Rén - Yen Ooi - E-Book

Rén E-Book

Yen Ooi

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Beschreibung

In den Lehren des Konfuzius ist REN die Lehre von der Beziehung zu den Menschen um uns herum. Dieses Buch zeigt die verschiedenen Facetten des REN auf, welche allumfassend sind. Es geht um die Beziehung zu uns selbst, die Beziehung zu anderen Menschen, zur Gesellschaft und in der Welt allgemein. Das Buch zeigt, wie wir mit den Grundprinzipien des REN einfache Veränderungen in unserem Leben implementieren, um bessere Beziehungen zu FreundInnen, Familie, KollegInnen zu führen und Ideen für Gemeinschaft und Gerechtigkeit unter den Menschen leben.

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Seitenzahl: 207

Veröffentlichungsjahr: 2025

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Buch

In den Lehren des Konfuzius ist Rén die Lehre von der Beziehung zu den Menschen um uns herum. Dieses Buch zeigt die verschiedenen Facetten des Rén auf, welche allumfassend sind. Es geht um die Beziehung zu uns selbst, die Beziehung zu anderen Menschen, zur Gesellschaft und in der Welt allgemein. Das Buch zeigt, wie wir mit den Grundprinzipien des Rén einfache Veränderungen in unserem Leben implementieren, um bessere Beziehungen zu Freund*innen, Familie, Kolleg*innen zu führen und Ideen für Gemeinschaft und Gerechtigkeit unter den Menschen zu leben.

Autorin

Yen Ooi ist Autorin und Forscherin, deren Werke sich mit kulturellem Geschichtenerzählen und seinen Auswirkungen auf die Identität befassen. Derzeit arbeitet sie an ihrer Doktorarbeit an der Royal Holloway University of London und ist auf die Entwicklung chinesischer Science-Fiction spezialisiert.

YEN OOI

RÉN

ERFÜLLUNG FINDEN DURCH VERBINDUNG MIT DER WELT

Die traditionelle chinesische Kunst

Aus dem Englischen von Marion Zerbst

Diesen Buch erschien erstmals 2022 unter dem Titel Rén, The acient chinese art of finding peace and fulfilment, bei Wellbeck, einem Imprint der Wellbeck Publishing Group., London. Der Inhalt dieses E-Books ist urheberrechtlich geschützt und enthält technische Sicherungsmaßnahmen gegen unbefugte Nutzung. Die Entfernung dieser Sicherung sowie die Nutzung durch unbefugte Verarbeitung, Vervielfältigung, Verbreitung oder öffentliche Zugänglichmachung, insbesondere in elektronischer Form, ist untersagt und kann straf- und zivilrechtliche Sanktionen nach sich ziehen.Der Verlag behält sich die Verwertung der urheberrechtlich geschützten Inhalte dieses Werkes für Zwecke des Text- und Data-Minings nach § 44 b UrhG ausdrücklich vor. Jegliche unbefugte Nutzung ist hiermit ausgeschlossen.

Originalausgabe Januar 2025

Copyright © 2022 Yen Ooi

Copyright © 2025 Wilhelm Goldmann Verlag, München, in der Penguin Random House Verlagsgruppe GmbH, Neumarkter Str. 28, 81673 Münchenproduktsicherheit@penguinrandomhouse.de

(Vorstehende Angaben sind zugleich Pflichtinformationen nach GPSR)Umschlag: UNO Werbeagentur GmbH

Umschlagmotiv/Illustrationen im Buch: Sinjin Li

Redaktion: Ingrid Lenz-Aktas

Satz: Uhl + Massopust, Aalen

LG ∙ CB

ISBN 978-3-641-32264-9V002www.goldmann-verlag.de

INHALT

Einführung

Konfuzius und die Gespräche

Was ist Rén ?

TEIL 1 RÉNUNDWIRSELBST

Gut für uns selbst sorgen

Was es bedeutet, ein Mensch zu sein

TEIL 2 RÉNIMUMGANGMITFAMILIEUNDFREUNDEN

Rén im häuslichen Umfeld

Rén am Arbeitsplatz

Geschwister/Kollegen: RÉN und unser Freundeskreis

TEIL 3 RÉNINDERGESELLSCHAFTUNDDERWELT

Rén-Werte

Über Politik

TEIL 4 RÉNINUNSERERHEUTIGENZEIT

Rén im 21. Jahrhundert

Komplexität und Vielfältigkeit

Die Fragen unserer Zeit

Wissen einsetzen und herausfinden, wem Situationen nutzen oder schaden

Taten zählen mehr als Worte – und die Wahrheit immer

Veränderungen meistern

Rén als Lebensgrundlage

Schlusswort

Dank

Über die Autorin

EINFÜHRUNG

» Rén ist etwas Schönes. Wenn wir weise sind, warum sollten wir uns dann nicht für Rén entscheiden, sofern wir die Wahl haben?

GESPRÄCHE, 4:1

Ich bin in Malaysia aufgewachsen, lebte also schon von Kindheit an in einer multikulturellen Welt voller Geschichten, Traditionen und Philosophien, die sich gegenseitig ergänzten und oft auch widersprachen. Als Tochter chinesischer Eltern (mein Vater ist Malaysier der ersten Generation) ist mir nun, da ich erwachsen bin, etwas sehr Wichtiges klar geworden: Viele Traditionen und Philosophien meiner Familie beruhten auf kulturellen Praktiken, die wir ererbt und beibehalten hatten, um uns in einem neuen Lebensumfeld, das ganz anders war als die Heimat unserer Vorfahren, wohlfühlen und weiterentwickeln zu können. Einige dieser Praktiken erinnerten uns an frühere Traditionen unserer Vorfahren in einem anderen Land; andere dienten uns als Orientierungshilfe, um als Angehöriger, Freund, Kollege oder Mitglied der Gesellschaft ein besserer Mensch sein zu können. Da meine Eltern und Großeltern und auch deren Geschwister die Kultur und die Gepflogenheiten ihrer neuen Heimat Malaysia nicht sonderlich gut kannten, blieb ihnen nichts anderes übrig, als sich mithilfe ihrer Erziehung und ihres von den chinesischen Vorfahren ererbten Wissens in dieser für sie fremden Welt irgendwie zurechtzufinden; und diese Orientierungshilfe haben sie an mich und meine Schwester Sen weitergegeben.

Schon als Kind hatte ich von dem chinesischen Philosophen Konfuzius (551 bis 479 v. Chr.) gehört. Anfangs wusste ich nur, dass das eine bedeutende Persönlichkeit aus dem alten China war (wie alt, war mir damals nicht bewusst!) – irgend so ein Lehrer, der viele wertvolle Erkenntnisse in Worte gefasst hat und dem die Menschen auch heute noch folgen und Respekt erweisen. Für mein junges Gemüt war dieser Konfuzius so eine Art Shakespeare. Als ich älter wurde, begann ich ein bisschen mehr davon zu verstehen, was Philosophie ist; doch gleichzeitig erfreuten sich damals auch Konfuzius-Witze in englischer Sprache wachsender Beliebtheit und Parodien seiner Sprüche begannen die Runde zu machen. Mein Lieblingsspruch lautet: Der Mann, der vor dem Auto herläuft, wird müde. Dem Mann, der hinter dem Auto herläuft, geht die Puste aus. Diese lustigen Sprüche sind mir lebhaft in Erinnerung geblieben; aber sie erschwerten es mir damals auch, mir ernsthafte Gedanken über die Lehren von Konfuzius zu machen.

Erst als ich im Jahr 1997 nach Großbritannien zog, um zu studieren, begann ich mir über meine eigene Philosophie und meine eigenen Moralvorstellungen Gedanken zu machen. Wie schon meinen Eltern und Großeltern wurde auch mir durch dieses Leben in einem völlig neuen Umfeld bewusst, wie sehr mein Verhalten sich von dem meiner Mitmenschen unterschied: zum Beispiel die Art, wie ich mit Stress umging, wie ich über bestimmte gesellschaftspolitische Fragen dachte, zu was für Menschen ich mich hingezogen fühlte, wie ich Karriereentscheidungen traf und wie ich den Beitrag einschätzte, den ich für die Welt leistete. Keine dieser Denk- und Verhaltensweisen war in Stein gemeißelt. Sie änderten sich von Jahr zu Jahr oder sogar noch öfter; und diese Veränderungen haben mir die Augen dafür geöffnet, wie wir mit unserer Umgebung in Beziehung treten und wie sich das auf unser Glück auswirkt.

Bald nach dem Studium heiratete ich meinen Mann Kenneth und wir ließen uns in London nieder und fingen gemeinsam ein neues Leben an. Später zogen wir nach Tokio, wo wir drei Jahre blieben, weil er beruflich dort zu tun hatte. Das brachte weitere Veränderungen mit sich. Obwohl das Leben in Japan mich in mancherlei Hinsicht an mein chinesisches und malaysisches kulturelles Erbe erinnerte, kam mir in diesem Land doch vieles völlig neu und anders vor. Vor allem die japanische Sprache war eine ganz neue Welt für mich: Da gibt es Hierarchievorstellungen, denen zufolge man sich – je nachdem, mit wem man gerade spricht – anders ausdrückt und sogar Verben anders konjugiert. Obwohl in der chinesischen und malaysischen Kultur ähnliche Vorstellungen von Hierarchie und gesellschaftlichem Status herrschen, war es für mich doch etwas Neues, diese Konzepte auch in der Sprache der Menschen widergespiegelt zu sehen. Der Kulturunterricht, den wir in den ersten Wochen unseres Aufenthalts in Japan erhielten, half uns, dieses Land besser zu verstehen, und öffnete uns die Augen für typisch japanische Verhaltensweisen, die uns sonst vielleicht ziemlich komisch vorgekommen wären. Ein sehr gutes Beispiel dafür ist tatemae – eine Art »Notlüge«, zu der man aus Höflichkeitsgründen in Gesprächen greift, um sein Gegenüber nicht zu düpieren.

Während dieser drei Jahre in Tokio habe ich gelernt, mein eigenes Verhalten – das auf meinem Glauben, meiner Lebensphilosophie, meiner Tradition und meiner Kultur beruhte und mir zu Glück und einem erfüllten Leben verhalf – genauer unter die Lupe zu nehmen, denn ich wollte herausfinden, wie man diese Verhaltensweisen analysieren und vielleicht sogar anderen Menschen begreiflich machen kann. Damals in Japan habe ich übrigens auch eine neue berufliche Laufbahn eingeschlagen. Ich wurde Schriftstellerin – ein hervorragender Weg, um andere Kulturen, Traditionen und Philosophien auf eine Art und Weise zu erkunden, zu der ich vorher nicht in der Lage gewesen war: nämlich durch das Erzählen von Geschichten.

Nach unserer Rückkehr nach London beschloss ich, ein Aufbaustudium zu absolvieren und gleichzeitig meine Karriere als Schriftstellerin weiter voranzutreiben – und das hat zu meiner Wiederbegegnung mit Konfuzius geführt. Seit dem Jahr 2014 befasse ich mich mit Literatur, die von ihrer Kultur her als chinesisch einzuordnen ist, und habe mich so immer wieder mit Konfuzius’ Lehren auseinandergesetzt. Dabei fiel mir auf, dass sich die chinesischen kulturellen Werte, die sich in der Belletristik dieses Landes widerspiegeln, gar nicht so sehr von den gemeinsamen kulturellen Praktiken der Menschen (beispielsweise Traditionen, Veranstaltungen, Riten und Ritualen) unterscheiden. Und immer da, wo wir Ähnlichkeiten in den kulturellen Praktiken oder Philosophien bei ost- und südostasiatischen Völkern finden, lassen sich diese oft auf Lehren aus dem alten China zurückführen, die ihren Ursprung im Konfuzianismus, Buddhismus und Taoismus haben. Das hat mich neugierig gemacht, und vor allem eine wichtige Frage ließ mich nicht mehr los: Sind diese Lehren womöglich immer noch relevant, obwohl unsere Welt heute, im 21. Jahrhundert, doch so völlig anders zu sein scheint?

Als ich mich erneut mit den Lehren des Konfuzius beschäftigte, wurde mir klar, dass seine Philosophie etwas sehr Universelles ist: Sie bietet uns einen Leitfaden für das Leben, mit dessen Hilfe wir zu einem Gefühl von Glück, Zufriedenheit und Liebe finden können. Seine Philosophie lässt sich in fünf verschiedene Tugenden untergliedern: Rén (Menschlichkeit), Yì (Rechtschaffenheit), Lǐ (Riten), Zhì (Weisheit) und Xìn (Ehrlichkeit). Die Übersetzungen, die ich hier gewählt habe, unterscheiden sich ein bisschen von den Formulierungen, die Sie vielleicht woanders gelesen haben, aber ich finde, dass sie den Kern von Konfuzius’ Lehren besser wiedergeben und sich auch besser auf unser tägliches Leben anwenden lassen. Die wichtigste dieser Tugenden – Rén – möchte uns zeigen, wie wir durch unsere Interaktionen und unseren Umgang mit der Welt, in der wir leben, Erfüllung finden können. Viele mit Rén zusammenhängende Lehren sind mir sehr vertraut, weil ich sie von meinen Eltern und Großeltern gelernt habe. Obwohl ich ursprünglich durch mein kulturelles Erbe auf meine Rén-Entdeckungsreise geführt worden bin, freue ich mich doch sehr darüber, dass ich zu Konfuzius zurückgefunden habe und in den letzten Jahren Gelegenheit hatte, mich auf eine sehr viel intensivere, systematischere Weise mit Rén zu beschäftigen. Dadurch habe ich den besonderen Wert von Konfuzius’ Philosophie verstanden und den Reichtum des Lebens in der Welt um mich herum entdeckt.

Ich hoffe, dass es mir gelungen ist, in diesem Buch das Wesen und die Philosophie von Rén (und seine positive Botschaft der Gemeinschaft und des Mitgefühls) festzuhalten. Das Buch besteht aus vier Hauptteilen: Es beginnt mit der Beziehung zwischen Rén und uns selbst, befasst sich als Nächstes mit Rén in unserem Zusammenleben mit Familie und Freunden, dann mit Rén in der Gesellschaft und der Welt im Allgemeinen und geht schließlich auf die Bedeutung von Rén in unserer heutigen Zeit ein. Ich beschreibe alle Lektionen, Ideen und Praktiken dieser Lebensphilosophie, die mir geholfen haben, mich in unserer komplizierten heutigen Welt zu orientieren und einen neuen Weg zu Glück und Erfolg im Leben zu finden. Ich hoffe, Sie mit meinem Buch ebenfalls auf diesen Weg führen zu können!

YENOOI

LONDON

KONFUZIUS UND DIE GESPRÄCHE

» Wenn wir uns in Gesellschaft anderer Menschen befinden, sind wir verpflichtet, etwas von ihnen zu lernen.

GESPRÄCHE, 7:22

Konfuzius (Kǒng Qiū) war ein Philosoph und Lehrer, der im alten China lebte. Er wurde 551 v. Chr. geboren. Seine Lehren sind seit über 2000 Jahren bekannt; bestimmte Elemente davon fanden im Lauf der Zeit Eingang in die ost- und südostasiatische Kultur. Bereits im alten China begannen die drei Philosophien und Religionen – Konfuzianismus, Taoismus und Buddhismus – sich gegenseitig zu beeinflussen. Dank ihrer gemeinsamen Geschichte haben sich Konfuzius’ Lehren (zusammen mit dem Taoismus und dem Buddhismus) in vielen ost- und südostasiatischen Familien erhalten, wo diese Lehren von Generation zu Generation weitergegeben wurden – oft ohne Bezug auf Konfuzius und ohne ihn überhaupt als Quelle zu erwähnen. So ist dieser Philosoph zu einem festen Bestandteil asiatischen Lebens und asiatischer Kultur geworden.

Die Gespräche des Konfuzius (oft auch als Analekten bezeichnet) sind eine Sammlung von Lehren und Weisheiten, die er an seine Schüler weitergegeben hat. Man geht davon aus, dass sie von seinen persönlichen Schülern kurz nach seinem Tod zusammengestellt wurden und dass diese Schüler im Lauf der Zeit auch zu ihrer Verbreitung beigetragen haben. Der chinesische Titel Lúnyǔ bedeutet so viel wie »Gesprächssammlung«, was den dialogartigen Charakter dieser Schriften erklärt. Ursprünglich bestanden die Bücher aus Bambustäfelchen, die zu ziehharmonikaartig gefalteten Sammlungen zusammengebunden waren. Die Texte wurden mit Pinsel und Tinte niedergeschrieben; jedes Bambustäfelchen bot Platz für etwa zwei Dutzend chinesische Schriftzeichen. Die ganze Sammlung besteht aus ungefähr 500 in sich abgeschlossenen Textpassagen, die auf zwanzig Bücher verteilt sind. Obwohl diese Texte seit ihrer Veröffentlichung im alten China von Forschern und Wissenschaftlern immer wieder eingehend untersucht worden sind, gibt es aufgrund des Alters dieser Dokumente verständlicherweise Abweichungen in den Auslegungen und Übersetzungen. Oft sind diese Unterschiede durch Versuche entstanden, die Texte im Kontext unseres heutigen modernen Denkens zu interpretieren.

In diesem Buch werde ich zwischendurch immer wieder Zitate aus den Gesprächen des Konfuzius einstreuen, um seine wichtigsten Lehren zu veranschaulichen – und zwar in einer modernisierten Interpretation und Adaptation, die zwar die Quintessenz der jeweiligen Lehre beibehält, sich aber auch leicht auf unser heutiges Leben anwenden lässt.

Rén bildet das Fundament von Konfuzius’ Glauben an Moral – an ein funktionierendes gesellschaftliches Leben, Gerechtigkeit, Güte und Mitgefühl. Ihm war klar, dass unsere persönliche Identität aus unseren zwischenmenschlichen Interaktionen innerhalb der sozialen Gruppen erwächst, in denen wir uns bewegen. Daher war das Musterbeispiel für Menschlichkeit in seinen Augen jemand, der all diese wichtigen Eigenschaften verinnerlicht hat und lebt – jemand, der danach strebt, Rén zu werden. Und mit diesem Gedanken können wir unsere Reise antreten, uns über den Sinn unseres Lebens klar werden und in der Welt, in der wir leben, Erfüllung finden.

WAS IST RÉN ?

» Der Weise ist niemals verwirrt; wer Rén ist, kennt keine Sorgen; der Mutige hat keine Angst.

GESPRÄCHE, 9:29

ESGIBTDIEVERSCHIEDENSTEN deutschen Übersetzungen für das Wort Rén . Normalerweise übersetzt man es mit »wohlwollend« oder »menschlich«, »gütig« oder »tugendhaft«; aber das chinesische Schriftzeichen hat noch viel mehr Bedeutungen. Um Rén zu verstehen, sollten wir uns zunächst einmal mit einem der einfachsten chinesischen Wörter beschäftigen: rén , das so viel wie »Person« bedeutet. Dieses Schriftzeichen besteht aus zwei Strichen und stellt einen gehenden Menschen dar.

Rén hat seine Wurzeln in dem Wort für Person (rén ), ist aber gleichzeitig auch eine Weiterentwicklung davon. Obwohl es sich bei Rén und rén um Homophone (also Wörter, die gleich ausgesprochen werden) handelt, werden sie doch jeweils anders geschrieben und haben auch unterschiedliche Bedeutungen.

Das chinesische Schriftzeichen Rén  setzt sich aus zwei Teilen zusammen. Auf der linken Seite steht das Radikal rén , eine vereinfachte Version des Schriftzeichens für »Person« (rén ). Ein Radikal wird in Kombination mit anderen Schriftzeichen verwendet, um komplexere Wörter zu bilden, und gibt dem Leser einen Hinweis auf den Zweck des Wortes. In diesem Fall würde ein komplexes Wort mit dem Radikal rén  andeuten, dass es dabei um etwas geht, was mit Menschen zu tun hat. Die rechte Hälfte des Schriftzeichens Rén  bildet das Zeichen èr , das für die Zahl Zwei steht. Das Schriftzeichen für Rén ist also eine Kombination aus den Zeichen für »Person« und für die Zahl Zwei und bedeutet – wörtlich übersetzt – zwei Menschen und die Verbindung oder Beziehung zwischen diesen zwei Menschen.

Das Zeichen èr lässt sich schon allein visuell als Verweis auf den Himmel (die obere Linie) und die Erde (die untere Linie) interpretieren, welche zusammen wiederum als Symbol für die Welt gedeutet werden können. Und in diesem Fall könnte die Kombination aus den beiden Zeichen für »Person« und »Welt« im weitesten Sinn auch unsere Beziehung zur Natur repräsentieren. In beiden Interpretationen steht Rén  für die Koexistenz der Menschen miteinander und mit der Welt.

RÉN IST LIEBE

Als Konfuzius die Rén-Prinzipien lehrte, war ihm klar, dass unser Leben eng mit der Welt um uns herum verflochten ist und dass wir mit dieser Welt koexistieren. In seinen Lehren geht es in erster Linie um das Handeln des Einzelnen, aber auch um die Auswirkungen dieses Handelns auf die Gesellschaft und die Natur. Konfuzius wusste, dass es uns als Individuen nur dann gut gehen kann, wenn es auch unserer Umwelt (Gesellschaft und Natur) gut geht. Daraus ergeben sich drei verschiedene Erfahrungsebenen für eine positive Koexistenz:

Auf der ersten Ebene tun wir Gutes zu unserem eigenen Nutzen. Das verschafft uns ein Erfolgserlebnis. Auf der zweiten Ebene tun wir etwas Gutes, das jemand anderem nützt. Auch das verschafft uns ein Erfolgserlebnis und zudem partizipieren wir aufgrund unserer Empathie am Glück dieser anderen Person. Auf der dritten Ebene tun wir etwas Gutes, um unser Umfeld (das können lokale bis hin zu internationalen Gemeinschaften, aber auch die Natur sein) zu verbessern. Und in einer besseren Umwelt geht es auch wiederum uns als Individuen besser. Das kommt nicht nur uns selbst, sondern auch anderen Menschen in unserer Gemeinschaft zugute.

Das Wissen, eine positive Veränderung bewirkt zu haben, verschafft uns also gleichzeitig auch ein Erfolgserlebnis – was zeigt, wie eng diese drei Ebenen miteinander verflochten sind.

Diese enge Verbundenheit unserer Erfahrungen kommt in einer anderen Übersetzung von Rén  zum Ausdruck, nämlich »Liebe« oder »universelle Liebe«. In diesem Fall ist mit »Liebe« allerdings kein romantisches Gefühl gemeint, sondern einfach nur das Bedürfnis, uns gütig und liebevoll zu verhalten – allen Menschen und der Welt um uns herum in einer Haltung der Fürsorge und des Mitgefühls zu begegnen. Da unser persönliches Gefühl der Erfüllung unmittelbar von der Welt abhängt, in der wir leben, ist die Liebe in der Bedeutung von Rén  sowohl »menschenfreundlich« als auch »menschlich«. Für Konfuzius stellte Liebe einen sehr wichtigen Wert dar; in seinen Lehren erinnert er uns immer wieder daran, dass wir dafür geschaffen sind, Gutes zu tun.

WARUM BRAUCHEN WIR RÉN IN UNSERER HEUTIGEN ZEIT?

» Wer nicht Rén ist, kann weder als armer Mensch zufrieden sein noch im Zustand des Reichtums längere Zeit glücklich sein. Der Weise fühlt sich zu Rén hingezogen, weil er sich dort zu Hause fühlt. Der Weise fühlt sich zu Rén hingezogen, weil ihm diese Haltung einen inneren Gewinn bringt.

GESPRÄCHE, 4:2

Unser heutiges Leben im 21. Jahrhundert unterscheidet sich zweifellos sehr stark vom Leben in Konfuzius’ Zeit, dem fünften Jahrhundert vor Christus. Zwar hat unsere Welt sich in den letzten 2000 Jahren in vielerlei Hinsicht weiterentwickelt, doch an unseren Grundbedürfnissen und an dem, was uns Erfüllung schenkt, hat sich seitdem eigentlich nicht viel verändert. Wenn wir die Philosophie kennenlernen, die Rén zugrunde liegt, und uns von Konfuzius’ Lehren leiten lassen, bietet uns das ein festes Fundament im Leben und den Freiraum, den wir brauchen, um in der Gesellschaft und der Natur zu leben – und letztendlich zu glücklicheren Menschen zu werden.

In unserem heutigen hektischen, technologielastigen Leben werden wir ständig durch die täglichen Rhythmen unserer Arbeit und diverser gesellschaftlicher Ereignisse abgelenkt und all das hält uns oft pausenlos in Atem. Als Gesellschaft beginnen wir erst jetzt allmählich, mehr Selbstfürsorge zu praktizieren und zu lernen, was wir für unsere seelische Gesundheit tun können; aber die oben beschriebenen Rituale unseres modernen Lebens sind oft fest in unseren Alltag eingeplant, so wie Kurse oder Trainingseinheiten. Doch genau wie das Leben selbst erfordert auch Rén ein lebenslanges Bemühen, anders kann man die Früchte dieser Lebensphilosophie nicht genießen. Im Gegensatz zu speziellen Achtsamkeitstechniken oder Persönlichkeitsentwicklungskursen (die ganz hervorragend sind und die man auch im Rahmen seiner Beschäftigung mit Rén praktizieren kann), gibt es bei Rén kein tägliches oder allmählich immer schwieriger werdendes Übungsprogramm. Als Philosophie erfordert Rén Konzentration und Einsicht. Beides wird mit der Zeit in uns wachsen und immer stärker werden, je intensiver wir uns mit dieser Philosophie beschäftigen und ihre Prinzipien in unserem Leben anwenden.

Mithilfe klarer ethischer Prinzipien, die sich auf Konfuzius’ Rén-Lehren stützen, können wir übrigens auch unsere Ängste vor den Erwartungen abbauen, die die moderne Gesellschaft an uns stellt und die uns heutzutage mehr Energie kosten als je zuvor. Wenn wir Onlinemedien konsumieren und Nachrichten hören oder lesen, wird von uns erwartet, dass wir moralische Urteile über diese Inhalte fällen – oft ohne überhaupt die Zeit oder die Möglichkeit zu Recherchen zu haben, um uns ein Verständnis der Themen zu erarbeiten, um die es dabei geht. Wenn wir mithilfe der Rén-Lehren erkennen, wie sich unser Handeln auf uns selbst und auf die Welt um uns herum auswirkt, gewinnen wir mehr innere Klarheit und können unsere Ängste und Zweifel besser in Griff bekommen – und das ist eine Lektion, die in unserer heutigen Zeit sicherlich allen Menschen weiterhilft.

UNTERSCHIEDLICHE DENKWEISEN

Im Geschichtsunterricht wird häufig gelehrt, dass der Mensch von Natur aus egoistisch sei und von Eigeninteresse geleitet werde; diese Sichtweise spielt vor allem in der westlichen Philosophie eine wichtige Rolle. Der englische Philosoph Thomas Hobbes schreibt in seinem Werk Leviathan, in dem er dieses Konzept erörtert, dass die »selbstgewählten Handlungen eines jeden Menschen darauf abzielen, sich selbst etwas Gutes zu tun«. Sigmund Freud, der Begründer der Psychoanalyse, ging sogar noch einen Schritt weiter und bezeichnete in seinem Buch Das Unbehagen in der Kultur die Zivilisation als menschliche Errungenschaft, die im Gegensatz zur menschlichen Natur stehe und in der die Menschen naturgemäß unglücklich seien, weil sie unter dem Zwang der unterdrückerischen, aber notwendigen zivilisatorischen Kräfte gezwungen seien, ihren wahren instinktgeleiteten/egoistischen Charakter aufzugeben.

Es gibt jedoch auch ein paar Gegenstimmen zu dieser Vorstellung, dass Menschen von Natur aus schlecht sind. In seinem Buch Im Grunde gut: Eine neue Geschichte der Menschheit untersucht Rutger Bregman die historischen Argumente, die zu dem Glauben an das Schlechte im Menschen geführt haben, und kommt zu der aus seiner Sicht realistischen, aber gleichzeitig auch revolutionären Schlussfolgerung, dass die Menschen gut sind. Und Bregman ist nur einer von vielen westlichen Denkern, die von der Prämisse ausgehen, dass der Mensch von Natur aus gut ist. Zu diesen positiven Denkern gehört auch Jean-Jacques Rousseau, der mit seiner politischen Theorie des »Gemeinwillens« die Ausbreitung des Gedankens der Aufklärung in ganz Europa befördert hat. Nach Rousseaus Meinung ist »ein Mensch von Natur aus genauso gut wie jeder andere, [und] ein Mensch kann auch ohne Tugend und ohne jede Anstrengung gut sein«.

Diese optimistische Sichtweise des menschlichen Charakters hat sich jedoch nicht so stark durchgesetzt wie die pessimistische.

Die westliche Psychologie wird im Wesentlichen zwei verschiedenen Denkschulen zugeordnet:

Psychologischer Egoismus: Unsere Motive orientieren sich stets an unserem Eigeninteresse. Psychologischer Altruismus: Es ist durchaus möglich, wahrhaft selbstlose Motive zu haben.

Im östlichen Denken – vor allem in der Gedankenwelt, die auf den Konfuzianismus (sowie den Taoismus und den Buddhismus) zurückgeht – gelten diese beiden Denkschulen nicht als Gegensätze. Die östliche Sichtweise ist differenzierter: Sie erkennt, dass egoistischen Handlungen altruistische Motive und altruistischen Handlungen egoistische Motive zugrunde liegen können – wichtig ist nur, dass wir uns unserer Handlungen und Motive bewusst sind.

Im östlichen Denken beruht Rationalität auf den Lehren von Gleichgewicht und Harmonie; darin unterscheidet sich diese Denkweise vom westlichen Konzept der Rationalität, das sich aus der griechischen Mythologie entwickelt haben soll. Die griechische Kultur ist von Dualismen wie Mensch/Gott, ewig/sterblich oder gut/böse geprägt, und man geht davon aus, dass diese Kultur die Wiege des westlichen Denkens war, während China schon sehr viel früher eigene Vorstellungen von Vernunft entwickelt hat, die nicht auf Gegensätzen, sondern auf Gleichgewicht und Harmonie beruhen.

Dieses Gleichgewicht spielt für Rén eine sehr wichtige Rolle. In Rén können wir durch eine Lebensphilosophie, die auf unserer Beziehung zur Welt beruht, zu Vollkommenheit gelangen – und zwar nicht, indem wir uns auf Altruismus und altruistisches Handeln konzentrieren, sondern indem wir akzeptieren, dass Perfektionismus eine Reise und kein Ziel ist. Konfuzius selbst lagen Lernprozesse sehr am Herzen; er hat immer wieder darauf hingewiesen, welche Vorteile lebenslanges Lernen uns bringt. Dieser Philosoph hielt das Leben für ein »Mandat des Himmels«; somit war es in seinen Augen ungeheuer wichtig, »richtig« zu leben – verantwortungsbewusst, entschlossen und im Einklang mit Rén. Für Konfuzius ist Lernen eine lebenswichtige, von ganz oben verordnete Verantwortung – unsere naturgegebene Pflicht, aus der er seine Lehren über Rén entwickelt hat.

In seinen Augen sind soziale und politische Beziehungen keine Gegensätze, sondern eng miteinander verflochten. (Politik ist Machtausübung aufgrund von Position oder Status, die der jeweiligen Beziehung und den jeweiligen Umständen entsprechend auf unterschiedliche Weise praktiziert wird.) In unseren soziopolitischen Beziehungen zu einem harmonischen Gleichgewicht zu gelangen, ist das Kernkonzept von Rén; und dieses Konzept beruht auf Konfuzius’ Glauben an das Gute im Menschen. Konfuzius war der Meinung, dass Menschen von Natur aus gut sind, instinktiv in jeder Situation das Richtige tun wollen und nur durch Mangel an Wissen und Einsicht daran gehindert werden. Mit seinen Lehren will er uns auf unserem Weg zu Rén anleiten und uns diese Reise erleichtern, wissend, dass in jedem Menschen ein guter Kern steckt.

» Zuverlässigkeit, Entschlossenheit, Bescheidenheit und vorsichtige Zurückhaltung in unserer Sprache bringen uns Rén näher.

GESPRÄCHE, 13:27



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