Reichsbürger, Selbstverwalter und Souveränisten - Jan Rathje - E-Book

Reichsbürger, Selbstverwalter und Souveränisten E-Book

Jan Rathje

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Beschreibung

›Reichsbürger‹ erscheinen der Öffentlichkeit zunehmend als gefährliche Spinner, die den Staat ablehnen und ihren Widerstand auch mit der Waffe geltend machen. Der Begriff selbst ist nach seiner rasanten medialen Verbreitung jedoch zum Problem geworden. Nur ein Teil des Milieus ist von der Fortexistenz irgendeines Deutschen Reiches überzeugt. Selbstverwaltende glauben aus dem Staat austreten zu können, und gründen eigene Staaten. Souveränistinnen und Souveränisten fordern eine Wiederherstellung staatlicher Souveränität und verbreiten dabei das Bild der Fremdherrschaft über die Deutschen. Das Buch beschreibt die ideologischen und personellen Ursprünge, bietet eine kategorische Darstellung seiner Gruppierungen und Scheinargumente. Dabei wird auf einen besonderen Umstand eingegangen, der durch den ›Reichsbürger‹-Begriff überdeckt wird. Kern der Ideologie ist eine antisemitische Verschwörungsideologie, die gesellschaftlich anschlussfähig ist: »die anti-deutsche Weltverschwörung«. Damit stellt das Milieu eine spezifisch deutsche Form antisemitischer Verschwörungsideologien dar, die auch global auf dem Vormarsch sind.

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Jan Rathje

Reichsbürger, Selbstverwalter und Souveränisten

Vom Wahn des bedrohten Deutschen

rechter rand

Bibliografische Information der Deutschen Bibliothek

Die Deutsche Bibliothek verzeichnet diese Publikation

in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische

Daten sind im Internet über http://dnb.ddb.de abrufbar

Jan Rathje: Reichsbürger, Selbstverwalter und Souveränisten

unrast transparent – rechter rand, Band 17

1. Auflage, Oktober 2017

eBook UNRAST Verlag, Dezember 2023

ISBN 978-3-95405-172-4

© UNRAST Verlag, Münster

www.unrast-verlag.de | [email protected]

Mitglied in der assoziation Linker Verlage (aLiVe)

Alle Rechte, insbesondere das Recht der Vervielfältigung und Verbreitung

sowie der Übersetzung, vorbehalten. Kein Teil des Werkes darf in irgendeiner

Form ohne schriftliche Genehmigung des Verlags reproduziert oder unter

Verwendung elektronischer Systeme vervielfältigt oder verbreitet werden.

Umschlag: UNRAST Verlag, Münster

Satz: UNRAST Verlag, Münster

Inhalt

Einleitung

›Reichsbürger‹, ›Selbstverwalter‹ und ›Souveränisten‹

Die ›Kommissarische Reichsregierung‹ (KRR) und Abspaltungen

›Selbstverwalter‹

›Souveränisten‹

Praxis

Zahlungsverweigerung und Schriftverkehr

Radikalisierung

Diskussion der Begriffe Reichsbürgerbewegung und Reichsideologie

Verschwörungsideologie

›Weltverschwörung gegen die Deutschen‹

Warum glauben Menschen an die ›Weltverschwörung gegen die Deutschen‹?

Typologie und Geschichte der Gruppierungen des Milieus

Historische Ursprünge und ideologische Grundlagen

Der Mythos der ›jüdischen Weltverschwörung‹

Extreme Rechte und ›Reichsbürger‹

Fazit

Weiterführende Literatur und Webseiten

Weiterführende Literatur

Webseiten

Anmerkungen

Einleitung

»Die Reichsminister drohen mit dem Tod«, lautet der Titel eines taz-Artikels aus dem Jahr 2000. Darin wird von einem »Reichskanzler« einer »Kommissarischen Reichsregierung« aus Berlin berichtet, der für 100 Gefolgsleute bei sich zu Hause Reichsregierung spielt. Dabei verschickt er auch schon einmal Haftbefehle und Todesdrohungen. Ein Jahr später ist auch das Satiremagazin Titanic beim Reichkanzler zu Besuch – Realsatire pur. Diese Einschätzung herrschte lange Zeit vor.

Zunehmend werden ›Reichsbürger‹ jedoch als ein gesellschaftliches Problem in der Bundesrepublik Deutschland wahrgenommen. Für viele bilden sie ein großes Mysterium. Das Milieu soll sich aus den unterschiedlichsten Gruppen zusammensetzen, die den Staat leugnen und ein Deutsches Reich wiedererrichten wollen. Einige spielen Reichsregierung, andere gründen eigene Staaten auf ihrem Grundstück. Nachdem jedoch ein Mann aus dem Milieu im Oktober 2016 tödliche Schüsse auf einen Polizisten abfeuerte, ändert sich der Blickwinkel. Das Skurrile weicht der Erkenntnis des Gewaltpotenzials. So häufen sich dann auch die Meldungen über Waffen-, Munitions- und Sprengstofffunde. Die Staatsanwaltschaft ermittelt gegen eine Gruppierung wegen des Verdachts auf Bildung einer rechtsterroristischen Vereinigung. Auch die Anzahl der Anhänger*innen dieser Ideologie wird sprunghaft nach oben korrigiert. Waren es im Jahr 2012 offiziell noch wenige hundert, so bezifferten Sicherheitsbehörden die Zahl der dem Milieu zugehörigen Personen im Dezember 2016 bereits auf ca. 5.000, im Januar 2017 auf 10.000 und im Mai 2017 auf 12.600. Dies bezeugt jedoch nicht eine plötzliche Ausweitung des Milieus und seiner Ideologie, sondern vielmehr das Versäumnis, dieses antisemitische und extrem rechte Phänomen der ›Reichsbürger‹ und ›Selbstverwalter‹ ernst zu nehmen. Es dürfte daher nicht verwundern, wenn die Zahlen auch weiterhin ansteigen, da immer mehr Bedienstete lernen, Aktionen von ›Reichsbürgern‹ als solche zu begreifen und nicht als ›Spinnereinen‹ von ›Querulanten‹ abzutun.

Das vorliegende Buch soll einen strukturierten Überblick über das Milieu der ›Reichsbürger‹, ›Selbstverwalter‹ und ›Souveränisten‹, wie auch deren ideologische und historische Ursprünge geben. Dazu werden zunächst diejenigen Gruppierungen vorgestellt, die in der öffentlichen Wahrnehmung derzeit die Bezeichnung ›Reichsbürger‹ repräsentieren.

Der darauffolgende Abschnitt beleuchtet die Praxis, die sich aus den ideologischen Grundlagen des Milieus ableitet. Die aktuellen Entwicklungen zeigen, dass sich über die Jahre auch außerhalb des organisierten extrem rechten Teils des Milieus die Bereitschaft entwickelt hat, auf terroristische Gewalt zurückzugreifen.

Anschließend erfolgt eine kritische Analyse der gängigen Begriffe für dieses Milieu. Ihre Differenzierung täuscht darüber hinweg, dass den Gruppierungen und Einzelpersonen neben geteilten Handlungsformen eine Verschwörungsideologie gemein ist, in der sich die Anhänger*innen als bedrohte Deutsche wahrnehmen.

Der darauffolgende Abschnitt gibt einen kurzen Überblick, warum Menschen allgemein für Verschwörungsideologien empfänglich sind. Anschließend wird dargestellt, welche allgemeinen Ursachen verschwörungsideologisches Denken und Handeln hervorbringen können.

Auf dieser Grundlage wird nachfolgend eine Typologie der einzelnen Gruppierungen des Milieus erstellt. Die von ihnen geteilte Ideologie von der ›Weltverschwörung gegen die Deutschen‹, also der Wahn des bedrohten Deutschen, hat historische Wurzeln in dem antisemitischen Mythos der ›jüdischen Weltverschwörung‹. Dessen Entstehungsgeschichte und die Verbindung mit den mythischen Reichsvorstellungen und der Konstruktion einer deutschen Identität sind Thema des folgenden Abschnitts. Abschließend sollen die bisherigen Erkenntnisse für einen Ausblick genutzt werden, der sich insbesondere mit der breiten Anschlussfähigkeit des antisemitischen und rassistischen Verschwörungswahns des bedrohten Deutschen über das Milieu hinaus auseinandersetzt.

Das Buch ist als allgemeiner Einstieg in das Thema ›Reichsbürger‹ gedacht. Es soll zu allererst die drei wichtigsten Submilieus und ihre Handlungsformen vorstellen. Eine vollständige Darstellung aller Gruppierungen und Einzelpersonen des Milieus ist – schon aufgrund seiner Heterogenität und heimlichen Liebe zu Spaltungen – weder vorgesehen noch möglich. Der Fokus liegt folglich auf einigen herausragenden Beispielen, die für das Milieu maßgebend gewirkt haben und noch immer wirken. Zur Vertiefung sei auf die Literaturverweise und Webseiten auf den letzten Seiten verwiesen. Letztere sind besser in der Lage, die Dynamik des Milieus abzubilden, als ein Buch es vermag.

›Reichsbürger‹, ›Selbstverwalter‹ und ›Souveränisten‹

Unter dem Begriff ›Reichsbürger‹ werden derzeit verschiedene Submilieus versammelt. Innerhalb der klassisch organisierten extremen Rechten in der Bundesrepublik Deutschland gibt es seit ihrer Gründung Menschen, die eine Handlungsfähigkeit des Deutschen Reiches gegen die BRD wiederherstellen wollen und sich als ›Reichsbürger‹ bezeichnen – das prominenteste Beispiel dürfte der verurteilte Antisemit und Holocaustleugner Horst Mahler (siehe Deutsches Kolleg und ›Reichsbürgerbewegung‹) darstellen. Begründer der spezifischen Handlungsweisen, die verschiedene Submilieus der ›Reichsbürger‹ und ›Selbstverwalter‹ aufgegriffen, modifiziert und erweitert haben, ist nach bisherigem Erkenntnisstand jedoch der ›Reichskanzler‹ der ›Kommissarischen Reichsregierung‹ Wolfgang Gerhard Günter Ebel.

Die ›Kommissarische Reichsregierung‹ (KRR) und Abspaltungen

Die Forderung nach der Wiederherstellung eines Deutschen Reiches existiert seit seinen Untergängen. Der Politikwissenschaftler Richard Stöss stellt in einer historisch-programmatischen Darstellung der bundesdeutschen extremen Rechten eine Kampagne zur Wiederherstellung des Deutschen Reiches innerhalb der organisierten bundesdeutschen extremen Rechten ab dem Jahr 1945 fest. Nach Ansicht Stöss’ verliert diese Kampagne jedoch im Laufe der 1980er Jahre ihren Stellenwert gegenüber einer ›Überfremdungskampagne‹. Während innerhalb der organisierten extremen Rechten die Wiederherstellung des Deutschen Reiches zunehmend eine untergeordnete Rolle einnimmt (für die NPD vgl. Virchow 2008, 61), nehmen andere Gruppierungen, die zuvor nicht durch eine unmittelbare Verbindung zur klassischen extremen Rechten aufgefallen waren, diese Idee auf und überführen sie in eine besondere Praxis: jene Milieus, die in der breiten Öffentlichkeit mit dem Begriff ›Reichsbürger‹ bezeichnet werden. Anstatt auf die zukünftige Wiederherstellung hinzuarbeiten, gründen sie Reichsregierungen und beginnen mit dem vermeintlichen Regierungshandeln. Zwar wurden innerhalb der klassischen extremen Rechten bereits erste Versuche der Wiederherstellung der Handlungsfähigkeit des Deutschen Reiches unternommen, unter anderem durch Organisationen aus dem Umfeld von Vertriebenenverbänden und Manfred Roeder (siehe ›Reichsverweser‹ Manfred Roeder), den größten Einfluss auf die Tradition der ›Reichsregierenden‹ übte jedoch die sogenannte Kommissarische Reichsregierung (KRR) unter ihrem ›Reichskanzler‹ Wolfgang Gerhard Günter Ebel aus. Unter diesem Titel begann Ebel in den 1980er-Jahren mit eben jener Praxis, welche die reichsideologischen Aktivitäten dieses Milieus kennzeichnet. Auslöser für Ebels Handeln war der sogenannte zweite Reichsbahnerstreik der Berliner S-Bahn, für die Ebel zu diesem Zeitpunkt arbeitete. Die Berliner S-Bahn hatte eine besondere Stellung innerhalb der Beziehungen zwischen Bundesrepublik Deutschland und Deutscher Demokratischer Republik inne. Gemäß alliierter Abkommen, die unmittelbar nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs, aber vor der Gründung der deutschen Staaten abgeschlossen worden waren, war die Deutsche Reichsbahn der DDR auch für den S-Bahn-Betrieb in Westberlin zuständig. Während in der Bundesrepublik die Deutsche Reichsbahn in Deutsche Bundesbahn umbenannt wurde, erfolgte dieser Schritt in der DDR nicht. So kam es, dass der Westberliner Wolfgang Ebel bei einem DDR-Staatsunternehmen mit dem Namen Deutsche Reichsbahn beschäftigt war.

Ab dem 17. September 1980 streikten die Westberliner Angestellten gegen eine faktische Lohnsenkung. Am 25. September 1980 endete der Streik schließlich, nachdem sowjetische Soldaten bereits Stellwerke geräumt hatten. Ebel wurde zusammen mit anderen Streikenden entlassen. Dass er beim Reichsbahnerstreik zugegen war, belegen Videoaufnahmen des Senders Freies Berlin, dem Ebel ein kurzes Statement zum Streik gegeben hatte. Nach dem Streik strengte er verschiedene Gerichtsverfahren zu seiner finanziellen und gesundheitlichen Absicherung in Westberlin an. In Dennis Siebolds 2003 veröffentlichtem Dokumentarfilm Der amtierende Reichskanzler behauptet Ebel, seit dem 23. September 1980 kein Geld mehr erhalten zu haben. Der Streik, die darauffolgende Entlassung und die Gerichtsverfahren waren ein kritischer Einschnitt in seinem Leben. Diese Erfahrungen der juristischen Auseinandersetzung mit der Bundesrepublik Deutschland scheinen sein späteres Amtshandeln geprägt und die Hauptkonfliktlinie für ihn und seine ›Regierung‹ vorgegeben zu haben. So hob er in einem Lebenslauf aus dem Jahr 2007 hervor, seine erste Amtshandlung 1985 habe darin bestanden, die »Amtsgeschäfte des Präsidenten des Kommissarischen Reichsgerichts« zu übernehmen.

Im Zuge des Reichsbahnerstreiks soll es nach Angaben Ebels zu einem herausragenden Ereignis in Ebels Leben gekommen sein. So offenbarten ihm Abgesandte der Alliierten die wahren Verhältnisse auf deutschem Boden: Das Deutsche Reich bestehe weiterhin fort, es befinde sich aber unter Besatzung und verfüge weder über eine politische Führung noch über einen Friedensvertrag mit den Alliierten.

In der Zeit zwischen September 1980 und 1985 muss sich Ebel die Grundlagen seiner Reichsideologie zusammengestellt haben – sofern die von ihm dokumentierten zeitlichen Angaben stimmen. In einer Rede, die er am 15. November 1987 im Berliner Reichstag gehalten haben möchte, beschreibt er den Beginn seiner Karriere:

»Am 7. Mai 1985, einen lag [sic!] vor Ablauf der 40 Jahre, habe ich, aus berechtigter Sorge um die Einheit und den Erhalt der Nation und aus keinen anderen Gründen, bei den Alliierten schriftlich die Rechtsnachfolge zur Handlungsfähigkeit des Deutschen Reiches beantragt und erhalten. Ich möchte hier ausdrücklich betonen, daß die Vier-Mächte nicht meine Einsetzung, sondern meine Rechtsnachfolge, basierend auf dem Reichsbeamtenrecht, genehmigt haben. Diese Rechtsnachfolge kann auch keine Einsetzung sein, denn ich bin kein Vasall irgendeiner fremden Macht, sondern Deutscher.«[1]

Seit dem 8. Mai 1985, dem 40. Jahrestag der deutschen Niederlage im Zweiten Weltkrieg, war durch die Amtsübernahme des »dienstverpflichteten« Ebel das Deutsche Reich in dieser Wahrnehmung wieder handlungsfähig geworden. Im Oktober desselben Jahres will er vom stellvertretenden amerikanischen Stadtkommandanten und späteren Botschafter der USA, John C. Kornblum, den Auftrag erhalten haben, Reichsverkehrsminister zu werden. In dieser Funktion sollte er den »Aufbau der Vereinigten Staaten von Europa vom Atlantik, einschließlich des Mittelmeerraums, bis zum Ural« leiten.