Ravenna - Judith Herrin - E-Book

Ravenna E-Book

Judith Herrin

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Beschreibung

Das große Porträt der Hauptstadt des frühchristlichen Europa Ravenna war vom 5. bis 8. Jahrhundert Treffpunkt der griechischen, lateinischen, christlichen und barbarischen Kulturen und Dreh- und Angelpunkt zwischen Ost und West. Während Rom sich provinzialisierte, erlebte die neue Hauptstadt des Weströmischen Reiches eine Blütezeit. Ungewöhnlich detailreich erzählt Judith Herrin auch von den Menschen dieser Zeit: von Kaiserinnen und Königen, Bischöfen und Gelehrten, Ärzten und Handwerkern. - Detailreich und lebendig: Porträt der Hauptstadt des frühchristlichen Europa - Ravennas Aufstieg ist eng verknüpft mit dem Niedergang Roms und den Invasionen der Hunnen und Goten - Auch eine Geschichte der Spaltungen und Glaubenskämpfe im frühen Christentum - Meisterlich erzählt und ausgezeichnet mit dem Duff Cooper-Preis 2020 - Steinerne Zeugen der Vergangenheit: die Kirchen und Mosaiken Ravennas in prächtigen Farbabbildungen Aufstieg und Niedergang der Stadt an der Adria zwischen 402 und 751 n. Chr. Als im Jahr 402 n. Chr. eindringende Stämme aus dem Norden Mailand belagerten, verlegte der weströmische Kaiser Honorius den Regierungssitz nach Ravenna. Bis ins Jahr 751 war die goldglänzende Stadt an der Adria zunächst die Hauptstadt des Weströmischen Reiches, dann die des riesigen Königreichs des Goten Theoderich und schließlich das Zentrum der byzantinischen Macht in Italien. Die überwältigend schönen Kirchen mit ihren Mosaiken, von der UNESCO zum Weltkulturerbe erklärt, zeugen von dieser Zeit des Umbruchs, aus der das christliche Europa hervorging. Meisterlich porträtiert die vielfach ausgezeichnete Althistorikerin und Byzantinistin Judith Herrin diese Stadt und ihre Bewohner in der Epoche des Übergangs zwischen Spätantike und Frühmittelalter.

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Seitenzahl: 1021

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Die englische Originalausgabe ist 2020 bei Allen Lane,

einem Imprint von Penguin Press, unter dem Titel Ravenna.

Capital of Empire, Crucible of Europe erschienen.

Penguin Press ist Teil von Penguin Random House.

© 2020 by Judith Herrin

Der Verlag dankt Fieldstead & Company für die Unterstützung der Übersetzung.

Die Arbeit des Übersetzers am vorliegenden Text wurde durch den Deutschen Übersetzerfonds gefördert.

Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation

in der Deutschen Nationalbibliografie;

detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über

www.dnb.de abrufbar.

Das Werk ist in allen seinen Teilen urheberrechtlich geschützt.

Jede Verwertung ist ohne Zustimmung des Verlages unzulässig.

Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen,

Mikroverfilmungen und die Einspeicherung in und Verarbeitung

durch elektronische Systeme.

wbg Theiss ist ein Imprint der wbg.

© der deutschen Ausgabe 2022 by wbg (Wissenschaftliche Buchgesellschaft), Darmstadt

Die Herausgabe des Werkes wurde durch die Vereinsmitglieder der wbg ermöglicht.

Lektorat: Eva Berié, Berlin

Satz: Arnold & Domnick, Leipzig

Einbandgestaltung: www.martinveicht.de

Einbandabbildungen: links im Streifen: Ausschnitt aus dem Gewölbemosaik

im Mausoleum der Kaiserin Galla Placidia (St. Nazarius und Celsus) in Ravenna.

© akg-images/Erich Lessing; rechts: Ausschnitt aus einem Mosaik in Sant’Apollinare

Nuovo, Ravenna: der Hafen von Classis. © akg-images/Cameraphoto

Gedruckt auf säurefreiem und alterungsbeständigem Papier

Besuchen Sie uns im Internet: www.wbg-wissenverbindet.de

ISBN 978-3-8062-4416-8

Elektronisch sind folgende Ausgaben erhältlich:

eBook (PDF): 978-3-8062-4525-7

eBook (epub): 978-3-8062-4526-4

Meinen drei As – Alita, Asha und Anthony

Und über Ravennas alten Namen sinnend,

Sah ich dem Tag zu, bis, gezeichnet von flammenden Wunden,

Der türkisfarbene Himmel sich in glänzendes Gold verwandelte.

Oh, wie mein Herz in jungenhafter Leidenschaft entbrannte,

Als ich in der Ferne über Schilf und Wiesen

Die heilige Stadt sich erheben sah,

Auf dem Haupte ihre Krone aus Türmen! – Weiter und weiter

Galoppierte ich im Wettstreit mit der untergehenden Sonne,

Und kurz bevor das karmesinrote Nachglühen verging,

Stand ich endlich innerhalb der Mauern Ravennas. …

Adieu! Adieu! Die silberne Lampe, der Mond,

Der unsere Mitternacht taghell erleuchtet,

Bescheint aufs Beste deine Türme, bewacht den Ort,

Da Dante schläft, da Byron zu verweilen liebte.

Oscar Wilde, Ravenna

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Innentitel

Inhaltsverzeichnis

Informationen zum Buch

Informationen zur Autorin

Impressum

Inhalt

Anmerkung zu den Schreibweisen

Karten

Einführung

1 Ravennas Aufstieg zur Hauptstadt des Weströmischen Reiches

TEIL 1 390–450 Galla Placidia

2 Galla Placidia, die theodosianische Prinzessin

3 Honorius und die Entwicklung Ravennas

4 Galla Placidia am kaiserlichen Hof

5 Galla Placidia, Baumeisterin und Kaiserinmutter

TEIL 2 450–493 Der Aufstieg der Bischöfe

6 Valentinian III. und Bischof Neon

7 Sidonius Apollinaris in Ravenna

8 Romulus Augustulus und König Odoaker

TEIL 3 493–540 Theoderich der Gote, arianischer König von Ravenna

9 Theoderich, der Ostgote

10 Theoderichs Königreich

11 Theoderich, der Diplomat

12 Theoderich, der Gesetzgeber

13 Amalasuntha und das Vermächtnis des Theoderich

TEIL 4 540–570 Justinian I. und die Feldzüge in Nordafrika und Italien

14 Belisar erobert Ravenna

15 San Vitale, Inbegriff des Frühchristentums

16 Narses und die Pragmatische Sanktion

17 Erzbischof Maximianus, Bollwerk des Westens

18 Erzbischof Agnellus und die Beschlagnahme der arianischen Kirchen

TEIL 5 568–643 König Alboin und die Eroberung durch die Langobarden

19 Alboin marschiert ein

20 Das Exarchat von Ravenna

21 Gregor der Große und Ravenna

22 Isaacius, der armenische Exarch

23 Der Arzt Agnellus

TEIL 6 610–700 Die islamische Expansion

24 Die arabischen Eroberungen

25 Konstans II. auf Sizilien

26 Das sechste ökumenische Konzil

27 Der anonyme Kosmograf von Ravenna

TEIL 7 685–725 Die beiden Regierungszeiten von Justinian II.

28 Die Trullanische Synode

29 Der heldenhafte Erzbischof Damianus

30 Das turbulente Leben von Erzbischof Felix

TEIL 8 700–769 Ravennas allmählicher Abstieg

31 Leo III. und die Niederlage der Araber

32 Die Anfänge des Bilderstreits

33 Papst Zacharias und die Eroberung Ravennas durch die Langobarden

34 Erzbischof Sergius übernimmt die Kontrolle

TEIL 9 756–813 Karl der Große und Ravenna

35 Die lange Herrschaft von König Desiderius

36 Karl der Große in Italien, 774–787

37 Eine Statue für Aachen, ein silberner Tisch für Ravenna

Ravennas glanzvolles Erbe

Anhang

Dank

Konkurrierende Mächte in Ravenna

Anmerkungen

Bildnachweis (Tafelteil)

Register

Anmerkung zu den Schreibweisen

Manchen meiner Leserinnen und Leser mag die mangelnde Konsistenz in der Umschrift von Namen auffallen. Bekannte Eigennamen verwende ich in ihrer üblichen eingedeutschten Form, z. B. Konstantin, Justinian, Johannes, Gregor oder Boethius. In allen anderen Fällen unterscheide ich die Herrscher von Konstantinopel und ihre Beamten von ihren Kollegen im Westen, indem ich ihre Namen jeweils mit der griechischen Endung -os oder der lateinischen Endung -us schreibe. So kommt es, dass sich Kaiser Anastasios anders schreibt als Papst Anastasius.

Bei wenig bekannten Ortsnamen benutze ich sowohl auf den Karten als auch im Text die in den Quellen verwendete Schreibweise und füge, wo nötig, den heutigen Namen hinzu. Im Register sind beide Namen aufgeführt.

Bei offiziellen Titeln zitiere ich die damals gebräuchlichen Bezeichnungen und füge, falls angebracht, eine Definition hinzu. Auch hier wurden sowohl griechische als auch lateinische Begriffe transliteriert, zum Beispiel strategos und apocrisiarius. Dass es hierbei über einen Zeitraum von 400 Jahren zu einigen Anomalien kommt, dürfte nachvollziehbar sein.

Einführung

Als sich im Jahr 1943 die alliierten Streitkräfte darauf vorbereiteten, in Italien einzumarschieren und das Land zu besetzen, konzipierte der britische Marine-Geheimdienst vier Handbücher „ausschließlich zur Benutzung durch Personen im Dienste Seiner Majestät“, die über alle Aspekte des Landes berichten sollten. Der erste Band erschien im Februar 1944, fünf Monate nach der ersten Landung der Alliierten. Randvoll mit Diagrammen und ausklappbaren Karten, beschrieb er auf 600 Seiten Italiens Küsten- und Regionaltopografie. Band 2 und 3 behandelten ausführlich die Geschichte, Bevölkerung, Straßen, Eisenbahnen, Landwirtschaft und Industrie des Landes. Der letzte, 750 Seiten starke Band, der im Dezember 1945 erschien, bot knappe, aber durchaus akkurate Beschreibungen der 70 Binnen- und 48 Küstenstädte des Landes. Der Text zu Ravenna, einer kleinen Stadt an der Adria im Norden Italiens, begann mit der ebenso kurzen wie respekteinflößenden Aussage: „Als Zentrum frühchristlicher Kunst ist Ravenna unerreicht.“

Doch als der Band veröffentlicht wurde, lagen weite Teile der Stadt in Trümmern, auch einige ihrer unvergleichlichen frühchristlichen Kunstwerke waren in den 52 alliierten Bombenangriffen zerstört worden. Im August 1944 wurde die Basilika San Giovanni Evangelista von Fliegerbomben getroffen, die für den Bahnhof und die Abstellgleise bestimmt waren. Die Mitte des 5. Jahrhunderts errichtete Kirche hatten prächtige Mosaiken geziert. Die Bodenmosaiken waren bereits verloren gegangen, als die Kirche im 17. Jahrhundert modernisiert worden war. 1944 wurde das gesamte Gebäude in Schutt und Asche gelegt.1

Wenn Sie noch nie in Ravenna waren, haben Sie wirklich etwas verpasst, und dieses Buch soll das außergewöhnliche Erlebnis, das ein Besuch dort bedeutet, lebendig werden lassen. Ich beginne meine Darstellung der einzigartigen Rolle und immensen Bedeutung Ravennas mit solch wehmütigen Gedanken an die Beschädigungen im Zweiten Weltkrieg, um deutlich zu machen, was mich veranlasst hat, dieses Buch zu schreiben.

Die Italiener zählen zu den besten Kunstrestauratoren der Welt. Gleich nach dem Krieg machten sie sich daran, ihr kunsthistorisches Erbe in Ravenna wieder instand zu setzen. Um Geld dafür zu sammeln und den Fremdenverkehr wieder auf Touren zu bringen, zeigte man eine Ausstellung mit Reproduktionen einiger der prächtigsten Mosaiken der Stadt. In den 1950er-Jahren war die Ausstellung u. a. in Paris, London und New York zu sehen. Als sie in England Station machte, besuchte meine Mutter, die damals als Allgemeinmedizinerin tätig war, diese Ausstellung.

Ein paar Jahre später beschloss sie, selbst nach Italien zu reisen und ihrer Tochter das Land zu zeigen. Und so näherten wir uns 1959 vom Norden her Ravenna, um uns die Mosaiken anzuschauen, die sie seit der Ausstellung so faszinierten. Ich weiß noch genau, wie wir den Glockenturm der Abtei Pomposa erspähten, dessen rote Ziegel in der untergehenden Sonne schimmerten. In der Stadt beeindruckte mich besonders das Mausoleum der Galla Placidia mit seinem Mosaik des Sternenhimmels, der über Tauben und Hirschen thront, die aus Brunnen trinken, und den faszinierenden geometrischen Mustern auf den Bögen, die die Kuppel stützen. Aber der Sommer war heiß, ich war ein Teenager und fand es erstrebenswerter, in einem kühlen Restaurant Feigen mit Prosciutto zu essen, als mir Mosaiken anzusehen. Dennoch – ein Samen der Neugier war mir eingepflanzt worden, und eine Postkarte mit dem Porträt von Kaiserin Theodora aus der Kirche San Vitale begleitete mich zur Universität.

Außerdem redete ich offenbar ständig von unserem Besuch in Ravenna. Vierzig Jahre später, als wir in der Toskana Urlaub machten, buchte mein Partner uns als Überraschung einen Tagesausflug nach Ravenna – er wollte unbedingt sehen, was mich damals so beeindruckt hatte. Dort besichtigten wir im Rahmen einer Stadtführung mit einem dicht gedrängten Programm die bedeutendsten Kulturdenkmäler Ravennas. Ich war hingerissen und kaufte vor Ort mehrere Reiseführer, die ich auf der Fahrt zurück zu unserem Urlaubsort sichtete. Während wir vor Bologna in einem nicht enden wollenden Stau standen, ärgerte ich mich zunehmend darüber, dass keines dieser Bücher dem Leser verriet, warum überhaupt es zu dieser erstaunlichen Konzentration frühchristlicher Kunst in Ravenna gekommen war und wie diese Kunst überlebt hat.

Die Idee zu diesem Buch entstand also in dichtem Autoverkehr, und zwar in Form einer doppelten Frage: Weshalb gibt es die unvergleichlichen Mosaiken von Ravenna, und wie lässt sich erklären, dass sie die Zeiten überdauert haben? Am Anfang war ich überzeugt, dass ich diese Fragen ohne allzu große Schwierigkeiten würde beantworten können – vielleicht ein wenig zu überzeugt, wie sich herausstellen sollte. Aber wie heißt es so schön: Man nimmt ein Problem erst dann wirklich wahr, wenn man bereits in der Lage ist, es zu lösen. Unbescheiden, wie ich war, hatte ich das Gefühl, bestens gerüstet zu sein. In meinem ersten Buch, The Formation of Christendom, hatte ich mich ausführlich mit der mediterranen Welt dieser Zeit beschäftigt und wusste, welch entscheidende Rolle die Goten, die eine der bedeutendsten Basiliken Ravennas erbaut hatten, in dieser Welt gespielt hatten. Im zweiten Buch, Women in Purple, hatte ich dargelegt, wie drei Kaiserinnen im byzantinischen Bilderstreit für die Umkehr zurück zur Bildverehrung gesorgt hatten, und mit Unrivalled Influence war ein Band mit meinen gesammelten Aufsätzen über die Rolle der Frau in Byzanz im Erscheinen begriffen. Ich meinte, auf dieser Grundlage den Einfluss von Kaiserin Galla Placidia richtig einschätzen und die beeindruckende Ausstrahlung von Theodora, der Frau von Kaiser Justinian I., entsprechend würdigen zu können.

Ravenna war auf dem Höhepunkt seines Einflusses eindeutig eine byzantinische Stadt. In dem Buch Byzanz. Die erstaunliche Geschichte eines mittelalterlichen Imperiums, das kurz vor der Veröffentlichung stand, hatte ich starke Argumente ins Feld geführt, dass sich das Byzantinische Reich eben gerade nicht durch Schmeichelei, starre Hierarchien und Manipulation hervorgetan hatte – das sind bis heute die pejorativen Konnotationen des Adjektivs „byzantinisch“ –, sondern gerade deshalb über den so langen Zeitraum von 330 bis 1453 hatte Bestand haben können, weil es ganz außergewöhnlich belastbar und extrem selbstbewusst war. Diese Stärke wurzelte in einer dreifachen Kombination: Das Rechtswesen und militärische Geschick der Römer verband sich mit griechischer Bildung und Kultur und mit christlichen Glaubens- und Moralvorstellungen. Ein Beweis für diese These ist die große Vitalität der Außenposten von Byzanz, die nach der Eroberung der Hauptstadt im Jahr 1204 ein byzantinisches Eigenleben führten; meine Aufsätze zu diesen Außenposten, unter denen Ravenna eine besondere Rolle spielte, sind unter dem Titel Margins and Metropolis erschienen.

Der Preis, den ich für mein allzu übersteigertes Selbstbewusstsein zahlte, waren neun Jahre intensiver Forschung! Ich musste lateinische Dokumente auf Papyrus studieren und mit der italienischen Wissenschaftssprache zurechtkommem, die sehr viel anspruchsvoller ist als die Alltagssprache. Ich musste mich mit einer Geschichtsschreibung auseinandersetzen, die sich allzu sehr auf den Niedergang des Westens konzentriert und den Aufstieg und die Rolle von Ravenna nicht ausreichend anerkennt. Ich traf auf zahlreiche historische Figuren, die es auseinanderzuhalten galt: etwa den Arzt Agnellus, den Bischof Agnellus und den Geschichtsschreiber Agnellus. Ich fand mich in der wunderschönen Stadtbibliothek von Ravenna wieder, wo – in der Absicht, die Leser zu inspirieren – in temperaturkontrollierter Umgebung die Gebeine Dante Alighieris aufbewahrt werden (der als Exilant aus Florenz nach Ravenna gekommen war). Ich fuhr auf der alten Römerstraße, der Via Flaminia, die den Apennin überquert, das beeindruckende Rückgrat Italiens, das Ravenna und Rom zugleich verband und trennte, und erkundete auch die Militärstraßen, die der byzantinische General Belisar im 6. Jahrhundert benutzte. Ich folgte, so gut ich konnte, der Route, die den Gotenkönig Theoderich, der eine so wichtige Rolle in der Geschichte Ravennas spielte, durch den Norden des Balkans bis an die Ufer des Isonzo führte, wo er seinen Rivalen Odoaker überwältigte, um anschließend Italien und einen Großteil Südgalliens zu erobern. Auf dieser Reise konnte ich in Cividale del Friuli die Handwerkskunst der Langobarden bestaunen: Sie reichte von christlichen Statuen über Schnitzereien und gemalte Verzierungen bis zu vorchristlichen Grabbeigaben aus Gold und Granat. Mit vier großzügigen Seglern aus Ravenna fuhr ich über die Adria, um mir ein Bild davon zu machen, wie aufwendig es für Mosaikkünstler aus Ravenna gewesen sein mochte, in Parentium (dem heutigen Poreč in Kroatien) zu arbeiten. Dort bestaunte ich die schimmernden Mosaiken der Euphrasius-Basilika, die so eng mit Ravennas Monumenten verbunden sind (sie wurden jeweils im 6. Jahrhundert angefertigt).

Diese Erkundungen machten mir großen Spaß, und sie waren sehr ergiebig. Drei Problembereiche kristallisierten sich dabei heraus, die ich als „Antike“, „Perspektive“ und „Ort“ bezeichnen möchte. Der erste Punkt ist recht einfach zu erklären. Wenn jemand die atemberaubenden Kunstwerke Norditaliens erwähnt, dann denken wir automatisch an die Renaissance des 14. und 15. Jahrhunderts, vom Freskenzyklus Allegorie und Auswirkungen der guten und der schlechten Regierung in Siena aus den 1330er-Jahren bis zu Leonardos Abendmahl aus den 1490er-Jahren. Die große Zeit der künstlerischen Blüte Ravennas liegt fast tausend Jahre weiter zurück. Von den Aufzeichnungen aus jener Zeit sind nur Fragmente erhalten. Es ist außerordentlich schwer nachzuvollziehen, wie die Menschen damals lebten. Die Paläste, in denen man die Regierungsunterlagen aufbewahrte, wurden zerstört und als Steinbrüche missbraucht. Was übrig blieb, ist längst begraben, und fast alle Unterlagen sind zu Staub zerfallen. Einige wenige Berichte sind zumindest in Teilen erhalten, wie der einzigartige Bericht über die Bischöfe von Ravenna aus der Feder des Geschichtsschreibers Agnellus aus dem 9. Jahrhundert.

Wie viel Wissen verloren gegangen ist, lässt sich ermessen, wenn man sich klarmacht, dass wir keinerlei Informationen über die Handwerker – möglicherweise nicht nur Männer, sondern auch Frauen und Kinder – besitzen, die die Mosaiken der Stadt geschaffen haben. Wir wissen nur, dass im Jahr 301, als Kaiser Diokletian mit seinem Höchstpreisedikt im gesamten Römischen Reich die Preisgestaltung für zahlreiche Produkte und Dienstleistungen festschrieb, die Künstler, die Wandmosaiken schufen, dasselbe verdienten wie die Handwerker, die marmorne Pflaster und Wandverkleidungen anfertigten; sie erhielten deutlich weniger als Porträt- und Freskenmaler, aber mehr als ihre Kollegen, die Mosaikfußböden herstellten, und als Tischler und Maurer. Man kann sich gut vorstellen, dass sich ganze Familien darauf spezialisiert hatten, farbige tesserae (Mosaiksteine) herzustellen, mit diesen zu handeln und sie zu Bildern und Porträts zusammenzufügen, für diese Bilder die Vorlagen zu skizzieren und zu berechnen, wie oft sich die Muster an den Rändern wiederholten. Vielleicht gründeten sie in den Städten der antiken Welt eigene Gilden, vielleicht reisten sie von Ort zu Ort, immer auf der Suche nach dem nächsten großen Auftrag. Wir kennen zahllose Mosaiken: Von Sevilla bis Beirut, von Großbritannien bis Nordafrika, auf jeder Insel im Mittelmeer, von den Balearen über Sizilien bis Zypern, und in allen großen Städten des Römischen Reiches wurden riesige Fußböden und endlose Wände mit Mosaiken geschmückt, die Göttinnen und Götter, Episoden aus der Mythologie, alle denkbaren Tier-, Vogel- und Fischarten, Szenen aus dem täglichen Leben und sogar die Überreste großer Bankette darstellten. Doch wir kennen keine einzige Person mit Namen, die die eine Mitarbeit an den Mosaiken von Ravenna für sich reklamiert.

Das Mosaik war das wichtigste Medium der frühchristlichen Kunst Ravennas, seine Funktion und auch seine Kraft waren jedoch nicht bloß ästhetischer Natur. Diese Kunst wurde auf eine neuartige und unverwechselbare Weise verwendet, die sie von all ihren Vorgängern unterschied. Statt der Bodenmosaiken, die jede größere Villa im Römischen Reich geziert hatten, rückten nun Mosaiken in den Apsiden und an den Wänden von Kirchen in den Mittelpunkt. Eine weitere Neuerung bestand darin, dass man den weißen Hintergrund durch einen glänzenden Goldgrund ersetzte, der das Licht auf einzigartige Weise reflektierte. Ab dem 4. Jahrhundert, als Kaiser wie Konstantin I. und seine Mutter Helena die Schirmherrschaft über neue kirchliche Bauvorhaben in Jerusalem, im alten Rom und im neuen Rom, Konstantinopel, übernahmen, assoziierte man Gold mit dem christlichen Gottesdienst. Im Zuge dessen war eine innovative Weiterentwicklung der überlieferten Fertigkeiten der Mosaikkünstler nötig, und doch hat kaum einer von ihnen in jener Zeit seine Werke signiert. Die Anonymität der Mosaikkünstler von Ravenna macht deutlich, wie viel Wissen über diese Zeit verloren gegangen ist.

Der zweite Problembereich ergibt sich aus der Art und Weise, wie man Ravennas Blütezeit wahrnimmt. Die Phase, um die es geht, also die rund 350 Jahre von 402 bis 751, bezeichnen wir heute im Allgemeinen als „Spätantike“ – die Übergangszeit von der griechisch-römischen Antike zu der Kultur, die wir als mittelalterlich identifizieren können. Ein Buch, das unser zeitgenössisches Bewusstsein für jene Epoche maßgeblich geprägt hat, ist Peter Browns Welten im Aufbruch. Die Zeit der Spätantike. Darin erweckt der irische Gelehrte mit der für ihn so typischen überbordenden Vitalität diese einzigartige Zeit zum Leben. Wie viele Historikerinnen und Historiker habe auch ich mich von seinem Werk inspirieren und leiten lassen. Aber während ich dieses Buch schrieb, kamen mir immer mehr Zweifel, ob der Begriff „Spätantike“ angemessen ist, lässt er diese Epoche doch unweigerlich antiquiert erscheinen und als eine Zeit des Niedergangs. Je tiefer ich in die Geschichte Ravennas eintauchte, desto unpassender fand ich den apologetischen Beigeschmack des Begriffs. Denn diese Stadt war als eine der wenigen Städte im Westen damals nicht im Niedergang begriffen – im Gegenteil.

In seinem großartigen Buch von 1971 hob Brown auch die Innovationen jener Epoche hervor, die von individuellen Kreativleistungen wie der ersten Autobiografie (den Bekenntnissen des Augustinus von Hippo) über die Kodifizierung des Römischen Rechts und die Einführung des christlichen Kirchenrechts bis hin zur Ausbreitung des Islams reichten; Letztere führte zur dreifachen Teilung des Mittelmeerraums, die zu den Wurzeln unserer modernen Welt zählt. Viele Aspekte unseres modernen Lebens hatten damals ihren Ursprung, sei es der Prozess der Papstwahl oder das Kalendersystem. Doch durch den Begriff „Spätantike“ vergleicht man diese Zeit eher mit den ruhmreichen Tagen der alten Griechen und Römer, als dass man sie als eigenständige Epoche wahrnimmt. Das ist grundfalsch – vielmehr sollte man die großen Veränderungen betonen, die sich damals ereigneten. Ganz im Sinne einer Inschrift aus der Mitte des 5. Jahrhunderts in Ravenna, die verkündet: „Weiche, alter Name, das Alte weiche dem Neuen!“, habe ich versucht, das Wort „Spätantike“ mit der ihm eingeschriebenen rückwärtsgewandten Perspektive zu vermeiden und durch den Begriff „Frühchristentum“ zu ersetzen, der betont, dass damals eine gerade erst christianisierte Welt nach neuen Organisationsformen suchte.

Der entscheidende Punkt ist: Die klassische Antike war „heidnisch“, aber spätestens seit der Gründung Konstantinopels im Jahr 330 war das Römische Reich dazu bestimmt, christlich zu werden. Und das gilt nicht nur für das Territorium innerhalb der Reichsgrenzen. Die sogenannten Barbaren, die jenseits dieser Grenzen lebten, waren nicht weniger von der Aussicht fasziniert, im Jenseits ewig zu leben, und traten zum Christentum über. Im gesamten Mittelmeerraum und weit darüber hinaus beschäftigten sich die Menschen damit, was es bedeutete, Christ zu sein. Nach dem Aufstieg des Islams und dem Streit über die Rolle von Ikonen, die er provozierte, wurde dieser Prozess sogar noch wichtiger.

Insbesondere seit der Bekehrung der Goten war das Frühchristentum vom Streit um das Wesen des Menschseins Jesu Christi geprägt, das man aus den Evangelien herauslesen wollte, der „guten Nachricht“, auf der die Macht und Autorität des Glaubens gründeten. In der Antike hatte es nichts dergleichen gegeben. Einige christliche Kaiser des 4. Jahrhunderts glaubten, wenn Christus der Sohn Gottes sei, müsse er folglich später als sein Vater geboren, von ihm getrennt und ihm untergeordnet sein. Diese Ansicht hatte Anfang des 4. Jahrhunderts in Alexandria der Diakon Arius formuliert. Als die Goten zum Christentum übertraten, schlossen sie sich dieser Variante des christlichen Glaubens an, dem zu jener Zeit auch der Kaiser in Konstantinopel anhing. Mit ihrer Loyalität zum Arianismus führten sie eine Kirchenspaltung herbei, deren Wirkung noch jahrhundertelang zu spüren war. Später bot der Islam eine neue Projektionsfläche für den Streit um die Menschlichkeit Christi, da die Muslime zwar an denselben Gott glaubten wie die Christen, in Jesus jedoch nur einen wichtigen Propheten sahen, nicht den Sohn Gottes.

Der Arianismus wurde abgelöst von der allgemein akzeptierten Auffassung, dass Gott der Vater, sein Sohn und der Heilige Geist alle denselben Ursprung haben und dieselbe Substanz. Dennoch verhinderten theologische Debatten über die Dreifaltigkeit und über die Menschlichkeit Christi auch weiterhin eine Einheit der Christenheit. Im 8. Jahrhundert kam es zu einer erneuten Krise, als führende westliche Kleriker ihrem Glaubensbekenntnis den Ausdruck filioque („und dem Sohn“) hinzufügten. Der Wortlaut, der Mitte des 5. Jahrhunderts im Konzil von Chalkedon bestätigt worden war, besagte lediglich, dass der Heilige Geist „aus dem Vater hervorgeht“. Der kleine Zusatz filioque wurde im Osten rundweg abgelehnt und symbolisiert seither die Trennung zwischen griechischer Orthodoxie und römischem Katholizismus.

Aber wenn ich den Begriff „Frühchristentum“ verwende, geht es mir nicht in erster Linie um Fragen christlicher Doktrin, sondern ganz allgemein um die Charakterisierung der Epoche, die im 4. Jahrhundert begann, als das Christentum rund ums Mittelmeer zum vorherrschenden Glauben wurde. Ab 380 war es die bestimmende Kraft bei der Ausübung von Macht und das wichtigste organisierte Instrument zur Schaffung von Gemeinschaft und zur Integration der Wirtschaft. Der christliche Glaube bot vielen Völkern des Mittelmeerraums, die verschiedene Sprachen sprachen und mit Eindringlingen, die sich ebenfalls als Christen betrachteten, zu kämpfen hatten, einen gemeinsamen Glauben an das Jenseits und eine gemeinsame Leidenschaft, nach den bestmöglichen Mitteln und Wegen zu suchen, sich dieses Jenseits zu verdienen. Es war weniger eine „spätrömische“ Kultur als vielmehr eine aufstrebende neue Welt, mit all der Zuversicht und der Verwirrung, die große Veränderungen stets mit sich bringen. Die außergewöhnlichen Leistungen Ravennas lassen sich nur in diesem Rahmen nachvollziehen. Um zu vermitteln, wie lebendig und voller Energie dieser Prozess war, habe ich jeden der neun Teile dieses Buches (die jeweils rund ein halbes Jahrhundert abdecken) in kurze Kapitel unterteilt, in deren Titeln ich, wo immer möglich, eine männliche oder weibliche Schlüsselfigur der Geschichte untergebracht habe. Zu den wichtigsten Akteuren des Frühchristentums in Ravenna zählten Kaiser und Kaiserinnen, Könige und Bischöfe, Soldaten und Kaufleute, ein Arzt, ein Kosmograf und auch ein Historiker.

Ein weiterer Aspekt der Epoche, die die Bezeichnung „Frühchristentum“ viel besser charakterisiert als die Bezeichnung „Spätantike“, ist die Rolle von Byzanz. Im 4. und 5. Jahrhundert entwickelte sich das neue Zentrum der kaiserlichen Regierung in Ravenna parallel zur christlichen Autorität des hiesigen Bischofs, während Kirchenführer in den westlichen Provinzen der römischen Welt zunehmend auch administrative Rollen übernahmen. Sie alle beriefen sich auch auf das Erbe der in Konstantinopel ansässigen Kaiser – eine der herausragenden Leistungen des späten Römischen Reiches. Konstantins Hauptstadt, das „neue Rom“, gab im Mittelmeerraum weiterhin den Ton an und gewährte Orientierung in Rechtsfragen, bei diplomatischen Streitigkeiten, politischen Verhandlungen und theologischen Problemen. Diese Jahrhunderte waren geprägt von der hegemonialen Bedeutung Konstantinopels, die einen deutlichen Einfluss darauf hatte, wie sich das Land, das wir heute als Italien kennen, entwickelte.

Gleichzeitig trat im Westen des Reiches eine neue Macht auf den Plan, die barbarische Energie und Tapferkeit mit den militärischen, architektonischen und juristischen Errungenschaften der Römer sowie mit dem christlichen Glauben und christlicher Organisation kombinierte. Das Resultat war eine diffuse, explosive Mischung, die sich allmählich zu einem spezifisch lateinischen Feuer entwickelte, das sich zwischen 400 und 600 in Italien und Nordafrika ausbreitete. Ravenna war eine der Städte, die das Feuer geradezu beispielhaft am Leben hielten, insbesondere unter der langen Herrschaft von Theoderich, dem mehrsprachigen gotischen König, der am byzantinischen Hof ausgebildet worden war und den die dortigen Sichtweisen stark geprägt hatten. Seine Entschlossenheit war der entscheidende Faktor, der aus „barbarischen“ und „römischen“ Elementen eine maßgebliche neue Synthese formte.

In den Jahrhunderten zwischen Antike und Mittelalter schuf Ravenna nicht nur einige der raffiniertesten und exquisitesten Kunstwerke, sondern förderte auch ganz entscheidend die Entwicklung dessen, was später einmal „der Westen“ sein sollte. Konstantinopel spielte bei diesem Prozess eine Schlüsselrolle – eine Tatsache, die von westlichen Mittelalterexperten gern übergangen wird.

Der dritte Problembereich rührt daher, dass Ravenna seinen großen Einfluss vor allem seinem Standort zu verdanken hatte. Als General Stilicho und der junge Kaiser Honorius (395–423) beschlossen, ihre Hauptstadt nach Ravenna zu verlegen, hatte Alarich, der gefürchtete Anführer der Goten, gerade die Alpen überquert, war in Italien eingefallen und kurz davor, die kaiserliche Regierung in Mailand zu bedrohen. Die Stadtmauern von Mailand waren schlichtweg zu lang, um sie effektiv zu verteidigen. Ganz anders Ravenna: Inmitten von Sümpfen, Seen und Seitenarmen des Po gelegen, war die Stadt auf natürliche Weise vor Feinden geschützt, und starke Mauern taten ihr Übriges. Über den nahe gelegenen Hafen Classis (das heutige Classe) hatte man direkte Verbindung mit Konstantinopel und den Handelszentren des östlichen Mittelmeers. Der Umzug der Regierung nach Ravenna war ein cleverer Schachzug. Die im Dezember 402 in Ravenna erlassenen Gesetze dokumentieren die ersten Phasen dieses Umzugs, der es zur neuen Hauptstadt machte.

Bis dahin war die Stadt vor allem für ihren großen Hafen Classis bekannt, der mehrere Jahrhunderte zuvor von Julius Caesar als Stützpunkt für die römische Flotte im östlichen Mittelmeer geplant worden war. Von dort aus marschierte Caesar 49 v. Chr. gegen Rom und überquerte ein paar Meilen südlich den Rubikon – ein Akt, der sprichwörtlich dafür wurde, sich unwiderruflich auf ein riskantes Unterfangen einzulassen. Zweiundzwanzig Jahre später machte sein Großneffe Augustus Ravenna an der Ostküste und Misenum an der Westküste Italiens zu von Prätorianerpräfekten befehligten Zentren der römischen Seestreitkräfte. Außerdem gab er einem Kanal seinen Namen, der durch den östlichen Teil Ravennas verlief, der Fossa Augusta. Der Hafen wurde künstlich in einer Lagune angelegt, die Anlagen wurden auf Pfählen errichtet, 250 Schiffe fanden hier Platz. Classis entwickelte sich zu einem großen Marinezentrum; Grabmonumente zeugen von den Fertigkeiten der hiesigen Schiffbauer, Seeleute, Ruderer und Segelmacher. Der Hafen war mit Ravenna durch einen Kanal verbunden, sodass Boote ganz in der Nähe der Stadt andocken konnten. Allmählich entwickelte sich zwischen Hafen und Stadt eine neue Siedlung namens Caesarea. Kombiniert bildeten die drei Standorte ein sicheres urbanes Zentrum mit Zugang zur Adria und Seeverbindung nach Konstantinopel.

Ravenna wurde auf einem sumpfigen Stück Land auf Sandbänken und Holzpfählen errichtet. Brücken führten über zahlreiche Kanäle, die um die Stadt herum und mitten durch sie hindurchflossen (wie Jahrhunderte später in Venedig). Ravenna besaß bereits alle Elemente einer typischen römischen Stadt – kommunale Gebäude, Einrichtungen für die öffentliche Unterhaltung, Tempel und schließlich auch Kirchen. Nun folgte dem Kaiser ein enormer Tross von Regierungsmitgliedern, Soldaten, Kaufleuten und Gelehrten in seine neue Hauptstadt. Stilichos Instinkt war goldrichtig gewesen: Ravenna erwies sich als nahezu uneinnehmbar. Es wurde oft belagert, aber kaum jemals eingenommen und entwickelte sich so zu einer Hauptstadt mit angemessen bombastischen Bauten, dekoriert in den beeindruckenden künstlerischen Stilen, die damals in Mode waren. Dennoch ergab sich die Bedeutung der Stadt allein aus ihrer Lage: Ravenna war ein Knotenpunkt allererster Güte, der die enormen Kräfte, die das Mittelmeer teilen und der westlichen Hälfte der römischen Welt neue Bedeutung verleihen sollten, konzentrierte und zum Teil auch definierte. Die Geschichte Ravennas ist daher nicht bloß die Geschichte einer Stadt, ihrer Herrscher und ihrer Bewohner. Sie erfordert eine viel größer angelegte Darstellung der unterschiedlichen Kräfte und Mächte, die hier gebündelt wurden und Ravenna zum Schmelztiegel Europas machten.

1Ravennas Aufstieg zur Hauptstadt des Weströmischen Reiches

In den Jahrhunderten, bevor das Christentum Staatsreligion des Römischen Reiches wurde, diente die Ewige Stadt als Symbol einer weltumspannenden Herrschaft, die von energischen Militärs und effizienten Verwaltungsbeamten am Leben gehalten wurde. Innerhalb der gewaltigen Befestigungsanlagen, entlang der berühmten Straßen und an den prachtvollen öffentlichen Gebäuden Roms verherrlichten Kaiser mit Triumphzügen, Statuen und Inschriften ihre Siege über die Herrscher weit entfernter Länder. Der römische Senat würdigte diese Machtdemonstrationen, und das römische Volk feierte mit – „Brot und Spiele“ waren ein wesentliches Element der kaiserlichen Politik. Im großen Kaiserpalast auf dem Palatin bearbeiteten die Höflinge Berufungsanträge, Militärberichte, Steuerklärungen und Nachrichten aus den Grenzregionen, während die Priester in ihren Tempeln mit Opfern und Gebeten dafür sorgten, dass die Götter dem Reich gnädig gesonnen waren. Nach Rom kamen ehrgeizige junge Männer und Frauen, talentierte Dichter, Bildhauer, Kaufleute, Söldner und Entertainer, um ihr Glück zu machen und römische Adlige als Patrone für sich zu gewinnen. Die Stadt war das Zentrum der bekannten Welt, und alle Wege führten nach Rom.

Doch ab dem 3. Jahrhundert n. Chr. residierten die Herrscher dort nicht mehr dauerhaft. Vor allem Kaiser mit militärischem Hintergrund ließen sich immer öfter in anderen, strategisch bedeutenderen Städten nieder, und wohin der Kaiser auch ging, sein Hofstaat und ein Teil der Verwaltung folgten ihm. In der alten Hauptstadt ernannte der Senat währenddessen auch weiterhin einen Präfekten, der die Stadt regierte und für die Versorgung der städtischen Bevölkerung mit Getreide verantwortlich war. An jedem 1. Januar ernannte er zwei vom Kaiser bestimmte Männer zu Konsuln, nach denen dann das jeweilige Jahr benannt wurde. Die Konsuln waren unter anderem dafür zuständig, extravagante Darbietungen für das Volk in Form von Pferde- und Wagenrennen, Tierhetzen, Theateraufführungen und Auftritten von Tänzerinnen und Akrobaten zu finanzieren. Während der Senat auch weiterhin die Machtbasis der Adelsfamilien bildete, die traditionell ihre gut ausgebildeten Söhne aussandten, um die Provinzen zu regieren, Armeen zu befehligen und das Rechtssystem zu schützen, sorgte die Tatsache, dass Rom nun nicht mehr das einzige Zentrum imperialer Macht war, für einen neuartigen Herrschaftsstil, mit einem stärkeren Augenmerk auf der Grenzsicherheit, einer erhöhten militärischen Effizienz und besseren Ressourcen zur Bekämpfung feindlicher Angriffe. Die Regierungszeit von Diokletian (284–305) markierte einen deutlichen Bruch mit der Tradition und läutete eine neue Ära ein – eine Ära, in der sich Ravenna von einem unbedeutenden Küstenstädtchen zur kaiserlichen Hauptstadt aufschwang.

Diokletian und seine Reformen

Diokletian war ein Heerführer aus Dalmatien, der 284 von seinen Truppen zum Kaiser ernannt wurde. Sein erklärtes Ziel war es, den wirtschaftlichen und politischen Niedergang zu stoppen, den moderne Historiker als „Reichskrise des 3. Jahrhunderts“ bezeichnen.1 Seine ersten Amtshandlungen bestanden darin, die von sarmatischen und germanischen Angreifern bedrohten Nordgrenzen des Reiches zu sichern und seine Verwaltung neu zu organisieren. In einer dramatischen Wendung verlegte er den Kaiserhof im Jahr 286 von Rom nach Mailand und ernannte einen Militärkollegen, Maximian, zu seinem Mitkaiser. Maximian regierte fortan die westliche Hälfte des Reiches, während sich Diokletian in Nikomedia (dem heutigen İzmit im Nordwesten der Türkei) niederließ, von wo aus er das Imperium effektiver vor einer drohenden persischen Invasion schützen konnte. Auf diese erste Aufteilung der kaiserlichen Macht folgte im Jahr 293 die Ernennung zweier „Juniorkaiser“, Caesaren genannt, die nach einem festgelegten Zeitraum die volle Macht erben sollten. In der Vergangenheit war es zwischen rivalisierenden Thronanwärtern immer wieder zu kriegerischen Auseinandersetzungen gekommen; mit seinem neuen System wollte Diokletian für eine geordnete Thronfolge sorgen.

Während sich die zwei Kaiser in ihren neuen Hauptstädten Nikomedia und Mailand Paläste und Verwaltungsgebäude bauen ließen, richteten die beiden Caesaren ihre Höfe ganz in der Nähe der Außengrenzen des Imperiums ein, in Antiochia und in Trier. Andere urbane Zentren wie Serdica (das heutige Sofia in Bulgarien) und Thessaloniki kamen ebenfalls als neue regionale Hauptstädte zum Einsatz, die symbolisierten, wie Rom seine Macht auszuweiten und auch weit entfernt von Italien zu festigen wusste. Von Mailand aus führten wichtige Straßen nach Ost und West sowie über die Alpen nach Mitteleuropa und etablierten ein mehr nördlich ausgerichtetes Kommunikationssystem, das Rom weiter in den Hintergrund drängte. Zwischen 337 und 402 residierten die Kaiser, von Constantius II. bis Honorius, mit Vorliebe in Mailand, Höflinge und kaiserliche Beamte ließen sich dort elegante Villen bauen.2

Diokletians Tetrarchie („Viererherrschaft“), die dazu gedacht war, die weiter von Rom entfernten Grenzen besser kontrollieren zu können, ging mit drastischen Reformen der kaiserlichen Regierung einher. Die zivile Verwaltung wurde vom Militär getrennt und reformiert, um eine effizientere Steuererhebung zu ermöglichen. Befestigungen, Fabriken (für Waffen und Uniformen) und Straßen wurden gebaut, Steuern in Form von Nahrungsmitteln für lokale Armeen wurden eingeführt – alles war dazu konzipiert, zum militärischen Erfolg beizutragen. Viele Provinzen waren in kleinere Einheiten unterteilt, die von einem Statthalter und einem angestellten Richter regiert wurden, deren Beamte eine eigene Hierarchie bildeten. Im Rahmen dieses Prozesses wurde Ravenna 297 Hauptstadt der Provinz Flaminia an der Küste Nordostitaliens.

Mit Diokletian verbindet man heute vor allem die Christenverfolgung von 303 bis 311 und das Höchstpreisedikt, mit dem er 301 die Inflation bekämpfen wollte. Keine dieser beiden Maßnahmen war sonderlich erfolgreich, und sie wurden von seinem Nachfolger Konstantin I. wieder rückgängig gemacht. Sein riesiger Palast in Aspalathos (dem heutigen Split) zeugt von Diokletians größenwahnsinnigem Ehrgeiz, zu dem auch das Tragen persischer Insignien wie einer Krone und einer speziellen kaiserlichen Tracht zählten sowie Zeremonien, bei denen sich die Besucher vor seinem Thron verbeugen mussten.3 Obwohl er und sein Mitkaiser Maximian 305 wie geplant von ihren Posten zurücktraten, ging die Thronfolge nicht ganz so friedlich vonstatten, wie er gehofft haben mag. Mehrfach weigerten sich Soldaten, einen designierten Caesar anzuerkennen, und ernannten stattdessen einen ihrer Kommandanten zum Kaiser. Einer dieser Kommandanten war Konstantin I., der 306 von seinen Truppen in York zum Caesar ausgerufen wurde. Er kämpfte sich einmal quer durch die römische Welt, bis er 324 alle Rivalen ausgeschaltet hatte und alleiniger Kaiser des Römischen Reiches war.

Konstantin I. und seine Innovationen

Im Jahr 330 weihte Konstantin eine neue Hauptstadt für die östliche Hälfte des Römischen Reiches ein. Er gab ihr seinen eigenen Namen, Konstantinopel („Stadt Konstantins“), und eine christliche Identität. Ende des 4. Jahrhunderts nannte man sie die „Königin der Städte“ (basileuusa polis, basilis ton poleon oder basilissa polis). Um den christlichen Glauben zu fördern, stiftete Konstantin riesige Kirchen, die er in Großstädten an prominenter Stelle errichten ließ, versammelte die Bischöfe zu Konzilen, denen er vorstand, und erließ christliche Vorschriften, die Teil der Reichsgesetzgebung wurden. Der Kaiser gewährte den Christen Religionsfreiheit und stabilisierte die Preise im Imperium, indem er eine neue zuverlässige Goldwährung prägen ließ. In Trier, das sich bereits zu einem prächtigen befestigten Zentrum entwickelt hatte, das die Rheingrenze des Reiches über ein Jahrhundert lang bis 395 schützte, finden sich noch heute Zeugnisse seiner Bautätigkeit in Form von Thermen und einer massiven Basilika, deren Fresken sorgfältig restauriert worden sind. Mit seiner neuen Hauptstadt am Bosporus gründete er ein „neues Rom“ – anfangs hieß Konstantinopel offiziell Nova Roma, ein Name, der die Ewige Stadt zugleich imitierte und herausforderte. Obgleich die uralten Adelsfamilien, die den Senat stellten, auch weiterhin für die bürgerlichen Routinen, die republikanischen Traditionen und polytheistischen Kulte des nunmehr „alten Rom“ verantwortlich zeichneten, mussten sie mitansehen, wie ihr Einfluss zusehends schwand, als Konstantin in seiner neuen Hauptstadt im Osten einen zweiten Senat installierte.

Wie christlich Konstantin tatsächlich war, ist höchst umstritten. Auch wenn sich christliche Autoren an den Geschichtsschreiber Eusebius hielten, der darauf beharrte, der Kaiser sei vor der Schlacht an der Milvischen Brücke vor den Toren Roms im Jahr 312 zum christlichen Glauben übergetreten, förderte Konstantin auch weiterhin den mit bestimmten „heidnischen“ Göttern verbundenen Kaiserkult. Immerhin erhielten die Christen ein Jahr später im Zuge der sogenannten Mailänder Vereinbarung (die man früher fälschlich als „Toleranzedikt von Mailand“ bezeichnete) die gleichen Privilegien wie andere Kulte, vorausgesetzt, sie beteten zu ihrem Gott für das Wohlergehen des Römischen Reiches, genau wie man es von den Anhängern anderer Religionen verlangte. Zu diesem Zeitpunkt stellten die Christen eine recht heterogene Minderheit dar, doch dank der Unterstützung durch den Kaiser wuchs ihre Zahl. Im Jahr 325 rief der Kaiser alle Bischöfe des Römischen Reiches zum Ersten Konzil von Nicäa zusammen und wies sie an, sich auf ein Glaubensbekenntnis als allgemeingütige Definition des christlichen Glaubens zu einigen und einige die Disziplin des Klerus betreffende Probleme zu lösen. Das Konzil verurteilte die von Arius, einem Diakon der Kirche von Alexandria, verbreiteten Lehren als unorthodox und ketzerisch. Das Treffen war das erste universelle (ökumenische) Konzil der Christenheit, die dort verabschiedete Definition des christlichen Glaubens ging als „Bekenntnis von Nicäa“ in die Geschichte ein, und seine Anhänger kann man als katholische Christen identifizieren.

Konstantin schaffte die römische Prätorianergarde ab, weil sie sich ihm an der Milvischen Brücke widersetzt hatte, und ließ in der Stadt mehrere große Kirchen bauen. Er schenkte seinem Bischof eine monumentale Basilika, den späteren Lateranpalast, während seine Mutter, Kaiserin Helena, ähnliche Bauvorhaben in Jerusalem, Bethlehem und Rom beaufsichtigte.4 Auf seinem Sterbebett bat Konstantin den Bischof von Nikomedia um die Taufe. Er erhielt als erster römischer Kaiser eine komplett christliche Beerdigung und wurde in einem Sarkophag in dem Mausoleum beigesetzt, das er für sich und seine Familie hatte errichten lassen, einer an die Apostelkirche in Konstantinopel angeschlossenen Rotunde.5 Nach seinem Tod im Jahr 337 gab es heftige Auseinandersetzungen unter seinen Söhnen um den Posten des alleinigen Kaisers, doch allmählich zeichnete sich eine faktische Teilung des Römischen Reiches ab, mit einem ranghöheren Kaiser, der in Konstantinopel residierte und einen Juniorkaiser ernannte, der im Westen regierte.6

Im Laufe des 4. Jahrhunderts geriet diese Zweiteilung der römischen Welt zusehends aus dem Gleichgewicht. Unter Konstantins Nachfolgern gewann die neue Hauptstadt Konstantinopel immer mehr an Prestige, während es mit Rom bergab ging; die transalpinen westlichen Provinzen blieben ärmer als die östlichen, die über effektivere Machtstrukturen verfügten. Nach dem Tod von Kaiser Julian im Jahr 363 übernahmen mehrere Armeeoffiziere die Amtsgeschäfte. Ein Jahr später wurde Valentinian, ein General aus Pannonien (im heutigen Ungarn), von führenden Militärs und Zivilbeamten zum neuen Kaiser ausgerufen, er wiederum ernannte seinen jüngeren Bruder Valens zum Mitkaiser. Die beiden neuen Herrscher mussten sich mit akuten militärischen Bedrohungen auseinandersetzen, die Valentinian zuerst nach Trier und später nach Mailand führten, während sich Valens in Antiochia niederließ, um sich um die Perser zu kümmern. Beide waren Christen, allerdings stand Valens den Arianern nahe.

Arius und seine Theologie

Trotz der Formulierung des Bekenntnisses von Nicäa im Jahr 325, das bei jedem Gottesdienst rezitiert werden musste, gelang es Konstantin nicht, die Debatte über den Arianismus zu beenden. Manche Christen waren der Ansicht, dass der Glaube an nur einen Gott (Monotheismus), der so ganz anders war als die Kulte der alten Göttinnen und Götter (Polytheismus), durch den Glauben an eine Dreifaltigkeit von Vater, Sohn und Heiligem Geist verwässert wurde. Manche beharrten darauf, dass es unangemessen sei, dem Vater nicht den Vorrang vor dem Sohn einzuräumen, da selbstverständlich die Väter ihre Söhne zeugten. Anfang des 4. Jahrhunderts hatte Arius diesen Einwand gegen die Gleichheit der drei Ausprägungen Gottes in einem detaillierten theologischen Argument ausgeführt, das viele spätere Denker beeinflusste. Seiner Definition widersprach die katholische Kirche, die verkündete, alle drei Elemente der Dreifaltigkeit besäßen dieselbe Substanz, Essenz und Natur, die schon vor der in den Evangelien beschriebenen Geburt von Jesus, Gottes Sohn, existierten. Die Arianer hingegen behaupteten, der Sohn könne dem Vater in seiner Natur lediglich ähnlich sein (auf Griechisch homoios, daher die Bezeichnung „Homöer“ für die Anhänger dieser theologischen Richtung). Obwohl Arius im Jahr 325 als Ketzer gebrandmarkt worden war, sahen Konstantins Nachfolger diese homöische Theologie als orthodox an und schickten Missionare aus, um den arianischen Glauben bei den germanischen Stämmen zu verbreiten. Den Arianern gelang es, eine konkurrierende Kirche zu gründen, der die Kaiser des 4. Jahrhunderts anhingen und die ihre eigene „orthodoxe“ bzw. „katholische“ Definition des korrekten Glaubens gegen die ihrer katholischen Gegner in Stellung brachte, die diese beiden Bezeichnungen ebenfalls für sich beanspruchten.7

In Konstantinopel erfuhr der arianische Klerus beträchtliche Unterstützung durch Militärkommandanten germanischer und gotischer Herkunft. Die Goten waren zum arianischen Christentum konvertiert, das sie als ihren offiziellen „orthodoxen“ Glauben ansahen, ihr erster Bischof Wulfila (341–381) hatte für sein Volk ein schriftliches Alphabet entwickelt und die Bibel und liturgische Texte ins Gotische übersetzt, damit die Goten den Gottesdienst in ihrer eigenen Sprache feiern konnten. Mit Unterstützung durch Constantius II. (337–361) und Valens (364–378) fasste der Arianismus auch im Westen Fuß, insbesondere in Mailand, der damaligen Hauptstadt der westlichen Hälfte des Römischen Reiches. Die christliche Bevölkerung der Stadt war bald in zwei rivalisierende Fraktionen gespalten, in die Anhänger von Arius und in seine Gegner, die sich an die Entscheidung des Konzils von Nicäa hielten. 355 wurde in Mailand eine lokale Synode abgehalten, die sich für die arianische Sichtweise aussprach und Auxentius, einen Schüler von Wulfila aus dem Osten, zum Bischof ernannte.8 Trotz vieler Versuche, ihn abzusetzen, blieb er 20 Jahre lang in Mailand im Amt und predigte die Lehren des Arius, was, wie Ambrosius, der katholische Bischof von Mailand (374–397), feststellte, immer wieder zu gewaltsamen Auseinandersetzungen führte.

In Rom hingegen, wo noch immer ein weitgehend „heidnischer“ Senat den Ton angab, machte der Arianismus weit weniger Wirbel. Obwohl die christliche Gemeinde hier von Bischöfen geleitet wurde, die ihre Linie bis zum Apostel Petrus zurückverfolgten, hatte sie sich zwischen den tief verwurzelten polytheistischen Kulten der Stadt mit ihren beeindruckenden Tempeln auf dem Kapitol, wo zum Wohle des Imperiums Opfer dargebracht wurden, und auf dem Forum Romanum, wo die Vestalinnen die heilige Flamme der Vesta unterhielten, langsamer entwickelt als anderswo. Kaiser kamen nur noch selten nach Rom; der zeremonielle Besuch Constantius’ II. im Jahr 357 war ein ganz außergewöhnliches Ereignis, das sich erst mehr als 30 Jahre später wiederholte, als Theodosius I. in die Stadt kam.9 Die Zukunft des Imperiums entschied sich weit weg von Rom an den Außengrenzen, und es waren weder der Senat noch der Bischof von Rom, die die Geschicke des Römischen Reiches lenkten, sondern germanische Truppen, die zum arianischen Christentum konvertiert waren.

Eine sehr bezeichnende Schwäche der römischen Verwaltung war der zunehmende Anteil nichtrömischer Söldner in der Armee. Viele wurden auf dem Balkan rekrutiert und von ihren eigenen Heerführern kommandiert, die pro Feldzug bezahlt wurden. Einige dieser Heerführer hatten den Ehrgeiz, als Alliierte des Kaisers neue Territorien zu besetzen und dem Reich einzuverleiben, anderen reichte es, irgendwo einzumarschieren und alles zu zerstören. Im Laufe des 4. Jahrhunderts wuchs der Einfluss dieser Auxiliartruppen immer mehr, bald dominierten sie das römische Heer und trugen so dazu bei, das arianische Christentum zu verbreiten.10 Ihre germanischen und gotischen Generäle erlangten beim Militär hohe Posten und vertieften die religiöse Spaltung innerhalb der Armee. Hinzu kam, dass sie die rivalisierende Variante des christlichen Glaubens, die sie förderten, nur allzu oft mit feindlichen Gruppen jenseits der Reichsgrenzen teilten. Dass diese Entwicklung auf Kosten der Kampfkraft des Imperiums ging, wurde spätestens in der Schlacht von Adrianopel im Jahr 378 deutlich, als die Römer eine katastrophale Niederlage erlitten und gotische Truppen Kaiser Valens und viele seiner Generäle töteten.

Theodosius I. (379–395) und seine Erfolge

Infolge dieser verheerenden Niederlage sah sich der junge westliche Kaiser Gratian gezwungen, einen in Ungnade gefallenen römischen General namens Theodosius, der sich nach der Hinrichtung seines Vaters nach Spanien zurückgezogen hatte, zu Hilfe zu rufen, um Konstantinopel vor den Goten zu bewahren. Der pflichtbewusste Theodosius unternahm die weite Reise von Spanien in den Osten, dort kam es zu Konfrontationen und anschließend zu Verhandlungen mit den Goten, die sich unbedingt innerhalb der Reichsgrenzen niederlassen wollten, nämlich in den fruchtbaren Regionen südlich der Donau. Nach mehreren Schlachten mit den Sarmaten in der Nähe von Sirmium auf dem Balkan wurde Theodosius von seinen siegreichen Truppen zum Kaiser ernannt, Gratian machte seine Ernennung am 19. Januar 379 offiziell (Tafel 1). Theodosius ließ daraufhin eine große Anzahl gotischer Familien auf römischem Gebiet siedeln, als Föderaten, die sich verpflichteten, für das Imperium zu kämpfen. Seine lange Amtszeit war ein weiterer wichtiger Wendepunkt in der Geschichte des Römischen Reiches. Er führte siegreiche Feldzüge gegen feindliche Kräfte, machte das Christentum zur offiziellen Staatsreligion und installierte seine beiden Söhne als Kaiser, was die Trennung in Ost- und Westrom besiegelte.

Auch für die Geschichte Ravennas hat Theodosius eine besondere Bedeutung: Er war der Vater von Kaiserin Galla Placidia, die von 425 an 13 Jahre lang als Regentin in Ravenna herrschte. Der Kaiser und seine spanische Ehefrau Flaccilla hatten einen Sohn, Arcadius, der vor 379 zur Welt kam, eine Tochter, Pulcheria, die früh starb, und 384 einen weiteren Sohn, Honorius. Außerdem adoptierte Theodosius seine Nichte Serena, als deren Vater starb, machte sie juristisch zu seiner Tochter und verheiratete sie mit Stilicho, seinem führenden General. Im 386 starb Kaiserin Flaccilla, und im Jahr darauf heiratete Theodosius in Thessaloniki Galla, eine Prinzessin aus der Dynastie des Valens. Das einzige Kind, das aus dieser zweiten Ehe hervorging und das Erwachsenenalter erlebte, war Galla Placidia, die Halbschwester der jungen Prinzen Arcadius und Honorius.

Theodosius war ein frommer Christ und erklärter Feind aller Ketzer. Entschieden ging er gegen die polytheistischen Kulte vor und erließ Gesetze gegen ihre Feiern und Opferhandlungen. Nach Konstantins Vorbild berief er 381 in Konstantinopel ein Konzil aller katholischen Bischöfe ein, die erneut den Arianismus verurteilten und sich auf eine leicht überarbeitete Fassung des Bekenntnisses von Nicäa von 325 einigten. Das Konzil gab auch mehrere Kanones – Lehrsätze des Kirchenrechts – heraus, darunter einen, der den Status von Konstantinopel mit dem von Rom gleichsetzte.11 Die Bischöfe von Rom sahen darin eine grobe Missachtung des heiligen Petrus, des Felsens (griech. petra), auf dem Christus seine Kirche gegründet hatte und in dem sie den Garanten ihrer überlegenen Autorität wähnten. Während dieser Kanon die Rivalität zwischen dem alten und dem neuen Rom weiter befeuerte, verlieh Theodosius der aufstrebenden Kultur des Frühchristentums eine juristische Grundlage. Wie seinerzeit Konstantin unternahm Theodosius im gesamten Mittelmeerraum Feldzüge; der alten Hauptstadt stattete er nur einen einzigen zeremoniellen Besuch ab: im Juni 389, um einen großen Sieg zu feiern. In Konstantinopel ließ er einen ägyptischen Obelisken auf dem Hippodrom aufstellen. Den Sockel, auf den er montiert wurde, zieren Reliefs, die unter anderem den Transport des Obelisks zeigen und den Kaiser, der für die Teilnehmer der Wagenrennen einen Siegerkranz bereithält.

Nach dem Sieg über seine weströmischen Rivalen bei der Schlacht am Frigidus ging Theodosius 394 nach Mailand und bestellte Serena zu sich, die sich seit dem Tod von Kaiserin Galla um seine jüngsten Kinder kümmerte. Serena ließ den damals 17-jährigen Arcadius in Konstantinopel zurück und reiste mit Honorius (zehn Jahre) und Galla Placidia (etwa vier Jahre) und all ihren Bediensteten aus der östlichen Hauptstadt nach Mailand. Sie trafen gerade noch rechtzeitig ein, um den Tod des Kaisers am 17. Januar 395 mitzuerleben. Wie Theodosius verfügt hatte, ging die kaiserliche Macht auf seine beiden minderjährigen Söhne über, für die ihre Vormunde, der Feldherr Rufinus im Osten und der Heermeister Stilicho im Westen, die Geschäfte regelten. Wahrscheinlich hatte Theodosius es so arrangiert, dass Arcadius’ und Honorius’ kleine Halbschwester Galla Placidia im kaiserlichen Haushalt von Serena und Stilicho großgezogen wurde, wo sie die nächsten sieben Jahre lebte. Vielleicht hatte Theodosius gehofft, indem er das Römische Reich teilte, könne er verhindern, dass sich seine Söhne um das Erbe streiten würden, aber die Rivalität zwischen den beiden Höfen in Konstantinopel und Mailand verhinderte jede Kooperation, zumal die nominellen Herrscher noch denkbar jung und unerfahren waren.12

Der Kinderkaiser Honorius

So wurde der zehnjährige Honorius im Januar 395 also Kaiser des Weströmischen Reiches. Er residierte am Hof in Mailand (Tafel 2), wo sein Vormund, der äußerst erfolgreiche Heermeister (magister militum) Stilicho, die Fäden in der Hand hielt. Mit seiner Ehefrau Serena, selbst kaiserliche Prinzessin, hatte Stilicho drei Kinder, Maria, Eucherius und Thermantia, die alle strategisch vorteilhafte Ehebündnisse eingingen. Im Jahr 398 wurde die damals etwa zwölfjährige Maria mit dem 13-jährigen Kaiser Honorius verheiratet, und Eucherius wurde mit Galla Placidia verlobt, um die verwaiste kaiserliche Prinzessin in Stilichos Familienpläne zu integrieren. Es war eine typisch römische Verlobung von Minderjährigen, allerdings führte sie nicht wie erwartet zur Heirat und zur Zeugung einer neuen Generation. Auch Honorius und Maria bekamen keine Kinder, Maria starb ungefähr 407/08. Anschließend überredete Stilicho den Kaiser, seine zweite Tochter Thermantia zu heiraten, um so seiner eigenen Familie ihren Platz in der herrschenden Dynastie zu sichern.

Doch um die Wende vom 4. zum 5. Jahrhundert erfuhr Stilicho am Kaiserhof in Mailand, dass der westgotische Anführer Alarich Griechenland verwüstet hatte und drohte, nun auch in Italien einzufallen. Im Jahr 401 überquerte er die Julischen Alpen (ganz im Osten des Gebirges) und belagerte Aquileia. Im Winter 401/02 näherte er sich Mailand und eroberte auf dem Weg zahlreiche Städte. Im Sommer 402 gelang es Stilicho zwar zunächst, die Goten zu besiegen, aber Alarich entkam mit dem größten Teil seiner Kavallerie. Daher riet der Heermeister seinem Schützling Honorius, den Hof von Mailand in eine sicherere Stadt zu verlegen. Die Wahl fiel auf Ravenna, das fortan als Residenzstadt der Herrscher der westlichen Hälfte des Römischen Reiches fungierte.

Hauptstadt Ravenna

Die Wahl fiel auf Ravenna, weil es zum einen als uneinnehmbar galt, zum anderen wegen des großen Hafens in Classis. Die Stadt war über mehrere Flüsse mit der Poebene verbunden, die reich an landwirtschaftlichen Erzeugnissen war, welche man im Falle einer Belagerung in der Stadt lagern konnte, und dennoch durch tückische Sümpfe und Seen vor Angriffen geschützt.13 Ravenna wurde im 2. Jahrhundert v. Chr. auf Sandbänken erbaut, die aus den umliegenden Gewässern herausragten, und nach dem typischen quadratischen Muster römischer Garnisonen angelegt, der quadrata Romana. Es galt als besonders sichere Stadt, in der man bedeutende Geiseln oder Flüchtlinge unterbringen konnte. Der Dalmatenanführer Bato, den man nach dem pannonischen Aufstand zwang, im Triumphzug von Kaiser Tiberius mitzumarschieren, war hier schon zu Beginn des 1. Jahrhunderts n. Chr. in einem goldenen Käfig eingesperrt gewesen, genau wie die Ehefrau von Arminius dem Cherusker, die in Ravenna ihren Sohn großzog. Im Jahr 43 n. Chr. ließ Kaiser Claudius feierlich einen neuen Eingang zur Stadt errichten, das Goldene Tor, das sich anhand seiner Inschrift datieren ließ.14 Das Monument wurde im 16. Jahrhundert abgerissen. Dank Zeichnungen haben wir noch heute eine Vorstellung von seiner Herrlichkeit, und ein paar Fragmente seiner eleganten skulpturalen Dekoration sind erhalten geblieben, sie werden im Nationalmuseum aufbewahrt. In der Nähe von Classis befand sich eine Gladiatorenschule, deren Kadetten von der Seeluft profitieren sollten. Als die Zahl der Seeschlachten zurückging, wurde der Hafen von Classis schrittweise für Handelsschiffe umgebaut, die Waren über die Adria und das gesamte Mittelmeer transportierten. Schiffbauer, Segelmacher und andere maritime Spezialisten wurden weiterhin auf Grabdenkmälern verewigt, etwa der „fabr.navalis“ (Schiffbauer) Publius Longidienus auf einer Stele aus dem 2. Jahrhundert.15

In dieser wasserreichen Region mit den vielen Seitenarmen des Po und weiteren Flüssen war es nur logisch, dass man versuchte, die Gewässer bestmöglich zu nutzen. Also legte man zwei große Kanäle an, die Padenna und die Lamisa, die um die Stadt herum- und in sie hineinflossen. Die Kanäle bildeten außerhalb der Stadtmauern einen breiten Wassergraben und in der Stadt ein Netzwerk von Wasserwegen. Im 6. Jahrhundert schrieb der Historiker Prokop:

Die Stadt Ravenna … ist so gelegen, dass sie weder von Schiffen noch von Landstreitkräften leicht erreichbar ist. … Über Land kann sich ihr eine Armee überhaupt nicht nähern, denn der Po … und andere schiffbare Flüsse wie auch einige Sümpfe umgeben sie von allen Seiten, sodass die Stadt vollkommen von Wasser umschlossen ist.16

Der Po führte allerdings so viel Schlamm mit sich, dass die Kanäle und Flussgabelungen regelmäßig blockiert waren, und wenn die Schiffer der Lastkähne mit ihren Stangen in den Sümpfen herumstocherten, wirbelten sie den Schlick auf. In den Jahren 393, 429, 443 und 467 führten Überschwemmungen und Erdbeben dazu, dass Gebäude teilweise im Sumpf versanken und dabei stark beschädigt wurden. Immer wieder beschwerten sich Besucher, dass es in und um Ravenna so viel Wasser gab, Trinkwasser aber dennoch Mangelware war. Dieses Problem behob zu Beginn des 2. Jahrhunderts Kaiser Trajan, indem er einen 35 Kilometer langen Aquädukt bauen ließ, der Ravenna mit Wasser vom Apennin versorgte.17

Die drei eng miteinander verbundenen Siedlungen Ravenna, Caesarea und Classis erregten bereits im 4. Jahrhundert die Aufmerksamkeit römischer Kaiser, da man von hier aus besonders gut die Marine- und Handelsaktivitäten auf der Adria beobachten konnte. Honorius besuchte die Stadt 399, im selben Jahr, als er die Provinz Flaminia mit dem benachbarten Picenum vereinigte, einer Küstenregion weiter südlich. Damit war Ravenna plötzlich Sitz eines Statthalters, was bedeutete, dass einige administrative und kulturelle Gebäude sowie mehrere beeindruckende Villen wie die Domus dei Tappeti di Pietra („Haus der steinernen Teppiche“) errichtet wurden. Als Teil der alten Stadtmauer bot das Goldene Tor einen besonders monumentalen Eingang, der ins Herz der Stadt führte, vorbei an einem mit Herkules assoziierten Gebäude (vielleicht einem Tempel), dem Theater und anderen städtischen Einrichtungen. Insgesamt waren die drei Siedlungen in der Lage, eine große zusätzliche Streitmacht zu beherbergen und zu versorgen, wie ein Kommando von 4000 Soldaten, das zu Beginn des 5. Jahrhunderts aus Konstantinopel nach Ravenna geschickt wurde und dort stationiert blieb. Wie alle römischen Städte wurde Ravenna von einer Kurie (curia) regiert, einem Rat von Beamten, die jährlich gewählt wurden und die Steuern erhoben, die Grundversorgung der Bevölkerung organisierten und für die Wartung der Stadtmauern und öffentlichen Gebäude zuständig waren. Letztlich unterstand die Kurie aber der Autorität des Flottenkommandanten.

Neben dem Statthalter und dem Flottenkommandanten hatte die Stadt auch einen Bischof, dessen Status im Vergleich zu dem seiner Kollegen an den etablierten Bischofssitzen in Mailand und Aquileia aber eher gering war. Severus war der erste Bischof von Ravenna, der in offiziellen Dokumenten auftauchte; 343 nahm er an einem Konzil in Serdica teil (Tafel 52). Die frühesten Hinweise auf eine christliche Präsenz in der Region finden sich in Classis, wo angeblich die Reliquien mehrerer frühchristlicher Märtyrer aufbewahrt wurden, unter anderem die des heiligen Apollinaris, der als Gründungsbischof von Ravenna gilt. Wahrscheinlich residierten die Bischöfe zu Beginn in Classis, zogen aber spätestens nach Ravenna um, als der Kaiser mit seinem Hofstaat hierher übersiedelte. Anfang des 5. Jahrhunderts begann wohl auch der Bau der ersten Kathedrale. Im Winter 402/03 hieß die Siedlung an der Adriaküste den Kaiser und seinen Hofstaat willkommen und wurde die neue Hauptstadt des Weströmischen Reiches.

Bei keinem zeitgenössischen Schriftsteller findet sich eine Beschreibung davon, wie das vor sich ging und ob die Stadt Honorius mit offenen Armen empfing. Aber man kann sich vorstellen, dass er in Begleitung seiner Leibgarde durch das Goldene Tor ritt, um vom Flottenkommandanten, dem Provinzstatthalter und dem Bischof begrüßt und von den Einheimischen bejubelt zu werden. Der Großteil der Ausstattung des Hofes, Möbel, Dokumente und die Angestellten, wurde wahrscheinlich auf dem Po von Mailand nach Ravenna verschifft. Für Dezember 402 ist die Anwesenheit des Kaisers in Ravenna durch Gesetze belegt, die er dort erließ, und durch Münzen mit seinem Namen, die in der neuen Münzstätte geprägt wurden, die er vor Ort eingerichtet hatte.18 Im Folgenden erlebte Ravenna genau wie andere im 3. und 4. Jahrhundert gegründeten Hauptstädte eine massive Expansion, da rasch neue Quartiere für relativ viele Menschen gebaut werden mussten – für den Hofstaat, für einen Teil des Heeres, für die Beamten der kaiserlichen Regierung und ihre Familien, für den Klerus und für die Kaufleute und Handwerker, die dem Kaiserhof an seinen neuen Standort folgten. Um aus einer relativ kleinen römischen Stadt mit großem Hafen das führende urbane Zentrum der westlichen Hälfte des Imperiums zu machen, waren erhebliche Investitionen nötig, die wahrscheinlich vom Kaiser und seinen wichtigsten Regierungsbeamten getätigt wurden. Gut möglich, dass die Kurie, die üblicherweise die autonome Kontrolle über die Stadt ausübte, ihre Kompetenzen hier und da beschnitten sah. Aus der Mitte des 5. Jahrhunderts besitzen wir fragmentarische Aufzeichnungen über die Aktivitäten der Beamten, die darauf hinweisen, dass sie sich nun eher um die Pflege städtischer Archive kümmerten als darum, die Steuern zu erhöhen.

Nicht alle herrschenden Eliten des Weströmischen Reiches waren mit der Wahl von Ravenna einverstanden: Manche Senatoren hatten gehofft, dass der Kaiser endlich nach Rom zurückkehren würde, und einige Militärberater hatten vorgeschlagen, Arles zum neuen Regierungssitz zu machen. Honorius wusste, wie sehr er die Rom-Fraktion enttäuscht hatte, und besuchte die alte Hauptstadt regelmäßig, ganz anders als sein Vater. Ende 403 hielt er in Rom einen adventus ab, einen zeremoniellen Einzug als Imperator, um Stilichos Sieg über Alarich in der Schlacht bei Pollentia (dem heutigen Pollenzo) zu feiern, mit dem sein Vormund Italien vor einem weiteren Vormarsch des gotischen Heerführers bewahrt hatte (401–403).19 Im Anschluss an die Zeremonie zog sich Honorius in den Kaiserpalast auf dem Palatin zurück, und an Neujahr ernannte ihn der Senat zu einem der Konsuln für das Jahr 404. Die Übernahme dieses Amtes erforderte weitere choreografierte Prozessionen im Palast und auf dem Forum und kulminierte darin, dass der Kaiser Militärparaden, Gladiatorenspielen und Wagenrennen im Circus Maximus vorstand, die er in seiner Eigenschaft als neuer Konsul auch gleich noch finanzieren durfte. Diese aufwendigen Veranstaltungen zur Unterhaltung des Volkes waren eine wichtige römische Tradition. Senatoren gaben oft große Summen dafür aus, weil sie so die Karriere ihrer Söhne fördern konnten, und sie symbolisierten den Status, der mit Ehrentiteln einherging.20

Auch wenn Ravenna mit diesen tief verwurzelten Traditionen nicht konkurrieren konnte, gab sich Honorius alle Mühe, in seiner neuen Hauptstadt Einrichtungen für den Hofstaat und die kaiserliche Verwaltung zu schaffen, große Kirchen für die katholische Bevölkerung zu bauen und die Stadt insgesamt zu verschönern. Honorius überließ es Stilicho, sich um die Verteidigungspolitik zu kümmern und zivile Beamte zu ernennen. Offenbar hatte er jeden Ehrgeiz aufgegeben, so zu regieren, wie es die Kaiser vor ihm getan hatten. Dennoch stellte er mit seinem Umzug nach Ravenna das Überleben der Theodosianischen Dynastie sicher und sorgte dafür, dass seine Halbschwester Galla Placidia bei Hofe in einem sicheren Umfeld aufwuchs. Unter seiner – und später dann ihrer – Schirmherrschaft entstanden in der Stadt einige aufsehenerregende Bauwerke, die Ravennas Status als neue Hauptstadt des Weströmischen Reiches durchaus gerecht wurden.

TEIL 1

390–450Galla Placidia

2Galla Placidia, die theodosianische Prinzessin

Die Halbschwester von Honorius, Galla Placidia, spielte bei der Entwicklung von Ravenna eine Schlüsselrolle und hinterließ in der Geschichte des Römischen Reiches unauslöschliche Spuren. Sie war ihres turbulenten Lebens und ebenso ihrer Herkunft wegen eine sehr ungewöhnliche Gestalt. Durch ihre Eltern und ihren Werdegang verkörperte sie wie keine Zweite den Wandel des Römischen Reiches zu einem Imperium, in dem sich zwei Kaiser, einer im Osten und einer im Westen, die Herrschaft teilten – zwei Kaiser, die einvernehmlich regieren mussten, dabei aber ständig darum stritten, wer der Mächtigere war, während nichtrömische Heerführer, die oftmals Christen waren, die herrschenden Familien herausforderten. Galla Placidia kam in Konstantinopel zur Welt. Nach dem Tod ihrer Mutter im Jahr 394 wies Theodosius, wie erwähnt, Serena an, sie in den Westen zu bringen. Nachdem im Januar 395 der Kaiser verstorben war, wurde ihr Halbbruder Honorius nominell Herrscher über Westrom, und Galla Placidia, ihre Amme Elpidia und einige persönliche Bedienstete ließen sich in Mailand nieder, in der Nähe von Serena und Stilicho und ihren drei älteren Kindern.

Am Kaiserhof in Mailand wird sie Geschichten über ihre Großmutter gehört haben, die mächtige Kaiserin Justina, Gemahlin Valentinians I., die das arianische Christentum energisch gegen den von Bischof Ambrosius propagierten katholischen Glauben verteidigt hatte. Sie wird davon erfahren haben, wie ihr Onkel Valentinian II. im Jahr 387 aus Mailand hatte fliehen müssen, als der Usurpator Maximus die Stadt erobert hatte. Die gesamte Kaiserfamilie, darunter auch ihre Mutter Galla, Valentinians jüngere Schwester, hatte sich in Sicherheit gebracht und war nach Thessaloniki übergesetzt. Dort hatte Kaiserin Justina die Ehe der Eltern arrangiert, und Theodosius hatte dafür gesorgt, dass Valentinian II. seinen Thron zurückbekam. Schon in jungen Jahren war die verwaiste Prinzessin sich ihres kaiserlichen Erbes bewusst, und ihr blieb nicht verborgen, in welchem Maß ihre Großmutter Justina Einfluss auf die politischen Entwicklungen genommen hatte. In Mailand erfuhr die junge Galla Placidia auch mehr über ihre Eltern, als ihre Ammen und Bediensteten in Konstantinopel ihr wohl hätten erzählen können.

Ihr Leben lang bewegte sich Galla Placidia mühelos durch die römische Welt. Sie reiste von Konstantinopel nach Rom und sogar nach Gallien und Spanien. Auch wenn diese beiden Regionen nicht mehr unter der Kontrolle des Römischen Reiches standen, waren sie doch Teil des neuen Christentums, einer im christlichen Glauben vereinten Welt, in der es unerheblich war, ob ein Herrscher Römer war oder nicht. In diesem Universum des Glaubens, das kaum noch Schranken kannte, war Galla Placidia zu Hause, auch wenn sie den wichtigsten Teil ihres Erwachsenenlebens in Ravenna verbrachte.