Resilienz im Erwachsenenalter - Bernhard Leipold - E-Book

Resilienz im Erwachsenenalter E-Book

Bernhard Leipold

4,4

Beschreibung

Die Psychologie der seelischen Widerstandskraft Resilienz ist in mehreren Fächern der Psychologie ein wichtiges Thema und auch außerhalb der Universitäten längst ein Trend. Dieses Lehrbuch stellt Konzepte und Forschungsergebnisse über Resilienz im Erwachsenenalter vor: von den Ursachen und Rahmenbedingungen bis hin zur Förderung in der späteren Berufspraxis. Die Psychologie der Lebensspanne bildet dabei den fächerübergreifenden Rahmen, der zu einem umfassenden und vertieften Verständnis psychischer Widerstandsfähigkeit beiträgt. Didaktisiert mit Marginalienspalte, Übungsfragen und Glossar

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Seitenzahl: 355

Veröffentlichungsjahr: 2015

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utb 4451

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PD Dr. Bernhard Leipoldvertritt die Professur für Entwicklungs- und Gesundheitspsychologie an der Universität der Bundeswehr München.

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek

Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über <http://dnb.d-nb.de> abrufbar.

UTB-Band-Nr.: 4451

ISBN 978-3-8252-4451-4

© 2015 by Ernst Reinhardt, GmbH & Co KG, Verlag, München

Dieses Werk einschließlich seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne schriftliche Zustimmung der Ernst Reinhardt, GmbH & Co KG, München, unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen in andere Sprachen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen.

Printed in Germany

Einbandgestaltung: Atelier Reichert, Stuttgart

Covermotiv: © Pupkis – Fotolia.com

Satz: JÖRG KALIES – Satz, Layout, Grafik & Druck, Unterumbach

Ernst Reinhardt Verlag, Kemnatenstr. 46, D-80639 München

Net: www.reinhardt-verlag.de E-Mail: [email protected]

Inhalt

Hinweise zur Benutzung dieses Lehrbuches

Ganz normale Magie – Geleitwort von Werner Greve

Vorwort

1 Einführung

1.1 Psychische Widerstandsfähigkeit und positive Entwicklung trotz widriger Umstände

1.2 Fragestellungen und Inhalte des Buches

1.3 Historische Vorläufer und verwandte Konzepte

1.4 Die Struktur der Resilienz

1.5 Methodische Grundkenntnisse

1.5.1 Korrelative Studien

1.5.2 Studien mit systematisch variierten Gruppen

1.6 Zusammenfassung

1.7 Fragen zum Stoff

2 Rahmenbedingungen der Resilienz: Ursachen, Konsequenzen und Bewertungskriterien

2.1 Die Psychologie der Lebensspanne als Rahmenperspektive

2.2 Herausforderungen und Krisen im Erwachsenenalter

2.2.1 Gesundheit und körperliche Funktionstüchtigkeit

2.2.2 Soziale Erwartungen: Entwicklungsaufgaben und -übergänge

2.2.3 Kritische Lebensereignisse und traumatische Erfahrungen: Zufall und Unberechenbarkeit

2.2.4 Historische und kulturelle Ereignisse

2.3 Reaktionen auf Stress und Kriterien positiver Entwicklung

2.3.1 Körperliche Reaktionen auf Stress

2.3.2 Subjektives Wohlbefinden

2.4 Zusammenfassung

2.5 Fragen zum Stoff

3 Ressourcen der Adaptation

3.1 Persönlichkeitsunterschiede

3.1.1 Personenorientierter Ansatz

3.1.2 Stabilität von Persönlichkeitseigenschaften und Resilienz

3.2 Bewältigungsressourcen

3.2.1 Relationaler Ansatz

3.2.2 Formen von Bewältigung

3.3 Altersunterschiede

3.3.1 Bewältigung im Erwachsenenalter und Alter

3.3.2 Langfristige Altersunterschiede und Veränderungen auf der Prozessebene

3.3.3 Die Rolle des Alters im Bewältigungsprozess

3.4 Soziodemografische Faktoren und soziale Normen

3.4.1 Soziodemografische Faktoren

3.4.2 Soziale Normen

3.5 Soziale Unterstützung

3.6 Zusammenfassung

3.7 Fragen zum Stoff

4 Entwicklung und Handeln

4.1 Entwicklung als Adaptation und Handeln

4.2 Intentionale Selbstgestaltung

4.2.1 Intentionale Selbstentwicklung

4.2.2 Übergreifende Themen und Funktionen der intentionalen Selbstentwicklung

4.2.3 Ziele und Volitionen

4.2.4 Volitionspsychologische Ansätze

4.3 Möglichkeiten und Grenzen intentionaler Selbststeuerung

4.3.1 Die Steuerung von emotionsregulierendem Coping

4.3.2 Grenzen der intentionalen Kontrolle: Automatische Selbstregulation

4.4 Ein ordnungsgebender Rahmen: Adaptive Prozesse ermöglichen Resilienz

4.5 Zusammenfassung

4.6 Fragen zum Stoff

5 Die Förderung von Resilienz in der Praxis

5.1 Prävention und Intervention

5.2 Psychologische Frühintervention und Krisenintervention

5.3 Spezifische Interventionen bei der Behandlung von Traumata

5.4 Prävention und Intervention in den Gesundheitswissenschaften

5.4.1 Kognitive und gesundheitsbezogene körperliche Trainings

5.4.2 Training von Bewältigungskompetenzen

5.4.3 Interventionen zur Förderung sozialer Beziehungen

5.4.4 Musikalische Interventionen (von Tim Loepthien)

5.5 Intervention, Entwicklung und Handeln

5.6 Zusammenfassung

5.7 Fragen zum Stoff

6 Ausblick

Glossar

Literatur

Register

Hinweise zur Benutzung dieses Lehrbuches

Zur schnelleren Orientierung werden in den Randspalten Piktogramme benutzt, die folgende Bedeutung haben:

 

Begriffserklärung, Definition

 

Beispiel

 

Forschungen, Studien

 

Medienlink, Informationsquelle

 

Fragen zur Wiederholung am Ende des Kapitels

Ganz normale Magie – Geleitwort von Werner Greve

Es ist oft zweischneidig, wenn Begriffe Karriere machen. Die Konnotationsinflation, die mit breiter Verwendung regelmäßig einhergeht, wird dem Bemühen um Genauigkeit entgegenwirken, und die fachgrenzenüberschreitende Popularität einer Idee bahnt nicht selten den Weg zur unbestimmten Metapher. Andererseits dient es einer ungewöhnlichen Idee, wenn Viele sie bedenken, denn die Chance auf substanzielle Kritik an ihr steigt mit ihrer Bekanntheit, und nur durch Kritik kann Klarheit gewonnen werden.

In jedem Fall sinkt mit der Konjunktur eines Konzeptes die Übersichtlichkeit der Debatte, und so ist es ein durchaus anspruchsvolles Unterfangen, ihren Stand in einer synoptischen Monografie zusammenfassen zu wollen. Das Dilemma zwischen Fairness und Position, die Notwendigkeit, gerecht sein zu wollen und gleichzeitig selektiv sein zu müssen, erschwert die Aufgabe. Aber was soll man machen, wenn das Thema unwiderstehlich ist?

Und dieses Thema ist unwiderstehlich. Warum gelingt es manchen Menschen manchmal, Umstände umstandslos zu meistern, die den meisten schwer zu schaffen machen, Krisen zu durchlaufen, ohne dass sie selbst oder andere spüren, dass es eine Krise hätte werden können? Dieses faszinierende Phänomen eben bezeichnet der Begriff der „Resilienz“: Belastungen nicht belastend zu finden, an denen alle anderen schwer tragen. Völlig klar: Wenn wir besser verstehen würden, was Resilienz ausmacht, wie sie entsteht, was günstige Bedingungen für sie sind, dann könnten wir all jenen vielleicht helfen, für die Belastungen belastend, Krisen kritisch, Hürden unüberwindlich, Konflikte lähmend sind. Nichts könnte wichtiger sein, denn „all jene“ – sind wir selbst.

So scheint es uns jedenfalls. Denn mit den meisten Krisen kommen die meisten von uns nicht gut zurecht – so denken wir. Aber ist das wirklich so? Erinnern wir uns nicht deswegen an Krisen, weil sie kritisch waren, und vergessen die, die andere so erlebt hätten, wir aber nicht? Haben wir solche Krisen, die für uns keine wurden, womöglich erst gar nicht bemerkt? Sind wir, womöglich, selbst resilient, jedenfalls mitunter? Wenn es so wäre: Woran könnten wir das erkennen?

Theoretische Herausforderungen

„Ein Bumerang ist, wenn man ihn wegwirft, und er nicht zurückkommt, dann war’s keiner.“ Seltsamerweise ist diese Definition nicht seltsam (abgesehen von der Grammatik), es macht keine Mühe, sie zu verstehen. Offenbar ist ein Bumerang etwas, das zurückkommt, wenn man es (auf die richtige Weise) wegwirft. Warum kommt der Bumerang zurück? Nun, wenn man ihn wegwirft, und er kommt nicht zurück, dann ist es eben keiner. So verführerisch einfach das klingt, es gibt hier offenbar ein ernstes Problem: Das ist keine Erklärung. Gewiss, wenn er nicht zurückkommt, ist es kein Bumerang, aber damit ist nicht erklärt, warum er zurückkommt, wenn er einer ist. Man nennt Dinge, die zurückkommen, Bumerang, aber das ist nur ihr Name, nicht die Erklärung.

Resilienz bezeichnet den Umstand, dass Menschen unter Umständen Belastungen oder Herausforderungen schadlos überstehen, die anderen Menschen schwer und lange zu schaffen gemacht oder sie sogar nachhaltig geschädigt hätten. Das ist bemerkenswert, höchst interessant, aber es ist keine Erklärung. Gewiss, die Konstellationen, in denen die Schädigung doch eintritt, nennen wir deswegen dann gerade nicht „Resilienz“ – aber das hilft eben nicht weiter: Wir wollen gerne wissen, warum und wie man potentiell schädigende Umstände gut überstehen kann.

Dies genau ist das Anliegen von Bernhard Leipolds Buch: Der Versuchung zu widerstehen, eine tautologische Eigenschaftserklärung zu formulieren (etwa: „Es ist eben die individuelle Eigenschaft ‚Resilienz‘, die diese Menschen so resilient sein lässt.“), sondern stattdessen nach den zugrunde liegenden Prozessen und Mechanismen zu fragen, die seitens der betroffenen Personen dazu beitragen, dass sie in einer Konstellation von Herausforderungen und Umständen resilient bleiben.

Es ist klug, hierzu mehr als einen Ausgangspunkt zu wählen und verschiedene historische und systematische Entwicklungslinien des Resilienzkonzeptes zu verfolgen. Zunächst entsteht so ein facetten- und detailreiches Bild der Herausforderungen und Erträge, die mehr als ein halbes Jahrhundert psychologischer Resilienzforschung erbracht haben. Wenn man das Buch von Bernhard Leipold liest, wird man viel darüber erfahren, welche Wege die Suche nach der Erklärung von Resilienz gegangen ist, und eben dadurch viel darüber, wie weit das Fach in dieser Zeit auch schon gekommen ist. Manches war gleichzeitig, nicht alles konvergent, nicht wenig auch kontrovers, und längst nicht alles ist geklärt. Aber auch wenn das Bild auf diese Weise bunt(er) geworden ist – es ist auch schärfer geworden.

Die Polyvalenz der Resilienz

Aber es steckt mehr im Thema, und in Bernhard Leipolds Buch, als eine Synopse der Geschichte der Resilienzdebatte. Beim genaueren Besehen zeigt sich, dass zentrale Fragen der Entwicklungspsychologie – die Spannung zwischen Stabilität und Wandel, die Auslösebedingungen für Veränderung, um nur zwei Beispiele zu nennen – ebenso zwanglos wie anschaulich als Implikationen von Resilienz behandelt werden können.

Sind beispielsweise nicht „kritische Lebensereignisse“ genau die Sorte von Erfahrungen, bei denen sich Resilienz erweisen kann, muss? Oder gerade nicht? Sind kritische Lebensereignisse nicht deswegen (und nur dann) „kritisch“, wenn sie die Entwicklung des betroffenen Menschen nachhaltig verändern? Wenn aber dies Ereignis eine nachhaltige Wirkung hatte, dann war der, der von ihm betroffen war, jedenfalls in Bezug auf dieses Ereignis offenbar gerade nicht resilient (... ein Bumerang ist, wenn ...). Wie kann man das lösen, wie Resilienz verstehen? Wenn die Bewältigungsforschung einen Konsens erbracht hat, dann den, dass nicht das objektive Ereignis, sondern seine subjektive Verarbeitung – die schon bei der Wahrnehmung beginnt – zählt. Sind also die Personen besonders resilient, die kritische Lebensereignisse erst gar nicht erleben? Erlebt aber nicht jeder Mensch kritische Lebensereignisse, Wendepunkte im Leben, die, auch wenn sie uns im Einzelfall unerwartet treffen mögen, meistens dann doch so außerordentlich nicht sind: Scheidungen, Unfälle, Überfälle, Erkrankungen, schwere Verluste oder Enttäuschungen? Und wenn diese kritischen Lebensereignisse für die meisten von uns nicht eben dies wären: Belastungen, Bedrohungen, dann würden wir sie nicht so nennen. Die meisten von uns haben an den meisten von diesen zu kauen. Manche von uns aber nicht. Manche von uns leben trotz solcher Ereignisse, vielleicht nach kurzem Innehalten, vielleicht auch sofort, einfach weiter, als hätte es sie nicht gegeben, als wären sie keine „kritischen“ Ereignisse. In der Tat: Für diese Menschen sind sie nicht kritisch gewesen. Wie ist das nur möglich? Eben: Seit rund einem halben Jahrhundert hat sich der Begriff „Resilienz“ als Name für diese Frage eingebürgert. Und ganz gewiss hat sich die Frage, wie denn manche Menschen mit Schwierigkeiten und Belastungen fertig werden, mit denen die meisten nicht so gut fertig werden, als äußerst fruchtbar erwiesen.

Die Faszination des Themas Resilienz liegt eben darin: Einfache Antworten führen sofort ins Unwegsame. Gewinnend an dem Buch von Bernhard Leipold ist es, derartige Schwierigkeiten weder ausgespart noch übertrieben zu haben. Denn bei allen Zirkelschlussgefahren (vom Bumerang-Typus) ist das Phänomen selbst schwer zu bezweifeln: Mit Lebenskonstellationen, die die meisten von uns nicht ohne Weiteres meistern, kommen manche von uns fast mühelos zurecht. Dafür eine gute Erklärung zu finden würde, nicht zuletzt, fruchtbare Pfade für Intervention und eines Tages sogar Prävention eröffnen. Zu den Besonderheiten seines Buches gehört es, gerade dieser Perspektive hinreichend Raum, ja ein eigenes Kapitel gewidmet zu haben.

Entwicklung als Rahmen, nicht Störungen

Eines der Verdienste des Themas Resilienz ist es, den Blick einer ganzen Disziplin verändert, jedenfalls geweitet zu haben. Die klassische Perspektive der Entwicklungspsychologie war es bis weit über die Mitte des zwanzigsten Jahrhunderts hinaus, „Entwicklung“ zwingend als „Veränderung“ zu lesen: Wenn sich nichts verändert, dann kann sich also nichts entwickelt haben. Der Fokus auf Resilienz hat diese vermeintliche konzeptuelle Gewissheit nachhaltig infrage gestellt: Entwicklung kann auch erklären (helfen), warum man manchmal keine Veränderung sehen kann.

Es ist deswegen nicht nur sinnvoll, sondern tatsächlich nötig und überdies fruchtbar, Resilienz nicht einfach nur als protektiven Faktor zu sehen, als Schutzschild gegen eine ansonsten kaum vermeidliche Schädigung, sondern vielmehr als Fenster zum besseren Verständnis der grundlegenden Spannung zwischen Stabilität und Wandel. Deswegen ist es nicht nur sachlich fruchtbar, Entwicklungsregulationstheorien breiten Raum in der Diskussion zu gewähren, es führt die Diskussion auch über das Thema hinaus. So wird die Diskussion eines – auf den ersten Blick: speziellen – Themas wirklich fruchtbar.

Normale Magie

Ist Resilienz wirklich besonders? Selbst bei sehr schweren Belastungen (z.B. Gewalt- und Kriminalitätserfahrungen, schwere Erkrankungen) gelingt es vielen Menschen (tatsächlich der Mehrzahl der Betroffenen), einen Weg in ein konstruktives Weiterleben zu finden, eine Rückkehr in die Hoffnung, eine Neugewinnung lohnender Ziele. Das höhere Alter, ein Lebensabschnitt in dem Verluste sich häufen, lässt die allermeisten Menschen die allermeiste Zeit nicht verzweifeln, im Gegenteil. Offenbar ist das Wunder (der Resilienz), wie Ann Masten es treffend formuliert hat, fast alltäglich. Wir können das (fast) alle, (fast) immer schon.

Ein Grund mehr, sich von der Perspektive des Spektakulären zu verabschieden, die in Resilienz nicht das Allgemeine vermutet, sondern das Außergewöhnliche sucht. Daher ist der vielleicht überzeugendste Gedanke in Bernhard Leipolds Buch der Ansatz, von einem allgemeinen Modell der Entwicklungsregulation auszugehen, davon eben, dass wir alle fast immer resilient sind – oder besser gesagt: dass die meisten Lebenskonstellationen aus Herausforderungen, Fähigkeiten und Ressourcen die Stabilität nicht gefährden. Man spricht immer dann von „Resilienz“, wenn einmal auffällt, dass man an dieser Herausforderung auch hätte scheitern können. Nichts besseres kann man von einem Überblicksbuch sagen: dass es, durch den Überblick, den Blick verändern kann. Entwicklung kann sich, je nach Perspektive, in Beharrung zeigen. Gern mag man auch dem Buch selbst in diesem Sinne Bestand wünschen.

Hildesheim, den 8. März 2015

Prof. Dr. rer. nat. Werner Greve

Universität Hildesheim, Institut für Psychologie

Vorwort

Resilienz, ein bereits populär gewordenes Thema, ist der Gegenstand des vorliegenden Buches. Es geht um die vielversprechend klingende, aber gleichzeitig schwierig zu beantwortende Frage, wie die Bewältigung von sehr belastenden Lebensumständen (Krisen, Traumata) gelingen kann. Bei der Behandlung des Stoffes und Sichtung der mittlerweile sehr umfangreichen Fachliteratur wurden unterschiedliche Schwerpunkte gesetzt.

Einer konzentriert sich auf das Problem der Entwicklung von Resilienz. Emmy Werner hat sich um die Erforschung von Resilienz verdient gemacht und den Begriff entscheidend geprägt. Sie machte darauf aufmerksam, dass es unterschiedliche Ressourcen gibt, die sich gegenseitig ergänzen und schließlich einen Bewältigungsprozess positiv verlaufen lassen können. Ein entwicklungspsychologischer Blick sollte zum besseren Verständnis beitragen:

„Um das Phänomen der Resilienz zu verstehen, brauchen wir eine Zeitperspektive, da Resilienz keine Persönlichkeitseigenschaft ist, sondern das Endprodukt von Prozessen, bei denen es nicht um die Beseitigung, sondern das ‘Abfedern’ von Risiko und Stress und somit um die Ermöglichung eines erfolgreichen Umgangs damit geht.“ (Werner, 2007a, S. 48)

Dass man das Risiko bzw. das Problem oft nicht völlig beseitigen kann, ist zwar schade, trifft aber das Thema im Kern. Schließlich meint man, wenn von Resilienz die Rede ist, den Umgang mit gravierenden Belastungen und nicht den Umgang mit kleineren alltäglichen Aufgaben. Jeder Lebensabschnitt beinhaltet Herausforderungen, die man aufgrund des Alters von Personen erwarten kann, und Risiken (z.B. schwere Unfälle, Verluste), die unverhofft eintreten können. Im Folgenden geht es um Resilienz im Erwachsenenalter, dem Altersbereich, der in der Forschungsliteratur weniger Beachtung gefunden hat als das Kindesalter.

Ein weiterer Schwerpunkt liegt auf der Behandlung psychologischer Prozesse, was meinem persönlichen Bildungsweg geschuldet ist. Biologische, medizinische oder etwa soziologische Aspekte werden zwar angesprochen, aber nicht in der gleichen Ausführlichkeit behandelt wie die kognitiven, motivationalen und emotionalen Prozesse der Bewältigung. Für die Darstellung des Themas Resilienz aus der Perspektive von angrenzenden Fächern muss auf deren jeweils eigene Literatur verwiesen werden.

Worum geht es im Einzelnen? Das erste Kapitel befasst sich damit, was unter Resilienz verstanden wird. Es behandelt die Struktur von Resilienz sowie verwandte Konzepte und führt in methodische Grundkenntnisse ein (korrelative Studien, Studien mit Kontrollgruppen und experimentelles Vorgehen). Man soll die Aussagekraft, die Schwierigkeit und Grenzen empirischer Studien beurteilen können, die Hinweise auf Resilienz geben. Die vorliegenden Studien wurden mit unterschiedlichen Zielsetzungen und Inhalten konzipiert und leisten einen spezifischen Beitrag zur Erforschung von Resilienz.

Das zweite Kapitel behandelt die Rahmenbedingungen der Resilienz samt Ursachen und Konsequenzen. Die Psychologie der Lebensspanne dient dabei als theoretischer Rahmen und verstärkt den entwicklungspsychologischen Blick dafür, dass es um Veränderungen und Prozesse geht. Resilienz ist nicht einfach schon da, sondern ein Produkt, das erlebte Krisen und adaptive Prozesse voraussetzt. Zu den Herausforderungen im Erwachsenenalter gehören, im positiven wie im negativen Sinn, Entwicklungsaufgaben wie der Erhalt der körperlichen Funktionstüchtigkeit oder soziale Beziehungen in unterschiedlichen Lebensabschnitten (z.B. soziale Erwartungen bezüglich der Rollenausübung im privaten oder beruflichen Kontext). Diese können sich zu kritischen Lebensereignissen und traumatischen Erfahrungen verdichten (z.B. etwa Erfahrungen mit lebensbedrohlichen körperlichen Veränderungen, aber auch den Schlichen der Diplomatie). Schließlich wird hervorgehoben, dass es sehr unterschiedliche Reaktionen auf Stress gibt (Kriterien positiver Entwicklung wie körperliche Reaktionen und die zahlreichen Facetten der subjektiven Lebensqualität, die, sofern man ihnen aufgeschlossen ist, zu Resilienz beitragen können).

Im dritten Kapitel werden die Ressourcen der Adaptation genauer beleuchtet. Es werden unterschiedliche Bewältigungsprozesse vorgestellt, die zu Stabilität führen können, die sich jedoch teilweise in Abhängigkeit des Lebensalters unterscheiden. Es wird untersucht, welche Rolle soziodemografische Faktoren, soziale Normen und Formen der sozialen Unterstützung bei der Bewältigung von Krisen und Problemen spielen.

Das vierte Kapitel befasst sich mit der intentionalen Selbstgestaltung und Selbstentwicklung. Es geht darum, inwieweit Menschen handeln, wenn sie Krisen bewältigen. Sich Ziele setzen, einen konkreten Plan fassen und strategisch umsetzen, dies wird häufig empfohlen, um Krisen erfolgreich bewältigen und Probleme beseitigen zu können. Aber wie verhält es sich mit den Prozessen und Ereignissen, die sich nicht intentional steuern lassen? Es wird gezeigt, dass automatische Prozesse der Aufmerksamkeitsregulierung und kognitive Voreinstellungen (Vorurteile, Einstellungen, Gewohnheiten, Schemata) an der Entwicklung der adaptiven Prozesse und somit auch an der Entwicklung von Resilienz beteiligt sind.

Im fünften Kapitel wird anwendungsbezogenen Fragen Raum gegeben. Es werden Konzepte der Prävention und Intervention sowie Ansätze vorgestellt, die in der Praxis mit belasteten Personen und Berufsgruppen zum Einsatz kommen und erprobt wurden. Zielgruppenbezogene Ansätze, spezifische Dienste für Risikogruppen und Bausteine präventiver und therapeutischer Maßnahmen werden hier behandelt. Dr. Tim Loepthien widmet sich der Frage, wie Musik zu Resilienz beitragen kann.

Im sechsten Kapitel werden die Konzepte, die sich als zentral für das Zustandekommen von Resilienz erwiesen haben, noch einmal zusammengeführt: der entwicklungspsychologische Blick auf die Prozesse der Bewältigung und der Bezug zum menschlichen Handeln im sozialen und kulturellen Kontext. Die Abstimmung der persönlichen Ziele auf soziale Angebote und Erwartungen erweist sich auch im Resilienzprozess als wichtige Aufgabe.

Schließlich möchte ich den Personen danken, die an der Entstehung dieses Buches in seinen unterschiedlichen Entwicklungsstadien mitgewirkt haben. Wertvolle Hinweise zu einer früheren Fassung der Manuskriptteile haben Herr Niklas Bayer, Herr Torsten Birk, Frau Dr. Cathleen Kappes, Herr Maurice Landré und Frau Barbara Loidl gegeben. Mein Dank gilt nicht zuletzt dem Ernst Reinhardt Verlag für die effektive Zusammenarbeit, namentlich Frau Franziska Thiel und Frau Ulrike Landersdorfer, die diesem Buchprojekt den ersten Impuls gegeben, es freundlich begleitet und entscheidend vorangebracht hat.

Donaueschingen im März 2015

Bernhard Leipold

1 Einführung

Das vorliegende Kapitel führt zunächst in das Konzept der Resilienz ein. Resilienz wird im Folgenden schwerpunktmäßig aus Sicht der Psychologie behandelt und es werden damit verbundene Frage- und Problemstellungen vorgestellt. Dies geschieht insbesondere aus entwicklungspsychologischer Sicht, wobei das Erwachsenenalter im Vordergrund stehen wird. Nach der Einführung in das Problem werden historische Vorläufer der aktuellen Resilienzforschung vorgestellt und ein vorläufiges Arbeitsmodell vorgeschlagen, das sich als ordnender Rahmen zur Untersuchung von Resilienzphänomenen eignet, und anhand dessen die Vielzahl an Studien und Befunden zum Thema Resilienz im weiteren Verlauf des Buches dargestellt, vertieft und diskutiert wird. Schließlich werden methodische Zugänge eingeführt, die zur Beurteilung der Aussagekraft der zahlreichen nachfolgend dargestellten empirischen Studien beitragen.

1.1 Psychische Widerstandsfähigkeit und positive Entwicklung trotz widriger Umstände

Zahlreiche Publikationen und Überblicksarbeiten zur psychischen Resilienz beziehen sich auf die amerikanische Entwicklungspsychologin Emmy Werner und machten ihre Untersuchungen, insbesondere die an Kindern auf der Hawaii-Insel Kauai, zu den weltweit bekanntesten zum Thema (Werner, 1993, 2007b). In einer Längsschnittstudie über einen Zeitraum von mehreren Jahren wurde gezeigt, dass sich Kinder, die teilweise auch mehreren bedrohlichen sozialen, körperlichen oder biologischen Faktoren ausgesetzt waren (z.B. Armut, Komplikationen bei der Geburt), im Durchschnitt erwartungsgemäß ungünstiger entwickelten als Kinder, die nicht mit vergleichbaren Risikofaktoren konfrontiert gewesen waren. Vor diesem Hintergrund ist es geradezu bemerkenswert, dass es dennoch manchen Kindern gelang, sich trotz zahlreicher Risikofaktoren positiv zu entwickeln, d.h. sie wurden später nicht auffallend delinquent und zeigten auch kaum psychische oder gesundheitliche Beeinträchtigungen.

Resilienzbegriff

Man spricht in der Psychologie von Resilienz, wenn eine erfolgreiche Anpassung gelingt, obwohl widrige Umstände vorliegen (Greve & Staudinger, 2006; Masten & Wright, 2010; Masten et al., 1990). In einem allgemeineren Sinn bezeichnet Resilienz auch die Fähigkeit, mit Veränderungen umgehen zu können, lässt sich dann aber kaum von Konzepten wie Coping/Bewältigung, Plastizität oder Selbstregulation unterscheiden.

Medienlink: Einführung in die Resilienz: Bei dem folgenden Beitrag handelt es sich um ein Interview mit dem Psychologen Denis Mourlane, in dem einige zentrale Facetten des Resilienzkonzepts vorgestellt werden. Es informiert anhand von alltagsnahen Beispielen sehr anschaulich, durch welche psychischen Prozesse resiliente Personen gekennzeichnet sind. http://www.management-radio.de/karriere-management-resilienz/

Der Resilienzbegriff wird außerhalb der Psychologie auch in Disziplinen wie der Ökologie und der Soziologie verwendet. Wir konzentrieren uns in diesem Buch jedoch auf die psychologischen Verwendungen, die bei genauerer Betrachtung trotz gemeinsamer Elemente doch sehr unterschiedliche Akzente setzen.

Ein Blick auf die ursprüngliche Wortbedeutung von „Resilienz“ ist aufschlussreich, weil es hier schon mehrere und durchaus unterschiedliche Facetten sind, die mit dem Begriff verbunden werden. „Resilienz“ wurzelt im lateinischen Verb resilire und kann übersetzt werden mit „zurückspringen, abprallen, abspringen“, aber auch mit „sich zusammenziehen, sich verkleinern, schrumpfen“. Das klingt sportlich, verweist aber gleichzeitig auf Zurücknahme und Bescheidung. Ein verwandter Begriff, resistere, bedeutet „sich widersetzen, Widerstand leisten“. Heute würde man dabei an den Umgang mit „Krisen“ oder „Stress“ denken. Vor diesem Hintergrund wird deutlich, dass Resilienz kein Trumpf ist, der wie im Skat bei gutem Blatt von oben runter gespielt wird, um der Gegenpartei keinen Stich zu lassen. Die Verhältnisse liegen anders und es gibt keinen Anlass zu einem Durchmarsch: Resilienz bedeutet vielmehr, dass gravierende Bedrohungen, Schäden oder Verluste vorliegen (Filipp & Aymanns, 2010) und man dennoch die Kraft besitzt, Widerstand zu leisten. Die Bewältigung von alltäglichen Aufgaben und Bagatellen ist nicht gemeint.

Resilienz ist möglich und oft auch wahrscheinlich, wenn Individuen über gewisse soziale oder individuelle Ressourcen verfügen, wie es mittlerweile zahlreiche empirische Befunde belegen (Glantz & Johnson, 1999; Masten & Wright, 2010). Menschen, die zeitweise in schwierigen familiären und finanziellen Verhältnissen leben, können sich durchaus positiv entwickeln und die Herausforderungen, denen sie sich stellen müssen, erfolgreich bewältigen. Es konnte eine große Variationsbreite in der Anpassung an Herausforderungen beobachtet werden. Risikofaktoren wie gesundheitliche Beeinträchtigungen, familiäre Armut, Arbeitslosigkeit oder migrationsbedingte soziale Isolation können bewältigt und gravierende langfristige psychische Beeinträchtigungen vermieden werden.

Entwicklungspsychologische Perspektive

Allerdings sollte man einräumen, dass eine Bewältigung im späteren Lebensverlauf, also im mittleren und höheren Erwachsenenalter, unter extremen Belastungen nicht immer gelingt und individuelle Anstrengungen häufig auch scheitern. Vieles erledigt sich ja im Alter nicht einfacher als in der Jugend, und es waren Vertreter der Psychologie der Lebensspanne, die mit Nachdruck darauf hingewiesen haben, dass die Entwicklung von Gewinnen und Verlusten differenziert voneinander betrachtet werden sollten (P.B. Baltes, 1987). Resilienz aus einer entwicklungspsychologischen Sicht bedeutet, dass eine Vielzahl unterschiedlicher Faktoren und Ressourcen, die koordiniert werden müssen, zur Widerstandsfähigkeit beitragen, und sich zum Teil mit dem Alter systematisch verändern. Im Folgenden wird unter der entwicklungspsychologischen Perspektive hauptsächlich verstanden, dass es um Veränderungen von individuellen Anpassungsprozessen geht.

Resilienz beruht auf dem Zusammenspiel von persönlichen Kompetenzen (z.B. Strategien der Bewältigung, persönliche Zielstruktur) sowie sozialen Strukturen und kulturellen Förderungsangeboten (z.B. Familie, Freizeit und Beruf; Weiterbildungs- und Interventionsangebote), die zur Verfügung stehen und ihrerseits die Entwicklung von individuellen Bewältigungskompetenzen kanalisieren und beeinflussen können (Brandtstädter, 2001).

Während sozialpsychologische Zugänge stärker die Rolle der sozialen Interaktion bei Resilienz fokussieren und persönlichkeitsorientierte Ansätze häufiger von stabilen Eigenschaften (Dispositionen) und individuellen Unterschieden handeln (vgl. auch Kap. 1.3 und 3.1), wird Resilienz hier als Gegenstand von Entwicklung im Erwachsenenalter konzipiert. Resilienz wird also im Folgenden nicht als eine stabile Eigenschaft aufgefasst, über die manche Menschen in einem höheren Ausmaß verfügen als andere: Vielmehr wird sie als ein Produkt des Zusammenspiels vieler Ressourcen und psychischer Prozesse verstanden, die sich ihrerseits entwickeln. Resilienz ist ein temporärer Zustand, der erklärungsbedürftig ist. Im günstigen Fall bedeutet Resilienz eine positive Anpassung im Sinne einer Weiterentwicklung („Man wächst mit seinen Krisen.“), oder sie bedeutet, dass der Status quo in gewissen Lebensbereichen aufrechterhalten werden kann, obwohl andere beeinträchtigt sind (Leipold & Greve, 2009; Staudinger et al., 1995). Im weniger günstigen Fall wird der Schaden begrenzt, was durchaus auch als Erfolg gewertet werden kann. Ausschließliche Verluste oder Abbauprozesse in schwierigen Lebenssituationen werden in der Regel nicht als Formen von Resilienz bezeichnet.

1.2 Fragestellungen und Inhalte des Buches

In diesem Buch geht es insbesondere um folgende Fragen: Wie kann Resilienz gelingen? Von welchen Faktoren und Prozessen hängt Resilienz ab? Wie entwickelt sich Resilienz im Erwachsenenalter und Alter (Reich et al., 2010)? Zur ansatzweisen Beantwortung dieser durchaus schwierigen Fragen sollen insbesondere drei Bereiche bzw. Blickwinkel genauer beleuchtet werden, die als zentral für die Genese und Beurteilung von Resilienz angesehen werden:

1 Die Risikofaktoren, die tatsächlich zu einem gravierenden Problem werden können und die individuellen Bewältigungskompetenzen herausfordern (z.B. ernsthafte Veränderungen des Gesundheitszustands, Entwicklungsaufgaben und kritische Lebensereignisse, Zustände des Ungleichgewichts; Kap. 2).

2 Die Kriterien, nach denen beurteilt wird, inwieweit Resilienz vorliegt (Konzepte wie erfolgreiches Altern, Baltes & Baltes, 1990; Baltes & Carstensen, 2003; positive Entwicklung, Brandtstädter, 2011; persönliches Wachstum und Lebenssinn, Ryff, 2013; Ryff & Singer, 1998; Kap. 2).

3 Die strukturellen Merkmale von Bewältigungsprozessen (Prozesse der Adaptation), über die Menschen verfügen, um mit ihren Problemen umzugehen. Es wird untersucht, wie die Bewältigungsprozesse funktionieren, womit diese zusammenhängen und inwieweit hier Regelmäßigkeiten zu beobachten sind, wenn Individuen ihre Reserven nutzen oder ausbauen, um den Risiken und Anforderungen zu begegnen (Kap. 3).

Resilienz aus entwicklungspsychologischer Perspektive (Greve & Staudinger, 2006) befasst sich mit den altersbezogenen Veränderungen der Risikofaktoren und der adaptiven Prozesse.

Das Buch möchte zu einem besseren Verständnis beitragen, wie das Zusammenspiel unterschiedlicher Faktoren zu Resilienz führt oder eben nicht. Zwei Konzepte sind bereits angeklungen, mit anhand derer nun Resilienz genauer bestimmt werden soll: Gleichgewicht und Prozesse der Adaptation.

Herstellung von Gleichgewicht

Ungleichgewichtszustände oder Stress verursachen adaptive Prozesse bzw. fordern sie heraus. Sind beispielsweise die eigenen Ziele blockiert und die gewohnten Handlungen führen nicht zur Lösung eines Problems, wird ein solcher Zustand als unangenehm bzw. als Bedrohung oder Herausforderung interpretiert. In zwei entwicklungspsychologischen Theorien sind die Vorstellungen zu Gleichgewicht (Äquilibration; Piaget 1975) bzw. Ist-Soll-Diskrepanzen (Brandtstädter, 2011, S. 102) zentrale Elemente. Ungleichgewichtszustände sind Störungen, und es werden Prozesse der Regulierung angenommen, die korrigierend eingreifen und ausbalancieren (Piaget, 1974, S. 14). Wenn ein Zustand des Gleichgewichts (wieder) hergestellt wurde, werden die Prozesse nicht (mehr) beansprucht.

Gleichgewicht, ein allgemeines und grundlegendes Konzept in Piagets Entwicklungstheorie, beschreibt die balancierten Zustände, die durch Prozesse der Anpassung hergestellt wurde. Im Gleichgewichtskonzept wird auch ein wichtiger Mechanismus dessen auf den Punkt gebracht, was Resilienz ausmacht: Resilienz wurde über eine erfolgreiche Anpassung trotz widriger Umstände (z.B. Entwicklungsprobleme) definiert und der Vergleich mit einer Wiederherstellung von Gleichgewicht liegt nahe.

Das Bild der Waage veranschaulicht diese abstrakte Annahme, die wichtig für das Verständnis dafür ist, wie Resilienz funktioniert. Das angemessene Verhältnis, das durch Entwicklungsaufgaben oder kritische Lebensereignisse ins Ungleichgewicht gebracht wurde und durch adaptive Prozesse ständig wiederhergestellt (balanciert) wird, ist in Abbildung 1.1 dargestellt. Das Ungleichgewicht ist hier kaum sichtbar. Das kann daran liegen, dass keine Entwicklungsprobleme vorliegen oder daran, dass die adaptiven Prozesse wirksam waren. Formen des Ungleichgewichts, womit hier zunächst sämtliche Formen von Stress, Problemen, Schwierigkeiten bezeichnet werden, welche die Kräfte eines Organismus deutlich beanspruchen, finden sich im Erwachsenenleben in vielfältigen Ausprägungen. Der Weg aus der Arbeitslosigkeit oder der Umgang mit einer nicht heilbaren Erkrankung sind zwei Beispiele, bei denen körperliche und psychologische Prozesse beansprucht werden. Albrecht Dürer gibt in seinem Holzstich dem Reiter eine stark strapazierte Waage zur Hand (Abb. 1.2). Er zeigt bewegtes und zu Ende gehendes Leben, und dass viele Krisen, zumindest Wind und Wetter, auf die Waagschalen wirken.

Abbildung 1.1: Beinahe balancierte Waage

Abbildung 1.2: Nicht balancierte Waage (Albrecht Dürer, 1498: Die vier apokalyptischen Reiter, Ausschnitt)

Insbesondere zwei psychologische Prozesse sind von Bedeutung, wenn es darum geht, Anpassung zu lernen oder zu trainieren, wie es ein Ziel praktischer Ansätze zur Förderung von Resilienz ist: die des Wollens (Erhöhung bzw. Mäßigung der eigenen Ansprüche) und die des Könnens (erfolgreiche Bewältigung im Sinne kognitiver Meisterung der Probleme). Das Verhältnis von zielbezogenem Handeln (Brandtstädter, 2011) und kognitiver Bewältigung (Piaget, 1974; Meumann, 1908) ist auch entscheidend für Resilienz.

Das erinnert an Platons Metapher der Mischung von Lust und Vernunft, in der das Gute im menschlichen Leben zu suchen ist (Gadamer, 1978/1997), in seinem Dialog „Philebos“: Weder ein Leben in Lust noch ein Leben in Vernunft ist gut, sondern nur ein aus beiden gemischtes. Erfolgskriterien für Resilienz, die das Angemessene zum Maßstab haben, haben mit dem Mittleren zwischen Extremen zu tun. Entscheidungen, die in schwierigen Situationen getroffen werden müssen, schließen einen Moment der Ungewissheit mit ein (Gadamer, 1978/1991, S. 196). Der Mensch setzt sich Maßstäbe und verbindet sein Handeln mit bestimmten Ansprüchen. Die Anwendung einer Technik erfordert mitunter Übung und fachmännische Erfahrung; häufig sind dabei bestimmte Konsequenzen des menschlichen Handelns nicht vorauszusehen, etwa wenn Interventionen zu unerwünschten Nebeneffekten führen. Was angemessen ist, lässt sich erst beurteilen, wenn man sich auf Kriterien geeinigt hat, wonach beurteilt werden soll. Zum Schwierigen und mitunter Spannenden des Lebens gehört neben der Erfahrung von Schwierigkeiten und Verlusten die (psychologische) Auslotung durch kognitive und motivationale Prozesse. Ein besseres Verständnis der Funktionsweise der adaptiven Prozesse kann möglicherweise dazu beitragen, dass man sie gezielt beeinflussen und optimieren kann.

Prozesse der Adaptation

Aus einer entwicklungspsychologischen Perspektive sind gerade die alterskorrelierten Veränderungen der biologischen Wachstums- und Abbauprozesse, die Veränderungen der sozialen Erwartungen an alternde Menschen und die systematischen Veränderungen der persönlichen Werte- und Zielstruktur inklusive des Anspruchsniveaus von Interesse (Baltes et al., 2006). Diese Veränderungen, die teilweise auch unverhofft eintreten können, etwa wenn man Opfer eines Verkehrsunfalls mit bleibenden Schäden wird, werden in diesem Buch genauer beleuchtet.

Aber was genau tun Menschen in prekären Situationen, wenn sie sich bemühen, die Umstände den eigenen Bedürfnissen anzupassen? Wie werden Pläne geschmiedet? Was passiert auf psychologischer Ebene, wenn man sich mit seiner Situation abfindet – oder besser gesagt: abfinden muss? Einen relativ breiten Raum sollen die psychologischen Prozesse der Adaptation erhalten: persönliche Ziele, Erwartungen der Selbstwirksamkeit, individuelle Kontrollüberzeugungen und emotionale Begleitumstände zählen dazu. Von diesen und weiteren Prozessen des Denkens und Problemlösens, der Wahrnehmungs- und Aufmerksamkeitssteuerung hängt es ab, inwieweit Individuen ihre Krisen und Herausforderungen meistern und auch langfristig bewältigen können (vgl. das „flexible Selbst“, Brandtstädter, 2007a).

Assimilation und Akkommodation

Piaget hat bekanntlich zwei Formen der Anpassung unterschieden, die Assimilation und die Akkommodation (Piaget, 1975). Im Falle der Assimilation sind kognitive Vorgänge gemeint, bei denen ein vorhandenes kognitives Schema auf verschiedene Situationen angewendet und beibehalten wird. So neigen Kinder im Vorschulalter häufig zu der Annahme, dass Personen, die sich auf einer anderen räumlichen Position befinden (z.B. auf der anderen Seite eines im Zimmer arrangierten Spielzeug-Gebirges), das sehen, was sie selbst aus ihrer Position wahrnehmen können. Die eigene Perspektive wird assimilativ auf andere Personen übertragen, bis gelernt wird, dass Personen, die sich woanders im Raum befinden, möglicherweise ein anderes Wahrnehmungsfeld zur Verfügung steht. Ist nämlich die Fähigkeit zur Perspektivenübernahme hinreichend entwickelt, können die Kinder „erkennen“ oder wissen, dass beispielsweise die Sicht auf die Spielzeug-Kühe verstellt sein kann, wenn man sich auf der anderen Seite des Gebirges befindet. Diese Einsicht in die verstellte Sicht kann als Akkommodation bezeichnet werden. Im Falle der Akkommodation werden bestimmte Schemata sachgemäß revidiert, sie passen sich den Gegebenheiten an.

Zwei-Prozess-Modell

Im Rahmen des Zwei-Prozess-Modells, einer ausgewogenen und differenziert formulierten Entwicklungstheorie des Erwachsenenalters, verwendet Brandtstädter (2011) die beiden Begriffe in einer anderen Bedeutung. Assimilation bedeutet hier das Festhalten an persönlichen Lebenszielen, die durch wahrgenommene Diskrepanzen zur Realität und altersbezogene Veränderungen bedroht sind. Der Fokus liegt stärker auf motivationalen und emotionalen Prozessen bei Zielbindungs- und –lösungsprozessen. Piagets Kriterium ist dagegen eher die Adäquatheit der Anpassung (Intelligenz) und der Bezug zu evolutionären Entwicklungstheorien (Piaget, 1975), weniger der motivationale Prozess, inwieweit man die eigenen Ziele verfolgen möchte oder davon ablässt. Auf der Ebene von Handlungen setzt Piaget zwar ein strukturierendes, intentionales Subjekt voraus (darin Brandtstädter ähnlich), aber eben auch eine logische Koordination und erkennendes Denken. Akkommodation im Sinne von Piaget beruht auf der Erfahrung oder lediglich der Tatsache, dass ehemals assimilative Operationen sich als korrekturbedürftig erwiesen haben. Akkommodation im Sinne Brandtstädters bezeichnet die Veränderung der eigenen Zielstruktur, die eintreten kann, wenn die Verfolgung der Ziele bedroht ist und nicht umgesetzt werden kann. Akkommodativ in diesem Sinn wäre es, wenn man sich vom Unerreichbaren abwendet und seine Konzentration auf alternative Ziele verlagert, die besser verwirklicht werden können.

Sowohl Prozesse des Denkens als auch Zielbindungen und –lösungen sind von entscheidender Bedeutung für die Entwicklung von Resilienz. Es stellt sich das Problem, wann ein Festhalten an den eigenen Zielen und wann eine flexible Zielanpassung angemessener ist. Assimilation und Akkommodation tragen jedenfalls beide dazu bei, dass Ungleichgewichtszustände wieder ausgeglichen werden.

Die Prozesse, die zur Anpassung und Balance beitragen, verändern sich mit zunehmendem Alter, sie entwickeln sich. Viele Veränderungen werden im fortgeschrittenen Alter als Verlust eingeschätzt (Heckhausen et al., 1989) und insbesondere Veränderungen der körperlichen und kognitiven Funktionstüchtigkeit erschweren die Anpassungsprozesse mitunter erheblich. Sie stellen also zum einen die widrigen Umstände dar, die Anpassungsprozesse herausfordern, können aber auch die Funktionstüchtigkeit der Anpassungsprozesse erschweren.

Inwieweit man aber von erfolgreicher Anpassung, also Resilienz, sprechen kann, hängt von der jeweiligen Messlatte, eben den Erfolgskriterien ab, die zur Bewertung herangezogen werden. Letztere müssen spezifiziert werden, wenn empirisch-wissenschaftlich belegt werden soll, inwieweit Resilienz vorliegt. Dabei geht es um Fragen wie die, ob eine Lähmung geheilt werden muss, um von Resilienz sprechen zu können, oder ob es „genügt“, sich mit der Krankheit zu arrangieren, also mit der Querschnittslähmung zu leben, ohne daran zu verzweifeln. Es geht schließlich um die Trauben von Äsop und Phaedrus, die so hoch hängen, dass man als hungriger Fuchs an sie nicht herankommt. Ist es eine Niederlage, wenn man sich eingestehen muss oder kann, dass sie außer Reichweite liegen, oder ist es ein Zeichen von Resilienz, dass man daran nicht verzweifelt?

Auch wenn der Begriff der Resilienz seit den letzten sechzig Jahren verstärkt in der Psychologie verwendet wird, wäre es vorschnell zu behaupten, dass die Fabeldichter Konjunktur haben, und zwar deswegen nicht, weil sich das Thema, die Bewältigung von Krisen, wie ein Kontrapunkt durch die Geschichte der Menschheit zieht. Seit alters her bewegen sich „Glücksrezepte“ und Empfehlungen zwischen stoischer Gelassenheit, körperlichen Trainings und strategischen Taktiken. Gleichwohl geben die empirischen Befunde der letzten Jahre ein differenziertes Bild auf die zugrundeliegenden Prozesse von Resilienz und zeigen auf, wo individuelles Gestaltungspotential ausgeschöpft werden kann und wo bislang (noch?) Grenzen liegen.

Eugen Roth hat die Aufgabe, die sich für den Einzelnen daraus ergibt, in der Nachdenklichen Geschichte in Verse gekleidet. Er macht darauf aufmerksam, dass der Umgang mit Krisen und die damit verbundene Sorge um die nachfolgenden Generationen zur Entwicklungsaufgabe des Menschen gehört.

„Ein Mensch hält Krieg und Not und Graus,

Kurzum, ein Hundeleben aus,

Und all das, sagt er, zu verhindern,

Daß Gleiches drohe seinen Kindern.

Besagte Kinder werden später

Erwachsne Menschen, selber Väter

Und halten Krieg und Not und Graus ...

Wer denken kann, der lernt daraus.“ (Roth, 1975, S. 54)

Der ironische Unterton, den man aus der letzten Zeile herauslesen kann, sei dem Dichter gestattet; er schickt sich jedoch nicht für ein wissenschaftliches Buch, wenn er so missverstanden würde, dass sich der Autor zurücklehnen kann, weil der Lauf der Dinge unterschiedliche Generationen immer wieder herausfordert bzw. zurückwirft, und sowieso jeder seines Glückes Schmied ist.

Es werden im Folgenden zahlreiche empirische Befunde zu Resilienz im Erwachsenenalter vorgestellt und teilweise auch einer Bewertung unterzogen. Die Wissenschaft mit ihren empirischen Studien kann dem Einzelnen allerdings den Lernprozess nicht abnehmen. Aber sie kann zeigen, unter welchen Bedingungen welche Konsequenzen wahrscheinlicher werden, und so auf Ansatzpunkte aufmerksam machen, die in einer anwendungsbezogenen Forschung trainiert oder modifiziert werden, um den jeweiligen Herausforderungen erfolgreich begegnen zu können.

Anwendungsbezug

Aus Sicht der Anwendungsforschung gewinnt die Frage an Bedeutung, ob und wie Resilienz gefördert bzw. trainiert werden kann (Kap. 5). In Zeiten schwerer Krisen, in Situationen der Vulnerabilität oder des Verlustes brauchen, so scheint es, viele Betroffene durchaus Unterstützung dabei, dass sie die richtigen Entscheidungen treffen. Opfer von Katastrophen, Kriegen und Gewalt sind mitunter so stark belastet, dass ihre Kompetenzen nicht ausreichen, sich allein aus eigener Anstrengung den Krisen zu widersetzen. Die Entwicklung von Präventions- und Interventionsmöglichkeiten, welche die adaptiven Prozesse fördern und damit zur Überwindung von Krisen beitragen, gehört zu den Anliegen der Gesundheitswissenschaft. Trainings, die kognitive Leistung, Handlungs- und Problemlösestrategien steigern, werden allgemein als wichtig angesehen, setzen aber in der Regel ein gewisses Ausmaß an Eigenmotivation der Betroffenen voraus, die zunächst gefördert werden muss, bevor sie aktiv werden und sich anstrengen, die Widrigkeiten strategisch zu bewältigen. Interventionen, welche jedoch Prozesse wie das Akzeptieren von nicht mehr korrigierbaren gesundheitlichen Beeinträchtigungen ermöglichen sollen, würden vernünftigerweise vielleicht weniger an der Selbstmotivierung ansetzen als vielmehr an den automatischen psychischen Prozessen, welche eine Ablösung sowie Umdeutung begünstigen und die Verlagerung zu neuen Interessen und Sinnperspektiven ermöglichen (Brandtstädter, 2000).

1.3 Historische Vorläufer und verwandte Konzepte

Der Begriff Ich-Resilienz (ego-resiliency) wurde zusammen mit der Ich-Kontrolle (ego-control) in der Psychologie bereits in den 1950er Jahren von Jack Block verwendet (Letzring et al., 2005).

Ich-Kontrolle

Die Ich-Kontrolle bezieht sich auf die Hemmung bzw. den Ausdruck von Impulsen, worin sich Personen mitunter deutlich unterscheiden, und variiert zwischen den Dimensionen der Über- bzw. Unterkontrolle. Überkontrollierte Personen halten ihre Impulse und affektiven Reaktionen in der Grundtendenz eher zurück. Sie haben Schwierigkeiten, wenn es darum geht, Entscheidungen zu treffen, schieben Belohnungen auf und sind in der Lage, Aufgaben über einen langen Zeitraum hinweg zu verfolgen, ohne sich ständig ablenken zu lassen. Sie haben sich bzw. ihre unmittelbaren Reaktionen „unter Kontrolle“, was je nach Situation vorteilhaft, aber auch mit Nachteilen verbunden sein kann. Unterkontrollierte Menschen reagieren hingegen oftmals eher impulsiv und spontan, d.h. sie sind emotional schnell erregbar, aufbrausend, eingeschnappt oder erfreut. Inwieweit das jeweils sozial angemessen ist, sei dahingestellt. Sie bevorzugen eher unmittelbare Belohnungen und lassen sich schneller ablenken.

Ich-Resilienz

Die sog. Ich-Resilienz wurde als eine weitere zentrale Facette der Persönlichkeit vorgestellt, welche die dynamische Fähigkeit von Personen bezeichnet, das Ausmaß an Ich-Kontrolle zu verändern, wenn es die Situation erfordern sollte. Sie können ihre Impulsivität anpassen, was vielfach vorteilhafter erscheint als das Verharren in einer Reaktionstendenz. Auf eine solche adaptive Kapazität bzw. Flexibilität wird noch ausführlich eingegangen, weil die Idee der Anpassung für Resilienz von zentraler Bedeutung ist.

hardiness

Ein weiteres Persönlichkeitsmerkmal, auf das in der Resilienzforschung häufig verwiesen wird (Knoll et al., 2013), ist die hardiness (Widerstandsfähigkeit; Kobasa, 1979; Maddi, 2013). Kobasa verglich zwei Gruppen von Männern, die zwar ein vergleichbares, hohes Ausmaß an kritischen Lebensereignissen erlebt hatten, aber einen unterschiedlichen Gesundheitszustand berichteten, der über eine Krankheitsliste erhoben wurde. Es zeigte sich, dass die Gruppe mit viel Stress und wenig Krankheiten (die Resilienten) über mehr Selbstverpflichtung (commitment) sowie mehr internale Kontrollüberzeugungen (control) verfügten und Veränderungen als Herausforderung (challenge) interpretierten. Dieses Persönlichkeitsmuster bezeichnete Kobasa als hardiness.

Persönlichkeitstheoretische Zugänge zeigen also unterschiedliche Merkmale (z.B. Kompetenzen, Fähigkeiten) auf, über die Personen mehr oder weniger verfügen und die zur Erklärung von Resilienz herangezogen werden. Dabei stellt sich allerdings auch die Frage nach deren Entwicklung und Beeinflussbarkeit. Maddi (2013) spricht von einem Muster von Einstellungen und Strategien (bestehend aus commitment, control, challenge), die alle drei hardiness konstituieren. Sie können seiner Ansicht nach durch die soziale Unterstützung von Eltern oder Mentoren erlernt werden, sie sind also veränderbar.

Coping

Hardiness im Verständnis Maddis weist Ähnlichkeiten mit Bewältigungsformen auf, die als problemorientiertes Coping bezeichnet wurden (Folkman & Lazarus, 1980). Vermeidende Bewältigungsformen und Verdrängung des Problems wären der gegenteilige Pol. Der Begriff „Coping“ wird sehr häufig in der neutralen Form verwendet (Wentura et al., 2002), d.h. Menschen wenden unterschiedliche Bewältigungsformen an, aber inwieweit dies mit Erfolg verbunden ist, ist eine offene empirische Frage.

Sehr häufig wird in Anlehnung an Lazarus und Folkman zwischen problemorientiertem und emotionsorientiertem Coping unterschieden (Smith & Kirby, 2011). Im ersten Fall sind Strategien gemeint, die das Problem beseitigen, im zweiten Fall handelt es sich um Bewältigungsformen, welche die emotionalen Reaktionen auf Stress verändern oder lindern. Wenn man die beiden Formen einander gegenüberstellt, wird man vielleicht schnell geneigt sein, der Problembeseitigung den Vorzug zu geben und die emotionale Bewältigung als die Form zweiter Wahl anzusehen. Gerne wird auch die Fuchsfabel so interpretiert: Besser wäre es doch, er käme an die Trauben ran! Dass er sich denkt, dass die Trauben sauer sind und deswegen seine Unzulänglichkeit nicht beklagen muss, ist nicht viel mehr als ein Zugeständnis, das aus der Not eine Tugend macht. Wenn man die (künstliche) Dichotomie so aufspannt, ist es verständlich, dass viele in der Tat dazu tendieren, die selbstgestalterische Kraft und Potenz zu bevorzugen und die Akzeptanz ihres Schicksals denjenigen zu überlassen, die zu mehr nicht in der Lage sind. Dass es Formen der Stressbewältigung gibt, die in jeder Situation anderen überlegen wären oder generell als günstig bezeichnet werden können, ist jedoch mit guten Gründen bezweifelt worden (Greve, 2008). Wir werden in Kapitel 3 noch ausführlicher darauf eingehen, wenn es um die adaptiven Prozesse geht, die zu Resilienz führen.

Stadien der Resilienzforschung

Die psychologische Resilienzforschung hat während der letzten Jahrzehnte unterschiedliche Schwerpunkte durchlaufen und eine Reihe von wichtigen Fragen untersucht. Gerade wurde das vierte Forschungsstadium durchschritten, wenn man der Zählung von Masten folgt (Masten & Wright, 2010). In den frühen Studien stand noch im Vordergrund, wodurch Resilienz charakterisiert ist, wie sie definiert und gemessen werden kann. Darauf folgte eine Fokussierung der Prozesse, die zu Resilienz führen (die Wie-Frage nach der Funktion). In einem dritten Stadium verfolgte man die Fragestellung, wie durch geeignete Interventionen die dafür nötigen Kompetenzen und skills gefördert werden können. In jüngster Zeit wurden schließlich vermehrt die Einflüsse von genetischen und neurologischen Faktoren auf die Entwicklung von Resilienz untersucht. Während man sich in den frühen Studien zu Resilienz häufig auf die Kindheit und die Untersuchung von Persönlichkeitsunterschieden konzentrierte, erfuhr das Forschungsfeld schließlich auch eine theoretische und empirische Ausweitung auf die gesamte Lebensspanne (Greve & Staudinger, 2006; Staudinger et al., 1995).

biologische Stresskonzepte

Der amerikanische Physiologe Walter Cannon und der in Wien gebürtige Mediziner Hans Selye begründeten die Stressforschung in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts (Cannon, 1932; Selye, 1936), noch bevor es ein Resilienzkonzept gab, wie es heute in der Psychologie verwendet wird. Beide interessierten sich vor allem für neurobiologische Abläufe in Stress- oder Gefahrensituationen.

Cannon prägte das Fight-or-flight-Syndrom, das die schnellen und unmittelbaren körperlichen und psychischen Anpassungsformen in Gefahrensituationen beschreibt. Kämpfen oder die Flucht ergreifen sind Reaktionsformen eines Organismus, bei denen Energie für ein Verhalten bereitgestellt wird, welches das Überleben in Gefahrensituationen sichert.

Hans Selye entwickelte in den 1930er Jahren die Grundlagen für die Stressforschung (Szabo et al., 2012). Er begründete den Begriff Stress und das allgemeine Adaptationssyndrom, ein Reaktionsmuster auf länger anhaltenden Stress. Ist ein Organismus längere Zeit Stressoren (z.B. Hunger, Hitze, Leistungsdruck etc.) ausgesetzt, kann dies kurzfristig zu einer erhöhten Widerstandskraft führen, langfristig jedoch zu körperlichen Schäden und Erschöpfung. Stresshormone wie Adrenalin und Cortisol sowie körperliche Anpassungsreaktionen verursachen zwar eine erhöhte Leistungsbereitschaft, aber ihre Aufrechterhaltung kostet den Organismus Kraft. Körperliche Anpassungen von Lebewesen in Gefahrensituationen als Stressreaktion beinhalten die Freisetzung von Adrenalin sowie Veränderungen des Herzschlags, der Atmungsfrequenz und der Muskelanspannung. Eine Dauerbelastung führt zum Nachlassen der Körperkraft und zum Zusammenbruch des Organismus. Die Funktionstüchtigkeit der biologischen Prozesse ist aus der biologischen Perspektive wesentliches Kennzeichen von Resilienz.

Salutogenese

Das Konzept der Salutogenese (Antonovsky, 1987; Bengel & Lyssenko, 2012