Respekt im Zeitalter der Ungleichheit - Richard Sennett - E-Book

Respekt im Zeitalter der Ungleichheit E-Book

Richard Sennett

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Beschreibung

Manche radikalen Denker glauben, man müsse lediglich für mehr soziale Gerechtigkeit sorgen, um auch mehr gegenseitigen Respekt zwischen den Menschen zu wecken. Aber ist das überhaupt realistisch? Zieht Selbstachtung nicht automatisch mangelnden Respekt gegenüber denjenigen nach sich, die im unbarmherzigen sozialen und wirtschaftlichen Wettbewerb die Benachteiligten sind? Bei der Suche nach Antworten greift Sennett auch auf seine eigene Lebensgeschichte zurück: Aufgewachsen in einem Ghetto von Chicago, gelang ihm zunächst mit Hilfe der Musik und dann des Studiums in Harvard der soziale Aufstieg. Erneut erweist sich Sennett als konstruktiver kritischer Geist mit Weitblick, als jemand, der mit Hilfe anschaulicher Beispiele grundlegende gesellschaftliche Veränderungen benennt.

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Richard Sennett

Respekt

imZeitalterderUngleichheit

 

Aus dem Amerikanischen von Michael Bischoff

 

Berliner Taschenbuch Verlag

 

 

 

Für Victoria und Kevin sowie für Niall

 

 

 

»… wenn die Welt immer besser wird, so ist das zum Teil auf Taten ohne historischen Rang zurückzuführen; und daß es um den Leser und mich nicht so schlecht steht, wie es sein könnte, das verdanken wir zur Hälfte den zahlreichen Menschen, die voll gläubigen Vertrauens ein Leben im Verborgenen geführt haben und in Gräber ruhen, die kein Mensch besucht.«

 

George Eliot, Middlemarch (Stuttgart 1985, S. 1136)

Vorwort

Vor einigen Jahren habe ich ein Buch geschrieben, das ein Ratgeber zu Fragen der Sozialhilfe sein sollte. Es trägt den Titel The Corrosion of Character. The Personal Consequences of Work in the New Capitalism (dt.: Der flexible Mensch). Sozialhilfeempfänger klagen oft, sie würden mit zu wenig Respekt behandelt. Doch der Mangel an Respekt, unter dem sie leiden, hat seinen Grund nicht allein in der Tatsache, dass sie arm, alt oder krank sind. In der modernen Gesellschaft finden Respekt und Anerkennung generell nur selten positiven Ausdruck.

Natürlich beruht die Gesellschaft auf dem Grundgedanken, dass wir gegenseitigen Respekt bekunden, indem wir einander als gleich behandeln. Aber kehren wir den Gedanken um: Können wir nur solche Menschen respektieren, die ebenso stark sind wie wir? Manche Ungleichheiten sind willkürlich, andere dagegen unauflöslich – zum Beispiel Unterschiede des Talents. In modernen Gesellschaften gelingt es den Menschen nicht, diese Grenzen zu überschreiten, wenn es um die Bekundung wechselseitiger Achtung und Anerkennung geht.

Die harte Seite der Gleichheit erleben die Sozialhilfeempfänger, wenn sie feststellen, dass ihr Anspruch auf Beachtung allein auf ihren Problemen, ihrer Bedürftigkeit beruht. Respekt verdienen sie nur, wenn sie nicht schwach und nicht bedürftig sind.

Wenn Sozialhilfeempfänger Selbstachtung erlangen sollen, heißt das meist, sie müssen in materieller Hinsicht für sich selbst sorgen können. Doch in der übrigen Gesellschaft hängt Selbstachtung keineswegs nur von ökonomischem Erfolg und finanzieller Unabhängigkeit ab, sondern auch von der eigenen Tätigkeit und der Leistung. Selbstachtung kann man nicht »verdienen«, wie man Geld verdient. Und auch hier kommt wieder Ungleichheit ins Spiel: Auf den unteren Sprossen der sozialen Stufenleiter kann man zwar Selbstachtung erlangen, aber diese Selbstachtung bleibt stets gefährdet.

Als ich mich dem Verhältnis zwischen Respekt und Ungleichheit zuwandte und meine Gedanken dazu niederzuschreiben begann, erkannte ich, wie stark dieses Thema mein Leben geprägt hat. Ich bin im Sozialhilfesystem aufgewachsen und konnte ihm schließlich dank meiner Fähigkeiten entkommen. Ich hatte zwar nicht den Respekt vor den Zurückgelassenen verloren, doch mein eigenes Selbstwertgefühl basierte auf der Tatsache, dass ich sie hinter mir zurückgelassen hatte. So konnte ich denn kaum als neutraler Beobachter gelten; und wenn ich ein ehrliches Buch über dieses Thema schreiben wollte, musste ich es zum Teil aus meiner eigenen Erfahrung heraus schreiben. Doch so gerne ich die Memoiren anderer lese, so ungern schreibe ich über mich selbst.

Darum wurde dieses Buch für mich zu einem Experiment. Es handelt sich weder um ein Buch über praktische Probleme der Sozialhilfe noch um eine Autobiografie im vollen Sinne des Wortes. Vielmehr habe ich versucht, meine eigene Erfahrung zum Ausgangspunkt für die Erforschung eines umfassenden sozialen Problems zu machen.

Erster TeilDie Knappheit von Respekt

 

 

 

Mangelnder Respekt mag zwar weniger aggressiv erscheinen als eine direkte Beleidigung, kann aber ebenso verletzend sein. Man wird nicht beleidigt, aber man wird auch nicht beachtet; man wird nicht als ein Mensch angesehen, dessen Anwesenheit etwas zählt.

Wenn die Gesellschaft die Mehrzahl der Menschen so behandelt und nur wenigen besondere Beachtung schenkt, macht sie Respekt zu einem knappen Gut, als gäbe es nicht genug von diesem kostbaren Stoff. Wie viele Hungersnöte, so ist auch diese Knappheit von Menschen gemacht; aber im Unterschied zu Nahrungsmitteln kostet Respekt nichts. Insofern stellt sich die Frage, warum auf diesem Gebiet Knappheit herrschen sollte.

Erstes KapitelErinnerungen an Cabrini

Die Sozialsiedlung

Anfang des 19. Jahrhunderts flohen immer mehr schwarze Amerikaner aus der Knechtschaft des ländlichen Südens in die Städte des Nordens. Zu Beginn des Zweiten Weltkriegs schwoll diese Wanderungsbewegung beträchtlich an; schwarze Männer und Frauen fanden Arbeit in der Rüstungsindustrie, und die Frauen erhielten erstmals eine Alternative zur Tätigkeit als Haushaltshilfen. In meiner Heimatstadt Chicago waren die Schwarzen bei den Weißen keineswegs beliebter als im Süden; das Erscheinen dieser neuen Industriearbeiter veranlasste die polnischen, griechischen und italienischen Einwanderer, sich von den Schwarzen zurückzuziehen, auch wenn sie miteinander arbeiten mussten. Die Stadtplaner versuchten, die Flucht der Weißen aus den nun zunehmend von Schwarzen bewohnten Stadtteilen zu verhindern, indem sie mitten in Chicago neue Wohnsiedlungen bauten, in denen eine bestimmte Zahl von Wohnungen armen Weißen vorbehalten war. Cabrini Green war solch eine ethnisch gemischte Enklave, und dort verbrachte ich einen Teil meiner Kindheit.

In späteren Jahren wurde Cabrini zum Symbol für alle negativen Seiten des sozialen Wohnungsbaus – überall Drogen und Waffen, die Rasenflächen überzogen von zerbrochenen Flaschen und Hundekot. Doch in den späten vierziger Jahren wäre diese Siedlung einem Fremden allenfalls langweilig vorgekommen – langgezogene, niedrige Kästen, deren eintönige Erscheinung durch keinerlei Schmuck aufgelockert wurde. Die Wasserleitungen funktionierten, der Rasen war grün, und in der Nähe gab es gute Schulen. »Die Zukunft schien hell« für die Schwarzen, die nach Chicago kamen, wie ein Beobachter über eine ähnliche Sozialsiedlung bemerkte; die Steinbauten ersetzten die mit Teerpappe gedeckten Baracken, in denen viele dieser Menschen im Süden gehaust hatten. Die Siedlungen wirkten wie ein Signal, dass die elende Lage der Schwarzen von der Gesellschaft endlich erkannt worden war.1 »Damals boten die Frances Cabrini Homes einfach saubere, billige Wohnungen, mit denen sich die Familien so lange zufrieden gaben, bis sie sich etwas Besseres leisten konnten«, hat meine Nachbarin Gloria Hayes Morgan dazu geschrieben.2

Den weißen Armen in Cabrini Green übermittelten die staatlichen Sozialwohnungen allerdings ein anderes Signal.

Die Rassenkonflikte hatten in Chicago schon eine lange Geschichte; im Zweiten Weltkrieg begriffen die Behörden, dass sie etwas dagegen unternehmen mussten. Als die Cabrini-Siedlung 1942 fertig gestellt war, machten die Behörden armen Weißen ein Angebot: Wenn ihr mit den Schwarzen zusammenlebt, übernehmen wir die Miete. Der Krieg hatte zu einer Wohnungsknappheit in der Stadt geführt, vor allem bei billigem Wohnraum. Wie andere vor und nach ihnen versuchten die Planer der Cabrini-Siedlung, einem großen sozialen Missstand mit den Mitteln der Sozialpolitik beizukommen, indem sie den sozialen Wohnungsbau als »Instrument« zur Bekämpfung der Rassentrennung einsetzten. Allerdings taten sie dies nicht allzu direkt; meines Wissens wohnte jedenfalls keiner der Schöpfer dieses Projekts unter uns. Und auch die damals noch kleine schwarze Bourgeoisie der Stadt lebte nicht dort. Ich weiß nicht, ob unsere Nachbarn rassistischer oder weniger rassistisch waren als andere Weiße. Doch was sie auch gedacht haben mögen, sie standen im Dienst eines von den Angehörigen höherer Schichten ersonnenen Projekts zur Rassenintegration.

Ursprünglich sollte Cabrini zu 75 Prozent von Weißen und zu 25 Prozent von Schwarzen bewohnt werden. Als die Siedlung fertig gestellt war, hatte das Verhältnis sich umgekehrt. Meine Mutter erinnerte sich, dass die Wohnungsknappheit viele Angehörige der weißen Mittelschicht in die Siedlung zwang. Statistisch bildeten sie allerdings nur einen kleinen Anteil, und sie waren die Ersten, die wieder wegzogen. Andere Weiße sollten länger in Cabrini bleiben, zum Beispiel Kriegsversehrte, die nur noch begrenzt arbeitsfähig waren. Außerdem brachten die Behörden dort einige geistig Behinderte unter, die nicht krank genug für eine psychiatrische Anstalt waren, aber auch nicht ganz auf sich gestellt leben konnten. Diese gemischte Gesellschaft aus Schwarzen, armen Weißen, Kriegsversehrten und geistig Behinderten bildete das Objekt dieses Experiments zur Rassenintegration.

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