Rituale - Barbara Stollberg-Rilinger - E-Book

Beschreibung

Rituale sind allgegenwärtig. Amtseinsetzung und Friedensschluss, Taufe, Hochzeit und Beisetzung, Denkmalsturz und Erinnerungsfeier: Ritualen kommt eine elementare, sozial strukturbildende Funktion zu. Mehr noch als für die Gegenwart gilt das für frühere Epochen. Seit die Geschichtswissenschaft im Zuge des "cultural turn" dieses Thema für sich entdeckt hat, sind immer mehr historische Phänomene durch die "ritualtheoretische Brille" betrachtet worden. Dieses Studienbuch gibt einen hervorragenden Überblick über die wichtigsten Theorien und Kontroversen der historischen Ritualforschung und die Vielzahl der rituellen Phänomene in der Geschichte. "Wie ausgereift das Konzept dieser Reihe inzwischen ist, zeigt gerade dieser Band. … Das Buch vermittelt eine Unmenge an grundlegenden Einsichten über Vergangenheit und Gegenwart und entwickelt überzeugende Perspektiven für die Zukunft des Faches Geschichte." Das Historisch-Politische Buch

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Barbara Stollberg-Rilinger

Rituale

2., aktualisierte Auflage

Campus Verlag

Frankfurt/New York

Über das Buch

Rituale sind allgegenwärtig. Amtseinsetzung und Friedensschluss, Taufe, Hochzeit und Beisetzung, Denkmalsturz und Erinnerungsfeier: Ritualen kommt eine elementare, sozial strukturbildende Funktion zu. Mehr noch als für die Gegenwart gilt das für frühere Epochen. Seit die Geschichtswissenschaft im Zuge des »cultural turn« dieses Thema für sich entdeckt hat, sind immer mehr historische Phänomene durch die "ritualtheoretische Brille" betrachtet worden. Dieses Studienbuch gibt einen hervorragenden Überblick über die wichtigsten Theorien und Kontroversen der historischen Ritualforschung und die Vielzahl der rituellen Phänomene in der Geschichte.

»Wie ausgereift das Konzept dieser Reihe inzwischen ist, zeigt gerade dieser Band. … Das Buch vermittelt eine Unmenge an grundlegenden Einsichten über Vergangenheit und Gegenwart und entwickelt überzeugende Perspektiven für die Zukunft des Faches Geschichte.« Das Historisch-Politische Buch

Vita

Barbara Stollberg-Rilinger ist Professorin für die Geschichte der Frühen Neuzeit an der Universität Münster und leitet seit September 2018 das Wissenschaftskolleg zu Berlin.

Inhalt

1. Einleitung

1.1 Was ist ein Ritual?

1.2 Was ist Ritualforschung?

1.2.1 Theoretische Konzepte

1.2.2 Ritualforschung in der Geschichtswissenschaft

2. Rituale als historische Phänomene – zentrale Themenfelder

2.1 Alltägliche Interaktionsrituale

2.2 Rituale des Lebenszyklus – Geburt, Heirat, Tod, Initiation

2.3 Rituale des Jahreszyklus – Rituale der kollektiven Erinnerung

2.4 Rituale des Opfers und der Gabe

2.5 Rituale der Herrschaft

2.5.1 Rituale der Monarchie

2.5.2 Rituale der Stadtkommune

2.5.3 Rituale des modernen Staates

2.6 Rituale der Begegnung und Konfliktbeilegung

2.7 Rituale des Rechts, des Gerichts und der Strafe

2.8 Rituale der Umkehrung und der Rebellion

3. Kontroversen und systematische Aspekte

3.1 Wie lassen sich Rituale historisch rekonstruieren?

3.2 Wie funktionieren Rituale?

3.3 Wann misslingen Rituale?

3.4 Wie verändern sich Rituale?

3.5 Rituale und Medien: Körper und Schrift

3.6 Antiritualismus und Moderne

3.7 Ausblick: Perspektiven der historischen Ritualforschung

Auswahlbibliographie

Quellen

Forschungsliteratur

Personen- und Sachregister

1. Einleitung

1.1 Was ist ein Ritual?

Ritualmagie im Jahre 2009?

Rituale sind allgegenwärtig und wirkmächtig, auch heute noch. Nur ein Beispiel aus der jüngeren Vergangenheit, um das zu illustrieren: Am 20. Januar 2009 legte Barack Obama vor der Öffentlichkeit Washingtons und der ganzen Welt seinen Amtseid als 44. Präsident der Vereinigten Staaten ab, indem er seine rechte Hand auf die Bibel Abraham Lincolns legte und die Worte wiederholte, die der Oberste Richter John Roberts ihm vorsprach: »I, Barack Hussein Obama, do solemnly swear that I will execute the office of President of the United States faithfully and will to the best of my ability preserve, protect and defend the Constitution of the United States. So help me God.« Damit war der neue Präsident der Vereinigten Staaten kreiert – so sollte man meinen. Doch manche in den USA bezweifelten dies. Denn Richter Roberts hatte aus Versehen den exakten Wortlaut des Eides, so wie er in der Verfassung niedergelegt ist, verändert (das Adverb »faithfully« stand an der falschen Stelle) und Obama hatte es ihm genau so nachgesprochen. In der amerikanischen Öffentlichkeit brach eine Debatte darüber aus, ob Obama nun tatsächlich Präsident sei. Die Administration wollte vollkommen sicher gehen und ausschließen, dass irgendein Gegner des ersten farbigen US-Präsidenten den kleinen Ritualfehler zum Anlass nehmen könnte, die Gültigkeit des ganzen Aktes zu bestreiten. Daher ließ Richter Roberts Obama das Ritual am folgenden Tag korrekt wiederholen: Jetzt war Obama zweifelsfrei Präsident.

Es erscheint verblüffend und befremdend, dass in unserer Gegenwart ein solch scheinbar archaischer Glaube an die Notwendigkeit der korrekten äußerlichen Form eine so große Rolle spielen soll. Sicher ist die Episode ein Grenzfall, und Obama wäre vermutlich von den allermeisten US-Bürgern auch als Präsident anerkannt worden, wenn er den Eid nicht korrigiert hätte. Aber gerade Grenzfälle machen gemeinhin sichtbar, was im Normalfall verdeckt bleibt: dass die symbolische äußere Form eine wesentliche Rolle spielt. Deshalb ist die Geschichte ein Indiz dafür, welche Wirkmacht Ritualen auch heute noch zukommt. Und sie eignet sich ganz allgemein dazu, sich der Frage zu nähern, was Rituale sind, wie sie funktionieren und was sie leisten.

Definitionsprobleme

Zunächst muss man sich allerdings klar machen, was man überhaupt tut, wenn man einen so zentralen kulturwissenschaftlichen Begriff wie »Ritual« definiert. In der Alltagssprache wird das Wort diffus verwendet und nicht von verwandten Ausdrücken wie Zeremonie, Fest, Feier, Kult, Brauch, Etikette oder Routine unterschieden. Es wäre allerdings ganz falsch zu erwarten, dass ein solcher Begriff dann wenigstens in der Wissenschaftssprache allseits einheitlich und eindeutig verwendet würde. Das ist schon deshalb nicht anzunehmen, weil sich sehr viele wissenschaftliche Disziplinen mit rituellen Phänomenen befassen und dabei teilweise ganz unterschiedliche Dinge vor Augen haben – Religionswissenschaft, Kulturanthropologie, Soziologie, Literatur-, Theater-, Musik- und Kunstwissenschaft, Rechts- und Politikwissenschaft, Psychologie, Theologie und nicht zuletzt die Geschichtswissenschaft.

Definitionen wissenschaftlicher Begriffe dienen dazu, die Vielfalt der Phänomene zu ordnen, Unterscheidungen zu treffen, das Gegenstandsfeld einer Disziplin zu strukturieren und sich darüber untereinander präzise zu verständigen. Meist enthalten solche Begriffe schon den Kern einer Theorie über den Gegenstand, um den es geht. Mit anderen Worten: Definitionen sind wichtige methodisch-theoretische Instrumente, aber keine endgültigen Wahrheiten. Es ist notwendig, jeweils offenzulegen, wie man die Begriffe verwendet, damit man nicht aneinander vorbeiredet und darüber diskutieren kann, ob die eine Definition hilfreicher ist als die andere. Es ist aber weder möglich noch notwendig, ja nicht einmal wünschenswert, sich auf eine einzige, »richtige« und »endgültige« Definition zu einigen. Deshalb ist die Geschichte der Ritualforschung immer zugleich eine Geschichte unterschiedlicher Ritualdefinitionen (vgl. etwa Leach 1968; Belliger/Krieger 1998; Michaels 2003; Kreinath/Snoek/Stausberg 2006; Fugger 2011 u. v. a.).

Für Historiker kommt noch eine andere Schwierigkeit hinzu. Sie müssen unterscheiden zwischen den Begriffen, die sie selbst zum Zweck wissenschaftlicher Analyse verwenden, und den (womöglich gleichlautenden) Begriffen, die in den historischen Quellen verwendet werden. Wenn, wie etwa im Falle von »Ritus« oder »Zeremonie«, die heutigen Begriffe eine lange Geschichte haben, in der sich ältere und jüngere Bedeutungsschichten überlagern, ist es umso wichtiger, sich darüber Rechenschaft abzulegen, in welchem Sinne man selbst die Worte jeweils gebraucht.

»Ritual« – ein Definitionsvorschlag

Als Ritual im engeren Sinne wird hier eine menschliche Handlungsabfolge bezeichnet, die durch Standardisierung der äußeren Form, Wiederholung, Aufführungscharakter, Performativität und Symbolizität gekennzeichnet ist und eine elementare sozial strukturbildende Wirkung besitzt. Hingegen wird von Ritualisierung im weiteren Sinne schon dann gesprochen, wenn sich ein bestimmtes Verhalten in seiner äußeren Form regelmäßig wiederholt.

Standardisierung und Wiederholung

Erstens: Rituale sind geformt und wiederholen sich; das heißt, sie spielen sich immer wieder in bestimmten, gleichen oder ähnlichen Formen ab. Das ist der Kern dessen, was Rituale ausmacht: Sie folgen einer standardisierten äußeren Form und sind daher erwartbar und wiedererkennbar. Das heißt, es gibt bestimmte Regeln, wie ein Ritual formal »richtig« abläuft, welche Gesten, Worte und Umstände korrekt und welche Akteure für das rituelle Handeln kompetent sind. Wie die Normierung der Formen beschaffen ist, kann ganz unterschiedlich sein: Es kann sich um eine stillschweigende, implizite, allein im Handeln selbst erfahrbare Regelmäßigkeit handeln oder um eine schriftliche Normierung in Form eines festen Ritualskripts. Diese Standardisierung entlastet von der Wahl zwischen prinzipiell unendlich vielen möglichen Handlungsweisen und sorgt so für Erwartungssicherheit und dauerhafte Struktur.

Dies heißt allerdings keineswegs, dass Rituale vollkommen starr und unveränderlich wären. Die äußeren Formen bedürfen zwar grundsätzlich einer gewissen Konstanz, sonst wären sie nicht wiederholbar und wiedererkennbar, und man könnte nicht von einem Ritual sprechen. Die Formen sind aber zugleich für die Beteiligten in einem gewissen Maße verfügbar und veränderbar. Rituale können absichtsvoll gestaltet werden – auch wenn das oft nicht allen Teilnehmern bewusst ist oder sogar verschleiert wird. Dabei haben die verschiedenen Beteiligten unterschiedlich großen Handlungsspielraum und Verfügungsmacht (agency) über den Ablauf eines Rituals.

Aufführungscharakter

Zweitens sind Rituale als solche zeitlich, räumlich und sozial gekennzeichnet; das heißt, sie werden aus dem alltäglichen Handlungsfluss auf verschiedene Weise herausgehoben, symbolisch eingerahmt und zu bestimmten Anlässen demonstrativ aufgeführt. Es gibt ganz unterschiedliche akustische und visuelle Zeichen des Anfangs und Endes; der Ort wird symbolisch markiert; die Akteure sind durch Kleidung und andere Attribute hervorgehoben; es gibt spezifische feierliche Sprachformeln. Meist sind Rituale auch durch besondere materielle Pracht und ästhetische Qualität gegenüber dem Alltag gekennzeichnet. Damit wird eine besondere Handlungsebene etabliert. Das heißt: Rituale erfolgen nicht spontan; man kann sie nicht zufällig und unbewusst vollziehen; man folgt dabei vielmehr einem Anlass, einer bewussten Absicht (intentio solemnis) und einer Regie. In der Regel werden Rituale vor einer gewissen Öffentlichkeit oder zumindest vor bestimmten Zeugen aufgeführt. Öffentlichkeit ist dabei relativ zu verstehen; gemeint ist die Öffentlichkeit der jeweiligen Ritualgemeinschaft. Das schließt nicht aus, dass bestimmte Teile eines Rituals im Geheimen vollzogen werden. Die gleichzeitige körperliche Anwesenheit von Akteuren und Adressaten ist konstitutiv, wobei beide Rollen nicht scharf zu trennen sind: Die Akteure sind immer zugleich auch Adressaten und umgekehrt. Die Adressaten eines Rituals sind keineswegs allein Menschen, sondern können auch Götter, Ahnen, Heilige oder Dämonen sein. Rituale haben demonstrativen Charakter; sie werden als herausgehobene Akte wie auf einer Bühne (im wörtlichen oder übertragenen Sinne) in mehr oder weniger feierlicher Weise inszeniert.

Symbolizität

Drittens sind Rituale symbolisch in dem Sinne, dass sie über sich selbst hinaus auf einen größeren sozialen Ordnungszusammenhang einer Gemeinschaft verweisen, den sie symbolisieren und zugleich bekräftigen – aber auch zuweilen demonstrativ in Frage stellen können. Rituale sagen etwas aus, sie haben einen kommunikativen Charakter; das unterscheidet sie von bloßen individuellen Routinen. Sie symbolisieren die Einheit der jeweiligen Gemeinschaft, ihre Grenzen, ihre inneren Ordnungsprinzipien und leitenden Werte in verdichteter, vorwiegend nonverbaler Form. Im Ritual stellt sich eine Gemeinschaft »nicht nur immer wieder die eigene Weltanschauung in einer geordneten symbolischen Großform vor, sondern sie gestaltet sich zugleich auch im Handeln als die aktiv gelebte Repräsentation ihres Weltbildes« (Soeffner 2010: 53). Dabei kann nicht nur dem ganzen Akt, sondern auch jedem einzelnen Element einer rituellen Handlungssequenz, jeder Gebärde, jedem Gegenstand, ja auch dem Ort und dem Zeitpunkt eine besondere Bedeutung zugemessen werden. Das wiederum setzt einen gemeinsamen, kollektiv geteilten symbolischen Code voraus. Erst aus diesem kollektiven Zusammenhang beziehen die Konventionen eines Rituals ihre Geltung. Das heißt allerdings nicht, dass dieser kollektive symbolische Code sehr präzise wäre und dass alle Beteiligten die Symbole stets gleich deuteten – im Gegenteil. Es macht gerade die besondere Leistungskraft von Ritualen aus, dass sie in vieler Hinsicht diffus, vage und vieldeutig sind. Ein tatsächlicher Konsens über die genaue Bedeutung des Aktes ist nicht erforderlich, solange die Beteiligten glauben, dass es einen solchen Konsens gibt, und dies einander gerade durch ihre Teilnahme an dem Ritual gegenseitig vermitteln. Das macht Rituale in hohem Maß anpassungsfähig und offen für Bedeutungswandel. Selbst wenn niemand mehr weiß, was ein altes Ritual einmal bedeutet hat – solange es immer noch vollzogen wird, hat es einen sozialen Sinn und kann mit neuen Bedeutungszuschreibungen aufgeladen werden.

Performativität

Viertens haben Rituale performativen Charakter, das heißt, sie sagen nicht nur etwas, sie tun etwas. Sie sind wirkmächtig in dem Sinne, dass sie das, was sie darstellen, zugleich herstellen. Die meisten Rituale bewirken eine Veränderung der sozialen Wirklichkeit und stiften eine Verpflichtung, nämlich dass die Beteiligten sich in der Zukunft an das halten, was sie im Ritual gemeinsam symbolisch dargestellt haben. Sie ziehen eine Grenze zwischen Vorher/Nachher, stiften eine Zäsur, gliedern die Zeit, wo sonst nur unmerkliche, fließende Übergänge wären: Sie trennen das alte Jahr vom neuen, Schuld von Unschuld, Recht von Unrecht, Kindheit von Erwachsensein, das Leben vom Tod; sie machen jemanden zum König, Priester, Doktor; sie verwandeln ein Brautpaar in ein Ehepaar, Feindschaft in Freundschaft, Krieg in Frieden und so fort. Wie jede Grenzziehung haben Rituale immer ein ambivalentes Gesicht: Sie trennen nicht nur, sie verbinden zugleich.

Die klassische Ritualtheorie geht davon aus, dass gemeinsam vollzogene Rituale in den Beteiligten die entsprechenden Gefühle erzeugen – zum Beispiel Gefühle der Zusammengehörigkeit, der Verpflichtung, der Würde oder auch der Scham. Rituale haben – so könnte man sagen – eine kollektive Ansteckungswirkung (Durkheim 1912/1981). Allerdings entzieht sich das der Nachprüfbarkeit: Niemand kann in andere hineinsehen. Doch selbst wenn Rituale die Gefühle, die inneren Einstellungen, die sie symbolisch darstellen, nicht wirklich bei allen Beteiligten erzeugen, so ist das im Einzelfall unter Umständen gar nicht entscheidend. Der springende Punkt bei Ritualen ist gerade, dass es auf den äußeren Vollzug ankommt, damit das Ritual seine Wirkmacht entfaltet. Wesentlich ist, was äußerlich sichtbar gezeigt und wechselseitig beobachtet wird. Denn darauf legen sich die Teilnehmer im Ritual wechselseitig fest, indem alle einander gegenseitig Augenzeugen ihrer Teilnahme sind. Ob man später gegen diese Verbindlichkeit (commitment) verstößt, ist eine andere Frage. Das Ritual selbst kann nicht erzwingen, dass die Beteiligten sich an die von ihm gestifteten Verbindlichkeiten halten. Aber es bewirkt, dass alle Beteiligten das erwarten und sich an dieser Erwartung in ihrem zukünftigen Handeln orientieren. Das macht den performativen Charakter des Rituals aus: Es bewirkt, was es darstellt. In einem Akt »sozialer Magie« (Bourdieu 1982/1990, 1980/1993) verändert es die soziale Wirklichkeit, indem es die Erwartungen der Beteiligten verändert. Anders formuliert: Ein Ritual ist ein »Modell« der sozialen Ordnung in einem doppelten Sinne: nicht nur ein deskriptives Modell von der Wirklichkeit, indem es sie abbildet, sondern auch ein präskriptives Modell für die Wirklichkeit, indem es sie normativ beeinflusst (Leach 1968).

Sozial strukturbildende Wirkung

Auf diese Weise entfalten Rituale eine elementare sozial strukturbildende Wirkung. Sie ordnen den einzelnen Akt in ein kollektives, überindividuelles Strukturmuster ein. Denn sie weisen zeitlich über die Gegenwart in doppelter Weise hinaus: Sie erinnern an vergangenes und verpflichten zu zukünftigem Handeln. Rituale verbinden in sich Dauer und Wandel, sie bilden ein Scharnier zwischen Individuum und Gemeinschaft. Gerade indem sie zum Beispiel einen individuellen Statuswechsel bewirken, bekräftigen sie umgekehrt zugleich die Beständigkeit der Ordnung als Ganzer. Indem sie sich in hergebrachten, wiederholbaren Formen abspielen, stellen sie die Beteiligten in eine Ordnung hinein, die älter ist als sie selbst und sie zugleich überdauern wird. Dass sie ihre soziale Wirkung gerade durch den äußerlichen Vollzug erzielen, gerade darauf beruht ihre spezifische Leistungskraft: Denn innere Einstellungen schwanken bekanntlich, auf sie lassen sich keine dauerhaften Institutionen gründen; dazu bedarf es vielmehr gleichbleibender, äußerlich sichtbarer Formen.

Rituale überbrücken gerade die »neuralgischen Punkte« im Leben eines Einzelnen wie der Gesellschaft als Ganzer (Dücker 2007) und verleihen institutionellen Ordnungen Bestand. Und das gilt paradoxerweise auch dann, wenn Rituale, wie gesagt, gar nicht wirklich immer gleich bleiben, sondern es den Akteuren oft nur so vorkommt. Wesentlich ist, dass Rituale über sich selbst hinausweisen, den jeweiligen Augenblick symbolisch überschreiten und ihn in einen größeren sozialen – und meist auch sakralen – Zusammenhang stellen. Das gilt paradoxerweise auch und gerade dann, wenn Traditionen tatsächlich unterbrochen sind oder die Stabilität einer Ordnung gefährdet ist: Dann überbrücken Rituale solche Brüche und erzeugen eine symbolische Dauer, die ohne sie gar nicht besteht.

Kurzum: Ohne Rituale gibt es keine gesellschaftliche Ordnung, keine Institutionen, keine dauerhafte soziale Struktur. Rituale vermitteln die elementaren Werte, Wissensbestände und Ordnungskategorien einer Gesellschaft; sie reproduzieren und transformieren die soziale Wirklichkeit. Das macht sie zu einem hervorragenden Forschungsgegenstand für Historiker, die etwas über das Funktionieren vergangener Gesellschaften herausfinden wollen.

Verwandte Begriffe

Der hier verwendete Ritualbegriff ist enger als im allgemeinen Sprachgebrauch üblich. Auch jenseits von Ritualen im strengen Sinne, das heißt herausgehobenen feierlichen Handlungssequenzen, sind alle möglichen Formen der Ritualisierung im sozialen Alltag allgegenwärtig. Fast alles menschliche Handeln hat rituelle Aspekte, nämlich insofern es äußerlich standardisiert werden kann; alles Handeln ist der rituellen Formung zugänglich. Dies soll hier als »Ritualisierung« bezeichnet werden und ist ebenfalls Gegenstand dieses Buches – jedenfalls solange es sich um Kommunikationsvorgänge handelt und Gegenstand historischer Ritualforschung ist. Ritualisierungen können allerdings auch nicht-kommunikatives Handeln betreffen, also keinerlei symbolische Mitteilung enthalten, wie es etwa bei individuellen Routinen wie dem täglichen Zähneputzen bis hin zu neurotischen Zwangshandlungen der Fall ist. Solche Phänomene sind indes Gegenstände der Psychologie, nicht der historischen Ritualforschung.

Der hier vorgeschlagene Ritualbegriff umfasst als allgemeiner Oberbegriff eine Vielzahl von Phänomenen, die die Historiker teilweise unter anderen Bezeichnungen erforscht haben, wie Zeremonien, Feste, Feiern, Liturgie, Kulte, Bräuche etc. Besonders schwierig und oft wenig sinnvoll ist die Abgrenzung von Ritus beziehungsweise Ritual gegenüber Zeremonie beziehungsweise Zeremoniell; all diese Ausdrücke werden meist synonym verwendet. Die Unterscheidung zwischen sakralen Ritualen und säkularen Zeremonien lässt sich angesichts der historischen Phänomene nicht halten, bei denen religiöse, politische und soziale Aspekte meist überhaupt nicht voneinander zu trennen sind. Schon eher sinnvoll erscheint es, zwischen Ritualen als transformativen und Zeremonien als konfirmativen Akten zu unterscheiden: Das Ritual bewirkt einen Statuswandel, die Zeremonie nicht. Die Krönung ist danach ein Ritual, das Unter-der-Krone-Gehen des Königs eine bloße Zeremonie (so Turner 1969/1989: 95; vgl. Leyser 1993; Füssel 2009; Hölkeskamp 2013: Fn. 23). Doch auch dieser Unterschied lässt sich in der historischen Realität oft nicht wiederfinden; vielmehr ist ein und derselbe Akt meist sowohl transformativ als auch konfirmativ (Fugger 2011: 417). Im Begriff der Performativität fällt überdies beides zusammen. Die meisten Elemente, die hier als Kennzeichen von Ritualen beschrieben wurden, treffen auch auf Zeremonien zu. Hinzu kommt: Was wir heute als Ritual bezeichnen, wird in den Quellen des Mittelalters und der Frühen Neuzeit oft caeremonia genannt.

»Ritual« (engl. ritual, frz. rituel, ital. rituale) ist kein historischer Quellenbegriff, sondern ein modernes analytisches Konzept, das von der Religionswissenschaft um 1900 geprägt worden ist. Er ist abgeleitet von den lateinischen Wörtern ritus für einen einzelnen formalisierten sakralen Akt und rituale für das kodifizierte Regelwerk dieser Riten (zum Beispiel das Rituale Romanum der römisch-katholischen Liturgie). Analog dazu steht caeremonia für die konkrete einzelne Zeremonie und caeremoniale, »Zeremoniell«, für das Zeremonienbuch oder die allgemeine Vorschrift, wie die Zeremonien abzuhalten sind. Diese Unterscheidungen entsprechen der wichtigen sprachwissenschaftlichen Unterscheidung zwischen parole (für die tatsächlichen sprachlichen Äußerungen) und langue (für die Sprache als Regelsystem). Seit um 1900 der Begriff »Ritual« als Bezeichnung für einen spezifischen komplexen sozialen Handlungstyp geprägt worden ist, hat er sich als allgemeiner Oberbegriff eingebürgert und wird auch hier im Folgenden so verwendet, während »Ritus« sich eher auf das einzelne Element eines Ritualkomplexes bezieht.

Darin eingeschlossen sind Unterbegriffe wie Liturgie (das Regelwerk gottesdienstlicher Handlungen), Kult (sakrale Praxis), Sakrament (heilswirksame christliche Rituale), Fest (als Gegenbegriff zu Alltag) und Feier (als strenger strukturierte Form des Festes). Mit dem Theater, der Performance, dem lateinischen spectaculum, teilweise auch mit dem Spiel hat das Ritual den Inszenierungscharakter gemeinsam. Ein historischer Quellenbegriff, der dem hier verwendeten Begriff Ritual sehr nahe kommt, ist der Begriff der Solennität (actus solemnis). Actus solemnes waren in der römischen Antike ursprünglich feierliche Handlungen, die einmal im Jahr (solus annus) auf gleiche Weise in strenger Förmlichkeit und Verbindlichkeit zelebriert wurden. Im römischen Recht bedeutet solemnis die zur Rechtsverbindlichkeit nötige äußere Form eines Rechtsgeschäfts. Auch im mittelalterlichen und frühneuzeitlichen Sprachgebrauch brachte man mit »Solennität« die Verbindung von Formstrenge, Feierlichkeit und Wirkmächtigkeit zum Ausdruck, also wesentliche Züge dessen, was ein Ritual kennzeichnet. In vielen anderen Sprachen gibt es ähnliche Begriffe (vgl. Kreinath/Snoek/Stausberg 2006).

Ritual und Magie

Rituale werden meist in einen engen Zusammenhang mit Magie gebracht. Unter Magie versteht man gemeinhin den Vollzug geheimer symbolischer Sprachformeln, Gesten und Handlungen, die auf überempirische Weise eine bestimmte Wirkung in der physischen Welt herbeiführen oder Wissen von verborgenen Dingen in Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft offenbaren sollen. Es gibt in fast allen Kulturen Fruchtbarkeits-, Heilungs-, Schutz-, Abwehr-, Liebes- und Schadensmagie. In der europäischen Vormoderne wurde schwarze Magie auf die Mitwirkung dämonischer Mächte bzw. auf einen Pakt mit dem Teufel zurückgeführt und als Hexerei bestraft. Die europäischen Anthropologen des 19. Jahrhunderts benutzten den Begriff der Magie, um die kultische Praxis der »primitiven Völker« zu kennzeichnen und sie von der Religion abzugrenzen. Danach kennzeichne es Magie, dass sie geheim und tendenziell illegitim ist und zu individuellen, privaten Zwecken eingesetzt wird, während die Religion öffentlichen und sozial gemeinschaftsstiftenden Charakter habe. Eine andere gängige Unterscheidung besagt, dass Magie darauf angelegt sei, die Götter durch Rituale zum Eingreifen in die physische Welt zu zwingen, während die Religion eine höhere Stufe der menschlichen Kulturentwicklung darstelle, bei der die Menschen die Götter durch Gebete um Gnade bitten. Dabei dient der Magiebegriff dazu, Aberglauben von Religion zu unterscheiden. Diese wertende Gegenüberstellung verschleiert den Umstand, dass die christliche Religionsgeschichte selbst von einer Vielzahl magischer Phänomene durchdrungen ist (zur Theorie Mauss 1950/1989; Hahn 1977; Kippenberg/Luchesi 1995; zur Geschichte der Magie in Europa Thorndike 1929–1958; Thomas 1971; Wilson 2000). In modernen Theorien der Performativität wird von der sozialen Magie der Rituale gesprochen (Bourdieu 1982/1990). Damit soll der Umstand betont werden, dass Rituale allein durch den korrekten Vollzug bestimmter Handlungen eine Zustandsveränderung bewirken – allerdings nicht in der physischen, sondern in der sozialen Welt. Zugleich wird damit angedeutet, dass den Beteiligten der soziale Charakter der rituellen Wirkmacht nicht bewusst ist, sodass die Wirkung performativer Rituale als quasi-natürlich erscheint (vgl. Kap. 1.2.1 und 3.2).

1.2 Was ist Ritualforschung?

1.2.1 Theoretische Konzepte

Wie der Begriff »Ritual« stammt auch die wissenschaftliche Ritualforschung aus der Zeit um 1900 und ist im Kontext des späten Kolonialismus ebenso wie der Krise der Moderne zu sehen, als man sich in Europa der Relativität aller Kultur bewusst wurde. Sie entstand Hand in Hand mit neuen kulturwissenschaftlichen Disziplinen wie der Religionswissenschaft, der Soziologie und der Kulturanthropologie (in England meist Social Anthropology genannt, in Deutschland Ethnologie oder Völkerkunde). Diese Disziplinen kennzeichnete dreierlei: Erstens, dass sie Religionen als soziale Phänomene thematisierten; zweitens, dass sie menschliches Verhalten als Kollektivphänomen zu erklären suchten, und drittens, dass sie das empirische Material ganz verschiedener Herkunft, Epochen und Weltregionen in einen großen systematischen Zusammenhang brachten, nämlich die Quellen der klassischen Antike, die Schriften der Bibel, die Beschreibungen fremder Völker und das Wissen über die »Folklore« in Europa selbst. All das wurde geordnet mit Hilfe evolutionistischer Kulturstufenmodelle, die von einer schrittweisen Entwicklung der Menschheit von »primitiven« zu immer komplexeren Zuständen ausgingen. In allen diesen Disziplinen spielte das Konzept des Rituals als elementares soziales Phänomen eine prägende Rolle.

Ritualforschung avant la lettre in der frühen Neuzeit

Die Vorläufer der modernen Ritualforschung sind allerdings älter. Mit Ritualen hat man sich, ohne schon über diesen Begriff zu verfügen, bereits lange vorher beschäftigt, und zwar in verschiedenen Zusammenhängen. Die europäische frühe Neuzeit war eine Zeit der Wissensexplosion. Zum einen sah man sich seit der Entdeckung und kolonialen Erschließung der Neuen Welt mit einem rasant anwachsenden Wissen über fremde Völker konfrontiert, das die Reisenden mit nach Hause brachten und das man zu sammeln, zu klassifizieren und mit dem Wissen über die europäischen »Altertümer« zu vergleichen suchte (etwa Meiners 1806/07). Zum anderen führten die Glaubensspaltung und die Herausbildung distinkter Konfessionsgemeinschaften zu einer geschärften Aufmerksamkeit für die unterschiedlichen religiösen Kultformen innerhalb des Christentums, aber auch darüber hinaus, was einzelne Gelehrte dazu veranlasste, großangelegte Sammlungen religiöser Riten zu publizieren (Marcellus 1516; Picart 1723–1727; Rippel 1722/21784; Kirchner 1724). Drittens hatte die zunehmende Zeremonialisierung des Alltags an den Herrscherhöfen und des Gesandtschaftsverkehrs zur Folge, dass man umfangreiche Sammlungen von Zeremonialbeschreibungen anlegte, in dickleibigen Kompendien veröffentlichte und durch »wissenschaftliche« Systematisierung zu durchdringen versuchte (Modius 1586; Loomie 1987; Godefroy 1649; Lünig 1719/20; Leti 1685; Rohr 1729/30; Nichols 1788–1823 und viele andere; vgl. Vec 1997). Dabei ging es darum, alle möglichen zeremoniellen Präzedenzfälle genau zu registrieren, um sich in Zukunft daran orientieren zu können, denn davon hing die Aufrechterhaltung von Status, Rang und Ehre einer jeden Standesperson ab. Schließlich erstreckte sich das Interesse der Gelehrten an rituellen Phänomenen im 18. Jahrhundert auch zunehmend auf die Sitten des »gemeinen Volkes« in Europa selbst: So begann man auch Zunftregeln, Festbräuche und »abergläubische« Praktiken aufzuzeichnen (Friese 1703; Friese 1708–1716; Nichols 1788–1823). Die Erfahrung der tiefgreifenden politischen, sozialen und wirtschaftlichen Umbrüche in der Sattelzeit um 1800 verstärkte das Bewusstsein der Differenz zwischen historischer Tradition und eigener Gegenwart und schärfte die Wahrnehmung der Verschiedenheit und des historischen Gewordenseins aller Kulturen.

Seit der Aufklärung herrschte ein evolutionäres Denken, das die Geschichte als Aufeinanderfolge von Kulturstufen verstand – von der Jäger- und Sammlerkultur über die Ackerbaukultur hin zur modernen Handels- und Industriekultur. In den fernen Kulturen glaubte man nun die frühen Epochen der eigenen Geschichte, die »Kindheit des Menschengeschlechts«, den unberührten »Naturzustand« der Menschheit schlechthin vor sich zu sehen. Seit der Aufklärung, das heißt dem ausgehenden 18. Jahrhundert, gab es auch – grob vereinfachend formuliert – zwei Arten, sich den »einfachen« und »wilden« Kulturen und ihren Sitten zuzuwenden: Entweder geschah das im Geist eines rationalistischen Fortschrittsoptimismus, der den Ausgang aus dem »rohen« Zustand der Barbarei und die fortschreitende Zivilisation als Errungenschaften verstand – eine Sicht, die durch den Siegeszug der Darwinschen Evolutionstheorie später noch gefördert wurde. Oder es geschah – seit Jean-Jacques Rousseau – im Geist einer romantischen Gegenwartskritik, die in der Lage der »edlen Wilden« das verlorene Paradies ursprünglicher Freiheit und Gleichheit erblickte. Diese unterschiedlichen Wertungen schlugen sich auch in der Einstellung gegenüber Ritualen nieder. Bis heute lassen sich diese zwei Pole – eine ritualkritische und eine ritualromantische Haltung – in der Beurteilung von Ritualen wiederfinden.

Der ritual turn der 1880er-Jahre

Die eigentliche Ritualforschung, die erstmals einen wissenschaftlichen Begriff des Rituals entwickelte und diesen ins Zentrum geistes- und sozialwissenschaftlicher Forschung stellte, begann etwa seit den 1880er-Jahren. Der Ritualbegriff bildete geradezu den Kern der neu entstehenden vergleichenden Religionswissenschaft, und diese wiederum hatte ihre Wurzeln in der Altorientalischen und Klassischen Philologie und der Wissenschaft des Alten Testaments. Gründungsfiguren der modernen Kulturanthropologie wie William Robertson Smith (1846–1894), James George Frazer (1854–1941), Arnold van Gennep (1873–1957) oder die sogenannten Cambridge Ritualists um Jane Ellen Harrison (1850–1928) hatten alle mit dem Studium alter Sprachen begonnen. Man hat geradezu von einer »ritualtheoretischen Wende« in den Geisteswissenschaften gesprochen (»ritual turn«, vgl. Stausberg 2004). Diese Wende hatte verschiedene Ursachen, vor allem der Beginn der anthropologischen Feldforschung, die Entzifferung der altorientalischen Schriften und die Rezeption der Darwinschen Evolutionstheorie.

Seit dem frühen 20. Jahrhundert reisten europäische Anthropologen in ferne Weltgegenden, um die dort lebenden »primitiven Völker«, ihre Sprache, ihre Sitten und vor allem ihre religiösen Kulte an Ort und Stelle selbst zu studieren; andere lasen die Berichte solcher Forschungsreisenden, verglichen sie und machten sich auf dieser Grundlage ein systematisches Bild von den »primitiven« Kulturen. Deren Wahrnehmung war von vornherein dadurch geprägt, dass man die Kulturen anderer Erdteile zu den alten Kulturen des antiken Mittelmeerraums als den Wurzeln der eigenen europäischen Geschichte in Beziehung setzte. Einen ungeheuer starken neuen Impuls für die Geisteswissenschaften bedeutete daher auch die Dechiffrierung altorientalischer Schriften wie des Altägyptischen oder des Assyrischen. Dadurch wurde eine riesige Menge an Textmaterial erstmals wieder lesbar, das eine Fülle an Aufschlüssen über rituelle Phänomene bereit hielt. Die Gelehrten begnügten sich nun nicht mehr damit, diese Schriften zu sammeln und zu edieren; sie wollten vielmehr auch die historische Wirklichkeit verstehen, die sich dahinter verbarg. Und vor allem: Sie lasen diese Texte nicht mehr als rein religiöse Zeugnisse, sondern vielmehr als Manifestationen sozialer Ordnung. Dabei kam ihnen die Evolutionstheorie von Charles Darwin zu Hilfe (Über die Entwicklung der Arten, 1859), die von Gelehrten wie Edward Burnett Tylor und Lewis Henry Morgan auf die Menschheitsentwicklung übertragen wurde. Sie ermöglichte es, das Wissen über ganz unterschiedliche Epochen und Weltregionen in ein allgemeines Stufenschema einzuordnen. Solche Schemata waren etwa »Wildheit – Barbarei – Zivilisation« oder »Animismus – Polytheismus – Monotheismus« oder »Magie – Religion – Wissenschaft«. Aus heutiger Sicht erscheinen diese Schemata eurozentrisch und einem kolonialistischen Überlegenheitsgefühl verhaftet. Sie machten es aber möglich, ganz unterschiedliche soziale und religiöse Phänomene unter einem generellen Konzept, nämlich dem des Rituals, zusammenzufassen und zu analysieren.

William Robertson Smith

William Robertson Smith war der erste, der die Religion des alttestamentlichen Volkes Israel als »primitive« Religion mit den Religionen »wilder« Völker auf eine Stufe stellte. Damit tat er den entscheidenden Schritt von der theologischen Bibelexegese zur Religionswissenschaft: Er behandelte alle Religionen gleichermaßen als soziale Phänomene, ihm ging es nicht mehr um die Frage nach ihrer Wahrheit und Heilswirksamkeit, sondern nach ihrer Funktion für die jeweilige soziale Ordnung. Seine Behandlung des Offenbarungstextes als ethnographische Quelle war damals revolutionär; Robertson Smith wurde von der schottischen Kirche als häretisch verurteilt und verlor seine Stelle als Professor für Alttestamentliche Exegese. Der springende Punkt für die Entwicklung der Ritualforschung war: Robertson Smith rückte die Mythologie, also das Glaubenswissen der antiken Religionen, in den Hintergrund. Die primäre und schlechthin zentrale Rolle kam für ihn vielmehr der kollektiven religiösen Praxis zu, dem Ritual: »Man kann wohl mit Sicherheit behaupten, dass beinahe in jedem Falle der Mythus aus dem Ritus hergeleitet ist und nicht der Ritus im Mythus wurzelt. […] Der einzelne wählte nicht seine Religion oder bildete sie für sich selbst aus; sie war ihm als ein Bestandteil des allgemeinen Ganzen von Verpflichtungen und Ordnungen der Gemeinschaft überkommen. […] Die Religion bestand überhaupt nicht für das Heil der Seelen, sondern im Interesse der Erhaltung und Wohlfahrt des Gemeinwesens […].« (Robertson Smith 1899: 18–20)

Diese Aufwertung der Kultpraxis gegenüber dem Glaubenswissen war ungewöhnlich für die europäische Gelehrtenkultur, in der die Geringschätzung »bloßer Äußerlichkeiten« eine lange Tradition hatte, vor allem im Protestantismus: Religion war in erster Linie Glaube und Liebe, nicht Kult. Diese Abwertung der äußeren Formen reicht noch viel weiter zurück als nur bis zur Reformation; sie lässt sich bis zu den Anfängen des Christentums verfolgen. Die ganze abendländische Religionsgeschichte war geprägt von wiederkehrenden Kontroversen um das Verhältnis zwischen Außen und Innen, Ritus und Glaube, körperlichen Handlungen und geistlichen Wirkungen (siehe unten Kap. 3.6). Mit dieser langen ritualfeindlichen Tradition brachen Robertson Smith und seine Nachfolger, indem sie die rituelle Kultpraxis zum Kern der Religion und diese zum Kern der sozialen Ordnung schlechthin erhoben.

James George Frazer

Während der Altorientalist Robertson Smith in den Schriften des Alten Testaments nach den »primitiven« Formen der Religion suchte und auf die soziale Funktion von Ritualen stieß, suchte sie der Klassische Philologe James George Frazer in der Überlieferung der griechisch-römischen Antike. In seinem Werk The Golden Bough (1890–1907, dt. Der goldene Zweig), das in 25 Jahren auf zwölf Bände anschwoll, verglich er die Religion der Griechen und Römer mit dem ethnographischen Material über »primitive« Völker und ordnete sie in ein lineares Fortschrittsschema ein, das von der Magie über die Religion zur Wissenschaft führte. Für Frazer standen Rituale als archaische, abergläubische und wirkungslose Versuche der Naturbeherrschung auf einer niederen Stufe der Menschheitsentwicklung, geboren aus der Angst um das alltägliche Überleben und dazu bestimmt, von der modernen Wissenschaft überwunden zu werden. Frazer setzte damit die rationalistische Tradition der Aufklärung fort, die mit Ritualen als dem »Anderen« der Vernunft im Grunde wenig anfangen konnte. Dennoch stimulierte sein riesiges Werk die ethnographische Feldforschung und trug zur Popularität der Kulturanthropologie erheblich bei.

Émile Durkheim

Die wohl bedeutendste Gestalt für die Entwicklung der Ritualforschung war Émile Durkheim (1858–1917), zugleich einer der Gründerväter der modernen Soziologie. Ihm ging es darum, aus den »primitivsten und einfachsten« Religionen Rückschlüsse auf die religiöse Natur des Menschen und die gesellschaftliche Funktion von Religion schlechthin zu ziehen. Für Durkheim waren alle Religionen »auf ihre Art wahr«; aber die einfachsten boten für ihn den Vorteil, dass sie nicht schon durch gelehrte Überformung entstellt waren. In dem Totemkult der australischen Ureinwohner (oder dem, was die damaligen Ethnologen darüber schrieben) glaubte er die einfachste aller bekannten Religionen gefunden zu haben. Daraus entwickelte er in seiner letzten großen Studie Die elementaren Formen des religiösen Lebens (1912) die bis heute einflussreichste Ritualtheorie, die, vermittelt vor allem über die französische historiographische Schule der Annales, auch die historische Ritualforschung wesentlich geprägt hat.

Zentral war für Durkheim die Frage nach dem Zusammenhalt sozialer Gruppen, von den primären sozialen Einheiten bis hin zur modernen, komplexen, arbeitsteiligen und individualistischen Gesellschaft, das heißt die Frage, wie kollektive Verbindlichkeit entsteht. Seine Antwort lautete: durch Religion, genauer: durch Rituale. Religion definierte er als »eminent soziale Angelegenheit«, nämlich als »solidarisches System von Überzeugungen und Praktiken, die sich auf heilige, das heißt abgesonderte und verbotene Dinge« beziehen und alle, die dem anhängen, zu einer moralischen Gemeinschaft verbinden. Durch den Ritus »erneuert die Gruppe periodisch das Gefühl, das sie von sich und von ihrer Einheit hat. Zur gleichen Zeit werden die Individuen in ihrer Natur als soziale Wesen bestätigt« (Durkheim 1981: 505). Der Gegensatz zwischen profan und heilig war für ihn die elementarste Unterscheidungskategorie, die das Wesen von Religion schlechthin bestimmt. Rituale schreiben vor, wie sich die Menschen dem Heiligen gegenüber zu verhalten haben. Durkheim unterscheidet »negative« asketische und »positive« Riten, nämlich Opfer-, Nachahmungs-, Gedenk- und Sühneriten, die er »selbst in den fortgeschrittensten Religionen« wiederfindet. Sie alle haben gemein, dass sie kollektive religiöse Gefühle erzeugen (»effervescence«, eine kollektive emotionale Aufwallung), in denen die Gruppe sich selbst erfährt und auf diese Weise ihre Identität periodisch erneuert. Diesen Ritualbegriff bezog Durkheim ausdrücklich auch über die Religion hinaus auf zivile Feste wie die der Französischen Revolution. Als überzeugtem Republikaner ging es ihm nicht zuletzt darum, die Verfassungskultur der französischen Dritten Republik durch eine nationale Zivilreligion, wie sie schon Rousseau vorgeschwebt hatte, zu festigen.

Arnold van Gennep

Nach Durkheim ist das Werk Arnold van Genneps (1873–1957) für das strukturelle Verständnis von Ritualen prägend geworden. Van Gennep, ein überaus produktiver gelehrter Außenseiter jenseits der Universitätsdisziplinen, sammelte die Sitten und Bräuche der ländlichen Bevölkerung Frankreichs und setzte sie zu dem ethnographischen Wissen über exotische Völker in Beziehung. Aus der Fülle des disparaten Materials destillierte er durch Vergleiche ein stets wiederkehrendes Schema heraus, das er in seinem überaus einflussreichen Buch Les rites de passage (1909, dt. Übergangsriten) beschrieb. Ausgangspunkt war die Beobachtung, dass das soziale Leben von Grenzüberschreitungen, »Passagen« aller Art – räumliche, zeitliche, soziale – gekennzeichnet ist. Übergangsriten markieren solche Grenzübertritte und kontrollieren sie: Geburt, Initiation, Hochzeit, Tod, aber auch der Übergang vom alten zum neuen Jahr. Sie trennen zwei Zustände und verbinden sie zugleich. Nach van Gennep gliedern sie sich stets mehr oder weniger deutlich in drei Phasen: erstens eine Trennungsphase, in der man sich aus der alten Umgebung, dem alten Zustand löst (»séparation«), zweitens eine Schwellen- und Umwandlungsphase, in der man sich in einem ambivalenten Schwebezustand zwischen altem und neuem Zustand befindet (»marge«), und drittens einer Wiedereingliederungsphase, in der man in die neue Umgebung integriert und damit die Ordnung insgesamt wiederhergestellt wird (»agrégation«). Auf diese Weise werden die Gefahren gebannt, die die Übergänge für die soziale Gemeinschaft wie für den Einzelnen bergen, und die Kontinuität der sozialen Ordnung wird über den individuellen Wechsel hinweg gewahrt.

Victor W. Turner

Dieses Schema, das van Gennep an zahlreichen Anschauungsfällen durchspielte, wurde in den 1960er- und 1970er-Jahren von anderen Kulturanthropologen, vor allem von Victor W. Turner (1920–1983) weiterentwickelt, der großen Einfluss auf die neu entstehende interdisziplinäre Ritualforschung hatte. Turner griff in seinem Werk The Ritual Process: Structure and Antistructure (1969, dt. Das Ritual. Struktur und Anti-Struktur, 1989) van Genneps Konzept der Schwellenphase auf und erweiterte es zum Konzept der Liminalität. Am Fall des von ihm selbst miterlebten Heilungsrituals der afrikanischen Ndembu beschrieb er die Liminalität als einen rituellen Zustand des »betwixt and between«, der Berührung mit dem Heiligen, der sozialen Nivellierung, aber auch der gesteigerten Selbstreflexion – kurz als einen Zustand der Anti-Struktur, der alle gesellschaftliche Struktur vorübergehend aufhebt. Die liminale Phase des Rituals ist ambivalent: Sie wird als bedrohlich empfunden, ist aber zugleich Quelle der Kreativität, Spontaneität und Humanität.

Turner fasste Liminalität nicht nur als eine bestimmte Phase in Übergangsritualen auf; er übertrug den Begriff auch auf Typen von Personen wie den Heiligen, Narren, Propheten, Künstler usw. und schließlich auch auf Gemeinschaftsformen in historischen Umbruchphasen, von der franziskanischen Frömmigkeitsbewegung bis zu den Hippies der 1970er-Jahre. Beeinflusst sowohl vom Marxismus als auch von der mittelalterlichen Mystik, ging es Turner vor allem um das beständige dialektische Wechselverhältnis zwischen Phasen der Auflösung und Grenzüberschreitung einerseits und Phasen der erneuten hierarchischen Verfestigung andererseits. Rituelle Liminalität diente ihm zum Verständnis sozialer und historischer Liminalität in einem ganz allgemeinen Sinne, die er auch als »communitas« bezeichnete. Sein Interesse an Ritualen war weniger akademisch distanziert als vielmehr identifikatorisch. Daher rührte auch seine scharfe Kritik an dem herrschenden Strukturfunktionalismus der Sozialanthropologie. Ihm ging es nicht darum, die soziale Funktion von Religion und von Ritualen zu erklären, sondern das religiöse und rituelle Erleben zu verstehen und nachzuvollziehen. Während die vorherrschenden Theorien die stabilisierende und ordnungsstiftende Seite von Ritualen betonten, interessierte sich Turner für ihre anarchischen, spontanen und kreativen, dynamischen und konflikthaften Seiten. Doch beides gehörte für ihn stets zusammen: Wesentlich für das Verständnis von Ritualen wie von gesellschaftlichen Prozessen insgesamt ist gerade die Wechselwirkung zwischen Ordnung und Konflikt, Struktur und Anti-Struktur.

Turner arbeitete mit Kollegen vieler anderer Disziplinen zusammen. Die Kooperation mit dem Theaterregisseur und Anthropologen Richard Schechner regte ihn dazu an, die gemeinsamen Züge von Ritual und Theater herauszuarbeiten. Schon während der Feldforschung bei den Ndembu hatte er den Begriff des »sozialen Dramas« geprägt und den typischen Verlauf sozialer Konflikte als dramatisches Geschehen in vier Akten in Analogie zum Theater beschrieben: Am Anfang steht der Bruch mit einer Norm; daraus resultiert eine soziale Krise oder ein Konflikt; es folgt der Versuch der Konfliktlösung durch ein Ritual; am Ende steht entweder die Wiedereingliederung des Abweichlers oder die Abspaltung von der Gemeinschaft. Dies als »soziales Drama« zu bezeichnen bedeutet: Ein Konflikt ist nie nur ein Geschehen zwischen den unmittelbar Beteiligten, sondern betrifft stets zugleich die ganze Gruppe und bezieht sie als Adressaten einer symbolischen Botschaft mit ein. Indem man soziale Konflikte als Schauspiele betrachtet, schärft man mithin das Bewusstsein für die symbolische, sinnstiftende, nicht-instrumentelle Seite des menschlichen Handelns.

Turners Neigung, alle möglichen Phänomene durch den metaphorischen Gebrauch von Begriffen wie communitas, Liminalität, Theater usw. miteinander in Verbindung zu bringen, verlieh seinem Denken einerseits etwas Unscharfes, Assoziatives und Beliebiges, machte es andererseits aber auch überaus anregend für andere Disziplinen, darunter die Geschichtswissenschaft, die sich besonders für den Zusammenhang von Ritualen, Rebellion und sozialer Dynamik interessiert (siehe unten Kap. 2.8).

Mary Douglas

An der geschärften Aufmerksamkeit für symbolisch-rituelle Formen in den 1960er- und 1970er-Jahren hatten außerwissenschaftliche Faktoren einen großen Anteil. Die Rolle der kulturellen Transformationsprozesse in Zusammenhang mit der 68er-Bewegung ist unübersehbar. Die Anthropologen nahmen aber in ganz unterschiedlicher Weise auf ihre Gegenwartserfahrungen Bezug. Auch die britische Sozialanthropologin Mary Douglas (1921–2007), katholisch wie Turner, ließ sich bei der Analyse ihrer empirischen Feldforschung in Afrika von ihren Gegenwartserfahrungen leiten, aber unter entgegengesetzten Vorzeichen. Während Victor Turner den anarchischen, kreativen und weltverändernden Effekt von Ritualen betonte und dabei offensichtlich die positiven Gemeinschaftserlebnisse des Jugendprotests vor Augen hatte, sah Mary Douglas die Dinge geradezu umgekehrt: Für sie waren Rituale vor allem sozial stabilisierende Phänomene und die 68er-Bewegung vor allem eine Revolte gegen jede Art von Formalismus. Gegen den Antiritualismus der 68er, aber auch gegen die Reform der katholischen Messliturgie im Zweiten Vatikanischen Konzil beharrte Douglas auf der Notwendigkeit ritueller Formen für die menschliche Erfahrung, soziale Ordnung und Gruppenidentität. In dem Buch Natural Symbols. Expolarations in Cosmology (1970, dt. Ritual, Tabu und Körpersymbolik) ging sie verschiedenen Erscheinungsformen von Ritualismus und Antiritualismus sowohl in einfachen wie in komplexen Gesellschaften nach und suchte sie mit bestimmten Typen von sozialer Symbolik und körperlichen Ausdrucksformen in Verbindung zu setzen. Es ging ihr darum nachzuweisen, dass auch Protest- und Erneuerungsbewegungen, die sich als vollkommen spontan, authentisch und formlos verstehen und ihr Verhalten allein als Ausdruck reinen inneren Erlebens begreifen, tatsächlich einem bestimmten symbolisch-rituellen sozialen Typus folgen. Es gibt nach Douglas schlechthin keine menschliche Erkenntnis, die unabhängig wäre von symbolischen Codes und rituellen Erfahrungen. Auch der Antiritualismus, der zu allen Zeiten vorkomme und keineswegs auf moderne, subjektorientierte, individualistische Gesellschaften beschränkt sei, führe nicht aus dieser »platonischen Höhle« hinaus. Sowohl Turner wie Douglas wurden also durch ihre Umbruchserfahrungen zu einer Hochschätzung des Rituellen veranlasst, aber beide hatten dabei geradezu entgegengesetzte Aspekte, Formen und Funktionen von Ritualen vor Augen.

Clifford Geertz

In den 1970er-Jahren ist dann eine »hermeneutische Wende« der Kulturanthropologie zu beobachten. Das heißt: Statt um das funktionalistische Erklären statischer sozialer Strukturen ging es nun vielmehr um das Verstehen dynamischer kommunikativer Prozesse. Zu dieser Wende hat neben Turner vor allem der amerikanische Anthropologe Clifford Geertz (1926–2006) wesentlich beigetragen. Geertz definierte Kultur in Anlehnung an Max Weber als »selbstgesponnenes Bedeutungsgeflecht« und Kulturwissenschaft mithin als »interpretierende« Wissenschaft, die nicht nach Gesetzmäßigkeiten, sondern nach Bedeutungen von Symbolsystemen sucht. Kulturen als Symbolsysteme kann man danach nur verstehen, indem man konkrete soziale Ereignisse untersucht, und nicht, indem man »abstrakte Entitäten zu einheitlichen Mustern zusammenfügt«. Dafür entwickelte er die Methode der »dichten Beschreibung« (»thick description«), die nie allein Beschreibung, sondern zugleich immer schon Interpretation ist: »Ethnographie betreiben gleicht dem Versuch, ein Manuskript zu lesen […], das fremdartig, verblaßt, unvollständig, voll von Widersprüchen, fragwürdigen Verbesserungen und tendenziösen Kommentaren ist, aber nicht in konventionellen Lautzeichen, sondern in vergänglichen Beispielen geformten Verhaltens geschrieben ist« (Geertz 1987: 15).

Bevorzugte Ereignisse, die den Schlüssel zum Verständnis des »inneren Wesens« einer Kultur liefern, sind komplexe öffentliche Rituale. Am balinesischen Hahnenkampf, einer »Mischung aus emotionaler Explosion, Statuskrieg und philosophischem Schauspiel«, führte Geertz paradigmatisch vor, wie man durch die Beschreibung eines Rituals zu den Ordnungskategorien und handlungsleitenden Werten einer Gruppe vordringt. Rituale sind essentiell für religiöse Glaubensvorstellungen wie für Vorstellungen von einer »höheren Wirklichkeit« ganz allgemein, denn in ihnen sind »gelebte und vorgestellte Welt ein und dasselbe«. Das Ritual erzeugt aus sich heraus den Glauben an das, was es schöpferisch zur Schau stellt, und umgibt es mit einer »Aura von Faktizität«. Die Vorstellungen von einer »allgemeinen Seinsordnung«, die im Ritual symbolisch dargestellt wird, heben sich nach Geertz allerdings vom pragmatischen Common-sense-Denken des Alltagslebens durchaus ab und sind gegen widerstreitende Alltagserfahrungen resistent.

Die Analogie zwischen kulturellen Bedeutungssystemen und Texten führte dazu, dass dieser Ansatz vor allem bei Literaturwissenschaftlern, aber auch bei Historikern auf fruchtbaren Boden fiel. Den Historikern war die hermeneutische Methode von dem Umgang mit historischen Quellen her vertraut, und sie teilten auch die Sympathie für den Einzelfall anstelle abstrakter Verallgemeinerungen. Manche Historiker vermissten bei Geertz’ Theorie zwar den Bezug zu den materiellen Grundlagen einer Kultur (zu Unrecht, denn gerade beim Hahnenkampf geht es nicht zuletzt auch um Geld). Doch andere, wie etwa Robert Darnton oder Roger Chartier, übertrugen Geertz’ Methode in eindrucksvoller Weise auf die Analyse historischer Quellen der europäischen Vormoderne. Geertz hat mit seiner »dichten Beschreibung« wesentlich zur Methode der Mikro-Historie beigetragen und zudem den Boom der Erforschung symbolischen Handelns in der Geschichtswissenschaft befeuert.

Pierre Bourdieu

Im Werk des französischen Soziologen und Kulturanthropologen Pierre Bourdieu (1930–2002) spielt der Ritualbegriff zwar nur eine Nebenrolle; dieser war und ist aber gleichwohl sehr einflussreich für die interdisziplinäre Ritualforschung (Bourdieu 1982/1990; 1980/1993). Bourdieu fragt nach der impliziten Logik sozialer Praxis und nach den Regeln und Strategien, die die Strukturen sozialer Ungleichheit auf Dauer stellen, verstärken oder transformieren, sie dabei aber zugleich als natürlich und unverfügbar erscheinen lassen. In diesem Zusammenhang befasst er sich mit »rites d’institution«, was mit »Einsetzungsriten« nur unvollkommen übersetzt ist. Im Französischen hat das Wort einen bezeichnenden Doppelsinn: Riten der Einsetzung des Einzelnen in ein Amt, einen Status usw. sind zugleich Riten, die die gesamte Institution immer aufs Neue stabilisieren.

Bourdieu geht von van Genneps und Turners Konzept der Übergangsriten aus und weist auf deren blinden Fleck hin. Indem diese Rituale die Aufmerksamkeit auf den zeitlichen Übergang eines Einzelnen von einem Status in einen anderen lenkten, werde ein wesentlicher Effekt verdeckt, nämlich die Trennung derer, die sie durchlaufen können, von denen, die das nicht können. Beim Initiationsritual der Beschneidung, das er als Beispiel anführt, ist das die Trennung von Männern und Frauen. Das Ritual stiftet so eine dauerhafte Unterscheidung – ein Effekt, der umso wirkmächtiger ist, je mehr er sich der bewussten Wahrnehmung entzieht. Das Ritual sanktioniert einen gegebenen Unterschied – hier: den natürlichen Unterschied zwischen den Geschlechtern –, das heißt, es verwandelt ihn in eine sozial relevante institutionelle Unterscheidung, die von allen als selbstverständlich anerkannt wird. »Die Investitur, die feierliche Einsetzung (eines Ritters, Abgeordneten, Staatspräsidenten usw.) besteht darin, einen (existierenden oder noch nicht existierenden) Unterschied festzuschreiben und zu heiligen, ihn bekannt und anerkannt zu machen, ihm als sozialem Unterschied Existenz zu verleihen, gekannt und anerkannt vom instituierten Akteur selbst wie von anderen« (Bourdieu 1990: 86). Das Ritual stiftet klare Grenzen, wo sonst nur diffuse, fließende, kontinuierliche Übergänge wären. Diese Wirkmacht des Rituals nennt Bourdieu »soziale Magie«: Das Einsetzungsritual verwandelt sowohl das Verhalten des Eingesetzten als auch die Erwartungen seiner Umgebung an ihn, nämlich derjenige zu sein, als den ihn das Ritual darstellt und bezeichnet – vorausgesetzt, es vollzieht sich in einem institutionell anerkannten Rahmen. Der Begriff der sozialen Magie ist eine gezielte Übertragung aus dem Bereich des Religiösen auf den Bereich des Sozialen: Der Effekt ist ein rein innerweltlich-sozialer, aber er hat mit der Magie gemein, dass er durch einen äußerlichen Akt des Bezeichnens erzielt wird. Auf diesem Effekt beruhen institutionelle Ordnungen, die den Einzelnen als unverfügbar und objektiv erscheinen, obwohl sie von ihnen durch ihr kollektives Handeln immer wieder aufs Neue erzeugt werden.

Bourdieus Ritualtheorie macht verständlich, wie Institutionen, das heißt stabile soziale Ordnungen, funktionieren, nämlich durch ein Geflecht von kollektiven Instituierungsakten, die einander wechselseitig voraussetzen und stützen. Das Amt oder der Titel, den ein Einzelner durch ein Instituierungsritual erworben hat, autorisiert ihn wiederum dazu, in anderen Instituierungsritualen gegenüber anderen wirksam zu handeln. Jeder einzelne Einsetzungsakt reproduziert das institutionelle Geflecht als Ganzes und die sozialen Grenzziehungen, auf denen es beruht. Für die historische Ritualforschung, die sich mit Stabilität und Wandel institutioneller Ordnungen in der Geschichte befasst, war dieser Ansatz von größtem Einfluss.

Ritual studies seit den 1970er-Jahren

Victor Turner, Mary Douglas, Clifford Geertz, Pierre Bourdieu und andere trugen dazu bei, dass sich seit den 1970er-Jahren eine lebhafte interdisziplinäre Ritualforschung herausbildete. Die Kulturanthropologie wurde geradezu zu einer Leitwissenschaft, die in alle möglichen anderen Kultur- und Sozialwissenschaften ausstrahlte und eine wachsende disziplinübergreifende Verflechtung beförderte. Zugleich trat an die Stelle großer theoretischer Systeme eine Pluralität unterschiedlicher, eklektisch kombinierbarer Ansätze. Das hat zu einer regelrechten Hochkonjunktur der »ritual studies« in den Kulturwissenschaften geführt und hatte den Nebeneffekt, dass der Ritualbegriff immer weiter ausgedehnt und auf immer mehr Phänomene übertragen wurde, vom Einkaufsbummel bis zum Internet-Chat. Mit dem Journal of Ritual Studies (seit 1987) wurde eine eigene Zeitschrift gegründet; die Reihe ritualtheoretischer Monographien reißt nicht ab (Kertzer 1988; Staal 1989; Tambiah 1990; Humphrey/Laidlaw 1994; Rappaport 1999; Bell 1992 und 1997; Soeffner 2010; vgl. auch die Auszüge bei Belliger/Krieger 1998). Im letzten Jahrzehnt sind einige umfangreiche Sammelbände erschienen, die einen Eindruck von der Pluralität der Theorieansätze und Gegenstandsfelder vermitteln (Segal 1998; Rao 2000; Wulf/Zirfas 2003 und 2004; Kreinath/Snoek/Stausberg 2006; Michaels 2010; Seligman/Weller 2012). Welche Folgen hat das nun für die Geschichtswissenschaft?

1.2.2 Ritualforschung in der Geschichtswissenschaft

Es ist es noch nicht allzu lange her, dass die Geschichtswissenschaft Rituale als Thema für sich erschlossen hat. Ein historisches Phänomen als Ritual zu bezeichnen und in Begriffen der Ritualtheorie zu beschreiben, versteht sich keineswegs von selbst, sondern ist eine höchst voraussetzungsvolle und folgenträchtige Sache. Es macht einen erheblichen perspektivischen Unterschied, ob man etwa eine Krönung als Verfassungsakt oder als Ritual betrachtet, eine Fürstenhochzeit als Hoffest oder als Ritual, einen Volksaufruhr als politischen Konflikt oder als Ritual, und so fort. Zwar legten schon die Theorien von Klassikern wie Robertson Smith oder Durkheim es durchaus nahe, nicht nur religiöse, sondern auch politische und soziale Phänomene als Rituale zu verstehen, aber dieser Weg wurde von den Historikern lange Zeit nicht beschritten. Abgesehen von einigen klassischen historischen Studien aus der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts (von Marc Bloch, Ernst H. Kantorowicz und einigen anderen, vgl. Kap. 2.5) waren und blieben Rituale lange Zeit eine Domäne von Religionswissenschaft, Soziologie und Sozialanthropologie.

Traditionelle Politik- und Verfassungsgeschichte

Ein wesentlicher Grund dafür ist, dass die universitäre Geschichtswissenschaft traditionell eine nationalstaatliche Identifikationswissenschaft war, die die Bausteine zu den jeweiligen großen nationalen Meistererzählungen zusammentrug. Was zu der Genese der Nationalstaaten nicht passte, geriet selten in den Blick der historischen Zunft. Den Universitätshistorikern lag es ganz fern, in der Geschichte der eigenen Nation nach fremdartigen und archaischen Strukturelementen zu suchen. Die Geschichte der Sitten, Bräuche und sozialen Institutionen, der sogenannten »Privataltertümer« jenseits der Sphäre des Staates, wurde, wenn überhaupt, jenseits der etablierten historischen Zunft geschrieben; sie war Sache von Amateuren, Volkskundlern oder Heimatgeschichtsvereinen. Vor allem in Deutschland war die Kulturgeschichte seit dem »Lamprecht-Streit« der 1920er-Jahre für lange Zeit, weit über das Ende des Zweiten Weltkriegs hinaus, marginalisiert. Im Zentrum der Forschung standen Politik- und Verfassungsgeschichte, und dabei ging es um die historischen Wurzeln der Gegenwart.

In diesem Rahmen waren allerdings auch die zentralen Herrschaftsrituale Gegenstand der Historiographie, nämlich Kaiser- und Königsweihe oder -krönung, also solche Akte, die von verfassungsrechtlicher Relevanz schienen (siehe Kap. 2.5.1). Aber: Sie wurden nicht als Rituale bezeichnet. Was daran interessierte, war ihr »rechtskonstitutiver Kern«. So erschien etwa »die Krone« als materielles Substrat des zunehmend transpersonalen Staatsverständnisses der europäischen Monarchien. Was darüber hinausging, wurde gewöhnlich als zeremonielles Dekor angesehen, das von der Eitelkeit, Naivität und mangelnden Abstraktionsfähigkeit des »mittelalterlichen« oder »barocken« Menschen zeugte. Das führte zu bemerkenswert blinden Flecken in der Wahrnehmung der Quellen. So hat man beispielsweise der Goldenen Bulle von 1356, einem später so genannten »Grundgesetz« des Römisch-deutschen Reiches, das Wahl und Krönung des deutschen Königs betrifft, traditionell sehr viel Aufmerksamkeit gewidmet, aber schlicht darüber hinweggesehen, dass etwa ein Drittel dieses Textes sich mit symbolisch-rituellen Details befasst. Dafür interessierte man sich nicht, und deshalb fragte man sich auch nicht, welchen Sinn diese ausführlichen Bestimmungen eigentlich gehabt haben mochten. Man las den Text wie ein modernes Verfassungsgesetz, und was sich diesem Maßstab nicht fügte, das hielt man für irrelevant. Rituale galten als archaisch und passten nicht in die Großerzählung von der Entwicklung der abendländischen Staatlichkeit; sie waren das Primitive, Fremde, Irrationale, schlicht Andere. »Ritual« erschien als Gegenbegriff nicht nur zu Glauben, sondern auch zu Recht, Politik, Wissenschaft usw. In der seriösen Geschichtsschreibung hatte es daher – von Ausnahmen abgesehen – nicht viel zu suchen.

Französische Annales und englischsprachige Cultural history

Das änderte sich durch die Rezeption der großen kulturanthropologischen Theorien seit den 1970er-Jahren, die allerdings in den verschiedenen Ländern und epochalen Subdisziplinen der Geschichtswissenschaft in sehr unterschiedlichem Tempo erfolgte. In Frankreich hatte die historiographische Schule der Annales bereits seit den 1930er-Jahren einen tiefgreifenden Wandel weg von der klassischen Politikgeschichte eingeleitet, sodass die Rezeption neuer kulturanthropologischer Ansätze keinen Bruch bedeutete, sondern bereits auf fruchtbaren Boden fiel und an die Arbeiten der Annales-Schule nahtlos anknüpfen konnte (Georges Duby, Jacques Le Goff, Jean-Claude Schmitt, Mona Ozouf, Roger Chartier, Michel Vovelle u. v. a.). Eine ebenso prägende Rolle kam der »cultural history« in den englischsprachigen Ländern zu (Natalie Zemon Davis, Lynn Hunt, Peter Brown, Peter Burke, Robert Darnton, Janet Nelson, Karl J. Leyser u. a.). In Deutschland ging die Erneuerung der Geschichtswissenschaft in den 1970er-Jahren hingegen vor allem von der Sozialgeschichte aus, die statt einer hermeneutischen eine abstrakt-analytische Methode verfolgte und sich nicht an der Kulturanthropologie, sondern an den empirischen Sozialwissenschaften orientierte. Den Sozialhistorikern ging es um strukturelle Modernisierungs- und Rationalisierungsprozesse; für Rituale interessierten sie sich genauso wenig wie die alte Politikgeschichte.

Die Dominanz der Sozialgeschichte seit den 1970er-Jahren hat in Deutschland die Rezeption des »cultural turn« verzögert. Doch die intensive Polemik der Wortführer der »Bielefelder Schule« konnte nicht verhindern, dass sich auch in der deutschen Geschichtswissenschaft eine »kulturalistische Wende« vollzog. Das geschah allerdings nicht auf dem Feld der Neuen und Neuesten Geschichte, sondern vielmehr in der Mittelalter- und Frühneuzeitforschung, die der quantifizierenden empirischen Sozialwissenschaft von jeher eher distanziert gegenübergestanden hatte. Ihre Vorreiterrolle in dieser Hinsicht ist unbestritten; sowohl die Zeithistoriker als auch – erstaunlicher Weise – die Historiker der klassischen Antike haben die Einflüsse der Kulturanthropologie und damit den Ritualbegriff als forschungsleitendes Konzept erst später aufgenommen. Das hat verschiedene Gründe.

Frühe Pionierstudien: Bloch, Kantorowicz, Elias

Zum einen kann man anführen, dass in der Mittelalter- und Frühneuzeitforschung der Boden besser bereitet war, weil es einige große klassische historische Referenzwerke gab, die sehr früh ähnliche Fragen gestellt hatten. Das war zum einen das große Schlüsselwerk aus der ersten Generation der Annales, Marc Blochs Les rois thaumaturges (1924, dt. Die wundertätigen Könige, München 1998) über die Geschichte des Heilungsrituals, das sowohl in der französischen als auch zeitweise in der englischen Monarchie mit der Thronbesteigung des Königs verbunden war (siehe unten Kap. 2.5.1). Zum anderen ist das überaus einflussreiche Buch des deutschen Emigranten Ernst H. Kantorowicz, The King’s Two Bodies (1957), zu nennen (dt. Die zwei Körper des Königs, 1994), der in den spätmittelalterlichen Ritualen der französischen Herrscherbeisetzung eine Wurzel der Unterscheidung zwischen dem natürlich-sterblichen und dem mystisch-unsterblichen Körper des Königs aufgespürt hat (siehe unten Kap. 2.5.1). Für die Frühneuzeitforschung ist das Werk des Soziologen Norbert Elias über Die höfische Gesellschaft (1969/2002) von ähnlich prägendem Einfluss gewesen (siehe unten Kap. 2.1), worin dem Hofzeremoniell eine politische Schlüsselrolle für die Herausbildung des Absolutismus beigemessen wird.

Allen diesen epochemachenden Werken ist gemeinsam, dass sie von einem besonders fremdartigen und aus heutiger Sicht befremdlichen symbolisch-rituellen Phänomen ausgingen und es in das Zentrum ihrer Aufmerksamkeit stellten: der Glaube an die wundersame Heilkraft der Könige, die bis ins 18. Jahrhundert erhalten blieb; die Mitführung einer künstlichen Nachbildung des verstorbenen Königs bei dessen Beisetzung; die Konkurrenz der Höflinge Ludwigs XIV. um scheinbar belanglose zeremonielle Handreichungen. In allen Fällen empfanden die Verfasser diese rätselhaften Phänomene als hermeneutische Herausforderung: Gerade das besonders Fremdartige und vermeintlich Irrationale galt es zu verstehen; gerade hier vermuteten sie den Schlüssel zum Verständnis der gesamten Institution des Königtums. Solange es nicht gelang, die verborgene Logik dieser Phänomene aufzudecken, konnte man nicht beanspruchen, das Handeln und die Mentalität der betreffenden Gesellschaft verstanden zu haben. Gegenüber der traditionellen historischen Herangehensweise bedeutete das eine vollständige Umkehrung der Perspektive.