Rassismus, Sexismus und Klassenkampf - Angela Y. Davis - E-Book

Rassismus, Sexismus und Klassenkampf E-Book

Angela Y. Davis

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Beschreibung

In 13 chronologisch geordneten Essays zeichnet die radikale politische Aktivistin Angela Davis die Entwicklung der amerikanischen Frauenbefreiungsbewegung von den 1960er Jahren bis zum Zeitpunkt der Veröffentlichung des Buches (1981) nach und verknüpft sie mit der Geschichte Schwarzer Frauen in den USA – von der Sklaverei bis zu den Ungerechtigkeiten der Gegenwart. Denn mit dem Ende der Sklaverei in der Folge des amerikanischen Bürgerkrieges war der Rassismus noch nicht überwunden. Die Schwarzen wurden zwar zu Bürger*innen, aber zu Bürger*innen zweiter Klasse. Angela Davis beleuchtet kritisch, wie sich der Kampf um die Bürgerrechte der Schwarzen mit den Kämpfen weißer Frauen für Bildung, Wahlrecht und Gleichberechtigung verband. Die Autorin argumentiert, dass die weiße Frauenbewegung die Bedürfnisse der Schwarzen Gemeinschaft nie verstanden habe, und erklärt, warum Schwarze Frauen in den USA aufgrund von Klassenlage und Rassismus an die heute zentralen Fragen des Feminismus meist anders herangehen als ihre weißen Schwestern: an die Frage der Berufswahl, der gewerkschaftlichen Organisierung, der sexuellen Gleichberechtigung, der Geburtenkontrolle und reproduktiven Freiheit, der Gewalt, der Haus- und Care-Arbeit.

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Seitenzahl: 400

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Angela Y. Davis ist politische Aktivistin, Autorin, Rednerin und emeritierte Professorin der University of California. Seit den 1970er-Jahren gilt sie als Symbolfigur der Bewegung für die Rechte von politischen Gefangenen in den USA und setzt sich bis heute für die Befreiung der Schwarzen ein, kämpft gegen rassistische, Geschlechter- und Klassendiskriminierung sowie gegen den gefängnisindustriellen Komplex in den USA.

Angela Davis

Rassismus, Sexismus und Klassenkampf

Aus dem amerikanischen Englisch von Erika Stöppler

Bibliografische Information der Deutschen Bibliothek

Die Deutsche Bibliothek verzeichnet diese Publikation

in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische

Daten sind im Internet über http://dnb.ddb.de abrufbar

Angela Davis:

Rassismus, Sexismus und Klassenkampf

1. Auflage, Juli 2022

eBook UNRAST Verlag, September 2022

ISBN 978-3-95405-126-7

© UNRAST Verlag, Münster

www.unrast-verlag.de | [email protected]

Mitglied in der assoziation Linker Verlage (aLiVe)

Veröffentlichung mit freundlicher Genehmigung von

Random House, einem Unternehmen der Penguin Random House LLC.

Titel der Originalausgabe:

Women, Race & Class

Veröffentlicht von Random House, 1981

© Angela Davis

Alle Rechte, insbesondere das Recht der Vervielfältigung und Verbreitung

sowie der Übersetzung, vorbehalten. Kein Teil des Werkes darf in irgendeiner

Form ohne schriftliche Genehmigung des Verlags reproduziert oder unter

Verwendung elektronischer Systeme vervielfältigt oder verbreitet werden.

Umschlag: UNRAST Verlag, Münster

Satz: Andreas Hollender, Köln

Inhalt

EINSDas Erbe der Sklaverei: Normen für eine neue Weiblichkeit

ZWEIFür ein Ende der Sklaverei... die Anfänge der Frauenrechtsbewegung

DREIDie Klassen- und ›Rassen‹frage in den frühen Frauenrechtskampagnen

VIERRassismus und Frauenwahlrechtsbewegung

FÜNFDie Bedeutung der Emancipation für die Schwarze Frau

SECHSBildung und Befreiung: die Perspektive der Schwarzen Frau

SIEBENDie Suffragetten um die JahrhundertwendeDer zunehmende Einfluss des Rassismus

ACHTSchwarze Frauen und die Klubbewegung

NEUNArbeiterinnen, Schwarze Frauen und die Geschichte der Wahlrechtsbewegung

ZEHNDie Kommunistinnen

ELFVergewaltigung und RassismusDer Mythos vom Schwarzen Vergewaltiger

ZWÖLFRassismus, Geburtenkontrolle und das Recht auf Nachkommenschaft

DREIZEHNVergesellschaftung der HausarbeitPerspektive der Arbeiterklasse

Anmerkungen

Für meine Mutter Sallye B. Davis

Ich danke den folgenden Personen für ihre Unterstützung: Kendra Alexander; Stephanie Allen; Rosalyn Baxandall; Hilton Braithwaite; Alva Buxenbaum; Fania Davis; Kipp Harvey; James Jackson; Phillip McGee, Dekan der School of Ethnic Studies, San Francisco State; Sally McGee; Victoria Mercado; Charlene Mitchel; Toni Morrison; Eileen Ahearn; dem Women’s Studies Program of San Francisco State University.

Anmerkung des Verlags

Mit freundlicher Erlaubnis der Rechtehalterin haben wir die deutsche Übersetzung von 1982 nicht nur in die Neue Deutsche Rechtschreibung gebracht, sondern sie auch rassismuskritisch und gendersensibel bearbeitet. Wie in Unrast-Büchern üblich haben wir ›Schwarz‹ als politischen Kampfbegriff konsequent großgeschrieben und ›weiß‹ konsequent kursiv. Zudem wurden insbesondere das N-Wort durch N* und die kolonialrassistische Bezeichnung für First Nations durch Native Americans bzw. I* ersetzt. Den verharmlosenden Begriff Sklave/Sklavin haben wir durch Versklavte ersetzt und den Begriff ›Rasse‹ in Anführungszeichen gesetzt. Hiervon ausgenommen sind Zitate von explizit rassistischen Autor*innen, die wir bis auf das N-Wort in ihrem unsäglichen Vokabular belassen haben.

EINSDas Erbe der Sklaverei:Normen für eine neue Weiblichkeit

Im Jahre 1918 gab ein einflussreicher Gelehrter namens Ulrich B. Phillips den Startschuss für eine lange und heiß geführte Diskussion mit der Behauptung, die Sklaverei in den Südstaaten habe den ›afrikanischen Wilden‹ bzw. ihren nordamerikanischen Nachkommen überhaupt erst den Segen der zivilisierten Welt verschafft.[1] Die Schärfe der Auseinandersetzungen hat über die Jahrzehnte hinweg eher zugenommen. Ein Historiker nach dem anderen erklärte sich dazu berufen, nun endlich den wahren Charakter dieser »merkwürdigen Einrichtung« erkannt zu haben. Allerdings blieb bei all diesen akademischen Bemühungen die spezifische Lage der weiblichen Versklavten unberücksichtigt. Die schier endlosen Erörterungen über ihre »sexuelle Promiskuität« oder ihre »matriarchalischen Anlagen« verschleierten eher die Lage der Schwarzen Frau unter der Sklaverei, als dass sie zu einer Klärung beigetragen hätten. Herbert Aptheker bleibt einer der wenigen Historiker, der einem realistischen Verständnis der weiblichen Verklavten eine vernünftige Grundlage zu schaffen vermochte.[2]

Die Debatten um die Sklaverei erlebten in den Siebzigerjahren einen neuen Höhepunkt. Eugene Genovese veröffentlichte Roll, Jordan Roll: The World the Slaves Made[3]. Von John Blassinggame erschien The Slaves Community[4] sowie das von der Öffentlichkeit schlecht aufgenommene Buch Time on the Cross[5] von Fogel und Engerman und eines der Hauptwerke von Herbert Gutman Black Family in Slavery and Freedom[6]. Als Antwort auf die neu entfachte Diskussion veröffentlichte Stanley Elkins eine erweiterte Ausgabe seiner 1959 erschienenen Studie über die Sklaverei, Slavery[7]. Auffällig an dieser Flut von Neuveröffentlichungen ist die Tatsache, dass sich kein einziges dieser Bücher speziell mit den Frauen unter den Versklavten auseinandersetzt. Wer ungeduldig auf eine grundlegende Arbeit über die Schwarze Frau während der Sklaverei gewartet hatte, wurde bislang enttäuscht. Nicht weniger enttäuschend ist die Tatsache, dass die Autoren dieser Neuveröffentlichungen in Sache Frauen keinerlei neue Ansätze entwickelt haben, sieht man von den schon seit Langem diskutierten Fragen wie Promiskuität kontra Ehe und Vergewaltigung kontra freiwillige geschlechtliche Beziehungen zu weißen Männern ab.

Die aufschlussreichste unter all den neueren Arbeiten ist Herbert Gutmans Untersuchung der Schwarzen Familie. Gutman beweist anhand dokumentarischen Materials, dass die Vitalität der Familie sich gegen die unmenschliche Gewalt der Sklaverei durchzusetzen vermochte, und widerlegt damit die von Daniel Moynihan u. a.[8] 1965 vertretene These vom Schwarzen Matriarchat. Da jedoch seine Betrachtungen über die weiblichen Versklavten im Allgemeinen so ausgerichtet sind, ihre Neigungen als Ehefrauen zu bestätigen, liegt der Schluss nahe, dass sie sich von ihren weißen Gegenstücken nur insofern unterschieden, als ihr häusliches Bestreben durch die Not des Sklavensystems vereitelt wurde. Obwohl die institutionalisierten Normen der Sklaverei den Frauen ziemlich viel Freiheit für voreheliche geschlechtliche Beziehungen ließen, schlossen sie doch – so Gutman – im Laufe der Zeit feste Ehen und gründeten Familien, für die ihre Ehemänner einen ebensolchen Beitrag leisteten wie sie selbst. Die schlüssige und gut belegte Argumentationskette Gutmans gegen die Matriarchatsthese ist außerordentlich wertvoll. Um wie viel überzeugender wäre sein Buch geworden, hätte er die multidimensionale Rolle der Schwarzen Frau in Familie und Sklavengemeinschaft als Ganzes untersucht.

Würde sich die Geschichtswissenschaft endlich einmal unmittelbar mit den Erfahrungen der versklavten Schwarzen Frau beschäftigen, könnte die Historikerin (oder der Historiker) der Sache einen unschätzbaren Dienst erweisen. Nicht allein der historischen Gründlichkeit wegen sollte eine Studie erstellt werden, sondern weil gerade aus der Ära der Sklaverei Schlüsse gezogen werden können, die dem gegenwärtigen Emanzipationskampf der Schwarzen Frauen, ja, aller Frauen neue Anstöße geben könnten. Als Laiin auf diesem Fachgebiet kann ich nur ein paar vorsichtige Anregungen geben, die vielleicht zu einer nochmaligen Überprüfung der bisherigen Geschichtsschreibung über die Schwarze Frau während der Sklaverei führen könnten.

Proportional gesehen haben schon immer mehr Schwarze Frauen außer Haus gearbeitet als ihre weißen Schwestern.[9] Das enorme Gewicht, das noch heute die Arbeit im Leben einer Schwarzen Frau hat, folgt einem Grundmuster aus den frühesten Tagen der Sklaverei. Die Zwangsarbeit, die sie als Versklavte zu leisten hatte, überschattete alle anderen Seiten ihrer weiblichen Existenz. Deshalb müsste im Grunde jede Forschung über das Leben der Schwarzen Frau unter der Sklaverei bei der Einschätzung ihrer Rolle als Arbeitende ansetzen.

Das Sklavensystem definierte die Schwarzen als Eigentum (bzw. chattel; die ursprüngliche Bedeutung von chattel ist Versklavter, Leibeigener, d. Ü.). Da Frauen wie Männer als profitbringende Arbeitsmittel angesehen wurden, hätten sie vom Gesichtspunkt der Sklavenhalter aus auch geschlechtslos sein können. Mit den Worten eines Wissenschaftlers »war die versklavte Frau zuerst eine Vollzeitarbeiterin für ihren Besitzer und nur nebenbei Ehefrau, Mutter und Hausfrau«.[10] Aus der Sicht der sich im neunzehnten Jahrhundert entfaltenden Weiblichkeitsideologie, die die Rolle der Frau als nährende Mutter, sanfte Gefährtin und Haushälterin ihres Gatten betonte, war die Schwarze Frau eigentlich eine Anomalie.

Obwohl die Schwarze Frau nur wenig von den zweifelhaften Segnungen der Weiblichkeitsideologie hatte, wird hin und wieder angenommen, dass die typische Versklavte eine Hausbedienstete war, also Köchin, Dienstmädchen oder die Mammy für die Kinder in einem ›guten Hause‹. Onkel Tom und Sambo hatten immer ihre treuen Gefährtinnen in Tante Jemina und der Schwarzen Mammy – Stereotypen, die angeblich das Wesentliche in der Rolle der Schwarzen Frau während der Sklaverei fassen. Und wie so oft, so ist auch hier die Realität das genaue Gegenteil des Mythos. Wie die Mehrheit der männlichen Verslavten waren auch die Frauen überwiegend Landarbeiter*innen. In den Grenzstaaten mag ein bedeutender Teil der Versklavten Hausbedienstete gewesen sein, im tiefen Süden jedoch – der wahren Heimat des Sklavenhaltertums – waren die Versklavten überwiegend landwirtschaftliche Arbeiter*innen. Um die Mitte des neunzehnten Jahrhunderts waren von acht Versklavten sieben – Männer wie Frauen – in der Landwirtschaft beschäftigt.[11]

Ebenso wie die Jungen auf die Felder geschickt wurden, wenn sie dazu alt genug waren, wurden auch die Mädchen angewiesen, das Feld zu bearbeiten, Baumwolle zu pflücken, Zuckerrohr zu schneiden und Tabak zu ernten. In einem Interview aus den Dreißigerjahren beschrieb eine alte Frau, wie sie in ihrer Kindheit in die Feldarbeit auf einer Baumwollplantage in Alabama eingeführt wurde.

»Wir hatten alte halb verfallene Hütten aus Holzstämmen, wo einige der Löcher mit Erde und Moos verschmiert waren und andere nicht. Wir hatten keine guten Betten, gerade ein Gestell, das an die Wand aus Holzstämmen genagelt war und wo man zerschlissenes Bettzeug draufgeworfen hatte. Natürlich konnte man da drauf kaum schlafen, aber selbst das tat den schweren Knochen nach einem langen harten Tagwerk auf den Feldern gut. Als ich noch ein kleines Mädchen war, hütete ich die Kinder und versuchte das Haus sauber zu halten, so wie es mir die alte Miss sagte. Sobald ich zehn Jahre alt war, sagte der alte Herr: ›Jetzt aber mit dem N* hier aufs Baumwollfeld‹.«[12]

Jenny Proctors Erfahrung ist typisch. Die meisten Mädchen und Frauen mussten ebenso wie die meisten Jungen und Männer von Sonnenaufgang bis Sonnenuntergang auf den Feldern hart arbeiten. Was die Arbeit betraf, so verdrängte die drohende Peitsche jede geschlechtsbestimmte Überlegung, sodass allein Stärke und Produktivität zählten. Das war die Gleichheit der Unterdrückung von Mann und Frau.

Die Frauen litten aber auch in anderer Weise, denn sie waren die Opfer sexuellen Missbrauchs und anderer barbarischer Quälereien, die man nur Frauen antun kann. Gegenüber den versklavten Frauen waren die Sklavenhalter immer auf ihren Vorteil bedacht: Wenn es galt, sie wie Männer auszubeuten, wurden sie wie geschlechtslose Wesen behandelt, aber wenn es galt, sie auf eine Weise auszubeuten, zu quälen und zu unterdrücken, wie es nur bei Frauen möglich ist, wurden sie in ihre spezifisch weibliche Rolle gesperrt.

Durch die Abschaffung des internationalen Sklavenhandels war die junge Baumwollindustrie in ihrer Entwicklung schwer getroffen. Die Klasse der Sklavenhalter sah sich nun gezwungen, auf die natürliche Fortpflanzung als die sicherste Methode des Ersatzes und der Vermehrung der einheimischen Versklavten zu vertrauen. Deshalb wurde die Fortpflanzungskapazität der versklavten Frau prämiiert. In den Jahrzehnten vor dem Bürgerkrieg wurden Schwarze Frauen immer mehr nach ihrer Fruchtbarkeit (oder nach deren Fehlen) bewertet: So wurde diejenige, die danach aussah, eine Mutter von zehn, zwölf, vierzehn oder gar mehr Kindern zu werden, tatsächlich zu einem heftig umworbenen Besitz. Das bedeutete natürlich nicht, dass die Schwarze Frau als Mutter mehr respektiert worden wäre denn als Arbeitskraft. Die ideologische Überhöhung der Mutterschaft, so beliebt sie auch im neunzehnten Jahrhundert war, bezog sich nicht auf die versklavten Frauen. Vielmehr waren in den Augen der Sklavenhalter die versklavten Frauen überhaupt keine Mütter: Sie waren schlichte Werkzeuge, die das Wachstum der Sklavenarbeiterschaft garantierten. Sie waren ›Zuchttiere‹, deren Marktwert nach ihrer Gebärleistung genau kalkulierbar war.

Da die versklavten Frauen im Gegensatz zu ›Müttern‹ als ›Zuchttiere‹ eingestuft wurden, konnten ihre Kleinkinder wie Kälber der Kühe verkauft werden. Ein Jahr nach Einstellung des Sklavenimports aus Afrika entschied ein Gericht in South Carolina, dass weibliche Versklavte keinerlei rechtliche Ansprüche auf ihre Kinder hätten. Die Folge dieser richterlichen Entscheidung war, dass Kinder jeden Alters quasi aus den Armen ihrer Mütter weg verkauft werden konnten, denn: »die Jungen der Sklaven … unterliegen denselben Besitzrechten wie andere Tiere«.[13]

Die weiblichen Versklavten waren als Frauen gegen jede Form des sexuellen Zwangs ungeschützt. War die härteste Bestrafung für Männer Auspeitschung und Verstümmelung, so wurden die Frauen sowohl gepeitscht und verstümmelt als auch vergewaltigt. Vergewaltigung war – genau besehen – der unverhüllte Ausdruck der ökonomischen Macht des Sklavenhalters und der Kontrolle der Aufseher über die Schwarze Frau als Arbeiterin.

Dieser spezifische Missbrauch der Frauen begünstigte die ruchlose ökonomische Ausbeutung ihrer Arbeitskraft. Die Sklavenhalter hatten einen solchen Bedarf an dieser Ausbeutung, dass sie ihre herkömmliche sexistische Haltung beiseiteschoben, es sei denn, sie nützte der Unterdrückung. So wie das Sklavenhaltersystem die Schwarze Frau nicht als ›Frau‹ anerkannte, verhinderte es aber auch ein männliches Überlegenheitsgefühl beim Schwarzen Mann. Weil Ehemänner und Ehefrauen, Väter und Töchter gleichermaßen der absoluten Gewalt des Sklavenherrn unterworfen waren, hätte eine Begünstigung der männlichen Überlegenheit unter den Versklavten eine gefährliche Unterbrechung in der Befehlskette zur Folge haben können. Mehr noch: Da die Schwarze Frau als Arbeiterin weder als das ›schwache Geschlecht‹ noch als ›Hausfrau‹ behandelt werden konnte, konnte auch der Mann nicht die Rolle des ›Familienoberhaupts‹, geschweige denn des ›Versorgers‹ übernehmen. Schließlich waren ja Männer, Frauen und Kinder alle in gleichem Maße die ›Versorger*innen‹ der sklavenhaltenden Klasse.

Auf den Baumwoll-, Tabak-, Mais- und Zuckerrohrfeldern arbeiteten die Frauen Seite an Seite mit ihren Männern. Ein ehemaliger Versklavter berichtet:

»Um vier Uhr morgens läutet die Glocke, und sie haben eine halbe Stunde Zeit, um sich fertigzumachen. Männer und Frauen fangen zusammen an, und die Frauen müssen ebenso ununterbrochen arbeiten wie die Männer und haben auch das gleiche Pensum zu bewältigen wie die Männer.«[14]

Die meisten Sklavenbesitzer schufen sich ein System, mit dem sie den Ertrag ihrer Versklavten an Durchschnittswerten von Produktivität maßen, die sie festgesetzt hatten. Kinder wurden in diesem Sinn häufig als Viertelkräfte gezählt. Frauen waren im Allgemeinen Vollkräfte, ausgenommen, sie waren ausdrücklich zur ›Züchtung‹ oder zum ›Säugen‹ bestimmt. Dann kam es vor, dass sie nicht als volle Kraft eingestuft wurden.[15]

Die Sklavenbesitzer waren selbstverständlich darauf aus, dass ihre weiblichen Versklavten, die sie für die ›Zucht‹ bestimmt hatten, so oft wie biologisch nur möglich Kinder gebaren. Aber sie gingen niemals so weit, schwangere Frauen und Mütter mit Säuglingen von der Feldarbeit zu befreien. Viele Mütter waren gezwungen, ihre Säuglinge in der Nähe ihrer Arbeit auf dem Boden liegend allein zu lassen. Einige weigerten sich, sie unbeaufsichtigt zu lassen, und versuchten mit dem Baby auf dem Rücken das normale Arbeitstempo zu halten. Ein ehemaliger Versklavter erzählt von solch einem Fall auf einer Plantage, auf der er gelebt hatte:

»Eine junge Frau ließ ihr Kind nicht wie die anderen am Ende der Furche liegen, sondern hatte sich aus einem Stück grobem Leinen einen behelfsmäßigen Rucksack gemacht, in welchem sie ihr Kind, das noch sehr klein war, auf den Rücken gebunden hatte. So trug sie es den ganzen Tag und arbeitete wie die andern mit der Hacke.«[16]

Auf anderen Plantagen ließen die Frauen ihre Säuglinge in der Obhut kleiner Kinder oder älterer Sklaven zurück, die die harte Arbeit auf den Feldern nicht leisten konnten. Da sie ihre Säuglinge nicht regelmäßig stillen konnten, litten sie unter ihren schmerzenden, geschwollenen Brüsten. In einer der damals beliebtesten Erzählungen über die Sklaverei beschrieb Moses Grandy das elende Los der versklavten Mütter:

»Auf dem Gut, von dem ich spreche, hatten die stillenden Mütter, da sie ihre Säuglinge zu Hause lassen mussten, unter den sich mit Milch anfüllenden Brüsten sehr zu leiden, so sehr, dass sie mit den andern Arbeitern nicht mithalten konnten: Ich habe gesehen, wie der Aufseher mit solch roher Gewalt auf sie einschlug, dass Milch und Blut in einem von ihren Brüsten flossen.«[17]

Schwangere hatten nicht nur die normale Feldarbeit zu leisten, sondern sie mussten wie die anderen Arbeiter*innen damit rechnen, ausgepeitscht zu werden, wenn sie das tägliche Kontingent nicht geschafft oder wenn sie ›frech‹ gegen ihre Behandlung protestiert hatten.

»Ist eine Frau auf dem Feld irgendwie widerborstig und hochschwanger, so muss sie sich über ein Loch legen, das groß genug für ihren Bauch ist, und wird ausgepeitscht oder mit einem Schlegel geschlagen mit Löchern drin; jeder Schlag ergibt Blasen. Eine meiner Schwestern wurde auf diese Weise so schlimm geschunden, dass die Wehen ausbrachen und ihr Kind auf dem Acker zur Welt kam. Der nämliche Aufseher, Herr Brooks, tötete auf die gleiche Weise ein Mädchen namens Mary. Ihr Vater und ihre Mutter waren zu dieser Zeit auf dem Feld.«[18]

Auf den Plantagen und Gütern, wo schwangere Frauen milder behandelt wurden, geschah dies selten aus humanitären Gründen. Es war einfach so, dass die Sklavenhalter den Wert eines lebend geborenen versklavten Kindes ebenso berechneten wie den eines neugeborenen Kalbes oder Fohlens.

In der Zeit vor dem Bürgerkrieg, als die Ansätze der Industrialisierung im Süden noch zaghaft waren, ergänzte die Sklavenarbeit nicht nur den freien Arbeitsmarkt, sondern konkurrierte auch häufig mit ihm. Die Industriellen, die sich Versklavte hielten, setzten Männer, Frauen und Kinder gleichermaßen ein, und auch die Plantagen- und Gutsbesitzer, die ihre Sklaven vermieteten, konnten beobachten, dass die Nachfrage nach Frauen und Kindern genauso groß war wie die nach Männern.[19]

»Versklavte Frauen und Kinder stellten große Teile der Belegschaften in den mit Sklaven betriebenen Textil-, Hanf- und Tabakfabriken … Versklavte Frauen und Kinder arbeiteten mitunter auch in sogenannten schweren Industrien wie Zuckerraffinerien und Reismühlen … In anderen schweren Industrien, wie beim Transport und der Holzverarbeitung, wurden ebenfalls versklavte Frauen und Kinder in einem beträchtlichen Ausmaß beschäftigt.«[20]

Frauen waren auch nicht zu ›weiblich‹ für die Arbeit im Kohlebergbau oder in den Eisenhütten, als Holzfällerin in der Forstwirtschaft oder im Tiefbau. Als in North Carolina der Santee-Kanal gezogen wurde, bestand die Arbeiter*innenschaft zu genau fünfzig Prozent aus Frauen.[21] Ebenso arbeiteten Frauen an den Uferdämmen Louisianas, und viele der heute noch betriebenen Bahnlinien wurden zum Teil von versklavten Frauen gebaut.[22] Die Verwendung der weiblichen Versklavten als Ersatz für die Zugtiere der Förderwagen in den Minen des Südens[23] erinnert an die unglaubliche Ausbeutung der weißen Arbeiterinnen in England, die Karl Marx im Kapital wie folgt beschrieben hat:

»In England werden gelegentlich statt der Pferde immer noch Weiber zum Ziehen usw. bei den Kanalbooten verwandt, weil die zur Produktion von Pferden und Maschinen erheischte Arbeit ein mathematisch gegebenes Quantum, die zur Erhaltung von Weibern der Surpluspopulation dagegen unter aller Berechnung steht.«[24]

Die Industriellen des Südens machten ebenso wenig wie ihre britischen Gegenstücke einen Hehl aus den Motiven, warum sie gerade Frauen in ihren Unternehmen beschäftigten. Weibliche Versklavte brachten ein ganzes Stück mehr Profit ein als männliche Versklavte oder freie Arbeiter*innen. Sie »waren billiger in der Anschaffung und im Unterhalt als die besten Männer«.[25]

Die Tatsache, dass sie von ihren Herren gezwungen wurden, in ihrer Arbeitsleistung ebenso ›männlich› zu sein wie ihre Männer, hat mit Sicherheit die Erfahrungen der Schwarzen Frauen während der Sklaverei stark geprägt. Ohne Zweifel zerbrachen einige und wurden zerstört, die Mehrheit überlebte jedoch und erlangte in diesem Prozess Fähigkeiten, die von der Weiblichkeitsideologie des neunzehnten Jahrhunderts tabuisiert wurden. Ein Reisender aus jener Zeit beobachtete in Mississippi eine Schar männlicher wie weiblicher Versklavter auf ihrer Heimkehr von den Feldern und beschrieb als Teil dieser Gruppe

»… vierzig der größten und kräftigsten Frauen, die ich je auf einmal gesehen habe; sie trugen alle schlichte Einheitskleider aus bläulichem Karostoff – ihre Beine und Füße waren nackt; in stolzer Haltung trug jede eine Hacke über der Schulter; so gingen sie mit freiem starkem Schwung wie Jäger auf ihrem Marsch.«[26]

Da diese Frauen kaum ihren Stolz auf eine Arbeit gezeigt haben werden, die sie unter der ständigen Drohung der Peitsche verrichten mussten, müssen sie sich also ihrer enormen Macht bewusst gewesen sein, ihrer Fähigkeit zu produzieren und schöpferisch zu sein.

Denn, so sieht es Marx, »die Arbeit ist das lebendige, gestaltende Feuer; die Vergänglichkeit der Dinge, ihre Zeitlichkeit, als ihre Formung durch die lebendige Zeit«[27]. Es ist natürlich möglich, dass die Beobachtungen dieses Reisenden durch den Rassismus der paternalistischen Spielart getrübt waren. Falls aber nicht, dann hatten diese Frauen vielleicht gelernt, aus den unterdrückerischen Verhältnissen ihres Lebens die Kraft zu ziehen, die sie brauchten, um der täglichen Entmenschlichung durch die Sklaverei zu widerstehen. Das Bewusstsein von ihrer geradezu grenzenlosen Leistungsfähigkeit bei harter Arbeit mag ihnen das Selbstvertrauen verliehen haben, das sie brauchten, um für sich, für ihre Familien und für ihr Volk zu kämpfen.

Als die zur Zeit vor dem Bürgerkrieg noch zaghaften Vorstöße des Fabrikwesens sich zum stürmischen Siegeszug der Industrialisierung in den Vereinigten Staaten ausweiteten, wurden viele weiße Frauen der Erfahrung, produktive Arbeit zu leisten, beraubt. Ihre Spinnräder wurden durch die Textilfabriken in die Mottenkiste verwiesen. Ihre Geräte zum Kerzenmachen wurden zu Museumsstücken, wie so viele andere Werkzeuge, die sie vorher zur Herstellung der lebensnotwendigen Bedarfsgüter für ihre Familien gebraucht hatten. Kaum war die Weiblichkeitsideologie – jenes Nebenprodukt der Industrialisierung – eingeführt und durch die neuen Damenzeitschriften und romantischen Romane verbreitet, schienen sich die weißen Frauen in einer Sphäre zu bewegen, die vollkommen von der Welt der produktiven Arbeit abgeschirmt war. Die Trennung zwischen privatem Heim und öffentlicher Wirtschaft, vom industriellen Kapitalismus herausgebildet, verfestigte die Vorstellung von der Minderwertigkeit der Frau mehr denn je zuvor. In der vorherrschenden Propaganda wurde ›Frau‹ synonym mit ›Mutter‹ und ›Ehefrau‹, und beide, sowohl ›Mutter‹ als auch ›Ehefrau‹ trugen die fatalen Charakterzüge der Minderwertigkeit. Unter den Schwarzen versklavten Frauen aber gab es dieses Vokabular nicht. Der ökonomische Rahmen der Sklaverei widersprach der Hierarchisierung der Geschlechter, wie sie diese neue Ideologie beinhaltete. Innerhalb der Sklavengemeinschaft konnten deshalb die Beziehungen zwischen Männern und Frauen nicht mit dem herrschenden ideologischen Muster übereinstimmen.

Eine Menge Aufhebens ist um die von den Sklavenhaltern geprägte Definition der Schwarzen Familie als einer mutterzentrierten biologischen Struktur gemacht worden. Die Geburtsregister auf vielen Plantagen ließen die Namen der Väter aus und trugen nur die der Mütter ein. Und im gesamten Süden verfolgten die staatlichen Behörden das Prinzip partus sequitur ventrem – das Kind folgt dem Stand der Mutter. Das waren die Vorschriften der Sklavenbesitzer, die oft genug selbst die Väter der Sklavenkinder waren. Aber waren das auch die Regeln, nach denen die Versklavten untereinander ihre häuslichen Beziehungen ordneten? Die meisten historischen und soziologischen Untersuchungen zur Schwarzen Familie während der Sklaverei setzen stillschweigend voraus, dass die Weigerung der Sklavenherren, die Vaterschaft in Bezug auf ihre versklavten Kinder anzuerkennen, von den Versklavten direkt in eine matriarchalische Ordnung der Familie umgesetzt worden sei.

Die berüchtigte staatliche Untersuchung zur »N*familie« von 1965 – bekannt geworden als Moynihan-Report – verbindet die gegenwärtigen sozialen und ökonomischen Probleme des Schwarzen Gemeinwesens direkt mit der vermeintlichen matriarchalischen Familienstruktur. Daniel Moynihan schreibt:

»Im Grunde ist die N*gemeinschaft in eine matriarchalische Struktur gezwungen worden, die, weil sie ganz und gar nicht mit der übrigen amerikanischen Gesellschaft übereinstimmt, den Fortschritt der Gruppe als Ganze ernstlich verzögert und dem schwarzen Mann eine erdrückende Last aufbürdet und in der Konsequenz auch einer großen Anzahl von schwarzen Frauen.«[28]

Die These dieses Reports ist, dass der Grund der Unterdrückung tiefer liege und nicht nur in der rassistischen Diskriminierung, die Arbeitslosigkeit, schlechte Wohnverhältnisse, unzulängliche Schulbildung und medizinische Unterversorgung hervorgebracht hat. Die Wurzel der Unterdrückung wird als eine »pathologische Verwirrung« beschrieben, die durch die Abwesenheit der männlichen Autorität unter den Schwarzen erzeugt worden sei! Der polemische Schluss des Moynihan-Reports ist die Aufforderung, männliche Autorität (gemeint ist natürlich männliche Vorherrschaft) in der Schwarzen Familie und der Gemeinschaft überhaupt einzuführen.

Einer von Moynihans ›liberaleren‹ Unterstützern, der Soziologe Lee Rainwater, nahm Anstoß an den Lösungsvorschlägen des Reports.[29] Rainwater schlug demgegenüber die Schaffung von Arbeitsplätzen, höhere Löhne und andere wirtschaftliche Reformen vor. Er ging sogar so weit, zu ständigen Bürgerrechtsprotesten und -demonstrationen zu ermutigen. Aber wie die meisten weißen Soziolog*innen – und auch einige Schwarze – wiederholt er die These, dass die Sklaverei die Schwarze Familie im tiefsten Inneren zerstört habe. Infolgedessen bleibe den Schwarzen angeblich nur »die auf die Mutter zentrierte Familie mit dem nachdrücklichen Vorrang der Mutter-Kind-Beziehung und den nur schwachen Bindungen an den Mann«.[30] Heute, sagt er, haben die Männer oft kein richtiges Heim; sie ziehen von einem Haushalt, wo sie Verwandte oder sexuelle Beziehungen haben, zum nächsten. Sie schlafen in Schlafsälen oder Logierhäusern; sie verbringen ihre Zeit in öffentlichen Einrichtungen. Sie sind keine Haushaltsmitglieder in ihrem eigentlichen ›Zuhause‹ – in den Wohnungen ihrer Mütter oder Freundinnen.[31]

Weder Moynihan noch Rainwater haben die Theorie von der inneren Entartung der Schwarzen Familie während der Sklaverei erfunden. Die Pionierarbeit zur Unterstützung dieser These leistete in den Dreißigerjahren der bekannte Schwarze Soziologe E. Franklin Frazier. In seinem 1939 erschienenen Buch The Negro Family[32] beschrieb er lebhaft den ungeheuren Einfluss der Sklaverei auf die Schwarzen, aber er unterschätzte ihre Fähigkeit, den dadurch gegebenen Zersetzungen ihres Gemeinschaftslebens, das sie sich selbst geschaffen hatten, zu widerstehen. Ebenso missdeutete er die Unabhängigkeit und die Selbstsicherheit, die die Schwarze Frau notwendigerweise hatte entwickeln müssen, und bejammerte daher die Tatsache, dass »weder ökonomische Notwendigkeit noch Tradition (der Schwarzen Frau) den Sinn für Unterordnung unter die männliche Autorität eingeflößt hatten«.[33]

Motiviert durch die vom Moynihan-Report ausgelöste Kontroverse wie auch durch Zweifel an der Richtigkeit der Thesen von Frazier, begann Herbert Gutman seine Untersuchung über die Schwarze Familie. Etwa zehn Jahre später – 1976 – veröffentlichte er seine bemerkenswerte Studie The Black Family in Slavery and Freedom.[34] Gutmans Untersuchung erbrachte den faszinierenden Beweis für eine aufblühende und sich entwickelnde Schwarze Familie während der Sklaverei. Er entdeckte keineswegs die berüchtigte matriarchalische Familie, sondern eine, zu der Ehefrau, Ehemann, Kinder und oft auch andere Verwandte und adoptierte Kinder gehörten.

Gutman trennte sich von den fragwürdigen ökonometrischen Schlussfolgerungen von Fogel und Engerman, nach denen die Sklaverei die meisten Familien unangetastet gelassen habe, und bestätigte, dass unzählige Sklavenfamilien gewaltsam zerstört worden sind. Die Trennung durch voneinander unabhängigen Verkauf von Ehemännern, Ehefrauen und Kindern war das schreckliche Kennzeichen der nordamerikanischen Variante der Sklaverei. Aber, so weist er nach, die Bindungen von Liebe und Zuneigung, die die familiären Beziehungen bestimmenden kulturellen Normen und der übermächtige Wunsch zusammenzubleiben widerstanden der verheerenden Gewalt der Sklaverei.[35]

Anhand von Briefen und Dokumenten, wie etwa den wiedergefundenen Geburtsregistern auf den Plantagen, wo die Väter ebenso wie die Mütter eingetragen worden waren, beweist Gutman, dass sich die Versklavten bei der Regelung ihrer Familienangelegenheiten nicht nur an strenge Normen hielten, sondern auch, dass diese Normen sich von denen der weißen Familien um sie herum unterschieden. Heiratsverbote, die Art der Namensgebung und die Sexualethik, die übrigens den vorehelichen Verkehr billigte, unterschieden die Versklavten von ihren Herren.[36] Indem sie täglich verzweifelt darum rangen, ihr Familienleben aufrechtzuerhalten und so viel Unabhängigkeit wie irgend erreichbar zu genießen, bewiesen der versklavte Mann und die versklavte Frau ein ununterdrückbares Talent zur Vermenschlichung einer Umwelt, die darauf angelegt war, sie in eine Herde von Arbeitseinheiten jenseits allen Menschseins zu verwandeln.

»Die alltäglichen Entscheidungen, die die versklavten Männer und Frauen treffen mussten – wie das Zusammenbleiben mit demselben Gatten über viele Jahre hinweg, den Vater eines Kindes anzugeben oder nicht, sich eine Frau zur Ehefrau zu nehmen, die Kinder von nicht genannten Vätern hatte, einem neugeborenen Kind den Namen des Vaters, einer Tante oder eines Onkels oder eines Großelternteils zu geben oder eine nicht funktionierende Ehe aufzulösen – widersprachen in der Praxis, und nicht nur rhetorisch, der bestimmenden Ideologie, die im Versklavten das ewige ›Kind‹ oder den unterdrückten ›Wilden‹ sah … Die häuslichen Einrichtungen und verwandtschaftlichen Netze im Verein mit den größeren Gemeinschaften, die aus diesen anfänglichen Bindungen entstanden, machten es ihren Kindern deutlich, dass Versklavte keine ›Nichtmänner‹ und keine ›Nichtfrauen‹ waren.«[37]

Bedauerlicherweise hat Gutman keinen Versuch unternommen, die tatsächliche Stellung der Frau innerhalb der versklavten Familie zu bestimmen. Durch die Darstellung eines komplexen Familienlebens, in dem Mann und Frau gleichermaßen eingebunden waren, hat Gutman einen der Hauptpfeiler des Matriarchatargumentes eliminiert. Er hat jedoch die ergänzende Behauptung, dass die Frau in Familien mit zwei Elternteilen den Mann dominiert habe, nicht wesentlich erschüttert. Ferner bestätigt Gutmans eigene Untersuchung, dass das Gemeinschaftsleben in den Sklavenvierteln weitgehend eine Fortsetzung des Familienlebens war. Somit muss die Rolle der Frau innerhalb der Familie in einem hohen Maß auch ihre Stellung innerhalb der Sklavengemeinschaft insgesamt bestimmt haben.

Höchst wissenschaftliche Studien haben das Familienleben der Versklavten als eines dargestellt, das die Frauen erhöht und die Männer erniedrigt, auch dann, wenn beide, die Mutter wie der Vater, da waren. Nach Stanley Elkins z.B. war die Rolle der Mutter von

»weit größerer Bedeutung für das Sklavenkind als die des Vaters. Sie beherrschte die wenigen Tätigkeiten – Pflege des Haushaltes, Essenkochen und die Erziehung der Kinder –, die der Sklavenfamilie noch geblieben waren.«[38]

Die systematische Bezeichnung der versklavten Männer als ›boys‹ durch ihre Herren war nach Elkins eine Spiegelung ihrer Unfähigkeit, väterliche Verantwortung zu tragen. Kenneth Stamp verfolgt diese Argumentationslinie sogar noch weiter als Elkins:

»… die typische Sklavenfamilie war ihrer Form nach matriarchalisch, denn die Rolle der Mutter war wesentlich wichtiger als die des Vaters. Insoweit die Familie überhaupt von Bedeutung war, beinhaltete sie Aufgaben, die traditionell den Frauen zukamen, wie die Säuberung des Heimes, Essenkochen, Kleidernähen und Kinderaufziehen. Der Mann war bestenfalls der Gehilfe der Frau, ihr Gefährte und Sexualpartner. Er wurde oft als ihr Besitz betrachtet (Marys Tom) ebenso wie die Hütte, die sie bewohnten.«[39]

Es ist richtig, dass dem Familienleben eine unverhältnismäßig große Bedeutung im gesellschaftlichen Leben der Versklavten beigemessen wurde, denn es war tatsächlich der einzige Ort, wo sie sich als Menschen erfahren konnten. Deshalb – und weil sie ebenso Arbeiter*innen waren wie ihre Männer – wurden die Schwarzen Frauen durch ihre häuslichen Funktionen nicht in derselben Weise erniedrigt, wie es den weißen Frauen geschah. Im Gegensatz zu ihren weißen Pendants konnten sie niemals als bloße ›Hausfrauen‹ behandelt werden. Aber deshalb zu behaupten, dass sie folglich ihre Männer dominiert hätten, hieße die Wirklichkeit des Sklavenlebens gründlich zu verdrehen.

In einem Aufsatz, den ich 1971[40] schrieb – unter Benutzung der wenigen Quellen, die mir in meiner Gefängniszelle erlaubt waren –, charakterisierte ich die Bedeutung der häuslichen Funktionen der versklavten Frau wie folgt:

»In Gestalt der unendlichen Sorge für die Bedürfnisse der Männer und Kinder um sie herum … verrichtete sie gleichzeitig die einzige Arbeit in der Sklavengemeinschaft, auf die der Unterdrücker keinen direkten und unverzüglichen Anspruch hatte. Für die Arbeit auf den Feldern gab es keine Bezahlung; sie hatte für die Versklavten keinen nützlichen Zweck. Die Hausarbeit war für die gesamte Sklavengemeinschaft die einzig bedeutungsvolle Arbeit … Eben weil sie die Rolle des Aschenputtels spielte, in der sich lange die gesellschaftlich bedingte Minderwertigkeit der Frauen widerspiegelte, konnte die geknechtete Schwarze Frau helfen, die Grundlage für eine gewisse Autonomie sowohl für sich als auch für ihre Männer zu legen. Selbst durch ihre spezifische Unterdrückung als Frau wurde sie in das Zentrum der Sklavengemeinschaft gestoßen. Deshalb war sie so wichtig für das Überleben der Gemeinschaft.«

Seitdem ist mir klar, dass der spezifische Charakter der Hausarbeit während der Sklaverei, ihre zentrale Bedeutung für die geknechteten Männer und Frauen, darin bestand, dass sie Tätigkeiten enthielt, die nicht ausschließlich weiblich waren. Die versklavten Männer hatten wichtige häusliche Aufgaben inne und waren nicht – wie Kenneth Stamp behauptet – die bloßen Gehilfen ihrer Frauen. Denn während die Frauen z.B. kochten oder nähten, bestellten die Männer den Garten oder gingen auf Jagd (Süßkartoffeln, Mais und andere Gemüse sowie Wild, Hase oder Opossum waren immer eine zusätzliche Delikatesse zu den monotonen Rationen). Diese geschlechtsmäßige Teilung der Hausarbeit scheint nicht hierarchisch gewesen zu sein: Die Aufgaben der Männer wurden sicherlich nicht höher und keinesfalls niedriger bewertet als die von den Frauen verrichteten Arbeiten. Beide waren gleich notwendig. Überdies war allen Anzeichen nach die Teilung der Arbeit zwischen den Geschlechtern nicht durchgehend so streng, denn die Männer haben durchaus manchmal in der Hütte gearbeitet und die Frauen konnten sich der Gartenarbeit widmen oder sich sogar an der Jagd beteiligen.[41]

Das herausragende Charakteristikum, das sich aus dem Familienleben in den Sklavenquartieren herausgebildet hat, ist das der geschlechtlichen Gleichheit. Die Arbeit, die die Versklavten für sich selbst und nicht zur Bereicherung ihrer Herren taten, wurde nach dem Prinzip der Gleichheit verrichtet. Innerhalb der Beschränkung ihrer Familie und ihres Gemeinschaftslebens gelang den Versklavten deshalb eine erstaunliche Leistung. Sie verwandelten die negative Gleichheit, die aus der gleichen Unterdrückung hervorging, unter der sie als Sklaven zu leiden hatten, in eine positive Qualität: den Egalitarismus, der ihre sozialen Beziehungen charakterisierte.

Obwohl Eugene Genoveses Hauptthese in Roll, Jordan, Roll (d.h., dass die Schwarzen den Paternalismus, der mit der Sklaverei einherging, akzeptiert hätten) bestenfalls problematisch ist, vermittelt er doch ein aufschlussreiches, wenn auch unvollständiges Bild vom Familienleben der Versklavten.

»Die Geschichte der Sklavin als Ehefrau bedarf einer indirekten Untersuchung. Sie von der Annahme herzuleiten, dass der Mann nur ein Gast in ihrem Hause war, wird nicht funktionieren. Ein Überblick über die tatsächliche Stellung des Mannes als Ehemann und Vater legt nahe, dass die Stellung der Frau wesentlich komplexer war, als gewöhnlich angenommen. Die Hinwendung der Frauen zur Hausarbeit, speziell dem Kochen, und zu ihrer eigenen Weiblichkeit straft die überkommene Lehre Lügen, nach der die Frauen unwissentlich zum Ruin ihrer Männer beigetragen haben sollen, indem sie sich im Hause durchgesetzt, ihre Kinder beschützt und andere üblicherweise männliche Pflichten übernommen hätten.«[42]

In seiner Analyse ist zwar ein Zug männlicher Vormachtstellung zu erkennen, weil sie besagt, dass das Männliche und das Weibliche unveränderbare Konzeptionen sind, und doch erkennt er ganz klar:

»Was gewöhnlich als die zerstörerische weibliche Vorherrschaft angesehen wurde, war in Wirklichkeit eine größere Annäherung an eine gesunde geschlechtliche Gleichheit, als sie den Weißen und sogar den Schwarzen der Nachkriegszeit je möglich war.«[43]

Der faszinierendste Punkt, den Genovese hier anspricht – ohne ihn zu entwickeln –, ist, dass die Frauen ihre Männer oft vor den erniedrigenden Angriffen des Sklavensystems schützten. Den meisten Frauen, vielleicht sogar der großen Mehrheit, war seiner Meinung nach bewusst, dass die Erniedrigung ihrer Männer auch sie selbst traf. Weiterhin wollten sie, dass ihre Jungen zu Männern aufwuchsen, und sie wussten sehr genau, dass sie, um solche zu werden, das Beispiel des starken Schwarzen Mannes brauchten.«[44]

Ihre Jungen brauchten die starken männlichen Vorbilder ebenso, wie ihre Töchter die starken weiblichen Vorbilder brauchten. Wie die Schwarzen Frauen die schwere Last der Gleichheit in der Unterdrückung trugen, wie sie die Gleichheit mit ihren Männern in ihrer familiären Umwelt genossen, so behaupteten sie kampfentschlossen ihre Gleichheit, erst recht dort, wo es darum ging, die unmenschliche Institution der Sklaverei anzugreifen. Sie widerstanden der sexuellen Gewalt der weißen Männer, verteidigten ihre Familien und beteiligten sich an Arbeitsniederlegungen und Revolten. Wie Herbert Aptheker in seinem bahnbrechenden Werk American Negro Slave Revolts[45] nachweist, vergifteten sie ihre Herren, begingen Sabotage und schlossen sich wie ihre Männer den Gemeinschaften flüchtiger Versklavter an, und viele flohen nach Norden in die Freiheit. Aus den zahlreichen Berichten über gewalttätige Zwangsmaßnahmen von Aufsehern gegen Frauen muss geschlossen werden, dass diejenige, die ihr Los als versklavte Frau passiv erduldete, eher die Ausnahme als die Regel war.

Als Frederick Douglass beschrieb, wie er als Kind die gnadenlose Gewalt der Sklaverei kennenlernte,[46] erinnerte er sich an die Auspeitschung und Folterung vieler rebellischer Frauen. Seine Cousine z.B. wurde entsetzlich geschlagen, nachdem sie sich erfolglos gegen den sexuellen Angriff eines Aufsehers gewehrt hatte.[47] Eine Frau namens Tante Esther wurde auf bestialische Weise gezüchtigt, weil sie sich ihrem Herrn gegenüber weigerte, ihr Verhältnis mit dem Mann, den sie liebte, abzubrechen.[48] Eine der lebhaftesten Beschreibungen der erbarmungslosen Strafen, mit denen die Versklavten zu rechnen hatten, gibt Frederick Douglass am Beispiel einer jungen Frau namens Nellie, die wegen des Vergehens der ›Frechheit‹ ausgepeitscht wurde:

»Es gab Augenblicke, da sah es so aus, als ob sie die Oberhand über diese Bestie gewönne, aber zuletzt überwältigte er sie, und es gelang ihm, ihre Arme an den Baum zu binden, zu dem er sie hingeschleift hatte. Das Opfer war nun abhängig von der Gnade seiner gnadenlosen Peitsche … Die Schreie der nun wehrlosen Frau vermischten sich während dieser furchtbaren Züchtigung mit den rohen Flüchen des Aufsehers und dem unbändigen Gebrüll ihrer verschreckten Kinder. Als die arme Frau losgebunden wurde, war ihr Rücken mit Blut bedeckt. Sie war ausgepeitscht worden, furchtbar ausgepeitscht, aber sie war nicht bezwungen, und sie fuhr fort, den Aufseher zu beschimpfen und ihm jeden ekelhaften Ausdruck entgegenzuschleudern, der ihr nur einfiel.«[49]

Douglass fügt hinzu, dass er daran zweifle, ob dieser Aufseher es je wieder versucht habe, Nellie auszupeitschen.

Es gab viele Frauen, die wie Harriet Tubman vor der Sklaverei nach Norden flohen. Viele waren erfolgreich, aber noch mehr wurden wieder gefangen. In einen der dramatischsten Fluchtversuche war eine vermutlich noch nicht zwanzigjährige Frau namens Ann Wood verwickelt, die eine Fuhre voll bewaffneter Jungen und Mädchen auf ihrer Flucht in die Freiheit anführte. Nach ihrem Aufbruch an Heiligabend 1855 wurden sie in eine Schießerei mit Sklavenfängern verwickelt. Zwei von ihnen wurden getötet, aber die übrigen schlugen sich allem Anschein nach nach Norden durch.[50] Die Abolitionistin Sarah Grimke beschrieb den Fall einer Frau, deren Widerstand nicht so erfolgreich wie der von Ann Wood war. Die wiederholten Versuche dieser Frau, der Herrschaft ihres Besitzers in South Carolina zu entfliehen, brachten ihr so viele Auspeitschungen ein, dass »kein Finger zwischen die Einschnitte gelegt werden konnte«.[51] Da sie jede sich bietende Gelegenheit zur Flucht von der Plantage ergriff, wurde sie am Ende an einem schweren Eisenkragen gefangen gehalten, und für den Fall, dass es ihr gelingen sollte, auch diesen aufzubrechen, war ihr vorsorglich zur Identifizierung ein Vorderzahn herausgebrochen worden. Obgleich ihre Besitzer, berichtet Grimke, als eine wohltätige und christliche Familie bekannt waren,

»… war diese leidende versklavte Frau, die Näherin der Familie, dauernd um sie, saß im Zimmer und nähte oder war mit anderen Haushaltsarbeiten … beschäftigt, alles mit ihrem zerfleischten, blutenden Rücken, ihrem verstümmelten Mund und dem schweren Eisenkragen, ohne, soweit zu beobachten war, irgendeine Regung des Mitleids hervorzurufen.«[52]

Die Frauen widersetzten sich und unterstützten Angriffe gegen die Sklaverei bei jeder Gelegenheit. Bedenkt man die unaufhörliche Unterdrückung der Frau, »so ist es kein Wunder«, so Herbert Aptheker, dass die N*in bei den Sklavenaufständen so oft zur Eile antrieb«[53].

»Virginia, 1812: ›Sie sagte, dass sie sich ihretwegen nicht früh genug aufmachen könnten, da sie lieber in der Hölle sein wolle, als da, wo sie sei.‹ Mississippi, 1835: ›Sie betete zu Gott, dass nun alles getan und vorbei sei; dass sie es müde sei, auf die Weißen zu warten …«

Vielleicht kann man jetzt eine Margaret Garner besser verstehen, eine flüchtige versklavte Frau, die ihre eigene Tochter tötete und sich selbst umzubringen versuchte, nachdem sie in der Nähe von Cincinnati eingefangen worden war. Sie jubelte, als das Mädchen tot war – ›nun wird sie niemals erfahren, was eine Frau als Versklavte erleidet‹ – und verlangte, wegen Mordes angeklagt zu werden: ›Ich gehe lieber singend zum Galgen als zurück in die Sklaverei.‹«[54]

Die Maroon-Gemeinschaften, die sich aus flüchtigen Versklavten und ihren Nachfahren zusammensetzten, waren im ganzen Süden bereits ab 1642 und bis 1864 zu finden. Diese Gemeinschaften waren »Häfen für die Flüchtigen, dienten als Stützpunkte organisierter Plünderungen in den nahen Plantagen, und zeitweise stellten sie die Führung für geplante Aufstände«.[55] 1816 wurde eine große blühende Gemeinschaft entdeckt: Dreihundert geflohene Versklavte – Männer, Frauen und Kinder – hatten eine Festung in Florida besetzt. Sie weigerten sich zu kapitulieren, und die Armee begann eine Schlacht, die zehn Tage dauerte und das Leben von mehr als zweihundertfünfzig Bewohner*innen forderte. Die Frauen und Männer schlugen gemeinsam zurück.[56] Bei einem anderen Zusammenstoß in Mobile, Alabama, 1827, kämpften Frauen und Männer nach den Berichten der Lokalzeitungen gleicherweise so unerbittlich »wie die Spartaner«.[57]

Der Widerstand äußerte sich oft auch subtiler als in Revolten, Fluchten und Sabotageakten. Er umfasste z.B. auch das heimliche Erwerben der Lese- und Schreibfähigkeit und das Weitergeben dieser Kenntnisse an andere. In Natchez, Louisiana, betrieb eine versklavte Frau eine »Mitternachtsschule«. Sie unterrichtete ihre Leute zwischen elf und zwei Uhr, bis sie Hunderte »ausgebildet« hatte.[58] Zweifellos stellten sich viele von ihnen ihren eigenen Pass aus und verschwanden in Richtung Freiheit. In Alex Haleys Roots,[59] seinem Roman über das Leben seiner Vorfahren, bringt sich Belle, Kunta Kintes Frau, das Lesen und Schreiben mühsam selbst bei. Sie liest heimlich die Zeitung ihres Herrn, hält sich über die gegenwärtigen politischen Ereignisse auf dem Laufenden und gibt dieses Wissen an ihre versklavten Schwestern und Brüder weiter.

Keine Erörterung über den Anteil der Frauen am Widerstand gegen die Sklaverei ist vollständig, die nicht den außergewöhnlichen Heldentaten Tribut zollt, die Harriet Tubman als Leiterin der ›Underground Rail‹ für über dreihundert Leute vollbrachte.[60] Der Anfang ihres Lebens verlief auf die für die meisten versklavten Frauen typische Weise. Als Landarbeiterin in Maryland lernte sie durch die Arbeit, dass ihre Leistungsfähigkeit der jedes Mannes ebenbürtig war. Ihr Vater lehrte sie, Holz zu fällen und Stämme zu spalten, und während sie Seite an Seite arbeiteten, lehrte er sie Dinge, die später auf ihren neunzehn Fahrten in den Süden und wieder zurück für sie lebenswichtig waren. Er lehrte sie, wie man sich lautlos durch den Wald bewegt und wie man Nahrung und Medizin unter den Pflanzen, Wurzeln und Kräutern findet. Die Tatsache, dass sie niemals eine Niederlage erlitt, ist zweifellos ein Ergebnis dieses väterlichen Unterrichts. Während des gesamten Bürgerkriegs ließ Harriet Tubmans Kampf gegen die Sklaverei nicht nach, und bis heute genießt sie den Ruf, die einzige Frau zu sein, die jemals Truppen im Krieg anführte.

Was für Maßstäbe auch immer an Harriet Tubman angelegt werden – Schwarze oder weiße, männliche oder weibliche –, sie bleibt eine außergewöhnliche Persönlichkeit. Und doch war, genau gesehen, das, was sie tat, einfach ihre Art, ihre Kraft und Ausdauer zum Ausdruck zu bringen, die so viele andere Schwarze Frauen ebenfalls erworben hatten. Und es bedarf der Wiederholung: Die Schwarzen Frauen waren in Bezug auf die erlittene Unterdrückung ihren Männern gleich; sie waren innerhalb der Sklavengesellschaft ihren Männern gesellschaftlich gleich, und sie widersetzten sich der Sklaverei ebenso leidenschaftlich wie ihre Männer. Dies ist eine der größten Ironien des Sklavensystems: Durch die Unterwerfung der Frauen unter die schlimmste Ausbeutung, die vorstellbar ist, eine Ausbeutung, die sich nicht um geschlechtliche Unterschiede scherte, wurde die Grundlage geschaffen, auf der sich die Schwarzen Frauen nicht nur ihrer gesellschaftlichen Gleichheit gewiss werden, sondern sie auch durch Widerstandshandlungen zum Ausdruck bringen konnten. Das muss für die Sklavenbesitzer eine furchtbare Erkenntnis gewesen sein, denn allem Anschein nach versuchten sie, dieses Band der Gleichheit durch besonders brutale Unterdrückungsmethoden gegen die Frauen zu durchbrechen. Hier muss noch einmal daran erinnert werden, dass die Gewalttätigkeit gegenüber Frauen an Intensität diejenige gegen die Männer übertraf, da die Frauen nicht nur ausgepeitscht und verstümmelt, sondern auch vergewaltigt wurden.

Es wäre ein Fehler, die institutionalisierte Form der Vergewaltigung während der Sklaverei als Ausdruck der sexuellen Potenz des weißen Mannes anzusehen, die angesichts der Sittsamkeit der weißen Weiblichkeit sonst erstickt worden wäre. Dies wäre eine gar zu einfältige Erklärung. Die Vergewaltigung war eine Waffe der Herrschaft, eine Waffe der Unterdrückung, deren verdecktes Ziel es war, den Widerstandswillen der versklavten Frauen zu brechen und im gleichen Zug ihre Männer zu demoralisieren. Die Beobachtungen über die Funktion von Vergewaltigung im Vietnamkrieg können auch für die in der Sklaverei gelten: »In Vietnam machte die US-Militärkommandantur die Vergewaltigung gesellschaftsfähig; in der Tat war es eine ungeschriebene, aber offensichtliche Politik.«[61] Als die GIs ermutigt wurden, die vietnamesischen Frauen und Mädchen zu vergewaltigen (und es wurde ihnen zuweilen geraten, die Frauen »mit ihrem Penis zu suchen«[62]), war eine Waffe des massenpolitischen Terrorismus gefunden. Da sich die vietnamesischen Frauen durch ihren heroischen Beitrag zum Befreiungskampf ihres Volkes hervortaten, führte man speziell für sie die Vergewaltigung als militärische Vergeltung ein. Waren die Frauen gegen die Gewalt keineswegs immun, die gegen Männer angewandt wird, so wurden sie durch eine sexistische Militärgewalt, die sich von dem Prinzip leiten ließ, dass der Krieg ausschließlich Männersache sei, noch als besondere Opfer des Terrorismus ausersehen. »Einmal sah ich, wie eine Frau von einem Heckenschützen, von einem unserer Heckenschützen, angeschossen wurde«, sagte ein GI.

»Als wir bei ihr waren, bat sie um Wasser. Und der Leutnant sagte, sie solle getötet werden. So riss er ihr die Kleidung herunter, sie stachen ihr in beide Brüste, sie spreizten ihre Beine und stießen einen der beim Militär üblichen Klapp-Spaten in die Vagina hinein. Und dann zogen sie den wieder heraus und gebrauchten einen Ast, und dann wurde sie erschossen.«[63]

In eben der Weise, wie die Vergewaltigung ein institutionalisierter Bestandteil der Aggression gegen das vietnamesische Volk war mit dem Ziel, die Frauen einzuschüchtern und zu terrorisieren, so ermutigten auch die Sklavenbesitzer zum terroristischen Gebrauch der Vergewaltigung, um die Schwarzen Frauen niederzuhalten. Wenn die Schwarzen Frauen das Bewusstsein ihrer eigenen Stärke erlangt hätten sowie einen starken inneren Drang zum Widerstand, dann könnten die gewaltsamen sexuellen Angriffe – so mögen die Sklavenhalter kalkuliert haben – die Frauen an ihr essenziell und unveränderbar weibliches Wesen erinnern. Im Vorstellungsbereich männlichen Überlegenheitswahns hieß das zu jener Zeit Passivität, Ergebung und Schwäche.

Eigentlich enthalten alle Sklavenerzählungen des neunzehnten Jahrhunderts Berichte über sexuelle Misshandlungen an Frauen durch ihre Herren oder Aufseher.

»Henry Bibbs Master zwang ein Sklavenmädchen, die Konkubine seines Sohnes zu sein; M. F. Jamisons Aufseher vergewaltigte ein schönes Sklavenmädchen, und Salomon Northrups Besitzer zwang die Sklavin ›Patsy‹, seine Sexualpartnerin zu sein.«[64]

Trotz der Zeugenaussagen vieler Versklavter über das hohe Vorkommen von Vergewaltigung und sexuellem Zwang ist der Sachverhalt des sexuellen Missbrauchs in der traditionellen Literatur über die Sklaverei geradezu beschönigt worden. Mitunter wird sogar angenommen, die versklavten Frauen hätten die sexuelle Aufmerksamkeit der weißen Männer begrüßt und herausgefordert. Und was zwischen ihnen geschah, sei deshalb keine sexuelle Ausbeutung, sondern vielmehr ›Rassenmischung‹ gewesen. In dem Kapitel von Roll, Jordan, Roll, das dem Geschlechtsverkehr von Angehörigen verschiedener ›Rassen‹ gewidmet ist, behauptet Genovese, das Problem der Vergewaltigung verblasse gegenüber den erbarmungslosen Tabus, die die ›Rassenvermischung‹ umgeben. »Viele weiße Männer«, sagt der Autor, »die anfangs ein Sklavenmädchen in einem Akt sexueller Ausbeutung nahmen, waren zuletzt voller Liebe zu ihr und zu den Kindern, die sie gebar«[65]. »Die wahre Tragik der Rassenmischung lag« demnach

»nicht in ihrem jähen Ende in Wollust und sexueller Ausbeutung, sondern in dem furchtbaren Druck, Freude, Zuneigung und Liebe, die oft aus einem flitterhaften Anfang erwuchsen, verleugnen zu müssen.«[66]

Der kritische Ansatz, der Genoveses gesamte Betrachtungsweise bestimmt, ist der Paternalismus. Seiner Ansicht nach hätten die Versklavten die paternalistische Haltung ihrer Herren akzeptiert, und die Herren ihrerseits seien durch den Paternalismus gezwungen worden, die Forderungen der Versklavten nach Menschlichkeit anzuerkennen. Da aber in den Augen der Masters die Menschlichkeit der Versklavten höchstens den Entwicklungsstand von Kindern erreichte, ist es nicht überraschend, dass Genovese glaubt, in der ›Rassenmischung‹ den Kern dieser Humanität gefunden zu haben. Er begreift nicht, dass schwerlich eine Grundlage für »Freude, Zuneigung und Liebe« entstehen konnte, solange die weißen Männer kraft ihrer ökonomischen Machtposition uneingeschränkten Zugang zu den Körpern der Schwarzen Frauen hatten. Die weißen Männer verhielten sich zu den Körpern der Schwarzen Frauen als Unterdrücker und, wenn sie selbst keine Sklavenbesitzer waren, als Agenten der Herrschaft. Genovese wäre gut beraten, Gayl Jones’ Corregidora,[67] den kürzlich erschienenen Roman einer jungen Schwarzen Frau zu lesen, der die Versuche mehrerer Generationen von Frauen nachzeichnet, für die während der Sklaverei verübten Sexualverbrechen »Beweise aufzubewahren«.

E. Franklin Frazier glaubte, in der ›Rassenvermischung‹ die bedeutendste kulturelle Leistung der Schwarzen während der Sklaverei entdeckt zu haben:

»Der Master in seinem Herrenhaus und seine farbige Geliebte in einem besonderen Gebäude nebenan verkörperten den höchsten Triumph des gesellschaftlichen Rituals angesichts des tiefsten Gefühls menschlicher Solidarität.«[68]

Gleichzeitig jedoch konnte er die Frauen, die sich nicht kampflos ergaben, doch nicht ganz abtun:

»Dass der physische Zwang manchmal notwendig war, um die Unterwerfung der schwarzen Frauen sicherzustellen … ist historisch belegt und in den Traditionen der N*familien erhalten geblieben.«[69]

Er zieht die Geschichte einer Frau heran, deren Urgroßmutter immer begeistert von den Kämpfen erzählte, die ihr die beträchtlichen Narben auf ihrem Körper eingebracht hatten. Aber da war eine Narbe, deren Herkunft sie beharrlich verschwieg, und wann immer sie danach gefragt wurde, sagte sie: »Kind, weiße Männer sind so gemein wie Hunde, halt dich fern von denen.« Nach ihrem Tod wurde das Geheimnis endlich gelüftet:

»Diese Narbe brachte ihr der jüngste Sohn ihres Masters bei, ein achtzehnjähriger Junge, als sie sein Kind empfing, meine Großmutter Ellen.«[70]

Die weißen Frauen, die sich der abolitionistischen Bewegung anschlossen, waren über die sexuellen Anschläge auf Schwarze Frauen besonders empört. Wenn die Aktivistinnen aus den Frauenvereinigungen gegen die Sklaverei an die weißen Frauen appellierten, ihre Schwarzen Schwestern zu verteidigen, berichteten sie oft über Fälle von brutalen Vergewaltigungen der versklavten Frauen. Obwohl jene Frauen unschätzbare Dienste für die Antisklavereikampagne leisteten, gelang es ihnen oft nicht, die komplexe Lage der Schwarzen Frau zu begreifen. Schwarze Frauen waren in der Tat Frauen, aber ihre Erfahrungen während der Sklaverei – harte Arbeit zusammen mit ihren Männern, Gleichheit innerhalb der Familie, Widerstand, Auspeitschungen und Vergewaltigungen – hatten die Entwicklung bestimmter Charakterzüge ihrer Persönlichkeit gefördert, durch die sie sich von den meisten weißen Frauen unterschieden.

Eines der beliebtesten Werke der abolitionistischen Literatur war Harriet Beecher Stowes Onkel Toms Hütte