlich, wenn…<<

>>Ja, ich weiß das hatten wir schon.<<, platzte es aus ihr heraus, >>Mehr als einmal … Zu gefährlich … Und wenn…! Ich verstehe das ja auch! Aber Raimond versteh du mich. Ich kann nicht mehr!<<

Sie schrie ihn beinahe an. Ihr gesamter Körper war angespannt, die Verzweiflung stand ihr ins Gesicht geschrieben. >>Ich will doch nicht weg von dir. Ich will doch nur raus! Bitte!<<, flehte sie, doch lag auch noch etwas unnachgiebiges in ihrer Stimme. Jeder Muskel ihres Körpers war angespannt, sie wollte ihn nicht anschreien, aber sie hatte keine Kontrolle mehr über das, was aus ihr herausbrach. Es ging alles sehr schnell.

Raimond schmerzte es sie so zu sehen, er verstand sie ja, und liebend gerne wäre er gleich jetzt mit ihr nach draußen gegangen, um ihr die Stadt zu zeigen, oder was immer sie tun wollte, aber er konnte es nicht riskieren. Er flehte sie beinahe an, >>Elin. Bitte! … Beruhige dich. Wir…<<

>>Ich kann mich nicht beruhigen. Raimond es zerreißt mich! Lass mich bitte nach draußen.<<

Elin sah ihn an und sie sah an seinem Blick, dass er nicht nachgeben würde. In diesem Augenblick zerriss tatsächlich etwas in ihr. Eine innere unterdrückte Kraft, aufgestaut und aufgeladen durch das Tagelange rumsitzen, brach hervor. Sie realisierte nicht was sie tat, mit einem kräftigen Ruck hatte sie sich aus Raimonds Griff befreit. Er stand ihr im Weg. Ihr einziger Gedanke war, sie musste nach draußen, sie holte aus und schleuderte Raimond mit einer Armbewegung in hohem Bogen gegen die Wand. Er prallte gegen den massiven, deckenhohen Spiegel, der augenblicklich in tausende Splitter zerstob, beim Aufprall landete er mit dem Kopf auf der Kante der Flurkommode, welche ihm augenblicklich das Genick brach. Er blieb blutüberströmt, leblos zwischen den Spiegelsplittern liegen. Elin war wie in Trance auf die Straße gelaufen, ihr war nicht bewusst, was sie gerade getan hatte, sie folgte nur dem inneren Drang ihres Körpers zu laufen.

Elin lief die Straße entlang, ihr Verstand war hinter einem Urinstinkt zurückgetreten, sie fühlte den feuchten Asphalt unter ihren nackten Füßen, den Wind in ihren Haaren und auf ihrer Haut, die frische, feuchte Luft in ihrer Lunge. Je schneller sie lief und je kräftiger der Luftstrom sie umhüllte, desto beflügelter und freier fühlte sie sich, sie lief schneller und schneller, bis eine phantastische Energie sie erfüllte, die sie beinahe Schweben ließ. In dieses Hochgefühl platzte auf einmal ihr Verstand hinein. Das Bild von Raimond, wie er blutüberströmt in einem funkelnden Splittermeer lag blitzte vor ihrem inneren Auge auf, sie erschrak sich so sehr, dass ihr Herz einen Aussetzer machte. Sie stolperte über ihre eigenen Füße, schlug hart auf dem rauen Asphalt auf und überschlug sich mehrmals. Quer über die Straße gestreckt blieb sie liegen, einen Moment unfähig sich zu bewegen. Schwer atmend setzte sie sich langsam auf, bruchstückhaft blitzten Erinnerungsfetzen der letzten Stunden in ihrem Bewusstsein auf. Entsetzt realisierte sie wo sie war, sie saß allein auf einer dunklen, nassen Straße weit außerhalb der Stadt. Sie begann zu zittern bei der Erinnerung daran, was sie Raimond angetan hatte. Was hatte sie nur getan? Was war nur mit ihr los gewesen? Übermannt von Entsetzen über sich selbst lag Elin zitternd von Tränenkrämpfen geschüttelt auf dem nassen Asphalt der Straße und hatte nur einen Gedanken: Ich habe Raimond umgebracht.

5

Zuneigung

>>Verdammt!<<, stöhnte Raimond, als er in einem Haufen Spiegelsplitter wieder zu sich kam. Er rappelte sich auf, renkte sich den gebrochenen Nackenwirbel zurecht und sah sich suchend um.

>>Elin?<<, rief er nach ihr. >>Verdammt!<<, schimpfte er noch einmal, schnappte sich die Autoschlüssel und lief zum Wagen. Eilig ließ er den Motor an und fuhr auf die spärlich beleuchtete, regennasse Straße um nach ihr zu suchen. Weit konnte sie nicht gekommen sein, dachte er bei sich, und begann die Straßen ringförmig um sein Loft herum abzusuchen. Dabei spähte er in jede kleine Seitengasse und vergrößerte dabei den Radius. Keine Spur von ihr. Dabei überlegte er, wie sie es geschafft haben mochte ihn mit nur einer Armbewegung gegen die Wand zu schleudern. Das einzig plausible was ihm einfiel war, dass sie aus purer Verzweiflung, und sie war wirklich verzweifelt gewesen, ihn mit einem Energieschub einfach überrumpelt hatte. So etwas sollte vorkommen. Sie tat ihm leid. Und es tat ihm leid, dass er ihre Verzweiflung nicht ernst genommen hatte und machte sich Vorwürfe ihren Wunsch auch aus egoistischen Gründen nicht erfüllt zu haben. Er musste sie finden, er würde es sich niemals verzeihen können, wenn ihr etwas passieren würde, nicht nach Thomas, er durfte sie jetzt nicht verlieren. Als er fast das gesamte Stadtgebiet abgesucht