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23 Jahre nach seiner ersten Expedition kehrt Louis Wu zurück zur Ringwelt, jenem geheimnisvollen, seit Urzeiten im Raum kreisenden Artefakt. Kurz nach der Ankunft finden er und seine Begleiter heraus, dass die Ringwelt instabil geworden ist – das titanische Konstrukt, bewohnt von Abermilliarden Lebewesen, droht in den Stern zu stürzen, den es umkreist. Beim Versuch, die Katastrophe zu verhindern, trifft Wu nicht nur auf vielzählige Bewohner der Ringwelt, er findet auch endlich etwas über deren mysteriöse Erbauer heraus … Der zweite Band von Larry Nivens weltberühmtem, vielfach ausgezeichnetem Ringwelt-Zyklus
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Seitenzahl: 516
Veröffentlichungsjahr: 2025
Larry Niven
– Die Bewahrer –
Roman
Deutsche Erstauflage
Titel der englischen Originalausgabe:
THE RINGWORLD ENGINEERS
1. Auflage
Veröffentlicht durch den
MANTIKORE-VERLAG NICOLAI BONCZYK
Frankfurt am Main 2024
www.mantikore-verlag.de
Copyright © der deutschsprachigen Ausgabe
MANTIKORE-VERLAG NICOLAI BONCZYK
Text © Larry Niven 1979
Deutschsprachige Übersetzung: Alfons Winkelmann
Lektorat: Anja Koda
Satz: Karl-Heinz Zapf
Cover- und Umschlaggestaltung: Rossitza Atanassova und Matthias Lück
VP: 401-213-01-03-0924
ISBN: 978-3-96188-187-1
– Die Bewahrer –
Larry Niven
Ringwelt ist zehn Jahre alt, und der Strom an Briefen, die ich dazu erhielt, ist niemals versiegt. Die Leute haben sich zu den – offenen und verborgenen – Voraussetzungen, der Mathematik, der Ökologie und den philosophischen Implikationen geäußert, und zwar genauso, als ob die Ringwelt ein anstehendes Ingenieursprojekt sei und sie für die Arbeit bezahlt würden.
Ein Mann aus Washington, D.C., schickte mir ein vollständiges Korrektorat der ersten Auflage von Ringwelt mit dem Titel »The Niven-McArthur Papers, Vol. I.« Es war für mich eine enorme Hilfe. (Wenn du die erste Taschenbuchausgabe von Ringwelt besitzt, ist es diejenige mit den Fehlern darin. Sie ist Goldes wert.)
Eine High-School-Klasse aus Florida stellte den Bedarf für das Schüttrohrsystem fest.
Von einem Professor aus Cambridge kam eine Schätzung für die minimale Faserstärke von Scrith.
Freeman Dyson (Freeman Dyson!) hatte keine Probleme, an die Ringwelt zu glauben (!), aber er sah nicht, warum die Ingenieure nicht stattdessen eine Vielzahl kleinerer Ringe gebaut hätten. Wäre das nicht sicherer? Ich hoffe, die Antwort, die ich in diesem Buch gegeben habe, ist zufriedenstellend.
Natürlich gibt es auf der Ringwelt keine Petrochemikalien. Frank Gasperik wies darauf hin, dass jede Zivilisation auf unserem Level auf Alkohol basieren würde. Die Maschinenleute wären in der Lage, Biomasse für andere Zwecke zu verwenden, bis hin zu und einschließlich einer Kunststoffindustrie.
Während einer Lesung in Boston wies jemand im Publikum darauf hin, dass mathematisch gesehen die Ringwelt wie eine Hängebrücke ohne Endpunkte behandelt werden könnte. Einfach im Konzept, schwieriger zu bauen.
Aus allen Richtungen kamen die Hinweise auf die Notwendigkeit für Stabilisierungsdüsen. (Während des World Science Fiction Convention 1971 skandierten Studenten vom MIT in der Hotelhalle: DIE RINGWELT IST INSTABIL!) Aber Ctein und Dan Alderson, die unabhängig voneinander arbeiteten, benötigen mehrere Jahre, um die Instabilität zu quantifizieren. Ctein arbeitete ebenfalls Daten heraus, wie die Ringwelt zu bewegen wäre.
Dan Alderson war so freundlich, für mich die Parameter für die Meteoritenabwehr herauszuarbeiten … und das war die einzige Information, um die ich tatsächlich dringend gebeten hatte.
Ihr alle, die ihr diese Arbeit erledigt und all diese Briefe geschrieben habt: Seid gewarnt, dass dieses Buch ohne eure ungebetene Hilfe nicht existieren würde. Ich hatte nicht die leiseste Absicht, eine Fortsetzung der Ringwelt zu schreiben. Ich widme euch dieses Buch.
TEIL EINS
Kapitel 1 Unter dem Draht
Kapitel 2 Gepresste Mannschaft
Kapitel 3 Geist unter der Mannschaft
Kapitel 4 Exzentrisch
Kapitel 5 Entzugssymptome
Kapitel 6 »Also, hier ist mein Plan ...«
Kapitel 7 Entscheidungspunkt
Kapitel 8 Ringwelt
Kapitel 9 Die Hirten
Kapitel 10 Das Gottesspiel
Kapitel 11 Die Grasriesen
Kapitel 12 Sonnenblumen
TEIL ZWEI
Kapitel 13 Ursprünge
Kapitel 14 Der Geruch des Todes
Kapitel 15 Die Maschinenleute
Kapitel 16 Handelsstrategien
Kapitel 17 Die wandernde Sonne
Kapitel 18 Die Schattenfarm
Kapitel 19 Die schwebende Stadt
Kapitel 20 Ökonomie in Lyar
Kapitel 21 Die Bibliothek
Kapitel 22 Der grosse Diebstahl
TEIL DREI
Kapitel 23 Letztes Angebot
Kapitel 24 Gegenvorschlag
Kapitel 25 Die Samen des Imperiums
Kapitel 26 Unter dem Wasser
Kapitel 27 Der grosse Ozean
Kapitel 28 Die Karte von Kzin
Kapitel 29 Die Karte des Mars
Kapitel 30 Räder in Rädern
Kapitel 31 Das Reparaturzentrum
Kapitel 32 Protektor
Kapitel 33 1,5 X 10 hoch 12
Epilog
Glossar
Ringwelt-Parameter
Louis Wu befand sich unter dem Draht, als zwei Männer in seine Privaträume eindrangen.
Er saß in der vollen Lotusposition auf dem üppigen gelben Teppich aus Zimmergras. Sein Lächeln war glückselig, träumerisch. Die Wohnung war klein, nur ein großer Raum. Er hatte beide Türen im Blick. Aber verloren in der Seligkeit, die nur ein Drahtkopf kennt, sah er nicht, wie sie hereinkamen. Sie waren auf einmal da: zwei blasse junge Männer, beide über zwei Meter groß, die Louis mit verächtlichem Lächeln musterten. Einer schnaubte und ließ etwas Waffenförmiges in eine Tasche gleiten. Sie kamen heran, und Louis erhob sich.
Es war nicht bloß das glückselige Lächeln, das sie täuschte. Es war der faustgroße Trafroh, der wie ein schwarzes Kunststoffgeschwür aus Louis Wus Schädeldach herausragte. Sie hatten mit einem Stromsüchtigen zu tun, und sie wussten, was sie zu erwarten hatten. Der Mann musste jahrelang keinen anderen Gedanken gehabt haben als den Draht, der Strom in das Lustzentrum seines Gehirns tröpfeln ließ. Er wäre dem Verhungern nahe, weil er sich selbst so vernachlässigt hatte. Er war klein, etwa einen halben Meter kleiner als die beiden Eindringlinge. Er …
Als sie nach ihm griffen, beugte sich Louis weit zur Seite, um das Gleichgewicht zu wahren, und trat aus, einmal, zweimal, dreimal.
Einer der Eindringling lag zusammengekrümmt am Boden und schnappte nach Luft, bevor der andere geistesgegenwärtig genug war, zurückzuweichen.
Louis folgte ihm.
Was den jungen Mann halb lähmte, war der entrückte, wonnevolle Ausdruck, mit dem Louis ihn töten wollte. Zu spät griff er nach der Betäubungswaffe, die er eingesteckt hatte. Louis trat sie ihm aus der Hand. Er duckte sich unter einer massigen Faust weg und trat nach der Kniescheibe – Kniescheibe (der bleiche Riese hielt in der Bewegung inne), dem Geschlechtsteil, dem Herzen (der Riese beugte sich mit einem pfeifenden Aufschrei weit vor), der Kehle (der Schrei hörte abrupt auf).
Der andere Eindringling war auf Händen und Knien und atmete stoßweise. Louis versetzte ihm zwei Handkantenschläge auf den Hals.
Die Eindringlinge lagen still auf dem üppigen gelben Gras.
Louis Wu ging, seine Tür abzuschließen. Zu keiner Zeit hatte das wonnige Lächeln sein Gesicht verlassen, und daran änderte sich auch nichts, als er seine Tür vollständig verschlossen und mit eingeschalteter Alarmanlage vorfand. Er überprüfte die Tür zum Balkon: verschlossen und Alarmanlage eingeschaltet.
Wie in aller Welt waren sie hereingekommen?
Amüsiert ließ er sich dort, wo er war, in der Lotusstellung nieder und rührte sich über eine Stunde lang nicht mehr.
Bis eine Zeitschaltuhr klickte und den Trafroh abschaltete. Stromsucht ist die jüngste Sünde der Menschheit. Im Verlauf ihrer Geschichte haben die meisten Kulturen des menschlichen Raums in dieser Gewohnheit zeitweilig eine größere Plage gesehen. Sie entzieht die Süchtigen dem Arbeitsmarkt und lässt sie an Selbstvernachlässigung sterben.
Die Zeiten ändern sich jedoch. Generationen später betrachten eben jene Kulturen die Stromsucht in der Regel als einen Segen. Ältere Sünden – Alkoholismus, Drogensucht und zwanghaftes Glücksspiel – können da nicht mithalten. Menschen, die abhängig von Drogen werden, sind glücklicher mit dem Draht. Sie brauchen länger, bis sie sterben, und sie bleiben eher kinderlos.
Sie kostet beinahe nichts. Ein Ecstasy-Händler kann den Preis für die Operation erhöhen, aber wozu? Der Süchtige ist erst dann ein Drahtkopf, wenn der Draht ins Lustzentrum seines Gehirns eingebettet wurde. Dann hat ihn der Händler allerdings nicht mehr im Griff, weil der Nutzer seine Kicks aus dem häuslichen Strom bezieht.
Und die Wonne ist rein, ohne Obertöne und ohne Kater.
Sodass zu Louis Wus Zeit diejenigen, die vom Draht oder von irgendwelchen kleinen Mitteln der Selbstzerstörung versklavt werden konnten, sich seit achthundert Jahren aus der menschlichen Spezies herausgezüchtet hatten.
Heutzutage gibt es sogar Apparate, die das Lustzentrum eines Opfers aus der Entfernung kitzeln konnten. Auf den meisten Welten sind Tasps illegal und kostspielig in der Herstellung, aber sie werden angewendet. (Ein mürrischer Fremder geht vorüber, Wut oder Elend in den säuerlichen Zügen seines Gesichts. Du stehst hinter einem Baum und versüßt ihm den Tag. Knips! Sein Gesicht erhellt sich. Einen Augenblick lang ist er völlig sorgenfrei …) Gewöhnlich ruinieren sie das Leben nicht. Die meisten Menschen vertragen sie.
Die Zeitschaltuhr klickte und schaltete den Trafroh ab.
Louis schien in sich zusammenzusacken. Er griff über seinen glatten Schädel hinweg zur Basis des langen schwarzen Zopfs und zog den Trafroh aus seinem Stecker unter dem Haar. Er hielt ihn in der Hand und überlegte; dann warf er ihn wie immer in eine Schublade und verschloss diese. Die Schublade verschwand. Der Schreibtisch, der scheinbar ein antikes hölzernes Stück war, bestand in Wahrheit aus einer papierdünnen Metallhülle und bot endlos viel Platz für Geheimfächer.
Es war stets eine Versuchung, die Zeitschaltuhr neu einzustellen. In den frühen Jahren seiner Sucht hatte er das routinemäßig getan. Die Vernachlässigung hatte aus ihm ein Skelett gemacht, ein beständig schmutziges. Schließlich hatte er das zusammengesammelt, was von seiner uralten hartnäckigen Entschlossenheit noch verblieben war, und er hatte eine Zeitschaltuhr eingebaut, die zwanzig Minuten pingelige, konzentrierte Arbeit erforderte, um sie neu einzustellen. In ihrer gegenwärtigen Einstellung gab sie ihm fünfzehn Stunden Strom und zwölf Stunden für Schlaf und für das, was er »Wartung« nannte.
Die Leichen lagen immer noch da. Louis hatte keine Ahnung, was er damit anfangen sollte. Wenn er die Polizei sofort gerufen hätte, dann hätte das nach wie vor ungewollte Aufmerksamkeit erregt … aber was könnte er ihnen jetzt sagen, anderthalb Stunden später? Dass er bewusstlos geschlagen worden war? Sie würden seinen Schädel nach Rissen scannen wollen.
So viel wusste er: In der schwarzen Depression, die seiner Zeit unter dem Draht stets folgte, konnte er schlicht keine Entscheidungen treffen. Er folgte seiner Wartungsroutine wie ein Roboter. Selbst sein Abendessen war vorprogrammiert.
Er trank ein volles Glas Wasser. Er stellte die Küche ein. Er ging ins Bad. Er führte zehn Minuten Übungen durch, trieb sich heftig an, bekämpfte Depression mit Erschöpfung. Er vermied es, die steif werdenden Leichen anzusehen. Das Abendessen war fertig, als er seine Übungen beendet hatte. Er aß, ohne etwas zu schmecken … und erinnerte sich, dass er einmal gegessen und Übungen absolviert und jede Bewegung durchgeführt hatte, während der Trafroh in seinem Schädel gesteckt und dabei ein Zehntel des normalen Stroms ins Lustzentrum geliefert hatte. Eine Zeitlang hatte er mit einer Frau zusammengelebt, die ebenfalls einen verdrahteten Kopf gehabt hatte. Sie hatten sich unter dem Draht geliebt … und Kriegsspiele gespielt und Wettkämpfe in Wortspielen ausgefochten … bis sie das Interesse an allem außer dem Strom selbst verloren hatte. Zu diesem Zeitpunkt hatte Louis genügend seiner natürlichen Vorsicht zurückgewonnen, um der Erde zu entfliehen.
Jetzt dachte er, dass es leichter wäre, dieser Welt zu entfliehen, als sich dieser beiden großen, verräterischen Leichen zu entledigen.
Aber falls er bereits überwacht wurde?
Sie sahen nicht wie ARM-Agenten aus. Mit den großen, weichen Muskeln und der Blässe, die von einem Sonnenlicht herrührte, das eher orangefarben als gelb war, gehörten sie bestimmt zu den Typen unter niedriger Schwerkraft, wahrscheinlich Cañoniten. Sie hatten nicht wie ARMs gekämpft … aber sie hatten seine Alarmanlage umgangen. Dieser Männer konnten ARM-Mietlinge sein, auf die Freunde warteten.
Louis Wu schaltete die Alarmanlage an seiner Balkontür ab und trat hinaus.
Cañon folgt nicht so ganz den üblichen Regeln eines Planeten.
Der Planet ist nicht viel größer als Mars. Bis vor wenigen Hundert Jahren war seine Atmosphäre gerade dicht genug, um Photosynthese nutzende Pflanzen zu unterhalten. Die Luft enthielt Sauerstoff, war jedoch zu dünn für Mensch oder Kzinti. Das einheimische Leben war so primitiv und widerstandsfähig wie Flechten. Tiere hatten sich überhaupt nie entwickelt.
Aber es gab magnetische Monopole im Kometenhalo rings um Cañons orange-gelbe Sonne und Radioaktivität auf dem Planeten selbst. Das Imperium der Kzinti schluckte den Planeten und bevölkerte ihn mithilfe von Kuppeln und Kompressoren. Sie nannten ihn Warhead, Gefechtskopf, wegen seiner Nähe zu den Pierin-Welten, die noch nicht erobert waren.
Eintausend Jahre später traf das sich ausdehnende Imperium der Kzinti auf den menschlichen Raum.
Bei Louis Wus Geburt waren die Kriege zwischen Menschen und Kzinti längst vorüber. Die Menschen hatten sie allesamt gewonnen. Die Kzinti hatten stets die Neigung gehabt, anzugreifen, bevor sie völlig bereit waren. Die Zivilisation auf Cañon ist ein Erbe des dritten Kriegs zwischen Menschen und Kzinti, als die menschliche Welt Wunderland einen Geschmack an esoterischen Waffen entwickelt hatte.
Der Abkommensbeschaffer von Wunderland wurde nur einmal eingesetzt. Er war eine gigantische Version dessen, was gewöhnlich ein Bergbauwerkzeug ist: ein Desintegrator, der einen Strahl abfeuert, welcher die Ladung des Elektrons unterdrückt. Wohin ein Desintegrator-Strahl fällt, dort wird feste Materie plötzlich und gewaltsam positiv. Sie zerreißt sich selbst zu einem Nebel monoatomarer Partikel.
Wunderland baute und transportierte einen gewaltigen Desintegrator ins Warhead-System und feuerte parallel dazu einem ähnlichen Strahl hinein, um die Ladung des Protons zu unterdrücken.
Die beiden Strahlen trafen fünfzig Kilometer voneinander entfernt auf die Oberfläche von Cañon. Fels und Kzinti-Fabriken und -Unterkünfte flogen als Staub davon, und ein fester Stab aus Blitzlicht floss zwischen den beiden Punkten. Die Waffe bohrte sich fünfzehn Kilometer tief in den Planeten hinein, legte Magma in einem Gebiet von der Größe und Form von Baja California auf der Erde frei, das grob von Ost nach West verlief. Der Industriekomplex der Kzinti verschwand. Die wenigen Kuppeln, die von Stasisfeldern geschützt waren, wurden vom Magma verschlungen, Magma, das höher in der Mitte der großen Kluft heraufquoll, bevor der Fels verschmolz. Das letztliche Ergebnis war ein Meer, umgeben von schieren Felswänden, die viele Kilometer hoch waren und ihrerseits eine lange, schmale Insel umgaben.
Andere menschliche Welten mögen bezweifeln, dass der Abkommensbeschaffer von Wunderland den Krieg beendete. Das Patriarchat der Kzinti lässt sich normalerweise durch schiere Größe nicht erschrecken. Wunderländer haben solche Zweifel nicht.
Warhead wurde nach dem dritten Krieg zwischen Menschen und Kzin annektiert und zu Cañon. Cañons einheimisches Leben litt natürlich unter den Gigatonnen von Staub, die auf seine Oberfläche herabfielen, sowie unter dem Verlust von Wasser, das innerhalb des Cañons selbst herabfiel und das Meer bildete. In dem Cañon bestehen ein ausreichender Luftdruck und eine blühende Zivilisation von geringer Größe.
Louis Wus Wohnung lag zwölf Geschosse hoch an der Seite der nördlichen Cañonwand. Die Nacht beschattete den Cañongrund, als er hinaustrat, aber die südliche Seite glühte nach wie vor noch im Tageslicht. Hängende Gärten einheimischer Flechten fielen vom Rand herab. Alte Aufzüge standen wie silberne Fäden kilometerhoch vor der Felswand. Transferkabinen hatten sie zum Reisen überflüssig gemacht, aber die Touristen nutzten sie nach wie vor wegen der Aussicht.
Der Balkon überblickte den Gürtel aus Parklandschaft, die über das Zentrum der Insel verlief. Die Vegetation hatte das wilde Aussehen eines Jagdparks der Kzinti. Rosa- und Orangetöne verschmolzen mit der importierten terrestrischen Biosphäre. Kzinti-Leben war im gesamten Cañon anzutreffen.
Dort unten waren ebenso viele Kzinti- wie menschliche Touristen. Die männlichen Kzinti sahen aus wie fette orangefarbene Katzen, die auf ihren Hinterbeinen gingen … fast. Aber ihre Ohren waren gespreizt wie rosafarbene chinesische Sonnenschirme, und ihre Schwänze waren nackt und rosig, und ihre geraden Beine und großen Hände kennzeichneten sie als Werkzeugmacher. Sie waren zwei Meter fünfzig groß, und obwohl sie strikt darauf achten, nicht gegen menschliche Touristen zu stoßen, glitten sorgfältig manikürte Klauen über schwarzen Fingerspitzen hinaus, wenn ein Mensch zu nahe vorbeiging. Reflex. Vielleicht.
Manchmal fragte Louis sich, welcher Impuls sie zu einer Welt zurückgebracht hatte, die einmal ihnen gehörte. Einige hatten vielleicht Vorfahren hier, die in erstarrter Zeit in den Kuppeln lebten, die unterhalb dieser Lavainsel begraben waren. Eines Tages müssten sie ausgegraben werden …
Es gab so viel, was er auf Cañon nicht getan hatte, weil stets der Draht rief. Menschen und Kzinti hatten einen Sport daraus gemacht, diese Felswände in der niedrigen Schwerkraft zu ersteigen. Nun ja, er hätte eine letzte Chance für einen Versuch. Es war eine seiner drei Routen hinaus. Die zweite waren die Aufzüge; die dritte eine Transferkabine zu den Flechtengärten. Er hatte sie nie gesehen.
Dann über Land in einem Druckanzug, der leicht genug wäre, um ihn in eine große Aktentasche zu stecken.
Auf der Oberfläche von Cañon gab es Minen, und es gab ein großes, nachlässig gepflegtes Reservat für die überlebende Vielfalt der Cañon-Flechten. Der größte Teil der Welt war jedoch eine kahle Mondlandschaft. Ein vorsichtiger Mann könnte unentdeckt ein Raumschiff landen und dort verstecken, wo es nur eine Suche mit Tiefenradar entdecken könnte. Ein vorsichtiger Mann hatte es getan. Denn während der letzten neunzehn Jahre hatte Louis Wus Schiff gewartet, versteckt in einer Höhle der nach Norden weisenden Felswand eines Gebirges mit minderwertigem Erz: ein Loch, verborgen innerhalb eines permanenten Schattens auf der luftlosen Oberfläche von Cañon.
Transferkabinen oder Aufzüge oder Felswandklettern. Lasse Louis Wu an die Oberfläche gelangen, und er wäre in Sicherheit. Aber die ARM könnte sämtliche drei Ausgänge überwachen.
Oder er könnte paranoide Spiele mit sich selbst spielen. Wie hätte ihn die irdische Polizei finden können? Er hatte sein Gesicht verändert, seine Frisur, seine Lebensweise. Die Dinge, die er am meisten geliebt hatte, waren genau die Dinge, die er aufgegeben hatte. Er benutzte ein Bett anstelle von Schlafplatten, er mied Käse, als wäre er verdorbene Milch, und seine Wohnung war mit massenproduzierten versenkbaren Möbeln ausgestattet. Die einzige Kleidung, die er besaß, bestand aus kostspieliger Naturfaser mit keinerlei optischen Effekten.
Er hatte die Erde als ausgemergelter Drahtkopf mit träumerischem Blick verlassen. Seitdem hatte er sich eine vernünftige Diät aufgezwungen; er hatte sich bis heute mit Übungen und einem wöchentlichen Kurs in Kampfkünsten gequält (leicht illegal, und die örtliche Polizei würde ihn registrieren, falls sie ihn erwischte, aber nicht als Louis Wu), und jetzt war er eine entsprechende Nachahmung strotzender Gesundheit mit festen Muskeln, die anzueignen sich ein jüngerer Louis Wu nie Mühe gegeben hatte. Wie hätte ihn die ARM erkennen können?
Und wie waren sie hereingekommen? Kein gewöhnlicher Einbrecher hätte an Louis‘ Alarmanlagen vorbeikommen können.
Sie lagen tot in dem Gras, und bald würde der Gestank die Klimaanlage überwältigen. Jetzt verspürte er, ein wenig verspätet, die Scham von jemandem, der Menschen getötet hatte. Aber sie waren in sein Territorium eingedrungen, und unter dem Draht gibt es keine Schuld. Jeder Schmerz ist ein Würzkraut, das der Freude hinzugegeben wird, und Freude – wie die grundlegende Freude eines Menschen, einen Dieb auf frischer Tat zu töten – wird gewaltig verstärkt. Sie hatten gewusst, was er war, und das war für Louis Wu sowohl ausreichend Warnung als auch ein direkter Affront.
Die Touristen, Kzinti und Menschen, sowie die Einheimischen, die sich auf der Straße unten tummelten, sahen recht unschuldig aus, und wahrscheinlich waren sie es auch. Wenn ein ARM ihn jetzt beobachtete, täte er es mit einem Fernglas von einem Fenster in einem jener schwarzäugigen Gebäude aus. Keiner der Touristen blickte auf … aber Louis Wus Augen fanden einen Kzin und blieben auf ihm haften.
Zweieinhalb Meter groß, einen Meter breit, dichtes orangefarbenes Fell, das an einigen Stellen ergraute: Er ähnelte sehr den Dutzenden von Kzinti rings um ihn her. Was Louis Auge festhielt, war die Art und Weise, wie das Fell des Alien wuchs. Über mehr als der Hälfte seines Körpers war es buschig, fleckig und weiß, als ob die Haut darunter extrem vernarbt wäre. Um seine Augen lagen schwarze Ringe, und die Augen blickten nicht auf die Szenerie. Sie durchsuchten die Gesichter der vorübergehenden Menschen.
Louis löste sich mühsam aus dem Drang, mit offenem Mund hinabzustarren. Er wandte sich um und ging ins Innere, ohne offensichtliche Eile. Er schloss seine Balkontüren und schaltete die Alarmanlage wieder ein, und dann grub er den Trafroh aus seinem Versteck im Tisch. Seine Hände zitterten.
Es war Sprecher-mit-Tieren, den er gesehen hatte, und zwar zum ersten Mal seit zwanzig Jahren. Sprecher-mit-Tieren, einstmals ein Botschafter im menschlichen Raum; Sprecher, der zusammen mit Louis Wu, einem Pierson‘s-Puppenspieler und einer sehr merkwürdigen menschlichen jungen Frau den winzigen Bruchteil der gewaltigen Struktur erforscht hatte, die Ringwelt genannt wurde; der seinen vollen Namen vom Patriarchen der Kzin für den Schatz erworben hatte, den er zurückgebracht hatte. Man konnte jetzt sterben, wenn man ihn nach seinem Beruf nannte, aber wie lautete sein jetziger Name? Etwas, was mit einem Husten begann, wie ein deutsches CH, oder wie das warnende Husten, das ein Löwe ausstoßen mochte: Chmee, das war’s! Aber was konnte er hier tun? Mit einem echten Namen und Land und einem Harem, der größtenteils schwanger war, hatte Chmee keine Absicht, Kzin jemals wieder zu verlassen. Die Vorstellung, dass er ein Tourist auf einer annektierten menschlichen Welt sein sollte, war lächerlich.
Konnte er womöglich wissen, dass Louis Wu in Cañon war?
Er musste raus, sofort. Die Cañonwand hinauf zu seinem Schiff.
Und deswegen spielte Louis Wu mit der Zeitschaltuhr in seinem Trafroh und betätigte mit zusammengekniffenen Augen mit den winzigen Instrumenten die winzigen Einstellknöpfe. Seine Hände zitterten gereizt … Die Zeiteinstellung müsste sowieso verändert werden, da er jetzt den Siebenundzwanzig-Stunden-Tag von Cañon verließ. Er kannte sein Ziel. Es gab eine weitere Welt im menschlichen Raum, deren Oberfläche größtenteils kahle Mondlandschaft war. Er konnte sein Schiff unentdeckt im Vakuum am Westende von Jinx landen … und den Zeitschalter auf dem Trafroh jetzt einstellen … und ein paar Stunden unter dem Draht jetzt verbringen, um seine Nerven zu beruhigen. Alles ergab vollständig Sinn. Er schenkte sich zwei Stunden.
Fast zwei Stunden verstrichen, bevor der nächste Eindringling kam. Verzückt in der Freude des Drahts, wäre Louis auf keinen Fall beunruhigt gewesen. Er fand den Eindringling sogar irgendwie erleichternd.
Das Wesen stand fest gestützt auf einem einzelnen Hinterbein und zwei weit gespreizten Vorderbeinen. Zwischen den Schultern erhob sich ein dicker Höcker: der Hirnschädel, bedeckt von einer reichen goldfarbenen geringelten Mähne, in der Edelsteine glitzerten. Zwei lange, geschmeidige Hälse erhoben sich zu beiden Seiten des Hirnschädels, die in flachen Köpfen endeten. Diese Münder mit den lockeren Lippen hatten den Puppenspielern während ihrer gesamten Historie als Hände gedient. Ein Mund umklammerte eine Betäubungspistole menschlicher Bauart, eine lange gegabelte Zunge schlang sich um den Auslöser.
Louis Wu hatte seit zweiundzwanzig Jahren keinen Pierson‘s-Puppenspieler mehr gesehen. Er hielt ihn für ziemlich reizend. Und er war aus dem Nirgendwo aufgetaucht. Diesmal hatte Louis gesehen, wie er sich mitten auf dem gelben Grasteppich blitzartig materialisierte. Er hatte sich unnötig Sorgen gemacht; die ARM hatte überhaupt nichts damit zu tun. Das Problem der cañonitischen Einbrecher war gelöst.
»Trittscheiben!«, rief Louis fröhlich. Er warf sich auf den Alien. Das wäre einfach. Puppenspieler waren Feiglinge …
Die Betäubungspistole glühte orangefarben. Louis Wu sackte auf den Teppich, sämtliche Muskeln erschlafft. Sein Herz arbeitete heftig. Schwarze Flecken bildeten sich vor seinen Augen.
Der Puppenspieler trat zierlich um die beiden Toten herum. Er sah aus zwei Richtungen auf ihn herab; und dann griff er nach ihm. Zwei Reihen stumpfer Zähne umklammerten seine Handgelenke, nicht fest genug, um ihm Schmerzen zuzufügen. Der Puppenspieler zerrte ihn zurück über den Teppich und ließ ihn nieder.
Die Wohnung verschwand.
Man könnte nicht sagen, dass Louis Wu besorgt war. Er hatte kein derart unangenehmes Gefühl. Leidenschaftslos (denn die gleichmäßige Freude im Draht gestattet eine abstrakte Denkfähigkeit, die Sterblichen ansonsten verwehrt war) justierte er sein Weltbild neu.
Er hatte das System der Trittscheiben auf der Heimatwelt der Pierson‘s-Puppenspieler gesehen. Es war ein offenes Teletransportersystem, den geschlossenen Transferkabinen, die auf den Welten der Menschen verwendet wurden, weit überlegen.
Anscheinend hatte ein Puppenspieler in Louis‘ Wohnung Trittscheiben installiert; hatte zwei Cañonisten hergeschickt, um ihn zu holen; als das fehlgeschlagen war, war er selbst gekommen. Die Puppenspieler benötigten ihn anscheinend dringend.
Das war doppelt beruhigend. Die ARM war überhaupt nicht beteiligt. Und Puppenspieler verfügten über eine Tradition, die eine Million Jahre alt war und ihre Philosophie der aufgeklärten Feigheit stützte. Sie konnten ihm kaum nach dem Leben trachten; das hätten sie billiger haben können, mit weniger Risiko. Es sollte ihm leichtfallen, sie einzuschüchtern.
Er lag nach wie vor auf gelbem Gras und Bindematte. Sie musste auf der Trittscheibe gelegen haben. Auf der anderen Seite des Zimmers befand sich ein riesiges orangefarbenes Fellkissen … nein, es war ein Kzin, der zusammengesackt dort lag, die Augen geöffnet, schlafend oder gelähmt oder tot – und es war tatsächlich der Sprecher. Louis war froh, ihn zu sehen.
Sie waren in einem Raumschiff, einer General-Product-Hülle. Hinter den durchsichtigen Wänden wurde raumhelles Sonnenlicht von scharfkantigen Mondfelsen zurückgeworfen. Ein Flecken grün-violetter Flechten sagte ihm, dass er sich nach wie vor auf Cañon befand.
Aber er war unbesorgt.
Der Puppenspieler ließ seine Handgelenke los. Ornamente glitzerten in seiner Mähne: keine natürlichen Edelsteine, sondern etwas wie schwarze Opale. Ein flacher hirnloser Kopf beugte sich herab und zog den Apparat aus dem Stecker in Louis‘ Schädel. Der Puppenspieler trat auf eine rechteckige Platte und verschwand, mit dem Apparat.
Die Augen des Kzin hatten ihn eine Weile lang beobachtet. Jetzt räusperte sich der gelähmte Kzin versuchsweise und knurrte: »Loo-ee Woo.«
»Äh«, sagte Louis. Er hatte überlegt, Selbstmord zu begehen, aber das war unmöglich. Er konnte kaum mit den Fingern wackeln.
»Louis, duuu bissst ein Drahtkopf?«
»Moment«, sagte Louis, um Zeit zu schinden. Es funktionierte. Der Kzin gab seine Bemühungen auf. Und Louis – dessen einzige echte Sorge der verschwundene Apparat war – folgte einem alten Reflex. Er sah sich um, einschätzen, wie schlimm seine Lage tatsächlich war.
Das Sechseck aus Indoor-Rasen unter ihm markierte den Empfänger der Trittscheibe. Ein schwarzer Kreis jenseits davon wäre der Sender. Ansonsten war der Fußboden durchscheinend, ebenso die Hülle auf Backbord und die Heckwand.
Der Hyperdrive-Shunt verlief fast durch die gesamte Länge des Schiffs unter dem Boden. Louis erkannte die Maschinerie anhand ihrer grundlegenden Bauweise wieder. Sie war nicht von Menschen hergestellt; sie hatte das halb zerschmolzene Aussehen der meisten Konstruktionen der Puppenspieler. Also: Das Schiff verfügte über die Fähigkeit zur Überlichtgeschwindigkeit. Anscheinend war ein langer Flug für ihn vorgesehen.
Durch die Heckwand blickte Louis in einen Frachtraum mit einer halbrunden Luke in der Seite. Ein schiefer Kegel von zehn Metern Höhe und doppelt so lang füllte ihn fast völlig. Die Spitze war ein Türmchen mit Bullaugen für Waffen und/oder Messgeräte. Unterhalb des Türmchens verlief ein Rundum-Fenster. Noch weiter unten gab es eine Luke, die nach dem Herabfallen eine Rampe bilden konnte.
Es war ein Landefahrzeug, ein Erkundungsschiff. Von Menschenhand gebaut, dachte Louis, und zwar nach Kundenwünschen. Es hat nichts von dem halb zerschmolzenen Aussehen. Jenseits des Landefahrzeugs erspähte er eine silbrige Wand, wahrscheinlich ein Treibstofftank.
Bisher hatte er noch keine Tür in sein eigenes Abteil gesehen.
Mit einiger Anstrengung warf Louis den Kopf zur anderen Seite. Jetzt sah er nach vorn ins Cockpit. Ein großer Abschnitt des Schiffes bestand in einer undurchsichtigen grünen Wand, aber er konnte daran vorbei eine geschwungene Anordnung von Bildschirmen erkennen, dazu Wählscheiben mit winzigen, dicht beieinanderstehenden Zahlen und Schaltern, die für die Münder der Puppenspieler geformt waren. Der Kontrollsessel des Piloten war eine gepolsterte Bank mit Auffangnetzen und Einkerbungen für Hüfte und Schultern eines Pierson‘s-Puppenspielers. In jener Wand gab es keine Tür.
Nach Steuerbord – nun ja, ihre Zelle war zumindest ziemlich groß. Er sah eine Dusche, zwei Schlafplatten, reiche Felldecken, vielleicht das Wasserbett eines Kzin, und dazwischen eine massige Struktur, in der Louis einen Essensaufbereiter und -automaten erkannte, hergestellt in Wunderland. Hinter den Betten befand sich eine weitere grüne Wand und keine Luftschleuse, und das war’s dann auch schon. Sie befanden sich in einer Kiste ohne Öffnungen.
Das Schiff hatten Puppenspieler gebaut: eine General-Products-Nr. 3-Hülle, ein Zylinder, entlang des Bauchs abgeplattet und an den Enden abgerundet. Das Handelsimperium der Puppenspieler hatte Millionen solcher Schiffe verkauft. Sie wurden als unverwundbar gegenüber jeglicher Bedrohung angepriesen, abgesehen von Schwerkraft und sichtbarem Licht. Etwa zur Zeit von Louis Wus Geburt war die Spezies der Puppenspieler aus dem bekannten Raum zu den Magellanschen Wolken geflohen. Jetzt, etwas über zweihundert Jahre später, sah man die General-Products-Hüllen immer noch überall. Einige hatten ein Dutzend Generationen von Besitzern gehabt.
Vor dreiundzwanzig Jahren war das von den Puppenspielern gebaute Raumschiff Liar auf der Oberfläche der Ringwelt mit etwa elfhundert Kilometern pro Stunde abgestürzt. Ein Stasisfeld hatte Louis und die anderen Passagiere geschützt – und die Hülle war nicht mal angekratzt worden.
»Du bist ein Kzin-Krieger«, sagte Louis. Seine Lippen waren schwer und taub. »Kannst du dir einen Weg durch eine General-Products-Hülle schlagen?«
»Nein«, erwiderte der Sprecher. (Nicht Sprecher, Chmee)
»Es war die Frage wert. Chmee, was tust du auf Cañon?«
»Ich erhielt eine Botschaft. Louis Wu ist in der Spalte auf Warhead, lebt unter dem Draht. Zum Beweis lag ein Hologramm bei. Weißt du, wie du unter dem Draht aussiehst? Eine Meerespflanze mit Wedeln, die sich je nach Lust und Laune der Strömung bewegt.«
Louis entdeckte, dass ihm Tränen an der Nase herabtropften. »Tanj. Tanj Folter. Warum bist du hergekommen?«
»Ich wollte dir sagen, was du für ein wertloses Ding bist.«
»Wer hat diese Botschaft geschickt?«
»Ich wusste es nicht. Es muss der Puppenspieler gewesen sein. Er wollte uns beide. Louis, ist dein Gehirn so ruiniert, dass dir nicht aufgefallen ist, dass der Puppenspieler …«
»… nicht Nessus ist. Genau. Aber hast du gesehen, was er mit seiner Mähne macht? Diese schmucke Frisur muss ihn gut und gern eine Stunde pro Tag kosten. Wenn ich sie auf der Welt der Puppenspieler gesehen hätte, dann würde ich glauben, er ist hochrangig.«
»Nun?«
»Kein geistig gesunder Puppenspieler würde sein Leben auf einem interstellaren Flug riskieren. Die Puppenspieler haben ihr gesamte Welt mitgenommen, ganz zu schweigen von vier Farmwelten; sie fliegen Hunderte von Tausenden von Jahren mit Unterlichtgeschwindigkeit, nur weil sie Raumschiffen misstrauen. Wer das auch immer ist, er ist verrückt, genau wie jeder Puppenspieler, der je von Menschen gesehen wurde. Ich weiß nicht, was von ihm zu erwarten ist«, sagte Louis Wu. »Aber er ist zurück.«
Der Puppenspieler war auf im Cockpit, auf einer sechseckigen Trittscheibe, und beobachtete sie durch die Wand. Er sprach mit einer weiblichen Stimme, einem wunderbaren Alt. »Könnt ihr mich hören?«
Chmee taumelte von der Wand weg, blieb einen Moment lang auf den Beinen, ließ sich dann auf alle viere fallen und ging auf ihn los. Er knallte hart gegen die Wand. Jeder Puppenspieler wäre zurückgezuckt, aber der hier nicht. Er sagte: »Unsere Expedition ist fast vollständig versammelt. Uns fehlt nur noch ein Besatzungsmitglied.«
Louis entdeckte, dass er sich herumwälzen konnte, und das tat er. Er sagte: »Geh mal zurück und fang von vorn an. Du hast uns in eine Kiste verfrachtet, du brauchst nichts zu verbergen. Wer bist du?«
»Du kannst dir jeden Namen für mich aussuchen, der dir gefällt.«
»Was bist du? Was benötigst du von uns?«
Der Puppenspieler zögerte. Dann sagte er: »Ich war der Hinterste in meiner Welt. Ich war der Paarungsgenosse desjenigen, den ihr als Nessus kennt. Jetzt bin ich nichts davon. Ich benötige euch als Mannschaft für eine erneute Expedition zur Ringwelt, um meinen Status wiederherzustellen.«
»Wir werden dir nicht dienen«, sagte Chmee.
»Geht es Nessus gut?«, fragte Louis.
»Ich danke dir für deine Sorge. Nessus ist gesund an Geist und Körper. Der Schock, den er auf der Ringwelt erlitt, war lediglich das, was er brauchte, um seine geistige Gesundheit wiederherzustellen. Er ist daheim und kümmert sich um unsere beiden Kinder.« Was Nessus erlitten hatte, dachte Louis, hätte jedem einen Schock versetzt. Die Einheimischen der Ringwelt hatten ihm einen seiner Köpfe abgeschnitten. Wenn Louis und Thekla nicht daran gedacht hätten, um die Kehle des Alien eine Aderpresse anzulegen, wäre Nessus verblutet. »Ich verstehe also richtig, dass ihm ein neuer Kopf transplantiert wurde.«
»Natürlich.«
»Du wärst nicht hier«, sagte Chmee, »wenn du nicht wahnsinnig wärst. Warum sollten deine Trillionen Puppenspieler jemanden zum Herrscher wählen, der geschädigt ist?«
»Ich betrachte mich selbst nicht als wahnsinnig.« Das Hinterbein des Puppenspielers spannte sich unermüdlich. (Seine Gesichter, so sie denn überhaupt einen Ausdruck hatten, zeigten lediglich Idiotie mit schlaffen Lippen.) »Bezeichne mich also bitte nicht wieder so. Ich diene meiner Spezies gut, und vier Hinterste haben vor mir gut gedient, bevor die Fraktion der Konservativen genügend Macht errang, um meine Fraktion zu ersetzen. Sie irren sich. Ich werde es beweisen. Wir werden zur Ringwelt fliegen und Schätze finden, die über ihr klägliches Verständnis hinausgehen.«
»Einen Kzin zu entführen«, polterte Chmee, »ist wahrscheinlich ein Fehler.« Seine langen Klauen waren ausgestreckt.
Der Puppenspieler betrachtete sie durch die Wand. »Du wärst nicht mitgekommen. Louis wäre nicht mitgekommen. Du hattest deinen Status und deinen Namen. Louis hatte seinen Trafroh. Unser viertes Mitglied war ein Häftling. Meine Agenten informieren mich, dass sie befreit wurde und auf dem Weg zu uns ist.«
Louis lachte bitter. Aller Humor war bitter ohne den Trafroh. »Du hast wirklich nicht viel Fantasie, nicht wahr? Es ist genauso wie auf der ersten Expedition. Ich, Chmee, ein Puppenspieler und eine Frau. Wer ist die Frau? Eine weitere Teela Brown?«
»Nein! Nessus hat sich vor Teela Brown gefürchtet – mit Recht, glaube ich. Ich habe Halrloprillalar aus den Klauen der ARM gestohlen. Wir werden eine Einheimische der Ringwelt als Führerin haben. Was den Charakter unserer Expedition betrifft, warum sollte ich eine Gewinner-Strategie verwerfen? Ihr seid der Ringwelt entkommen.«
»Alle außer Teela.«
»Teela ist aus eigenen freien Stücken geblieben.«
»Wir sind für unsere Bemühungen bezahlt worden«, sagte der Kzin. »Wir haben ein Raumschiff zurückgebracht, das imstande ist, ein Lichtjahr in eins Komma zwei-fünf Minuten zu durchqueren. Dieses Schiff hat mir meinen Namen und meinen Status erkauft. Was kannst du uns jetzt bieten, im Vergleich dazu?«
»Vieles. Kannst du dich jetzt bewegen, Chmee?«
Der Kzin erhob sich. Er hatte anscheinend den größten Teil der Effekte der Betäubungspistole abgeschüttelt. Louis war nach wie vor benommen und taub in den Extremitäten.
»Bist du gesund? Ist da Benommenheit oder Schmerz oder Übelkeit?«
»Warum so besorgt, Wurzelesser? Du hast mich über eine Stunde lang im Automed gelassen. Mir mangelt es an Koordination, und ich habe Hunger, nichts Schlimmeres.«
»Gut. Wir konnten die Substanz bisher nur testen. Sehr schön, Chmee, du hast deine Bezahlung. Boosterkraut war die Medizin, die Louis Wu zweihundert und dreiundzwanzig Jahre lang jung erhalten hat. Mein Volk hat etwas Entsprechendes für Kzinti entwickelt. Du kannst die Formel heim zum Kzinti-Patriarchat bringen, wenn unsere Mission beendet ist.«
Chmee wirkte verblüfft. »Ich werde jung werden? Dieses Zeug ist bereits in mir?«
»Ja.«
»Wir hätten selbst so etwas entwickeln können. Wir wollten es nicht.«
»Ich brauche dich jung und stark. Chmee, auf unserer Mission gibt es keine große Gefahr! Ich habe nicht die Absicht, auf der Ringwelt selbst zu landen, sondern nur auf dem Raumhafen-Sims. Du kannst jegliches Wissen teilen, das wir dort vorfinden, und du auch, Louis. Was deine unmittelbare Belohnung betrifft …«
Was auf der Trittscheibe auftauchte, war Louis Wus Trafroh. Das Gehäuse war geöffnet und erneut versiegelt worden. Louis‘ Herz vollführte einen Satz.
»Benutze ihn noch nicht«, sagte Chmee, und das war ein Befehl.
»Na gut. Hinterster, wie lange hast du mich beobachtet?«
»Vor fünfzehn Jahren fand ich dich im Cañon. Meine Agenten waren bereits auf der Erde am Werk und versuchten, Halrloprillalar zu befreien. Sie hatten wenig Erfolg. Ich installierte Trittscheiben in dieser Wohnung und wartete auf den richtigen Zeitpunkt. Ich gehe jetzt und verpflichte unsere einheimische Führerin.« Die Puppenspieler verstellte etwas mit den Mündern bei den Schaltern, trat vor und war verschwunden.
»Benutze den Trafroh nicht«, sagte Chmee.
»Ganz, wie du meinst.« Louis kehrte ihm den Rücken zu. Er wusste, dass er verrückt werden würde, wenn sein Verlangen nach dem Draht ihn dazu drängte, einen Kzin anzugreifen. Zumindest eine gute Sache könnte daraus entspringen … und er klammerte sich fest an diesen Gedanken.
Er könnte nichts für Halrloprillalar tun.
Halrloprillalar war Tausende von Jahren alt gewesen, als sie sich Louis, Nessus und Sprecher-mit-Tieren auf ihrer Suche nach einem Weg von der Ringwelt herunter angeschlossen hatte. Die Einheimischen, die unter der schwebenden Polizeistation lebten, hatten sie als eine Göttin behandelt, die im Himmel lebte. Das ganze Team hatte dieses Spiel gespielt – für die Einheimischen mithilfe von Halrloprillalar als Götter leben –, während sie sich auf ihren Weg zurück zum Wrack der Liar begeben hatten. Und sie und Louis waren ineinander verliebt gewesen.
Die Einheimischen der Ringwelt, die drei Formen, denen das Team begegnet war, waren alle mit der Menschheit verwandt gewesen, jedoch nicht völlig menschlich. Halrloprillalar war nahezu kahl und hatte Lippen, die nicht mehr ausgestülpt waren als die eines Affen. Manchmal suchen die sehr Alten nichts weiter als Abwechslung in ihren Liebesaffären. Louis hatte sich gefragt, ob ihm das geschehen würde. Er konnte Charaktermängel in Prill erkennen … aber, tanj! Er hatte seine eigene Sammlung davon.
Und er war Halrloprillalar etwas schuldig. Sie hatten ihre Hilfe benötigt, und Nessus hatte eine spezielle Macht der Puppenspieler bei ihr angewendet. Nessus hatte sie mit einem Tasp konditioniert. Louis hatte zugelassen, dass er es tat.
Sie war mit Louis in den menschlichen Raum zurückgekehrt. Sie war mit ihm in die UN-Vertretung in Berlin gegangen und nie wieder herausgekommen. Wenn der Hinterste sie befreien und sie zu ihrer Heimat zurückbringen konnte, wäre das mehr, als Louis Wu für sie tun könnte.
»Ich glaube«, sagte Chmee, »der Puppenspieler lügt. Größenwahn. Warum sollten Puppenspieler einem der ihren mit krankem Geist erlauben, sie zu regieren?«
»Sie würden es nicht selbst versuchen. Risiko. Unbehaglich sitzt der Hintern, der den Chef trägt. Für Puppenspieler ergibt das so eine Art Sinn, sich den hellsten eines winzigen Prozentsatzes von Größenwahnsinnigen herauszupicken … Oder betrachte es doch mal von der anderen Seite: Eine Reihe von Hintersten lehrte den Rest der Bevölkerung, die Köpfe unten zu halten – versuche nicht, zu viel Macht zu erringen, das ist nicht sicher. Es könnte so oder so funktionieren.«
»Du meinst, er hat die Wahrheit gesagt?«
»Ich weiß nicht genug. Was ist, wenn er lügt? Er hat uns.«
»Er hat dich«, sagte der Kzin. »Er hat dich über den Draht. Warum schämst du dich nicht?«
Louis schämte sich sehr wohl. Er kämpfte darum, dass ihm nicht die Scham den Geist verkrüppelte, ihn in schwarze Verzweiflung einsperrte. Es gab für ihn keinen Weg aus dieser physikalischen Kiste: Wände, Boden und Decke waren Teil einer General-Products-Hülle. Aber es gab Elemente …
»Wenn du immer noch daran denkst auszubrechen«, sagte er, »denkst du besser an dies: Du wirst jung werden. In dieser Hinsicht wird er nicht gelogen haben; das hätte überhaupt keinen Sinn. Was geschieht, wenn du jung wirst?«
»Größerer Appetit. Mehr Durchhaltevermögen. Eine Neigung zum Kampf, und darüber machst du dir besser Sorgen, Louis.«
Chmee hatte körperlich zugelegt beim Älterwerden. Die schwarzen »Brillenränder« um seine Augen waren fast vollständig ergraut, und auch sonst wo gab es etwas Grau. Harte Muskeln zeigten sich, wenn er sich bewegte; kein vernünftiger junger Kzin würde gegen ihn kämpfen. Was jedoch zählte, waren die Narben. Das Fell und ein guter Teil der Haut waren auf mehr als der Hälfte von Chmees Körper beim letzten Mal verbrannt, als Chmee die Ringwelt gesehen hatte. Dreiundzwanzig Jahre später war das Fell wieder gewachsen, aber es wuchs in unregelmäßigen Büscheln über dem Narbengewebe.
»Boosterkraut heilt Narben«, sagte Louis. »Dein Fell wird sich glatt auswachsen. Auch kein Weiß darin.«
»Na gut, dann werde ich hübscher sein.« Der Schwanz peitschte durch die Luft. »Ich muss den Blattesser töten. Narben sind wie Erinnerungen. Wir haben sie nicht entfernt.«
»Wie wirst du beweisen, dass du Chmee bist?«
Der Schwanz erstarrte. Chmee sah ihn an.
»Er hat mich über den Draht.« Louis hatte hinsichtlich dieser Bemerkung Vorbehalte, aber er könnte für ein Mikrofon sprechen. Ein Puppenspieler würde die Möglichkeit von Meuterei nicht außer Acht lassen. »Er hat dich über den Harem, das Land, die Privilegien und den Namen, der zu Chmee, dem alternden Helden, gehört. Der Patriarch glaubt dir deine Geschichte vielleicht erst dann, wenn du Kzinti-Boosterkraut und das Wort des Hintersten hast, die dich stützen.«
»Sei ruhig.«
Auf einmal war alles zu viel für Louis Wu. Er griff nach dem Trafroh, und der Kzin vollführte einen Satz. Chmee drehte das schwarze Kunststoffgehäuse in einer schwarz und orangefarbenen Hand.
»Wie du meinst«, sagte Louis. Er warf sich auf den Rücken. Ihm mangelte es sowieso an Schlaf …
»Wie bist du zu einem Drahtkopf geworden? Wie?«
»Ich«, erwiderte Louis, und: »Wie kannst du das verstehen?«, und: »Erinnerst du dich an unsere letzte Begegnung?«
»Ja. Wenige Menschen sind nach Kzin selbst eingeladen worden. Damals hast du die Ehre verdient.«
»Vielleicht. Vielleicht war das so. Erinnerst du dich, wie du mir das Haus der Vergangenheit des Patriarchen gezeigt hast?«
»Allerdings. Du hast mir zu sagen versucht, dass wir die Beziehungen zwischen den Spezies verbessern könnten. Dazu müssten wir lediglich ein Team menschlicher Reporter mit Holokameras durch das Museum gehen lassen.«
Louis lächelte bei der Erinnerung. »Das habe ich gesagt.«
»Ich hatte meine Zweifel.«
Das Haus der Vergangenheit des Patriarchen war sowohl prächtig als auch grandios gewesen: Ein riesiges, ausgedehntes Gebäude, errichtet aus dicken Brocken vulkanischen Gesteins, die an den Kanten verschweißt waren. Völlig verwinkelt, und in vier hohen Türmen waren Laserkanonen installiert. Die Räume zogen sich endlos dahin. Chmee und Louis hatten zur Durchquerung zwei Tage benötigt.
Die offizielle Vergangenheit des Patriarchen reichte weit zurück. Lous hatte uralte Sthondat-Oberschenkelknochen gesehen, in die Griffe eingearbeitet waren, Knüppel, die primitive Kzinti benutzt hatten. Er hatte Waffen gesehen, die man als Handfeuerwaffen einordnen konnte; wenige Menschen hätten sie anheben können. Er hatte silbern gepanzerte Rüstungen gesehen, die so dick wie eine Safetür waren, eine beidhändige Axt, die einen ausgewachsenen Rotholzbaum umlegen konnte. Er hatte davon gesprochen, einen menschlichen Reporter durch das Museum gehen zu lassen, da waren sie zu Harvey Mossbauer gekommen.
Harvey Mossbauers Familie war während des Vierten Krieges zwischen Mensch und Kzin getötet und gegessen worden. Viele Jahre nach der Waffenruhe und nach einem guten Anteil monomanischer Vorbereitung war Mossbauer allein und bewaffnet auf Kzin gelandet. Er hatte vier männliche Kzin getötet und eine Bombe im Harem des Patriarchen hochgehen lassen, bevor es den Wächter gelungen war, ihn zu töten. Sie waren dadurch behindert worden, hatte Chmee erklärt, dass sie seine Haut unversehrt erhalten wollten.
»Das nennst du unversehrt?«
»Aber er kämpfte. Wie er kämpfte! Es gibt Aufzeichnungen. Wir verstehen einen tapferen und mächtigen Feind zu ehren, Louis.«
Die ausgestopfte Haut war so vernarbt, dass man zweimal hinsehen musste, um zu sagen, welcher Spezies sie angehörte; aber sie stand auf einem hohen Podest mit einer Plakette aus Hüllenmetall, und um sie herum war nichts weiter als Fußboden. Ein gewöhnlicher Reporter hätte das vielleicht missverstanden, aber Louis begriff den Sinn des Ganzen. »Ich fragte mich, ob ich dich dazu bringen kann zu verstehen«, sagte er zwanzig Jahre später, ein entführter Drahtkopf und seines Trafrohs beraubt, »wie gut es sich damals anfühlte zu wissen, dass Harvey Mossbauer ein Mensch war.«
»Es ist gut, in Erinnerungen zu schwelgen, aber wir haben von Stromsucht gesprochen«, erinnerte ihn Chmee.
»Glückliche Menschen werden keine Stromsüchtigen. Du musst dir tatsächlich den Stecker implantieren lassen. An jenem Tag habe ich mich gut gefühlt. Ich fühlte mich wie ein Held. Weißt du, wo sich Halrloprillalar zu dieser Zeit befand?«
»Wo war sie?«
»Die Regierung hatte sie. Die ARM. Sie hatten jede Menge Fragen, und es gab tanj nichts, was ich in dieser Hinsicht hätte tun können. Sie stand unter meinem Schutz. Ich habe sie mit mir zurück zur Erde gebracht …«
»Sie hatte dich bei den Eiern, Louis. Es ist gut, dass weibliche Kzinti nicht intelligent sind. Du hättest alles getan, worum sie gebeten hätte. Sie hat darum gebeten, den menschlichen Raum zu sehen.«
»Sicher, mit mir als einheimischem Führer. Es ist bloß nicht dazu gekommen. Chmee, wir haben die Long Shot und Halrloprillalar nach Hause gebracht, und wir haben sie einer Koalition aus Kzin und Erde übergeben, und das ist das Letzte, was wir von beiden gesehen haben. Wir konnten nicht mal mit jemandem darüber sprechen.«
»Der zweite Quanten-Hyperdrive-Antrieb wurde ein Geheimnis des Patriarchen.«
»Er ist auch topsecret bei den Vereinten Nationen. Ich glaube, sie haben nicht mal den anderen Regierungen des menschlichen Raums davon berichtet, und sie haben es tanj klargemacht, dass ich besser nicht rede. Und natürlich war die Ringwelt Teil des Geheimnisses, denn wie hätten wir ohne die Long Shot dorthin gelangen können? Wobei ich mich frage«, sagte Louis, »wie der Hinterste erwarten kann, die Ringwelt zu erreichen. Zweihundert Lichtjahre von der Erde – mehr, von Cañon – mit drei Tagen pro Lichtjahr, wenn er dieses Schiff benutzt. Meinst du, er hat eine andere Long Shot irgendwo schweben?«
»Du wirst mich nicht ablenken. Warum hast du einen implantierten Draht?« Chmee duckte sich, die Klauen ausgefahren. Vielleicht war es ein Reflex, jenseits bewusster Kontrolle – vielleicht.
»Ich habe Kzin verlassen und bin nach Hause gefahren«, erwiderte Louis. »Ich konnte die ARM nicht dazu bringen, dass ich Prill sehen durfte. Wenn ich eine Ringwelt-Expedition hätte zusammenbekommen können, hätte sie als einheimische Führerin mitkommen müssen, aber, tanj!, ich konnte nicht mal darüber sprechen, außer mit der Regierung … und dir. Du warst nicht interessiert.«
»Wie hätte ich gehen können? Ich hatte Land, einen Namen und erwartete Kinder. Weibliche Kzinti sind sehr abhängig. Sie benötigen Pflege und Aufmerksamkeit.«
»Was passiert jetzt mit ihnen?«
»Mein ältester Sohn wird sich um meinen Besitz kümmern. Wenn ich ihn zu lange verlasse, wird er gegen mich kämpfen, um ihn zu behalten. Wenn – Louis! Warum bist du ein Drahtkopf geworden?«
»Irgendein Clown traf mich mit einem Tasp!«
»Arr?«
»Ich bin durch ein Museum in Rio gewandert, als mir jemand, der hinter einer Säule stand, den Tag versüßte.«
»Aber Nessus hat einen Tasp zur Ringwelt mitgenommen, um seine Mannschaft zu kontrollieren. Er hat ihn bei uns beiden angewendet.«
»Stimmt. Sehr nach Art eines Pierson‘s-Puppenspielers, uns Gutes zu tun, indem er uns kontrollierte! Der Hinterste wendet jetzt dieselbe Vorgehensweise an. Sieh mal, er kann meinen Trafroh fernsteuern, und er hat dir ewige Jugend geschenkt, und was ist das Ergebnis? Wir tun alles, was er uns sagt, genau das.«
»Nessus hat den Tasp bei mir angewendet, aber ich bin kein Drahtkopf.«
»Damals wurde ich auch nicht zu einem Drahtkopf. Aber ich habe mich daran erinnert. Ich habe mich beim Gedanken an Prill wie ein Lump gefühlt – habe an ein Sabbatjahr gedacht. Das tue ich gewöhnlich, allein in einem Schiff losfliegen und zum Rand des bekannten Raums ziehen, bis ich Menschen wieder ertragen kann. Bis ich mich selbst wieder ertragen konnte. Aber ich wäre vor Prill davongelaufen. Dann hat mir irgendein Clown den Tag versüßt. Er hat mir keinen allzu heftigen Schlag versetzt, aber er hat mich an diesen Tasp erinnert, den Nessus dabeihatte, und das war zehnmal so mächtig. Ich … habe fast ein Jahr lang widerstanden, und dann bin ich hingegangen und habe mir einen Stecker in den Kopf implantieren lassen.«
»Ich sollte dir diesen Draht aus dem Gehirn reißen.«
»Das könnte unerwünschte Nebeneffekte haben.«
»Wie bist du zur Kluft auf Warhead gelangt?«
»Oh, das. Vielleicht war ich paranoid, aber sieh mal: Halrloprillalar ist im ARM-Gebäude verschwunden und nie mehr rausgekommen. Hier wurde Louis Wu zu einem Drahtkopf, und es ließ sich nicht sagen, wem der dumme Planetarier Geheimnisse verraten würde. Ich dachte, ich laufe besser weg. Auf Cañon lässt sich leicht ein Schiff landen, ohne dass es jemand bemerkt.«
»Ich gehe davon aus, dass der Hinterste es gefunden hat.«
»Chmee, gib mir den Trafroh oder lass mich schlafen oder bring mich um. Mir fehlt gerade die Motivation.«
»Dann schlafe.«
Es war gut, schwebend zwischen Schlafplatten zu erwachen … bis es Louis wieder einfiel.
Chmee riss an einem Stück rohem Fleisch. Wunderland baute diese Essensaufbereiter oft so, dass sie mehr als einer Spezies dienen konnten. Der Kzin unterbrach seine Mahlzeit lange genug, um zu sagen: »Jedes Teil an Bord wurde von Menschen gebaut oder hätte von Menschen gebaut sein können. Sogar die Hülle hätte auf jeder menschlichen Welt erworben werden können.«
Wie ein Baby im Mutterleib trieb Louis im freien Fall, die Augen geschlossen und die Knie angezogen. Aber es ließ sich unmöglich vergessen, wo er war. »Ich dachte«, sagte er, »das große Landungsboot hätte ein jinxianisches Aussehen. Auftragsbestellung, aber auf Jinx gefertigt. Was ist mit deinem Bett? Kzinti?«
»Kunstfasern. Soll an den Pelz eines Kzin erinnern und zweifelsohne heimlich an Menschen mit einem seltsamen Sinn für Humor verkauft. Es wäre mir ein Vergnügen, den Hersteller zu jagen.«
Louis streckte die Hand aus und tippte auf den Kontrollschalter für das Feld. Das Schlaffeld brach zusammen und senkte ihn sanft zu Boden. Draußen war es Nacht: grellweiße Sterne über ihnen und eine Landschaft wie formloser schwarzer Samt. Selbst wenn sie an Raumanzüge hätten gelangen können, so läge der Cañon halb um den Planeten herum. Oder gerade jenseits jenes schwarzen Felskamms, der sich in die Sternenlandschaft hineinschob; aber wie sollte er das wissen?
Die Wiederaufbereitungsküche hatte zwei Tastaturen, eine mit Anweisungen auf Interworld und eine in der Heldensprache. Und zwei Toiletten auf entgegengesetzten Seiten. Louis wäre eine weniger deutliche Anordnung lieber gewesen. Er wählte ein Frühstück, das das Repertoire der Küche auf die Probe stellen würde.
»Interessiert dich die Lage überhaupt, Louis?«, knurrte der Kzin.
»Schau mal nach unten.«
Der Kzin kniete sich hin. »Arr … ja. Puppenspieler haben den Hyperdrive-Shunt gebaut. Dies ist das Schiff, in dem der Hinterste der Flotte der Welten entflohen ist.«
»Du vergisst auch die Trittscheiben. Die Puppenspieler verwenden sie nirgendwo, außer auf ihrer eigenen Welt. Jetzt entdecken wir, dass der Hinterste menschliche Agenten auf Trittscheiben losschickt, um mich zu fangen.«
»Der Hinterste muss sie, das Schiff und noch etwas mehr gestohlen haben. Möglicherweise war ihm General Products etwas schuldig, und die Schuld wurde nie beglichen. Louis, ich glaube nicht, dass der Hinterste Unterstützung seitens der Puppenspieler hat. Wir sollten versuchen, die Puppenspieler-Flotte zu erreichen.«
»Chmee, wahrscheinlich gibt es hier Mikrofone.«
»Sollte ich wegen dieses Blattfressers auf meine Worte achten?«
»Na gut, sehen wir uns die Sache mal an.« Die Depression, die er spürte, kam als bitterer Sarkasmus heraus, und warum auch nicht? Chmee hatte seinen Trafroh. »Ein Puppenspieler hat einer Laune nachgegeben, Menschen und Kzinti zu entführen. Natürlich werden die ehrbaren Puppenspieler entsetzt sein. Werden sie uns wirklich heimkehren und dem Patriarchen davon erzählen lassen? Der zweifellos sein Bestes getan hat, weitere Long Shots zu bauen, die die Flotte der Puppenspieler in nur etwas über vier Stunden erreichen können, plus der Beschleunigungszeit, um die Geschwindigkeiten anzupassen – sagen wir, drei Monate mit drei g…«
»Es reicht, Louis!«
»Tanj, wenn du einen Krieg anfangen wolltest, hättest du deine Gelegenheit gehabt! Nessus zufolge hatten sich die Puppenspieler in den ersten Krieg zwischen Menschen und Kzin eingemischt, und zwar zu unseren Gunsten. Jetzt warte mal. Du wirst mir doch nicht erzählen, dass du es jemand anderem gesagt hast.«
»Lass das Thema sofort fallen.«
»Natürlich. Nur, mich traf gerade der Gedanke …« und weil das Gespräch vielleicht aufgezeichnet wurde, sprach Louis zum Teil um des Hintersten willen. »Du und ich und der Hinterste sind die einzigen im bekannten Raum, die wissen, was die Puppenspieler getan haben, außer, wenn einer von uns es weiterzählt hat.«
»Sollten wir auf der Ringwelt verlorengehen, würde der Hinterste auf ewig trauern? Ich sehe, worauf du hinauswillst. Aber der Hinterste weiß vielleicht nicht einmal, dass Nessus indiskret war.« Er wird es wissen, wenn er das abspielt, dachte Louis. Meine Schuld. Ich hätte wegen eines Blattessers auf meine Worte achten sollen? Er ging mit einiger Wildheit auf seine Mahlzeit los.
Er hatte sowohl aus Gründen der Einfachheit als auch der Komplexität folgendes gewählt: Eine halbe Grapefruit, ein Schokoladensoufflé, gegrillte Moabrust, jamaikanischen Blue-Mountain-Kaffee, obenauf Schlagsahne. Der größte Teil war gut; nur die Schlagsahne war nicht überzeugend. Aber was könnte man über den Moa sagen? Ein Genetiker des vierundzwanzigsten Jahrhunderts hatte den Moa neu erschaffen, oder er hatte es zumindest behauptet, und die Wiederaufbereitungsküche produzierte eine Imitation davon. Er hatte eine gute Beschaffenheit und schmeckte wie richtiges Geflügelfleisch.
Es war nicht annähernd so wie unter dem Draht.
Er hatte gelernt, mit dieser zeitweiligen Depression zu leben. Sie existierte nur als Kontrast zum Draht; Louis glaubte, dass dies der Normalzustand für die Menschheit war. Von einem verrückten Alien für einen bestimmten Zweck gefangengenommen zu sein, machte es nicht sehr viel schlimmer. Was den schwarzen Morgen so furchtbar machte, war, dass Louis Wu den Trafroh würde aufgeben müssen.
Nachdem er fertig war, warf er das schmutzige Geschirr in die Toilette. »Was möchtest du für den Trafroh haben?«, fragte er.
Chmee schnaubte. »Was hast du zu bieten?«
»Versprechen auf Ehre. Und einen guten Schlafanzug.«
Chmees Schwanz peitschte durch die Luft. »Du warst einmal ein nützlicher Gefährte. Was wirst du sein, falls ich dir den Trafroh gebe? Ein grasendes Tier. Ich behalte den Trafroh.«
Louis begann seine Übungen. Einhändige Liegestütze waren leicht bei halber Schwerkraft. Einhundert pro Hand nicht. Die rückwärts gelegene Krümmung der Hülle war zu tief für einige seiner Routineübungen. Zweihundert Scherensprünge, mit ausgestreckten Fingern ausgestreckte Zehen berühren …
Chmee sah neugierig zu. Schließlich sagte er: »Ich frage mich, warum der Hinterste seine Ehre verloren hat.«
Louis gab keine Antwort. Waagerecht mit den Zehen unter der Unterseite seiner Schlaffeldplatte und einer Platte unter den Waden hängend, vollführte er sehr langsame Sit-ups.
»Und was erwartet er, das wir auf der Raumhafenklippe finden? Was haben wir gefunden? Die Bremsringe sind zu groß, um sie zu bewegen. Könnte er etwas von einem Ringwelt-Raumschiff haben wollen?«
Louis wählte zwei Moa-Schenkel. Er wischte das Fett ab und jonglierte damit: übergroße Gymnastikkeulen. Schweiß bildete sich in großen Tropfen, bevor sie sich widerstrebend an seinem Gesicht und seinem Rumpf hinabbegaben.
Chmees Schwanz peitschte hin und her. Seine großen rosigen Ohren falteten sich zurück, boten einem Feind keinen Halt. Chmee war wütend. Das war sein Problem.
Der Puppenspieler tauchte plötzlich auf, eine undurchdringliche Wand entfernt. Er hatte den Stil seiner Mähne verändert, die Opale durch Lichtpunkte ersetzt … und er war allein. Er studierte die Lage einen Moment lang und sagte: »Nutze den Trafroh, Louis.«
»Diese Möglichkeit habe ich nicht.« Louis warf die Gewichte beiseite. »Wo ist Prill?«
»Chmee, gib Louis den Trafroh«, sagte der Puppenspieler.
»Wo ist Halrloprillalar?«
Ein gewaltiger bepelzter Arm umklammerte Louis‘ Kehle. Louis trat nach hinten aus, legte sein gesamtes Körpergewicht hinein. Der Kzin grunzte. Mit seltsamer Sanftheit drückte er den Trafroh auf den Stecker.
»Na gut«, sagte Louis. Der Kzin ließ ihn los, und er setzte sich. Er hatte es bereits vermutet, ebenso wie natürlich der Kzin. Louis begriff allmählich, wie groß der Wunsch gewesen war, Prill zu sehen … sie befreit aus der ARM zu sehen … sie zu sehen.
»Halrloprillalar ist tot. Meine Agenten haben mich getäuscht«, sagte der Puppenspieler. »Sie haben gewusst, dass die Ringweltlerin seit achtzehn Standardjahren tot ist. Ich könnte bleiben, um sie eliminieren, wo immer sie sich verborgen halten, aber das könnte weitere achtzehn Jahre benötigen. Oder achtzehnhundert. Der menschliche Raum ist zu groß. Sollen sie ihr gestohlenes Geld doch behalten.«
Louis nickte lächelnd, da er wusste, dass dies wehtun würde, wenn er den Trafroh entfernte. Er hörte Chmee fragen: »Wie ist sie gestorben?«
»Sie hat das Boosterkraut nicht vertragen. Die Vereinten Nationen glauben jetzt, dass sie nicht ganz menschlich war. Sie ist sehr schnell gealtert. Ein Jahr und fünf Monate, nachdem sie die Erde erreicht hatte, war sie tot.«
»Bereits tot«, überlegte Louis. »Als ich auf Kzin war …« Aber da war ein Rätsel. »Sie hatte ihre eigene Lebensdroge. Besser als Boosterkraut. Wir haben eine Kryoflasche mitgebracht.«
»Sie wurde gestohlen. Mehr weiß ich nicht.«
Gestohlen? Aber Prill ist niemals über die Straßen der Erde gegangen, sodass sie einem gewöhnlichen Dieb hätte begegnen können. Wissenschaftler der Vereinten Nationen hatten vielleicht die Flasche geöffnet, um das Zeug zu analysieren, aber sie hätten nicht mehr als ein Mikrogramm benötigt … Er würde es vielleicht nie erfahren. Und anschließend hatten sie sie festgehalten, um ihr Wissen an sich zu nehmen, bevor sie starb.
Dies würde bestimmt wehtun. Aber noch nicht.
»Wir dürfen nicht länger warten.« Der Puppenspieler ließ sich in seiner gepolsterten Bank nieder. »Ihr werdet in Stasis fliegen, um Ressourcen zu sparen. Ich habe einen Zusatztank mit Treibstoff, der abzuwerfen ist, bevor wir in den Hyperraum eintreten. Wir werden vollgetankt eintreffen. Chmee, würdest du unser Schiff taufen?«
»Dann willst du vorschlagen, blind zu erforschen?«, wollte Chmee wissen.
»Nur den Sims mit dem Raumhafen und nichts weiter. Würdest du das Schiff taufen?«
»Ich taufe es auf Hot Needle of Inquiry, heiße Nadel der Befragung.«
Louis lächelte und fragte sich, ob der Puppenspieler diesen Ausdruck wiedererkannte. Ihr Schiff war jetzt auf ein Kzinti-Folterinstrument getauft. Der Puppenspieler umfasste zwei Schalter mit den Mündern und brachte sie zusammen.
Louis sackte zusammen, als sich sein Gewicht plötzlich verdoppelte. Die schwarze Landschaft von Cañon war verschwunden. Sie musste jetzt inmitten der Sternenlandschaft unsichtbar sein, einer veränderten Sternenlandschaft, in der ein Stern direkt unter ihm heller leuchtete als die übrigen. Der Hinterste löste sich aus dem Schutznetz und der Pilotenliege. Der Puppenspieler hatte sich gleichfalls verändert. Er bewegte sich wie erschöpft, und seine Mähne – jetzt anders gestylt – schien seit einiger Zeit nicht mehr gepflegt worden zu sein.
Strom tötete das Gehirn nicht ab. Louis erkannte das Offensichtliche: Dass er und Chmee zwei Jahre in Stasis verbracht haben mussten, während der Puppenspieler die Needle allein durch den Hyperraum geflogen hatte; dass der bekannte Raum, eine Blase erforschter Sternsysteme mit einem Radius von etwa vierzig Lichtjahren, weit hinter ihnen liegen musste; dass die Hot Needle of Inquiry gebaut worden war, um von einem Piersons-Puppenspieler geflogen zu werden, während alle übrigen Passagiere in Stasis lagen, und nur die Gnade eines Puppenspielers würde sie jemals zurückkehren lassen. Dass er ein menschliches Wesen zum letzten Mal gesehen hatte und dass Halrloprillalar aufgrund von Louis Wus Achtlosigkeit tot war und dass er sich schrecklich allein fühlen würde, wenn der Trafroh aus seinem Kopf herauskäme, was bald geschehen würde. Nichts davon zählte, während der winzige Strom nach wie vor in sein Gehirn tröpfelte.
Er sah keine Ausstoßflamme. Die Hot Needle of Inquiry musste sich allein mit reaktionslosen Schubdüsen voran bewegen.
Die Designer der Liar hatten die Schiffsantriebe auf ihre großen Deltaflügel montiert. So etwas wie ein gewaltiger Laser hatte auf sie gefeuert, als sie über die Ringwelt hinweggeflogen waren, und die Antriebe waren weggebrannt worden. Diesen Fehler hätte der Hinterste nicht wiederholt, dachte Louis. Die Schubdüsen der Needle wären innerhalb der undurchdringlichen Hülle montiert.
»Wie lange noch, bis wir landen können?«, fragte Chmee.
»Wir können in fünf Tagen andocken. Ich war außerstande, fortschrittliche Antriebssysteme von der Flotte der Welten mitzunehmen. Mit menschengebauten Maschinen können wir nur mit zwanzig g abbremsen. Ist euch die Kabinenschwerkraft bequem?«
»Ein wenig leicht. Ein irdisches g?«
»Ein Ringwelt-g, Nullkomma neun neun vier fünf irdisches g.«
»Lass es so, wie es ist. Hinterster, du hast uns keine Instrumente gegeben. Ich würde gern die Ringwelt studieren.«
Der Puppenspieler überlegte. »Dein Landefahrzeug verfügt auch über ein Teleskop, aber es zeigt nicht direkt nach unten. Warte ein paar Augenblicke.« Der Puppenspieler drehte sich zu seiner Instrumententafel um. Ein Kopf wandte sich zurück und sprach mit dem zischenden-spuckenden-knurrenden Akzent der Heldensprache.
»Verwende Interworld. Lass Louis zumindest zuhören.«
Was der Puppenspieler auch tat. »Es ist gut, in irgendeiner Sprache zu reden. Ich war einsam. Da, hier ist eine Projektion vom Teleskop der Needle.«
Ein Bild erschien unter Louis Wu: ein Rechteck ohne Grenzlinien, in dem die Sonne der Ringwelt und die Sterne darin plötzlich weitaus größer erschienen. Louis blockte die Sonne mit der Hand und suchte. Dort war die Ringwelt: ein himmelblauer Faden, der einen Halbkreis bildete.
Stell dir zwanzig Meter Geschenkband von zwei Zentimetern Breite vor. Verknote es zu einem Kreis, eine Kante auf dem Fußboden, und stelle eine Kerze in die Mitte. Jetzt vergrößere den Maßstab:
Die Ringwelt war ein Band aus einem unvernünftig starken Material, gut anderthalb Millionen Kilometer breit und über neunhundert Millionen Kilometer lang, zu einem Kreis von Hundertzwanzig Millionen Kilometern Radius mit einer Sonne im Zentrum zusammengedreht. Der Ring drehte sich mit tausend Kilometern pro Sekunde, schnell genug, um eine Schwerkraft durch die nach außen gerichtete Zentrifugalkraft zu erzeugen. Die unbekannten Ringwelt-Ingenieure hatten die innere Oberfläche mit Erdboden und Ozeanen und einer Atmosphäre ausgestattet. An beiden Kanten hatten sie Mauern von mehr als anderthalb Kilometern Höhe hochgezogen, um die Luft im Innern zu halten. Wahrscheinlich leckte dennoch Luft über die Mauern, aber nicht schnell. Eine innerer Ring von zwanzig Schattenrechtecken, die das vereinnahmten, was im Sonnensystem die Merkurbahn gewesen wäre, sorgte für einen Dreißig-Stunden-Tag-und-Nachtzyklus auf der Ringwelt. Die Ringwelt umfasste eintausend Millionen Quadratkilometer bewohnbaren Planeten. Drei Millionen mal das Gebiet der Erde.
Louis, Sprecher-mit-Tieren und Nessus und Teela Brown waren fast ein Jahr lang über die Ringwelt gezogen: Dreihundertzwanzigtausend Kilometer über die Breite, dann zurück zu der Stelle, wo die Liar abgestürzt war. Ein Fünftel der Breite. Das machte sie kaum zu Experten. Hätte ein intelligentes Lebewesen jemals behaupten können, ein Experte der Ringwelt zu sein?
Aber sie hatten einen der Raumhafensimse an der Außenseite der Randmauer erkundet. Wenn der Hinterste die Wahrheit sagte, dann würden sie nicht mehr benötigen. Landen auf dem Raumhafensims, alles mitnehmen, was der Hinterste dort zu finden erwartete, und ab! Schnell! Weil …