Das Schicksal der Ringwelt - Larry Niven - E-Book

Das Schicksal der Ringwelt E-Book

Larry Niven

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Beschreibung

Seit Jahrzehnten führen die raumfahrenden Spezies Krieg um die Ringwelt. Sie ist das größte Artefakt der Galaxis mit heißbegehrten Ressourcen und Technologien. Doch ohne Vorwarnung ist die Ringwelt verschwunden und hat drei rivalisierende Kriegsflotten zurückgelassen. Die konzentrieren sich nun auf das nächst wertvollere Ziel: Das Volk der Puppenspieler, für die dies der Untergang bedeuten könnte.

Der Abschluss des "Fleet of Worlds"-Zyklus innerhalb des Known Space - Larry Nivens episches Ringwelt-Universum!

eBooks von beBEYOND - fremde Welten und fantastische Reisen.

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Inhalt

Cover

Larry Niven bei Bastei Lübbe

Über dieses Buch

Über die Autoren

Titel

Impressum

Widmung

Dramatis Personae

Zeittafel der Schlüsselereignisse

AUFTAKT – ERDJAHR 2893

RAUMZEIT-STÖRUNGEN – ERDJAHR 2893

KAPITEL 1

KAPITEL 2

KAPITEL 3

RINGWELT – ERDJAHR 2893

KAPITEL 4

KAPITEL 5

KAPITEL 6

KAPITEL 7

ERDJAHR 2850

KAPITEL 8

KAPITEL 9

ERDJAHR 2851

ERDJAHR 2893

KAPITEL 10

RENDEZVOUS – ERDJAHR 2893

KAPITEL 11

KAPITEL 12

ERDJAHR 2828

ERDJAHR 2893

KAPITEL 13

KAPITEL 14

KAPITEL 15

KAPITEL 16

KAPITEL 17

KAPITEL 18

KAPITEL 19

KAPITEL 20

KAPITEL 21

REAKTION – ERDJAHR 2893

KAPITEL 22

KAPITEL 23

KAPITEL 24

KAPITEL 25

KAPITEL 26

KAPITEL 27

KAPITEL 28

KAPITEL 29

KAPITEL 30

KAPITEL 31

REBELLION – ERDJAHR 2894

KAPITEL 32

KAPITEL 33

KAPITEL 34

KAPITEL 35

KAPITEL 36

KAPITEL 37

KAPITEL 38

KAPITEL 39

RAGE – ERDJAHR 2894

KAPITEL 40

KAPITEL 41

KAPITEL 42

KAPITEL 43

KAPITEL 44

KAPITEL 45

RAGNARÖK – ERDJAHR 2894

KAPITEL 46

KAPITEL 47

KAPITEL 48

KAPITEL 49

REQUIEM – ERDJAHR 2894

KAPITEL 50

KAPITEL 51

KAPITEL 52

ABGESANG – ERDJAHR 2895

KAPITEL 53

KAPITEL 54

Larry Niven bei Bastei Lübbe

Der Ringwelt-Zyklus:

Ringwelt / Ringwelt Ingenieure.

Doppelband, 2016 (Dt. Erstausgabe 1972 / 1982)

Ringwelt Thron / Hüter der Ringwelt.

Doppelband, 2017 (Dt. Erstausgabe 1998 / 2006)

Weitere Romane im Known Space:

Die Welt der Ptavv.

2018 (auch als »Das Doppelhirn« erschienen, Dt. Erstausgabe 1977)

Ein Geschenk der Erde.

2018 (auch als »Planet der Verlorenen« erschienen, Dt. Erstausgabe 1977)

Protector – Brennans Legende.

2018 (auch als »Der Baum des Lebens« erschienen, Dt. Erstausgabe 1975)

Der Weltenflotte-Zyklus (Known Space):

Weltenwandler.

2014 (Dt. Erstausgabe 2008)

Die Flotte der Puppenspieler.

2014 (Dt. Erstausgabe 2008)

Der Krieg der Puppenspieler.

2011

Verrat der Welten.

2012

Das Schicksal der Ringwelt.

2014

Über dieses Buch

Seit Jahrzehnten führen die raumfahrenden Spezies Krieg um die Ringwelt. Sie ist das größte Artefakt der Galaxis mit heißbegehrten Ressourcen und Technologien. Doch ohne Vorwarnung ist die Ringwelt verschwunden und hat drei rivalisierende Kriegsflotten zurückgelassen. Die konzentrieren sich nun auf das nächst wertvollere Ziel: Das Volk der Puppenspieler, für die dies der Untergang bedeuten könnte.

Der Abschluss des »Fleet of Worlds«-Zyklus innerhalb des Known Space – Larry Nivens episches Ringwelt-Universum!

Über die Autoren

Larry Niven wurde 1938 in Los Angeles, Kalifornien geboren. 1956 schrieb er sich am Institute of Technology in Kalifornien ein, um es ein Jahr später wieder zu verlassen. Ein halbes Jahr später entdeckte er einen alten Buchladen voll mit bereits gelesenen Science-Fiction Magazinen, die ihn inspirierten, selbst etwas zu schreiben. Nachdem er sein Mathematik-Psychologie-Studium 1962 an der Washburn University, Kansas, beendet hatte, begann Larry Niven nun endgültig sich seiner Leidenschaft hinzugeben. Seine erste veröffentlichte Geschichte »The Coldest Place« erschien in der Dezember-Ausgabe von 1964 Worlds of If.

Larry Niven gehört zu den großen Altmeistern des Genres. Er hat im Laufe seiner Karriere mehrmals die bedeutendsten Preise der Science Fiction, den Hugo- und den Nebula-Award, gewonnen, unter anderem für den Roman »Ringwelt«, der als ein Meilenstein der modernen fantastischen Literatur gilt. Mit der Romanserie um das »Ringweltuniversum« hat er wahrscheinlich die populärste SF-Serie aller Zeiten geschaffen.

Edward M. Lerner wurde 1949 in den USA geboren. Er hat mehr als dreißig Jahre für diverse namhafte Firmen in der Luftfahrt- und IT-Industrie gearbeitet, denn er hat einen Abschluss in Physik und Informatik: ein Werdegang, der dafür gesorgt hat, dass er nie sonderlich in Schwierigkeiten geriet - bis er das Schreiben von SF zu seiner Hauptbeschäftigung erkor. Mit Larry Niven arbeitete er am fünfteiligen Weltenflotte-Zyklus zusammen. Er lebt mit seiner Frau Ruth in Virginia.

Larry NivenEdmund M. Lerner

DAS SCHICKSALDER RINGWELT

Weltenflotte-Zyklus 5

EIN ROMAN AUS DEMRINGWELT-UNIVERSUM

Aus dem Amerikanischen vonBeate Ritgen-Brandenburg

beBEYOND

Digitale Neuausgabe

»be« - Das eBook-Imprint von Bastei Entertainment

Für die Originalausgabe:

Copyright © 2012 by Larry Niven and Edward M. Lerner

Titel der amerikanischen Originalausgabe: »Fate of Worlds«

Published by arrangement with Larry Niven and Edward M. Lerner

This book was negotiated through Literary Agency Thomas Schlück GmbH, 30161 Hannover

Für diese Ausgabe:

Copyright © 2018 by Bastei Lübbe AG, Köln

Covergestaltung: Massimo Peter-Bille unter Verwendung eines Motives © shutterstock: Vadim Sadovski

eBook-Erstellung: Jilzov Digital Publishing, Düsseldorf

ISBN 978-3-7325-6714-0

www.be-ebooks.de

www.lesejury.de

Den großen Ideen gewidmet.Und denjenigen, die sie zu träumen wagen.

Dramatis Personae

MENSCHEN

Sigmund Ausfaller – ehemaliger Verteidigungsminister von New Terra, im Ruhestand; auf New Terraansässig; stammt ursprünglich von der Erde

Julia Byerley-Mancini – Captain der Verteidigungskräfte New Terras; Kommandantin des Raumschiffs Endurance; Expeditionsleiterin zur sogenannten Anomalie; Enkeltochter von SigmundAusfaller

Alice Jordan – Mitglied des Expeditionsteams zur sogenannten Anomalie; auf New Terra ansässig;stammt ursprünglich aus dem Sol-System

Donald Norquist-Ng – Minister, Angehöriger der Verteidigungskräfte New Terras

Denise Rodgers-Bjornstad – Gouverneurin von New Terra (Regierungsspitze der planetaren Exekutive)

Louis Wu – auf der Erde geborener Abenteurer; Mitglied beider Ringwelt-Expeditionen; erst kürzlichvon der Ringwelt entkommen

Tanya Wu – auf der Erde geborener Subalternoffizier an Bord des ARM-Versorgungsschiffs Koala

Wesley Wu – auf der Erde geborener Flottenoffizier, Kommandant der Koala, abgestellt für dieArtefakt-Überwachungsmission

GW’OTH(auf Naturschutzwelt Fünf der Weltenflotte ansässig, sofern nicht anders vermerkt)

Cd’o – ein Gw’o, Untereinheit im 16-plex-Verstandeskollektiv (d. h. in einem 16erGw’otesht-Verband) namens Ol’t’ro; geboren auf der Koloniewelt Kl’mo

Er’o – im Erinnerungsvermögen von Ol’t’ro abgespeicherte Restexistenz einer vor langer Zeitverstorbenen Gw’otesht-Untereinheit; Veteran des Pak-Kriegs

Ol’t’ro – 16-plex-Verstandeskollektiv(d. h. ein Gw’otesht 16er-Verband), das im Geheimen die Weltenflotte beherrscht; vgl.hierzu Künstliche Intelligenz Proteus und Bürger/Puppenspieler Chiron

Tf’o – Gw’o-Leiter der gemeinsamen Gw’oth/Bürger-Expedition, die im Rahmen einer verdecktenOperation die Ringwelt beobachtet

KÜNSTLICHE INTELLIGENZEN

Hawking – taktische KI des von der Erde abgestellten Sondereinsatzkommandos Delta während derArtefakt-Überwachungsmission

Jeeves – jede der vielen KIs, die auf die Bord-KI des Ramjets Long Pass zurückgehen (aus derEmbryonen-Bank dieses Kolonisierungsschiffs wurde New Terra bevölkert); es liegen verschiedene Kopien in unterschiedlichen Derivatzuständen vor

Proteus – für den Verteidigungsgürtel um Hearth respektive die Weltenflotte zuständige KI; überwacht von Ol’t’ro. In einer ihrer Unterfunktionen tritt sie virtuell als Bürger namens Chiron auf

Voice – vor geraumer Zeit gemeinsam mit dem Hintersten auf der Ringwelt ins Exil gegangene KI

BÜRGER/PUPPENSPIELER(auf Hearth ansässig, sofern nicht anders vermerkt)

Achilles – Planetar-Hinterster (*)auf Naturschutzwelt Eins; Mitglied der Experimentalistenpartei; ehemaliger Hinterster (*); ehemaliger Wissenschaftsminister; von der Ausbildung her Physiker und vormals als solcher tätig gewesen

Baedeker – ehemaliger Hinterster (*); ehemaliger Wissenschaftsminister; von der Ausbildung her Ingenieur und vormals als solcher tätig gewesen; Mitglied der Experimentalistenpartei; im interstellaren Exil

Chiron – langjähriger Wissenschaftsminister und Planetar-Hinterster (*) auf Naturschutzwelt Fünf; tatsächlich eine heimlich von Proteus erzeugte Netzwerk-Persona, der er Leben einhaucht; Ol’t’ros Tarn-Präsenz innerhalb der Bürger-Regierung

Hinterster – abgesetzter Hinterster (*); Mitglied der Experimentalistenpartei; Hinterster (*) der zweiten Ringwelt-Expedition; erst kürzlich von der Ringwelt entkommen

Horatius – seit der ersten Ringwelt-Expedition Hinterster (*) von Ol’t’ros Gnaden und dessen Marionette; Vorsitzender der Konservativen Partei

Minerva – Expeditionsleiter auf Bürgerseite in der gemeinsamen Gw’oth/Bürger-Expedition, bei der im Rahmen einer verdeckten Operation die Ringwelt beobachtet wird; einer der stellvertretenden Leiter des Geheimen Direktorats

Nessus – vormals Leitender Agent/Kundschafter des Geheimen Direktorats; Hinterster (*) der ersten Ringwelt-Expedition; im Exil auf New Terra

Nike – ehemaliger Direktor des Geheimen Direktorats; ehemaliger Hinterster (*); Mitglied der Experimentalistenpartei

Vesta – über einen langen Zeitraum hinweg Achilles’ Stellvertreter; Mitglied der Experimentalistenpartei

Zeittafel der Schlüsselereignisse

2645 – Flucht der Puppenspieler und ihrer Weltenflotte vor der Explosion des galaktischen Zentrums

2650–51 – Rebellion der menschlichen Sklaven auf Naturschutzwelt Vier der Weltenflotte; New Terra (vormals NSW4) erkämpft sich die Unabhängigkeit

2659 – Bemühungen der Puppenspieler scheitern, ihre hoheitsrechtlichen Ansprüche auf New Terra wiederherzustellen

2675 – Pak-Krieg

2780–81 – Gw’oth-Krieg

2783 – Ausscheren New Terras unter isolationistischer Regierung aus dem Verband der Weltenflotte

2850–52 – Entdeckung der Ringwelt; erste Expedition mit Ziel Ringwelt

2878–93 – zweite Expedition zur Ringwelt; die Expeditionsteilnehmer stranden

?–2893 – Krieg unter einer Reihe von weltraumfahrenden Spezies zur Sicherung ihrer Vormachtstellung auf der Ringwelt

(Alle Angaben folgen dem Erdkalender und spiegeln das auf der Erde gültige chronologische Bezugssystem wider. Während des genannten Zeitraums waren New Terra und die Weltenflotte, relativ zur Erde gesehen, schnell genug im Raum unterwegs, um eine erhebliche relativistische Zeitdilatation zu erleben.)

AUFTAKTERDJAHR 2893

Durch die unermessliche Leere des Alls reist unbeirrbar eine wunderschöne Welt, ganz für sich allein. Künstliche Sonnen, die sie, wie auf Perlenschnüre aufgezogen, von Pol zu Pol umkreisen, wärmen sie. Daher ist das Klima auf dieser einsamen Welt überall und stets angenehm und gemäßigt. Im Licht ihrer vielen Sonnen glitzern Ozeane, Wolkendecken erglühen in warmen Farben. Fruchtbare Felder und üppige Wälder überspannen ganze Kontinente. Hier und dort eingestreut finden sich stolze, florierende Städte.

Die Menschen, die dieses Paradies bewohnen, nennen es New Terra. Nur noch aus Geschichten wissen sie von den Tagen, in denen ihre Heimat als ›Naturschutzwelt Vier‹ bekannt war. Damals war ihre Welt eine unter vielen Farmwelten in der Weltenflotte, und ihre nicht-menschlichen Herren geboten über ihr Leben. ›Bürger‹ nannten sich diese Gebieter und obendrein ›Retter‹.

Aber Jung und Alt auf New Terra kennen die hart erkämpfte Wahrheit: Ihre ehemaligen Gebieter hatten nicht etwa ein aufgegebenes Schiff geborgen, sondern den Ramjet der von der Erde stammenden Vorfahren angegriffen.

Mit Hilfe der Embryonen-Bank des havarierten Schiffes züchteten sie sich ein ganzes Volk williger Sklaven.

Unabhängigkeit zu erringen war kein Leichtes gewesen. Aber jetzt folgt New Terra einem eigenen Kurs durchs All.

Doch was ist mit Old Terra, mit der Erde? Niemand auf New Terra vermag zu bestimmen, wo die Heimatwelt der Vorfahren liegt.

Auf der endlos scheinenden Reise durch die lichtlose Schwärze des Alls geben New Terra nicht nur künstliche Sonnen das Geleit. Myriaden winziger Raumschiffe, über mehrere Lichtjahre versprengt, halten gemeinsam mit ihr Kurs. Endlos tasten die Sensoren der Frühwarnsysteme von New Terra das All in sämtliche Richtungen ab, sondieren ohne Unterlass mit jeder nur bekannten Methode der Langstreckenüberwachung die umliegenden Raumquadranten.

In der rund um die Uhr besetzten planetaren Abwehrzentrale versucht sich das Personal vorzustellen, wogegen, wenn nicht gegen Langeweile, es wohl noch zu kämpfen gelte. New Terra befindet sich Lichtjahre vom nächsten Stern entfernt. An Bord ihrer Weltenflotte sind die rücksichtslos feigen Bürger weit zurückgefallen, die hier in zunehmendem Maße nur noch unter der – sehr treffenden – Bezeichnung ›Puppenspieler‹ firmieren. Außer mit den leistungsstärksten Teleskopen sind sie mit keinerlei Instrumenten mehr auszumachen.

Da, schlagartig, erwachen die Kontrollen jedes planetaren Frühwarnsystems zu hektischem Leben und geben lautstark Alarm.

Ebenso schlagartig ist das diensttuende Wachpersonal in der Abwehrzentrale hellwach und starrt Displays und Konsolen an.

Starrt und sieht das schlichtweg Unmögliche.

RAUMZEIT-STÖRUNGENERDJAHR 2893

KAPITEL 1

»Ich habe einen Eindringling zu melden, Sir«, verkündete Jeeves und setzte damit der Stille ein Ende, die bisher geherrscht hatte.

Sigmund Ausfaller seufzte. Die reiferen Jahre hatten ihn beileibe nicht abgeklärter oder entspannter werden lassen. Weitaus mehr traf zu, dass ihn das Alter ausgelaugt und einfach erschöpft hatte. Das Universum hatte es auf ihn abgesehen. Na und? Es war – ja, was? Jahre? – her, seit er genügend Energie aufgebracht hatte, darauf auch nur einen einzigen Gedanken zu verschwenden. Möglicherweise war es bereits Jahre her, dass er sich Gedanken darüber gemacht hatte, darauf keine Gedanken mehr verschwendet zu haben.

»Sir?«

Sigmund hob die Hand, schirmte die Augen ab und spähte hinaus in die Weite der Wüste. Tief am Horizont hing die letzte Kette wie aufgefädelt wirkender Sonnen über dem Land. Hier und da standen in der Kargheit der Wüste vereinzelte Kakteen, die nun lange Schatten warfen. Hoch droben am Himmel zog ein einsamer Vogel seine Bahn. Jenseits von Sigmunds Steinterrasse hatte die Zivilisation in dieser Landschaft kaum ein sichtbares Zeichen hinterlassen.

Ein Gruppe schlanker Kakteen erinnerte ihn an Säulen einer ganz anderen Art. Lang war es her. In Zeit und Ort in weiter Entfernung. Säulen, auf denen eine Maschine ruhte, die Welten zu zerschmettern vermochte. Und sie hatten, er mit dieser Maschine, tatsächlich eine Welt zerschmettert, auch wenn er damals, als das Werk der Zerstörung begann, tot gewesen war. Das war ihm viel zu oft passiert: tot gewesen zu sein. Eine Gefahr für ganze Welten zu sein: auch das. Aber …

»Sie sollten sich jetzt zurückziehen, Sir, damit Sie in Sicherheit sind«, forderte ihn Jeeves auf.

Wieder seufzte Sigmund; dieses Mal galt das Seufzen ihm selbst. Alt zu sein sorgte dafür, dass man allzu leicht in Gedanken abschweifte. Allein zu sein tat ein Übriges. Nicht, dass er wirklich allein gewesen wäre, schließlich war Jeeves ständig um ihn herum. Dennoch: alt zu sein und allein …

»Sir!«, verlangte Jeeves beharrlich Aufmerksamkeit.

Sigmund mühte sich aus dem engmaschigen Netz seiner Hängematte und auf die Füße. »Beschreib mir den Eindringling.«

»Ein Antigrav-Flügler. Er kommt von Osten herein, knapp innerhalb des Tempolimits für Tiefflug-Annäherung.«

»Sichtkontakt?«

»Noch zu weit entfernt. Aber der Flügler zeichnet auf dem Radar, Sir.«

»Wie viel Zeit bleibt noch, bis er hier ist?«

»Zehn Minuten, Sir, sofern das Luftfahrzeug seine bisherige Geschwindigkeit beibehält.«

Sigmund blickte auf den dunklen Ring, der in einer Ecke seiner Terrasse eingelassen war. Dieser Ring markierte den Umfang einer Stepperscheiben-Unterseite. Abgesehen davon, dass die Trittplatte und damit die aktive Seite der Scheibe nicht zugänglich war – was der Stepperscheibe selbstredend ihrer Funktion als Transportmittel beraubte –, unterschied sich diese Scheibe nicht von den Millionen anderer auf dieser Welt. Drehte man sie um, die helle Seite nach oben, reichte ein einziger Schritt, und Sigmund könnte sich mit Lichtgeschwindigkeit zu fast jeder anderen Scheibe seiner Wahl auf diesem Planeten teleportieren lassen.

Die Stepperscheibe umzudrehen aber hatte einen beachtlichen Haken: Jeder mit den nötigen Kenntnissen oder obrigkeitsrechtlichen Befugnissen könnte Sigmunds individuelle Steuerungseinstellungen umgehen oder außer Kraft setzen. Damit könnten sich alle, auf die dies zutraf, hierher zu ihm teleportieren.

Sigmund aber schätzte Privatsphäre. Aus diesem Grund blieb seine Stepperscheibe so, wie sie war: umgedreht.

Und ehrlich gesagt: Seine Scheibe war nicht genau wie die Millionen anderen auf dieser Welt. Der Mikrofusionsreaktor dieser Scheibe nämlich würde sich Sekunden, nachdem er sie betreten hätte und teleportiert worden wäre, überladen und dabei die Adressverwaltung mit der Stepperscheibenkennung seines Zielorts vernichten.

Sigmund schätzte Privatsphäre wirklich sehr.

»Sir?«

Sigmund dachte laut nach. »Der Flügler hat sich nicht getarnt. Er nähert sich von Osten, deshalb ist er leicht auszumachen. Das wäre anders, wenn er uns aus den untergehenden Sonnen heraus anfliegen würde. Wer immer in diesem Flügler sitzt, will uns wissen lassen, dass er kommt.« Sigmund wies auf sein bescheidenes Heim. Drinnen auf dem Schreibtisch aus Eichenholz, den er selbst getischlert hatte, lag sein Taschencomp. Ausgeschaltet. »Es ist ja nun nicht so, dass man sich anmelden könnte, wenn man zu Besuch kommen möchte.«

»Sehr wohl, Sir«, antwortete Jeeves in dem überkorrekten Tonfall, den anzuschlagen er für einen Leibdiener als angemessen erachtete. Mit diesem Ton deutete er an, in einer seltsamen Mischung aus Billigung und mildem Tadel zur Kenntnis genommen zu haben, was sein Gebieter entschieden hatte.

Jeeves war eine echte Antiquität, mehr noch als Sigmund selbst. Die eigentümliche Manieriertheit eines Butlers waren einst nur ein paar wenige Zeilen im Quellcode der KI gewesen – detailverliebte Besessenheit oder Jux und Tollerei eines Programmierers oder einer Programmiererin. Über die Jahrhunderte hinweg hatte diese Nebensächlichkeit allerdings die Persona der KI in all ihren Facetten durchdrungen – in etwa so, wie Sigmunds Paranoia sein gesamtes Denken und Handeln durchdrang.

Niemand programmiert an einem Freund herum, um ihn zu ändern, selbst wenn man dazu in der Lage wäre.

Mit einem Grunzen ließ sich Sigmund wieder in die Hängematte fallen. »Dann wollen wir doch mal sehen, was unser Besuch von uns will.«

Eben noch war der Flügler nicht auszumachen gewesen, dann urplötzlich ein verschwommener Fleck, den dröhnend Motorengeräusch begleitete, und im nächsten Augenblick, die Sache eines Lidschlags, war er da. Sigmund beobachtete, wie das Gefährt blitzartig vom Himmel herunterstieß und zur Landung auf dem windgepeitschten Sand ansetzte. Von seiner Befestigung am hinteren Ende aus wurde das Kabinendach hochgeklappt. Eine Frau in der schmucken blauen Uniform der Verteidigungskräfte New Terras stieg aus der Pilotenkanzel.

»Guten Abend, Herr Minister«, rief Sigmunds Enkeltochter.

Herr Minister. Ein offizieller Besuch also. Als ob ihm das nicht schon die Uniform verraten hätte.

»Es ist heiß«, erwiderte Sigmund. »Kommen Sie doch zu mir herüber in den Schatten, Captain.«

»Vielen Dank, Sir.« Julia sah sich aufmerksam um, ehe sie sich zu ihrem Großvater unter das Sonnensegel gesellte, das die halbe Terrasse beschattete. Sigmunds Enkelin war groß und schlank, eine wunderschöne Frau mit blassblauen Augen und schulterlangem aschblondem Haar.

»Setzen Sie sich, Captain. Darf ich Ihnen etwas zu trinken anbieten?«

»Nein danke, Sir.« Sigmunds Besuch blieb stehen, die Dienstmütze unter den Arm geklemmt, und machte den Eindruck, als sei ihr unbehaglich zumute.

Ihr Namensschild verkündete: Byerley-Mancini. Das Licht der Sonnen, das sich darauf fing, ließ ein schimmerndes Hologramm zum Leben erwachen. Es war derart detailliert, dass es nachzuahmen jenseits der Fähigkeiten jeder gewöhnlichen Photonik lag. Gleiches galt für die Rangabzeichen. Auf dieser Welt kleidete man sich in Stoffe aus programmierbarem Nanogewebe: Nach Lust und Laune konnte man Farbe, Textur und Muster aller Kleidungsstücke ändern. Abzeichen und Dienstausweise der planetaren Sicherheitskräfte mussten da natürlich … spezieller als speziell sein. Und, zumindest in der Theorie, schwer zu fälschen.

Sigmunds Vermächtnis für diese Welt blieb in Form von Kindern und Kindeskindern ebenso erhalten wie in Uniformen. Und noch etwas zählte zu seinen Hinterlassenschaften: New Terra war immer noch unabhängig, eine freie, ungeteilte, unversehrte Welt. Wäre es nach dem Willen anderer gegangen …

»Mit Ihrer Erlaubnis, Sir«, drängte ihn Julia sanft, den Gesprächsfaden aufzunehmen, als ob Jeeves ihr Vorbild und Inspiration wäre.

»Nur zu«, forderte Sigmund sie zum Sprechen auf. »Also, was führt Sie her, Captain?«

»Ein astrophysikalisches Phänomen, Sir. Eine Anomalie.«

Sigmund zuckte zusammen. Zweimal in seinem Leben war er schiffbrüchig geworden, völlig allein in den Tiefen des Alls gestrandet. Dreimal war er ums Leben gekommen: ermordet, jedes Sterben grausiger als das zuvor. Ein kurzer Blick auf ein astrophysikalisches Phänomen war seinem letzten Tod wie ein böses Omen unmittelbar vorausgegangen, und nach seiner Wiederauferstehung hatte er sich gestrandet im interstellaren Raum wiedergefunden. Grausiges im Doppelpack mit dieser Vorankündigung.

Turbulenzen im kaum wahrnehmbaren interstellaren Medium. Ein leichter Anstieg der Konzentration von interstellarem Helium. Das war die ganze Warnung gewesen. Nur durch diese Kleinigkeiten hatte die Pak-Armada – Welle um Welle von Ramjets mit elektromagnetischem Schaufelantrieb auf Invasionskurs – ihre Ankunft verraten.

Die Pak waren Fremdenhasser, die nicht nur ganze Völker, sondern ganze Spezies auslöschten; sie waren hochvirulente Pesterreger – der Tod aller Lebensformen, die mit ihnen in Berührung kamen. Als geschlechtslose, unfruchtbare Protektoren – eine Lebensphase, die dem Erwachsenenalter folgte, in dem man sich paarte und fortpflanzte – waren die Pak außergewöhnlich intelligent, um nicht zu sagen in geradezu abnormem Maße brillant. Protektoren waren reflexhaft aggressiv und kannten bei der Verteidigung der eigenen Blutlinie nichts als sich und ihre Nachkommenschaft. Von den Wurzeln des Lebensbaums zu essen, leitete die Verwandlung erwachsener Pak – von den Protektoren herablassend ›Brüter‹ genannt – zu Protektoren ein.

Die Menschheit, so hatte sich herausgestellt, stammte von Pak ab, die vor Millionen von Erdjahren mit ihrem Kolonisierungsversuch des Planeten gescheitert waren. Denn auf der Erde fehlten entscheidende Spurenelemente, um den Lebensbaum heimisch werden zu lassen. Vom Standpunkt der Pak aus waren die Menschen nicht entfernte Verwandte, sondern Mutanten, die es auszulöschen galt.

Sigmund schauderte. Dabei war er sich der Tatsache vollkommen bewusst, dass sich das Universum nicht die Bohne für seine Erinnerungen oder Phobien interessierte.

Julia gab ihr Bestes, ihre Gefühle zu verbergen. Aber unter der stoischen, professionellen Fassade lauerte unverkennbar Anspannung. Aber möglicherweise bemerkte das nur jemand, der sie gut kannte.

Sigmund sagte: »Ich bin kein Astrophysiker.« Raus mit der Sprache, Julia, erzähl mir, was dir solche Sorgen macht.

»Verstanden, Sir.« Julia zögerte. »Hört Jeeves uns zu?«

»Jawohl, Sir«, ließ die KI sich vernehmen.

»Es geht hier um die planetare Sicherheit, Herr Minister«, sagte Julia.

»Jeeves und ich sind beide Fossilien, älter als alt. Unsere Sicherheitsfreigaben sind längst Geschichte, ebenso wie mein Titel.« Hier und jetzt tat es nichts zur Sache, dass Sigmund, was diesen Planeten anging, Unbedenklichkeitsprüfungen und Sicherheitsfreigaben erst erfunden hatte. Dass er von seinem Posten im Verteidigungsministerium aus erst Militär und Geheimdienste aus dem Nichts aufgebaut hatte. Es tat auch nichts zur Sache, dass Julia nicht die leiseste Ahnung hatte, was ein Fossil war. Leben über Einzeller hinaus war planetargeschichtlich gerade eben erst nach New Terra importiert worden; zur Bildung von Fossilien waren ganz andere Zeiträume nötig. »Du bist hergekommen, um mir zu berichten, um welche Art von Anomalie es sich handelt. Dann tu das bitte auch.«

»Stimmt.« Julia holte tief Luft. »Etwas eigentlich Unmögliches ist passiert. Du bist vertraut mit der Tatsache, dass Schiffe beim Eintauchen und Austreten aus dem Hyperraum Störungen im Raumzeit-Gefüge verursachen? Sie schieben diese Störungen wie Wellen vor sich her oder lassen sie hinter sich – vergleichbar einem Schiff, das Wasser durchpflügt: Bugwellen, Kielwasser.«

Nett anschaulich erklärt. Sigmund nickte.

»Gestern haben die planetaren Verteidigungssysteme eine … große Welle aufgefangen.«

»Wie groß?«, fragte Sigmund.

»Das ist es ja gerade. So groß kann keine Welle sein.«

Also haben deine Vorgesetzten dich zu mir geschickt, um herauszufinden, mit welcher abwegigen Erklärung mein ebenso hinterhältiges wie verrücktes Gehirn aufwarten kann. »Wie groß war die Störung denn nun?«, beharrte Sigmund zu erfahren. »Nach wie vielen Schiffen sah sie aus?«

»Die Welle wurde von jedem Sensor aller unserer Verteidigungssysteme erfasst. Auf höchstem Auslastungsniveau.«

Die planetaren Abwehrsysteme umgürteten ganz New Terra. Jede Verteidigungsphalanx – zumindest war das so während Sigmunds Dienstzeit im Verteidigungsministerium gewesen – war in großer Entfernung zur nächsten positioniert und gemeinsam deckten sie, einander überlappend, konzentrisch ihre jeweiligen Wirkungskreise ab. Um alle Sensoren auf einmal zu überlasten, hätte es einer unglaublich großen Menge von Schiffen bedurft, die kurz vor einer Kollision mit New Terra stehen müssten.

Sigmund verdrängte die ihn sofort anspringenden Erinnerungen an die Pak-Krieg-Flotten. Das war nicht der rechte Zeitpunkt, um sich in Vergangenem zu verlieren.

Nachdem in derart kurzer Distanz Schiffe entdeckt worden waren, sah der Alarmstufenplan der Planetarverteidigung als nächsten Schritt eine umfassende Hyperwellen-Radarabtastung vor. Sigmund fragte: »Und das Radar hat was angezeigt?«

»Nichts«, antwortete Julia. »Auch das hat dazu geführt, das Phänomen als seltsam einzustufen.«

Weil niemand je eine Möglichkeit gefunden hatte, das Wechselspiel zwischen Hyperwellen und normaler Materie zu tarnen oder auf andere Weise zu verbergen. Was allerdings nicht bedeuten musste, dass nie jemand einen Weg fände, das doch zu tun. »Ich nehme an, die Verteidigungskräfte haben Schiffe entsandt, und nichts wurde gefunden?«

»Genau, Sir.«

Sehr mysteriös. »Nur eine einzige Raumzeit-Störung?«, fragte Sigmund nach.

»Ja, Sir. Was immer aus dem Hyperraum ausgetreten ist, es ist nicht dorthin zurückgekehrt. Entweder das, oder diese Schiffe haben eine große Entfernung im Normalraum zurückgelegt und waren dabei die ganze Zeit über gegen jede Sensorerfassung unsererseits geschützt. Auf diese Weise müssten sie schon fast in uns reingeflogen sein, ehe sie sich durch den Hyperraum davongemacht haben. Beides würde erklären, warum es nur eine einzige Störung gegeben hat.«

»Eine riesige Flotte schleicht sich an uns an, schreit ihre Ankunft lauthals heraus und setzt dann einfach ihren Weg wohin auch immer fort? Das halte ich für absolut unwahrscheinlich.«

»Unsere Analysten sind zu demselben Schluss gekommen.« Wieder zögerte Julia einen Moment. »Man braucht dich im Ministerium, um herauszufinden, was los ist.«

Nach dem Sturz der alten hatte die neue Regierung lose und rein zufällig miteinander Verknüpftes mit ursächlichen Zusammenhängen verwechselt. Daher war man in selten einstimmiger geistiger Umnachtung zu folgendem Schluss gekommen: Die Notlagen, aus denen Sigmund New Terra ein ums andere Mal gerettet hatte, habe er erst durch seine interstellare Praxis der Einmischung heraufbeschworen. Die neue politische Machtspitze hatte keinen Zweifel daran gelassen, wie wenig willkommen Sigmund jetzt noch auf der (mehr oder weniger) öffentlichen Bühne war. Und jetzt, plötzlich, wollte man seine Hilfe?

Namen- und gesichtslos hatte man ihn den größten Teil seines Lebens verfolgt und nicht in Ruhe gelassen. Dieses Mal jedoch war ganz klar, wer sich hinter diesem man verbarg und ihn hier und jetzt zu manipulieren gedachte: der derzeitige Verteidigungsminister.

Es gibt also einen Grund, warum die Verteidigungskräfte ausgerechnet Sie, Captain Julia Byerley-Mancini, hierher zu mir geschickt haben. Der Minister glaubt, bei dir fiele es mir schwer, nein zu sagen, dir könnte ich nichts abschlagen. Und wahrscheinlich hat er recht damit.

Viele aus Sigmunds Familie hatten sich für eine Laufbahn bei den Verteidigungskräften New Terras entschieden. Julia war unter diesen Familienmitgliedern weder die Jüngste noch die Älteste, weder die Ranghöchste noch die Rangniedrigste, weder jemand, der besonders viel, noch jemand, der bemerkenswert wenig erreicht hatte. Dennoch war sie etwas Besonderes. Darauf angesprochen, würde Sigmund es sofort abstreiten. Aber von all seinen Enkelkindern war Julia ihm das liebste – weil sie ihrer Großmutter wie aus dem Gesicht geschnitten war.

Tanj, wie sehr er Penelope vermisste! Jeder der drei Tode, die er gestorben war, verblasste allmählich in der Erinnerung. Penelopes Tod nicht. Er hatte sich ihm eingeprägt. Von diesem Tod kam er nicht los. Sigmund war ihr begegnet, gleich nachdem er auf diese seltsame, wundersame Welt gekommen war – erwacht aus seinem zweiten Tod …

»Grandpa?«, sprach Julia ihn zaghaft an. »Im Ministerium brauchen wir, nun … kreatives Denken.«

»Ideen dazu, was die Sensoren getäuscht haben könnte, und auf welche Weise«, warf Jeeves ein.

»Dass die Sensoren einer Täuschung aufgesessen sind, ist jedenfalls die momentane Theorie«, räumte Julia ein. »Dass etwas oder jemand die Sensoren ausgetrickst hat, um genau zu sein. Nur haben unsere Experten bisher keine Hinweise auf Soft- oder Hardware-Manipulationen finden können.«

Etwas regte sich in Sigmunds Hinterkopf. Es war noch nicht die altbekannte, lang vertraute Paranoia, aber doch mehr als nur die Skepsis des Alters. Einen Sicherheitsverstoß konnte und durfte man nie ausschließen. Jedes System wies Lücken auf. Aber Sigmund bezweifelte, dass eine einfache Manipulation die auffällig große Störungswelle zu erklären vermochte. Jeder, der das planetare Verteidigungssystem zu täuschen in der Lage wäre, würde aus diesem seinen Können so lange ein Geheimnis machen, bis es zum Angriff auf New Terra käme.

Eine Manipulation, die sich leicht aufdecken und durchschauen ließe, kam also nicht infrage. Die Sicherheit des Planeten stand auf dem Spiel. »Zeig mir die entsprechenden Daten.«

»Tut mir leid, Sir. Diese Informationen sind nur im Ministerium selbst zugänglich. Der Zugang dazu unterliegt strengsten Beschränkungen.«

Den durchzusetzen die sogenannten Experten immer noch gewährleisten zu können glaubten – trotz des Sicherheitslecks. Dummköpfe.

Sigmund starrte hinaus in die Wüste. Alle Sonnen waren untergegangen, und ein paar helle Sterne setzten sich hoch droben am Himmel in Szene. Ein diesig-tintenschwarzes Band am westlichen Horizont war dezente Andeutung auf die dortige Bergkette. »Dann bring mich ins Ministerium.« Sigmund machte Anstalten, zu Julias Flügler hinüberzugehen.

»Nicht mit dem Flügler, Grandpa.« Als er sich zu ihr umwandte, sah er sie auf die umgedrehte Stepperscheibe in seiner Terrasse zeigen. »Man braucht dich jetzt gleich.«

Beim Umdrehen der Scheibe stellte Sigmund die Selbstzerstörungssequenz aus. Er tat es natürlich unauffällig und verstohlen, aber Jeeves bekam es über die hauseigenen Sicherheitskameras gewiss trotzdem mit. Keine Sorge, alter Freund, du musst dich nicht an einen anderen Ort transferieren.

Mit einer Geste bedeutete Sigmund seiner Enkeltochter, er lasse ihr den Vortritt. Augenblicke nach ihr schnellte er quer durch eine ganze Welt ins Hauptquartier der Verteidigungskräfte New Terras, genauer: in dessen abgesicherte Lobby. Nur ein Gedanke beschäftigte ihn während seiner streckentechnisch weiten, zeitlich aber kurzen Reise: Welchen Albtraum kündigte dieses jüngste astronomische Phänomen wohl an?

KAPITEL 2

Im Sicherheitsbereich der Lobby, wo Stepperscheiben eine Ankunft möglich machten, nahm ein übergewichtiger Oberst mit gerötetem Gesicht Sigmund und Julia in Empfang. Offenkundig lautete die Aufgabe des Begrüßungskomitees, den Weg der beiden Besucher durch die Sicherheitschecks zu beschleunigen. Mit einer Eskorte aus einem halben Dutzend bewaffneter Gardisten drangen sie tiefer und tiefer in das Gebäude ein, brachten einen internen Kontrollpunkt nach dem anderen hinter sich.

Warum sollten Machthaber, die selbst einmal eine Regierung gestürzt hatten, noch naiv glauben, sie selbst könnten nicht Ziel eines Umsturzes werden?

Die Vorgänger-Regierung war förmlich über Nacht aus Amt und Würden gefegt worden. Grundlage dafür war ein sich selbsttätig in Gang setzender Meinungsbildungsprozess gewesen, den Sigmund nie verstanden hatte und nie hatte akzeptieren können. Die geborenen New Terrans aber hielten den Umsturz – warum und wie auch immer – für vollkommen zulässig und angemessen. Die ganze Machtübernahme hatte mehr Puppenspieler-Qualitäten, als die Rebellen selbst bemerken wollten. Dass die neue Technokratie sich einen höchst menschlichen Anstrich gab, änderte daran nicht viel.

In seinem Amtseid hatte Sigmund geschworen, die gewählte Regierung zu schützen. Aber als Demonstrationen den ganzen Planeten überzogen, hatte er seinen Truppen befohlen, die Waffen niederzulegen. Solange er im Amt wäre und Verantwortung trüge, würden Bürger New Terras nicht mit Gewalt gegen Mitbürger vorgehen.

Vielleicht hatte er Gewalt als Lösung unter anderem auch deshalb abgelehnt, weil sich in diesem Falle ein gewisser Eigennutz hätte unterstellen lassen. Letztendlich war er am Sturz der alten Regierung nicht ganz unschuldig. Um sich von allen ›Verstrickungen‹ mit Fremdweltlern zu befreien, um sich vor der ganzen Galaxis verstecken zu können, musste das Volk erst einmal ihn loswerden: Sigmund Ausfaller, auf der Erde geboren. Und so war dem Gw’oth-Krieg die Revolution auf dem Fuße gefolgt.

Plötzlich zählte nicht mehr, dass er New Terras Neutralität in diesem Krieg hatte bewahren können. Dass er seinen Wahlheimatplaneten wieder einmal unbeschadet durch eine interstellare Krise geführt hatte …

Halt dich nicht ewig mit der Vergangenheit auf, riet Sigmund sich selbst. Dabei übersah er, dass er längst die meiste Zeit genau damit beschäftigt war. Er war zu alt, um etwas anderes zu tun, als in der Vergangenheit zu leben.

Und für alt, uralt, antik sogar, würde jeder hier ihn halten. Ein Überbleibsel einer längst vergangenen Ära. Der Sonderling von einer anderen Welt. Warum nur sollten sie ausgerechnet ihm Beachtung schenken und seinen Rat beherzigen?

Astronomisches Phänomen, erinnerte er sich selbst, und es schauderte ihn. Finde heraus, was es ist, und dann sorg dafür, dass sie dir zuhören.

»Alles in Ordnung, Grandpa?«, flüsterte Julia.

»Klar doch«, log er.

In der Lobby gingen sie an einem Puppenspieler vorbei: zwei Köpfe, drei Beine, eine dichte, flauschige Mähne zwischen den beiden schlangengleichen Hälsen, lang und biegsam – praktischerweise, denn die Hälse waren zugleich auch die Arme dieser Kreaturen. Die Mähne war sehr kunstvoll frisiert. Wie üblich unter Puppenspielern. Das Exemplar in der Lobby trug eine schmale Schärpe, an der eine ganze Reihe Taschen baumelten, dazu ein Anklips-Comp. Es fanden sich allerdings keinerlei Rangabzeichen, was zumindest verriet, dass der Puppenspieler Zivilist war.

Aber selbstredend war er Zivilist! Beim ersten Anzeichen von Gefahr nahmen Puppenspieler nämlich ihre drei Beine in Mund/die Hand und verdrückten sich. Daher waren eine Billion Puppenspieler an Bord der Weltenflotte dabei, vor einem astronomischen Phänomen zu fliehen, das diese Ecke der Galaxis in den nächsten zwanzigtausend Jahren nicht tangieren würde. Nur wenn die Lage absolut hoffnungslos war und weder Flucht noch Kapitulation möglich waren, erwogen Puppenspieler andere Maßnahmen zur Selbstverteidigung. Mit einer Ausnahme: Wenn sie der festen Überzeugung waren, dem Gegner absolut überlegen zu sein, und dass ihre Einmischung nicht zu ihnen zurückzuverfolgen sei, dann waren selbst sie anzugreifen bereit. Das hatte der Vorfall mit der Long Pass zweifelsfrei erwiesen.

Feigheit schloss Rücksichtslosigkeit nun einmal nicht aus.

Ein paar wenige Puppenspieler – Ausgestoßene und Sonderlinge allesamt – hatten auch nach der Unabhängigkeit des Planeten darum gebeten, auf New Terra bleiben zu dürfen. Noch mehr Puppenspieler hatte es als Flüchtlinge des Gw’oth-Kriegs hierher verschlagen; manche davon waren ebenfalls geblieben. Die meisten hatten sich auf einem Kontinent niedergelassen, der den vielversprechenden Namen ›Elysium‹ trug. Hier war die natürliche Landschaft als Erstes zum Naturschutzgebiet für Hearth und dessen Lebensformen umgestaltet worden. Mitten unter Menschen lebten und arbeiteten nur ganz wenige Puppenspieler.

Dieser hier war per Comp in ein Gespräch vertieft, und zwar aus vollen Kehlen. Es war ein dissonanter Zusammenklang von Tönen, erzeugt mittels sechs Stimmbändern. Mit einer schrillen Tonfolge am Ende unterstrich er offenkundig seinen Standpunkt. Darauf antwortete sein Puppenspieler-Gesprächspartner am anderen Ende ebenso atonal: Die Stimmen aus dem angeklipsten Taschencomp grölten und grollten.

Ohne die Unterstützung eines Kammerorchesters konnten Menschen die Puppenspieler-Sprache nicht wiedergeben. Zum Glück beherrschten Puppenspieler jedoch menschliche Sprachen ohne Schwierigkeiten.

Als sich Sigmund nebst Gefolge einer Kreuzung von mehreren breiten Korridoren näherte, kamen ihm aus dem gegenüberliegenden Gang sechs Personen entgegen. Unter den sechs Neuankömmlingen war eine blasse, weißhaarige Frau. Obwohl sie sich sehr gebückt hielt, war sie so groß, dass sie alle Gardisten überragte. In der Kreuzungsmitte trafen die beiden Gruppen aufeinander.

»Hallo, Alice«, begrüßte Sigmund die große Frau. Sie hier zu treffen überraschte ihn nicht. Was immer die Behörden dazu bewogen hatte, ihn, den in Ungnade gefallenen Minister a. D., aus der Versenkung zu holen, wäre auch Grund genug, Alice herbeizuzitieren. Seit mehr als einem Jahrhundert hatte Sigmund kein Wort mehr mit ihr gewechselt; der Kontakt zwischen ihnen war abgebrochen. Sie derart gealtert zu sehen war ein Schock für ihn.

Alice blieb kühl und distanziert; sie schwieg.

Vor einem gut bewachten Eingang machten sie Halt. Dahinter befand sich das Lagezentrum. Sigmund kannte sich hier gut aus, zu gut eigentlich. Viele Tage und Nächte hatte er hier zugebracht. Alice als seine Stellvertreterin auch. Überflüssigerweise deutete einer der Gardisten auf die Schließfachanlage rechts neben der Tür. Abschirmvorrichtungen in den Wänden, dem Boden und der Decke verhinderten jegliche nicht autorisierte Datenübermittlung. Aber die Sicherheitsbestimmungen sahen ebenfalls vor, dass niemand im Lagezentrum selbst unerlaubt Aufzeichnungen machte. Nachdem Sigmund, Alice und Julia ihre Taschencomps in Schließfächern deponiert hatten und mit Handabdrücken die biometrischen Tastfelder aktivierten, öffnete eine der Wachen die Tür für sie und winkte sie durch.

Donald Norquist-Ng, Minister der Verteidigungskräfte New Terras, beherrschte den großen, ovalen Konferenztisch von dessen Kopfende aus. Norquist-Ng war klein und hager, ein mürrischer Mann mit Augenbrauen wie wollige gelbe Raupen. Er saß stocksteif da, erhob sich bei ihrem Eintreten aber gerade, um auf ein taktisches Display zu zeigen. Er bewegte sich steif und schwerfällig. Der Mann war noch nicht einmal hundert Jahre alt. Sein steifes Gehabe war nichts als Effekthascherei: Möchtegern-Gemessenheit und ebensolche Würde, bemüht, den Ansprüchen seines Amtes zu genügen.

Die einzige Reaktion seinerseits auf ihr Eintreten bestand in einem kurzen Blick zu ihnen herüber – und dieser Blick ging über sie hinweg, als sage ihm keines ihrer Gesichter etwas. Die Sitzung wurde fortgesetzt, ohne dass es eine Pause gab, um die Neuankömmlinge vorzustellen. Sigmund war sich nicht sicher, aber er glaubte, ein paar der hier an diesem Tisch versammelten Personen aus dem 3D-TV zu kennen.

Aktuelles politisches Tagesgeschäft interessierte Sigmund nicht. Aber das Wenige, das er über den derzeitigen Minister wusste, ließ einen Gernegroß vermuten, einen Napoleon im Taschenformat. Nicht, dass irgendjemand auf diesem ganzen Planeten namens New Terra je etwas von Napoleon auch nur gehört hatte. Die Puppenspieler hatten ihren Sklaven nicht zugestanden, auch nur das Geringste über die Menschheit zu wissen. Nichts über ihre Vorfahren, ihren Ursprung, nichts über menschliche Kultur. Selbst die Sprache, die sie sprachen – mitsamt unregelmäßigen Verben, unlogischen Sprichwörtern und all dem anderen –, war von ihren selbstverständlich selbstlosen Gebietern konzipiert worden. Das jedenfalls hatte man den Sklaven immer wieder gepredigt.

Am Tisch gab es keine leeren Stühle. Julia suchte ihnen Sitzgelegenheiten entlang der Wand. Dort saßen sie zusammen mit Beratern, Assistenten, Adjutanten und sonstigen Lakaien, während die Diskussion am Tisch fortgesetzt wurde.

Die momentane Krise war nicht die erste, mit der Sigmund es in seinem langen Leben zu tun bekommen hatte. Gewiss würde er sich auch ganz allein auf den aktuellen Kenntnisstand bringen können. Trotz der vielen technischen Neuerungen seit seiner Zeit im Ministerium hatte sich ein wesentlicher Bestandteil jeder Krise nicht geändert: Zu viele Daten scrollten über zu viele Displays. Sternkarten. Statusanzeigen von Schiffen. Waffenbestände. Listen mit Theorien und Mutmaßungen.

»… Beeinträchtigung der Sensorengruppen. Unsere Sicherheitsexperten setzen die Suche nach Mitteln fort, die zur Manipulation der Sensoren eingesetzt worden sein könnten. Bedauerlicherweise haben sie bisher …«

»… augenscheinlich zweifelhafte Daten. Wenn wir Schiffe dort gehabt hätten, hätten wir die Manipulateure selbstverständlich sofort …«

»… nachdem wir erfahren hatten, dass wir die Galaxis allein auf uns gestellt verlassen konnten, hat man sich damit begnügen müssen, den Gefallen zu erwidern.«

Sigmund ließ das ganze Gerede über sich ergehen, filterte die wichtigen Themen heraus, listete die einzelnen Argumente und Streitpunkt in Gedanken auf, trennte die Spreu vom Weizen, Vermutungen von Fakten. Alice, die Lippen fest aufeinandergepresst und mit gerunzelter Stirn, schien dasselbe zu tun.

»… Prüfroutinen in der Software zum Aufspüren von Hackerangriffen und Manipulationen …«

»… ein weiteres Patrouillenschiff hat gemeldet, es habe nichts gefunden …«

Alice und er hätten jetzt längst wahrgenommen, wenn nicht gar eingeladen gehört, sich an der Diskussion zu beteiligen. Waren sie denn nicht hier, um zu helfen? Oder waren sie, Julias drängenden Bitten zum Trotz, aus einem ganz anderem Grund herbestellt worden? Sollte Norquist-Ng später, wenn das Ganze in die Hose gehen sollte, etwa nur behaupten können, man habe sogar die Außenweltler-Experten hinzugezogen?

Letzteres, ganz klar. Verfutzte Narren, allesamt.

Die New Terrans, die zu beschützen Sigmund seinerzeit entführt worden war, wussten genau, dass das Universum ein gefährliches Pflaster war. Aber die Generation, die sich die Unabhängigkeit erstritten hatte, war längst Geschichte. Selbst deren Kinder lebten nicht mehr oder waren bereits im Ruhestand. Isolationismus war schon seit langem die Norm. Aus ihrem Ausschnitt der Geschichte heraus hatten Norquist-Ng und seinesgleichen den Fehler begangen, für Weisheit zu halten, was pures Glück gewesen war.

Sigmund war der Einzige auf dem ganzen Planeten, der schon einmal von einer Vogelart namens ›Strauß‹ gehört hatte. Aber egal: Das Aufziehen von Gefahr zu leugnen, indem man einfach den Kopf in den Sand steckte, war aberwitzig. Torheit vom Feinsten. Er stand auf und räusperte sich vernehmlich.

Norquist-Ng wandte sich zu ihm um und blickte ihn finster an.

»Wenn ich dann zusammenfassen darf«, sagte Sigmund. »Eine einzelne Hyperraum-Störung von nie gekannter Größe. Sie halten es nicht für möglich, dass Sensorenphalanx und Patrouillenschiffe sämtliche der vielen Schiffe übersehen haben, die aus dem Hyperraum ausgetreten sein müssen. Wenigstens das eine oder andere hätte geortet werden müssen. Sie können sich ebenso wenig vorstellen, dass Sensorenphalanx und Patrouillenschiffe diese Unmengen feindlicher Schiffe übersehen haben könnten, die sich durch den Normalraum an uns anschleichen, um uns dann beim Wiedereintritt in den Hyperraum mit einer massiven Störwelle aufzuschrecken. Sie nehmen daher an, dass …«

»Wir, Mr. Ausfaller, schlussfolgern daher«, unterbrach ihn der Minister brüsk und in scharfem Ton, »dass jemand unser Sensorennetz kompromittiert hat. Das ist die einzig logische Erklärung. Uns zu helfen, die Sicherheitslücke aufzuspüren, ist, falls Sie es noch nicht wissen sollten, der Grund dafür, warum Sie hier sind. Der einzige Grund. Nun, wenn Sie dann vielleicht …«

»Sie liegen falsch«, fiel nun seinerseits Sigmund dem Minister ins Wort. »Denn es fällt sofort eine andere Erklärung ins Auge.« Die Erklärung, die in eure Überlegungen miteinzubeziehen ihr alle zu ängstlich seid. Oder zu geistig gesund. Zu wenig paranoid.

»Und diese Erklärung wäre?«, fragte Norquist-Ng.

»Dass die Sensorendaten genau das bedeuten, was sie uns sagen«, erwiderte Sigmund, »ungeachtet der Tatsache, dass es keine Schiffssichtungen in der Nähe gibt.«

Alice nickte. »Diese Möglichkeit sollten wir zumindest bedenken.«

»Hyperraum-Störwellen ohne Schiffe unter Hyperantrieb«, flüsterte jemand hörbar, damit auch alle es mitbekämen, »so ein Schwachsinn!«

»Klären Sie mich auf«, fordert Norquist-Ng Sigmund auf und erwies sich damit als weitaus pragmatischer als der Flüsterer.

»Ist uns ein Jeeves zugeschaltet?«, fragte Sigmund. »Es müssten einige Berechnungen gemacht werden.«

»Jawohl, Sir«, erklärte eine Stimme aus einem in die Decke eingelassenen Lautsprecher.

Die Stimme gehörte keinem Jeeves, den Sigmund kannte. Sein Sir hatte nicht den Hauch eines Tonfalls, wie er für einen englischen Butler Charaktersache gewesen wäre. Diese KI klang wie ein Offizier der unteren Ränge, der seinen Vorgesetzten ansprach.

Störwellen beim Austritt aus dem Hyperraum verloren wie Licht und Gravitation mit zunehmender Entfernung an Intensität. Sigmund fragte: »Habe ich das richtig verstanden? Der Scheitelwert der Hyperwellen-Störung ist bis zum Maximalwert unserer Sensorenanzeigen gegangen, unabhängig von der Position der Sensoren? Es hat keine erkennbaren Schwankungen oder Abschwächungen gegeben, die irgendwo innerhalb des Messbereichs aufgezeichnet wurden?«

»So ist es, Sir. Flächendeckende Überlastung des Messbereichs.«

»Geh von der Annahme aus, eine einzige Austrittswelle aus dem Hyperraum besitzt genug Energie, um alle Sensoren innerhalb der Phalanx zu überladen. Nenne mir den geringsten Entfernungsradius zu New Terra, wo sich die Ursache dieser Hyperraumstörung befinden könnte.«

Die Pause, die zur Berechnung des Gewünschten folgte, war kaum wahrnehmbar. »Gute fünf Lichtjahre.«

»Aber das ist doch lächerli …«

Sigmund schnitt dem sommersprossigen Ministerberater das Wort ab. »Und eine energiereichere Ursache für die Hyperwellen-Störung wäre noch weiter entfernt.«

»Richtig, Sir«, bestätigte Jeeves.

Das Frühwarnsensorensystem nahm Peilungen aller Sichtungen vor. »Geh bitte weiterhin von einer einzigen Ursache aus, Jeeves. Wo befindet sich der durch Triangulation bestimmbare Ursprungsort der Störung?«

»Diese Peilungen bringen nichts«, mischte sich der Sommersprossige erneut ein, unverkennbar verschnupft. »Dadurch, dass die Sensoren überladen wurden, sind die gesammelten Richtungsdaten kompromittiert. Man kann und darf ihnen nicht trauen.«

»Jeeves, bitte, beantworte meine Frage«, beharrte Sigmund.

»Alle Peilungen deuten auf eine Störquelle in etwa derselben Richtung hin. Die Messabweichungen sind dabei geringer als die, die bei Triangulationen üblicherweise vorkommen und von denen daher allseits ausgegangen wird.«

»Durch Mittelung aller Sensorendaten lassen sich Zufallsabweichungen ausgleichen«, meinte Sigmund, »richtig?«

»In einem gewissen, nicht präzise bestimmbaren Rahmen, Sir.«

»Zur Kenntnis genommen, Jeeves. Bitte nimm die Berechnungen dennoch vor.«

»Ich habe das Ergebnis, Sir, aber der geschlussfolgerte Ausgangspunkt für die Hyperwellen-Störung unterliegt einer beachtlichen Unschärfe.«

»Sie verschwenden unser aller Zeit, Ausfaller«, knurrte Norquist-Ng.

Alice hatte den Kopf nachdenklich zur Seite geneigt. Sigmund war diese Geste nur allzu vertraut. »Jeeves«, sagte sie jetzt, »stell bitte die offensichtliche Richtung und den kalkulierten Ursprungsort auf einer Sternkarte dar.«

Über dem Konferenztisch flammte ein Hologramm auf: Es blieb dunkel bis auf einige, über sein gesamtes Volumen verstreute Lichtpunkte. In der Mitte des Hologramms blinkte eine blaue Kugel, die für New Terra stand. Mehrere durchsichtig-blaue Sphären umgaben diese Kugel; sie standen für Entfernungen in Lichtjahren. Von der blinkenden blauen Kugel im Mittelpunkt dieser Sphären ging hellrot ein Kegel aus, der sich keinem der Sterne innerhalb der Karte näherte, bis er – Sigmund zählte die blassblauen Sphären – in ungefähr vierzehn Lichtjahren abrupt endete.

Vierzehn Lichtjahre? Wer auch immer diese Hyperwellen-Störung verursacht hatte, verfügte über unglaublich kraftvolle Antriebe.

Wie es zum Beispiel Antriebe waren, die ganze Welten zu bewegen vermochten?

Mit zitternden Händen sagte Sigmund: »Jeeves, jetzt überlagere die Darstellung bitte mit dem Kurs der Weltenflotte.«

»Jawohl, Sir.«

Eine grüne Leitbahn, in diesem Maßstab perfekt schnurgerade, vervollständigte das Holo. Sigmund gegenüber entfuhr jemandem vor Überraschung ein Fluch.

Die grüne Linie, die für den Kurs der Puppenspieler-Flotte stand, streifte den Stern, der möglicherweise den Ausgangspunkt der geheimnisvollen Verzerrung an der Schnittstelle zwischen Raum und Hyperraum markierte.

Einen Stern, an dem diese Welt lange vor der Flotte vorbeigeflogen wäre, hätte die Revolutionsregierung es nicht für erforderlich erachtet, New Terra auf ihren derzeitigen völlig anderen Kurs zu bringen.

Sigmund musste Norquist-Ng eine gewisse Anerkennung zollen: Der Mann hatte tatsächlich Verstand genug, die Sitzung abzubrechen und den Konferenzraum räumen zu lassen. Er bat Alice und Sigmund zu bleiben, ebenso wie eine seiner Beraterinnen, eine Frau mit einem langen, schmalen Gesicht, deren Namen Sigmund sofort wieder vergaß. Er bestand darauf, dass auch Julia bleiben durfte.

Und der hiesige Jeeves natürlich.

»Ist es tatsächlich möglich, dass die Weltenflotte wieder im Spiel ist?«, fragte der Minister. »Auf ihrem Kurs hätte sie den Stern längst passieren müssen, als … als passierte, was passiert ist.«

Das war eine vernünftige Frage. Aber Norquist-Ngs Körperhaltung oder ein Unterton in seiner Stimme oder … sonst irgendetwas verrieten, dass der Minister eigentlich eine ganz andere Frage stellte: Hatte die neue Regierung klug gehandelt, einen neuen Kurs zu setzen, unabhängig von dem der Weltenflotte?

Eine Frage wie: Hätte es einen sichereren Ort, einen sichereren Kurs im Universum gegeben als einen, der weit entfernt von der Weltenflotte war? New Terra hatte es geschafft, tief in den Raum vorzudringen, richtig. War es da nicht auch gut gewesen, einen Kurs wie diesen zu wählen? Einen Kurs, der so weit entfernt war, dass er New Terra tief in jene Zone der Verwüstung führte, die die Pak-Armada hinter sich gelassen hatte? In eine Zone, in der die Pak jede technologiebegabte Zivilisation ausgelöscht hatten?

Auf Grundlage dieser Logik hatte die Revolutionsregierung den Kurs New Terras geändert. Man hatte den Planeten abgebremst und Kurs auf das galaktische Zentrum genommen. Die Weltenflotte hingegen bewegte sich mit unverminderter Geschwindigkeit weiterhin in den galaktischen Norden. Es war Jahrzehnte her, dass New Terra Kontakt mit den ehemaligen Herren gehabt hatte.

Sigmund dachte wieder an den Vogel Strauß.

»Vielleicht hat das Ganze tatsächlich mit den Puppenspielern zu tun«, sagte Alice. »Wir sollten den Raumquadranten genau unter die Lupe nehmen, in dem diese Raumzeit-Störung ihren Ursprung hat.«

»Warum?«, wollte Norquist-Ng wissen. »Ausfaller und Sie haben doch gerade eben bestätigt, dass New Terras Loslösung von der Weltenflotte klug gewesen ist.«

Loslösung von der Flotte? Ob es dir passt oder nicht, New Terra ist wieder drin, seitdem … was auch immer … hinter den Planeten gelangt ist.

Sigmund deutete auf die Sternkarte. »Jeeves, geh bitte von der Annahme aus, der Ursprung der Raumzeit-Störung läge dort, wo die Linien sich treffen. Wie groß muss ein aus dem Hyperraum austretendes Objekt sein, um den Effekt hervorzurufen, den wir beobachtet haben?«

»Es muss eine beträchtliche Masse besitzen, Sir – die Masse mehrerer Gasriesen beispielsweise.«

Sigmunds Hände zitterten noch mehr. »Gasriesen. Damit meinst du … Gasplaneten, ja?«

»Richtig, Sir.«

»Ganze Planeten, die in den Hyperraum ein- oder austreten?«, warf nun die Beraterin des Ministers ein. »Herr Minister, bei allem Respekt, es könnte sehr gefährlich für uns werden, nicht mehr in Erfahrung zu bringen.«

»Ich fahre hin«, bot Julia an und hatte mit einem Mal die Aufmerksamkeit aller Anwesenden. »Mein Schiff, die Endurance, ist startbereit.«

»Wir schätzen Ihre Bereitschaft, Captain, uns dieses Angebot zu machen«, sagte Norquist-Ng. »Aber auf Abenteuer hinaus ins All zu ziehen entspricht nicht länger unseren Gepflogenheiten.« An seine Beraterin gewandt, fügte er spitz hinzu: »Diese Regierung ist nicht darauf aus, sich vierzehn Lichtjahre von der Heimatwelt entfernt Ärger einzuhandeln.«

Strauße!, schoss es Sigmund zum dritten Mal durch den Kopf.

»So viele Schiffe, dass ihre Masse denen mehrerer Planeten entspricht«, warf Alice nun ein. »Denken Sie doch nur an die Technologie, die dahinterstecken muss – die gewaltigen Mächte, über die jemand hier gebietet. Nach allem, was wir wissen, könnten diese Schiffe geradewegs auf uns zukommen, und das in Geschwadern, gegen die sich die Pak-Flotte unbedeutend ausnimmt. Wir müssen uns das anschauen.«

Norquist-Ng rieb sich das Kinn, dachte nach, ehe er sich an Julia wandte. »Da ist was dran, Captain. Nehmen Sie Ausfaller als sachverständigen Berater mit, aber Sie befehligen das Schiff und leiten die Mission. Sie sollen nur die Region erkunden, und dann kehren Sie zurück und erstatten mir Bericht.«

Nehmen Sie Ausfaller.

Der Konferenzraum verschwamm ihm vor Augen, alles schien sich zu drehen. Sigmund wankte, suchte nach Halt, um das Gleichgewicht wiederzufinden. Er bemerkte kaum, dass Julia ihn zu einem Sessel am Tisch führte.

Seit einem Jahrhundert war er nicht mehr interplanetar unterwegs gewesen. Nicht ein einziges Mal war er mehr draußen im All gewesen. Nicht mehr seit dem Pak-Krieg. Nicht mehr, seit er in diesem nutzlosen Blecheimer von aufgegebenem Raumschiff hilflos im Raum getrieben war, Lichtjahre von jeglichem Punkt im Universum entfernt, der als ein Irgendwo durchgegangen wäre. Allein mit einem Puppenspieler, der sich noch rechtzeitig hatte einfrieren können und reglos in einem Stasisfeld für medizinische Notfälle hing.

Und wo war Baedeker jetzt? Schon seit langer Zeit verschwunden … wohin, wusste Sigmund nicht.

»Grandpa?«, rief ihn eine Stimme. Sie kam aus einer schier unermesslichen Entfernung.

Sigmund zitterte wie Espenlaub. Vierzehn Lichtjahre? Das bedeutete zweiundvierzig Tage jeweils für Hin-und Rückfahrt. Zweiundvierzig Tage jeweils im Weniger-als-nichts des Hyperraums, das in seinem Kopf brabbelte und schnatterte, schlimmer als der Wahnsinn …

»Seht den berühmt-berüchtigten Weltenzerstörer!«, spottete die Ministerberaterin.

Mit einem letzten, krampfartigen Schaudern zwang sich Sigmund zurück in die Gegenwart. Noch weniger hätte es ihn nicht scheren können, was Politiker von ihm dachten. Aber Julias Sorge? Alices Verachtung? Beides traf ihn tief.

»Ich begleite den Captain«, verkündete Alice in diesem Moment.

Wenn zwei Menschen auf New Terra hätten befreundet sein sollen, dann Alice und er. Er stammte von der Erde, sie war Belterin. Jeder für sich lebte als Exilant unter Fremden. Beide waren sie nicht aus eigener Kraft oder eigenem Antrieb hier. Keiner von ihnen beiden kannte den Weg zurück nach Hause.

Solange, bis sie beide lange genug auf dieser Welt gelebt hatten, um sie ihr Zuhause zu nennen.

Über einen langen Zeitraum hinweg waren sie befreundet gewesen. Zählte man Penelope nicht mit, war Alice tatsächlich Sigmunds beste Freundin gewesen …

Unbemerkt von ihnen selbst, waren Alice und er gemeinsam zu Relikten längst vergangener Tage geworden. Unbenommen der Jahre, die man in Stasis verbracht hatte, und unbenommen der Zeitdilatation aufgrund der gelegentlichen relativistischen Geschwindigkeit von New Terra, war Alice jetzt um die zweihundertfünfundzwanzig Erdjahre alt. Das war uralt auf einer Welt, die der Entwicklung von Boosterspice noch harrte. Und exakt so sah Alice auch aus: uralt.

Er hingegen hatte, unbenommen all dessen, was auch sein Alter relativierte, die dreihundertfünfzig überschritten. Von Rechts wegen hätte er längst tot sein müssen. Möglicherweise wünschte Alice sich ihn auch tot. Immer noch.

Aber physisch war er jünger. Da war er ›nur‹ ungefähr zweihundert. Beide Male hatte ihn der Prototyp des Autodocs, der ihn auf beinahe schon magische Weise vom Tod ins Leben zurückgeholt hatte, dabei körperlich in einen Zwanzigjährigen zurückverwandelt.

Er, Sigmund Ausfaller, sollte mit Julia hinausfahren und einen Blick auf die neuerliche Bedrohung seines zur Heimat gewordenen Planeten werfen! In einem anderen Leben war er Geheimagent bei der ARM gewesen – ein hochrangiger Außendienst-Mitarbeiter der Alliierten Regionalmiliz, wie die Vereinten Nationen seine Dienststelle ganz bescheiden zu bezeichnen beliebten. Und hier auf dieser Welt hatte er zusammengeklaubt und aufgebaut, was als Militär zu deren Schutz durchging.

Warum fühlte er sich nur mit einem Mal so unglaublich alt? Wegen all der Erfahrung, die so schwer wog? Oder wegen der Verachtung, die ihm die einzige lebende Person entgegenbrachte, die ihn einst wirklich und wahrhaftig verstanden hatte?

»Ms. Jordan«, sagte Norquist-Ng im Ton respektvoll, »es ist dankenswert, dass Sie sich für diese Aufgabe zur Verfügung stellen wollen. Aber Sie sind nicht in der körperlichen Verfassung, die eine solche Reise verlangt. Dessen sollten Sie sich bewusst sein.«

»Trotzdem gehe ich mit auf diese Reise. Ich war Polizistin in den alten Tagen im Asteroidengürtel, damals im Sol-System. Hier auf New Terra war ich lange Zeit Stellvertreterin des Verteidigungsministers. Wir beide wissen doch«, sagte sie, durchbohrte dabei aber Sigmund mit Blicken, »jemand mit interstellarer Erfahrung muss hinaus und die Sache untersuchen.«

Dieser Tanj-Eigensinn und Stolz! Nur wenige Belter-Prospektoren gingen allein auf die Suche nach Mineral- und Erzlagerstätten, bei denen sich das Schürfen lohnte. Noch weniger verließen sich dabei nur auf Raumanzug und Einmann-Schiff. Aber Einzelgängertum und Autarkie in allen Lebensbereichen waren in den Mythen des Asteroidengürtels tief verwurzelt. Sie prägten die Erziehungsideale und hatten vielleicht sogar Spuren im genetischen Code hinterlassen. Egal, was auf dem Spiel stand: diese allseits geschätzten Wesensmerkmale stellte man nur auf eigene Gefahr infrage. Sich anzumaßen, Entscheidungen über Leben und Tod für einen Belter respektive eine Belterin treffen zu wollen, wäre ein Affront gewesen, wie er heftiger nicht hätte sein können.

Einmal, vor sehr langer Zeit, hatte Sigmund sich diese Entscheidung angemaßt. Und fände er sich in derselben verzweifelten Lage wie damals wieder, würde er jederzeit genauso handeln. Besser eine lebende Exfreundin als eine tote Freundin.

Ungeachtet dessen, wie verächtlich Alices Blick war, beabsichtigte er, sie auch weiterhin am Leben zu erhalten.

Doch allein schon der Gedanke, einen Fuß auf ein Raumschiff zu setzen, ließ Sigmund schaudern. »Alice«, sagte er kraftlos, »ich bin einfach nicht imstande, an Bord zu gehen. Es tut mir leid, aber du wirst mitfahren müssen. Möglicherweise jedoch nicht allein.«

»Ach, gibt es einen anderen ›Freund‹, den du mitschicken kannst, ja?«, spottete sie.

Nicht ganz. Freunde pfuschten nicht im Gehirn von Freunden herum, nicht einmal für eine gute Sache. Freunde hüteten auch nicht ängstlich Geheimnisse voreinander – oder entführten einander. Der Zweck heiligte nicht jedes Mittel. Nichtsdestotrotz handelte es sich um jemanden, dem New Terra am Herzen lag.

Also nickte Sigmund. »Ich sage nicht, um wen es sich handelt, Alice. Aber wenn ich ihn überzeugen kann, an der Expedition teilzunehmen, kannst du dich glücklich schätzen, ihn an deiner Seite zu wissen.«

KAPITEL 3

Janus arbeitete sich durch den Garten. Er jätete Unkraut, schnitt zurück, was wucherte, und heraus, was verblüht war, lockerte die Erde und grub um, wo es nötig war. Schweiß rann seine Flanken hinab, seine Mähne war verfilzt. Dreck und Matsch waren seine Beine hochgespritzt und hingen in Klumpen an seinem Hufen.

Die Rotmelonen entwickelten sich zu seiner Zufriedenheit, aber andere Melonensorten schwächelten. Hochgewachsene Ziergräser standen Schopf an Schopf beisammen. Sie verströmten einen eigentümlichen Geruch, während sie sich mit hocherhobenen Wedeln in der warmen Brise wiegten. Es gab sie in Gelb und Bernsteinfarben (mit einem Hauch Orange darin) und in Violett (das ein wenig zu blass geraten war). Die Obstbäume trugen viel und versprachen eine gute Ernte. Die geflügelten Bohrkäfer fanden das offenkundig auch. Denn die insektenfressende Hecke, die als lebender Zaun den Garten umgab, wedelte wie in Ekstase mit ihren langen roten und violetten Lianen und schnappte sich Beute aus der Luft.

Einst war diese Welt der Kornspeicher der Weltenflotte gewesen. Obwohl seit der Unabhängigkeit schon viel Zeit ins Land gegangen war, hatten selbst danach noch die meisten Farmer New Terras Getreide für den Export nach Hearth angebaut. Jetzt nicht mehr. Jetzt gediehen irdische Kornsorten auf den Anbauflächen. New Terras Ausscheren aus der Konkordanz hatte viele Veränderungen nach sich gezogen. Besonders deutlich machte das der Lauf der Sonnen: Man hatte ihre Bahn umprogrammiert. Hearths Flora hatte sich nun einem veränderten Zyklus anzupassen, der die Dauer eines Erdentages und -jahres nachahmte.

Wonach Janus am meisten lechzte, was irdisches Gemüse anging, hatte er nie gewagt anzubauen. Es könnte sich jemand an einen gewissen Puppenspieler mit einer Vorliebe für Karottensaft erinnern. Er hatte Hearth schon vor langer Zeit verlassen, aber unter denen mit Macht und Amtsgewalt gab es einen, der ein gutes Gedächtnis hatte und nichts vergaß, was er nicht vergessen wollte. Einen, der einen ausgewachsenen Groll gegen jenen Puppenspieler mit der Liebe zu Karotten hegte.

Selbst auf dieser Welt dürfte Achilles Spione haben.

Janus hatte erst spät zum Gärtnern gefunden. Sein Wahlgefährte hatte die Gartenarbeit geliebt. Gemeinsam den Boden zu bearbeiten, war – so wenig vollkommen es war – doch eine Möglichkeit gewesen, Vertrautheit miteinander zu teilen. Und nun war es etwas, das er mit den Kindern teilen konnte und wodurch er und sie sich dem verlorenen Elter nahe fühlen konnten.

Dem abwesenden Elter, pfiff Janus sich selbst an. Er wollte und durfte nicht an den Wahlgefährten als jemanden denken, den er verloren hatte, der für immer von ihm gegangen war.

Es spielte keine Rolle, dass seit ihrer Trennung die Kinder erwachsen geworden waren. Aurora hatte sich bereits einen eigenen Gefährten gewählt. Elpis, der jüngere der beiden, hatte keinerlei Erinnerungen mehr an Hearth, dem Planeten, auf dem er geboren war, der Heimatwelt seiner Spezies, dem Juwel der Weltenflotte.

In all den Jahren hatte es nicht einmal den Ansatz zu einem Triller gegeben, der gerüchteweise Nachricht von Baedeker gebracht hätte. Und offizielle oder offiziöse Nachrichten hatten Janus erst recht nicht erreicht.

Jenseits der hungrigen Hecke tollten Kinder auf einer Spielwiese mit frisch gemähtem Weidegras, blökten und sangen. Hier lässt es sich gut leben, dachte Janus, die Menschen sind freundlich und behandeln uns besser, als wir es verdient hätten.

Plötzlich aufgeregtes Kreischen und Quietschen der Kleinen; dazu beruhigend Melodisches von den Erwachsenen, die ihr Spiel beaufsichtigten. Janus legte die Pflanzschaufel weg und reckte einen Hals in Richtung der Aufregung, um besser lauschen zu können. Aber er war zu weit entfernt, um alle Kadenzen mitzubekommen. Die lebhafte Brise trug viel von den Obertönen in den Harmonien davon. Aber das bisschen, das er mitbekam, machte ihn seltsam unruhig. Er hörte Überraschung heraus. Klar, auch Beruhigendes für die Kleinen. Beruhigendes füreinander.

Er war gerade nah genug, um Zeuge zu werden, dass die Kleinsten unter den Kindern davonstoben … vor einem Menschen.

Es war ein Mann mit rundem Gesicht, grauem Haar, reichlich Hüftgold. Er war ganz in Schwarz gekleidet. Bei einer Gruppe von Eltern, die die Kinder beaufsichtigten, blieb er stehen. Es wirkte, als spräche der Mann mit den Eltern, denn jemand aus der Gruppe wies mit einer raschen Kopfbewegung in Richtung Garten. Der Mann bedankte sich – jedenfalls klang es danach, auch wenn seine Worte bei Janus nur noch als unverständliches Gemurmel ankamen. Dann kam der Mann mit schweren Schritten auf Janus zu.

Sigmund Ausfaller?

Der Mann sah nicht gut aus. Alt und klapprig, klar, und traurig. Das war zu erwarten gewesen. Nicht aber besorgt, erschüttert. Nur die Augen, dunkel und grüblerisch, hatten dasselbe Feuer, sprühten vor wacher Intelligenz wie eh und je.