Reisen im Mittelalter - Anthony Bale - E-Book
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Reisen im Mittelalter E-Book

Anthony Bale

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Beschreibung

»Lebendig, spannend und erstaunlich. Hier erleben wir, was es heißt, in fremden Ländern unterwegs zu sein, damals wie heute«, schreibt John Arnold, Professor für Geschichte des Mittelalters in Cambridge, über »Reisen im Mittelalter«. Farbig und anschaulich erzählt der Historiker Anthony Bale, wie es war, im Mittelalter durch die Welt zu reisen. Ob Pilgerinnen oder Kaufleute, Ritter, Mönche oder Spione – schon damals packte die Menschen die Leidenschaft für das Reisen. Getrieben von Fernweh und Abenteuerlust die einen, auf der Suche nach religiöser Erleuchtung oder Ruhm auf dem Kreuzzug die anderen. Für alle war die Reise lang und gefährlich, gute Vorbereitung und ein Reiseführer mit Tipps für Rast und Übernachtung und Hinweisen auf Gefahren waren unerlässlich. Vom mittelalterlichen Ulm, damals ein Eldorado der Touristen, über Aachen und Köln führen uns die Reisen verschiedener Menschen bis nach Rom mit seinen wunderbaren Sehenswürdigkeiten. Von dort geht es in das schon damals von Touristen bevölkerte Venedig und nach Rhodos, Hotspot der Kosmopoliten und Adligen. Wir erkunden Konstantinopel und die heilige Stadt Jerusalem und gelangen bis in die sagenhaften Länder der Amazonen, Riesen und Fabelwesen, nach Indien, China und Tibet, nach Persien und Äthiopien, Java und Sumatra. Ein farbiges Panorama der mittelalterlichen Welt, wie sie von Europa aus erlebt und gesehen wurde – ein Buch wie ein Roman von Umberto Eco und die ideale Lektüre für die Sommerferien. 

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Seitenzahl: 660

Veröffentlichungsjahr: 2024

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Anthony Bale

Reisen im Mittelalter

Unterwegs mit Pilgern, Rittern, Abenteurern

 

Aus dem Englischen von Karin Hielscher

 

Über dieses Buch

 

 

Die Leidenschaft für das Reisen packte die Menschen bereits im Mittelalter. Anthony Bale erzählt von Pilgerinnen und Kaufleuten, Rittern und Spionen, die in fernen Ländern unterwegs waren. Die einen waren getrieben von Fernweh und Abenteuerlust, die anderen suchten religiöse Erleuchtung oder Ruhm auf dem Kreuzzug. Für sie alle war die Reise lang und gefährlich, gute Vorbereitung und ein Reiseführer mit Tipps für Rast und Übernachtung und Hinweisen auf Gefahren waren unerlässlich.Die Reise führt uns in das von Touristen bevölkerte Venedig und nach Rhodos, Hotspot der Kosmopoliten und Adligen. Wir erkunden Konstantinopel und die heilige Stadt Jerusalem und gelangen bis in die sagenhaften Länder der Amazonen, Riesen und Fabelwesen, nach China und Tibet, Äthiopien, Java und Sumatra.Ein farbiges Panorama der mittelalterlichen Welt, wie sie von Europa aus erlebt und gesehen wurde - ein Buch wie ein Roman von Umberto Eco.

 

 

Weitere Informationen finden Sie auf www.fischerverlage.de

Biografie

 

 

Anthony Bale lehrt Geschichte des Mittelalters am Birkbeck College der University of London. 2011 erhielt er den Philipp Leverhulme Prize für herausragende junge Wissenschaftler, 2019 war er Fellow an der Harvard University.Für sein Buch ist er selbst den Routen der mitteltalterlichen Globetrotter gefolgt, hat in Klöstern uralte Reiseberichte entziffert, unterwegs Regen und Hitze getrotzt, Magenverstimmungen und Insektenstiche überstanden – und das Glück überwältigender Städte und Landschaften erlebt. Und so erzählt er auch aus eigener Erfahrung von den Freuden und Leiden des Reisens, wie sie die Menschen schon vor mehr als 500 Jahren kannten.

Impressum

 

 

Erschienen bei FISCHER E-Books

 

Copyright © Anthony Bale 2023

Das Original erschien 2023 unter dem Titel »A Travel Guide to the Middle Ages« bei Viking, einem Imprint von Penguin General. Penguin General ist Teil von Penguin Random House.

Für die deutsche Ausgabe:

© 2024 S. Fischer Verlag GmbH, Hedderichstr. 114, 60596 Frankfurt am Main

Covergestaltung: Andreas Heilmann und Gundula Hissmann, Hamburg, nach einer Idee von Penguin Random House

Coverabbildung: Getty Images, Alamy/Mauritius Images, Shutterstock

ISBN 978-3-10-491583-8

 

Dieses E-Book ist urheberrechtlich geschützt.

 

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Inhalt

[Widmung]

Vorwort

Kapitel 1 Die Gestalt der Welt im Jahre 1491 oder: Beginnen wir mit Martin Behaim

Kapitel 2 Der Beginn einer Reise mit Dame Beatrice, Earl Henry und Bruder Thomas

Kapitel 3 Von Aachen nach Bozen

Kapitel 4 Ein Zwischenstopp in Venedig – und dann weiter nach Rom

Kapitel 5 Über das große Meer: Von Venedig nach ZYPERN

Kapitel 6 Ein Rundgang durch Konstantinopel

Kapitel 7 Durch das Heilige Land nach Babylon

Kapitel 8 Ein Rundgang durch Jerusalem

Kapitel 9 Ein Abstecher nach Äthiopien

Kapitel 10 Auf der Seidenstraße

Kapitel 11 Durch Persien und Indien

Kapitel 12 Alle Wege führen nach Khanbaliq

Kapitel 13 Reiseziel: der Westen

Kapitel 14 Auf der Suche nach den Antipoden und dem Ende der Welt

Kapitel 15 Schlusswort: Das Ende einer Reise

Quellen

Verweise und weiterführende Literatur

Hinweis zu verwendeten bekannten Zitaten

Hinweis zu den Illustrationen

Danksagung

Index Locorum – Verzeichnis der Ortsnamen

Index Generalis – Allgemeines Verzeichnis

Für John, meinen Vater.

Vorwort

Beim Studium der Geschichte und Kultur des mittelalterlichen Reisens habe ich viele Jahre in der Gesellschaft von Reisenden aus der Vergangenheit verbracht, Menschen, die sich durch eine vermeintlich andere Welt bewegten. Anhand der Reiseführer und Berichte von Menschen aus dem Mittelalter habe ich ein Verständnis für die praktischen Herausforderungen, die Freuden und die Gefahren des Reisens in jener Zeit entwickelt. Ich habe mich in mittelalterliche Handschriften vertieft und Berichte von Reisenden gelesen, während ich in stillen Bibliotheken von Klöstern und Palästen zwischen Oxford und Istanbul saß. Und ich habe meine Koffer gepackt und bin den Routen der mittelalterlichen Reisenden gefolgt – bis in die Straßen und Kirchen von Rom und Jerusalem. In Aachen und Ulm hat mich der Regen durchnässt, und im nächtlichen Peking habe ich mich verlaufen. Die Hitze hat mir alles abverlangt, und ich war in Schweiß gebadet. Ich habe mich mit Lebensmittelvergiftungen herumgeschlagen, war wegen eines Zeckenbisses in Panik und habe an Orten, die ich kaum kannte, mit dem Coronavirus zu kämpfen gehabt. Es gab einen Moment, da habe ich mich ganz allein und verlassen gefühlt: Als ich feststellte, dass ich das letzte Boot, das von einem Atoll auf den Malediven abfuhr, verpasst hatte. Gebühren waren zu zahlen, Häfen, in denen ich ankam, wurden bestreikt, unzählige Male musste ich meine Pläne in letzter Minute ändern. Und ich hatte für meine Reisen die verschiedensten Genehmigungen, Dokumente und Zertifikate zu erwerben.

Für dieses Buch nutze ich die Autoren mittelalterlicher Reiseführer und Reiseberichte als Gewährspersonen. Beim Lesen werden Ihnen daher eine Vielzahl von mittelalterlichen Reisenden begegnen. Wie die Menschen, auf die wir auf Reisen treffen, werden sie möglicherweise einen Eindruck hinterlassen, begleiten uns jedoch nur für kurze Zeit: Sie sprechen zu uns und treten dann wieder in den Hintergrund. Ich möchte Ihnen dabei die Welt des Mittelalters zeigen, wie sie die Menschen seinerzeit gesehen haben, und Orte vorstellen, die damals häufig beschrieben, wenn auch seltener tatsächlich besucht wurden. Die Reisenden, denen wir im Laufe der Lektüre begegnen, mögen nicht immer nach unserem Geschmack sein, aber das ist ja nicht anders, wenn wir tatsächlich unterwegs sind und auf andere Menschen treffen.

Die Welt zu bereisen war ein fundamentaler Bestandteil der christlichen Vorstellungswelt des europäischen Mittelalters. Die Weltkarten, die in allen wichtigen Klöstern angefertigten »Mappae mundi«, spiegeln dies wider, aber auch die Pilgerfahrten zu den Heiligenschreinen oder die Vorstellung vom Streben der Seele nach dem irdischen und dem himmlischen Jerusalem – und nicht zuletzt die Herstellung der ersten Globen. Reisen heißt, sich neuen Erkenntnissen auszusetzen, und doch verleiht das Unterwegssein der Perspektive des Reisenden eine gewisse Überlegenheit. Wenn wir zu Hause sind, sehnen wir uns oft danach, zu reisen und ferne Länder zu besuchen, denn zu Hause steht uns besonders deutlich vor Augen, welche Freude das Reisen macht und wie sehr wir davon profitieren. Die Vorstellung, unterwegs zu sein, ist höchst verführerisch, aber die Realität kann nur selten mit den Geschichten mithalten, die wir über die besuchten Orte erzählen.

Im Mittelalter war das Schreiben über das Reisen gattungsübergreifend konzipiert: Es umfasste Teile der Genres Autobiographie, Naturbeschreibung, Enzyklopädie, Geschichtsschreibung und Ethnographie, es konnte Tagebuch oder Beichte sein und vieles mehr. Mittelalterliche Reiseliteratur beinhaltet oft auch eine gute Portion Selbstdarstellung und kommt nicht ohne irrige Vorstellungen aus: phantastische Kreaturen (Ameisen in der Größe von Hunden, Frauen mit Augen aus Edelsteinen, Greifen – halb Adler, halb Löwe –, die stark genug sind, um ein Pferd davonzutragen) und Orte, von denen die Menschen gehört, die sie aber nie gesehen oder besucht hatten (der Jungbrunnen, die Insel der Amazonen oder gar das irdische Paradies). Reisen bedeutete im Mittelalter, sich zwischen Wahrheit und Fiktion zu bewegen. Abgesehen von diesen Elementen sind Reiseberichte zwangsläufig sehr subjektiv, zum einen, weil Reisen oft mit Begegnungen mit dem Unbekannten verbunden sind, und zum anderen, weil die Autoren ihren eigenen kulturellen und individuellen Hintergrund und damit all die Irrtümer und negativen Vorurteile über andere mitbringen.

Reisen ist – als kulturelles Phänomen – mit viel mehr verbunden als nur mit der Bewegung durch den Raum. Zunächst kann sich hinter einem Menschen, der unterwegs ist, Unterschiedliches verbergen: ein Ausflügler oder ein Vagabund, ein Durchreisender oder ein Pilger. Erzwungene Migration, Vertreibung aus einer Stadt oder einem Land, für einen Arbeitgeber auf Fahrt gehen, in eine weit entfernte Schlacht einberufen werden: All das beinhaltet räumliche Veränderung oder Mobilität, aber es ist nicht dasselbe wie Reisen. Reisen kommt selten ohne ein bestimmtes, gewähltes Ziel und die entsprechende Reiseroute aus, es ist eine freiwillige Mobilität und entspringt den eigenen Plänen, eine gewollte Begegnung mit dem Anderen. Reisen bedeutet, sich auf den Weg zu machen, jedoch die Rückkehr nach Hause schon mit einzuplanen, sich temporär und aus freien Stücken zu entwurzeln und die eigene Welt hinter sich zu lassen – und darauf zu brennen, neue Erkenntnisse mitzubringen.

Einer der frühesten Reiseführer, der sich eindeutig als solcher identifizieren lässt, ist der auch als Jakobsbuch bekannte Codex Calixtinus. Die zwischen ca. 1138 und 1145 angefertigte Sammelhandschrift rät Pilgern für ihren Weg nach Santiago de Compostela, welche Reliquien sie besuchen sollten, wo sie frisches Wasser finden und wie sie Wespen und Bremsen vermeiden konnten oder wie an den Heiligtümern die Gebete mustergültig aufzusagen waren. Schriftliche Reiseführer waren um 1200 in Europa weit verbreitet, und mit der zunehmenden Popularisierung des Pilgerwesens wurde dieses Genre (manchmal auch als »Ars apodemica«, sprich Reise-Ratgeber, bezeichnet) ab etwa 1350 zur vorherrschenden Form des Schreibens über das wissbegierige Ich. Tatsächlich gehört die mittelalterliche Reiseliteratur zu den Genres, in denen das »Ich« eines Erzählers zum Vorschein kommt und die Neugier auf die Welt in Form von Geschichten über besuchte Orte und individuelle Erfahrungen Gestalt annimmt. Reiseschriftstellerei dagegen war im Mittelalter keine etablierte Gattung; vielmehr entstand sie nach und nach mit der wachsenden Reisepraxis, richtete sich aber meist an ein Publikum, für das Reisen schwer möglich oder ausgeschlossen war. Reisetexte waren für diejenigen bestimmt, die sich für alles Exotische und Ungewöhnliche und für ferne, unzugängliche Regionen der Welt interessierten.

Reisen fördern sehr häufig eine intensive Selbstreflexion; sie können, wie es der Reiseschriftsteller Alain de Botton formuliert hat, wie »Hebammen für das Denken« wirken. Und das in zweierlei Weise: Gedanken, die uns in den Sinn kommen, während wir unterwegs sind und in einem Eisenbahnwaggon oder in einer Schiffskabine sitzen, werden zu einem angeregten inneren Monolog, die Zeitspanne zwischen Abfahrt und Ankunft verwandelt sich von einer Warteschleife in einen introspektiven Moment. Dazu regt Reisen das Denken an, indem wir Dinge erleben – oder durchleiden –, die uns herausfordern, weil sie für uns gleichermaßen neu wie sonderbar und nicht sofort zu begreifen sind. In den folgenden Kapiteln werden wir die mittelalterliche Welt bereisen und dabei den immanenten Wert des Unterwegsseins kennenlernen sowie die Freuden, Ängste und Sehnsüchte, die damit verbunden sind. Es wird sich zeigen, welche beachtliche intellektuelle und geistige Entwicklung das Reisen ermöglichte, und wir werden sehen, dass die Menschen den auch uns heute vertrauten Reiz verspürten, ihre Reisen aufzuschreiben und für künftige Generationen festzuhalten.

Selbst im 21. Jahrhundert, in dem so viele Menschen häufig große Entfernungen zurücklegen – teils aus Notwendigkeit, teils aus purer Lust am Verreisen –, ist das Reisen keine simple Angelegenheit, sondern bewegt sich meist zwischen den Polen »aufregend« und »strapaziös«. Darüber hinaus stehen alle Reisenden in einem asymmetrischen Verhältnis zu den Orten, die sie besuchen, sei es aufgrund finanzieller Abhängigkeiten, Strukturen, die Rassismus und Ausbeutung beinhalten, oder eines elementaren Mangels an Verständnis. Wie Elizabeth Bishop in ihrem Gedicht »Fragen des Reisens« schreibt: »Kontinent, Stadt, Land, Leute: Die Wahl ist niemals groß und niemals frei.« Wir nehmen uns selbst mit, wohin wir auch gehen, und unsere Werte und Ansprüche erlegen uns Grenzen auf, selbst dann, wenn wir auf der Suche nach Freiheit sind.

Nun möchte ich Sie einladen, mich durch Landschaften, wie sie den mittelalterlichen Reisenden erwarteten, zu begleiten. Diese Reise wird manches Mal an reale Orte führen, die geographisch lokalisierbar und eindeutig zu benennen sind und die wir teils heute noch besuchen können, manches Mal aber auch in Regionen, die wir nur vor unserem inneren Auge sehen können. Die Namen von Personen, Regionen und Orten gebe ich meistenteils in der jeweils gebräuchlichsten Transliteration wieder. Wenn sich die heute übliche Bezeichnung erheblich von der mittelalterlichen unterscheidet, habe ich diese in Klammern dazugesetzt, beispielsweise bei dem mittelalterlichen venezianischen Handelsplatz Tana, der heutigen Stadt Azow in Russland. Einige Entfernungsangaben sind nicht in Standardmaße umgerechnet, da es damals eine breite Palette an Maßen für Entfernungen gab. Ich hoffe, es ist nachvollziehbar, dass ich dieses Thema mit einer gewissen Großzügigkeit behandelt habe, da uns diese Reise in Länder mit fluiden Grenzen und wechselhafter Geschichte führen wird.

Für dieses Buch habe ich Quellen aus dem späteren Mittelalter herangezogen, das heißt aus der Zeit, in der sich die technischen Hilfsmittel wie auch die kulturellen Praktiken, die grundlegend für das Reisen sind, dynamisch weiterentwickelten. Das Reisen selbst und das Lesen und Schreiben darüber gingen in dieser Zeit eine enge Verbindung ein. Mit anderen Worten, es entwickelte sich eine Kultur des Reisens parallel zur gelebten Geschichte des Reisens.

Dieser Reiseführer ins Mittelalter gibt zunächst einen Einblick in die westeuropäische Kultur und weitet dann den Fokus, um die restliche Welt, wie sie den mittelalterlichen Europäern bekannt war, in den Blick zu nehmen und in Teilen vorzustellen: Und so geht es von England bis zu den Antipoden. Ich erhebe nicht den Anspruch, ein vollständiges Wegeverzeichnis für die Welt des Mittelalters zu liefern. Es hätten sich auch noch andere Ziele angeboten, etwa Compostela, Salamanca und Toledo, Nowgorod und Samarkand, Sansibar und Alt-Simbabwe, aber zum Festlegen einer Reiseroute gehört, wie vielfältig die Möglichkeiten auch sind, das Auswählen der Stationen. Aus einer Pilgerfahrt mit den Zielen Rom und Jerusalem, einmal voller Neugier begonnen, wird im Folgenden, wie es auch seinerzeit oft geschah, eine wahre Entdeckungsreise. Ich lade Sie ein, in Vorstellungswelten einzutauchen und ferne Orte kennenzulernen, vermittelt durch die Schriften dieser Reisenden, die unsere Vorstellungen von Menschlichkeit, Erfahrung und Wissen sowohl erschüttern als auch erweitern können.

Windrose eines mittelalterlichen Seefahrers

Die Windrose wurde als eine Art Kompass genutzt, um Wettervorherzusagen zu treffen und auf dem Meer zu navigieren. Die Namen der Winde bzw. die Windrichtungen, die sie bezeichnen, ergeben sich von einem der Kreuzungspunkte der europäischen Seefahrt: dem Ionischen Meer zwischen Sizilien und Griechenland.

Abb. 1

(N)

Tramontana, Tramontane: der Nordwind, von jenseits der Berge

(NO)

Greco, Gregale: der starke, nordöstliche Wind, der aus Griechenland kommt

(O)

Levante, Subsolan: ein Ostwind, von dort, wo die Sonne aufgeht

(SO)

Scirocco, Schirokko: ein heißer, starker Wind, der aus Nordafrika weht

(S)

Ostro, Mezzogiorno: der schwache Südwind, der den Regen bringt

(SW)

Libeccio, Garbino: der böige Südwestwind, der aus Libyen kommt

(WSW)

Zephyr, Zephir: ein milder Westwind

(W)

Ponente: der trockene, westliche Wind, von dort, wo die Sonne untergeht

(NW)

Mistral, Maestrale: ein starker, kalter, nordwestlicher Wind, der von Südfrankreich her und entlang der Hauptschifffahrtsroute von Venedig nach Griechenland weht

Kapitel 2Der Beginn einer Reise mit Dame Beatrice, Earl Henry und Bruder Thomas

Irnham · London · Rye

Im Jahr 1350 treffen wir Dame Beatrice Luttrell (circa 1307 bis circa 1361) in ihrem Herrenhaus auf dem Land in Lincolnshire beim Packen für eine Reise an. (Ihr Titel »Dame« ließ ihren edlen Status ebenso wie ihre Rolle als den Haushalt führende Herrin erkennen.) Dame Beatrice gab Anweisungen, und ihre Zofe Joan kümmerte sich um das Packen. Genauer gesagt, Dame Beatrice beaufsichtigte und instruierte ihre Zofe Joan, und die gab die Anweisungen weiter an Henry, den noch keine vierzehn Jahre alten Burschen und Diener, der das Packen besorgte.

Sir Andrew (gestorben 1390), Dame Beatrices Ehemann, der gerade aus der Gascogne und den Kriegen mit den Franzosen zurückgekehrt war, hatte einige Jahre zuvor die Ländereien der Familie geerbt. Und schon bald hatte sich Dame Beatrice an ihre Rolle als Hausherrin und an das gute Leben gewöhnt: Auf dem Landgut, einem Ort des Überflusses, wehte einem stets der Duft von röstendem Schweinebraten und frisch gebackenem Brot entgegen. Während die jüngste Pestwelle England überrollte und die Seuche etwa ein Drittel der Bevölkerung dahinraffte, hatte sie hier ausgeharrt. Priester, Staatsdiener, ja sogar mancher Bischof und die Königstochter waren der Seuche zum Opfer gefallen. Doch an Dame Beatrice war sie vorübergezogen, ihr Zuhause hatte sich als sicherer Ort erwiesen.

Allerdings hatte ihr großes Haus, das mit seinen grauen Steinen inmitten der einsamen Wälder Ostenglands gravitätisch im Regen aufragte, für sie in einer Hinsicht eine bittere Erfahrung bereitgehalten. Dame Beatrice, nun schon über vierzig Jahre alt, war kinderlos geblieben. Vielleicht würde ihr nach einem Besuch Roms und einer Reise über belebte Straßen und durch Städte mit wogenden Märkten und sagenumwobenen Schreinen und Altären die Gnade zuteilwerden, einen Erben zu empfangen und zur Welt zu bringen. Dame Beatrice hatte sich deshalb vorgenommen, von ihrem Landsitz Abschied zu nehmen und ihren bärtigen Gatten ganz den Krähen, den Kaninchen, dem Rotwild, den Rebhühnern und Fasanen zu überlassen[*]. In ihrer Abwesenheit würde sich Sir Andrew im Bogenschießen üben, mit dem Falken auf seinem Handschuh sitzend ausreiten und mit einem Aderlass seine Körpersäfte wieder ins Gleichgewicht bringen können.

Dame Beatrice und Zofe Joan kommandierten den jungen Henry hin und her, und wenn sie ihn anschnauzten, mischte sich in ihr Englisch ihr höfisches Englisch-Französisch, so dass sie ihn »gareson«, (garçon, also Page, Junge) nannten. Dabei gab es eine Menge Gepäck, das der junge Diener zu bewältigen hatte: Reisetaschen und Truhen und Bündel, allesamt übervoll bepackt.

Ziel ihrer Pilgerreise war Rom, auch wenn Beatrice und ihre Familie zuvor schon andere Pilgerreisen unternommen hatten. Ihre Pilgerziele wählte die Familie ganz nach dem Anlass und der zur Verfügung stehenden Zeit. Bei Zahnschmerzen war Dame Beatrice schon manches Mal zur Kirche in Long Sutton (eine Reise von ein paar Stunden gen Osten) gepilgert. Ein Fenster dieser Kirche zeigte ein Heiligenbild der Heiligen Apollonia, einer Märtyrerin, der unter der Folter die Zähne mit Hämmern zerschlagen und mit Zangen herausgezogen worden waren. Dame Beatrice spendete der Heiligen dann ein oder zwei Pfennige. Ein Besuch bei der Heiligen Apollonia schien die Zahnschmerzen immer zu heilen. Als ihr Vater, Lord Scrope, bei einem Turnier an der Hand verletzt wurde, betete die Familie zum Heiligen William von York (einem Erzbischof aus dem 12. Jahrhundert, dessen wundertätiges Wirken als gut dokumentiert galt und dessen Grab zu Zeiten den süßesten Geruch verströmte oder Quelle eines heilenden Öls war). Dank des Heiligen William wurde Lord Scropes Hand geheilt. Daraufhin pilgerte die Familie gemeinsam nach York und brachte am Schrein des Heiligen eine Opfergabe dar: eine Bienenwachs-Nachbildung von Lord Scropes Hand. Auch Beatrices kürzlich verstorbener Schwiegervater Geoffrey hatte in Erinnerung an die Pilgerreisen, die er zu Lebzeiten im ganzen Land unternommen hatte, und als Beitrag für sein Seelenheil Geld für Heiligendarstellungen in London, Canterbury, York, Walsingham und Lincoln gestiftet. Dame Beatrice trug an ihrem Mantel eine Reihe von metallenen Plaketten, die auf vorangegangene Reisen hinwiesen. Auf eine dieser Medaillen war das detaillierte Bild einer Hütte geprägt, eine Erinnerung an einen Besuch des Heiligen Hauses von Walsingham (ein Bauwerk, das auf wundersame Weise von Nazareth nach Norfolk gelangt war).

Und nun, Ende 1350, als die große Pestwelle nach zwei Jahren abzuklingen begann, war es dringend an der Zeit, eine Pilgerreise zu unternehmen. Die Menschen waren überzeugt, Gott habe die Pest als Zeichen der Vergeltung geschickt. Für Pilger wie Dame Beatrice war der Moment gekommen, Reue zu zeigen, zu versprechen, sich künftig stets gottgefällig zu verhalten und auch nach außen sichtbar Buße zu tun, indem sie ihr Zuhause verließen. Es erschien ihnen unabdingbar, ihren Glauben an Gott und die Heiligen mit einer solchen Reise unter Beweis zu stellen. Buße tun, Reue und Hingabe zeigen, pilgern, so war überall zu hören, waren die beste Medizin gegen die Pest.

Dame Beatrice ließ sich vom Pagen Henry ihre neuen ledernen Reiseschuhe bringen, die sie nach der neuesten Mode bei einem Schuhmacher in Lincoln bestellt hatte. Das Modell nannte sich »Krakauer Stiefel«, schloss ziemlich hoch am Bein und zeigte die charakteristische langgestreckte Schuhspitze. Darüber hinaus hatte sie eine kleine Ledertasche mit einer filigranen Schnalle gekauft. Darin befanden sich ein wunderschöner neuer Rosenkranz aus tiefschwarz glänzenden Gagat-Perlen, ein etwa fingerlanges Messer, ein mit einem von König Artus Rittern zu Pferd verziertes Elfenbeinetui mit einem Spiegel darin und eine Menge Bargeld.

Auch eine kleine, abschließbare, hölzerne Truhe war inzwischen bis zum Rand gefüllt, da Dame Beatrice anscheinend nicht hatte widerstehen können, Geld für allerlei Utensilien auszugeben[*]