Redaktionsschluss - Stefan Schulz - E-Book

Redaktionsschluss E-Book

Stefan Schulz

4,8

Beschreibung

Es ist noch nicht lange her, da wurde die Presse als „Vierte Gewalt“ aufmerksam beobachtet. Heute stellt sich die Frage: Wie viele Zeitungen wird es im 21. Jahrhundert überhaupt noch geben? Und was passiert, wenn kostenlose Medien im Internet den professionellen Journalismus verdrängen? Der Soziologe und Publizist Stefan Schulz hat erlebt, wie die „Frankfurter Allgemeine Zeitung“ in die Krise geriet. Und er hat bei den Internetkonzernen recherchiert, die Newsfeeds liefern, die von Algorithmen statt von einem urteilenden Verstand unter die Leute gebracht werden. Wie wir mit den neuen Informationsangeboten souverän umgehen können, zeigt dieses Buch.

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Seitenzahl: 328

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Es ist noch gar nicht lange her, da verstand sich die Presse selbstbewusst als »Vierte Gewalt« und wurde entsprechend kritisch beobachtet. Heute muss man sich um sie Sorgen machen: Wie viele Zeitungen wird es in zehn Jahren überhaupt noch geben? Und was bedeutet es für die Öffentlichkeit, wenn kostenlose Internetangebote den professionellen Journalismus verdrängen? Stefan Schulz hat bei der Frankfurter Allgemeinen erlebt, wie eine hochangesehene Zeitung in die Krise geriet. Und er hat bei den Internetkonzernen recherchiert, die sich daranmachen, das Erbe der Zeitungen unter sich aufzuteilen: als Newsfeeds, die nicht von einem urteilenden Verstand, sondern von Algorithmen unter die Leute gebracht werden. Was bedeutet das für die Öffentlichkeit einer freien Gesellschaft? Und wie behält man trotzdem einen kühlen Kopf? Die Krise ist längst da, aber viel zu wenige nehmen sie in ihrer Tragweite ernst.

Hanser E-Book

Stefan Schulz

REDAKTIONSSCHLUSS

Die Zeit nach der Zeitung

Carl Hanser Verlag

ISBN 978-3-446-25214-1

Alle Rechte vorbehalten

© Carl Hanser Verlag München 2016

Umschlag: Peter-Andreas Hassiepen, München

Motiv: Berlin: German Newspapers, © W. Schmidt /

Travel-Images.com

Satz: Greiner & Reichel, Köln

Unser gesamtes lieferbares Programm

und viele andere Informationen finden Sie unter:

www.hanser-literaturverlage.de

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Datenkonvertierung E-Book:

Kreutzfeldt digital, Hamburg

In Erinnerung an

Frank Schirrmacher

INHALT

Vorwort

DAS ENDE DER ZEITUNG

Der wichtigste Mann im globalen Nachrichtengeschäft

Wo die Zeitung noch Leser findet, zerstört sie sich selbst

Der Computer als Chefredakteur

Die Wiederentdeckung des Publikums, als es sich aufdrängte

Die Trugschlüsse des digitalen Wandels

Was von der Zukunft für die Zeitung übrig bleibt

Was unterscheidet analoge, elektrische und digitale Massenmedien?

Die existenzielle Katastrophe des neuen Journalismus

POLITIK OHNE DEBATTE

Wie Google die Welt sieht und gestaltet

Wie wir darüber reden, was uns betrifft

Woher wir wissen, was wir diskutieren

Die letzten Zeitungsleser

Googles und Facebooks Interesse für Politik

Was der Journalismus nicht mehr leistet

Entzauberung

Die nächste schöne neue Welt

WIE WIR DENKEN, WAS WIR FÜHLEN, WEM WIR VERTRAUEN

Das Internet als beste und letzte Antwort

Googles Augen, Facebooks Ohren, Redaktionen im Silicon Valley

Wie Facebook uns behütet

Geistiges Eigentum nutzen und schützen

Was vom Vertrauen übrig blieb

Glaubwürdigkeit und Nutzerverhalten

Seriosität als studierte Performance

Der Journalist als Aktivist und Zuschauer

Humor als neuster und letzter Versuch politischer Berichterstattung

Der neue Platz für alten Journalismus

Facebook und Google ermitteln Qualität

Viel Information, wenig Peinlichkeiten

Gefangene der Strudel elektronischer Seen

Gefühlter Journalismus

Pulitzerpreise oder Klicks

Wer die neuen Regeln macht

Ein großer Schritt zurück?

NACHRICHTENDIÄT

Therapeutischer Nachrichtenkonsum

Stefan Niggemeier

Konrad Lischka

Constanze Kurz

Dirk Baecker

Kommunikation unter Unbekannten

ANHANG

Anmerkungen

Literaturverzeichnis

Dank

VORWORT

Wir sind heute alle wahnsinnig gut informiert. Nur worüber, durch wen und zu welchem Nutzen? Was für mühsame Fragen! Geben wir es zu: Wir haben uns gerne verführen lassen. Wir lieben die kleinen Annehmlichkeiten. Uns stört der Verlust an Kontrolle kaum. Andauernd greifen wir zu unseren Handys. Wir freuen uns über ihr Piepsen. Manchmal spüren wir sie in unseren Taschen vibrieren, auch wenn sie gar nicht in ihnen stecken. Die kleinen Bildschirme faszinieren uns. Sie zeigen an, was wir uns wünschen. Sie halten uns mit der Welt verbunden. Nur ausdauerndes Lesen machen sie uns etwas schwer. Sei’s drum: Wir wissen heute so viel wie niemals zuvor über die Welt, in der wir leben. Aber können wir uns auch noch darüber verständigen, was uns betrifft?

Von dieser wahnwitzigen Frage handelt dieses Buch. Sie ist wahnwitzig, weil die Antwort längst feststeht: Nein. Wir wissen kaum etwas von dem, was um uns herum passiert. Unsere Telefone erklären es uns nicht. Sie beschäftigen uns bloß. Sie verstricken uns in Kommunikation, die auch später oder gar nicht hätte stattfinden können. Sie lenken uns ab. Wissen Sie, wie oft Sie am Tag zum Handy greifen oder wie lange Sie auf seinen Bildschirm schauen? Wieder eine wahnwitzige Frage, deren Antwort »Nein!« lautet. Wir leben in einer Informationsgesellschaft, über die wir eigentlich nichts wissen.

Das zweite Mal nach der Überwindung des Hungers in der westlichen Welt erleben wir totalen Überfluss. Diesmal macht er uns weder dick noch sichtbar krank. Wenn wir nur daran glauben, bedeutet die neue Informationsflut endlose Unterhaltung, ständig verfügbare Freunde und ein wahnsinnig unkompliziertes Leben. Doch der unendliche Spaß hat eine Schattenseite. Mit dem Wissen der Welt, dem wertvollsten Schatz unserer Zeit, wachsen die Möglichkeiten und unser Unvermögen, sie kennenzulernen, sie zu nutzen und uns vor ihnen zu schützen. Wir – als Konsumenten, Wähler und Arbeitnehmer – fühlen uns allwissend, sind aber orientierungslos. Nach den neuen Datenschätzen schürfen die wertvollsten Unternehmen der Geschichte mit den intelligentesten Mitarbeitern der Welt. Beim Blick ins Silicon Valley werden alle Superlative Wirklichkeit. Die ganze Welt ist mitgerissen. Junge Menschen, die vor lauter Modernität nichts mit Religion am Hut haben wollen, verlieben sich in Technologien. Sie loben das Gefühl der Geborgenheit, das sie ihnen bieten. Und sie preisen einen Gemeinschaftssinn, um den sie von ihren Eltern beneidet werden – als habe es nie zuvor soziale Netze gegeben. Sogar neue Testamente werden geschrieben, die im Silicon Valley tatsächlich wie heilige Schriften gelesen werden: »Überfluss. Die Zukunft ist besser als Sie glauben«.1

Aber langsam dämmert es doch. Soziologen stellen heute nicht nur fest, dass die Rechnung aus geschöpftem Wissen und verdrängtem Unwissen anders als gedacht kein Nullsummenspiel ist. Sie fragen sich erstmals, was Überfluss eigentlich ist. Jahrhundertelang hat sich die Menschheit mit Knappheit beschäftigt. Es wurden Universitäten und Unternehmen gegründet, Politikmodelle erforscht und Märkte erobert, um der Knappheit Herr zu werden. Jetzt plötzlich herrscht Überfluss, der uns mit selbstverschuldeter Konzeptlosigkeit konfrontiert. Der Chicagoer Soziologe Andrew Abbott fragte als Erster: Wie viele unserer modernen Probleme lassen sich denn wirklich allein durch mehr Informationen lösen?2 Ist zu wenig Wissen tatsächlich ein grundlegendes Problem, oder ist es nicht häufiger der Mangel an sozialer Nähe und sinnvoller Beschäftigung, die uns zum Arzt, zum Einkaufen, zur Familie, an den Schreib- oder Stammtisch und in den Ortsverein bringt? Privilegierte Menschen schützen diese sozialen Räume. Alle anderen bedienen sich aus Ermangelung anderer Auswege Technologien, um sich politischen Frust von der Seele zu schreiben, um mit ihren Stars mitzufühlen oder um ihren möglichen Krankheiten nachzugoogeln. Wer keine Freunde hat, brauche eben Geld, hieß es früher gehässig. Heute reicht zur Ablenkung von der persönlichen Misere oft schon das Smartphone.

Andrew Keen, britischer Unternehmer und Medienstar, beschäftigte sich aus dem Innenleben des Silicon Valleys heraus mit »der Katastrophe des Überfluss«.3 Er zählt die Ideen und Theorien auf, die bislang enttäuscht wurden: Dank Internet kann nun jeder seine Musik veröffentlichen, für die allerdings kaum mehr bezahlt werde. Das Internet habe Demokratie und Professionalisierung versprochen, aber Monopolisierung und Amateurisierung gefördert. Das Internet habe die Gesellschaft überschwemmt. Große Datenhändler – wie Amazon, Google und Apple – gelang es gerade noch, Preisschilder an die digitalisierten Kulturgüter zu kleben, die jedoch nicht ihre sind, und deren kreative Schaffensräume sie nicht zu schützen vermochten. Unsere ideologieverseuchte Zeit, sagt Keen, sei geprägt von einem »Überfluss an Dummheit«. Die Medien, darüber werden wir sprechen, hat er zuerst erreicht.

Vor drei Jahren sprach Nicolas Clasen vom »digitalen Tsunami«, der die Medienunternehmen erfasst habe. Heute können wir von einer Informationssturmflut sprechen, die der Naturgewalt folgte und die Gesellschaft gänzlich überschwemmte. Den Zuschauern reichte es, die Hosen etwas hochzukrempeln, um den neuen Strömen fasziniert zu folgen. An den Küsten, wo der Tsunami tobt, untergräbt das Unwetter jedoch die Fundamente der alten Leuchttürme. Vielerorts ist die Aussicht schlecht, die Pegel steigen – manche Häuser mussten bereits evakuiert werden.

Dass wir in einer Informationsgesellschaft leben, wissen wir – ausgerechnet aus den Massenmedien. In jedem neuen Wetterbericht klagen sie ihr Leid. Doch das Unwetter ist für sie nur noch eine fortlaufende Erzählung, nämlich ihre Leidensgeschichte, die alle Beteiligten so in ihren Bann schlug, dass niemandem auffiel, dass die Erklärungen schon länger ausblieben. Umso größer sind die Überraschungen beim Blick aus sicherer Entfernung: »Zu Lebzeiten der Schriftstellerin Jane Austen (1775–1817) wurde in London sechsmal pro Tag Post zugestellt«, berichtete Peter Glaser in einem Essay zum Thema »Onlinejournalismus«. Er beschrieb eine Hochgeschwindigkeitsinformationsgesellschaft, von der kein Mensch aus eigener Erfahrung berichten kann.4 Bis vor fünfzig Jahren erschien die »Neue Zürcher Zeitung« dreimal am Tag, notiert er weiter. An anderer Stelle lesen wir: Die täglich neue Gestalt der »New York Times« wird bis heute auf Papier vorgezeichnet.5 Mehr als eine Million Abonnenten der Zeitung sehen diese Seiten allerdings nie, nicht mal als digitalisiertes Abbild. Oder: Mitarbeiter von Jon Stewart, dem bis zu seinem Abschied von der »Daily Show« im Sommer 2015 die Genrebezeichnung »Fake-News« angedichtet wurde, obwohl seine Glaubwürdigkeitswerte und Erfolge allen Abwärtstrends widersprachen, berichtete ganz offen von einer »Arbeitsethik des nicht objektiven Journalismus«.6 Teufelswerk! Das subjektive Gebrabbel eines lustigen Jedermanns, der sich selbst nicht ernst nahm, sollte plötzlich den Olymp der Nachrichtenwelt besetzen?

Offenbar ja. Stewarts Ziehson, John Oliver, gelang mit ähnlichem Witz noch Erstaunlicheres: In der Hektik der beklagten Netzkommunikation, die alle Aufmerksamkeitsausdauer zum Erliegen brachte, etablierte er den anspruchsvollen, politischen, monothematischen Monolog als Erfolgsformat, das alle Maßstäbe sprengte – in seiner Glaubwürdigkeit, seiner Reichweite und in seiner Beliebtheit. Hatte das Zauberstück etwas mit Journalismus zu tun? Darüber lacht Oliver bloß.7 Teufelskerl! Die Konkurrenz und medienwissenschaftliche Beobachter reiben sich dagegen verwundert die Augen.

Bleiben wir noch kurz in Amerika: Die Frage, ob sich mit neuen Formaten neue Geschäftsmodelle für Journalisten auftun, trieben dort manche Einzelkämpfer auf die Spitze. Robert Cottrell arbeitete für den »Economist« und die »Financial Times«, lebt aber heute davon, Zeitungen bloß zu lesen. Ein Abonnement seiner Leseempfehlungen kostet zwanzig Dollar im Jahr.8 Mit Zeitunglesen lässt sich also Geld verdienen, während Blattmacher über knausrige Leser klagen. Tatsächlich sitzen im Silicon Valley deutsche Entwickler in Hightech-Bussen, um zu Facebook zur Arbeit zu fahren, und können, obwohl sie wollen, die »Süddeutsche Zeitung« nicht lesen, weil ihnen das technische Verfahren zu kompliziert ist.9 Der Eindruck ist wirr, aber nicht falsch – es geht drunter und drüber.

Statt dass Zeitungsverlage in gut funktionierende technische Verfahren des digitalen Zeitungsvertriebs investieren, durch die sie wieder in eine Beziehung zu ihren Lesern treten, setzen sie auf die Laufkundschaft der sozialen Netzwerke und Werbeerlöse im Massenmarkt. Dabei lässt sich sogar Google inzwischen von seinen Nutzern dafür bezahlen, endlich die nervige Werbung auszublenden.10 Das Unternehmen, das sechzig Milliarden Dollar im Jahr damit umsetzt, Werbung auf Bildschirmen zu vertreiben, weiß nämlich am besten, dass dieses System schon nicht mehr richtig funktioniert. Ein Viertel der Deutschen benutzt Werbeblocker.11 Google selbst gibt zu bedenken, dass mehr als die Hälfte der aufgerufenen Werbung niemals von einem Menschen gesehen wird.12 Informiert man sich über das Ausmaß des Problems, erfährt man, dass manche Betrüger bis zu 120.000 Computer nur dafür betreiben, Werbung aufzurufen und anzuklicken.13 Plötzlich wundert sich die deutsche Branche, dass ihr Guru, Thomas Koch, die Online-Werbung 2015 ohne große Theatralik für tot erklärte und zu Grabe trug.14 Der redaktionelle Journalismus steht ohne Hosen da, und wir haben bis hierhin noch nicht einmal auf seine inhaltliche Leistung geblickt.

Das werden wir auch weiterhin nur begrenzt tun. Das Ziel dieses Buches ist, herauszufinden, ob Medienverzicht die letzte Rettung vor dem Irrsinn der Welt ist oder ob sich nicht mit ein paar Tricks eine Nachrichtendiät gestalten lässt, mit der wir uns der Welt- und Nachrichtenlage wieder konstruktiv zuwenden und einen klaren Kopf bewahren können. Der Weg dorthin führt – vorbei an »Lügenpresse«-Vorwürfen, ökonomischen Panikberichten und Experimenteerkundungen – durch den Maschinenraum der Massenmedien. Wir werden zurückblicken auf die Jahre, in denen sich der Journalismus an der Oberfläche mit Tsipras’ Griechenland, Putins Russland, Blatters Fußball, Hoeneß’ Steuerzahlungen, Lubitz’ Geisteszustand, Assads Regime und Trumps Politikverständnis herumschlug. Hinter der Bühne der Protagonisten und ihrer Probleme ging es nämlich spannender zu. Um im Modus der Auswahl und im Genre des Sensationellen zu bleiben: Wie wurde es möglich, dass Jakob Augstein im Sommer 2015, ausgerechnet unter dem Dach des »Spiegels«, den Wahnsinnssatz schrieb: »Vielleicht ist es ganz gut, dass immer weniger Menschen Zeitung lesen«?15 Zur selben Zeit, innerhalb von nur zehn Tagen, wurde er flankiert von Georg Diez, der titelte: »Flüchtlingskrise: Wir brauchen einen neuen Journalismus«16, und Sibylle Berg, die schrieb: »Panikmache in Medien: Angst, Angst, Angst – und nicht fragen, wieso«, beide ebenso beim »Spiegel«.17 Wie kam Heiner Flassbeck, ehemaliger Staatssekretär im Finanzministerium, dann Chefökonom bei den Vereinten Nationen in Genf und heute gefragter Welterklärer, dazu, nach unzähligen Fernsehinterviews zur Griechenlandkrise, die Leser seiner Website darauf hinzuweisen, »dass man sich im Internet umfassender und besser informieren kann als bei den Leitmedien«?18 Wir werden es zu Beginn klären, wenn wir das Ende der Zeitung besprechen.

Die anschließende Leitfrage ergibt sich ebenso aus sensationellen Beiträgen in den zurückliegenden Medienjahren. Für den Chefredakteur der digitalen »Frankfurter Allgemeinen Zeitung«, Mathias Müller von Blumencron, verkam das Internet 2015 zur »Empörungsmaschine«, »Gerüchteschleuder« und zum »Propagandavehikel für jede noch so obskure Theorie«.19 Und von amerikanischen Wissenschaftlern haben wir erfahren, dass die Leserkommentare, mit denen sich Journalisten heute auseinandersetzen müssen, manche von Blumencrons Kollegen ähnlich getroffen wie Trauma-Patienten zurücklassen.20 Was wie eine Floskel klingt, ist bitterer Ernst. Der bisherige Umgang mit den neuen Informationsangeboten der Gesellschaft macht manche Menschen von Berufs wegen krank. Und ebenso zieht er Organisationen und gesellschaftliche Systeme in Mitleidenschaft.

Können wir überhaupt noch zielorientiert debattieren, und wenn ja, worüber? Eignet sich die Politik, die schon vor Jahrzehnten an Küchentischen verboten wurde, weil sie zu nichts als Streit führt, überhaupt noch als Thema für öffentliche Auseinandersetzungen? Es gibt nicht wenige hiesige und ausländische Journalisten, die in Berlin seit Jahren keine konstruktive politische Auseinandersetzung mehr beobachtet haben, von ihnen werden wir hören, wenn sie ihre eigene Branche besprechen. Dass sie von Angela Merkel zu ihrer »Propagandamaschine« degradiert wurde, lautet beispielsweise ein Vorwurf, der sich prominent nachlesen ließ.21 Von Debatte keine Spur. Stattdessen haben Politiker ganz neue Strategien. Sie schweigen oder lügen, und geben zumindest das ehrlich zu.22 Wir werden also die Fragen beantworten, wie politische Willensbildung heute funktioniert, was eine politische Wahl noch bedeutet und was das mediale Theater, das Zeitungen und Fernsehnachrichten stets als Erstes behandeln, mit Demokratien oder gar mit uns persönlich noch zu tun hat.

Danach werden wir die Massenmedien hinter uns lassen und nachschauen, wie insbesondere Google und Facebook im Aufmerksamkeitskampf aufgerüstet haben. Ging es bislang um gesellschaftlich relevante Informationen und regelmäßige Nachrichten, tobt heute ein Kampf um geistiges Eigentum, das die größten Unternehmen der Welt geschaffen haben und das sie in einem erbitterten Wettstreit miteinander erobern. Sie meinen das in unseren Köpfen. Glaubwürdigkeit und Relevanz, Intelligenz und Erkenntnis, das war einmal. Gefallen und Reichweite, Instinkte und Emotionen, das sind die neuen Schätze. YouTube-Stars, die nicht einen wichtigen Satz sagen, erobern ihr Millionenpublikum. Neuer Journalismus, der heute klüger ist als jemals zuvor, ist das nächste stolze Nischenprodukt. Nebendran findet in den Computern das Phantastischste überhaupt statt. Der Fachbegriff könnte nicht passender sein: unsupervised learning. Wir stellen uns also die Frage: Wie funktioniert die neue Medienwelt? Ist sie mehr als nur ein technisch aufgerüstetes bäuerliches Mittelalter, das uns aus Zeitnot in der Gegenwart gefangennimmt und erfahrungs- und erwartungslos, vielleicht sogar hoffnungslos zurücklässt? Wir werden den Wirrungen der Welt nicht ausweichen.

Aber wir werden uns letztlich auch um Klarheit bemühen und mit Konrad Lischka, einem ehemaligen »Spiegel-Online«-Journalisten und heutigen Referenten in der Landesregierung von Nordrhein-Westfalen, über professionelle Medienbeobachtung sprechen. Den Journalisten Stefan Niggemeier werden wir nach den neuen Aufgaben professioneller Medienkritik fragen. Mit der Aktivistin und Journalistin Constanze Kurz werden wir über den Unterschied von Aktivismus und Journalismus sprechen und sie fragen, ob wir die technische Welt überhaupt noch begreifen können. Und der Soziologe Dirk Baecker wird uns von Sinn- und Kritiküberflüssen berichten, wenn wir mit ihm der Frage nachgehen, was die neuen Medien aus uns und der Welt, in der wir leben, machen.

DAS ENDE DER ZEITUNG

DER WICHTIGSTE MANN IM GLOBALEN NACHRICHTENGESCHÄFT

Würde man sie fragen, wen würden sie nennen? Mehrmals im Jahr treffen sich renommierte Journalisten und ihre Verleger, um Medienpreise an ihre bedeutendsten Vertreter zu verleihen und ihre Lage zu diskutieren. Würde man bei diesen, ein wenig staatstragenden Veranstaltungen in holzvertäfelten Räumen über Greg Marra sprechen wollen, um ihn für einen wichtigen Preis vorzuschlagen, fände man niemanden, der sich für diesen Techniker, Jahrgang 1988, interessiert oder ihn überhaupt kennt. Marra ist Software-Entwickler. Ausgebildet am renommierten Franklin W. Olin College für Ingenieure, nach beruflichen Stationen bei Google und Microsoft, arbeitet er heute für Facebook. Fast jeder zweite Mensch mit Internetanschluss hat dort einen Account. Mit gerade einmal sechzehn Mitarbeitern entwickelt und betreut Marra den Newsfeed des Unternehmens. Er entscheidet, nach welchen Regeln Facebook mit seinem Datenschatz umgeht, was Nutzer zu sehen bekommen und was nicht. Einmal wöchentlich passt er die Algorithmen an, deren Such- und Sortierergebnisse seit Oktober 2015 mehr als einer Milliarde Menschen täglich angezeigt werden. Nur die »New York Times« hat bislang mit ihm über seine Arbeit gesprochen. Im Herbst 2014 stellte die Zeitung den Roboterbauer im Nebenberuf, der in seiner Freizeit über Dinge wie Armeen von Fake-Twitter-Accounts nachdenkt, die er dann auch tatsächlich aufstellt, erstmals ihren Lesern vor – als den Mann mit dem »wahrscheinlich größten Einfluss im neuen globalen Nachrichtengeschäft«.

Lesen Sie weiter in der vollständigen Ausgabe!

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