Weltenwandler - Larry Niven - E-Book

Weltenwandler E-Book

Larry Niven

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Beschreibung

Sigmund Ausfaller ist Geheimagent der ARM, der Polizei der vereinten Nationen. Und er hat ein Problem: Er ist chronisch paranoid. Dumm nur, dass sein Job darin besteht, Verschwörungen unter den außerirdischen Völkern aufzudecken. Doch was tut ein Paranoiker, wenn ihm niemand glaubt ... und er tatsächlich von lauter Verschwörungen umgeben ist?

Der zweite Roman im "Fleet of Worlds"-Zyklus innerhalb des Known Space - Larry Nivens episches Ringwelt-Universum!

eBooks von beBEYOND - fremde Welten und fantastische Reisen.

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Inhalt

Cover

Larry Niven bei Bastei Lübbe

Über dieses Buch

Über die Autoren

Titel

Impressum

Dramatis Personae

DIE – ERDJAHR 2637

KAPITEL 1

KAPITEL 2

EIN SCHWERWIEGENDER AUFTRAG – ERDJAHR 2641

KAPITEL 3

KAPITEL 4

KAPITEL 5

KAPITEL 6

KAPITEL 7

HINAUS INS ALL – ERDJAHR 2645

KAPITEL 8

KAPITEL 9

KAPITEL 10

KAPITEL 11

KAPITEL 12

HÖCHST UNGEWÖHNLICH – ERDJAHR 2645

KAPITEL 13

KAPITEL 14

KAPITEL 15

KAPITEL 16

KAPITEL 17

KAPITEL 18

IM AUGE DES STURMS – ERDJAHR 2648

KAPITEL 19

KAPITEL 20

KAPITEL 21

REHABILITIERT – ERDJAHR 2650

KAPITEL 22

KAPITEL 23

KAPITEL 24

KAPITEL 25

KAPITEL 26

KAPITEL 27

KAPITEL 28

KAPITEL 29

BELAGERT – ERDJAHR 2651

KAPITEL 30

KAPITEL 31

KAPITEL 32

KAPITEL 33

KAPITEL 34

FLAUTE – ERDJAHR 2652 – 2653

KAPITEL 35

KAPITEL 36

KAPITEL 37

KAPITEL 38

KAPITEL 39

KAPITEL 40

KAPITEL 41

KAPITEL 42

KAPITEL 43

VERRATEN – ERDJAHR 2654 – 2655

KAPITEL 44

KAPITEL 45

KAPITEL 46

KAPITEL 47

KAPITEL 48

KAPITEL 49

KAPITEL 50

DIE OUTSIDER – ERDJAHR 2656 – 2657

KAPITEL 51

KAPITEL 52

KAPITEL 53

KAPITEL 54

KAPITEL 55

KAPITEL 56

OFFENBARUNGEN – ERDJAHR 2658

KAPITEL 57

KAPITEL 58

KAPITEL 59

KAPITEL 60

KAPITEL 61

KAPITEL 62

KAPITEL 63

KAPITEL 64

KAPITEL 65

KAPITEL 66

ERLÖSUNG – ERDJAHR 2659

KAPITEL 67

KAPITEL 68

KAPITEL 69

KAPITEL 70

KAPITEL 71

KAPITEL 72

KAPITEL 73

KAPITEL 74

EPILOG – ERDJAHR 2660

Fußnoten

Larry Niven bei Bastei Lübbe

Der Ringwelt-Zyklus:

Ringwelt / Ringwelt Ingenieure.

Doppelband, 2016 (Dt. Erstausgabe 1972 / 1982)

Ringwelt Thron / Hüter der Ringwelt.

Doppelband, 2017 (Dt. Erstausgabe 1998 / 2006)

Weitere Romane im Known Space:

Die Welt der Ptavv.

2018 (auch als »Das Doppelhirn« erschienen, Dt. Erstausgabe 1977)

Ein Geschenk der Erde.

2018 (auch als »Planet der Verlorenen« erschienen, Dt. Erstausgabe 1977)

Protector – Brennans Legende.

2018 (auch als »Der Baum des Lebens« erschienen, Dt. Erstausgabe 1975)

Der Weltenflotte-Zyklus (Known Space):

Weltenwandler.

2014 (Dt. Erstausgabe 2008)

Die Flotte der Puppenspieler.

2014 (Dt. Erstausgabe 2008)

Der Krieg der Puppenspieler.

2011

Verrat der Welten.

2012

Das Schicksal der Ringwelt.

2014

Über dieses Buch

Sigmund Ausfaller ist Geheimagent der ARM, der Polizei der vereinten Nationen. Und er hat ein Problem: Er ist chronisch paranoid. Dumm nur, dass sein Job darin besteht, Verschwörungen unter den außerirdischen Völkern aufzudecken. Doch was tut ein Paranoiker, wenn ihm niemand glaubt … und er tatsächlich von lauter Verschwörungen umgeben ist?

Der zweite Roman im »Fleet of Worlds«-Zyklus innerhalb des Known Space – Larry Nivens episches Ringwelt-Universum!

Über die Autoren

Larry Niven wurde 1938 in Los Angeles, Kalifornien geboren. 1956 schrieb er sich am Institute of Technology in Kalifornien ein, um es ein Jahr später wieder zu verlassen. Ein halbes Jahr später entdeckte er einen alten Buchladen voll mit bereits gelesenen Science-Fiction Magazinen, die ihn inspirierten, selbst etwas zu schreiben. Nachdem er sein Mathematik-Psychologie-Studium 1962 an der Washburn University, Kansas, beendet hatte, begann Larry Niven nun endgültig sich seiner Leidenschaft hinzugeben. Seine erste veröffentlichte Geschichte »The Coldest Place« erschien in der Dezember-Ausgabe von 1964 Worlds of If.

Larry Niven gehört zu den großen Altmeistern des Genres. Er hat im Laufe seiner Karriere mehrmals die bedeutendsten Preise der Science Fiction, den Hugo- und den Nebula-Award, gewonnen, unter anderem für den Roman »Ringwelt«, der als ein Meilenstein der modernen fantastischen Literatur gilt. Mit der Romanserie um das »Ringweltuniversum« hat er wahrscheinlich die populärste SF-Serie aller Zeiten geschaffen.

Edward M. Lerner wurde 1949 in den USA geboren. Er hat mehr als dreißig Jahre für diverse namhafte Firmen in der Luftfahrt- und IT-Industrie gearbeitet, denn er hat einen Abschluss in Physik und Informatik: ein Werdegang, der dafür gesorgt hat, dass er nie sonderlich in Schwierigkeiten geriet - bis er das Schreiben von SF zu seiner Hauptbeschäftigung erkor. Mit Larry Niven arbeitete er am fünfteiligen Weltenflotte-Zyklus zusammen. Er lebt mit seiner Frau Ruth in Virginia.

Larry NivenEdmund M. Lerner

WELTENWANDLER

Weltenflotte-Zyklus 2

EIN ROMAN AUS DEMRINGWELT-UNIVERSUM

Aus dem Amerikanischen von Ulf Ritgen

beBEYOND

Digitale Neuausgabe

»be« - Das eBook-Imprint von Bastei Entertainment

Für die Originalausgabe:

Copyright © 2008 by Larry Niven and Edward M. Lerner

Titel der amerikanischen Originalausgabe: »Juggler of Worlds«

Published by arrangement with Larry Niven and Edward M. Lerner

This book was negotiated through Literary Agency Thomas Schlück GmbH, 30161 Hannover

Für diese Ausgabe:

Copyright © 2018 by Bastei Lübbe AG, Köln

Textredaktion: Uwe Voehl / Ruggero Leò

Covergestaltung: Massimo Peter-Bille unter Verwendung eines Motives © shutterstock: Vadim Sadovski

eBook-Erstellung: Jilzov Digital Publishing, Düsseldorf

ISBN 978-3-7325-6711-9

www.be-ebooks.de

www.lesejury.de

Dramatis Personae

Menschen aus dem Bekannten Weltraum1

Max Addeo – Leitender Angehöriger der Alliierten Regionalen Miliz (ARM); später hochrangiges Mitglied der Vereinten Nationen

Sigmund Ausfaller – Agent der ARM

Fiona ›Feather‹ Filip – Agentin der ARM

Julian Forward – Physiker (auf dem Planeten Jinx im Sirius-System geboren)

Andrea Girard – Agentin der ARM

Dianna Guthrie – Freundin von Gregory Pelton

Sharrol Janss – Ehefrau von Beowulf Shaeffer und Carlos Wu (nicht gleichzeitig)

Sangeeta Kudrin – hochrangige Mitarbeiterin der Vereinten Nationen

Calista Melenkamp – Generalsekretärin der Vereinten Nationen

Anne-Marie Papandreou – Besatzungsmitglied der Court Jester; Ehefrau von Jason Papandreou (geboren auf Wunderland im Alpha-Centauri-System)

Jason Papandreou – Eigner und Pilot der Court Jester (von Nessus gechartertes Schiff)

Gregory Pelton – wohlhabender Großindustrieller

Beowulf Shaeffer – xenophiler Raumschiffpilot (geboren auf We Made It im Procyon-System)

Ander Smittarasheed – Freiberuflicher Schriftsteller; gelegentlich als Agent für Sigmund Ausfaller tätig

Carlos Wu – Physiker und Universalgenie

Andere Menschen

Sabrina Gomez-Vanderhoff – Gouverneurin von Naturschutzwelt Vier (NSW4)/New Terra

Sven Hebert-Draskovics – Archivar von NSW4

Eric Huang-Mbeke – Mitglied der Unabhängigkeitsbewegung von NSW4; Ingenieur

Penelope Mitchell Draskovics – Svens Kusine; Agronomin im Dienste der Regierung

Kirsten Quinn-Kovacs – Mitglied der Unabhängigkeitsbewegung von NSW4; Navigatorin und Mathematik-Genie

Omar Tanaka-Singh – Mitglied der Unabhängigkeitsbewegung von NSW4

Kzinti2

Chuft-Captain – Kommandant des Aufklärungs- und Spionageschiffes Klaue des Verräters; hat sich bereits einen Teil-Namen verdient

Der-die-Ausrüstung-wartet – Abtrünniger Bürger der Koloniewelt Spearpoint

Slaverstudent – Besatzungsmitglied der Klaue des Verräters

Telepath – Besatzungsmitglied der Klaue des Verräters

Puppenspieler

Achilles – Kundschafter der Konkordanz (Ausfaller zunächst als ›Adonis‹ bekannt)

Baedeker – Ingenieur bei der General Products Corporation

Nessus – Kundschafter der Konkordanz

Nike – Anführer der Fraktion der Experimentalisten-Partei, der sich für den ›unbefristeten Notstand‹ einsetzt, später Hinterster

Vesta – Nikes Assistent und Berater

DIEERDJAHR 2637

KAPITEL 1

Als Sigmund Ausfaller erwachte, zitterte er am ganzen Leib; reglos lag er auf einem kalten Boden. Sein Schädel hämmerte. Mit schwarzem Klebeband war er an Handgelenken und Knöcheln an Plastahlketten gefesselt.

Er hatte schon immer gewusst, dass es einst ein schlimmes Ende nehmen würde. Nur wann, wo, wie, warum und durch wessen Hand, das war ihm bislang nicht bewusst gewesen.

Und genau dieser Schleier lüftete sich allmählich.

Wie war er hierhergekommen – wo auch immer ›hier‹ eigentlich sein mochte? Wie aus weiter Ferne beobachtete Sigmund sich selbst dabei, nach Erinnerungen an die jüngsten Ereignisse zu forschen. Warum war das so anstrengend?

Er erinnerte sich daran, wie er über die Fußgängerpromenade eines Freiluft-Einkaufszentrums geschlendert war; rings um ihn drängten sich Kauflustige. Sie waren in allen Farben des Regenbogens geziert: in der Kleidung, im Haar, auf der Haut; es gab jede erdenkliche Kombination und alle zu bewundern. Hoch über ihm zogen Wolken über den blauen Himmel hinweg. Warm schien die Sonne ihm aufs Gesicht. Ausnahmsweise hatte er die Arbeit zur Seite gelegt. Er war zufrieden gewesen.

Glückseligkeit ist der Erbfeind der Wachsamkeit. Wie hatte er nur so unvorsichtig sein können?

Sigmund zwang sich, die Augen zu öffnen. Er befand sich in einem völlig einförmigen Raum, in dem es fast nichts zu erkennen gab. Wände, Boden und Decke bestanden aus widerstandsfähigem Plastik. Das Licht drang aus einer der Wände. Ich könnte überall sein, dachte Sigmund – und dann fielen ihm zwei kleine Details gleichzeitig auf.

Nicht alle Wände des Raumes waren völlig gerade: Die Wand, von der das Licht ausging, war ein wenig geschwungen.

Und in Wände, Boden und Decke waren Haltegriffe eingelassen.

Panik stieg in Ausfaller auf. Er befand sich an Bord eines Raumschiffs! War die Schwerkraft hier eine Winzigkeit stärker, als er es gewohnt war? Oder schwächer? Er konnte es nicht sagen.

Dumpf klapperten die Plastikketten, als Sigmund sich aufsetzte. Er hatte genügend alte Filme gesehen, um zu erwarten, dass sie klirren würden. Noch während der Raum sich plötzlich zu drehen begann und dann alles in absoluter Schwärze versank, fand Ausfaller die Kraft, sich betrogen zu fühlen.

Kaltes Plastik wurde Sigmund gegen die Wange gepresst. Einen Spalt breit öffnete er die Augen und sah wieder den gleichen, spartanisch eingerichteten Raum.

Doch dieses Mal, so bemerkte er, war eines der Glieder seiner Kette mit einem der eingelassenen Handgriffe an Deck verbunden.

War er ohnmächtig geworden? Nach einem Angstanfall? Wo war er eigentlich?

Sigmund zwang sich, langsam und gleichmäßig durchzuatmen, bis die neuerlich aufsteigende Panik sich ein wenig legte. Angst würde hier nur sein Denkvermögen beeinträchtigen. Noch tiefer durchatmen.

Noch nie zuvor war ihm vor Angst schwarz vor Augen geworden. Er konnte einfach nicht glauben, dass diese Ohnmacht hier mit seiner Angst zusammenhing! Ja, er hatte das Bewusstsein verloren, kaum dass ihm der Gedanke gekommen war, er könne sich an Bord eines Raumschiffs befinden. Und außerdem hatte er sich kurz vorher gerade aufsetzen wollen. Und Sigmund konnte sich auch daran erinnern, dass ihm zuvor sämtliche seiner Gedanken völlig verschwommen erschienen waren. Jetzt wirkten sie ungleich deutlicher und klarer.

Man hatte ihn betäubt! Zugedröhnt und noch im Halbschlaf hatte er zu schnell versucht, sich aufzusetzen. Und deswegen hatte er das Bewusstsein verloren!

Erneut, und dieses Mal deutlich vorsichtiger, versuchte Sigmund sich in eine halbwegs aufrechte Position zu setzen. Sein Schädel hämmerte. Sachlich analysierte er die Art des Schmerzes. Längst nicht mehr so allumfassend wie vorhin, entschied er. Vielleicht ließ die Wirkung des Betäubungsmittels allmählich nach.

Ein winziger Teil seines Verstandes schämte sich für diese Angstanfälle. Bei den meisten Erdgeborenen war diese Flatland-Phobie ungleich stärker ausgeprägt als bei ihm, und warum sollte es auch anders sein? Gewiss, er war auf der Erde geboren, aber seine Eltern hatten den gesamten Bekannten Weltraum bereist. Aus unerfindlichen Gründen hatten sie Freude an sonderbaren Gerüchen, ungewohnten Nachthimmeln und falscher Schwerkraft.

Aus Prinzip hatte Sigmund zweimal den Mond aufgesucht. Er musste es einfach wissen: Würde er die Erde verlassen können, sollte es wirklich jemals erforderlich werden? Die zweite Reise hatte er nur unternommen, um ganz sichergehen zu können, dass er beim ersten Mal nicht einfach nur Glück gehabt hatte.

Jetzt lauschte er aufmerksam: das leise Surren eines Ventilators. Sprachfetzen, völlig unverständlich. Sein eigener Herzschlag. Nirgends das Hintergrundsummen des Triebwerks, wie er es von den Raumschiffen kannte, die er jemals betreten hatte. Und soweit seine Sinne das beurteilen konnten, fühlte sich die Schwerkraft einfach normal an.

Fakten verarbeiten, Muster erkennen, Schlussfolgerungen ziehen … das alles gelang ihm, aber nur sehr langsam, als müssten sich seine Gedanken immer noch quer durch eine zähflüssige Masse kämpfen. Offensichtlich noch Nachwirkungen dieses Betäubungsmittels. Ausfaller zwang sich dazu, sich zu konzentrieren.

Wenn das hier wirklich ein Schiff war, dann musste es sich immer noch auf der Erde befinden. Irgendjemand wollte ihn hier ganz bewusst in Angst und Schrecken versetzen, schlussfolgerte Sigmund. Jemand wollte hier irgendetwas von ihm. Und bis diejenigen das bekamen, würden die ihn wahrscheinlich noch leben lassen.

Die.

Soweit sich Sigmund zurückerinnern konnte, hatte es schon immer irgendwelche Die gegeben, um die man sich Sorgen machen musste.

Doch noch während Sigmund dieser Gedanke durch den Kopf ging, wusste er, dass ›immer‹ nicht ganz richtig war …

Am Anfang waren Die unzweideutig genug gewesen: die Kzinti.

Der Dritte Kzin-Krieg brach 2490 aus, in dem Jahr, in dem Sigmund geboren worden war. Sigmund war fünf Jahre alt gewesen, als er erfuhr, was ein Kzin überhaupt war: Man konnte diese Wesen ziemlich gut als aufrecht gehende, orangefarbene Katzen beschreiben, größer und ungleich massiger als ein Mensch, mit einem nackten, rattenartigen Schwanz. Zu diesem Zeitpunkt hatten die Menschen diese Aliens bereits besiegt. Als Reparationszahlung trat das Kzinti-Patriarchat zwei ihrer Kolonialwelten an die Menschheit ab. Mittlerweile hatte Sigmund drei weitere Angriffe der Kzinti gegen die Welten der Menschen miterlebt. Auch diese Kriege hatten die Kzinti verloren.

Fafnir war eine der Welten, die nach dem Dritten Krieg den Besitzer gewechselt hatten. Sigmunds Eltern litten unter ständigem Fernweh, und die Flatland-Phobie war ihnen völlig unbekannt. Sie ließen ihn in der Obhut einer Tante und brachen im Jahr 2500 nach Fafnir auf, um auf Abenteuersuche zu gehen.

Und ein Abenteuer fanden sie auch.

In diesem Jahr brach der Konflikt zwischen den Menschen auf Fafnir und den dort zurückgebliebenen Kzinti-Siedlern aus. Sigmunds Eltern verschwanden – in Feindseligkeiten, die nie das Ausmaß erreichten, in den offiziellen Statistiken über die Kzin-Kriege überhaupt mitgezählt zu werden. Sie wurden als ›Grenzzwischenfall‹ abgetan.

Und jeder wusste, dass die Kzinti ihre Opfer auffraßen.

Also waren Die lange Zeit eben die Kzinti gewesen. Sigmund hasste diese Rattenkatzen abgrundtief, und jeder hatte dafür vollstes Verständnis. Und Sigmund hasste seine Eltern – dafür, dass sie ihn damals im Stich gelassen hatten. Die Psychosozialberater für Trauerarbeit erklärten seiner Tante, das sei völlig normal. Und Sigmund hasste seine Tante, so sehr sie ihn auch an seine Mom erinnern mochte – oder vielleicht gerade deswegen –, schließlich hatte sie Mom und Dad damals ermöglicht, ihn bei ihr zurückzulassen.

Im gleichen Jahr, in dem seine Eltern verschwanden, tauchten die Puppenspieler auf – von irgendeinem Ort jenseits des von Menschen besiedelten Weltraums. Eine Spezies, die noch weniger mit den Kzinti vergleichbar gewesen wäre, ließe sich nicht einmal vorstellen. Puppenspieler sahen aus wie zweiköpfige, dreibeinige, flügellose Strauße. Die Köpfe auf den wendigen Hälsen erinnerten Ausfaller an Sockenpuppen. Ihr Gehirn, so erklärte ihm Tante Susan, war unter der gewaltigen Mähne verborgen, die zwischen den massigen Schultern wucherte.

Also gehörten zu Denen jetzt auch diese anderen Aliens, diese so harmlos wirkenden Neuankömmlinge, weil Sigmund einfach nicht an Zufälle glaubte. Und dann gehörten zu Denen schnell einfach alle Aliens – denn, ganz ehrlich, konnte man es denn je wissen?

Zu diesem Zeitpunkt brachte Tante Susan ihn zu einem Psychotherapeuten. Sigmund erinnerte sich daran, wie verblüfft sie ihn nach seiner ersten Sitzung angestarrt hatte. Er erinnerte sich daran, dass sie, alleine in ihrem Schlafzimmer, die ganze Nacht geweint hatte.

Er litt an einer Krankheit, oder an mehreren Krankheiten gleichermaßen, die er nicht einmal hätte buchstabieren können, geschweige denn begreifen: paranoide Persönlichkeitsstörung. Monothematische Wahnvorstellungen mit wahnhaftem Missidentifikationssyndrom. Er wusste nicht, ob er an den Silberstreif am Horizont wirklich glauben solle: Es hieß, das alles sei heilbar.

Doch das andere, was Dr. Swenson Tante Susan zum Trost noch anvertraute, das glaubte Sigmund sofort: Paranoia ist eine Krankheit, die fast ausschließlich bei Hochbegabten auftritt.

Nach und nach verstand Sigmund das alles besser: Ein Trauma kann Stress auslösen, Stress kann zu Störungen im biochemischen Gleichgewicht führen, und derartige Störungen können sich in Geisteskrankheiten manifestieren. Nachdem Sigmund einen Tag und eine Nacht in einem Autodoc verbracht hatte, war das biochemische Gleichgewicht wiederhergestellt. Doch einmalige chemische ›Feinabstimmung‹ reichte nicht aus: Zu wissen, dass die ganze Welt hinter einem her ist, reicht voll und ganz aus, um sich den gleichen fatalen Stress immer und immer wieder zu machen. In einer dreimonatigen Therapie bei Dr. Swenson ging es darum, gegen die paranoiden Verhaltensweisen anzugehen, die sich Sigmund bereits angeeignet hatte.

Dr. Swenson hatte Recht: Sigmund war wirklich hochbegabt. Er war intelligent genug, um schnell herauszufinden, was sein Therapeut von ihm hören wollte – und auch intelligent genug, um zu wissen, welche Gedanken er besser für sich behielt.

Sigmund zitterte am ganzen Leib und versuchte erneut, irgendwie dafür zu sorgen, dass die Wirkung dieses Betäubungsmittels nachließ. Alte Schreckensvorstellungen zu durchleben, half im Augenblick wirklich nicht weiter. Er musste sich konzentrieren.

Fang mit Denen an. Kümmer dich um Die. Die waren keine Kzinti: Dafür war der Raum zu klein. Kzinti würden in einem derart kleinen Raum sehr schnell wahnsinnig werden.

Die wollten irgendetwas von ihm; wie er reagierte, mochte die einzige freie Entscheidung sein, die ihm in dieser Situation überhaupt blieb. Wer waren Die wohl?

Andere mochten in ihm ja nur einen mittelmäßig wichtigen Finanzanalysten mittleren Alters sehen. Einen Bürokraten der Vereinten Nationen. Einen Misanthropen, der sich stets schwarz kleidete, und das in einer Welt, in der jeder andere möglichst bunte Farben trug.

Sigmund sah sehr viel mehr. Schon vor all diesen Jahren hatte Dr. Swenson Recht gehabt – mehr noch, als der Arzt selbst wusste. Sigmund war mehr als nur ›hochbegabt‹ oder ›hochintelligent‹. Er war schlichtweg brillant – und das dort, wo es wirklich wichtig war: in seinem Verstand. Sollten die anderen sich doch mit ›brillanten Farben‹ zufriedengeben.

Wer waren Die denn nun? Wahrscheinlich irgendjemand, gegen den Sigmund gerade ermittelte. Das schränkte den Kreis deutlich ein. Die bestechlichen Zollbeamten im Raumhafen von Quito? Der Systemadministrator im Personaldatenzentrum der Vereinten Nationen, der mit Identitätsdiebstahl und -wäsche für einen kleinen Nebenverdienst sorgte?

Doch sein Bauchgefühl verriet Sigmund, dass es um etwas anderes ging. Es ging um diese andere Ermittlung: die Trojaner-Mafia. Diese Bande, deren Namen daher stammte, dass man ihren Hauptstützpunkt irgendwo auf oder zwischen den Trojaner-Asteroiden vermutete, transportierten wirklich jede Art von Schmuggelware, ob nun Kunstwerke, Waffen oder die neuesten Errungenschaften aus der Experimentalmedizin. Sie töteten auf Auftrag – und oft genug auch einfach, um sich die Obrigkeit vom Leib zu halten. Sie ergingen sich in Erpressung, Geldwäsche … in einfach allem. Jeder andere Analyst der Ermittlungsbehörde weigerte sich, sie auch nur mit der Feuerzange anzufassen.

Damit war das Wer gewiss geklärt.

Die Frage nach dem Wie bot mehr Raum für reine Mutmaßungen. Eine ›zufällige‹ Begegnung in diesem Einkaufszentrum, das doch seinem Wohnort so nah war – und irgendjemand hatte ein schnellwirkendes Hypo-Sedativum zum Einsatz gebracht. Sigmund taumelt, sein Angreifer, der für alle Umstehenden doch nur der ›gute Samariter‹ ist, hilft ihm bis zur nächsten Transferkabine.

Wohin? Weiter als bis ›irgendwo auf der Erde‹ wollte sich Sigmund nicht in Mutmaßungen versteigen. Auf einer Welt mit fast unzähligen Transferkabinen konnte man augenblicklich wirklich fast überallhin teleportiert worden sein.

Und wann? Ausfaller kniff die Augen zusammen, um seine Umgebung wenigstens etwas klarer wahrnehmen zu können, und hob dann die Hände. Sein linkes Handgelenk schmerzte – nicht übermäßig stark, doch unverkennbar war der Schmerz schon. Das Zeit-Display war stehen geblieben. Das entbehrte nicht einer gewissen Ironie, denn die subkutanen Steuerstifte fühlten sich an, als seien sie geschmolzen: unter der Kuppe seines Daumens ertastete Sigmund winzige Kügelchen. Uhrzeit, Wetterbericht, Kompass, Rechner, Kartenmaterial, sämtliche Hilfsfunktionen, die er normalerweise durch leichten Druck mit einem Fingernagel aufrief … alles fort. Ausfaller vermutete, ein Magnetimpuls habe sein Implantat zerstört. Das würde zumindest zu seiner Vermutung passen, man wolle ihn gezielt desorientieren.

Aber die waren nicht so clever, wie sie das von sich glaubten. In diesem Raum gab es keinerlei sanitäre Einrichtungen, nicht einmal einen Nachttopf, und bislang hatte Sigmund auch noch nicht das Bedürfnis verspürt, eine Toilette aufzusuchen. Sein schwarzen Anzug war immer noch sauber, wenngleich ungebührlich zerknautscht. Natürlich war er sich nicht absolut sicher, aber Sigmund vermutete, dass seit seiner Entführung aus diesem Einkaufszentrum höchstens wenige Stunden vergangen waren.

Schritte! Ungesehen näherten sie sich auf dem Korridor, der jenseits der Tür lag – dieser Tür, die für Sigmund unerreichbar war. Dann wurde die Tür ruckartig geöffnet.

Im Eingang stand eine hochgewachsene Gestalt, mindestens zwei Meter groß. Der ansonsten kahlrasierte Schädel wurde von einer mittig ausgerichteten, hoch aufragenden Eigenhaar-Bürste geziert: ein Belterkamm. Und hieß es nicht, Hektor – der mächtigste der Trojaner – habe einen Helm mit Rosshaarkamm getragen?

Das passte doch perfekt zur Trojaner-Mafia!

Das plötzlich aufflammende, grelle Licht ließ Sigmund blinzeln; Details konnte er jetzt nicht mehr erkennen.

»Gut«, sagte der Belter. »Offensichtlich sind Sie wach. Hier ist jemand, der mit Ihnen sprechen möchte.«

»Sie wirken nicht überrascht, Mister Ausfaller.«

Eine gespenstische Ruhe hatte Sigmund ergriffen. »Irgendjemand muss all diese Versetzungsanfragen weitergeleitet haben. Irgendjemand muss eine erfolglose Untersuchung nach der nächsten geduldet haben.«

»Ihr Boss«, sagte Ausfallers Häscher.

»Irgendjemand muss diese ganzen Versetzungen genehmigt haben. Irgendjemand muss die beständigen Fehlschläge dieser Abteilung einfach akzeptiert haben.« Mit aller Ironie, die Sigmund aufbringen konnte, setzte er dann noch hinzu: »Sir.«

»Sie meinen mich.« Lässig lehnte sich Ben Grimaldi, Unterstaatssekretär und Generalinspekteur, gegen die Wand. Seine Körpersprache setzte wortlos hinzu: »Ihre Verdächtigungen machen mir das hier noch einfacher.«

Natürlich war das Unsinn, den er nur zu seiner eigenen Rechtfertigung vorbrachte, ob nun wortlos oder nicht. Grimaldi hätte sich niemals persönlich gezeigt, wenn auch nur der Hauch einer Chance bestanden hätte, Sigmund könne wieder freigelassen werden.

Das Schweigen zog sich immer weiter hin, und schließlich ergriff Grimaldi wieder das Wort. »Ich muss erfahren, was Sie bereits wissen. Und wichtiger ist noch, dass ich erfahre, woher sie es wissen.«

Wenn ich das erst einmal preisgebe, dachte Sigmund, bin ich tot. Er rutschte ein wenig zur Seite; dumpf klickten die Ketten. Themawechsel. »Warum gerade die Trojaner?«

Grimaldi lächelte freudlos. »Wir ziehen die Bezeichnung ›Achilles‹ vor. Die Trojaner waren doch Verlierertypen.«

Die Asteroiden, die als ›Trojaner‹ bezeichnet wurden, musste man in zwei Gruppen aufteilen: Die eine davon befand sich am Lagrangepunkt L4, lief also 60 Grad vor dem Jupiter auf dessen Umlaufbahn, während die andere sich am Lagrangepunkt L5 aufhielt, der dem Jupiter 60 Grad hinterherlief. ›Das Lager der Griechen‹ und ›das Lager der Trojaner‹, wie sie manchmal bezeichnet wurden. Achilles gehörte zu den größten Asteroiden im Lager der Griechen. Natürlich befand sich auch Hektor dort – diese Bezeichnung hatte der Planetoid schon erhalten, bevor man sich allgemein auf diese neuere Konvention zur Namensgebung geeinigt hatte …

Schmerzhaft kniff sich Sigmund ins Bein; verzweifelt versuchte er, seinen vernebelten Verstand wieder zum Laufen zu bringen. »Wie viel Zeug haben Sie mir denn verpasst?«, fragte er.

»Genug.« Überbetont warf Grimaldi einen Blick auf sein Handgelenkimplantat. »Ich muss bald gehen. Ihr Aufenthalt hier wird sich ungleich angenehmer für Sie ausnehmen, wenn sie diese Fragen aus freien Stücken beantworten.«

Ungleich angenehmer? Vielleicht. Aber auch kürzer? Würde es etwas bringen, hier Zeit zu schinden? »Warum die Trojaner?«

»Was denken Sie denn, Ausfaller? Man hat mir ein großzügiges Angebot für meine Unterstützung unterbreitet. Offizielle Untersuchungen sind einfach schlecht für deren Geschäft.

Sie sind ein sonderbarer Mensch, Sigmund, aber ich gebe zu, dass Sie wirklich tüchtig sind. Hartnäckig. Ich wünschte wirklich, wir könnten Sie kaufen. Bedauerlicherweise haben Sie ja gewaltige Geldmengen geerbt. Und dennoch haben Sie sich dafür entschieden, für einen Hungerlohn einen Posten bei den Vereinten Nationen anzunehmen.« Grimaldi schüttelte den Kopf. »Sie leben wie ein Mönch. Sie kleiden sich wie ein Mönch. Warum sollte man Ihnen Geld anbieten, wenn Sie sogar den Reichtum ignorieren, der Ihnen bereits gehört? Es scheint einfach so, als hätten Sie Prinzipien.«

Und hier war sie: die Erinnerung, nach der Sigmund die ganze Zeit über gesucht hatte. Geld. Vergeblich versuchte er, durch heftiges Blinzeln sein Blickfeld zu klären. »Vielleicht kann ich ja Sie kaufen.«

Reflexartig: eine herablassende Miene – und dann, sehr viel langsamer, ein Gesichtsausdruck, der immensen Scharfsinn verriet. »Sie würden mir dennoch alles verraten müssen, was Sie bislang über mich und meine Geschäftspartner herausgefunden haben«, sagte Grimaldi. »Und jedes Detail darüber, wie Sie es herausgefunden haben. Ich darf ja nicht zulassen, dass irgendjemand anderes das in Erfahrung bringt, was sie schon wissen.«

»Verstanden.«

»Sie würden doch nicht versuchen, mich hereinzulegen, oder?«, fragte Grimaldi nach.

»Selbstverständlich nicht«, erwiderte Sigmund.

Lautstark klatschte Grimaldi in die Hände; erstaunlicherweise schien diese Beteuerung ausgereicht zu haben. »Stet. Aber ich lasse mich nicht auf Verhandlungen ein. Eine Millionen Kredits, überwiesen auf ein Belter-Nummernkonto, das ich Ihnen noch nennen werde. Machen Sie sich nicht die Mühe zu protestieren. Ich weiß, dass Sie das aufbringen können. Als ihre wöchentlichen Berichte mehr und mehr Fortschritte verhießen, habe ich mich eigens nach Ihnen erkundigt. Der Deal sieht folgendermaßen aus, Mister Ausfaller: Sie zahlen. Sie erzählen mir alles. Und dann lassen wir Sie gehen.«

Natürlich würden sie ihn niemals gehen lassen, doch Sigmund tat so, als schenke er den Worten seines Gegenübers tatsächlich Glauben. Außerdem war diese Million-und-ein-paar-Gequetschte, die Grimaldi – so vermutete er – hatte in Erfahrung bringen können, nur eben der Bruchteil seines Vermögens, den er andere wissen lassen wollte. Und es war ja nicht gerade so, als gäbe es jemanden, dem er das Geld würde hinterlassen wollen. Schlimmstenfalls würde diese Scharade seine letzten Stunden zumindest etwas weniger unschön gestalten.

Sigmund hob die Arme und ließ bewusst die Ketten klappern. »Für eine Million Kredits will ich die Dinger hier aber loswerden. Ich will ein schöneres Zimmer. Eine Suite mit sanitären Einrichtungen wäre gut.«

»Das werden wir sehen, sobald das Geld eingetroffen ist. Bis dahin kriegen Sie vielleicht einen Nachttopf.« Grimaldi zog einen Sonarstunner und einen Handcomputer aus den Taschen seines Overalls. Kurz flüsterte er etwas Unverständliches in den kleinen Computer, legte ihn dann auf das Deck und stieß ihn mit der Schuhspitze in Sigmunds Richtung. Weder der Handcomputer noch der Schuh kamen überhaupt in Sigmunds Nähe. Und der Sonarstunner war fest auf ihn gerichtet.

»Ich bin jetzt in einen anonymen Account eingeloggt. Sämtliche anderen Funktionen sind deaktiviert. Sobald mein Geld eingetroffen ist, werden sie augenblicklich weitergeleitet.« Grimaldi lachte. »Meine Kollegen sind, wie Ihnen gewiss bekannt ist, äußerst geschickt darin, Gelder anonym umzuschichten.«

Mein Geld. Es gelang Sigmund gerade noch, seinen Zorn zu zügeln. »Überweisung von der Bank of North America.« Er wartete, bis die Stimmauthentifizieung abgeschlossen war. »Konto: Fünf … Vier … Eins …« Er sprach langsam und deutlich, sodass keineswegs die Gefahr eines Missverständnisses bestand. Konto. Unterkonto. Zugangscodes.

Die rasche Reaktionszeit der Bank war ein gutes Zeichen. Zweifellos befand sich Sigmund immer noch auf der Erde.

Die ganze Zeit über zitterte der Stunner nicht ein einziges Mal. Sigmund würde von Glück reden können, wenn er auch nur eine einzige verdächtige Silbe aussprechen könnte, ohne gleich unter Beschuss genommen zu werden.

»Vier … Zwo … Neun …«

Die KI der Bank sprach einen Challenge Code aus. Grimaldi schnaubte angewidert. Er schwenkte den Stunner – nur eine Winzigkeit: eine unverkennbare Warnung.

Sigmund zuckte mit den Schultern. Kettenklappern. Wenn eine derartige Sicherung via Challenge Code aktiviert war, akzeptierte die Bank Überweisungsaufträge ausschließlich in Echtzeit. Das bedeutete, derartige Codes verhinderten, dass man sich mit Tonaufnahmen, die man zu einem früheren Zeitpunkt erzwungen hatte, Zugriff verschaffen konnte. Welcher vernünftige Mensch konfigurierte seine Konten denn nicht in dieser Art und Weise?

Er konnte diesen Transfer jetzt mit einem Code autorisieren, mit dem er der Bank unmissverständlich klarmachte, dass er diese Gelder hier nur unter Zwang überwies. Aber was würde das bringen? Geldwäsche war für die Trojaner das große Geschäft schlechthin. Nur Minuten, nachdem seine Bank das Geld freigegeben hatte, würde es dutzende Strohfirmen durchlaufen und zu Steueroasen auf irgendwelchen anderen Welten wandern oder an sonstige anonyme Orte. Ein derartiger Zwangs-Code würde jetzt nicht das Geringste helfen.

Und wenn Sigmund jetzt bewusst diese Überweisung abbrach, dann würde Grimaldi das sofort erfahren – und die anschließende Befragung würde ungleich unschöner ausfallen. Oder …

Dr. Swenson hatte Recht gehabt: Sigmund war wirklich paranoid. Und jetzt, dachte er, wird sich zeigen, ob ich auch paranoid genug bin.

Sigmund blieb gefesselt, doch man hatte ihm einen Stuhl angeboten, ihm einen – wenngleich improvisierten – Nachttopf überlassen und eine schmierige Trinkblase mit lauwarmem Wasser angeboten. Für eine Million Kredits hätte ihm ja eigentlich zumindest ein Bleiglaskelch mit Eiswasser zustehen müssen!

Grimaldi war schon lange fort. Die ausführliche Befragung hatte er dem schlaksigen Belter aufgetragen, dem Sigmund bereits begegnet war. Sein Verhörleiter weigerte sich, Sigmund einen Namen zu nennen. Also nannte Sigmund ihn innerlich ›Astyanax‹: nach Hektors kleinem Sohn, der einst von den Mauern des brennenden Troja gestoßen wurde. Wie auch der Sohn des Achilles wollte auch Sigmund keine weiteren Könige in Troja mehr sehen.

Langsames nachdenkliches Trinken stellte auch keine Möglichkeit dar, noch mehr Zeit zu schinden.

Sämtliche Verbrechen enden früher oder später in Steuerhinterziehung. Auch bei seiner Suche nach den Trojanern hatte sich Sigmund genau darauf konzentriert. So hielt Sigmund nun einen Vortrag über gerichtlich verwertbare Techniken, verborgene Einkommensquellen aufzuentdecken, und seine Ausführungen wurden immer detaillierter. Wann immer Astyanax ungeduldig wurde, ließ ihm Sigmund einen winzigen Informationsfetzen darüber zukommen, welche Untersuchungsmethode ihn dazu gebracht hatte, in der jeweils einen oder anderen Richtung weiterzuermitteln. Einige dieser Informationen führten zu erstaunlich scharfsinnigen Fragen des Belters: Ganz offensichtlich war dieser Bursche selbst ein echter Experte auf dem Gebiet der Steuerhinterziehung.

Ein Handcomputer in Astyanax’ Tasche stieß einen quäkenden Warnton aus. Plötzlich war auf dem Korridor Höllenlärm zu hören. Donnernde Schritte. Stürzten dort Personen zu Boden? Auf jeden Fall hörte man deutlich das unverkennbare Sirren von Sonarstunnern.

Astyanax ließ den eigenen Stunner fallen und zog ein Mehrzweckmesser aus dem Gürtel. Primitiv, aber dennoch tödlich.

»Nicht!«, brachte Sigmund hervor. »Damit machen Sie alles nur noch schli…«

Dann keuchte er entsetzt auf, als sich plötzlich dieser entsetzliche Schmerz in seiner Magengegend ausbreitete. Sein Hemd und Astyanax’ Hand waren leuchtend rot. Rot von Sigmunds eigenem Blut.

»Ist nicht persönlich gemeint«, sagte Astyanax.

Als Sigmund in sich zusammensackte, stürmte ein ganzer Trupp ARMs in Kampfpanzerung durch die Tür. Während Sigmund das brutzelnde Zischen der Stunner hörte, das ihn immer an Speck in einer Bratpfanne erinnerte, und ihm plötzlich schwarz vor Augen wurde, dachte er noch: Zu spät …

KAPITEL 2

Sigmund erwachte. Der unglaubliche Schmerz in seinem Unterleib war verschwunden. Seine Hand- und Fußgelenke pulsierten nicht mehr: Sie waren nicht mehr viel zu eng zusammengeschnürt. Er konnte wieder klar denken und fühlte sich frisch. Ausgeruht. Zufrieden.

Das erschreckte ihn fast zu Tode.

Er öffnete die Augen. Nur wenige Zentimeter vor seinem Gesicht sah er eine durchsichtige Halbkugel. Darauf glitzerten Reflexionen verschiedener LEDs: Sie alle leuchteten gleichmäßig, und alle waren grün.

Er befand sich in einem Autodoc.

Die Anzeigen verrieten Sigmund, dass der Doc sein Herz und Teile seiner Leber ausgetauscht hatte! Und dazu fast zwei Liter Blut und … er las einfach nicht mehr weiter. Stattdessen hob er den schweren Deckel an und setzte sich auf; in der Brust und auch der Bauchgegend spürte er noch letzte Überbleibsel der Schmerzen. Die Logik gebot natürlich, dass er sich diese Schmerzen nur einbildete, schließlich hielt der Doc ihn für ›geheilt‹. Aber es tat trotzdem weh.

Der Raum erschien Sigmund kalt, doch das mochte durchaus daran liegen, dass er keinerlei Kleidung trug. In einem Autodoc war das immer so.

»Schön, dass Sie wieder da sind.«

Sigmund wandte den Kopf zur Seite. Eine Fremde in einem gelbbraunen Overall saß im einzigen Sessel dieses Raumes. Sie war schlank, fast schon hager, dabei aber immens muskulös. Sigmund vermutete, dass sie geradezu exzessiv Sport betrieb. Er hätte sie als ›eindrucksvoll‹ empfunden, wenn auch nicht gerade als ›hübsch‹ – wenn sie ihn nicht so fürchterlich erschreckt hätte.

Die Fremde erhob sich und reichte Sigmund den Bademantel, der an einem Haken an der Tür hing, doch währenddessen wandte sie den Blick nicht von Ausfaller ab. »Das hier wäre Ihnen wohl ganz recht, nehme ich an. Und dann sollten wir uns unterhalten.«

»Und wer sind ›wir‹?«, gab Sigmund zurück.

Statt ihm zu antworten, wedelte sie nur mit einer blauen Scheibe vor seinen Augen. Ein Holo schimmerte auf: ein Abbild der Erde. Darunter ein kurzer Text: Special Agent Fiona Filip.

Das schien wirklich eine ID-Karte der ARM zu sein. Vielleicht hatte diese Frau ja auf seinen Notruf reagiert.

Die ›Alliierte Regionale Miliz‹ war die bescheidene, offizielle Bezeichnung für die Streitkräfte der Vereinten Nationen. Derartiges Understatement konnte man sich leisten, wenn alleine schon der Anblick eines ARM-Angehörigen die weitaus meisten Menschen vor Angst erzittern ließ. Jeder wusste, dass die Vereinten Nationen mithilfe der Miliz nicht nur für ›Recht und Ordnung‹ sorgten, sondern mit ihr faktisch über die gesamte Zivilbevölkerung herrschte.

Sigmund streifte den Bademantel über und kletterte aus dem Autodoc heraus. Wenn ›jeder‹ etwas wusste, dann lag das unzweifelhaft daran, dass es irgendjemanden gab, dem daran gelegen war, dass jeder es wusste. Grimaldi? Die Leute, für die Grimaldi arbeiteten? Vielleicht war diese ganze Rettungsaktion ja nur vorgetäuscht, und seine Verwundung sollte dieser Scharade nur zusätzliche Glaubwürdigkeit verleihen: Vielleicht sollte er denken, gerettet worden zu sein, damit er dann denjenigen, die er für seine Vorgesetzten hielt, endlich alles das erzählte, was er wirklich wusste. Vielleicht wollten sie auch herausfinden, mit wem er als Nächsten Kontakt aufnehmen würde.

»Sigmund, das wird jetzt ziemlich schwierig für Sie werden. Ich verstehe Sie besser, als Sie es sich im Augenblick vorstellen können.« Die Fremde seufzte. »Fangen wir noch einmal ganz von vorne an. Ich bin Fiona Filip. Meine Freunde nennen mich ›Feather‹. Ich gehöre zur ARM – aber nicht zu den Leuten, die Sie da rausgeholt haben. Ich ziehe es vor, Schusswaffen und Messern aus dem Weg zu gehen. Mit so etwas kann man Leute ernstlich verletzen … wie Sie ja selbst erst kürzlich bemerkt haben dürften.«

Seit wann waren sie denn befreundet, bitte schön? »Wo bin ich, Special Agent Filip?«

Ihr Lächeln wirkte irgendwie falsch – aber doch eher ›ungeübt‹ als ›unaufrichtig‹. »Ein Sondereinsatzkommando hat Sie aus einem Interplanetarfrachter auf einem Rollfeld des Mohave-Raumhafens rausgeholt. Sie hatten eine Stichverletzung, der sie beinahe erlegen wären. Im Übrigen waren Sie auch noch bis Oberkante Unterlippe mit einem Wahrheitsserum vollgepumpt.

Diese SEKs führen bei solchen Zugriffen immer auch einen Autodoc mit. Der Truppführer hat Sie in einen Mobil-Doc gestopft und Sie dann ins nächstgelegene ARM-Revier geschafft – das im Bezirk Los Angeles. Hollywood, um genau zu sein – vielleicht kennen Sie sich in der Gegend ja aus.«

Sigmund dachte daran zurück, wie er Grimaldi versprochen hatte, ihn nicht hereinzulegen, und der Mistkerl hatte es ihm abgekauft. Das ließ sich mit dem Wahrheitsserum erklären: Sigmund hatte die reine Wahrheit gesagt. Er hatte nicht versucht, Grimaldi hereinzulegen – er hatte ihn tatsächlich hereingelegt.

Falls irgendetwas von alldem hier wirklich echt war, natürlich.

»Ich möchte, dass Sie mir vertrauen, und das fällt Ihnen nicht gerade leicht, nicht wahr?« Filip drehte den Sessel herum und setzte sich dann rittlings darauf, den Oberkörper gegen die Lehne gestützt. »Ich erwarte jetzt übrigens keine Antwort auf diese Frage. Wie ich schon sagte: Ich verstehe Sie sehr gut. Ich werde Ihnen jetzt all die Fragen beantworten, die Sie nicht wagen, mir zu stellen. Fangen wir damit an: Sie stehen nicht unter Verdacht. Nicht im Mindesten.«

Sigmunds Gedanken rasten. Abgesehen davon, dass er sich unglaublich frisch und energiegeladen fühlte – das ging jedem so, der gerade aus einem Autodoc gekommen war –, fühlte er sich völlig normal. Für seine Verhältnisse normal, hieß das. Wie war das möglich? »Dann kann ich also gehen.«

Die Fremde schenkte ihm ein Ich-weiß-etwas-was-du-nicht-weißt-Lächeln. Und dieses Lächeln wirkte völlig natürlich. »Ja, aber das werden Sie nicht tun, schließlich müssen Sie ja noch mehr erfahren.«

Wenn Filip wirklich diejenige war, für die sie sich ausgab, dann musste sie wissen, mit welchem Signal er um Hilfe gerufen hatte. Und wenn nicht … dann würde alleine schon das Geständnis, überhaupt ein Signal abgesetzt zu haben, zu Vergeltungsmaßnahmen führen. Zumindest würde die Trojaner-Mafia ihn dann deutlich besser verstecken.

»Sie möchten nur zu gerne wissen, wie Sie gerettet wurden. Nein, sein wir doch ehrlich miteinander! Sigmund, Sie fragen sich gerade, ob Sie überhaupt wirklich gerettet wurden.« Sie lachte, als ihm die Überraschung deutlich anzumerken war, doch es lag nichts Grausames in diesem Lachen. »In gewisser Weise sind Sie richtig süß. Hören Sie mir einfach nur zu.

Sie sind zu einer ordentlichen Menge Geld gekommen, als Ihre Eltern gestorben sind – zum Teil von der Erbschaft, zum Teil von den Versicherungen Ihrer Eltern. Als Sie dann einundzwanzig Jahre alt wurden, haben Sie die Verwaltung dieses Geldes selbst übernommen. Das besonders Interessante daran ist, Sigmund, was Sie mit dem Geld gemacht haben.«

»Gar nichts.« Sigmund zwang sich dazu, seine Stimme völlig ruhig klingen zu lassen. Tatsächlich hatte er das Geld auf mehrere Konten verteilt; zwei davon liefen unter seinem eigenen Namen, der Rest war deutlich subtiler verborgen. Dabei hatte Sigmund natürlich gegen keinerlei Gesetze verstoßen – auf so etwas achteten Die schließlich immer ganz besonders! –, aber er hatte, um der Wahrheit die Ehre zu geben, doch zumindest das eine oder andere Gesetz recht kreativ ausgelegt. »Das ist mein Notgroschen.«

Filip schüttelte den Kopf. »Wohl kaum. Sie haben Ihren Reichtum in wirklich äußerst ungewöhnlicher Art und Weise in alle Himmelsrichtungen verteilt. Sie haben mehr Stolperdrähte von Geldwäsche-Prüfern angetippt, als ich eigentlich zugeben möchte.« Sie unterband Sigmunds Widersprüche, bevor er noch mehr hatte tun können, als den Mund zu öffnen. »Entspannen Sie sich. Sie haben überhaupt nichts Illegales getan. Nicht ganz. Sie haben die individuellen Überweisungen immer ganz knapp unterhalb der allen Banken vorgeschriebenen, meldepflichtigen Schwellenwerte gehalten. Und nachdem meine Kollegen erst einmal herausgefunden haben, wem all diese verdeckten Treuhandfonds wirklich gehören, haben sie auch festgestellt, dass in Wirklichkeit nichts von all dem Geld auch nur ein einziges Mal den Besitzer gewechselt hat.

Wenn man bedenkt, was Sie beruflich tun – und Sie sind sehr gut dabei, das nur nebenbei! –, müssten Sie doch genau gewusst haben, was als Nächstes geschehen würde. Sie wussten, dass dieses Aktivitätsmuster bei den betreffenden Konten sämtliche Alarmsirenen auslösen würde. Sigmund, Sie haben sich wirklich redlich Mühe gegeben, all diese Konten zu eröffnen, die sämtliche Behörden bis in alle Ewigkeit immer weiter im Auge behalten würden.«

Sigmund zuckte mit den Schultern. Er mochte jetzt noch so sehr Unbekümmertheit heucheln, doch gab es hier vielleicht irgendwo verborgene Sensoren, die sofort den beschleunigten Schlag seines fabrikneuen Herzens bemerken würden?

»Ihr Notgroschen? Dann muss aber gestern in der Mohave-Wüste ganz immense Not ausgebrochen sein«, sprach Filip weiter. »Plötzlich wird von einem Konto, auf dem seit langer, langer Zeit nichts mehr bewegt wurde, gleich eine ganze Million Kredits überwiesen, und das auf ein Nummernkonto in einem Steuerparadies der Belter. Das hat natürlich jede Menge Alarmsirenen schrillen lassen. Und da habe ich mich gefragt: Wenn es Ihnen darum ging, bewusst Aufmerksamkeit zu erregen, warum haben Sie bei dieser Transaktion nicht einfach einen Zwangs-Code eingesetzt?«

Weil ein solcher Zwangs-Code nicht aussagekräftig genug ist! Wenn man erst einmal so einen Zwangs-Code gesehen hat, dann sucht man vielleicht nicht mehr weiter! Ist das nicht ganz offensichtlich?

»Also habe ich ein bisschen weitergesucht«, fuhr Filip fort. »Sie hätten jedes einzelne dieser markierten Konten nehmen können. Hatte es eine besondere Bedeutung, welches davon Sie ausgewählt haben? Die Banken sind diejenigen, die den Konten eine Nummer geben, aber ihre Zugangscodes legen die Kontoinhaber selbst fest. Also habe ich Ihre Zugangscodes durch unsere Kryptographie-Software laufen lassen. Die PIN von jedem einzelnen Ihrer komischen Konten leitete sich vom Namen eines ranghohen Mitglieds im Aufsichtsdirektorat der Vereinten Nationen ab. Die PINs änderten sich, nicht aber das zugrundeliegende Muster.« Filip tätschelte Sigmunds Arm; sichtlich zuckte er zusammen. »Wenn man die PIN dechiffrierte, mit der Sie diese Gelder freigegeben haben, landete man bei ›Grimaldi‹. Und der befand sich am Mojave-Raumhafen, als Sie die Überweisung autorisiert haben.«

Sigmund konnte nichts dagegen tun: Er zitterte am ganzen Leib. Vorsichtig schlang er seinen Bademantel noch ein wenig enger, doch er befürchtete, dieser Filip nichts vormachen zu können. Dann stimmte es also tatsächlich: Die ARM verfolgte Personen über das Transferkabinen-System. Befürchtet hatte Sigmund das schon immer. Irgendwie mussten die einzelnen Transfers ja zu den entsprechenden Personen zurückverfolgt werden, alleine schon, um die Rechnungen erstellen zu können.

Oder die Trojaner waren sogar noch cleverer, als er das bislang gedacht hatte. Vielleicht hatte Grimaldi seine PIN ja aufgezeichnet, als er diese Überweisung autorisiert hatte. Wenn die Trojaner seinen Code dechiffriert hatten, dann stellten sie ihn hier vielleicht gerade auf die Probe, oder …

»Sigmund! Kommen Sie wieder zu sich.« Filip lachte, doch irgendwie klang es dieses Mal sehr freundlich. »Wer außer einem echten Paranoiker legt für die ARM Fallen aus, um seine Kollegen zu belasten? Sie sind aus dem Autodoc ebenso paranoid herausgekommen, wie man Sie hineingelegt hat! Das sehe ich doch an Ihrem Blick. Und Sie haben es doch zweifellos auch bemerkt. Haben Sie sich nicht schon längst gefragt: ›Wieso eigentlich?‹«

Völlig reglos saß Sigmund dort; er hatte Angst, auch nur ein Wort zu sagen. Warum hatte der Autodoc die Biochemie seines Gehirns denn nun wirklich nicht wieder ins Gleichgewicht gebracht?

»Und deswegen werden wir Freunde, Sigmund«, erklärte Filip jetzt. »Sie haben die Gerüchte doch auch längst mitbekommen. Ranghöhere Agenten der ARM sind Paranoiker. Das erleichtert uns die Arbeit immens. Wir kriegen das mit Drogen hin. Während der Arbeitswoche packen wir uns mit den Dingern voll, und wenn wir in die Freizeit entlassen werden, dann kommen wir eben wieder runter. Das gilt zumindest für die meisten ARMs. Aber genauso wie Sie bin auch ich von Natur aus schitz. Ich werde unter Drogen gesetzt, bevor die mich über das Wochenende nach Hause schicken.

Nun ist aber heute eben Mittwoch. Ein ganz normaler Werktag. Nach dieser kleinen Panne wurden Sie in einen Autodoc gestopft. Und unsereins findet nichts dabei, wenn die Hirnchemie halt ein bisschen schitz ist. Da ist es kein Zufall, dass Sie immer noch genauso kaputt sind wie früher auch.

Sigmund, genau das ist ja der Grund, warum ich Sie so gut verstehe. Wir funktionieren da genau gleich.«

Sigmund wollte es nur zu gerne glauben. Natürlich hatte er die Gerüchte gehört. Wer denn nicht? Das Problem war nur …

»Sigmund!«, sagte Filip scharf. »Schön bei mir bleiben! Sie denken gerade: Die ARMs haben selbst das Gerücht verbreitet, da wären alle paranoid, um alle anderen, die es betrifft, auf diese Weise dazu zu bringen, auch zuzugeben, dass sie selbst ebenfalls paranoid sind. Genau das habe ich am Anfang auch gedacht.«

Zum ersten Mal, seit Sigmund aus dem Autodoc geklettert war, blickte Filip ihm geradewegs in die Augen. »Hochbegabt und paranoid, das ist doch ein Freifahrtschein dafür, einsam und allein zu bleiben und sich mies zu fühlen. Gegen das ›mies‹ kann ich vielleicht nichts tun. Aber was das ›einsam und allein‹ betrifft, da sieht die Sache vielleicht ein bisschen anders aus.«

Er nahm ihr den neuen ID-Chip aus der Hand, den sie ihm entgegenstreckte. Wenn er ihn im genau richtigen Winkel ins Licht hielt, konnte er das Holo einer blauen Erdkugel erkennen, über der sein Name schimmerte. Es hieß, diese Karte sei genau auf seine DNA abgestimmt und würde ihm auch Zugang zur Agenten-Akademie der ARM in London verschaffen. Dann zwängte sich Sigmund in den schlichten, schwarzen Anzug, den Filip aus einem Schrank herausgeholt hatte. Es überraschte Sigmund nicht im Mindesten, dass dieser Anzug perfekt auf seine Körpermaße und auch seine persönlichen Kleidungsvorlieben abgestimmt war.

Er gab nichts zu, er versprach nichts. Anscheinend war er jetzt endlich und endgültig frei.

Aber was bedeutete hier ›frei‹? Frei zu gehen, wohin er wollte? War er auch so ›frei‹, dass ihm niemand folgen würde? Oder hatte man ihn mit winzigen Kameras behängt wie einen Weihnachtsbaum?

Durch die Scheibe in der Tür zu seinem Krankenzimmer konnte Sigmund ein Büro erkennen, in dem hektische Betriebsamkeit herrschte. Auf Sigmund selbst schien hier nichts und niemand zu achten. Während er nach dem Ausgang suchte, wich Sigmund jeder Transferkabine aus. Auf dem Bürgersteig, den er schließlich erreichte, waren große, fünfzackige Sterne in das Pflaster eingelassen. Auf der gegenüberliegenden Seite erkannte Sigmund deutlich Grauman’s Chinese Theatre.

Er drehte sich um. Über der doppelflügeligen Tür, durch die er gerade ins Freie getreten war, stand in großen, in Stein gemeißelten Buchstaben Alliierte Regionale Miliz, Bezirk Los Angeles. In einer derart öffentlichen Gegend ließe sich doch nicht so einfach ein ganzes ARM-Revier nachbauen.

Sigmund drehte den ID-Chip zwischen den Fingern, den ihm Special Agent Filip – Feather – gegeben hatte. Plötzlich hatte er das Gefühl, es könne – jetzt, nachdem er schon mehr als ein Jahrhundert ganz für sich alleine verbracht hatte – doch einen Ort geben, an den er einfach gehörte.

EIN SCHWERWIEGENDER AUFTRAGERDJAHR 2641

KAPITEL 3

»Unheimlich, findest du nicht?« Ohne eine Antwort abzuwarten, stellte Trisha Schwartz eifrig das Holo des Brücken-Teleskops auf maximale Vergrößerung. In ihrer Stimme schwangen Neugier und Ungeduld gleichermaßen mit.

Nessus staunte. Ihr Schiff war vor noch nicht einmal einer Minute aus dem Hyperraum ausgetreten. ›Neugier‹ erklärte, warum diese Frau und ihre Kollegen jetzt hier waren; an diesem Ort gab es vieles, was sie in Erfahrung bringen würden. Und die Ungeduld erklärte, warum er selbst jetzt hier war. Irgendjemand musste hier ja klares Urteilsvermögen an den Tag legen.

Sie sollte auch tunlichst diensteifrig sein. Schließlich war das hier – zumindest theoretisch – eine Rettungsmission. Seinen Pessimismus behielt Nessus ganz für sich.

Verzerrt und wie geronnen raste das Licht der Sterne auf ihn zu und verschwand, wich … überhaupt nichts. Nessus schwindelte es. Er stützte sich gegen das nächste Schott und versuchte, irgendetwas auf dem vergrößerten Holo-Display zu erkennen.

»Man sieht es auf dem Massendetektor«, sagte Trisha jetzt. »Das Magnetfeld von dem Ding ist gewaltig. Auf dem Tiefenradar kann man das auch nicht übersehen. Und hier …« – sie schob eine Hand bis in die Mitte des Hologramms hinein – »… ist überhaupt nichts.«

Neben ihr knarrte eine Pilotenliege, als Raul Miller die Lage seines massigen Leibes ein wenig veränderte. »Warte mal ab«, sagte er. Ein winziger Lichtkreis blitzte kurz auf und verschwand dann wieder. Wenige Sekunden später flackerte ein zweiter Lichtkreis.

Trisha wirkte hocherfreut. »Siehst du? Man sieht hier deutlich den Gravitationslinseneffekt, wenn unmittelbar dahinter Sterne vorbeiziehen. Und wir sehen immer noch nicht, was ›es‹ denn nun eigentlich ist. Ich sag ja: unheimlich. Findest du nicht auch, Nessus?«

›Nessus‹ war nur eine Bezeichnung, die man der Bequemlichkeit wegen gewählt hatte. Seinen richtigen Namen konnte man nur mit zwei Mündern und zwei Stimmbandsätzen reproduzieren – oder mit einem Blasorchester. Vor einiger Zeit hatte Trisha – die nicht geahnt hatte, dass er sie über diese Entfernung hinweg würde verstehen können (Warum sollte er verraten, wie gut sein Gehör wirklich war?) – über seinen richtigen Namen gesagt, er klinge wie ›ein vertonter Betriebsunfall im Walzertakt‹.

Aber das war wohl kaum schlimmer, sinnierte Nessus, als die Bezeichnung, die die Menschen für seine ganze Spezies gefunden hatten: Puppenspieler.

»Ich spüre hier nichts Übernatürliches«, erklärte Nessus jetzt, wobei er seine Worte voller Vorsicht wählte. Natürlich tat er alles stets voller Vorsicht. »Aber bei ›erschreckend‹ würde ich dir nicht widersprechen wollen.«

Das rief genau das Gekicher hervor, das Nessus erwartet hatte. Puppenspieler wurden gemeinhin für Feiglinge gehalten – was eigentlich auch der Hauptgrund dafür war, dass sich an Bord dieses Schiffes eine menschliche Mannschaft befand.

Aber leider, dachte Nessus, bin ich immer noch verrückt genug, dass man mir die Aufgabe übertragen hat, als ihr Anführer zu fungieren.

Wissen ist Macht. Darauf konnten sich alle vernunftbegabten Spezies einigen.

Einer der größten Unterschiede zwischen den einzelnen Spezies bestand darin, wie sie es vorzogen, dieses Wissen zu erringen. Unter Seinesgleichen, das wusste Nessus, war man davon überzeugt, Forschungsreisen und dergleichen seien reiner Irrsinn. Es konnte gar nicht anders sein, wenn jegliches Verlassen der Heimatwelt und der Herde Wahnsinn war.

Daher also diese Menschen.

Nach der alten ›Trial-and-Error‹-Methode hatten sie herausgefunden, dass die Menschen ausgezeichnet dazu geeignet waren, die Rolle von Erkundern zu übernehmen. Natürlich wussten die Menschen nichts von diesen Experimenten. Und Nessus hatte auch nicht die Absicht, ihnen davon zu berichten. Das wagte er nicht. Kein Puppenspieler hätte das jemals gewagt.

Bei diesem unsichtbaren ›Es‹, das sie auf einer weiten Umlaufbahn umkreisten, handelte es sich um einen erst kürzlich entdeckten Neutronenstern, den man mit der Kennung BVS-1 versehen hatte. Wie jeder andere Neutronenstern auch, war BVS-1 nichts anderes als der hochkomprimierte Überrest einer Supernova. Die Implosion hatte diese interstellare Schlacke eines Sterns, der einst deutlich größer gewesen war als viele andere Sterne, immens zusammengepresst: Jetzt war BVS-1 nur noch eine Kugel von kaum mehr als siebzehn Kilometern im Durchmesser. Die eigene Schwerkraft dieses Himmelskörpers sorgte dafür, dass er auch so klein blieb. Ein dünner Film gewöhnlicher Materie bedeckte eine geringfügig dickere Schicht freilaufender Subatomarpartikel, und diese wiederum bedeckte … was diese Schicht eigentlich bedeckte, wusste niemand so genau. Die Kugel, die unter diesen beiden Schichten verborgen lag, wies beinahe die gleiche Dichte auf wie die Atomkerne selbst. Physiker bezeichneten dieses Material als ›Neutronium‹ oder auch als ›degenerierte Materie‹. Ingenieure nannten es – nur halb im Scherz – ›Unobtainium‹, weil sie es bislang nicht zustandegebracht hatten, es tatsächlich herzustellen. Über die genauen Eigenschaften dieses Materials stritten sich die beiden Fraktionen vehement.

Die meisten Neutronensterne schrien ihre Existenz über Lichtjahre hinweg regelrecht hinaus: Sie verwandelten kosmische Staubwolken und Gase in verheerende Röntgen- oder Gammastrahlungs-Impulse. Aber es war nicht diese Strahlung, die die meisten Raumerkunder davon abhielt, sich Neutronensternen etwas weiter zu nähern und vielleicht sogar einen Blick auf das geheimnisvolle Neutronium selbst zu werfen. Es waren diese Staub- und Gaswolken selbst, die in immer engeren Spiralen weiter und weiter auf den Neutronenstern zuhielten, dabei immer weiter beschleunigten, sogar bis hin zu relativistischen Geschwindigkeiten, so sehr wurden sie von diesen Sternentrümmern angezogen. Wie undurchdringlich der Rumpf eines Schiffes auch sein mochte: Diese Strahlungsschauer wären für Instrumente und Mannschaft in jedem Falle tödlich.

Und dann gab es noch BVS-1: kalt und dunkel, und eine Gravitations-Anomalie hatte erst kürzlich erkennen lassen, dass dieser Neutronenstern überhaupt existierte.

Schon vor langer Zeit hatte BVS-1 seine Akkretionsscheibe verschlungen und das Pulsieren eingestellt. Die Oberflächentemperatur von BVS-1, die nur geringfügig höher war als die Temperatur des Weltalls selbst, ließ vermuten, dass dieser Himmelskörper schon seit mindestens einer Milliarde Jahren ein Neutronenstern war. Das bedeutete, man konnte sich ihm auch nähern …

Zumindest theoretisch.

Im – angeblich – sicheren Abstand von zwei Millionen Kilometern umkreisten sie BVS-1. Nessus versuchte, nicht zu sehr darüber nachzudenken, welche Grundannahmen zu der Mutmaßung geführt hatten, dieser Abstand sei tatsächlich sicher. Tagelang hatten Peter und Sonya Laskin BVS-1 aus einem deutlich niedrigeren Orbit heraus beobachtet und sich regelmäßig via Hyperwellen-Funk gemeldet, bevor sie in einen Sinkflug übergegangen waren, um sich die Oberfläche etwas näher anzuschauen.

Seitdem hatte niemand mehr irgendetwas von der Hal Clement gehört.

»Irgendwelche Spuren von ihnen?«, fragte Nessus nach. Dass er so ruhig und gefasst klang, war eigentlich nichts anderes als eine gewaltige Lüge. Jeder seiner Instinkte verlangte von ihm, sofort zu flüchten – wenn schon nicht vor diesem astronomischen Rätsel, dann zumindest vor diesen unberechenbaren Menschen an Bord seines Schiffes. Am liebsten hätte er sich in seiner Kabine eingeschlossen, sich zu einer Kugel zusammengerollt, die Köpfe sicher unter dem Bauch vergraben, und sich vor dem ganzen Universum versteckt.

Trisha schüttelte den Kopf. »Keine Antwort auf unsere Funksprüche. Nichts auf dem Radar.«

»Könnte an Interferenzen liegen«, warf Raul hoffnungsvoll ein. »Oder vielleicht sind denen einfach die Geräte kaputtgegangen.«

Gewiss, die Kommunikationseinrichtungen der Laskins mochten beschädigt sein. Aber das erklärte immer noch nicht, warum man sie auch auf dem Radar nicht orten konnte. »Sucht weiter«, wies Nessus seine Mannschaft an. Wieder musste er gegen das Bedürfnis ankämpfen, mit den Lippen an seiner ohnehin schon zerzausten Mähne zu zupfen. Irgendetwas war hier gewaltig schiefgelaufen.

Genau deswegen ging sein Volk niemals auf Erkundungsreisen.

Schließlich brach Raul das Schweigen, das sich immer länger hingezogen hatte, und sein Tonfall klang sehr kleinlaut: »Immer noch nichts.«

Rittlings nahm Nessus auf der Y-förmigen, gepolsterten Sitzbank Platz; dieser Platz auf der Brücke war ganz alleine ihm vorbehalten. Mit seinen Lippenknötchen – die ungleich geschickter waren als etwa die Finger eines Menschen – bediente er eine Computer-Konsole, die durchaus auch für Menschen geeignet war. Den Kurs, den die Laskins hatten anlegen wollen, hatte Nessus tatsächlich noch richtig in Erinnerung gehabt. Dieser Hyperbelflug hätte sie bis auf zwei Kilometer an die geheimnisvolle Oberfläche von BVS-1 heranführen sollen. Falls ihr Autopilot auch nur den kleinsten Fehler gemacht hatte und sie aus welchen Gründen auch immer dort aufgeschlagen waren …

Wenn er sich schon eine derartige Fehlfunktion ausmalen konnte, warum dann nicht auch noch ganz andere? Nessus stellte sich den Haarnadel-Kurs vor, den die Mannschaft geplant hatte: Auf diesem Kurs hätte das Schiff wieder ins All hinausgeschleudert werden müssen. Und die Laskins waren schon seit Tagen verschwunden. »Was, wenn der Autopilot das Schiff nach diesem Haarnadel-Manöver nicht wieder auf die ursprüngliche Umlaufbahn gebracht hat? Wie weit würde das Schiff antriebslos weitertreiben?«

Trisha ließ sich auf eine leere Pilotenliege fallen. Was auch immer sie mit ihrer Konsole jetzt anstellte: ihr Körper versperrte Nessus jegliche Sicht darauf. »Ich weite den Radar-Suchbereich aus.«

Tatsächlich entdeckten sie das Schiff: Reglos trieb es im All, Millionen Kilometer von der Region entfernt, in der sie bislang danach gesucht hatten. Auf ihre Versuche, Funkverbindung aufzunehmen, folgte keine Reaktion. Raul steuerte ihr Schiff längsseits.

Durch das Sichtfenster der Brücke betrachtete Nessus die Hal Clement: Mit beträchtlicher Geschwindigkeit wirbelte das Schiff um die eigene Achse. Warum hatten die Laskins dem Schiff einen derartigen Drehimpuls verpasst?

»Solange das Ding sich so dreht, können wir nicht an Bord gehen, um selbst nachzuschauen«, erklärte Nessus. »Irgendwelche Vorschläge?«

Raul rieb sich über das Kinn. »Nessus, sind die Landestreben aus Stahl? Unsere sind es ja auf jeden Fall.«

Nessus rief die Bauspezifikationen des Schiffes auf. »Stahl, ja.«

»Dann könnten wir unsere magnetischen Andockkoppler einsetzen, um für einen gewissen Widerstand zu sorgen. Wie alle anderen Geräte an Bord auch, sind doch auch unsere Koppler sicherheitstechnisch völlig überdesignt – die können überhaupt nicht kaputt gehen. Wir verlangsamen die Drehbewegung der Hal Clement, und unsere Lage-Thruster werden uns auf sichere Entfernung halten.«

Mehrmals war hektisches Klappern der Tastatur zu hören, dann schlug Raul voller Frustration mit der flachen Hand auf seine Konsole. »Tanj! Das wird eine Weile dauern.«

Natürlich waren sämtliche Systeme an Bord sicherheitstechnisch überdesignt. Ansonsten hätte Nessus keinen Huf an Bord gesetzt. »Mach weiter«, sagte er nur.

Und so kümmerte sich Raul um die Magnetimpulse und passte die Impulsfrequenz immer weiter an, je mehr das andere Schiff an Drall verlor. Trisha und der Navigationscomputer murmelten einander unverständliche Dinge zu. Und Nessus … machte sich Sorgen.

Bis …

Trisha stieß einen Pfiff aus. »Deswegen wirbeln die so herum und sind auch so weit vom Kurs abgekommen! Die Rotation eines massereichen Objektes – BVS-1 mag ja klein sein, aber seine Masse ist immer noch größer als die von Sol – verzerrt den umliegenden Raum. Ich habe das mal nachgerechnet, und genau darauf läuft es heraus. Der Drall, der sich auf die Hal Clement übertragen hat, und dazu die Abweichung vom ursprünglich beabsichtigten Kurs, diese beiden Faktoren verraten uns, dass BVS-1 einmal in je zweieinhalb Minuten um die eigene Achse rotiert.«

»Interessant«, sagte Nessus, und es klang erschreckend atonal. In Wahrheit konnte er sich nicht vorstellen, wie es überhaupt von Interesse sein könnte, die Umdrehungsgeschwindigkeit dieses Neutronensterns in Erfahrung zu bringen. Wenn seine eigene Spezies in irgendeiner Weise zu Neugier oder dergleichen neigen würde, dann würden sie sich wahrscheinlich genau so töricht-tapfer verhalten wie diese Menschen.

Das Einzige, was Nessus im Augenblick interessierte, das war dieses Schiff, von dem immer noch kein einziges Signal eingegangen war. Endlich war die Drehgeschwindigkeit so weit gedrosselt, dass es auch Sinn hatte, überhaupt zu diesem Schiff hinüberzublicken – und bald würde man auch vorsichtig an Bord gehen können. Irgendwie sahen die Landestreben dieses Schiffes sonderbar aus. Aber das musste sich Nessus doch einbilden. Peter und Sonya konnten unmöglich gelandet sein! Hätten sie das getan, so hätten sie unmöglich wieder abheben können.

Zweimal überprüften sie, ob an Rauls Schutzanzug auch wirklich alle Versiegelungen dicht waren, bevor sie ihm gestatteten, die Luftschleuse zu betreten. Auch der Komm-Link wurde noch einmal überprüft. Und die Helmkamera. Der Druck einer kleinen Gaspistole trug Raul über den Abstand zum anderen Schiff hinweg – nur wenige Meter. Eine winzige Kräuselung am Himmel – dort, wo die Schwerkraft sogar das Licht der Sterne ablenkte – verriet ihnen allen, in welcher Richtung in etwa BVS-1 liegen musste.

Irgendetwas stimmte hier ganz und gar nicht! Und Nessus merkte sofort, dass Trisha genau das Gleiche durch den Kopf ging. Besorgt beugte sie sich weiter an die Sichtscheibe heran, als Raul in der Luftschleuse des Laskin-Schiffes verschwand.

»Nessus, Trish, seid ihr noch da?« Rauls Kamera übertrug Abbilder der Luftschleusen-Innenseite. Gemeinsam beobachteten Nessus und Trisha, wie Raul die Hand ausstreckte und dann vorsichtig mit dem Handschuh das Steuerfeld berührte. Statusleuchten blinkten. Die Schleuse nahm die Arbeit auf. »Alle Lebenserhaltungssysteme nominal.«

»Wir sind noch da«, erklärte Nessus. »Ich würde vorschlagen, du lässt deinen Schutzanzug trotzdem versiegelt.«

»Mach ich«, bestätigte Raul.

Nessus schaute zu, wie sich die Innenseite der Schleuse öffnete. Raul und die Kamera bewegten sich weiter in das Schiffsinnere hinein, einmal wanderte die Kamera an einer Seitenwand des Korridors entlang, dann schwenkte sie um eine Ecke …

Und das Nächste, was Nessus sah, als er ruckartig beide Köpfe zwischen seinen Vorderbeinen in Sicherheit brachte, war die Unterseite seines eigenen Bauches.

KAPITEL 4

Alleine saß Sigmund an einem kleinen Tisch in der überfüllten Lounge des Schiffes. Unmittelbar neben seinem linken Ellenbogen sah er eine Schicht blauer Farbe, dahinter lagen ein angeblich unzerstörbarer Schiffsrumpf und ein unmöglich zu erahnendes Ausmaß an … wovon auch immer. Sigmund wusste es nicht.

Niemand wusste das.

Das Gute am Hyperraum war der Hyperraumantrieb. Bei einer Fahrt unter Hyperraumantrieb legte man innerhalb von drei Tagen ein Lichtjahr zurück. Das Schlimme am Hyperraum war, dass niemand genau wusste, was genau dieser Hyperraum eigentlich sein sollte. Immer wieder kam es vor, dass ein Schiff einfach verschwand. Die Wissenschaftler hielten dann jedes Mal gelehrte Vorträge, der Pilot müsse einer mathematischen Singularität zu nahe gekommen sein – dieser Krümmung des Raums in der Nähe eines jeden stellaren Massenzentrums.

Aber was in einem solchen Falle wirklich geschah, wusste niemand. Vielleicht stürzte das Schiff dann durch ein Wurmloch, nur um an irgendeinem anderen Ort wieder in den Normalraum zurückzukehren – unerreichbar, nicht einmal mit den zur Verfügung stehenden Kommunikationseinrichtungen, weit, weit entfernt. Oder – und das war genauso gut möglich – das Schiff hörte einfach auf zu existieren. Die Mathematik war in dieser Hinsicht mehrwertig.

Im Vergleich zu diesem sonderbaren Weniger-als-Nichts, das dort nur wenige Zentimeter vor ihm vorbeizog, waren eigenartige Gerüche und ungewohnte Nachthimmel bedeutungslos. Sigmund sehnte sich danach, eine Welt zu sehen. Irgendeine Welt.

Das Bier in seinem Trinkballon war für ihn tröstlicher als sämtliche Beteuerungen seitens der General Products Corporation, welch unzerstörbare Schiffsrümpfe sie doch herstellten. ›Unzerstörbarkeit‹ reichte wohl kaum aus, wenn die Möglichkeit bestand, dass das ganze Schiff einfach verschwand.

Da GP eine Firma der Puppenspieler war, und da Puppenspieler nun einmal Puppenspieler waren, war nur äußerst wenig über das Material bekannt, das beim Bau dieser Schiffsrümpfe – die GP immer nur ›Zellen‹ nannte – verwendet wurde, abgesehen natürlich von der wirklich beeindruckenden Garantie, die GP auf ihre Produkte gab. Sollte es tatsächlich jemand schaffen, aufgrund des technischen Versagens einer GP-Zelle den Tod zu finden, würden dessen Erben wirklich sehr, sehr reich werden.

Nun ja, für Sigmunds Erben galt das natürlich nicht. Er hatte keine Erben. Und er rechnete auch nicht damit, dass sich das jemals ändern würde. Er nahm das nicht persönlich – so dachte das Fruchtbarkeits-Komitee nun einmal über alle von Natur aus paranoiden Personen. Und um der Wahrheit die Ehre zu geben: Achtzehn Milliarden Erdenbewohner waren auch wirklich einige Milliarden zu viel. Unter den gegebenen Umständen konnte es Sigmund dem Komitee wirklich nicht verübeln, dass sie es vorzogen, nur geistig Gesunden Nachkommen zuzugestehen.

Das hieß natürlich immer noch nicht, dass Sigmund diese Entscheidung auch zusagte. Er nippte an seinem Bier und versuchte, auf etwas schönere Gedanken zu kommen.

Nachdem Nakamura Lines so unerwartet Konkurs angemeldet hatte, waren nun sämtliche Schiffe bis auf den letzten Platz besetzt. Jede Kabine war belegt. Vor der kleinen Bar an Bord standen die Passagiere in Dreierreihen. Nur Sigmund und ein völlig vernarbter – und offensichtlich kampferfahrener – Kzin hatten einen Tisch für sich alleine. Selbst die Jinxianer teilten ihre winzigen Tische mit anderen.

Jinxianer: Auch kein schöner Gedanke, doch Sigmund mühte sich, seinen Gesichtsausdruck so neutral wie möglich zu halten.

Jinx war ein von Menschen besiedelter Mond eines Gasriesen, der Sirius A umkreiste. Und dieser Mond war wirklich nur gerade eben noch bewohnbar. Die Schwerkraft an der Oberfläche von Jinx lag bei 1.78 G. Dort aufzuwachsen formte einen wirklich für das ganze Leben – und das im wörtlichen Sinne. Jinxianer hatten immer eine gewisse Ähnlichkeit mit Felsbrocken: Gedrungen und massig, ihre Arme etwa so dick wie Sigmunds Beine, und ihre Beine konnten manchem alten Baumstamm mühelos Konkurrenz machen.