Totensang - Tom Finnek - E-Book

Totensang E-Book

Tom Finnek

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Beschreibung

Seit einer Woche sitzt Henner Holtkamp im Gefängnis. Der Autor von blutigen Thrillern soll eine rumänische Prostituierte ermordet haben. Im Haus des Schriftstellers wurden Blutspuren des Opfers gefunden - an den Wänden, im Flur, an einem Küchenmesser. Der Fall scheint damit eigentlich gelöst. Eigentlich - denn von der Leiche fehlt jede Spur ...

Aber nicht nur dieser verzwickte Fall stellt Kommissar Heinrich Tenbrink auf eine harte Geduldsprobe. Er muss auch noch den neuen Kollegen Maik Bertram vor den Fallstricken der münsterländischen Mentalität bewahren und gegen seine zunehmenden Gedächtnislücken kämpfen.

Die Ereignisse dieses Kurz-Krimis sind zeitlich vor Band 1 "Galgenhügel" aus der erfolgreichen Münsterland-Kimi-Reihe von Tom Finnek angesiedelt. Lesen Sie, wie das ungewöhnliche Ermittlerteam zum ersten Mal aufeinandertrifft und seinen ersten Fall löst!

Heinrich Tenbrink und Maik Bertram ermitteln in:

- Galgenhügel

- Totenbauer

- Schuldacker

- Rauchland

- Finsterbusch (erscheint im Winter 2021)

eBooks von beTHRILLED - mörderisch gute Unterhaltung!



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Inhalt

Cover

Weitere Titel des Autors

Über dieses Buch

Über den Autor

Titel

Impressum

Einige Jahre zuvor

Erster Tag

Montag

1

2

3

4

5

6

Zweiter Tag

Dienstag

1

2

3

4

5

6

7

8

Dritter Tag

Mittwoch

1

2

3

4

5

6

7

8

Epilog

Freitagabend

Weitere Titel des Autors

Galgenhügel

Totenbauer

Schuldacker

Rauchland

Über dieses Buch

Seit einer Woche sitzt Henner Holtkamp im Gefängnis. Der Autor von blutigen Thrillern soll eine rumänische Prostituierte ermordet haben. Im Haus des Schriftstellers wurden Blutspuren des Opfers gefunden – an den Wänden, im Flur, an einem Küchenmesser. Der Fall scheint damit eigentlich gelöst. Eigentlich – denn von der Leiche fehlt jede Spur ...

Aber nicht nur dieser verzwickte Fall stellt Kommissar Heinrich Tenbrink auf eine harte Geduldsprobe. Er muss auch noch den neuen Kollegen Maik Bertram vor den Fallstricken der münsterländischen Mentalität bewahren und gegen seine zunehmenden Gedächtnislücken kämpfen.

Die Ereignisse dieses Kurz-Krimis sind zeitlich vor Band 1 „Galgenhügel“ aus der erfolgreichen Münsterland-Kimi-Reihe von Tom Finnek angesiedelt. Lesen Sie, wie das ungewöhnliche Ermittlerteam zum ersten Mal aufeinandertrifft und seinen ersten Fall löst!

eBooks von beTHRILLED – mörderisch gute Unterhaltung!

Über den Autor

Tom Finnek wurde 1965 im Münsterland geboren und arbeitet als Filmjournalist, Drehbuchlektor und Schriftsteller. Er ist verheiratet, Vater von zwei Söhnen und lebt mit seiner Familie in Berlin.

Tom Finnek

Totensang

Ein Münsterland-Kurz-Krimi

Kriminalroman

Originalausgabe

»be« – Das eBook-Imprint der Bastei Lübbe AG

Copyright © 2021 by Bastei Lübbe AG, Köln

Textredaktion: Dr. Arno Hoven

Lektorat/Projektmanagement: Stephan Trinius

Covergestaltung: Christin Wilhelm, www.grafic4u.de unter Verwendung von Motiven von © Bertold Werkmann/shutterstock; © Mike Pellinni/shutterstock; © Yanique Pietersen/shutterstock; © Tob1900/shutterstock; © S.N.Ph/shutterstock

eBook-Erstellung: 3w+p GmbH, Rimpar (www.3wplusp.de)

ISBN 978-3-7517-0883-8

www.be-ebooks.de

www.lesejury.de

Einige Jahre zuvor

»Der Böse läuft vor seinem eigenen Schatten.«

Annette von Droste-Hülshoff,

»Die Judenbuche«

Erster Tag

Montag

1

Die erste Begegnung mit Heinrich Tenbrink würde Maik Bertram sein Lebtag nicht vergessen. So etwas und so jemanden hatte er noch nie zuvor erlebt. Zumindest nicht bei der Kriminalpolizei.

Es war Bertrams erster Tag in Münster. In der Verbannung. Auf Bewährung. Er hatte in Magdeburg grandiosen Mist gebaut und war nach Westfalen strafversetzt worden. Zum Glück wurde es offiziell nicht als Disziplinarstrafe eingestuft, wenn man einmal von dem mehrjährigen Beförderungsverbot absah. Luftveränderung und eine neue reizvolle Aufgabe – so hatte er es den Kollegen gegenüber dargestellt. Als wäre er jemals freiwillig ins Münsterland gezogen! Aber Bertram durfte sich nicht beklagen. Er hatte es selbst vermasselt.

Dummheit, eitle Selbstüberschätzung und die unfassbar naive Liebe zu einer Prostituierten, die von ihrem dealenden Zuhälter auf ihn angesetzt worden war, hatten ihn seinen Job als Magdeburger Drogen- und Milieufahnder und beinahe auch den Job als Kriminalpolizist gekostet. Nur der Freundschaft seines ehemaligen Vorgesetzten mit dem Leiter des Münsteraner Kriminalkommissariats 11 hatte Bertram es zu verdanken, dass er jetzt eine zweite Chance erhielt. Eine Bewährungsprobe.

Und nun saß er seinem neuen Chef gegenüber und fühlte sich wie ein ungezogener Schüler, der auf eine Standpauke des Schuldirektors wartete: Erster Hauptkommissar Heinrich Tenbrink, mit altmodischer Brille, schwabbeligem Bierbauch und lichtem Haupthaar. Und einer Vorliebe für langes Schweigen und kurze Sätze.

»Und?«, fragte Tenbrink mit grimmiger Miene, nachdem er Bertram geraume Zeit angestarrt hatte, und lehnte sich auf seinem Stuhl zurück.

»Was meinen Sie?«

»Du!«

Bertram verstand nicht. »Wie bitte?«

»Wir duzen uns hier. Ich bin Heinrich.«

»Maik.«

»Warum bist du hier?«

»Ich bin sehr dankbar, dass Sie mich ... äh, dass du mich in dein Team aufgenommen hast. Die Sache in Magdeburg tut mir wahnsinnig leid, aber du kannst dich darauf verlassen ...«

»Papperlapapp!«, unterbrach ihn Tenbrink und winkte ungeduldig ab. »Magdeburg interessiert mich nicht. Von den Kollegen weiß niemand, was passiert ist. Das soll von mir aus auch so bleiben. Was früher war, ist mir egal.«

»Mir aber nicht«, murmelte Bertram.

»Wir machen alle mal Fehler.« Tenbrinks unversöhnlicher Blick widersprach seinen Worten, doch dann setzte er hinzu: »Was siehst du den Splitter im Auge deines Bruders und erkennst nicht den Balken im eigenen Auge.«

»Neues Testament?«, fragte Bertram unsicher.

»Matthäus, Vers 7,3.«

Ein bibelfester Chef. So was hatte er auch noch nicht gehabt. »Du bist offenbar sehr religiös.«

»Kommt drauf an.« Tenbrink zuckte achtlos mit den Schultern. »Sich in der Bibel auszukennen kann im Münsterland von Vorteil sein.«

»Nicht gerade mein Spezialgebiet.«

»Kommst ja auch aus der Diaspora«, erwiderte Tenbrink und nickte verständnisvoll. »Mach dir nichts draus!«

Das ist ebenfalls neu, dachte Bertram und schmunzelte. Osten, Zone, Tätärä – das alles hatte er in den wenigen Tagen im Münsterland schon mehrfach gehört, gern begleitet von uralten Sachsen-Witzen. Aber »Diaspora«?

»Hab ich was Komisches gesagt?«, fragte Tenbrink.

Bertram erschrak und schüttelte den Kopf.

»Also, warum bist du hier, Maik?«

»Ich hatte nicht wirklich eine Wahl.«

»Quatsch! Man hat immer eine Wahl.« Tenbrink nahm seine Brille von der Nase und putzte sie sehr lange mit einem Stofftaschentuch. Dann setzte er sie wieder auf die Nase, beugte sich nach vorn und schaute Bertram eindringlich an. »Was ich dir jetzt sage, sage ich genau einmal. Und dann nie wieder. Haben wir uns verstanden?«

Bertram nickte und schluckte unwillkürlich.

»Wenn ich das Gefühl bekomme, dass du hier nur deine Zeit absitzen willst, um bald wieder nach Magdeburg zurückzukehren, dann war's das. Finito!«

»Okay.«

»Wenn du hier irgendeine Show abziehen oder irgendwas beweisen willst, um uns hinterwäldlerischen Landeiern zu zeigen, was Sache ist, dann ist ebenfalls Feierabend.«

»Verstanden.« Bertram schnaufte leise und grinste. »Lern deinen Text und stoß nicht gegen die Möbel.«

»Was?«

»Robert Mitchum hat das mal gesagt. Über die angebliche Kunst des Schauspielens. Text lernen und nicht gegen die Möbel stoßen. Vielleicht war's auch James Stewart.«

Eine peinliche Stille entstand.

»Sonst noch was?«, fragte Bertram schließlich.

»Ja, allerdings.« Tenbrink runzelte die Stirn und richtete seinen Oberkörper auf. »Keine blöden Sprüche!«

2

Heinrich Tenbrink war sich nicht sicher, ob das mit diesem Maik Bertram eine gute Idee war. Nicht weil er ihn für unfähig hielt oder ihm seinen Fehltritt in Magdeburg vorwarf. Kriminalrat Henrichs, Bertrams bisheriger Vorgesetzter, hatte ihn wärmstens empfohlen und sich, trotz des peinlichen Vorfalls mit der Prostituierten, die ihn in die Falle gelockt hatte, persönlich für Maik Bertram starkgemacht. Und auf die Expertise seines alten Freundes Henrichs konnte sich Tenbrink verlassen.

Nein, das Problem bei Bertram waren weder seine Ossi-Herkunft noch seine Vorgeschichte bei der Drogen- und Milieufahndung, sondern schlicht die Tatsache, dass er zu gut aussah. Bertram war ein Frauentyp – mit rasiertem Schädel, Fünftagebart, markantem Kinn und sportlicher Figur. Schon als Martina Derksen, die neue Oberstaatsanwältin, den Oberkommissar vorhin ins Präsidium begleitet und dem Team vorgestellt hatte, waren Tenbrink die aufmerksamen bis bewundernden Blicke nicht entgangen. Und auch jetzt, während der morgendlichen Lagebesprechung, glaubte er im Gesicht von Heide Feldkamp, der Tatort-Spezialistin im KK11, ein ganz ähnliches Lächeln zu erkennen. Die Jagd auf den Neuen war eröffnet, und das schmeckte Tenbrink nicht. Überhaupt nicht.

»Heinrich!«, meldete sich in diesem Augenblick Bernd Hölscher, der Aktenführer des Kommissariats, zu Wort. »Wir wären dann soweit.« Hölscher wiegte seinen massigen Körper im gepolsterten Sessel vor und zurück und wischte sich mit einem Taschentuch über die Stirn. Schon zu dieser frühen Morgenstunde und trotz der geöffneten Fenster war es brütend heiß im Besprechungsraum. Hundstage!

»Danke, Bernd!« Tenbrink schaute in die Runde. Außer Heide Feldkamp und Bernd Hölscher war auch Arno Bremer anwesend, der neben Tenbrink dienstälteste Ermittler im Team. »Den neuen Kollegen habt ihr ja inzwischen ausgiebig beschnuppert.« Tenbrink deutete mit der Hand auf Bertram und schaute dabei wie zufällig zu Heide, die trotz der sommerlichen Hitze in ihrer obligatorischen Wildlederjacke am Tisch saß. »Vielleicht wäre es für Maik ganz hilfreich, wenn einer von euch kurz zusammenfasst, womit wir es gerade zu tun haben.« Sein Blick ging zu Bremer, der in diesem Moment auf sein Handy starrte und offensichtlich nicht zugehört hatte. »Wärst du so freundlich, Arno?«

»Hm?«, machte Bremer.

»Eine kurze Zusammenfassung.«

»Meinst du den Mordfall Holtkamp?«

»Haben wir noch einen anderen?«

»Nicht dass ich wüsste«, antwortete Bremer, der wie üblich die Ironie nicht verstanden hatte. »Eigentlich ein klarer Fall. Heinz Holtkamp, dreiunddreißig Jahre alt, Junggeselle, arbeitet unter dem Pseudonym Henner Holt als Schriftsteller. Schreibt irgendwelche Romane.«

»Thriller«, fügte Bernd Hölscher hinzu.

»Der Henner Holt?«, fragte Maik Bertram.

»Kennst du den etwa?«, wunderte sich Tenbrink.

»Ich glaub, ich hab ein oder zwei Bücher von ihm gelesen. Ziemlich düster und schräg, aber gar nicht schlecht, wenn ich mich richtig erinnere.«

»Düster und schräg? Das passt«, meinte Bremer stirnrunzelnd und fuhr mit seinen Ausführungen fort: »Holtkamp lebt allein in einem Einfamilienhaus in Olthues, nur ein paar Kilometer westlich von Münster. Wir haben ihn letzte Woche Donnerstag wegen des Mordes an der rumänischen Prostituierten Sofia Radulescu verhaftet. In seinem Haus wurden Blutspuren des Opfers gefunden, auf dem Boden und an den Wänden im Flur. Außerdem an einem Kochmesser in der Küche. So ein Stahlmesser mit breiter und spitzer Klinge. Wie gesagt, eigentlich ein klarer Fall.«

»Aber?«, fragte Bertram.

»Wir haben keine Leiche«, antwortete Heide Feldkamp. »Eine Nachbarin war am Montagabend mit ihrem Dackel unterwegs und hat gesehen, wie Holtkamp mit einer sehr jungen und aufreizend bekleideten Frau gegen zehn Uhr das Haus betreten hat, und sie behauptet, etwa eine Stunde später die Schreie einer Frau aus dem Haus gehört zu haben. Leider hat sie nicht gleich die Polizei gerufen, sondern erst zwei Tage später, am Mittwoch, als nach der vermissten Radulescu gefahndet wurde. Nadia Radulescu, die ältere Schwester des Opfers, die in demselben Bordell an der B 54 arbeitet, hat sie als vermisst gemeldet.«

»Die Spur zu Holtkamp war nicht schwer zu finden«, ergänzte Bremer und strich sich über den buschigen Schnurrbart. »Er war Stammkunde in dem Puff und hat sich nachweislich am Montagabend in der Nähe herumgetrieben. Offenbar war er auf der Suche nach einer Prostituierten, die ihn nach Hause begleitet. Nachdem die Aussage der Nachbarin vorlag, war der Rest reine Formsache. Holtkamp hatte sein Haus zwar gründlich gesäubert, aber mit Hilfe von Luminol konnten die Kollegen vom Erkennungsdienst die Blutspuren sichtbar machen. Und es war eine Menge Blut!«

»Was sagt dieser Holtkamp dazu?«, fragte Bertram.

»Bestreitet die Tat«, antwortete Tenbrink. »Er behauptet, die junge Frau habe sein Haus etwa gegen Mitternacht lebend verlassen. Sie hätten Sex gehabt, und die Frau habe dabei laut geschrien. Holtkamp behauptet, die Prostituierte sei von ihm bezahlt und nach unten begleitet worden, doch leider habe sie sich auf dem Weg nach draußen den Kopf im Flur gestoßen und eine Platzwunde davongetragen.«

»Und das Messer?«, fragte Bertram.

»Angeblich wollte er mit dem Kochmesser die Wunde kühlen, damit es keine Beule gibt«, antwortete Bremer und lachte wiehernd. »So ein Quatsch! In dem Haus wurde so viel Blut gefunden, dass es unmöglich von einer einzelnen Platzwunde stammen kann. Der Kerl hat die Frau erstochen und ein regelrechtes Blutbad angerichtet.«

»Aber es wurde keine Leiche gefunden?«, vergewisserte sich Bertram.

Bremer nickte.

»Holtkamp ist verrückt«, meldete sich Hölscher zu Wort. »Und zwar richtig. Paranoide Schizophrenie. Verfolgungswahn, Halluzinationen und sonstige Hirngespinste.«

»Er hört Stimmen«, setzte Tenbrink hinzu und putzte seine Brille. »Er ist deswegen seit Jahren in Behandlung und nimmt entsprechende Medikamente. Bislang ist er jedoch nicht durch Anwendung oder Androhung von Gewalt aufgefallen. Weder sexuell noch sonst wie. Außer in seinen Romanen – da wimmelt es von blutrünstigen Morden und brutalen Serienkillern. Es gab aber im wirklichen Leben nie Beschwerden. Die Nachbarn in Olthues sagen, er spinnt halt ein bisschen und hält sich von allem und jedem fern, ist aber sonst harmlos.«

»Das behauptet auch seine behandelnde Ärztin«, fügte Hölscher hinzu. »Sie hat ihm eine hohe Intelligenz, aber trotz seiner Krankheit keine Tendenz zur Fremdaggression diagnostiziert.«

»Natürlich nicht!«, höhnte Bremer und zog eine Flappe. »Sonst hätte sie ja eingestehen müssen, dass sie einen gefährlichen Killer nicht als solchen erkannt hat.«

»Das Haus, den Keller und den Garten haben wir gründlich untersucht«, ergänzte Heide Feldkamp. »Das Handy der Ermordeten ist offenbar ausgeschaltet und daher nicht zu orten. Außer den zahlreichen Blutspuren im Flur und in der Küche wurde nichts entdeckt. Auch im Garten nicht. Allerdings hat es am Tag darauf ein heftiges Gewitter gegeben. In seinem Schlafzimmer wurden lediglich einige Haare der Vermissten gefunden. Das hat der DNA-Abgleich mit der Schwester ergeben.«

»Das sollte für eine Verurteilung reichen, oder?«, bemerkte Bertram. »Auch ohne Leiche.«

»Die Staatsanwaltschaft würde es ungern auf einen bloßen Indizienprozess ankommen lassen«, erwiderte Tenbrink und brummte abfällig. »Die Oberstaatsanwältin will jede Eventualität vermeiden. Deswegen brauchen wir die Leiche.«

»Oder ein Geständnis«, setzte Bertram hinzu.

Tenbrink schüttelte den Kopf. »Bei einer diagnostizierten paranoiden Schizophrenie ist ein Geständnis nicht viel wert. Das zerpflückt uns jeder halbwegs fähige Verteidiger.«

»So verrückt wie dieser Holtkamp ist, wird der ohnehin nicht in den Knast gehen«, wandte Bremer ein. »Selbst wenn wir die Leiche finden, landet der Kerl bloß in der geschlossenen Abteilung einer Psychiatrie. Bis sie ihn für gesund erklären und wieder laufen lassen.«

»Darum geht es nicht, Arno«, widersprach Tenbrink. »Über die Schuldfähigkeit haben wir nicht zu entscheiden. Ich will ihm die Tat nachweisen. Und zwar wasserdicht!«

»Und wenn Holtkamp die Wahrheit sagt?«, gab Bertram zu bedenken.

Arno Bremer lachte ungläubig, Heide Feldkamp verdrehte die Augen, und Bernd Hölscher verschluckte sich an einem Pfefferminzbonbon, das er sich in den Mund gesteckt hatte.

»Nur so 'n Gedanke.« Bertram hob entschuldigend die Hände. »Bin jedenfalls gespannt auf den Kerl.«

»Kannst dir gleich ein Bild von ihm machen«, entgegnete Tenbrink und erhob sich. »Wir haben in einer Stunde einen Termin mit Holtkamp in der JVA.« Tenbrink schmunzelte. »Aber denk dran: Nicht gegen die Möbel stoßen!«

3

Das düstere Gebäude der JVA Münster fand Bertram ebenso beeindruckend wie beunruhigend. Das aus dem neunzehnten Jahrhundert stammende und in Teilen baufällig wirkende Gefängnis erinnerte ihn an die melodramatischen Romane von Charles Dickens oder Victor Hugo. Auch die zentrale Kirche mit dem spitzen Kirchturm, von dem die vier Flügel der JVA abgingen, fand Bertram gewöhnungsbedürftig. Irgendwie unheimlich.

Nachdem sie sich an der Außenpforte 1 ausgewiesen hatten, wurden sie von einem Justizvollzugsbeamten zu einem nicht ganz so verwittert aussehenden Nebengebäude geführt, in dem sich die Besucherzimmer befanden. Der Beamte öffnete eine Metalltür mit der Aufschrift »Sprechraum 3«, und sie betraten einen schmalen Raum. Lindgrüne und schmucklose Wände und grau marmorierter Linoleumboden. In dem Zimmer befanden sich ein Holztisch und mehrere Stapelstühle aus dunkelgrünem Kunststoff, die vermutlich zu der Wandfarbe passen sollten. Durch das vergitterte Fenster schaute man auf die dunkelrote Backsteinmauer der Kirche.

Heinz Holtkamp wartete bereits auf sie. Er saß am Tisch und stierte sie mit großen Augen an. Gerade so, als wäre er überrascht, dass er im Besucherzimmer Besuch bekam. Er sah unauffällig aus, war weder schlank noch dick, weder groß noch klein. Das Bemerkenswerteste an Holtkamp war der Geruch, der von ihm ausging. Tenbrink hatte Bertram gewarnt, dass Holtkamp es mit der Hygiene nicht so genau nahm, aber auf den Gestank, der ihm nun entgegenschlug, war Bertram dennoch nicht vorbereitet. Es roch penetrant nach Urin, Kot und ranzigem Achselschweiß. Widerlich.

»Gibt's im Gefängnis keine Seife?«, wandte Bertram sich leise an den JVA-Beamten, der hinter ihnen die Tür geschlossen und sich in eine Ecke des Raums gesetzt hatte.

»Empfindliche Nase, was?«, rief Heinz Holtkamp und kicherte vergnügt. Er hörte wie ein Luchs.

»Was dagegen, wenn ich ein bisschen Luft reinlasse?«, fragte Bertram und ging zum vergitterten Fenster.

»Ja, denn ich hab's im Rücken«, antwortete Holtkamp grinsend. »Vertrag keinen Zug. Sagt der Doktor.«

»Verstehe.« Unverrichteter Dinge wandte sich Bertram vom Fenster ab und setzte sich neben Tenbrink, der inzwischen den digitalen Rekorder auf den Tisch gestellt und alles für die Tonaufnahme vorbereitet hatte. Bertram glaubte Holtkamp zu verstehen. Der Kerl wandte die alte RAF-Masche an. Wie es Andreas Baader, Gudrun Ensslin und die anderen RAF-Terroristen in Stammheim vorgemacht hatten. Der eigene unangenehme Körpergeruch als Schikane für die Justizbeamten. Holtkamp wollte, dass man sich vor ihm ekelte. Doch den Gefallen würde Bertram ihm nicht tun.

»Guten Morgen, Herr Holtkamp«, sagte Tenbrink und putzte seine Brille. Das schien eine Marotte des Hauptkommissars zu sein. »Wir warten nur noch auf Ihren Pflichtverteidiger.«

»Der war schon da. Ich hab ihn weggeschickt.«

»Sie haben Ihren Anwalt weggeschickt?«, wunderte sich Bertram. »Wieso?«

»Er spioniert für die Gegenseite.«

»Wie kommen Sie darauf?«

»Er hat was mit ihr.«

»Mit wem?«

»Mit der Staatsanwältin natürlich.«

»Das wage ich zu bezweifeln«, antwortete Tenbrink und startete die Aufnahme, indem er Ort, Zeit und anwesende Personen nannte. Außerdem wies er ausdrücklich darauf hin, dass Heinz Holtkamp auf eigenen Wunsch auf die Anwesenheit eines Rechtsbeistands verzichtete.

»Mein Name ist Henner«, sagte Holtkamp. »Heinz haben mich nur meine Eltern genannt. Und die sind tot.«

»Sie glauben also, dass Ihr Verteidiger mit der Staatsanwältin unter einer Decke steckt?«, fragte Bertram spöttisch. »Meinen Sie das im wortwörtlichen Sinn?«

»Ja, grinsen Sie nur, Herr Kommissar«, setzte Holtkamp seinen abstrusen Gedanken fort. »Ich weiß, was ich weiß. Mich führt man nicht so leicht an der Nase herum.« Dabei tippte er sich an die Nasenspitze und starrte zur Tür. »Er hat behauptet, dass Frau Derksen sehr fähig ist und eine erstzunehmende Gegnerin. Und dass wir versuchen sollten, einen Deal mit ihr zu machen. Sie wissen schon: Geständnis gegen Strafminderung.«

»Klingt vernünftig«, entgegnete Tenbrink.

»Klingt nach einer Falle!« Holtkamp lachte. »Er findet die Staatsanwältin hübsch. Das ist ihm so rausgerutscht.«

»Sie ist hübsch«, unterstrich Bertram. »Und außerdem ist sie Oberstaatsanwältin.«

Tenbrink ließ ein seltsames Schnaufen vernehmen, und Holtkamp fragte: »Haben Sie auch was mit ihr?«

»Und Sie?«, antwortete Bertram mit einer Gegenfrage. »Wie sieht's bei Ihnen aus? Mögen Sie Frauen?«

»Klar. Warum nicht?«

»Aber eine Freundin haben Sie nicht.«

Holtkamp zog plötzlich eine Grimasse und behauptete mit verstellter Stimme: »Ich bin vielleicht etwas wählerisch.« Dann lachte er rasselnd und machte seltsam schmatzende Geräusche mit dem Mund.

»Herr Holtkamp, bitte!«, rief Tenbrink genervt.

»Vic Dorn!«, sagte Bertram und nickte beifällig. »Das war ein Zitat aus einem Loriot-Sketch, nicht wahr?«

»Was für eine Maske?«, antwortete Holtkamp mit derselben verstellten Stimme.

Tenbrink schüttelte den Kopf, verschränkte die Arme vor der Brust und lehnte sich zurück. Es war offensichtlich, dass er aus diesem Gespräch ausstieg.

»Und weil Sie keine Freundin haben, holen Sie sich Prostituierte ins Haus?«, fragte Bertram.

»Ist nicht verboten, oder?«, antwortete Holtkamp, nun wieder mit seiner normalen Stimme.

»Solange man sie nicht mit einem Kochmesser ersticht.«

»Die Huren mögen mich. Und ich mag sie. Die sind nett. Netter als die meisten anderen Frauen. Warum sollte ich sie erstechen? Die haben mir ja nichts getan.«

»Sie reden im Plural. Gibt es mehrere? War es nicht das erste Mal? Wie die Serienkiller in Ihren Romanen?«

»Sie!« Holtkamp legte plötzlich den Kopf schräg, grinste anerkennend und wedelte mit dem Zeigefinger in Bertrams Richtung. »Sie! Sie haben eine Gabe, mein Freund! Sie! Sie sind gut. Sie!«

Wieder ein Zitat! Bertram kam nicht auf den Filmtitel, aber es handelte sich um eine Hollywood-Komödie mit Robert De Niro, in der ein Mafiaboss wegen irgendwelcher Panikattacken bei einem Psychiater in Behandlung war.

»Sie spielen gern Spielchen, was?«, fragte Bertram.

»Wer tut das nicht?«

»Und wie heißt das Spiel, das Sie gerade spielen?«

»Hasch mich, ich bin der Mörder.« Holtkamp lachte und winkte sofort ab. »Nein, war nur Spaß. Den Film finde ich doof. Louis de Funès kann ich nicht leiden. Ist mir zu albern.« Wieder ging sein Blick zur Tür.

»Was ist an jenem Abend passiert?«, wollte Bertram wissen. »Was hat Sofia Radulescu gesagt oder getan? Warum haben Sie zugestochen, wenn sie doch eigentlich so nett war? Hat sie auch für die Gegenseite gearbeitet?«

Henner Holtkamp schüttelte gelangweilt den Kopf.

»Aber sie hat irgendetwas gesagt, das sie nicht hätte sagen sollen. Sie hat gegen die Spielregeln verstoßen.« Bertram tippte sich an die Nase. »Die verdammte Hure wollte Sie an der Nase herumführen, nicht wahr?«

Holtkamp lachte abfällig, riss die Augen auf und stierte abermals zur Tür. Als stünde dort jemand, der ihm Anweisungen gab. Oder ihm die Worte in den Mund legte. Wie ein Souffleur.

»Kommen Sie schon!« Bertram stand auf, sodass Holtkamp gezwungen war, ihn direkt anzuschauen. »So macht das Spiel keinen Spaß. Geben Sie mir einen Hinweis. Damit ich mitspielen kann.«

»Sie wollen einen Hinweis?« Holtkamps Miene verdüsterte sich plötzlich, und er wandte sich an Tenbrink: »Ihr Kollege ist verrückt. Der glaubt tatsächlich, das ist alles nur ein Spiel. So eine Art Schnitzeljagd.«

Tenbrink verdrehte genervt die Augen.

»Kommen Sie schon!«, rief Bertram. »Seien Sie kein Spielverderber!«