Revolution dank Innovation - Thorsten Reiter - E-Book

Revolution dank Innovation E-Book

Thorsten Reiter

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Beschreibung

Wettbewerbsvorteil Corporate Entrepreneurship Start-ups laufen etablierten Unternehmen den Rang ab. Daher gilt es, sich die große Stärke der »jungen Wilden« zu eigen zu machen: den Unternehmergeist. Doch wie lässt sich dieser (wieder) wecken? Durch Corporate Entrepreneurship! Eine Firma, die Raum für Unternehmer im Unternehmen schafft, kann wieder mit Innovationen an die Spitze kommen. Welche Grundlagen erforderlich sind und wie Firmen diesen Wandel bereits vollziehen, erfahren Topmanager und Geschäftsführer in diesem Buch. Gespickt mit vielen Beispielen und Interviews gibt es den Startschuss für ein neues Zeitalter des Wirtschaftens!

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Thorsten Reiter

Revolution dank Innovation

Mit Corporate Entrepreneurship zurück an die Spitze!

Campus Verlag

Frankfurt/New York

Über das Buch

Wettbewerbsvorteil Corporate Entrepreneurship

Start-ups laufen etablierten Unternehmen den Rang ab. Daher gilt es, sich die große Stärke der „jungen Wilden“ zu eigen zu machen: den Unternehmergeist. Doch wie lässt sich dieser (wieder) wecken? Durch Corporate Entrepreneurship!

Eine Firma, die Raum für Unternehmer im Unternehmen schafft, kann wieder mit Innovationen an die Spitze kommen. Thorsten Reiter zeigt, welche Grundlagen erforderlich sind und wie Firmen diesen Wandel bereits vollziehen. Gespickt mit vielen Beispielen und Interviews – darunter Lufthansa, Metro Group sowie Klöckner & Co. – gibt es den Startschuss für ein neues Zeitalter des Wirtschaftens!

Vita

Thorsten Reiter, Wirtschaftswissenschaftler an der Universität St. Gallen, studierte in Deutschland, den USA und Großbritannien. Er war lange Zeit als Social Entrepreneur in der Organisation Enactus tätig. Mit seiner Unternehmensberatung Mannheim Business Consulting berät er heute Unternehmen unter anderem im Umgang mit Bewerbern und Arbeitnehmern der Generation Y.

Inhalt

Zeit für Veränderung

Vom Aussterben bedroht

Disruptive Innovation

Steve Jobs Superstar

The lnnovator’s Dilemma

Der Unterschied

Hoffnungslos verloren

Die Lösung

Eine Kampfansage

1. Entrepreneurship und der neue Zeitgeist

Zwei Welten

Die analoge Verteidigungsökonomie

Die digitale Teilungsökonomie

Kannibalismus statt Koexistenz

Corporate Entrepreneurship

Der Entrepreneur

lntrapreneure

Von kleinen Kreisen zu großen Spiralen

lsolation und Distanz

2. Ziele

Ökonomischer Ungehorsam

lnnovation ist Piraterie

Unangetastete Ozeane

Schlachtschiffe statt Enterhaken

Anregendes Setting

Bestimmung: vier Grundbedürfnisse

1. Passion: Wie entsteht Kreativität?

2. Dienst: vom Job zum Ownership

3. Berufung: ein Transformationsprozess

4. Profession: Vorstufe zu unternehmerischem Wissen

Lernen und Wissen

Entscheidendes Wissen für Entrepreneure

Vier Felder

Der unternehmerische Lernprozess

Kritische Erfahrungen

Routiniertes Lernen und Experimentieren

Lernen durch Aktion und Reflexion

Generatives Lernen

Mind the gap!

Kein einsamer Wolf

Peer Learning

Learning Networks

Bestimmung und Innovation

3. Führung

Führung auf zwei Ebenen

Führungsaufgaben des oberen Managements

Sieben Führungsaufgaben

1. Identifikation interner Unternehmer

2. Kommunikation der strategischen Zielsetzung

3. Priorisieren einzelner Projekte und aktive Unterstützung

4. Zuordnung von Mitteln

5. Evaluation und Erstellen von Key Performance lndicators

6. Bereitstellung eigener und externer Beratung

7. Selbst zur Galionsfigur des CE werden und weitere schaffen

Führungsstil des oberen Managements

Führung durch Vertrauen nach Simon Sinek

Bedürfnis nach Sicherheit

Kerneigenschaften moderner Führung

Führungsaufgaben des lntrapreneurs

1. Werben

2. Sich klonen

3. Rekrutieren

4. Schwerpunkte setzen

5. Verwalten

6. Den Hut nehmen

Der Führungsstil des lntrapreneurs

Das Führungsparadox des lntrapreneurs

Peer Leadership

Die multivariate Kausalkette des Peer Leadership

Kompetenz

Kommunikation

Vertrauen

Kooperationswille

Kooperationshandlungen

4. Unternehmenskultur

Corporate Culture

Kultur auf allen Ebenen

Vier Kulturmodelle

Chaotische Modelle

Gesteuerte Modelle

Management der Kultur im Namen der Innovation

0rganisationskulturen an den Beispielen Netflix und 3M

1. Grundwerte

2. Hochleistung

3. Freiheit und Verantwortung

Keine Begrenzung für Urlaubstage

4. Kontext statt Kontrolle

5. Lockere, aber parallele Strukturen

6. Vergütung über Marktniveau

7. Beförderung und Weiterentwicklung

Keine Kultur ohne Management

Die vier Ursprünge von Managementinnovationen

5. Strategie

Die vier Modelle des Corporate Entrepreneurship

Das Chancenmodell

Das Aktivierungsmodell

Das Förderungsmodell

Das Produktionsmodell

Die Praxis und ihre Mischformen

Strategie auf operationaler Ebene: das Business Model Canvas und Ansätze zur Innovation

Visuell schlägt textuell

Die neun Bausteine

1. Kundensegmente

2. Wertangebote

3. Kanäle

4. Kundenbeziehungen

5. Einnahmequellen

6. Schlüsselressourcen

7. Schlüsselaktivitäten

8. Schlüsselpartnerschaften

9. Kostenstruktur

Wie kann das Business Model Canvas genutzt werden?

6. Veränderungen mitgestalten

Die Aufgaben der Zukunft

Soziale Herausforderungen als Kerngeschäft

Verschmelzung von Produzent und Konsument

Zurück zur Tauschwirtschaft

Monopole auf Zeit

Teilhabe statt Besitz

Wissen als öffentliche Ressource

Fokus auf interne Stakeholder

Aufhebung der Trennung von Besitz und Verantwortung

Das Ende der Start-ups

Rück- oder Fortschritt?

Unternehmertum als Kunst verstehen

Anmerkungen

Register

Zeit für Veränderung

Die Welt gehört denen, die sie nach ihren eigenen Regeln verändern – und zwar immer und immer wieder. Diese neuen Ideen erregen nicht nur Aufmerksamkeit, sondern stören auch alteingesessene Strukturen. Egal, ob wir von der Aufklärung durch Kant, der Bürgerrechtsbewegung durch Martin Luther King oder dem Fall der Berliner Mauer, herbeigeführt durch ein Volk, das nicht länger in fremdbestimmter Separation leben wollte, sprechen. Es sind diese riskanten Ideen, die die Menschheit letztlich weiterbringen.

Vom Aussterben bedroht

Was für die Gesellschaft insgesamt gilt, gilt in gleichem Maße und mit erhöhtem Zeitdruck auch für die Welt der Wirtschaft. Um auf einem kompetitiven Niveau wachsen zu können, müssen Unternehmen sich und die eigenen Geschäftsmodelle immer wieder neu erfinden. Das Zauberwort, mit dem CEOs, Wissenschaftler und Medien in diesem Zusammenhang heute überall um sich werfen, lautet »Innovation«. Dabei ist Innovation aber keine Erfindung des 21. Jahrhunderts – schließlich mussten schon in der Vergangenheit Unternehmen effizienter und effektiver werden, um sich gegenüber der Konkurrenz durchsetzen zu können.

Ist nicht gerade Deutschland, Land der Patente und Prozessinnovationen, für diese Herausforderungen bestens aufgestellt? Große Unternehmen wie die BASF, Siemens und Bayer haben doch bereits Mitte des 19. Jahrhunderts die Welt mit ihren Erfindungen und ihrer Produktivität verändert. Diese etablierten Unternehmen haben es geschafft, die Zeit zu überdauern, durch inkrementelle Innovation, Zukäufe, Investition und Effizienzgewinne. Was haben diese Unternehmen zu befürchten? Was die letzten 100 Jahre funktioniert hat, wird doch auch heute noch funktionieren! Leider nicht.

Blicken wir doch einmal in die USA – das kapitalistische Paradebeispiel – und schauen uns die Entwicklungen der größten etablierten Unternehmen an. Wenn wir uns die Liste der Fortune 500 aus dem Jahre 1955 ansehen und sie mit der heutigen vergleichen, stellen wir fest, dass sie nicht mehr dieselbe ist: Seit damals sind fast 90 Prozent der Unternehmen aus der Liste verschwunden. Wie Owens und Fernandez in ihrem Buch The Lean Enterprise1 beschreiben, sind die Gründe hierfür vielfältig und reichen von unzureichendem Wachstum über Insolvenz bis hin zur Rückkehr in private Hand. Dieses Bild wird noch verstärkt, wenn wir das Durchschnittsalter der im Jahre 1958 und 2012 gelisteten Unternehmen vergleichen: Mitte des 20. Jahrhunderts waren die 500 größten gelisteten Unternehmen im Schnitt über 60 Jahre alt – heute, Anfang des 21. Jahrhunderts, sind sie im Schnitt gerade einmal 18 Jahre.

Disruptive Innovation

Wie kam es zu dieser Entwicklung? Nun, zum einen dadurch, dass wir heute in einer Zeit leben, in der inkrementelle Innovation auf Dauer nicht mehr ausreicht. Eine neue Form bestimmt heute, ob Unternehmen weiterexistieren oder eliminiert werden: die »disruptive Innovation«. Disruptiv sind Innovationen, die den gewohnten Pfad der technischen beziehungsweise operationalen Entwicklung verlassen – sie sprengen also sozusagen den gewohnten Pfad – und an einem komplett neuen Punkt ansetzen. Eine solche Entscheidung kann sehr risikobehaftet sein – ein möglicher Erfolg dafür jedoch umso größer.

Ein sehr frühes Beispiel für fehlende Risikobereitschaft, wenn es um das Durchsetzen von disruptiven Innovationen geht, können wir im Falle des irischen Festplattenherstellers Seagate sehen.

Beispiel

Seagate

Seit der Gründung im Jahre 1979 erreichte Seagate mit der Entwicklung der 5,25-Zoll-Festplatte in weniger als sieben Jahren ein jährliches Wachstum von mehr als 700 Millionen US-Dollar. Mit Hauptkunden wie IBM und Nutzern von IBM-kompatiblen PCs waren zukünftige Erfolge so gut wie gesichert. Einige von Seagates Ingenieuren kreierten 1984 schließlich erste Prototypen von 3,5-Zoll-Laufwerken mit einem unglaublich geringen finanziellen Einsatz vonseiten des Unternehmens. Diese waren erheblich kleiner als die bereits etablierten Laufwerke, hatten jedoch zu Beginn auch nur weniger als ein Viertel der Speicherkapazität. Daher hatten die Hauptkunden um IBM zu Beginn kein Interesse an diesem Produkt, was das höhere Management von Seagate dazu veranlasste, die Technologie nicht weiter zu fördern. Die Begründungen schlossen eine zu geringe Profitmarge sowie einen nicht ausreichenden Umsatz für neue Produktentwicklungen ein.

In der Konsequenz verließen die frustrierten Ingenieure Seagate, um Conner Peripherals zu gründen und sich ganz der weiteren Entwicklung von 3,5-Zoll-Festplatten zu widmen. Der Fokus lag dabei klar auf den sich erst langsam entwickelnden Märkten – beispielsweise portable PCs beziehungsweise Laptops –, die andere Anforderungen an die Technologien stellten; insbesondere mussten Laufwerk und Datenträger deutlich kleiner sein, worunter aber die Speicherkapazität nicht allzu sehr leiden durfte. Conner Peripherals gelang es, Letztere jährlich um 50 Prozent zu steigern, und schon zwei Jahre später konnten ihre 3,5-Zoll-Festplatten mit derselben Speicherkapazität aufwarten wie jene, die von den Hauptkunden im PC-Markt gefordert wurden. Seagate versuchte später noch einmal, mit eigenen 3,5-Zoll-Festplatten nachzuziehen, aber das Unternehmen hatte den richtigen Zeitpunkt verpasst2.

Am Ende der Geschichte wurde Seagate vom PC-Markt verdrängt, hauptsächlich von Conner Peripherals sowie Quantum – und PCs gehören heute schon fast gänzlich der Vergangenheit an. Das alte Sprichwort »Never change a winning team« ist also veraltet. Es muss heißen: »If you want your team to keep on winning, you gotta change it – over and over again!« Oder einfacher:

Merksatz

Change or die!

Steve Jobs Superstar

Woher kommt nun diese Flut an disruptiven Innovationen in den letzten Jahrzehnten? Was setzt etablierte Unternehmen dermaßen unter Druck? Die Antwort lautet: Start-ups – junge, flexible und auf Wachstum gebürstete Unternehmen, die neue Märkte aufbrechen, alte revolutionieren oder gar vollständig überflüssig machen wollen! Sie sind angetrieben von höchst motivierten Köpfen mit kreativer Durchschlagskraft und ziehen damit nicht nur Kunden und finanzielle Ressourcen, sondern auch Mitarbeiter an, von denen manch ein Konzern mit Staub auf den grauen Trennwänden im Großraumbüro nur träumen kann. Entrepreneure wie Marc Cuban, Steve Jobs und Sir Richard Branson sind Popikonen unserer Zeit, die Vorbilder nicht nur unserer Jugend. Niemand träumt mehr davon, »ein CEO wie Ackermann« zu sein – mehr und mehr Menschen wollen ihre Geschicke selbst in die Hand nehmen und die Früchte ihrer Arbeit selbst ernten: als Gründer.

Was zu Beginn der Internetblase Ende der 90er Jahre als Trend begonnen hat, ist mittlerweile eine Bewegung geworden – mit weltweit etwa 400 Millionen Entrepreneuren.3 Immer mehr Menschen zweifeln das traditionelle Arbeitssystem an, in dem sie ihre Lebenszeit absitzen und dafür mehr oder weniger gut entlohnt werden. Tief in jedem Menschen stecken kreatives Potenzial und der Drang, in diesem Sinne tätig zu werden. Etablierte Unternehmen haben bisher lediglich versucht, funktionale Einheiten zu züchten, und verschwenden Humankapital, als würde es auf Bäumen wachsen.

Als Folge tragen junge, talentierte Köpfe ihre Fähigkeiten lieber ins Silicon Valley, als mit ihnen die deutsche Wirtschaft voranzutreiben, um sich dort mit aufstrebenden Start-ups zusammenzutun, die sie königlich entlohnen und mit Komfort sowie persönlicher Freiheit nicht geizen. Die Machtverhältnisse in einer von Wissen getriebenen Volkswirtschaft haben sich verschoben: Es sind nicht mehr die Stahl- und Metallmagnaten, welche sich ihre Arbeiter unter unzähligen muskelbepackten Arbeitswilligen herauspicken können, die den Ton angeben. Es sind die kreativen Köpfe, die mittelfristig entscheiden, ob ein Unternehmen überlebt oder eingeht – um sie müssen etablierte Unternehmen heute kämpfen. Alle Macht geht in unserer Zeit vom Individuum aus: Es sind Einzelne, manchmal versammelt in kleinen Gruppen, die notwendige Ideen entwickeln, um Unternehmen retten zu können.

The lnnovator’s Dilemma

Aber nicht nur, was das Humankapital angeht, sprengen Start-ups Risse in die fundamentale Basis etablierter Unternehmen. Schon 1997 hat Clayton Christensen in seinem Buch The Innovator’s Dilemma4 die Tragik zu dominanter Größe herangewachsener Unternehmen beschrieben: Start-ups benutzen Sprenginnovationen, um Produkte und Dienstleistungen anzubieten, die die Kundenwünsche gerade so erfüllen, und dies zu einem unschlagbar günstigen Preis. Nur so können sie die marktdominierende Position bereits etablierter Unternehmen herausfordern. Haben sie einmal Fuß gefasst, fangen aber auch Start-ups an zu wachsen, bis sie schließlich selbst im Markt etabliert sind. Nun sieht das Bild vollkommen anders aus: Plötzlich haben sie einen Markt, den sie bedienen, erhalten und vor allem verteidigen müssen. Sie haben Stakeholder und Shareholder, die ihnen sagen, welche Risiken sie eingehen dürfen und welche nicht – im »besten« Fall: überhaupt keine.

Nun bleibt etablierten Unternehmen nichts weiter übrig, als effizienter zu werden. Inkrementelle Innovationen, die Prozesse optimieren, das Management effektiver und die gesamte Organisation schlanker machen, stehen nun auf der Tagesordnung. Damit verlassen sie den Pfad, den sie sich zuvor selbst mit Sprenginnovationen geschaffen haben. Sie hören auf, große wirtschaftliche Risiken einzugehen – freiwillig oder von externen Akteuren getrieben –, und sind damit Freiwild für Pioniere, die sich bereits in Stellung gebracht haben, um die mühsam zusammengehaltenen Marktanteile der etablierten Konkurrenz auszuradieren. Nicht selten wird so die größte Konkurrenz in den eigenen Reihen herangezüchtet: Wenn höchst motivierte und talentierte Mitarbeiter keine Herausforderungen sehen oder sich beschränkt fühlen – nun, dann gehen sie. Selbst das Vorzeige-Ex-Start-up Google, heute eine der wertvollsten Firmen der Welt, und Yahoo!, eines der weltweit erfolgreichsten Webportale, haben zu spüren bekommen, was es bedeutet, wenn die eigenen Mitarbeiter nicht ständig bei Laune gehalten werden.

Beispiel

Brain Drain

Google gehört zu den Vordenkern moderner Arbeitsgestaltung: Flexible Arbeitszeiten, kostenloses Essen oder Freizeiträume sind nur ein Teil der berühmten Vergünstigungen, auf die Googlianer sich freuen können; besonders reizvoll für die innovativen und kreativen Köpfe war aber sicherlich die Regelung, nach welcher jeder Mitarbeiter rund 20 Prozent seiner Zeit auf selbstgewählte Projekte verwenden konnte (was seit einigen Jahren leider nicht mehr der Fall ist, aber dazu später mehr). Doch selbst all dies konnte Evan Williams und Biz Stone nicht in der Firma halten. Die beiden Entwickler verließen Google, weil sie sich in dem großen Konzern nicht genug entfalten konnten, und gründeten zusammen mit Jack Dorsey einen Mikroblogging-Service: Twitter. Heute hat die gelistete Firma einen Wert von fast 21 Milliarden Euro – eine ganze Menge Geld, die Google sicherlich gut hätte gebrauchen können.

Ähnlich erging es auch Yahoo!, als zwei langjährige Mitarbeiter den Konzern verließen. Jan Koum und Brian Acton empfanden den Unternehmensalltag irgendwann als so frustrierend, dass sie kurzerhand kündigten, durch Südamerika reisten und dann, nach einigen Umwegen, ihr eigenes Unternehmen gründeten. Das Resultat war WhatsApp, das die beiden vor nicht allzu langer Zeit für umgerechnet 15 Milliarden Euro an Facebook verkauft haben. Brain Drain ist immer teuer, aber diese Firmen bekamen es schwarz auf weiß – und mitten ins Gesicht.

Der Unterschied

Start-ups und das damit verbundene Lebensgefühl des Entrepreneurship haben nicht nur die Ansprüche des Einzelnen gegenüber der Arbeitswelt verändert und ganze Märkte revolutioniert, sondern sie verändern unser gesamtes Wirtschaftssystem. Immer mehr Menschen gehen beispielsweise von der Idee des Privatbesitzes – die Grundvoraussetzung für einen funktionierenden Kapitalismus – weg hin zu einer Wirtschaft des Teilens (»Share Economy«), in der lediglich der Zugang zu Produkten gewährleistet werden soll. Wenn etablierte Unternehmen weiterhin existieren wollen, müssen sie diese neuen Regeln verstehen, besser noch: Sie müssen diese neuen Regeln selbst mitgestalten. Denn der grundlegende Unterschied zwischen etablierten Unternehmen und Start-ups kann folgendermaßen subsumiert werden:

Merksatz

Etablierte Unternehmen versuchen, Kunden stets das zu geben, was sie wollen. Start-ups hingegen verändern, was Kunden wollen – in ihrem Sinne.

Wer verspürte vor Twitter die Notwendigkeit, sein Leben in 140 Zeichen auszudrücken? Oder wer ahnte vor Spotify, dass kein Mensch mehr CDs im Regal oder MP3-Dateien auf seinem PC horten muss, wenn er seine Lieblingsmusik hören will? Unser Leben unterscheidet sich heute fundamental von dem vor 50 Jahren. Die Welt, wie wir sie heute erleben, ist kein Produkt logischer Fortsetzungen vergangener Innovation. Sie ist ein Mosaik aus einzelnen Ideen, die mit harter Arbeit und großer Risikobereitschaft durchgesetzt worden sind – und zwar von Einzelnen oder kleinen Gründerteams, die die starren Strukturen großer Konzerne hinter sich gelassen haben.

Hoffnungslos verloren

Der Konzern ist tot. Etablierte Unternehmen werden also in Zukunft ersetzt durch kleine, höchst spezialisierte Start-ups in einem dichten Netzwerk, das sie mit Ressourcen versorgt und von externen paralysierenden Einflüssen abschirmt? Das wäre fatal! Denn die Welt besteht trotz der Überzeugung vieler nicht nur aus Marktanteilen und Profiten, sondern auch aus überlebenswichtigen Neuerungen, die nur von finanzstarken Unternehmen gestemmt werden können – beispielsweise, wenn es um Großprojekte wie öffentliche Verkehrsmittelinnovation geht oder um Forschung im Bereich der Life Sciences. Daher ist es umso wichtiger, dass sich etablierte Unternehmen nicht durch ihre Reputation oder ihre finanziellen Ressourcen paralysieren lassen, sondern dass sie beides nutzen, um am Markt weiterhin bestehen zu bleiben, oder besser noch: um ihn immer wieder in bloßes Staunen zu versetzen.

Apple begann mit einem der ersten PCs – dem Apple I – im Jahre 1976 und hat seither nicht aufgehört, die Technologiebranche mit disruptiven Innovationen zu erschüttern: Der iPod, iTunes, das iPhone sowie das iPad haben nicht nur das Überleben des Unternehmens gesichert, sondern seine dominante Marktposition weiter ausgebaut – trotz (oder vielleicht wegen) intensivster Konkurrenz vom ersten Tag an. Aber auch IBM, Cisco und natürlich Google (trotz der zuvor angesprochenen Missgeschicke) gehören zu den Unternehmen, die scheinbar den Drang und die Risikobereitschaft der ersten Gründerzeit nie vergessen haben. Sie haben es geschafft, interne Strukturen, Prozesse und die eigene Kultur nach einem übergeordneten Ziel auszurichten: Menschen anzuziehen und zu halten, die ihre eigenen Ideen zusammen mit dem Konzern umsetzen wollen. Mehr noch: Sie unterstützen ihre Mitarbeiter mit Kapital, Risikobereitschaft und weiteren wichtigen Ressourcen, um letztlich von disruptiven Innovationen und den daraus resultierenden Produkt- und Serviceinnovationen zu profitieren – gemeinsam mit den Menschen, die diese Revolutionen losgetreten haben.

Merksatz

Das Phänomen und die einzige Möglichkeit für das langfristige Überleben etablierter Unternehmen heißt: Corporate Entrepreneurship.

Die Lösung

Was also müssen etablierte Unternehmen von Start-ups lernen, um nicht in absehbarer Zeit auszusterben? Um die Beantwortung genau dieser Frage geht es in diesem Buch. Und wir werden sehen: Es kommt auf die Individuen an, die Unternehmen halten und unterstützen müssen, damit sie zu Revolutionären ihrer Branche werden können. Aber als wäre das nicht eine Aufgabe, die in Zeiten der Hyper-Competition schwer genug ist, liegt unser Fokus nicht auf einem Land, das traditionell von Geschäftssinn und Risikobereitschaft getrieben ist (wie beispielsweise den USA) – sondern auf Deutschland. Hier haben es neue Ideen traditionell eher schwer, »the German Angst« ist ein Exportschlager und, wie wir immer wieder feststellen müssen, sind wir nicht so weltoffen und tolerant, wie wir denken. Internationale Topkräfte schlagen einen großen Bogen um unser schönes Land, und die talentiertesten unserer Köpfe brechen auf in das goldene Kalifornien oder machen einfach ihr eigenes Ding – wobei sie bisher leider mehrheitlich scheitern. Das alles hat dazu geführt, dass es Deutschland erneut nicht unter die zehn innovativsten Länder dieser Welt geschafft hat (laut Globalem Innovationsindex5 lagen wir 2014 lediglich auf Platz 13).

Das ist ein Umstand, der jeden, der den gegenwärtigen Wohlstand unseres Landes genießt, mehr als beunruhigen sollte, denn es kann nicht sein, dass begabte Geschäftsmänner abwandern und talentierte Forscher lieber kleinkalibrige Projekte angehen, weil sie ihre intellektuelle und schöpferische Freiheit in einengenden Konzernen nicht ausleben können. Es ist an der Zeit, dass wir daran etwas ändern. Wir müssen auf diejenigen schauen, die unter den Regeln dieser neuen Zeit geboren wurden: junge dynamische Start-ups – an ihnen müssen sich etablierte Unternehmen in Sachen Wachstum, disruptiven Innovationen und Humankapital messen. Um dies zu gewährleisten, ist aber auch der Einzelne gefragt:

Daher liegt ein Fokus des Buches auch ganz klar auf dem Manager, der mithilfe des Corporate Entrepreneurship zum wahren Unternehmer innerhalb des etablierten Unternehmens wird. Er muss seinen Führungsstil in Unternehmergeist umgestalten, um seine Mitarbeiter zu motivieren und Visionen zu teilen. Er muss eine Kultur schaffen, die stetiges Lernen und Aufmerksamkeit für sich verändernde Rahmenbedingungen fördert. Die strategische Ausrichtung seines Teams, seiner Filiale oder gar des ganzen Unternehmens muss an den übergeordneten Zielen von Innovation und Wachstum ausgerichtet sein. Und nicht zuletzt muss er lernen, dies in Strukturen und Prozesse zu gießen, die zwar weiterhin eine effiziente Basis bieten, aber gleichermaßen Flexibilität zulassen.

Hierfür kommen Experten aus Unternehmen, der Start-up-Szene und Managementvordenker zu Wort, und wir richten den Blick auf unkonventionelle Maßnahmen, um die übergeordneten Ziele zu erreichen, denn es wird Zeit, endlich die quartalsgeblendeten Augen zu öffnen! Im Zeitalter des Corporate Entrepreneurship müssen Trennwände fallen, und dies nicht nur zwischen den einzelnen Abteilungen des Unternehmens. Bereichs- und funktionsübergreifende Integration zwischen Marketing und Entwicklung ist ebenso essenziell wie Open Innovation zwischen Konkurrenten. Allianzen von enormer Tragweite bieten hier große Potenziale, müssen aber gekonnt eingesetzt werden, um dem großen Ziel einer nachhaltig innovativen Unternehmung beizukommen. Auch innerhalb des eigenen Unternehmens muss sich der Manager einflussreiche Verbündete sichern, die den Weg für tiefgreifende Veränderungen frei machen. Denn die Ausrichtung an Corporate Entrepreneurship ist eine Gemeinschaftsaufgabe und kann nicht im Alleingang vollzogen werden.

Hier gibt es viel von den Herangehensweisen junger Start-ups zu lernen: Welche Anreize bieten sie ihren Mitarbeitern, sodass diese in Scharen zu ihnen strömen, und was macht die Arbeit so interessant? Um der Beantwortung dieser Frage auf die Schliche zu kommen, werden in diesem Buch auch deutsche Vorstöße, Intrapreneure zu identifizieren und zu fördern, in Gesprächen mit Executives – erfolgreichen Start-up-Unternehmern sowie Mitarbeitern in Führungspositionen – thematisiert. Damit ist dieses Buch nicht nur ein Ratgeber für Manager, die endlich frischen Wind in ihre Firmen bringen wollen, sondern auch ein Mosaik der verschiedensten Erfahrungen, Best Practices und wissenschaftlichen Erkenntnisse zum Thema Corporate Entrepreneurship.

Sich vom Manager zum Unternehmer weiterzuentwickeln ist jedoch nicht nur ein Akt der Dienstliebe zum Unternehmen, der letztlich den Aktionären zugutekommt. Auch für den Manager selbst bedeutet die Transformation zum Intrapreneur eine bedeutende Entwicklung seiner professionellen Fähigkeiten – er kann die eigenen Ziele schneller und umfangreicher erreichen, diese gar übertreffen und so ein Beispiel setzen für Kollegen, Mitarbeiter und Vorgesetzte. Der Manager hat es mit diesem Buch in der Hand: Geht er mitsamt seiner Firma den Weg alles Irdischen – oder schafft er es, sich selbst und seinem Team Unternehmergeist einzuhauchen?

Eine Kampfansage

Vor allem ist dieses Buch eine Kampfansage an das veraltete deutsche Wirtschaftssystem, das dabei ist, die Zeichen der Zeit zu verschlafen. In vielen etablierten Unternehmen wurden über Jahrzehnte hinweg die falschen Persönlichkeiten nach oben befördert, eine rückwärtsgerichtete Kultur gepflegt und auf Geschäftsmodelle gewettet, die eine kurzfristige Halbwertszeit aufweisen – so driften sie führungslos von einem Quartal ins nächste. Das alles ist begründet durch eine grundsätzlich falsche Einstellung gegenüber Veränderung, die höchst innovationsschädigend ist. Getrieben von Managern, die das Wohl der Firma dem eigenen Drang nach Macht und Einfluss unterordnen, wurden Konstrukte geschaffen, die nach Selbstbedienung schreiende Buffets für Autoritäten sind.

Anstatt Neues zu kreieren sowie Mensch und Gemeinschaft voranzubringen, ist ein Gemetzel im Gange, das keinen Platz für Gewinner lässt: Auf dem Weg nach »oben« steht der emotionale Suizid noch vor dem Gang über die ersten Leichen, die als Kollateralschäden hingenommen werden. Wir blicken auf ein System, das das fundamentale Verständnis von Führung verloren hat und dennoch jedes Jahr Unsummen für einschlägige Seminare verfeuert. Wir haben es mit Managern zu tun, die glauben, ihr größtes Problem sei Herr Meier, der mit ihnen um den Teamleiterposten konkurriert – während zur gleichen Zeit etwas auf sie zukommt, das schon bald beide den Job kosten wird.

Wir müssen endlich verstehen, dass die Unternehmen in Deutschland und das Wachstum, das wir an den Tag gelegt haben, nicht länger aufgrund der Art und Weise, wie all die oben angesprochenen Aspekte angegangen werden, existieren, sondern trotz dieser veralteten Strategie und Kultur. In der Welt von morgen, die wir bereits betreten haben, ist aber kein Platz für Dinosaurier. Und wer nicht von denen lernt, die unter Einfluss dieses neuen Zeitgeists groß geworden sind, ist schon bald vom Aussterben bedroht.

1. Entrepreneurship und der neue Zeitgeist

Wir leben heute in einer Welt, die sich fundamental von der Welt, die wir Ende des 20. Jahrhunderts zurückgelassen haben, unterscheidet. Das Problem ist, dass viele gerade der etablierten Akteure das nicht mitbekommen haben. Sie arbeiten in ihrer Blase von Quartalszahlen vor sich hin, versuchen, Kosten zu drücken und Meetings effizienter zu gestalten. Technologien, die in anderen Ländern Revolutionen möglich gemacht haben, wie zu Zeiten des Arabischen Frühlings, finden nur schwer ihren Platz in diesen doch eigentlich so innovativen Monumenten des westlichen Kapitalismus. Es scheint so, als seien diese etablierten Giganten in einer vergangenen Zeit gefangen und schafften es durch ihre Trägheit nicht, sich an die Welt anzupassen, in der sie heute existieren. Auch deswegen bemühe ich in diesem Zusammenhang gerne den Vergleich mit Dinosauriern – denn es herrscht die Stille vor dem Einschlag. Die kleinen Säugetiere kriechen noch mehr oder weniger im Unterholz und haben sich an die klimatischen Veränderungen, die zufällig ungefähr zur selben Zeit eingesetzt haben, angepasst. Weder die Saurier noch die Säugetiere wissen es, aber schon bald wird es nur noch einen geben, der sich die Welt in Zukunft untertan machen wird.

Ich hätte an dieser Stelle gerne geschrieben, dass wir es im wirtschaftlichen Zusammenhang zum Glück nicht mit unaufhaltbaren Umwürfen wie einem Kometen zu tun haben und dass deshalb noch genug Zeit bleibt, von der überdimensionierten Echse zum Säugetier umzuschulen. Wenn wir uns aber nur wenige Jahre zurückerinnern – an das Jahr 2008 – wird deutlich, dass wir es mit einem System zu tun haben, das unsere Wirtschaftswelt jederzeit aus der Umlaufbahn werfen kann. Daher ist die einzige Schlussfolgerung, die sich an dieser Stelle treffen lässt: Es ist kurz vor zwölf.

Zwei Welten

Die technologischen Entwicklungen, die bereits zum Ende des 20. Jahrhunderts einsetzten, haben dazu geführt, dass sich unsere Wirtschaftswelt in zwei Teile gespalten hat: in die »analoge Verteidigungsökonomie« mit ihren Überbleibseln und die neu entstandene »digitale Teilungsökonomie«. Lassen Sie mich die beiden Welten nebeneinander vorstellen.

Die analoge Verteidigungsökonomie

Die analoge Verteidigungsökonomie beschreibt zum einen die technologische Herangehensweise und zum anderen die zugrundeliegende Kapitalismusphilosophie der etablierten Großkonzerne. Das primäre Ziel ist es, wie bereits im Innovationsdilemma beschrieben, ihre Vormachtstellung zu verteidigen. Dies funktioniert in ihrer Weltanschauung durch immer höhere Kosteneinsparungen und Bekämpfung der größten Konkurrenten. Die Kommunikation verläuft exklusiv, geregelt und inselartig, indem unilateral Partner angesprochen werden, die für spezifische Fragestellungen den höchsten Nutzen versprechen.

Die technologischen Fortschritte der letzten Jahrzehnte werden in derselben Weise übernommen wie das Verständnis von Innovation: lediglich inkrementell. Rechenleistungen, Prozesse und Planungen werden schneller und präziser – fundamental verändert hat sich jedoch nichts. Die wirklichen disruptiven technologischen Veränderungen, die eine Tiefenwirkung auf Geschäftsmodelle und ganze Märkte haben können – wie beispielsweise netzwerkgestütztes Sourcing von Informationen und Ressourcen –, finden keinen Eingang in die fundamentale Arbeitsweise der etablierten Unternehmen. Die neue Technologie wirkt wie ein mit Klebeband fixiertes drittes Stützrad am alten Drahtesel, der nun als Mountainbike fungieren soll.

Ein weiterer Bremsklotz: Soziale und ökologische Herausforderungen werden nicht als primäre Einflussfaktoren auf die Geschäftstätigkeit angesehen, ihre Bewältigung ist kein Bestandteil des Geschäftsmodells. Zwar wird die zunehmende Sensibilisierung der gesellschaftlichen Mitten (und damit vor allem des Kunden) wahrgenommen, jedoch liegen die Lösungsansätze scheinbar lediglich in PR-wirksamen CSR-Aktivitäten und einer zunehmenden BS-Rhetorik (= Bullshit-Rhetorik: eine Ausdrucksweise, die sich vom Lügen dahingehend unterscheidet, dass sie Fakten durch einen Nebel von bedeutungslosen Schlagwörtern verschleiert und so sachliche Einschätzungen unmöglich macht. Konnotationen können so die Faktenlage schönen, ohne dass auf aktives Verbreiten von falschen Tatsachen zurückgegriffen werden muss), die eine bloße Ruhigstellungstaktik verfolgen.

Themen rund um den Menschen als Individuum mit einem Anspruch auf Selbstbestimmung der eigenen Lebensgestaltung, in der die Berufstätigkeit eine Neben- und keine Hauptrolle spielt, werden nur oberflächlich schönphrasiert. Das deutsche Standardangebot geht an den Vorstellungen besonders der jüngeren Arbeitnehmer vorbei. Junge Menschen, die aufgrund ihrer Lebenssituation noch größere Risiken eingehen wollen und können, werden in den strategischen Überlegungen des Topmanagements chronisch vernachlässigt – viele Unternehmen definieren »Talente« erst nach drei Jahren Berufserfahrung: mindestens drei Jahre zu spät. Für viele stellt sich die Frage nach unternehmerischen Experimenten nämlich direkt nach dem Studium – und nicht erst mit Ende zwanzig in Zeiten erster Familienplanung. (Interessant auch zu sehen, wie das Wort »Experiment« in der deutschen Sprache über die Zeit einen negativen Einschlag erhalten hat. Sind es doch gerade Experimente, die die Menschheit vom dunklen Mittelalter in die Moderne katapultiert haben – aber hierzu mehr im zweiten Kapitel.)

Nach einigen Jahren im Beruf nimmt schließlich auch die Unzufriedenheit bei denen zu, die aufgrund ihres Geleisteten mehr erwarten, als ihnen letztlich geboten wird. An diesen beiden kritischen Punkten – also zu Beginn des Arbeitslebens und auf dem selbst wahrgenommenen »Höhepunkt« – müssen die Arbeitnehmer feststellen, dass sie lediglich Sold für Lebenszeit bekommen, nicht mehr. Diese harte Erfahrung treibt sie dann zu radikaleren Schritten. Sich über die eigene Produktivität beziehungsweise Kreativität zu definieren ist ein ureigener Charakterzug des Menschen; wenn aber das eigene Werk irgendwann nicht mehr sichtbar ist, von anderen nicht wertgeschätzt oder nicht einmal wahrgenommen wird, entfällt für viele plötzlich der Sinn dessen, was sie da tun. Gehalt reicht dann nicht mehr aus, und es öffnet sich eine Leere, die nicht geschlossen werden kann: Zum einen schluckt nicht zufriedenstellende Arbeit den Großteil der Lebenszeit, und zum anderen reicht die Zeit, die übrig bleibt, einfach nicht für höhere Bedürfnisse wie Selbstverwirklichung, sei es durch Familie, Kunst oder andere professionelle Unternehmungen, aus.

Letztlich herrscht in dieser Welt des Kapitalismus der Verteidigungsgedanke – eine Kultur gesteuert durch Angst, emotionalen Druck und kurzfristige monetäre Anreize. Da das oberste Ziel die Verteidigung und der marginale Ausbau der eigenen Vormachtstellung sind, erlaubt diese Kultur keine Fehler. Die nach dem Senioritätsprinzip funktionierenden Großkonzerne belohnen Konformität und strafen Regelverstöße hart ab – zu scheitern ist ein Makel, der sich nicht mehr aus der eigenen Karriere ausradieren lässt. Große Risiken werden daher um jeden Preis vermieden, und die Konkurrenz wird in Stellungskriegen mit Preisunterbietungen sowie inkrementellen Produktverbesserungen bekämpft bis in die Insolvenz.

Die digitale Teilungsökonomie

Dieser kalten Welt steht die digitale Teilungsökonomie gegenüber: ein Produkt des 21. Jahrhunderts. Während sich in der Verteidigungsökonomie analoge Geschäftsmodelle an die technologischen Neuerungen anpassen müssen, sind die der Teilungsökonomie erst durch die digital vernetzte Welt möglich. Gründer, die heute Unternehmen ins Leben rufen, sehen sich die Welt mit ihren Möglichkeiten an und versuchen, Nischen auf die innovativste Art und Weise zu besetzen, um so neue Produkte und Services möglich zu machen oder aber sich einen Wettbewerbsvorteil gegenüber etablierten Konkurrenten zu verschaffen. So leben sie in und von der digitalen Welt, anstatt sich ihr generisch anzupassen.

Dem zugrunde liegt eine Überzeugung, die stetige Veränderung und prinzipielle Machbarkeit als gegeben hinnimmt. Die Menschen, die diese Unternehmen vorantreiben, haben gesehen, welch gigantische Umwälzungen innerhalb weniger Jahre – gar Wochen – möglich sind. Sie haben das Ende des Kalten Krieges ebenso miterlebt wie die vermeintliche Befreiung der arabischen Welt durch Twitter, sie stehen nahezu täglich vor ehemals unvorstellbaren Entwicklungen, wie beispielsweise neuen Kriegen in Europa oder bahnbrechenden Technologien, die bisher nur aus Science-Fiction-Filmen bekannt waren.

Merksatz

Die Gründer von heute glauben nicht daran, dass alles möglich ist – sie wissen es. Denn sie haben es gesehen.

Der größte Wachstumsmotor der digitalen Teilungsökonomie ist das Netzwerk. Diese fundamental unterschiedliche Funktionsweise wirtschaftlicher Prozesse macht den Markt erst so, wie ihn der Kapitalismus seit Anbeginn seiner Zeit postuliert: reibungsfrei. Angebot und Nachfrage können erstmals zu einem tatsächlichen Gleichgewicht finden, Ressourcen transparent vom besten Zulieferer bezogen und Informationen in Echtzeit abgerufen werden.

Der grundsätzliche Netzwerkgedanke findet sich aber vor allem in der Kommunikation wieder. Sie ist meerartig, inklusiv und impulsgesteuert – also offen gegenüber allen äußeren Einflüssen, und nur die Relevanz entscheidet letztlich darüber, welche Beiträge an die oberen Stellen der Agenda »gespült« werden und welche nicht. Ideen werden offen ausgetauscht – nicht nur zwischen Firmen und Kunden, sondern auch zwischen mittelbaren Stakeholdern oder direkten Konkurrenten.

Der Teilungsgedanke liegt vielen neuen Geschäftsmodellen zugrunde und hat zur Folge, dass Expansion nicht mehr nur im klassischen Sinne vorangetrieben wird. Wir erleben eine immer größer werdende Verdichtung der Absatzmärkte – ein regelrechtes Wachstum nach innen. Das Konstrukt, das hier häufig herangezogen wird, ist das der Share Economy: ein Prinzip, das Kosten für Produkte und Dienstleistungen in den Keller treibt, indem bestehende und bisher nicht genutzte Ressourcen verwertet werden, anstatt die Grenzen des Konsums oberflächlich und teilweise auch künstlich zu verschieben (wie beispielsweise durch Konsumkredite oder die sogenannte Null-Prozent-Finanzierung, bei welcher Konsumgüter für Einkommensklassen zugänglich gemacht werden, die sich die Produkte im Grunde nicht leisten können). Egal ob Mitwohn- oder Mitfahrgelegenheiten, die über das Internet koordiniert werden, digitale Tauschbörsen oder Open-Source-Projekte: Diese neuen Konzepte stehen für mehr als bloße »nette Ideen«. Noch werden viele dieser Geschäftsmodelle durch Werbung für etablierte Firmen querfinanziert, doch schon bald werden sie diesen weit mehr abnehmen als lediglich Teile des Werbebudgets.

Die Firmen der digitalen Teilungsökonomie haben nicht nur den Vorteil, dass sie neue Technologien intuitiv für ihr wirtschaftliches Vorankommen nutzen können, sondern sie wurden auch kulturell im neuen Zeitgeist geboren. Soziale Verantwortung gegenüber Gesellschaft und Umwelt sowie den unmittelbar und mittelbar betroffenen Stakeholdern steht für sie weit oben auf der Prioritätenliste – nicht nur weil ihre Kunden dies fordern, sondern weil auch immer weniger Talente für ausbeuterische und gesellschaftlich irrelevante Firmen arbeiten wollen. Erfolgsgeschichten wie die von Innocent, einem Smoothiehersteller aus Großbritannien, legen hiervon Zeugnis ab.

Beispiel

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[Die] Geschichte begann 1998, als [die] Gründer Richard, Jan und Adam auf die Idee kamen, Smoothies zu machen. Sie kauften für 500 britische Pfund Obst, mixten daraus Smoothies und boten sie auf einem Jazz-Festival in London an. Vor ihrem Stand hing ein Schild mit der Frage: »Sollen wir unsere Jobs aufgeben, um weiter Smoothies zu machen?« Darunter hatten sie zwei Mülleimer aufgestellt, auf einem stand »Ja«, auf dem anderen »Nein«. Sonntagabend war der »Ja«-Eimer voll mit leeren Flaschen. Montag gingen sie zur Arbeit und kündigten ihre Jobs, um Innocent zu gründen.6

Seit damals war es das erklärte Ziel von Innocent, der weltweit erste nachhaltige Lebensmittelhersteller zu werden – ein Bestreben, das über die Jahre mit zahlreichen Preisen ausgezeichnet wurde. Die Firma betonte stets ihre Grundwerte, welche Nachhaltigkeit hinsichtlich der Umwelt, Produzieren ohne Zusatzstoffe und ein ethisches Geschäftsgebaren einschließen. Sie haben früh den wachsenden Unmut der Konsumenten hinsichtlich künstlicher Inhaltsstoffe und Konservierungsstoffe erkannt – besonders, wenn es um die Ernährung von Kindern geht. Während die meisten Hersteller weiterhin darauf setzten, die Verfallsdaten ihrer Produkte immer weiter nach hinten zu schieben, nahm Innocent eine kürzere Haltbarkeit in Kauf, um damit Konservierungsstoffe auszusparen. In Zeiten perfektionierter Logistik ein eigentlich vollkommen nachvollziehbarer Schritt, wohingegen etablierte Firmen weiterhin das Bedürfnis verspüren, Brot zehn Jahre lang haltbar zu machen.

Aber die klare Positionierung zu einem kritischen Kundenstamm ging noch weiter, indem das Unternehmen Fair-Trade-Abkommen mit seinen zuliefernden Bauern schloss und der Rainforest Alliance beitrat. Auch betreffend des Stakeholder-Managements hat Innocent erkannt, dass eine Offenheit zu und ein Involvieren von verschiedensten Interessengruppen, Kunden und deren Kindern einen enormen Mehrwert darstellt. Daher bietet das Unternehmen on- wie offline zahlreiche Möglichkeiten zur Interaktion. Der Erfolg gibt ihm recht: Innocent hat es geschafft, nicht auf einen Nischenmarkt beschränkt zu bleiben, sondern die Masse der Bevölkerung in mehr als 13 Ländern anzusprechen. Auch nach innen blieb die Firma ihrem Image stets treu, indem sie eine offene und kreative Unternehmenskultur lebt, in der Mitarbeiter dazu aufgefordert werden, eigene Ideen umzusetzen und Spaß an ihrer Arbeit zu entwickeln.

Über fünf Jahre hinweg wuchs die Belegschaft daher um 900 Prozent von einem kleinen Start-up zu einem etablierten Unternehmen, das 10 Prozent seines Profits über die Innocent Foundation wieder wohltätigen Zwecken zukommen lässt, und dies hauptsächlich in Ländern, in denen die Zutaten der Getränke angebaut werden. 2009 erkannte auch Coca-Cola, dass diese Firma den Zeitgeist nicht nur getroffen, sondern vorausgesagt und damit mitgestaltet hat, und sicherte sich 10 Prozent der Anteile an Innocent. Im Jahr 2010 wurden daraus 58 Prozent, in den darauffolgenden drei Jahren schließlich über 90 Prozent. Dies hatte sicher einige Ängste um die Mission der Firma geweckt, doch bis heute achten die Gründer mit einer steten Beteiligung darauf, dass Coca-Cola lediglich hilft, die Ziele von Innocent zu stärken und zu verbreiten, nicht sie zu korrumpieren. Denn auch Coca-Cola sollte mittlerweile erkannt haben, dass die Welt einen anderen Weg einschlagen will, wobei sie Unterstützer und keine Feinde sein sollten.

Nicht nur hinsichtlich ihrer gesellschaftlichen Verantwortung haben Start-ups erkannt, dass sie alles dafür tun müssen, es ihren Angestellten mehr als recht zu machen. Sie haben erkannt, dass Arbeit einen immens großen Anteil der Lebenszeit ihrer Angestellten in Anspruch nimmt und entsprechend ausgestaltet werden muss. Wie, wo und wann gearbeitet wird, überlassen sie ihren Talenten – was zählt, sind die Resultate. Sie wissen, dass Selbstverwirklichung bei den meisten Menschen der westlichen Welt mittlerweile an oberster Stelle steht.

Immer mehr Menschen wollen »ihr eigenes Ding machen«, in der Hoffnung, im besten Falle Erfolg zu haben und etwas Sinnvolles zu hinterlassen. Die Firmen der digitalen Teilungsökonomie wissen, dass es genau diese Freigeister sind, die sie in den eigenen Reihen benötigen. Deshalb stellen sie sicher, dass die Ziele der Firma mit denen der Mitarbeiter in eine Linie gebracht werden: Unternehmerische Selbstgestaltung, kreative Freiheiten, Unternehmensbeteiligungen und ein großes Angebot an alltagserleichternden Supplementen (Wäscheservice, kostenlose Verpflegung etc.) sind nur wenige Beispiele für die neue Arbeitswelt.

Die Tatsache, dass diese Firmen oft noch von ihren Gründern geführt werden, schlägt sich in einer unternehmerischen Kultur nieder. Scheitern wird als elementare Komponente eines jeden Schaffungsprozesses angesehen. Risikobereitschaft hat diese Unternehmen überhaupt erst ins Leben gerufen, und sie ist es, die sie auch weiterhin Märkte erobern lässt. So wachsen nicht zunächst drei Generationen im Heimatmarkt heran, bevor sie Märkte anderer Länder erobern, sondern sie entspringen als »Born Globals« den Ambitionen ihrer Inkubatoren. Dies ist eine weitere Komponente, die in der neuen Welt wichtiger ist denn je: Geschwindigkeit.

Kannibalismus statt Koexistenz

Noch koexistieren diese beiden Welten nebeneinander; doch während die eine ein Kind des 21. Jahrhunderts ist, wirkt die andere deplatziert. Gibt es einen Ausweg, eine Möglichkeit für etablierte Unternehmen, so weiterzumachen wie bisher? Die Antwort lautet: Nein. Für die Denkweisen und Geschäftspraktiken der analogen Verteidigungsökonomie gibt es in der Zukunft keinen Platz mehr. Es wäre jedoch zu früh, diese versteinerten Giganten bereits für tot zu erklären, denn noch strotzen sie vor Ressourcen, die sie nutzen können, um sich für das, was kommt, zu wappnen. Im Klartext bedeutet das, etablierte Firmen müssen so werden, wie es Start-ups schon heute sind – sie müssen sich weiterentwickeln. Schauen wir uns doch gemeinsam den Weg zur nächsten Evolutionsstufe an: Er lautet »Corporate Entrepreneurship«.

Earlybird

Dr. Christian Nagel ist Mitbegründer von Earlybird, einem der größten Venture Capital Funds in Deutschland. Nachdem Christian Nagel das Beraterhaus McKinsey verließ, gründete er 1997/98 zusammen mit drei Kollegen das Unternehmen und betreut dort das Themengebiet Finanztechnologie. Seitdem hat das Unternehmen bereits mehr als 700 Millionen Euro an Kapital für junge Start-ups bereitgestellt und damit in 107 junge Firmen investiert.

Reiter: Herr Nagel, wie kamen Sie dazu, einen Venture Capital Fund zu gründen?

Nagel: Ich hatte um die Zeit nach der Wiedervereinigung ein Treuhandunternehmen übernommen, und am meisten Spaß machte es dabei, dieses ziemlich heruntergekommene Unternehmen in kleine Einheiten zu zerlegen und zu versorgen – diese kleinen Pflänzchen wieder auszusäen und großzuziehen. Als die Treuhandphase zu Ende war und in Deutschland das Thema »Neuer Markt« aufkam, wollten meine Kollegen und ich weiterhin in frühen Phasen investieren. Wir haben uns schließlich die USA zum Vorbild genommen und beschlossen, das Ganze über einen Venture Capital Fund zu machen. Also sind wir hingeflogen und haben mit erfahrenen VCs gesprochen – denn in Deutschland war das Thema so gut wie unbekannt. Am Ende haben wir gesagt: »Okay, dann versuchen wir’s mal mit einem Venture Fund«, und das kam damals ziemlich gut an. Alle wollten sich in diesem Bereich beteiligen, und wir haben losgelegt.

Reiter: Super! Sie haben gerade diese kleinen Pflänzchen angesprochen: Wie genau stellt Earlybird sicher, dass die dann auch wirklich wachsen und in die Höhe schießen?

Nagel: Nun ja, sicher ist da gar nichts. Wir können nur unterstützen, und da ist Geld eben nur ein Teil. Am wichtigsten ist bestimmt das Netzwerk an Kontakten, das wir bieten, denn so können für alle Seiten gewinnbringende Partnerschaften entstehen und neue Dinge ausprobiert werden. Das ist, glaube ich, ein ganz wesentliches Thema. Das zweite wesentliche Thema sind strategische Fragestellungen, zu denen wir unsere Hilfe anbieten: In welche Länder soll ich zuerst gehen? Wie soll das Produkt genau aussehen? Es gibt gewisse Entwicklungsstufen, und auf die muss man vorbereitet sein: Wann muss man welche Ebene einziehen? Wann muss man welche Funktionen besetzen? In diesen Bereichen haben wir eine ganze Menge Erfahrung und können so aktiv mithelfen, Fehler zu vermeiden.

Reiter: Glauben Sie, dass es in Deutschland zurzeit einen großen Hype um Start-ups und Selbstständigkeit gibt?

Nagel: Ich weiß nicht, ob der Hype wirklich so groß ist, wie man gemeinhin annimmt. Ich glaube, dass das Ganze noch viel zu wenig in aller Munde ist. Wenn man sich beispielsweise inmitten des Ökosystems Berlins aufhält, hat man das Gefühl, dass alle davon reden und man selbst total uncool ist, wenn man irgendwie noch kein Unternehmen gegründet hat. In diesen Kreisen ist das vielleicht so. In der breiten Öffentlichkeit ist diese Denke aber noch nicht angekommen, und das ist ein Problem. Wir stehen vor massiven Veränderungen, die wir alle gemeinsam angehen müssen. Das geht nur mit Gründern und Menschen, die gute Ideen haben, die Trends erkennen und Dinge verändern wollen. Die großen Herausforderungen lauten jetzt zum einen: Wie schaffen wir weiter Wachstum? Wie mehr Unternehmertum? Das geht doch nur, wenn wir uns mehr mit Unternehmertum beschäftigen und unterm Strich mehr Gründungen hinbekommen. Und zum anderen stehen wir mit der Digitalisierung vor einer weiteren Aufgabe – es ist nicht allen bewusst, was das für Veränderungen bedeutet, auch für die Ausbildung und die Beschäftigten. Wahrscheinlich werden große Teile von Beschäftigten in Versicherungen und Banken wegfallen – doch das ist nicht als Gefahr zu sehen, sondern als Chance! Es geht nun darum, rechtzeitig zu reagieren und sich zu fragen: Wie kann ich umschulen? Was kann ich tun, wie kann ich mich in der digitalen Welt engagieren?

Reiter: Haben Sie das Gefühl, dass diese Technologien, die ja von Start-ups, die in diese neue Welt hineingeboren wurden, schon rege genutzt werden, in etablierten Unternehmen vielleicht noch gar nicht so komplett angekommen sind?

Nagel: Ja, eindeutig! Wir merken immer wieder in Gesprächen mit Corporates, dass sie gar nicht wissen, was eigentlich an der Innovationsfront passiert, und nicht richtig einschätzen können, was das alles für sie bedeutet, wohin die Veränderungen gehen und welchen Impact diese digitalen Themen haben werden. Viele sehen das immer noch als eine Art Welle, die wieder ausschwappt, und merken gar nicht, dass das massive strukturelle Veränderungen mit sich bringen wird – das geht jeden an, und keiner ist ausgenommen. Da gibt es ein paar Branchen, die sich schon jetzt sehr stark verändert haben und das auch zu spüren bekommen, von der Musik- bis hin zur Medienbranche; manche haben sich besser auf diesen Umbruch eingestellt, andere weniger gut. Und dabei wird es nicht bleiben, weiter wird es mit Banken und Versicherungen gehen. Auch Automobilhersteller sind, wenn überhaupt, erst kürzlich aufgewacht, als das Unternehmen Tesla den Markt für Elektrofahrzeuge umkrempelte. Das ist eine nachhaltige strukturelle Veränderung, die da kommt, und sie wird total unterschätzt.

Reiter: Was genau können etablierte Unternehmen denn tun, um hier ganz vorne mit dabei zu sein?

Nagel: Ich glaube, man muss die Geschäftsmodelle, die heute funktionieren, ganz massiv infrage stellen und sich viel mehr engagieren in der ganzen Start-up-Welt. Einige machen das, starten Inkubatoren – da kann man jetzt auch diskutieren, ob das richtig oder falsch ist, aber zumindest beschäftigt man sich damit. Besonders, wenn solche Themen vorstandsrelevant werden, kann das schon mal zum Umdenken führen. Außerdem müssen Unternehmen viel mehr im Bereich Venture investieren. Zum einen natürlich, um Rendite zu erzielen, aber das ist nicht einmal der wichtigste Punkt; vielmehr auch, um einfach den Kontakt zu bekommen zu den Themen an der Innovationsfront. Egal, ob das durch Venture Funds, Inkubatoren oder Forschungszentren in Berlin oder anderen Hotspots passiert. Man sollte nicht nur eins, sondern viele verschiedene Dinge machen.

Reiter: Warum haben etablierte Unternehmen so große Schwierigkeiten, innovativ zu sein? Nagel: Ich denke, das liegt an der Größe, der Lethargie und an den gewachsenen Strukturen. Selbst Google ist schon viel lahmer geworden als noch vor zehn Jahren. Diese Corporate Culture ist mittlerweile auch bei eBay und Amazon eingezogen, das liegt wahrscheinlich in der Natur der Sache. Dennoch muss das nicht sein, es gibt durchaus Ansätze, um innovativ und flexibel zu bleiben. Aber die Corporates hinken hinterher und schaffen es nicht, sich anzupassen oder Dinge zu übernehmen, und wenn, dann gehen sie doch irgendwann unter. Im Sinne der Optimierung beispielsweise sind die Deutschen Weltklasse, aber die Frage ist: Kriegt man den Sprung aufs nächste Level hin, auf ein komplett anderes, in dem Technologie sich dramatisch verändert – und Hardware keine Rolle mehr spielt, weil sie letztlich auch nur Software ist?

Reiter: Was können sich etablierte Unternehmen von Start-ups abschauen?

Nagel: Man kann schon sehr viel lernen von Start-ups, allein, was flache Hierarchien, Planmanagement, Homeworking und virtuelle Strukturen betrifft. Wer sich da einiges abschaut, wird als Arbeitgeber attraktiver und steigert so auch die Motivation seiner Mitarbeiter. Es stellt sich nur die Frage, wie man das erreichen kann: Wie können alte Strukturen aufgebrochen und diese neue Kultur hereingeholt werden – und wie bleibt man engagiert, immer an der Front und immer informiert? Man muss sich echt damit beschäftigen, und da gibt es verschiedene Möglichkeiten: offen sein für Partnerschaften, sich mit jungen Unternehmen zusammensetzen und beispielsweise als Ziel festlegen, wie viel Prozent des Umsatzes oder des Supply mit wirklich innovativen Unternehmen gemacht werden sollen. Es gibt Möglichkeiten, man muss sie nur nutzen.

Corporate Entrepreneurship

Was genau ist Corporate Entrepreneurship, und wie unterscheidet es sich von Innovation, Wachstum und New Business Creation? Zum einen will Corporate Entrepreneurship den Schwung und die Flexibilität aus der Gründerphase dauerhaft im Unternehmen etablieren und ist somit die Antwort auf die zunehmend an Dynamik gewinnenden Konsumenten, neuen Unternehmen und ganzen Industrien. Ein weiteres Merkmal ist, dass bereits eine gewisse Organisation vorhanden sein muss. Während Entrepreneurship sich auf den Gründer als Individuum bezieht und meist in einem privatwirtschaftlichen Kontext verstanden wird, so werden die Aufgaben und Ziele im Corporate Entrepreneurship auf Unternehmen, Verbände, Regierungsorganisationen und Private Public Partnerships übertragen. Damit bildet Corporate Entrepreneurship den Kontext, der übergeordnete Ziele möglich macht. Auch hier geht es im Grunde um den Kern des Unternehmertums, nämlich um die Identifikation von Chancen und das Nutzen dieser auf erfolgversprechende Art und Weise.

Der Entrepreneur

Gehen wir noch einmal einen Schritt zurück und sehen uns an, was eigentlich unter einem Entrepreneur zu verstehen ist. Als Entrepreneure werden heute Menschen verstanden, die bestehende oder neu gewonnene Ressourcen zusammenbringen, um damit Werte zu schaffen, sprich: Sie gründen ein Unternehmen, indem sie finanzielles und Humankapital verbinden, um so neue Geschäftsfelder zu erschließen. Der Wirtschaftswissenschaftler Israel M. Kirzner verwendete den Begriff Entrepreneurship bereits 1973, um die Fähigkeit des Menschen zu beschreiben, über die Zeit hinweg Veränderungen herbeizuführen und Ideen in die Tat umzusetzen. Wörtlich schreibt er: »Im menschlichen Handeln gibt es ein Element, das zwar essenziell ist, um Wirtschaften, Nutzenmaximierung und Effizienz zu ermöglichen, was aber allein durch diese Termini nicht beschrieben werden kann.« Dies ist ein äußerst fundamentales Verständnis von Unternehmertum, das nur leider nach über vierzig Jahren immer noch nicht überall angekommen ist.

Kirzner geht sogar noch einen Schritt weiter: Für ihn ist dieses Element die Ursache jeglicher Veränderung im Markt, aber auch auf individuellen Ebenen, und er sieht es als das Resultat einer erhöhten Aufmerksamkeit des Entrepreneurs gegenüber seiner Umwelt und den Entwicklungen, denen sie unterworfen ist.7 Dieses Verständnis gegenüber Entrepreneuren und Unternehmertum zu entwickeln ist die Grundvoraussetzung, um ein Unterfangen, das stetiger Innovation verschrieben ist, wahrhaftig anzugehen. Aber wie lassen sich Entrepreneure identifizieren – und müssen wir das überhaupt?

In der Forschung gibt es drei dominierende Perspektiven, die versuchen, die Frage nach der Identifikation von Entrepreneuren – Wer ist ein Entrepreneur? Und wie kann ein Individuum zum Entrepreneur werden? – zu beantworten: die funktionale, die Persönlichkeits- sowie die Verhaltensperspektive.8

1. Funktionale Perspektive: Die erste Perspektive beantwortet die Frage aus der volkswirtschaftlichen Sicht und postuliert, dass es gewisse Aufgaben gibt, die ein Entrepreneur »erledigen« muss, gegeben von einer feststehenden, nicht beeinflussbaren Außenwelt.

2. Persönlichkeitsperspektive: Diese Herangehensweise versucht, spezifische Charakterelemente eines Entrepreneurs zu identifizieren, um festzustellen, wer ein Entrepreneur ist und wer nicht. Diese Beschreibung lässt schon die grundlegende Idee hinter dieser Perspektive verstehen, die davon ausgeht, dass der feststehende Charakter bereits prädestiniert, wer das »Zeug« zum Entrepreneur hat.

Diese beiden Perspektiven sind äußerst problematisch, denn entsprächen sie der Realität, so hätten jedes Programm, jeder Ratgeber, ja, jedes Lernen um Prozesse und Menschen oder gar ganze Organisationen, wie im Corporate Entrepreneurship angestrebt, jegliche Legitimation verloren – sie wären nutzlos. Nur Individuen, die sich stetig weiterentwickeln und dazulernen können, was das eigene Geschäft, die eigene Industrie und wirtschaftliche Rahmenbedingungen angeht, stellen produktive Schlüsselfiguren dar, mit denen auf eine innovative Transformation hingearbeitet werden kann. Auch in der Wissenschaft wurden diese beiden ersten Perspektiven auf die starren Aufgaben und das fixe Wesen eines Entrepreneurs stark kritisiert, weshalb Forscher heute der Frage nachgehen, wie ein Entrepreneur lernt und sich weiterentwickelt.

3. Verhaltensperspektive: Die dritte Perspektive hat sich aus der funktionalen Perspektive entwickelt und sieht Charaktereigenschaften von Entrepreneuren dem Verhalten untergeordnet – damit ist sie wesentlich flächendeckender, was die Konzeptionalisierung der unternehmerischen Aktivitäten in ihrem Kern angeht. Diese Aktivitäten beziehen sich eben genau auf die oben angesprochene Identifikation von Chancen und das Erschaffen von ressourcengestützten Verbindungen, um diese in funktionierende Geschäftsmodelle umzuwandeln. Dabei rückt die wirtschaftliche Umgebung des Entrepreneurs mit in den Fokus. William B. Gartner, seines Zeichens Pionier auf dem Gebiet der Entrepreneurship-Forschung, schrieb dazu 1985: »Entrepreneure arbeiten nicht in einem Vakuum – sie reagieren auf ihre Umgebung.«

Genau diese Verhaltensperspektive liegt auch dem Gedanken des Corporate Entrepreneurship sowie diesem Buch zugrunde. Wie bereits oben beschrieben schaffen Entrepreneure Werte, indem sie Neues kreieren – wobei »neu« hier durchaus relativ ist, wie das Beispiel des erfolgreichsten Multimedia-Verwaltungsprogramms der Welt zeigt.

Beispiel

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