Rauhmorde - Tom Finnek - E-Book

Rauhmorde E-Book

Tom Finnek

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Beschreibung

Eigentlich möchte Maik Bertram mit seiner Tochter und Heinrich Tenbrink die weihnachtlichen Rauhnächte gemütlich in einem kleinen Kotten im Wald verbringen. Und mit Mord und Totschlag will er nur noch auf dem Papier zu tun haben - als Krimi-Autor. Doch dann erschüttert ein Doppelmord das winterliche Münsterland. Der Tatverdächtige flieht und nimmt in seiner Verzweiflung Maiks Tochter und Kommissarin Heide Feldkamp als Geiseln ...

Noch einmal müssen Bertram und Tenbrink gemeinsam ermitteln. Dabei stoßen sie auf alte und neue Geheimnisse und die Frage: Wie gut kennt man die Menschen, die einem am nächsten stehen?

Für alle Fans der beliebten Münsterland-Reihe - und alle, die es noch werden wollen - hat Tom Finnek diesen kleinen spannenden Krimi geschrieben. Die perfekte Krimi-Lektüre für einen kalten Winterabend.

Alle Fälle für Heinrich Tenbrink und Maik Bertram:

GALGENHÜGEL
TOTENBAUER
SCHULDACKER
RAUCHLAND
TOTENSANG (Kurz-Krimi)
FINSTERBUSCH
SCHATTENBRUCH
RAUHMORDE (Kurz-Krimi)

beTHRILLED - mörderisch gute Unterhaltung.

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Seitenzahl: 187

Veröffentlichungsjahr: 2025

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Inhalt

Cover

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Grußwort des Verlags

Über dieses Buch

Titel

Zwischen den Jahren

Prolog

Mittwoch, 24. Dezember

Erster Tag

Freitag, 26. Dezember 1

2

3

4

5

6

7

8

9

10

11

Zweiter Tag

Samstag, 27. Dezember 1

2

3

4

5

6

7

8

Dritter Tag

Sonntag, 28. Dezember 1

2

3

4

5

6

7

8

9

Epilog

Mittwoch, 31. Dezember

Über den Autor

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Impressum

Cover

Inhaltsverzeichnis

Titelseite

Inhaltsbeginn

Impressum

   

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Über dieses Buch

Eigentlich möchte Maik Bertram mit seiner Tochter und Heinrich Tenbrink die weihnachtlichen Rauhnächte gemütlich in einem kleinen Kotten im Wald verbringen. Und mit Mord und Totschlag will er nur noch auf dem Papier zu tun haben - als Krimi-Autor. Doch dann erschüttert ein Doppelmord das winterliche Münsterland. Der Tatverdächtige flieht und nimmt in seiner Verzweiflung Maiks Tochter und Kommissarin Heide Feldkamp als Geiseln ...

Noch einmal müssen Bertram und Tenbrink gemeinsam ermitteln. Dabei stoßen sie auf alte und neue Geheimnisse und die Frage: Wie gut kennt man die Menschen, die einem am nächsten stehen?

eBooks von beTHRILLED – mörderisch gute Unterhaltung!

Tom Finnek

Rauhmorde

Ein Münsterland-Krimi

Kriminalroman

Zwischen den Jahren

»Da war es ihr selber, als sähe sie durch denSchlagschatten der Bäume noch eine andereGestalt lauschen.Sie sah rasch um sich, aber es war nichts.«

Annette von Droste-Hülshoff,»Ledwina«

Prolog

Mittwoch, 24. Dezember

Paul Mönning hatte schlechte Laune. Mit finsterer Miene stand er bei Temperaturen um den Gefrierpunkt im Schneeregen vor seinem Haus und zog an der klammen Zigarette, die ihm nicht einmal besonders schmeckte. Er verstand Eva natürlich. Und ja, er hatte es ihr versprochen. Aber so leicht war es eben nicht, nach über fünfzehn Jahren mit dem Rauchen aufzuhören. Als seine Frau ihm vor vier Monaten mitgeteilt hatte, dass sie schwanger war, da war er überglücklich gewesen und hatte sofort versprochen, die Finger vom Nikotin zu lassen. Keine große Sache. Verstand sich ja von selbst!

Ganze drei Wochen hatte er ausgehalten, dann war er dem inneren Schweinehund unterlegen und hatte sein Versprechen an die ernüchternde Realität angepasst. Er klebte sich Nikotinpflaster auf die Haut und ging, wenn der Drang zu stark wurde, zum Rauchen nach draußen. Bis vor Kurzem auch mal in den Keller. Dort hatte er einen kleinen Hobbyraum, der sogar über einen elektrischen Luftabzug verfügte. Doch damit war es vorbei. Der Gestank ziehe durchs ganze Haus, hatte Eva behauptet, ihr werde übel davon. Ob er etwa darauf aus sei, dass sie sich übergebe! An Weihnachten.

Paul freute sich ungemein auf sein erstes Kind und konnte die Geburt kaum erwarten. Nicht nur, weil er dann Papa, sondern auch, weil Eva dann endlich nicht mehr schwanger sein würde. Nicht mehr so launisch, nicht mehr so reizbar und vor allem nicht mehr so überempfindlich. Ihr Geruchssinn, ihr Gehör, ihr Geschmack – alles schien im ständigen Ausnahmezustand zu sein. Der Spinat schmecke angeblich nach Aluminium, die Wände im Wohnzimmer rochen immer noch ekelerregend nach Tabakrauch, und die verdammten Spatzen im Garten machten einen Lärm, der ihr den Verstand raube. Sie werde noch verrückt!

Eben erst hatte sie sich über die »Scheißblagen« aufgeregt, die irgendwo in der Nachbarschaft mit Böllern geschossen hatten. Am Heiligen Abend, obwohl der Verkauf der Kracher noch gar nicht erlaubt war. Vermutlich in Holland gekauft. Verdammte Patjacken!

Paul hatte sich die Zigaretten geschnappt und war ins Freie getürmt. In den eiskalten Schneeregen! Ohne Jacke, Mütze oder Regenschirm. Auch wenn ihm hier draußen saukalt war, war er froh, weg zu sein. Weg von Eva und ihrem mürrischen Gezeter. Und weg von ihren ebenso miesepetrigen Eltern, die den ganzen Abend nur rumgenörgelt hatten: über das unfestliche Essen ohne Gans, den alkoholfreien Punsch und die fehlende Weihnachtsmusik. Bei letzterem Punkt hatte Paul auf Abstinenz bestanden. »Stille Nacht« und »White Christmas« kamen ihm nicht ins Haus!

Nebenan im Haus der Piepers rumpelte und schepperte es. Es klang beinahe so, als würden Möbel umkippen und Geschirr zu Boden gehen. So viel also zur stillen und besinnlichen Weihnacht. Im Vergleich zu den Nachbarn war Pauls Eheleben ein einziger Sonnenschein. Tina und Martin Pieper hatten sich vor wenigen Monaten getrennt. Martin war im September ausgezogen, hatte danach aber immer wieder für Ärger und einige nächtliche Polizeieinsätze gesorgt. Erst vor Kurzem hatte Tina ein Kontaktverbot gegen ihren im trunkenen Zustand zur Gewalt neigenden Noch-Ehemann erwirkt. Und er war häufig betrunken gewesen.

Paul stutzte. Wieso also der Lärm, wenn Martin das Haus gar nicht betreten durfte? Wieder rumpelte es, und im nächsten Moment wurde die Haustür aufgerissen. Martin Pieper rannte durch den Vorgarten auf die Straße und blieb wie angewurzelt stehen, als er Paul sah. Es war zwar stockfinster, doch Martin stand unter der Straßenlaterne, und so konnte Paul seinen verwirrten und panischen Gesichtsausdruck erkennen. Vermutlich war er wieder einmal betrunken. Er starrte drein, als hätte er einen Geist gesehen. Den Geist der zukünftigen Weihnacht, wie in dem kitschigen Theaterstück, in das Eva ihn vor einigen Tagen geschleppt hatte, um sich anschließend über die amateurhaften Leistungen der Laiendarsteller aufzuregen.

»Martin?«, rief Paul ihm zu und warf die halb gerauchte Zigarette auf den Boden. »Was ist los? Ist was passiert? Ich hab das Scheppern gehört.«

Martin Pieper reagierte nicht. Stierte bloß und fuchtelte mit der rechten Hand, in der er irgendetwas Schwarzes hielt. Erst jetzt sah Paul den dunklen Fleck auf Martins grauer Winterjacke. Vorne auf der Brust, als hätte er Kaffee verschüttet. Oder Kirschsaft. Der Fleck war dunkelrot.

»Bist du verletzt?« Paul ging einige Schritte auf den Nachbarn zu, der im selben Moment wie unter Schmerzen zusammenzuckte und seine rechte Hand ausstreckte. Mit einer Pistole zwischen den Fingern.

»Bleib stehen!«, schrie Martin und richtete die Waffe auf ihn. »Komm mir nicht zu nahe!«

»Fuck!« Paul hob abwehrend die Hände, als könnte er damit eine Kugel abfangen. »Mach keinen Scheiß, Martin!«

»Ich hab gesagt, du sollst stehenbleiben!«

»Ich rühr mich doch gar nicht vom Fleck!« Paul erstarrte. »Steck die Pistole weg!« Er wusste, dass Martin Jäger war und hatte ihn einige Male im Garten mit einem Gewehr auf Tauben schießen sehen, aber von einer Pistole hatte er keine Ahnung gehabt. »Soll ich einen Krankenwagen rufen?«

»Tina ist tot«, sagte Martin, als wäre das eine Antwort auf Pauls Frage, und senkte seinen Arm. »Und das verdammte Arschloch auch. Beide sind tot!«

»Tina? Hast du sie erschossen?«, fragte Paul, obwohl das nur zu offensichtlich war. Er machte einen Schritt zurück und bereute es im nächsten Augenblick.

»Keine Bewegung«, schrie Martin, sein Arm schnellte nach oben, es knallte laut und nur einen Sekundenbruchteil später explodierte hinter Paul ein Backstein in der Hauswand.

»Scheiße!«, war alles, was Paul dazu einfiel.

Martin starrte auf die Pistole in seiner Hand, als hätte er keine Ahnung, was gerade geschehen war. Und wieso. »Das wollte ich nicht!« Er schüttelte verständnislos den Kopf, steckte die Pistole ein und rannte davon. Seinen Wagen, der nur wenige Meter entfernt am Straßenrand stand, schien er vergessen zu haben.

»Verdammt, Paul!«, kam in diesem Augenblick Evas Stimme von der Haustür. »Kannst du den Blagen nicht mal sagen, sie sollen mit dem Böllern aufhören? Sonst ruf ich die Polizei!«

»Das ist eine gute Idee«, murmelte Paul und spürte plötzlich etwas Warmes an seinem Oberschenkel. Warm und feucht. Blut, schoss es ihm durch den Kopf. Er hatte gar nicht gemerkt, dass der Schuss ihn getroffen hatte. Vorsichtig fuhr er mit der Hand über die nasse Hose und roch anschließend daran. Dann lachte er, als hätte er den Verstand verloren. »Gott sei Dank!«

»Was ist so lustig?«, fragte Eva verwirrt.

»Nichts«, antwortete Paul und atmete tief durch. »Ich hab mir nur in die Hose gepinkelt.«

Erster Tag

Freitag, 26. Dezember1

Heinrich Tenbrink war erleichtert. Die Weihnachtstage in dem einsamen Waldkotten waren erstaunlich schön gewesen: harmonisch, friedlich und gar nicht so deprimierend, wie er befürchtet hatte. Oder wie es der notorische Weihnachtshasser Maik Bertram vorhin beim Mittagessen so trefflich formuliert hatte: »Die verfluchten Feiertage sind eigentlich ganz glimpflich verlaufen.«

Das vergangene Jahr war kein gutes für Tenbrink gewesen. Gelinde gesagt. Ein Jahr voller Tod und Trauer. Im Frühling war seine Schwippschwägerin Gertrud an den Folgen einer Lungenembolie gestorben. Sie war zwar schon weit über achtzig Jahre alt und seit längerer Zeit krank gewesen, aber Tenbrink hatte sie leider vor ihrem Tod nicht mehr im Krankenhaus besuchen können. Ein viel zu kurzes Telefonat zu ihrem Geburtstag war seine letzte Erinnerung an die alte Freundin. Und das ärgerte ihn.

Der nächste und ungleich heftigere Schicksalsschlag hatte nicht lange auf sich warten lassen. Im Spätsommer hatte seine Lebenspartnerin Brigitte einen Schlaganfall erlitten und war bei der anschließenden Notoperation an einer weiteren Hirnblutung gestorben. Mit Anfang siebzig. Am Tag zuvor hatten sie noch einen Ausflug mit dem Fahrrad unternommen, und Tenbrink machte sich seitdem Vorwürfe, weil er sie trotz des schwülen Wetters zu der Tour überredet hatte. Dass die Ärzte beteuerten, es sei nicht seine Schuld und die Radfahrt nicht die Ursache für ihren Tod gewesen, konnte daran nichts ändern. Schuld war keine Frage der Logik. Wer wusste das besser als Tenbrink.

Nein, es war wahrlich kein gutes Jahr gewesen. Wenigstens waren ihm nicht auch noch sein Freund und Mitbewohner Maik Bertram und dessen Tochter Ella abhandengekommen, wonach es zu Beginn des Jahres ausgesehen hatte. Vor drei Jahren, kurz nach dem gewaltsamen Tod seiner damaligen Freundin Hannah, hatte Bertram den Dienst bei der Kriminalpolizei quittiert und sich seitdem als Krimiautor versucht. Anfangs mit bescheidenem, später mit erstaunlichem Erfolg. Weil er nun sowohl beruflich wie privat völlig ungebunden war, stand ihm plötzlich der Sinn danach, seine Zelte im Münsterland nach all den Jahren abzubrechen und in seine alte Heimat Magdeburg zurückzukehren. Eine Schnapsidee, die Tenbrink ihm glücklicherweise und unter tatkräftiger Hilfe der inzwischen sechsjährigen Ella hatte ausreden können. Dass Bertram zur gleichen Zeit die Beziehung zu seiner Ex-Freundin und Ex-Kollegin Heide Feldkamp wieder aufgenommen hatte, hatte Tenbrink dabei durchaus in die Karten gespielt.

Ohne Bertrams Beistand und Unterstützung hätte er Brigittes Tod vermutlich nicht so unbeschadet überstanden. Ganz zu schweigen von dem Beistand seines Pudels Locke, der regelrecht zu riechen schien, wenn es dem Herrchen nicht gut ging, und ihm in den schlimmsten Momenten nicht von der Seite gewichen war. Wie ein Hütehund.

Der Herbst hatte allerdings doch noch eine gute Nachricht gebracht: Tenbrinks Tochter Maria hatte im November ihren Freund Eberhard, der sich aus unerfindlichen Gründen Ebi nannte, geheiratet und war samt ihren Töchtern Nelly und Jana bei ihm eingezogen. Ebi war Anwalt oder Rechtsberater eines großen Energieunternehmens und besaß ein Haus in der Nähe von Gladbeck. Eine gute Partie, wie man früher gesagt hätte. Die vier Mitglieder der Neufamilie waren im Moment auf einer Kreuzfahrt in der Karibik. Zugleich Hochzeitsreise und Weihnachtsurlaub.

Für einen kurzen Moment hatte Tenbrink gehofft, Maria und Ebi würden auch ihn zu der Reise einladen. Er war noch nie auf einer Kreuzfahrt gewesen, noch nie in der Karibik. Doch die Hoffnung war ebenso kurz wie trügerisch gewesen. Vermutlich hätte er ohnehin Nein gesagt. Wenn sie denn gefragt hätten.

Stattdessen also ein abgeschiedenes Häuschen im sogenannten Düvelswald, dem Teufelswald, einem teilweise renaturierten Erlenbruch an der holländischen Grenze. Weihnachten im unwirtlichen und nasskalten Venn. In den Rauhnächten, wie man sie in Westfalen gern nannte. Wenn zwischen den Jahren die Geister und Dämonen umgingen.

Der altersschwache Kotten, der früher angeblich als Heuerlingshaus für umherziehende Waldarbeiter gedient hatte, war ihm von Gertrud vermacht worden und hatte erst wieder instandgesetzt und beheizbar gemacht werden müssen. Die mühselige Renovierung wie auch die jetzigen Weihnachtstage im Bruchwald waren Bertrams Idee gewesen. Vermutlich hatte er sich davon etwas Ablenkung und Trost bei der Trauerbewältigung versprochen. Werkeln gegen die Wehmut. Und es hatte sogar funktioniert. Manchmal.

»Möchte noch jemand einen Schluck Kaffee?« Tenbrink hielt die Thermoskanne in die Höhe und schaute zu Maik Bertram und Heide Feldkamp, die auf dem abgewetzten Sofa vor dem Fernseher saßen und synchron mit dem Kopf schüttelten. Auch der überdimensionale Flachbildfernseher war Bertrams Idee gewesen. »Wenn schon Weihnachten, dann aber richtig«, hatte er gemeint. Also hatten sie tagsüber gemeinsam mit Ella Drei Haselnüsse für Aschenbrödel geschaut und abends Ist das Leben nicht schön? oder Schöne Bescherung. »Weihnachts-Hardcore«, so nannte Bertram das. Jetzt allerdings betrachteten die beiden gebannt die Nachrichten irgendeines Regionalsenders.

»Gibt's Neuigkeiten?«, fragte Tenbrink und goss sich den restlichen Kaffee und etwas Milch in seine Tasse. »Haben sie den Tatverdächtigen schon gefasst?«

»Bislang nicht.« Heide schüttelte den Kopf und deutete mit der Gehhilfe auf ihren Gipsfuß. »Ausgerechnet jetzt, wo was Aufregendes passiert, bin ich außer Gefecht gesetzt.« Sie war vor Kurzem mit dem Mountainbike gestürzt, hatte sich das linke Sprunggelenk gebrochen sowie einen Ellbogen ausgerenkt und war noch einige Zeit krankgeschrieben.

»Sei doch froh«, erwiderte Bertram und gab ihr einen Kuss auf die Wange. »Sonst müsstest du jetzt Überstunden schieben und hättest ein gemütliches Weihnachtsfest mit uns verpasst.«

»Auch wieder wahr.« Heide lächelte verkniffen. Sie sah beinahe so aus, als wäre ihr der Gedanke an ein verpasstes Fest gar nicht mal zuwider. »Ich hab vorhin übrigens im Präsidium angerufen und mit Bernd Hölscher gesprochen. Die Kollegen sind über die Feiertage alle im Einsatz, scheinen aber tatsächlich keine Ahnung zu haben, wo dieser Martin Pieper sich versteckt.«

»Ist nur eine Frage der Zeit«, erwiderte Bertram. »Sein Bild ist morgen in allen Zeitungen und heute sogar im Fernsehen. Ich geb ihm noch ein, zwei Tage. Höchstens.«

Tenbrink setzte sich mit der Tasse in der Hand auf die Sofalehne und starrte nun ebenfalls auf den Bildschirm. Ein Kriminalrat im Ruhestand, ein Hauptkommissar außer Dienst und eine arbeitsunfähige Oberkommissarin verfolgten die Berichterstattung über einen Doppelmord, der sich in ihrer unmittelbaren Nachbarschaft ereignet hatte. Im Dorf Uppenkamp, gerade einmal drei Kilometer entfernt. Und als sei das noch nicht Zufall genug, handelte es sich bei einem der Mordopfer um David Schulze-Düvel, einen Sprössling jener bäuerlichen Schulzenfamilie, nach der der »teuflische« Erlenbruch an der Grenze benannt war: Düvelswald.

Ein Mord aus Eifersucht und Rache. Vermutlich unter Alkoholeinfluss. Mit einem flüchtigen Täter, der seine Frau und deren Liebhaber oder Freund erschossen hatte und anschließend blutverschmiert und mit der Tatwaffe in der Hand am Tatort gesehen worden war. Martin Pieper war zwar noch nicht gefasst, aber sein Schicksal besiegelt. Bertram hatte recht: ein, zwei Tage. Höchstens.

»Pieper ist angeblich Jäger«, gab Heide zu bedenken. »Er kennt sich vermutlich gut in der Gegend aus und weiß von Verstecken, auf die wir niemals kommen würden.«

»Apropos«, sagte Tenbrink und schaute sich in dem winzigen Wohnzimmer um. »Wo steckt eigentlich Ella?«

»Die ist vorhin mit Locke raus«, antwortete Bertram und stierte weiterhin auf den Fernseher, wo gerade ein hastig rauchender Nachbar interviewt wurde und sich aufführte, als hätte der Mordanschlag ihm gegolten. Bevor Tenbrink etwas erwidern konnte, setzte Bertram hinzu: »Ja, sie hat Mantel, Mütze, Schal und Handschuhe dabei. Mach dir keine Sorgen.«

»Hast du ihr gesagt, dass sie nicht so weit gehen soll?«, fragte Tenbrink und suchte Bertrams Blick. »Du weißt, dass der Wald nicht ungefährlich ist.«

»Das weiß ich, und Ella weiß das auch«, antwortete Bertram, ohne den Blick vom Fernseher abzuwenden. »Sie kennt sich hier inzwischen besser aus als wir alle zusammen. Gestern erst hat sie mich vor einem Schlammloch gewarnt, das ich gar nicht gesehen hatte. Außerdem hat sie ja Locke dabei.«

»Als Jagd- und Wachhund?«, fragte Heide belustigt.

»Nein, als Schisshase, der vor der geringsten Gefahr davonläuft. Locke ist das genaue Gegenteil von Ella.«

»Trotzdem«, beharrte Tenbrink und seufzte unbehaglich. Die Diskussion hatten sie schon oft geführt, und er wusste, dass sie nirgendwo hinführte. Mach dir keine Sorgen! Das war leichter gesagt als getan. Natürlich verstand er, dass Bertram seine Tochter zu einem selbstständigen und selbstbewussten Menschen erziehen wollte, aber gerade bei dem »Erziehen« haperte es nach Tenbrinks Meinung. Ella war für ihr Alter derart selbstständig, furchtlos und störrisch, dass einem angst und bange werden konnte. Seit ihrer Einschulung im Sommer war sie obendrein naseweis und altklug. »Auch so 'n eigenen Patron«, wie man im Münsterland sagte. Und ein Dickkopf vor dem Herrn!

Genau in diesem Moment öffnete sich die Haustür und knallte mit einem lauten Rums gegen die Garderobe. Ein klitschnasser Pudel kam hereingerannt, stellte sich direkt vor den Fernseher und schüttelte sich, dass das Wasser nur so spritzte.

»Opa!«, rief Ella aufgeregt, schleuderte ihre ebenfalls nasse Mütze auf den Boden und warf die Tür hinter sich zu.

»Ja?« Tenbrink liebte es, wenn sie ihn Opa nannte. Obwohl er das gar nicht war, jedenfalls nicht im biologischen Sinn. Er erhob sich und deutete mit der Hand zur Garderobe. »Mütze aufheben und die Jacke an den Haken! Aber dalli!«

»Da war ein Mann!«, rief sie, zog ihre völlig verdreckten Handschuhe aus und ließ sie neben die Mütze fallen. »Der hat doll geschwitzt, und seine Sachen waren ganz schmutzig.«

»Wo war ein Mann?«

»In der Hütte hinterm Teich. Die mit dem schiefen Dach.«

»Du warst am Moorteich?« Tenbrink staunte und schaute vorwurfsvoll zu Bertram. »Du sollst doch mit Locke nicht so weit vom Haus weggehen.«

»Opa!«, lautete ihre Antwort. Diesmal nicht aufgeregt, sondern genervt. »Da war ich doch schon ganz oft. Locke wollte erst nicht mitkommen, darum hab ich ihn einfach auf den Arm genommen. Locke ist ein richtiger Angsthase.«

So viel dazu, dachte Tenbrink.

»Was war das für ein Mann?«, fragte Bertram und versuchte vergeblich, den Pudel davon abzuhalten, die feuchte Schnauze an seinem Hosenbein abzuwischen.

Statt einer Antwort formte Ella plötzlich ein O mit ihren Lippen und deutete mit dem ausgestreckten Zeigefinger auf den Fernseher. Dann rief sie: »Der da!«

Auf dem Bildschirm war ein Foto des flüchtigen Martin Pieper zu sehen, und die Nachrichtensprecherin warnte aus dem Off: »Bitte seien Sie vorsichtig und verständigen Sie sofort die Polizei, wenn Sie diesen Mann sehen. Er ist bewaffnet und sehr gefährlich.«

»Gar nicht wahr!«, rief Ella und schüttelte entschieden den Kopf. »Der war ganz nett. Obwohl er so dreckig war. Er hat Locke sogar einen Keks gegeben.«

2

»Wo bleiben die denn?« Bertram schaute zum wiederholten Mal auf seine Armbanduhr. »Wir warten hier schon 'ne halbe Stunde. Es fängt bereits an zu dämmern.«

»Ist nun mal Weihnachten, da dauert's auch bei der Schutzpolizei etwas länger«, antwortete Tenbrink achselzuckend. »Wir könnten ja selbst nachschauen.«

»Komm bloß nicht auf dumme Gedanken, Heinrich!«

Sie hockten hinter einer Schwarzerle am Rand des schlammigen Teichs und schauten abwechselnd zu dem fensterlosen Häuschen, das kaum mehr als ein steinerner Schafstall mit vermodertem Schindeldach und schief hängender Holztür war. Direkt dahinter führte ein sandiger Weg in die angrenzende Wacholderheide, von der allerdings nur noch Rudimente übrig waren.

In und an der Hütte war es die ganze Zeit ruhig geblieben. Von Martin Pieper nichts zu hören oder zu sehen. Entweder versteckte er sich im Inneren oder war längst ausgeflogen. Wegen der unerwarteten Begegnung mit Ella und Locke.

Maik Bertram seufzte leise und schüttelte den Kopf über sich selbst. Dass sie hier auf der Lauer lagen, war im Grunde genommen gar nicht nötig. Sie hatten die örtliche Polizei verständigt und auch das Kriminalkommissariat in Münster informiert und somit ihre Schuldigkeit getan. Es war Tenbrinks Idee gewesen, die Hütte aus sicherer Entfernung im Auge zu behalten, bis die SchuPos oder der zuständige Kriminaldauerdienst eintrafen. Heide hatte sofort zugestimmt und selbst mitkommen wollen, aber das hatte wiederum Bertram nicht behagt. Wegen ihres klobigen Gipsfußes und weil ja jemand mit Ella und Locke in dem Kotten bleiben musste.

So hockten Bertram und Tenbrink nun hier im Nieselregen und spielten Räuber und Gendarm. Bertram hatte sich eigentlich geschworen, genau solche Situationen nie wieder zu erleben. Verbrecherjagd mit Gefahr für Leib und Leben. Seit Hannahs Tod sollte es das für ihn höchstens auf dem Papier oder am Computer geben. In seinen Drehbüchern.

Auch das war etwas, das er geschworen hatte, nie zu tun: Krimis zu schreiben. Wie oft hatte er sich über die vielen Kollegen lustig gemacht, die nach der Pensionierung alberne Polizeiromane fabrizierten. Weil sie nicht loslassen konnten oder glaubten, etwas Wichtiges oder möglichst Realitätsnahes erzählen zu müssen. Und dann hatte er, weil ihm auf Anhieb nichts Besseres eingefallen war und er noch über eine Menge Resturlaub verfügte, genau dasselbe getan. Das Resultat war ein erschreckend autobiografischer Regionalkrimi gewesen, mit einem ehemaligen Kommissar samt Dackel namens Schnute und unehelicher Tochter Emma. Kein Wunder, dass die Verlage allesamt dankend abgelehnt hatten. Statt jedoch die Flinte ins Korn zu werfen und sich nach der Auszeit um einen richtigen Job zu kümmern, hatte er sein Manuskript kurzerhand in ein Drehbuch umgeschrieben und verschiedenen Fernsehsendern geschickt. Auf eine Ablehnung mehr oder weniger kam es ja nicht an. Und siehe da, ein privater Sender schien genau auf solch einen Stoff gewartet zu haben und hatte ihm ein Angebot gemacht. Allerdings nicht für einen einzelnen Film, sondern gleich für eine ganze Serie. Und mit dem eigentlich nur als lustigem Sidekick gedachten Dackel als heimlichem Hauptdarsteller. Der Titel der Serie: »Kommissar Schnute«. Die Pilotfolge war in diesem Sommer ausgestrahlt worden und ein Überraschungserfolg gewesen. Inzwischen arbeitete Bertram bereits am Drehbuch zur Folge drei und suchte nach einem Stoff für eine Fortsetzung.

»Sie sind da!«

Bertram fuhr aus seinen Gedanken auf und sah nun ebenfalls das Blaulicht hinter der Hütte. Die Beamten näherten sich offenbar aus Richtung der Wacholderheide, und Bertram hoffte, dass sie nicht auch noch die Sirene einschalteten. Falls Martin Pieper sich noch in der Hütte befand und vor der heranrückenden Polizei flüchten würde, wäre der einzige Fluchtweg der Trampelpfad am Moorteich. Wo sie unbewaffnet auf der Lauer lagen.

Doch nach wie vor rührte sich nichts. Tenbrink flüsterte Bertram zu, dass er sich im Bogen um das Haus herumschleichen und den Polizisten die Lage erklären wolle. Bertram solle an Ort und Stelle bleiben und den Eingang zur Hütte im Blick behalten. Und sich bemerkbar machen, falls Pieper Reißaus nahm.