Rassismus. Strukturelle Probleme brauchen strukturelle Lösungen! - Natasha A. Kelly - E-Book

Rassismus. Strukturelle Probleme brauchen strukturelle Lösungen! E-Book

Natasha A. Kelly

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Beschreibung

Rassismus ist eine systemische Ideologie, die seit vielen Jahrhunderten unsere gesamte Gesellschaft durchzieht. Dieser Fakt wird in der öffentlichen Debatte oft ignoriert. Stattdessen wird allein über die persönlichen Auswirkungen von Rassismus gesprochen. Doch dies verdeckt seine umfassende Wirkmacht und Verwobenheit. Dieses Buch zeigt anhand von fünf Beispielen aus der aktuellen Debatte, warum es wichtig ist, prozessorientiert (und nicht ergebnisorientiert) zu handeln, und bereitet verständlich und leicht zugänglich die Grundlagen des strukturellen Rassismus in Deutschland auf.

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Natasha A. Kelly

Rassismus

Strukturelle Probleme brauchen strukturelle Lösungen!

1. Auflage 2021

© by Atrium Verlag AG, Zürich 2021

Alle Rechte vorbehalten

Covergestaltung: Annemike Werth, Hamburg

© Autorinnenfoto: Emmanuel Nimo

 

Dieses Werk ist urheberrechtlich geschützt, jede Verwertung bedarf der Genehmigung des Verlages.

 

ISBN978-3-03792-177-7

 

www.atrium-verlag.com

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Die Schwarze deutsche Community weist seit Jahrzehnten darauf hin, dass Rassismus alle Strukturen unserer Gesellschaft durchdringt. In der öffentlichen Debatte wird allerdings noch immer auf einer individuellen Ebene nach einer Patentlösung gesucht. Doch erst wenn wir die strukturelle Dimension des Rassismus verstehen, können wir erfolgsversprechende Maßnahmen dagegen entwickeln, denn strukturelle Probleme brauchen strukturelle Lösungen. Die promovierte Kommunikationssoziologin und akademische Aktivistin Natasha A. Kelly schafft mit ihrem Buch eine längst überfällige Grundlage für den informierten Dialog über Rassismus. Anhand von konkreten Beispielen aus der aktuellen Debatte zeigt sie, wo die Strukturen des Rassismus verlaufen – und setzt selbst elementare Impulse für die Diskussion.

Einleitung

Als die Öffentlichkeit im Mai 2020 Zeugin der Ermordung des Schwarzen US-Amerikaners George Floyd durch einen weißen Polizisten wurde, ist eine bittere Wahrheit ins Zentrum der Aufmerksamkeit gerückt, die Schwarzen Menschen nur allzu bewusst ist: Rassismus tötet![1] Nach dem Tod von George Floyd wurde in Deutschland allerdings unverblümt mit dem Finger auf die Polizei in den USA gezeigt. Die rassistischen Morde der eigenen Polizei waren vergessen: Kola Bankole (1994), Aamir Ageeb (1999), N’deye Mareame Sarr (2000), Michael Paul Nwabuisi (2001), Oury Jalloh (2005), Laye-Alama Condé (2005), Dominique Koumadio (2006) oder Christy Schwundeck (2011). Die Liste der Schwarzen Menschen, die in den letzten dreißig Jahren durch die deutsche Polizei zu Tode kamen, ist lang. Schon 2016 hatte sich hierzulande eine Black-Lives-Matter-Bewegung (BLM) gegen institutionellen Rassismus bei der Polizei und rassistische Polizeigewalt gegründet. Demonstrationen der Größenordnung des Sommers 2020 hatte sie allerdings noch nicht hervorgebracht. Insgesamt hat es in der Geschichte Deutschlands nur selten ein großes öffentliches Interesse für die Lebensrealitäten Schwarzer Menschen gegeben. Und wenn Interesse bestand, war das nicht immer positiv, wie beispielsweise bei der rassistischen Propagandakampagne gegen den Einsatz Schwarzer Kolonialtruppen nach dem Ersten Weltkrieg. Im Sommer 2020 war aber alles anders. Gestärkt durch die Corona-Pandemie versammelten sich Bürger:innen aus allen gesellschaftlichen Schichten in verschiedenen deutschen Städten, um gegen Rassismus zu demonstrieren. Und obwohl der Anlass ein sehr trauriger war, war das Gefühl der Solidarität überwältigend.

Doch allzu bald wurde dieses Gefühl von der mangelhaften Berichterstattung und von zahlreichen politischen Fehlentscheidungen und -tritten überschattet. Selten waren so viele Schwarze Menschen in Talkshows zu sehen, die der Reihe nach von ihren individuellen Rassismuserfahrungen berichteten. Durch das (Mit-)Teilen solcher Schmerzerfahrungen sollten die weißen Zuschauer:innen mithilfe von Empathie an das Thema herangeführt werden. Was hinzu kam und für viele Zuschauer:innen neu gewesen sein mag, war die Tatsache, dass sie als weiße Mehrheitsgruppe angesprochen wurden und nicht als neutrale Individuen. Erstmals konnten sie sich selbst in der Position des handelnden weißen Subjekts beobachten, das aus einer weißen Normposition heraus Rassismus ausübt. Wie wir nämlich aus der Critical-Whiteness-Forschung wissen, ist »weiß« keine objektive Kennzeichnung eines äußeren Erscheinungsbildes, sondern eine durch Rassismus geschaffene privilegierte Positionierung.[2] In einer rassistischen Gesellschaft sind weiße Personen nie aufgrund dessen, dass sie als weiß wahrgenommen werden, systematisch und strukturell diskriminiert worden – egal, ob sie in der Mehrheit oder in der Minderheit waren bzw. sind. Und das können sie als von Rassismus privilegierte Personen auch nicht.

Die Reaktion der Mainstream-Medien auf die Black-Lives-Matter-Demonstrationen war sehr einseitig. Sie versäumten es, über die weiße Position hinauszugehen und das Leben Schwarzer Menschen getreu dem Motto »Black Lives Matter« tatsächlich in den Mittelpunkt zu rücken. Stattdessen kam ihre Haltung – bewusst oder unbewusst – dem Ruf nach »All Lives Matter« gleich.[3] Ihr Unwissen um strukturellen Rassismus wurde unmissverständlich zum Ausdruck gebracht. Deutlich wurde, wer sprechen kann und wer nicht, wer gehört wird und wer nicht, und vor allem, über welche Themen gesprochen werden darf und über welche nicht. Schwarze Subjektpositionen, die längst die ihnen zugeschriebene Opferrolle überwunden haben, oder Schwarze Expert:innen, die seit Jahrzehnten in Wissenschaft und Praxis zum Thema arbeiten, wurden weitestgehend übergangen und Schwarze deutsche Geschichte selten in den Fokus gerückt. Dadurch wurde die gesellschaftliche Position von Schwarzen Menschen in Deutschland schlichtweg unsichtbar gemacht.

Sowohl Medien als auch Politik legten durch ihren mangelhaften Umgang mit den historischen Fakten und aktuellen Ereignissen ein tieferliegendes Problem der deutschen Gesellschaft offen: ein falsches, verkürztes Verständnis von Rassismus, das seine strukturelle Dimension ignoriert. Dabei ist Rassismus eine spezifische Form der Diskriminierung, die sich aus institutionellem Rassismus, internalisiertem Rassismus, interpersonalem Rassismus und Alltagsrassismus speist. Auf diesen Ebenen werden Machtverhältnisse geschaffen, die die gesellschaftlichen Strukturen und sogar globale Hierarchien zwischen Ländern und zwischen Kontinenten herstellen. Der Begriff »struktureller Rassismus« bezeichnet dementsprechend rassistische Machtmechanismen, die in Individuen, Gesellschaften oder Institutionen verankert sind und diese negativ beeinflussen. Auch wenn struktureller Rassismus und institutioneller Rassismus häufig synonym verwendet werden, darf der strukturelle Rassismus weder auf seine institutionelle noch auf seine individuelle Ebene reduziert werden.

Wichtig ist auch zu betonen, dass es nicht nur Rassismus gegen Schwarze Menschen gibt, was häufig als Anti-Schwarzer Rassismus bezeichnet wird, sondern auch andere Formen des Rassismus, wie antimuslimischen oder antiasiatischen Rassismus sowie Rassismus gegen Rom:nja und Sinti:zze. Auch der Antisemitismus wird häufig als Sonderform des Rassismus betrachtet. Rassismus gegen weiße Menschen gibt es jedoch nicht und hat es auch noch nie gegeben – dazu müssten wir in der Geschichte zurückreisen und die Machtverhältnisse umkehren, weiße Menschen unterdrücken, sie ihrer Subjektivität berauben und an ihrer persönlichen und kollektiven Entwicklung hindern.[4] Streng genommen müssten wir also von Rassismen in der Mehrzahl reden. Sie unterscheiden sich nicht nur durch die betroffenen Gruppen, sondern auch in ihrem geschichtlichen Verlauf und in ihrer sozialen und politischen Verstetigung, d.h. in der Art und Weise, wie sich der jeweilige Rassismus über die Zeit ausgeformt und in die Gesellschaftsstrukturen eingeschrieben hat. Zudem können sich Rassismen mit weiteren Diskriminierungsformen überschneiden, wie etwa Diskriminierungen aufgrund des Geschlechts, der sexuellen Orientierung, des Alters, aufgrund von Behinderungen etc. Die Verschränkung zweier oder mehrerer dieser Diskriminierungsformen ist als Intersektionalität[5] bekannt. So sind Schwarze Frauen*[6] etwa sowohl von Rassismus als auch von Sexismus betroffen, die zusammenwirken und eine spezifische Form der Mehrfachdiskriminierung hervorbringen.[7]

Aus ebendieser Perspektive bzw. an dieser Intersektion (dt. Kreuzung) stehend – um es mit den Worten von Kimberlé Crenshaw zu sagen – schreibe ich dieses Buch. Als Schwarze heterosexuelle cis[8] Frau, die ihren Lebensmittelpunkt in Deutschland verortet, Schul- und Wissenschaftssysteme mit allen strukturellen Herausforderungen durchlaufen hat und nicht nur am eigenen Leib Rassismus und Sexismus erlebt und überlebt hat, sondern auch dazu geforscht und gelehrt hat, ist es mir ein großes Anliegen, mir Gehör zu verschaffen, solange noch zugehört wird. Denn viele Dinge, die folgen, wurden schon mehrfach von Schwarzen Frauen* gesagt. Genau genommen, wird seit Beginn der zweiten Welle der Schwarzen Bewegung in Deutschland, die im Zuge der aufstrebenden Frauen*bewegung Mitte der 1980er Jahre entfacht worden ist, vom strukturellen Rassismus gesprochen.

Verstanden wurde das in der Breite der Gesellschaft bislang jedoch nicht, denn noch immer wird Rassismus in Deutschland beinahe ausschließlich in den individuellen Erfahrungen der einzelnen Betroffenen gesucht und nicht in den Strukturen der Gesellschaft. Rassismus gegen Schwarze Menschen können wir aber nur verstehen, wenn wir das Thema nicht auf individuelle Vorurteile, Einzelfälle und Intentionen reduzieren, sondern aus der Betroffenheitsecke herausholen. Auch wenn es verlockend ist, das Thema zu vereinfachen, darf Rassismus nicht als eindimensionales Konstrukt betrachtet werden. Wir befinden uns nämlich in einer komplexen Machtmatrix und nicht in einem linearen Machtgebilde.

Nun, ich möchte nicht die Intelligenz der Deutschen beleidigen. Wir haben schon an anderer Stelle deutscher Geschichte komplexe Debatten führen müssen, warum sollte es uns nicht wieder gelingen? Dieses Buch soll dabei helfen, die Verwirrung aufzulösen, die sowohl bei Schwarzen als auch bei weißen Menschen bei diesem Thema herrscht. Es wird gezeigt, welche verschiedenen Auseinandersetzungen es gibt, inwieweit sie ineinanderlaufen, wo die Missverständnisse liegen und wie wir strukturell dagegen angehen können. Denn Rassismus ist ein strukturelles Problem, und strukturelle Probleme brauchen strukturelle Lösungen!

 

Ohne die Schmerzerfahrungen anderer Gruppen negieren oder eine künstliche Trennung zwischen Rassismus und Sexismus machen zu wollen, geht es in diesem Buch primär um den sogenannten Anti-Schwarzen Rassismus. Anhand von unterschiedlichen Praxisbeispielen wird dargestellt, wo die Strukturen des Rassismus verlaufen und wie er sich in die deutsche Gesellschaft eingeschrieben hat. Als Kommunikationssoziologin schaue ich primär aus sozialwissenschaftlicher Perspektive auf das Thema und nehme dabei die Strukturen und Wirkweisen des Rassismus in den Blick, um seine sozialen, historischen, politischen und kulturellen Zusammenhänge und Wechselwirkungen aufzuzeigen.[9]

Zuerst wird die Geschichte des Rassismus in Deutschland skizziert sowie die Frage beantwortet, wo der Rassismus historisch verwurzelt ist und wie gegenwärtig daran erinnert wird bzw. werden muss. Es wird deutlich, dass sich Rassismus in deutscher Erinnerungskultur eingeschrieben hat und auf diese Weise in öffentlichen und kulturellen Räumen strukturell wirkt. Die Geschichte des Rassismus macht sich unter anderem auch an Begriffen fest, weshalb im Folgekapitel aufgezeigt wird, warum es zu diesem Zeitpunkt wichtig ist, entgegen der aktuellen politischen Forderung der Grünen, »Rasse« im Grundgesetz stehen zu lassen. Ein historischer Blick auf den Rassebegriff und auf das dahinterstehende Rassedenken ist unabdingbar, um erfassen zu können und verstehen zu lernen, wie sich Rassismus in die Gesellschaftsstrukturen einschreiben konnte.

In den beiden ersten Kapiteln wird bereits deutlich, dass Wissen, Wissenschaft und Wissensvermittlung bei der Dekonstruktion von Rassismus eine große Rolle spielen. Das dritte Kapitel widmet sich daher dem institutionellen Rassismus an deutschen Hochschulen und Schulen. Rassismus schreibt sich aber nicht nur in Institutionen der Wissensvermittlung ein, sondern auch in Erkenntnissysteme und damit in Sprache selbst: Warum das N-Wort (immer noch) rassistisch ist und seine Verwendung im Gegensatz zum Rassebegriff keinen Nutzen bringt, wird in Kapitel vier deutlich. Im letzten Kapitel wird schlussendlich der institutionelle Rassismus bei der Polizei aufgerollt. Zum einen werden am Fallbeispiel von Oury Jalloh die Verstrickungen von Rassismus, Gesetz und Recht aufgezeigt. Zudem wird deutlich, inwieweit unsere Sehgewohnheiten von Rassismus geprägt sind.

Auf diese Weise will das Buch eine Grundlage für einen informierten Dialog schaffen, mit dem Ziel, die Antirassismusdebatte in Deutschland zu professionalisieren und weiter voranzubringen. Als strukturbildende Ideologie steht Rassismus absolut konträr zu der Selbstverpflichtung von Deutschland, die Menschenrechte einzuhalten, vor Diskriminierung zu schützen und die im Grundgesetz festgeschriebenen Werte zu garantieren. Stattdessen werden in der gegenwärtigen Lage die bestehenden Machtverhältnisse aufrechterhalten und Ungleichheit normalisiert und legalisiert. Bevor wir also in einer politischen Sackgasse enden, ist es wichtig, sich über eine allgemeingültige Definition von Rassismus zu verständigen, die davon ausgeht, dass Rassismus strukturell ist und sich in alle Ebenen der Gesellschaft eingeschrieben hat. Erst dann können wir lösungsorientierte Maßnahmen dagegen entwickeln, die Erfolg versprechen und nicht nur symbolisch sind.

Kapitel 1:Rassismus und Geschichte

Im Zuge des BLM-Sommers 2020 wurden weltweit Denkmäler von umstrittenen historischen Personen gestürzt. In den USA wurden zahlreiche Kolumbus-Denkmäler vom Sockel gerissen. In Großbritannien wurde das Denkmal des »Versklavers« Edward Colston ins Hafenbecken geworfen. In Belgien wurde das Bildnis von König Leopold II verbrannt. In Frankreich wurde Voltaire entstellt. Ebenso in Australien: Dort wurden gleich mehrere Denkmäler des britischen »Entdeckers« James Cook bemalt. Die Liste der Interventionen in koloniale Erinnerungskultur während des Sommers 2020 ist lang und zeigt, wie zentral das Thema Kolonialismus in der Auseinandersetzung mit Rassismus ist. Heute ist Kolonialismus als Macht- und Herrschaftssystem zwar vorbei, ideologisch wirkt er aber als sogenannte Kolonialität fort.[10] Die rassistischen Ideen des Kolonialismus beeinflussen bis in die Gegenwart hinein Körperbilder, Wissen und Wissensproduktion sowie die Machtstrukturen unserer Gesellschaft. So bestimmt die andauernde Kolonialität etwa noch immer das Verständnis dessen, wer oder was »deutsch« ist.[11] Die Proteste des Sommers 2020 machen auch deutlich, dass die deutsche koloniale Erinnerungskultur große Defizite aufweist. So wird mit der andauernden Kolonialität deutsche Geschichte stets aus weißer Perspektive geschrieben. Doch wir müssen in einer postkolonialen Perspektivumkehr deutsche Geschichte auch von einem Schwarzen Standpunkt aus betrachten.

Im Berliner Tiergarten wurde das Bismarck-Nationaldenkmal, eines von über sechshundert existierenden Bismarck-Denkmälern in Deutschland und seinen ehemaligen Kolonien, großflächig mit pinker und goldener Farbe besprüht und beschriftet: Auf dem Sockel der Statue stand in schwarzen Buchstaben »Decolonize Berlin« – wie es schon seit Jahren von Aktivist:innen gefordert wird. Allerdings distanzierte sich das Bündnis Decolonize Berlin e.V. in einer öffentlichen Stellungnahme von dieser Aktion. Das Bündnis besteht aus zehn zivilgesellschaftlichen Organisationen, die sich bereits seit Längerem für Straßenumbenennungen, die Rückführung menschlicher Gebeine, für politische und kulturelle Bildung und andere postkoloniale Projekte einsetzen. Es wird vom Land Berlin finanziert und fungiert als Koordinierungsstelle »für ein gesamtstädtisches Aufarbeitungskonzept Berlins kolonialer Vergangenheit«, wie es auf der Homepage heißt. Seine Aufgabe ist es, »Vorschläge zu formulieren, um die Auseinandersetzung mit der deutschen Kolonialvergangenheit zu intensivieren, das Thema in Wissenschaft und Bildung zu verankern und würdige Formen des Erinnerns zu entwickeln«, heißt es weiter.[12]

Aber welche »würdigen Formen des Erinnerns« an europäische Kolonialgeschichte gibt es? Einige Kunsthistoriker:innen halten es für den falschen Weg, Denkmäler zu zerstören. Sie sagen, es sei besser, sich durch Gegendenkmäler kritisch mit Geschichte auseinanderzusetzen. Allerdings kommen solche Vorschläge erst, wenn radikale Interventionen erfolgt sind. Weniger radikale Einsprüche und Forderungen werden meist nicht gehört. So demonstriert etwa das Komitee für ein afrikanisches Denkmal in Berlin (KADIB) bereits seit 2007 für eine Gedenkstätte, die an die Schwarzen Opfer des Kolonialismus, des Nationalsozialismus und der rassistischen Gewalt der Nachkriegszeit erinnern soll. Jedes Jahr findet im Februar ein vom Komitee organisierter Gedenkmarsch statt, der sich zeitlich auf das Ende der Berliner Kongokonferenz von 1884/85 bezieht. Ins Leben gerufen wurde die Initiative laut Pressemitteilung, »um der Forderung nach Anerkennung der Verbrechen gegen afrikanische/Schwarze Menschen Nachdruck zu verleihen und um ihren Widerstand zu würdigen«. Aus demselben Grund hatten die Vereinten Nationen die internationale Dekade für Menschen afrikanischer Herkunft[13] unter dem Motto »Anerkennung, Gerechtigkeit, Entwicklung« ausgerufen (2015–2024