Raketentriebwerke aus dem deutschen Heereswaffenamt - Dr.-Ing. Olaf Przybilski - E-Book

Raketentriebwerke aus dem deutschen Heereswaffenamt E-Book

Dr.-Ing. Olaf Przybilski

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Beschreibung

Als zum Ende des Jahres 1934 aus den tief hängenden Winterwolken über der Nordseeinsel Borkum "feuerspeiende Geschosse" aufstiegen, war die erste Etappe zum Bau einer weit fliegenden Rakete vollbracht. Der Vollmond über der Küste sollte für das weitere Arbeitsleben von Wernher von Braun Programm und Schicksal werden. Olaf Przybilski bringt uns in einer unterhaltsamen Art und mit wissenschaftlicher Gründlichkeit die ersten Jahre der Grundlagenentwicklung der Flüssigkeitsrakete im deutschen Heereswaffenamt näher. Lassen Sie sich bei der Nachzeichnung der Problembewältigung überraschen von unkonventionellen Ansätzen, intuitiven Lösungen und zufälligen praktischen Ausführungsformen, die zu sicher funktionierenden Gesamtsystemen führten. Lernen Sie die Personen kennen, die den Weg hin zu den großen Raketenbrennkammern durch ihre Ideen maßgeblich beeinflussten. Erstmals werden alle "Öfen" in einem einheitlichen Layout und die "Gesellenstücke" von Wernher von Braun, die Raketen Aggregat 1 und 2 durch 3D-Nachkonstruktionen so gezeigt, wie sie ausgesehen haben könnten. Dieses erste Buch einer mehrbändigen Reihe endet mit den erfolgreichen Starts von MAX und MORITZ kurz vor Weihnachten vor genau 90 Jahren. Der Autor stieß bei seinen Recherchen in Archivregionen vor, die nie zuvor von einem Menschen ausgewertet wurden.

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Veröffentlichungsjahr: 2023

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Inhaltsverzeichnis

Vorwort zur Buchreihe

Einleitung zum vorliegenden Band

Kommentare zu den einzelnen Auflagen

Epilog

Der Flug der beiden Aggregate mit der Nummer 2

Die Aktiengesellschaft für Industriegasverwertung

Brennkammerentwicklungen bei Heylandt

Versuchsplatz Kummersdorf

Die ersten Versuchsbrennkammern des Heereswaffenamtes

Der tragische Versuch von Wahmkes Arbeitsgruppe

Die ersten Prüfstände der Versuchsstelle West (von Thomas Breit)

Ethanolbrennkammern

Vernebelungs- und Vermischungsproblematiken

Das flugfähige Triebwerk wird entworfen

Der erste materialisierte Ideenträger – das AGGREGAT 1

Das AGGREGAT 2 entsteht

Kleine Zusammenfassung der angeführten Werkstoffe

Graphische Übersicht der Brennkammern bis 3 kN Schub

Kurze Übersicht der betrachteten Brennkammern und -teile

Hinweis zur Arbeit mit Archivgut

Quellenangaben

Danksagung

Vorwort zur Buchreihe

Es ist nicht genug, zu wissen - man muss es auch anwenden.

Es ist nicht genug, zu wollen - man muss es auch tun!

Johann Wolfgang von Goethe

Bewusst ist uns, dass der Gedanke, den Himmel zu erkunden, genauso alt ist, wie die Menschheit selbst. Die theoretischen Grundlagen für die Raketentechnik wurden zu Beginn des zwanzigsten Jahrhunderts des letzten Jahrtausends vor allem von Konstantin Eduardowitsch Ziolkowski gelegt. Ziolkowski leitete als erster die Raketengrundgleichung her und erkannte, dass man nicht einstufig, sondern mit mehreren Antriebseinheiten, mit seinen so genannten „Raketenzügen“ aus dem Gravitationsfeld der Erde herausfliegen kann. Bereits 1911 publizierte er dies. 1923 veröffentlichte Hermann Oberth sein Buch „Die Rakete zu den Planetenräumen“, in dem er ebenfalls sehr konkrete Vorstellungen und Zukunftsvisionen erläuterte und die Raumfahrtidee im deutschsprachigen Raum wissenschaftlich begründete.

Die weltweit erste Realisierung dieser Ideen vollzog der Amerikaner Robert Goddard. In den USA beschäftigte er sich ab 1916 mit der Raketenentwicklung. Nahezu zeitgleich mit den deutschen Entwicklungen befasste er sich mit der Problematik der Flüssigkeitsraketenmotoren. Er war chronologisch gesehen der erste Ingenieur der Welt, der die grundlegenden Elemente einer Flüssigkeitsrakete, deren Arbeitsprinzipien bis heute kaum verändert wurden, entwickelte und ineinander integrierte. Selbstverständlich wusste das deutsche Heereswaffenamt punktuell über die Leistungen Goddards Bescheid. In der Geheimdissertation von Kurt Wahmke von 1933 wird Goddards Werk von 1919 „A Method of reaching extrem altitudes“ zitiert [1]. Recht zeitnah mit den Veröffentlichungen in den USA über Goddards Experimente im „SCIENCE NEWS LETTER“ wertete man also diese im Heereswaffenamt aus. Durch die Publikationen wusste der militärische Leiter des deutschen Raketenentwicklungsprogrammes, Walter Dornberger, über ihn und die anderen Raketenentwickler Bescheid und das beflügelte vielleicht auch das Programm im Heereswaffenamt [2]?

Aus den Notizen von Goddard ist bekannt, dass der Brennkammerinnendruck bei zirka 50 psi (pounds square inch gauge; ca. 3,5 bar) lag. In einer „Nachempfindung“ der Ingenieure des Marshall Space Flight Centers von 2004 verwendeten sie ein Volumenverhältnis von 1:5 von Oxidator zu Treibstoff. Eingesetzt wurden hier gasförmiger Sauerstoff und Kerosin. Die Austrittstemperatur lag dabei um 2570 K [3]. Wie es wirklich war, hat man bis heute nicht genau erforschen können. Auch dies ist ein Ansporn für den Verfasser gewesen, zu beginnen, die vielen Fehler in der „bekannten“ deutschen Raketentechnikgenesis zu tilgen, bevor auch sie sich in der Geschichte zementieren.

Einen ersten Brennversuch einer Flüssigkeitsrakete führte Goddard am 6. Dezember 1925 durch und im darauffolgenden Jahr, am 16. März 1926, gebührte ihm die Ehre, als erster weltweit eine Flüssigkeitsrakete erfolgreich gestartet zu haben. Die Reichweite dieses Gebildes betrug 50 Meter und sie erreichte eine Steighöhe von 14 Metern. Später setzte er zur Steuerung seiner Raketen Kreiselsysteme und Strahlruder ein. Die Militärs benötigten ihn damals (noch) nicht…

Was passierte in Deutschland? Nach vom Autor vorgenommener Durchsicht tausender Unterlagen, Dokumenten und Zeichnungen im Original steht fest: Auch allerneueste Publikationen renommierter Historiker schreiben viel Ungenaues bzw. verfälschen sogar. Gerade die bekannten Bücher von Michael Neufeld, auf die überall gern reflektiert wird, wenn es um Wernher von Braun und die Raketen im deutschen Heereswaffenamt geht, vermögen die komplexen technischen Zusammenhänge nicht darzustellen. In dieser Buchreihe wird an den entsprechenden Stellen ausführlich darauf eingegangen. Vielleicht ist es ein „Wink des Schicksals“, dass sich ein Techniker mit den „Hinterlassenschaften“ der „Raketenbauer“ beschäftigt. Als Historiker hätte der Autor vielleicht auch einige „Gedankenblockaden“.

Und: Die Rakete und ihre wichtigste Großbaugruppe, der Triebwerksblock, sollte selbstverständlich „wertungsneutral“ sein, genau wie das Schiff, das Auto oder das Flugzeug. Also eins von mehreren grundlegenden Transportmitteln, das in allen „Nutzungsrichtungen“ von der Führung eines Landes eingesetzt wird: Zum Wohle der Menschheit oder zum Schrecken der Welt. Sehr treffend hatte es einer der bekanntesten Fachjournalisten, Adalbert Bärwolf formuliert: „Die Raumfahrt kennt wie die Atomtechnik und jede Technik, so hat es John Kennedy gesagt, kein Gewissen. Es liegt in den Mächtigen der Erde, mit ihrer Macht der Technik das fragwürdige Geschick der Bewohner unseres Planeten zu lenken...“ [4]. Die Rakete hat da keine herausgehobene „Stellung“ in der Technikgeschichte, erst recht nicht im Einsatz von Zwangsarbeitern. Unergründlich für den Autor haben die Historiker der ersten Großrakete aber eine „schlechte Aura angedichtet“.

Zum Einsatz von KZ-Häftlingen bei der Produktion und beim Zusammenbau des Aggregat 4/Baureihe B (in den Medien leider nur „bekannt“ als „V2“) unter Verantwortung der SS im Kohnstein ist viel und breit und Falsches geschrieben worden. Gerade der 70. Jahrestag des erfolgreichen Erstflugs des Aggregates 4 mit dem Versuchsmuster Nr. 4 am 3. Oktober 1942, das selbstverständlich keine „Vergeltungswaffe 2“ (V2) war, sowie der 100. Geburtstag Wernher von Brauns im Jahre 2012 spülte so viel unsachliches und schäbiges Gedankengut an die Oberfläche, dass der Verfasser sich genötigt fühlte, konkrete Fakten zu publizieren [5]. An dieser Stelle soll hier eine kurze fachliche Richtigstellung ausreichend sein, bevor in den entsprechenden Bänden näher auf die Entwicklungsgeschichte des Aggregat 4, auf die grundstürzenden Unterschiede zwischen den Versuchsmustern und auf die Baureihen des A 4 eingegangen wird. Und was daraus z.B. in der Sowjetunion wurde… Wann begann in Deutschland die Flüssigkeitsrakete militärisch interessant zu werden? Eine frühe Quelle ist der Sitzungsbericht des Heereswaffenamts vom 17.12.1930 über die Raketenfrage, also lange vor der Machtergreifung Hitlers [6]. Hier finden sich u.a. Ausführungen über eine ausgiebige Analyse des Lufttorpedos von Unge, die Abstimmung der Raketen-Kompetenzen von Marine, Heer und Luftwaffe, technische und konstruktive Verbesserungen an der Feststoffrakete und die grundsätzlichen Einsatzfälle der Rakete für die Luftverteidigung durch z.B. „Vernebelung“ und „Sperrfeuer“ um Städte. Nachdem interessanterweise gleich auf der ersten Seite des Berichtes eine nüchterne Herangehensweise der Betrachtung der Raketen für die Raumschifffahrt in ferner Zukunft angemahnt wird, soll aber zuerst durch theoretische Untersuchungen und praktische Versuche zu prüfen sein, „inwieweit in der Rakete eine Ergänzung unserer schwachen artilleristischen Rüstung möglich ist“. Auf Seite → findet man schließlich eine (von fünf!) grundlegende zukünftige Entwicklungsrichtung: „Präzisionsfernrakete. Der weitere Gang der Entwicklung muss von der Nebelrakete über die Flakrakete schließlich zur kreiselstabilisierten … Fernrakete führen als Ersatz für schweres und schwerstes Flachfeuer. Hier ist nach der mehrfach erwähnten Vereinbarung das Heer allein federführend“ (Unterstreichung im Original, fett vom Autor; was Herr Neufeld hier herausgelesen haben will, ist im nachfolgenden Vorwort zum vorliegenden Band nachzulesen). Gerade eine weit fliegende Granate „verweht“ durch die Windeinflüsse und die Zielgenauigkeit verschlechtert sich gravierend mit der Schussweite. Man stellte sich also eine „sehr weit“ fliegende Rakete als Ersatz der weit schießenden Artillerie vor, die aber auch „sehr genau treffen“ sollte. Walter Dornberger schreibt, dass für einen ersten Entwicklungsträger 50% der Raketen mit einer Vorgabe von 2 bis 3 ‰ der Schussentfernung im Durchmesser das Ziel treffen sollten (Projektvorgabe für das Aggregat 4; das war eine Halbierung der üblichen Artilleriewerte); bei den dann vorgegebenen 275 km Reichweite würde das zu treffende Zielgebiet einen Durchmesser von 550 bis 825 m umfassen müssen [7]. Eine noch präziser zielende Fernrakete sollte später das Aggregat 10 werden. Auf dem Weg dahin formte sich der Technikdemonstrator, das Aggregat 4 heraus, das nie von den Entwicklern für eine Großserie angedacht war – bis Ende des Jahres 1942, als die 6. Armee vor Stalingrad eingekesselt war…

Man war sich selbstverständlich in der militärischen Führung auch später rein von der hoch komplexen Technik und den gewaltigen Kosten einer genau zielenden Rakete einig, diese Waffe nicht zu „verprimitivieren“ und in Massen herstellen zu wollen, wie es das Heereswaffenamt 1938 beschreibt: „Die Flüssigkeitsrakete wird ihrem komplizierten Aufbau entsprechend immer eine verhältnismäßig teure Waffe bleiben… Ihr Einsatz wird schon wegen des Preises auf nur wertvolle Ziele erfolgen. Die Arbeiten der nächsten Jahre werden sich daher ausschließlich auf die Aufgabe erstrecken, Geräte zu bauen, die mit großer Nutzlast und möglichst hoher Genauigkeit möglichst hohe Schussweiten erreichen können… Die Entwicklung des AGGREGAT IV hat bereits begonnen… Von dem Ergebnis der Entwicklung muss es abhängen, ob dann dieses Aggregat bereits für die Herstellung in größeren Stückzahlen durchgebildet werden soll“ [8].

Gern verschwiegen wird in der Analysierung der Rakete mit der Nummer 4, dass das Aggregat 4 nicht Endziel der anfänglichen Raketenentwicklung in Peenemünde gewesen war. Für die größte angedachte Rakete (zuerst als „Aggregat X“ geführt) wurden in Peenemünde bereits die Hallen und Prüfstände ausgelegt und gebaut. Doch die Auswirkungen des Krieges ließen das zehnte Aggregat sterben, das A 4 wurde „vergewaltigt“ und zusätzlich entstand eine kleine, der Luftraumverteidigung dienenden Rakete mit der Bezeichnung „Wasserfall“…

Nach den 15 Exemplaren der „handgefertigten“ Versuchsmuster des A 4 und den rund 300 Raketen der „0-Serie“ (sprich „Null-Serie“; im Ergebnis des Bombardements von Peenemünde wurde sie dann als „Baureihe A“ umgewidmet - zu erkennen am W4xxx in der Kennung), wollte man mit einem nachfolgenden Entwicklungsträger so viel Know-how zusammengetragen haben, dass man mit einer abschließenden „Serie“ die in der Artillerie gebräuchlichen Schusstafeln erhält. Diese Tafeln veranschaulichen das erreichbare Trefferbild mit Genauigkeitsstreuung in der Reichweite und der Querabweichung. Damit sollte entschieden werden, wie groß der Vorteil einer punktgenau fliegenden Rakete gegenüber der Artillerie sei bzw. ob dieser überhaupt vorhanden ist. Nur das war die Aufgabe!

Dornberger berichtete noch im November 1941, dass insgesamt 600 Raketen „reichen“ sollten bis zu einer möglichen Serienreife, „alles andere ist Sache der Wa J Rü“ (kursiv: Zitat), also der Amtsgruppe für industriellen Rüstung [9]. Hitler griff aber in der Wut, vor Stalingrad eine ganze Armee verloren zu haben, nach „jedem Strohhalm“ und gab bereits am 22. Dezember 1942 den Befehl zur „Großserie“ eines Aggregats

4. Das „Oberkommando des Heeres/Chef der Heeresrüstung und Befehlshaber des Ersatzheeres“ befahl zeitnah mit Schreiben vom 30. Januar 1943 der Heeresversuchsanstalt Peenemünde (HAP) die Beschaffung von nun 6000 Geräten Aggregat 4, 3000 davon herzustellen im dort angegliederten Versuchsserienwerk [10]. Technisch war das das A 4/Baureihe B. Hierbei muss man aber beachten, dass bis dahin nicht einmal eine Handvoll Raketen mit mäßigem Erfolg flogen!

Nach der verheerenden Zerstörung des Usedomer Nordens am 18. August 1943, verfügte das Oberkommando des Heeres (OKH) per 19. Oktober 1943, dass die Firma „Mittelwerk GmbH“ monatlich bis zu 900 Raketen zu produzieren hätte (insgesamt nun schon 12.000 Stück) [11]. Nur war die Rakete natürlich immer noch nicht „fertig entwickelt“ – mit der Baureihe A, der ersten Kleinserie des A 4 mit ca. 300 Exemplaren aus den Werkstätten aus Peenemünde mit industrieller Zulieferung erflog man noch bis Mitte 1944 parallel Verbesserungen und Vereinfachungen für die Serienfertigung. Dafür gab es ab Mitte Mai 1944 eine generelle Neuorganisation der HAP, die in Folge ab Sommer 1944 als Einheit abgewickelt wurde. Für die Serienfertigung des A 4 war der „Sonderausschuss A 4“ beim Reichsminister für Bewaffnung und Munition zuständig. Ihm unterstand auch der „Arbeitsausschuss Endabnahme“, den Wernher von Braun bis zur Auflösung des „Sonderausschusses A 4“ im November 1944 leitete. Als eine wichtige technische Maßnahme bildete er die „Fertigungsaufsicht“, das QM-Organ der Peenemünder Entwickler [12].

Das OKH befahl ja mit vorläufigen Fertigungsunterlagen das „Einfahren“ der Produktion von Teilen und Baugruppen an unterschiedlichen Fertigungsstätten im Reichsgebiet (HVP, LZ Friedrichshafen, Rax-Werke Wiener Neustadt, Demag-Lokomotivwerke Falkensee). Deren Ausstoß der Raketen-Nummern belegte man plantechnisch bis zur Nummer 17.000. Die nachträglich durch das Bombardement von Peenemünde fixierte und dann einzige Montage im Kohnstein unter industriellen Bedingungen durch die reichseigene Firma „Mittelwerk GmbH“ begann deshalb mit der Raketennummer 17.001. Aber auch in dieser Baureihe B gab es monatlich Verbesserungen, Veränderungen, Ersatzlösungen, die jeweils am Anfang eines neuen Monats eingeführt zu einem neuen Stücklos wurden. Im jeweiligen „Bauzustand“ ist dies alles heute noch nachzulesen. Nach dem Verschuss jeder einzelnen Rakete wurde die zugehörige Lebenslaufakte nach Zeithain (Nähe Riesa) in die „Zentrale Auswertestelle“ des Heereswaffenamtes geschickt, die analysierte, was und wie die Veränderungen im Gerät gewirkt hatten. Und trotzdem erreichte bis Kriegsende das A 4/Baureihe B nie eine Serienreife…

Nach dem Attentat auf Hitler am 20.07.1944 wurde Himmler „Befehlshaber des Ersatzheeres“ und damit auch quasi zum Dienstherrn „der Peenemünder“. Rüstungsminister Speer fasste fast zeitgleich die ihn interessierenden Entwicklungs-Bereiche, einschließlich der „Fertigungsaufsicht“, zusammen. Diese nun in der „Elektromechanische Werke GmbH“ (EW) vereinten zivilen Unternehmungen, agierten selbstverständlich außerhalb des militärischen Befehlsbereiches. Hauptaufgabe war, die vielen Zulieferer zu koordinieren und deren Erzeugnisse vor dem Einbau in die Rakete zu kontrollieren und zertifizieren. Alle „militärischen Wünsche“ konnten ab sofort nur noch mit einem Auftrag realisiert werden [12].

Die „Mittelwerk GmbH“, in der als Arbeitskräfte neben deutschen Facharbeitern auch KZ-Häftlinge eingesetzt wurden, war ein privatwirtschaftlich organisiertes Rüstungsunternehmen in Staatsbesitz unter militärischer Aufsicht der SS. Es wurden von Januar bis September 1944 ca. 1500 Geräte gefertigt und in Testgebieten verschossen, ohne dass das A 4 je an der Front eingesetzt gewesen war. Es zeigte sich bei diesen Versuchsflügen, dass man das „Eigenleben“ der Rakete unterschätzte und die Zuverlässigkeit sehr zu wünschen übrig ließ. Aufgrund der gewaltigen Komplexität der neuen Waffe und der anfänglichen schlechten Fertigungsqualität dieser A 4/Baureihe B (von Goebbels nun erst „Vergeltungswaffe 2“ genannt) firmierte die EW begleitend als QM-Organ. Um die Erfahrungen der Entwickler in Peenemünde auch näher an die industrielle Fertigung zu binden und die Rakete schneller „frontreif“ zu bekommen, verfügte das OKH am 25. September 1944 mit einem „Rahmenvertrag“ zusätzlich zur Qualitätskontrolle die „Entwicklung des Gerätes A 4 einschließlich Durchführung von Erprobungen und Verbesserungen“ [13]. Diese „Endentwicklung“ findet in Peenemünde unter der Verantwortung Wernher von Brauns statt. Seine Aufgaben als Leiter des „Arbeitsausschusses Endabnahme“ im „Sonderausschuss A 4“ werden dagegen von der „Fertigungsaufsicht“ erledigt – zunächst von Peenemünde aus und später direkt im Mittelwerk im Kohnstein. Wernher von Braun, weiterhin Zivilangestellter der „Elektromechanischen Werke GmbH“ in Peenemünde, hält den Kontakt zur „Fertigungsaufsicht“ in Form von Besprechungen aufrecht, die entweder in Peenemünde oder im Mittelwerk stattfinden. Wie hätten er und andere sich dagegen verweigern können?

Letztlich muss die Idee aufgekommen sein, dass man tausende teure Raketen nicht nur so einfach auf Übungsgebieten „in den Dreck“ hauen sollte. Da spätere Tests zeigten, dass die Raketen immer besser die Ziele trafen und die Truppen für den Verschuss aufgestellt waren, befolgte man Hitlers Befehl mit dem weiteren Ertesten der Rakete mit scharfem Sprengkopf an der Front…

Die konkrete Idee zur Erstellung einer umfangreichen Arbeit keimte erst Ende 2007 auf. In diversen Gesprächen und E-Mails mit Fachfreunden und Bekannten des Autors trat immer wieder die Frage zutage, warum existiert eigentlich, fußend auf Originaldokumenten, keine einheitliche technische chronologische Darstellung der systematischen Entwicklung des Flüssigkeitsraketenmotors und den maßgeblichen Vermischungsmethoden der beiden Treibstoffkomponenten, wie es in den dreißiger Jahren in Deutschland wegweisend begann? Die bekannten Bücher von Neufeld waren entweder vorrangig politisch überfrachtet und technisch mehr als dürftig oder z.B. bei Gerhard Reisig für den Autor in der gesuchten Richtung nicht tiefgründig genug [14]. Man benötigt quasi ein technisches Nachschlagewerk, das auch als „Findbuch“ für weitere Recherchen interessierter „Nachforscher“ in den Archiven nutzbar sein könnte.

Der besonders begangene 175. Geburtstag der TU Dresden im Jahre 2003 und ihre damit im Zusammenhang verbreitete „umfassende Geschichte“ sparte die Leistungen der Dresdner Alma Mater auf raketentechnischem Gebiet in der Zeit bis 1945 komplett aus. Das rief damals den Verfasser vorbereitend auf den Plan, näher die technologischen Leistungen der Dresdner Hochschule zu ergründen und zu bewerten. Die in Folge ans Licht gebrachten Erkenntnisse wurden partiell zeitnah publiziert [15] und werden im Rahmen dieser Reihe in stark erweiterter Form umfassend vorgestellt. Es ist unglaublich, was sich die Dresdner Forscher für Expertisen in der Flüssigkeitsrakete aneigneten! Sie waren weltweit führend auf dem Gebiet der dreidimensionalen Lagebestimmung im Raum und der Brennkammerentwicklung.

Ein „letzter Fakt“ ist dem Autor ebenfalls unklar: Seit Jahrzehnten wird in Veröffentlichungen versucht zu beweisen, dass die Entwicklungen zur berühmten sowjetischen Raketen R 7, die heute auch von Kourou aus startet, nichts mit den Lösungen aus Peenemünde oder sogar den Transferleistungen der in die UdSSR verschleppten „Raketenspezialisten“ zu tun haben. Warum man sogar heute noch so „sowjetfreundlich“ publiziert, ist dem Autor ein unergründbares Rätsel geblieben: Zwar hatten Koroljow, Mischin oder Tschertok in der militärischen stalinistischen Diktatur nur überlebt, weil sie fachlich gut arbeiteten, doch woher kamen wirklich die genialen Lösungen? Seit 1994 recherchierte der Autor dazu und führte dutzende Interviews. Wassili Pawlowitsch Mischin wurde ihm dabei ein guter Freund, der viele Insiderkenntnisse vermittelte. Mit der sich dem Autor angeeigneten tiefen Kenntnis des technischen Gebildes des deutschen Aggregat 4, ihrer Baureihen und der sowjetischrussischen Nachfolgerakete, die heute noch fliegt, formte sich eine indizienreiche technologische Ahnenlinie, die eindeutig zusammenhängt und sogar in Richtung USA erweitert werden konnte.

So verdichtete sich sukzessive die Idee zu dieser Publikation. Mit dieser geplanten Buchreihe, deren erster Band hiermit vorgelegt wird, endet vorerst eine fast 20-jährige intensive Beschäftigung mit der Materie, die selbstverständlich nicht ohne die Gesprächspartner und vielen fleißigen Hände erfolgreich zum Abschluss hätte gebracht werden können. Doch die Materie hat den Autor so tief „gepackt“, dass es sicher nur ein Etappenabschluss sein wird.

Mit dieser Buchreihe nun wird erstmals die Entwicklung des Flüssigkeitsraketentriebwerkes im deutschen Heereswaffenamt in Richtung Werkstoffeinsatz, Verarbeitungstechnologie und Vermischungsstrategie tiefgründig analysiert und eine nachfolgende Techniktransferbeschreibung nach dem Zweiten Weltkrieg in den Migrationshauptrichtungen UdSSR, Frankreich und USA abgegeben.

Der Autor ist sehr erfreut, dass der BoD-Verlag das Wagnis und die Verantwortung eingeht, in mehreren Bänden und in regelmäßigen Abständen die Entwicklung der Flüssigkeitsraketentriebwerke in Deutschland zu präsentieren. Folgende Ausgaben sind angedacht:

Vermischungsstrategien bei der Injektorentwicklung in Kummersdorf

In diesem hier vorliegenden ersten Buch wird nachgezeichnet, wie sich die ursprünglichen kleinen Mischsysteme für Brennstoff und Oxidator aus vielen Quellen herauskristallisierten, um damit eine Lösungsgrundlage für die schubstarken Brennkammern zu liefern. Die „Öfen“ von Wahmke, Heylandt und von Braun sind genauso enthalten, wie die erstmals detaillierten Beschreibungen der „Gesellenstücke“ Aggregat 1 und 2 des 2012 einhundert Jahre alt gewordenen Wernher von Braun.

Wandungsdesign der Brennkammern für Raketen mit 1,5 t Schub

Es wird die beschwerliche Entwicklung der Brennkammern für die Aggregate 3, 5, 6 und 7 vorgestellt. Ergänzende Ausführungen zu den Raketen mit den neuen Steuersystemen „Druckstücke“ und „Luftruder“ sind ebenfalls enthalten.

Brennkammerlayout für Flugzeugantriebe als maßgebliche Entwicklungsrichtung

Wie viele entscheidende Lösungen für die späteren Brennkammern u.a. des Aggregat 4 aus der Entwicklung für Flugzeugantriebe kam, wird hier ausführlich erläutert.

Auslegungsvarianten des Triebwerks für das Aggregat 4

Es gab nicht die Brennkammerentwicklung für das A 4. Unterschiedliche geometrische Anordnungen der Vermischungssysteme für Brennstoff und Oxidator z.B. ließen divergierende Brennkammerformen entstehen. Hier werden sie alle beschrieben.

Raketentechnik aus der TH Dresden

Es klingt unglaublich, ist aber wahr: Die damalig TH Dresden war führender Brennkammerentwickler. Noch heute fliegen in fast allen modernen Trägerraketen technische Lösungen, die bis 1945 in Dresden entwickelt und patentiert wurden. Es wird detailliert nachgezeichnet, wer was erfand.

Leistungsbewertung des deutschen „Raketenexports“ weltweit

Sowohl die UdSSR als auch die USA und Frankreich sind gute Verwerter des deutschen „Raketen-Saatgutes“. Es muss u.a. in Tschertoks Memoiren „Menschen und Raketen“ massiv widersprochen werden. Auch westliche „Lösungen“, die heute noch in Gebrauch sind, werden dann ihren Geburtsort Kummersdorf, Dresden oder Peenemünde nicht mehr verleugnen können. Das deutsche Raketen-Welterbe ist assimiliert…

Die Etappen der Brennkammerentwicklung auf technisch-technologischem Gebiet über einem Zeitraum von rund 50 Jahren sollen in dieser Buchreihe erstmals komplex erläutert werden.

[1] Wahmke, K.: Untersuchungen über die Ausströmung von Verbrennungsgasen durch zylindrische Düsen unter besonderer Berücksichtigung des Raketeneffekts. Dissertation 1933; Fort Eustis Dokument 578, S. 5

[2] Dornberger, W.: Denkschrift. Die Eigenentwicklung des Heeres-Waffenamtes auf dem Raketengebiet in den Jahren 1930 – 1943; Geheime Kommandosache Fort Eustis Filmrolle 8, Dokument FE 496

[3] Autorenkollektiv: The 2003 Goddard Rocket Replica Project. NASA/MSFC; 42. AIAA, 05.01.2004, Reno Nevada

[4] Bärwolf, A.: Brennschluss. Ullstein Verlag 1969, S. 10

[5] www.raketenspezialisten.de

[6] Heereswaffenamt: Sitzungsbericht vom 17.12.1930 über die Raketenfrage. BArch RH 8 I/991a

[7] Dornberger, W.: V2 – der Schuss ins All. Bechtle Verlag Esslingen, 1952, 2. Auflage; S. 56

[8] Wa Prw 13/II: Das Aggregat III. Peenemünde, den 29. November 1937; S. 54ff

[9] Wa Prüf 11: Betr. Prüfstandsexplosionen und Entwicklungen. Brief von Dornberger an Heeresversuchsanstalt Peenemünde, 07.11.1941

[10] OKH: Betr. Verwaltungserleichterungen für die Beschaffung der Großserie des Aggregat 4. Berlin, 30.01.1943

[11] OKH: Kriegsauftrag. An die Mittelwerk GmbH, 19.10.1943

[12] Fort Eustis Filmrolle 41, Dokument FE 734; darin diverse Schriftstücke

[13] Roßmann: Kriegsauftrag. OKH an Elektromechanische Werke GmbH, 25.09.1944

[14] Reisig, G.: Raketenforschung in Deutschland. Edition Lenser im Profil-Verlag, 1997

[15] Dresdner Neueste Nachrichten: Experte: Russische Raketen fliegen mit Dresdner Düsen. 11.10.2000

Einleitung zum vorliegenden Band

Die Menschheit wird nicht ewig auf der Erde bleiben, sondern auf der Jagd nach Licht und Raum zuerst schüchtern über die Grenzen der Atmosphäre hinausdringen und sich dann den ganzen Raum um die Sonne erobern.

Konstantin Eduardowitsch Ziolkowski [1]

In Anlehnung an die sich schnell eingebürgerten Begriffe der praktizierten Bewegungsmethoden des Menschen, wie Schifffahrt und Luftfahrt existiert seit SPUTNIK der Begriff Raumfahrt oder astronautic oder космонавтика real.

Will man in den Weltraum eindringen, so kann man dies nur mit Strahlmotoren, also mit Raketentriebwerken, die Oxidator und Brennstoff mitführen, erreichen. Das haben Ziolkowski, Goddard, Oberth und andere erkannt und die theoretischen Grundlagen geliefert.

Es hängt alles von einer funktionierenden Rakete ab. Die Brennkammer ist der wichtigste Teil eines Flüssigkeitsraketentriebwerkes, sozusagen das Herz einer Flüssigkeitsrakete. „Schlägt“ es regelmäßig, „atmen“ auch die anderen Systeme frei. Während der Pionierzeit der Raketentechnik wurde vorrangig an der Brennkammer wichtige und aufwändige Entwicklungsarbeit geleistet. Alle ersten Zugraketen wurden aus Starttürmen gestartet – bis sie beim Verlassen desselben eine so hohe Geschwindigkeit hatten, dass sie pfeilstabil flogen - oder auch nicht und sich überschlugen. Das heißt, der vereinigte Punkt aller Kräfte an der Rakete, der Luftangriffspunkt, musste immer dicht hinter dem Massenschwerpunkt liegen - daher wurden in vielen Fällen noch zusätzlich „Flossen“ angebracht, was den Zeitraum bis zur Flugstabilität verkürzte.

Nun gibt es ja noch weitere unterschiedlichste thermochemische Triebwerke, deren Antriebsstrahl allein vom Arbeitsmedium, sprich Treibstoff, abhängt. In dieser Buchreihe wird sich aber auf die Flüssigkeitstriebwerke beschränkt. Denn nur durch sie, u.a. mit ihrer Regel- und Abschaltbarkeit, ist Raumfahrt heute alltäglich geworden. Die wichtigsten Aufgaben der Brennkammer sind ja bekannt: Die beiden in sie eintretenden Treibstoffkomponenten müssen zu einem feinen Nebel „zerstäubt“ und innig miteinander vermischt werden, um ein möglichst vollständiges Verbrennen zu ermöglichen. Der Verbrennungsvorgang soll sich im oberen Teil des Brennkammerkopfes abspielen. Die dabei freiwerdende chemische Energie erzeugt die für die Ausströmgeschwindigkeit notwendigen hohen Temperaturen. Eine optimale Energieausbeute wird nur dann erreicht, wenn der Verbrennungsprozess vor dem Eintritt der Verbrennungsprodukte in den Düsenhals (engsten Querschnitt) abgeschlossen ist. Um Gewicht zu sparen, soll das Volumen der Brennkammer möglichst klein sein. Man könnte hier auf eine kugelige Form kommen. Weiterhin ist aber für die Aufarbeitung der Treibstoffe eine Mindestverweilzeit in der Kammer notwendig, was wiederum einen langen Zylinder am geeignetsten erscheinen lässt. Die Kompromisse wurden in der Vergangenheit in Abhängigkeit des Einspritzsystems meistens intuitiv getroffen. Wer und wie konnte man das damals schon berechnen?

Im engsten Querschnitt, dem „Hals“ des damals „Ofen“ genannten Strahlmotors und der anschließenden Expansionsdüse, wandeln sich Druck und Temperatur in Bewegungsenergie um, so dass der Abgasstrahl die Brennkammer mit entsprechend hoher Geschwindigkeit verlässt. Aus Berechnungen folgt, dass diejenige Schubdüse den größten Schub liefert, in der der Abgasstrahl bis zum jeweiligen Umgebungsdruck expandiert. D.h. ein Gleichgewicht zwischen dem Druck der austretenden Gase und dem der Atmosphäre sich einstellt. Damit wird ein Problem erkennbar: Je höher eine Rakete fliegt, desto niedriger wird der Außendruck und umso größer/länger müsste die Düse werden. Das hat man heute noch nicht konstruktiv umsetzen können. Eine Ausnahme bildet die höhenanpassbare Expansionsdüse, das so genannte Plug Nozzle oder Aerospike. In Verbindung mit einer Treibstoffstufung wäre es ein optimales Raketentriebwerk für ein einstufiges System.

Das Aggregat 4 ist die weltweit anerkannte technische „Mutter aller (Flüssigkeitsgroß) Raketen“. Ihre Entwicklung Ende der dreißiger Jahre des letzten Jahrhunderts ermöglichte es den Erben in West und Ost die Erkundung des Weltenalls, die bemannte Raumfahrt, die bemannte Landung auf dem Mond und brachte weiterhin uns allen mehr Wissen über die Erde und das Universum, in dem wir uns entwickeln. Dies ist zunehmend anerkannt. Doch der Weg der Entwicklung dieser Rakete war verbunden mit den davor liegenden großen technischen Herausforderungen, mit grundstürzenden und neuartigen Techniken und Technologien, aber auch mit der Tragödie des erzwungenen Einsatzes im letzten großen europäischen Krieg und erst recht mit unglaublichen Erfolgen danach. Die Leistungen, die von der Entwicklergruppe um Wernher von Braun erbracht wurden, waren und sind bis heute sensationell und revolutionär und begannen 1932 in Kummersdorf.

Warum wurde gerade in Deutschland die Flüssigkeitsrakete so progressiv entwickelt? „Glaubt“ man dem Chef der Abteilung für Geschichte der Raumfahrt im National Air and Space Museum, Michael Neufeld, begann der „Raketenrummel“ folgendermaßen: „Die in den Raketenwagen von Valier/Opel benutzen Schwarzpulver-Feststoffraketen könnten, so meinte Becker, die Basis für eine kostengünstige Waffe sein, die das Schlachtfeld mit chemischen Waffen belegte; die viel effizientere Flüssigkeitsrakete aber könnte schließlich zu einer Langstrecken-Superwaffe führen – die wir heute ballistische Rakete nennen“ [2] (fett vom Autor). Als einzige Quelle für diesen Absatz gibt er den Sitzungsbericht des Heereswaffenamts vom 17.12.1930 über die Raketenfrage an [3]. Referent Oberst Becker hat darin aber KEINES der fett hervorgehobenen Begriffe, auch nur andeutungsweise, verwandt! Es finden sich im Bericht nur die Ausführungen, von denen bereits im Vorwort geschrieben wird. Auch das Wort „Kosten“ taucht dort nirgends auf! Übrigens auch kein Wort zur Effizienz: Fest- wie auch Flüssigtreibstoffraketen sollten parallel entwickelt werden. Man wusste damals doch noch gar nicht, ob die Flüssigkeitsrakete überhaupt den Masse-, Schub- und Reichweitenvorgaben der „Pulverraketen“ erreichen würde…

Neufeld fälscht all das um in einen „Roten Faden“ des aggressiven deutschen Militärs anno 1930 (also lange vor Hitlers Machtantritt) von der Chemiewaffen verschießenden Langstreckenrakete bis zur KZ-Häftlinge verschlingende „Vergeltungswaffe“ von Wernher von Braun. Ein fragwürdiger Arbeitsstil! In den einzelnen Bänden werden konkret weitere „Unstimmigkeiten“ von ihm und anderen Historikern beleuchtet.

In diesem ersten Buch nun wird nachgezeichnet, wie sich die ersten kleinen Treibstoffmischsysteme konkretisierten, um damit eine Lösungsgrundlage für die kommenden schubstarken Brennkammern zu liefern. Eingebettet in die Entwicklungsgeschichte der ersten Flüssigkeitsraketen des Heereswaffenamtes beschreibt der Autor die Techniken in den Raketen Aggregat 1 und 2 mit den zugehörigen Ideengebern. Interessant ist ferner, dass alle Hauptmaße dieser beiden „Gesellenstücke“ von von Braun bisher mit falschen Daten publiziert wurden.

Erstmals werden hier die Raketen so dargestellt, wie sie wirklich ausgesehen haben könnten – exakte 3D-Konstruktionen nach den originalen Bauteilzeichnungen und tagelangen „Nachrechnungen“ machte es möglich.

Weiterhin arbeitet der Verfasser „Ungereimtheiten“ in der Dissertation von Wernher von Braun heraus, die, in Verbindung einer ausführlichen Auswertung der eingesehenen Dokumente, einige Zweifel an seiner Urheberschaft verschiedener Kapitel aufkommen lassen.

Die allererste Brennkammer des Heereswaffenamtes – der „Wahmke-Ofen“ – wird vorgestellt und auch der tragische Unfalltot von Wahmke wird analytisch enträtselt.

Im Gegensatz zur Behauptung Dornbergers in seinem Erinnerungsbuch „V2 – Der Schuss ins All“ wird weiterhin nachgewiesen, dass der bekannte „20 kg Heylandt-Ofen“ kein Auftragswerk des Heereswaffenamtes sein kann.

Begleiten Sie nun den Verfasser durch die entscheidenden Jahre des Beginns der systematischen Brennkammerentwicklung in Deutschland und lassen Sie sich einfangen von den unkonventionellen Ansätzen, intuitiven Lösungen und zufälligen praktischen Ausführungsformen. Lernen Sie dabei die Personen kennen, die den Weg hin zu den großen Raketenbrennkammern durch ihre Ideen maßgeblich beeinflussten. Die folgenden Seiten werden somit die Anfänge der Brennkammerentwicklung des Heereswaffenamtes ganz anders zeigen, als bisher bekannt ist.

[1] Ziolkowski, K. E.: Brief an B. N. Worobjew vom 12. August 1911

[2] Neufeld, M. J.: Wernher von Braun; Siedler Verlag 2009; Seite →

[3] Heereswaffenamt: Sitzungsbericht vom 17.12.1930 über die Raketenfrage. BArch RH 8 I/991a; abgelegt unter www.raketenspezialisten.de

Kommentare zu den einzelnen Auflagen

März 2017

Des Autors Wunsch aus der ersten Auflage, eine kritische Annahme durch die Fachleserschaft und kurzweilige Stunden mit dieser einzigartigen, wegweisenden deutschen Hightech-Geschichte, ging in Erfüllung: Über 130 Bücher wurden bisher verkauft, drei Rezensionen in Fachpublikationen unterstützten dies und es konnten einige „Lücken“ in den Quellen geschlossen werden, die in der zweiten Auflage dieses ersten Buches der neuen „Raketen-Reihe“ aufgenommen wurden.

In dieser dritten Auflage wurden Fehler korrigiert und einige marginale Änderungen vorgenommen.

Dezember 2022

Eigentlich nicht mehr für eine Nachauflage empfänglich, hat sich der Autor zu einer auf rund ein Jahr befristeten vierten Auflage als Paperback entschlossen, zumal eine interessante umfangreiche Zuarbeit von Thomas Breit über die ersten Prüfstände in Kummersdorf hier eine erstmalige Publizierung erfährt. Das gemeinsame Interesse am Thema erbrachte sogar das Auffinden einer Vorabversion des Originals der Dissertation von Wernher von Braun in Huntsville von Thomas, so dass ich einige Abbildungen aus der Promotionsschrift hier gegen solche mit besserer Qualität austauschen konnte.

Natürlich werden weiterhin gern Fragen, Kritiken oder Hinweise entgegengenommen. Ich freue mich auf Sie!

Dr.-Ing. Olaf Przybilski, Dresden im April 2023

Kontakt zum Autor:

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Epilog

„Es war für mich ein erhebendes und stolzes Gefühl. Wir hatten den Beweis, dass wir auf dem richtigen Weg waren. „Max“ und „Moritz“, je etwa mannshoch und mit einem Durchmesser von dreißig Zentimetern, angetrieben von Alkohol und flüssigem Sauerstoff, waren die ersten Raketen, die damals über zwei Kilometer hoch flogen. Was für mich viel wichtiger war, ist dies: Die beiden waren mein ganz eigenes Werk. Ich habe sie selbst konstruiert, jede ihrer Schrauben am Zeichenbrett entworfen, den Druckregler konzipiert – kurz und gut, ich habe sie von A bis Z zusammengebastelt. „Max“ und „Moritz“ hatten mir, wie ich so formulieren darf, zum Durchbruch verholfen“ ([1] S. →).

Heute, 90 Jahre nach den Starts der Raketen des Typs Aggregat 2 vom Ende 1934, den ersten erfolgreichen Flüssigkeitsraketen des Heereswaffenamtes (im Weiteren oft nur kurz HWa angegeben), mehr technische Details und Funktionsweisen als diese wenigen Zeilen von Wernher von Braun zu finden, grenzt schon an detektivische Arbeit.

In der Sekundärliteratur sind die o.g. Sätze fast die einzigen greifbaren Ausgangsfakten. Sieht man sich die Veröffentlichungen näher an, ob nun in den Fünfzigern oder noch aus den letzten Jahren, so wird der interessierte Forscher verwundert feststellen, dass es nicht mehr darüber, wie diese wenigen Zeilen, zu berichten gab. Weiß man alles über die Raketen vom Typ A 2 und deren Vorgänger? Waren die Starts damals auf Borkum so uninteressant? Oder gibt es keine Originalquellen? Es besteht seit einigen Jahren die Möglichkeit, in den Archiven in den zugänglichen Dokumenten und zugehörigen Zeichnungen zu recherchieren. Warum hat sich bisher keiner dafür näher interessiert?

Die „technischen Geschichten“ auf dem Weg zu den ersten Raketen von Wernher von Braun bilden den Rahmen für dieses Buch. Die obigen fetten Anmerkungen im Zitat werden im Folgenden als falsch herausgearbeitet und endlich richtiggestellt...

Der Flug der beiden Aggregate mit der Nummer 2

Vor rund 90 Jahren erfolgte der erfolgreiche Start der Raketen vom Typ Aggregat 2. Grund genug über deren Entwicklungsgeschichte mehr zu berichten…

Alle verfügbaren Veröffentlichungen über das A 2 geben als Grenze der erreichten Höhe rund 2 km an [2]. Auch wenn man sehr exakt liest, zeigt sich nur, dass der „Erstveröffentlicher“, Walter Dornberger, in seinem Buch „V 2 - Der Schuss ins All“ auf Seite → von einer „Gesamtsteighöhe von 2,2 km“ spricht und damit der Historie einen Bärendienst erwies [3]. Heißt das, dass das aktive, vom Raketenmotor angetriebene Steigen der Rakete in einer Höhe von 2,2 km geendet hat? Oder war das doch ihr Kulminationspunkt? Nun war Dornberger nicht bei den Abschüssen auf Borkum dabei. Er hatte aber sicher die Möglichkeit, später in die Schussberichte einzusehen bzw. hätte man ihm doch sicher die Ergebnisse mitgeteilt. Große Teile seines Buches sind aber aus der Erinnerung heraus geschrieben und in sehr vielen Fakten nicht stimmig – auch dazu weiter unten mehr.

Wie dem auch sei – die 2,2 km sind nur die „halbe Wahrheit“ und alle „Abschreiber“ lasen das als absolute „Gipfelhöhe“ oder modifizierten nach eigenem Gutdünken. Sogar Wernher von Braun verbreitete in den Sechzigern, wie gerade gelesen, dass seine „Erzeugnisse“ MAX und MORITZ gerade so 2 km erreichten.

Wie hoch flogen sie aber wirklich? Gerhard Reisig schrieb noch 1997 in seinem Kompendium „Raketenforschung in Deutschland“ [4] von einer Gipfelhöhe bei MORITZ mit rund 2,2 km. Nirgends im „Schussbericht“, den er als Quelle angibt, taucht dieser Wert auf. Als die einzigen verbürgten Werte werden dort die Wolkenhöhe und die weiter geflogenen Meter bis zum Brennschluss beziffert. Hier die Inhalte [5]:

MAX: Wolkenhöhe in 1300 m; 400 m darüber Brennschluss; das ist in 1700 m Höhe.

MORITZ: gleiche Wolkenhöhe; 500 m darüber Brennschluss; das sind 1800 m.