Rückkehr in die Ewigkeit - Dieter Reinecker - E-Book

Rückkehr in die Ewigkeit E-Book

Dieter Reinecker

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Beschreibung

Ein Weltraumwissenschaftler schaut über 30 Jahre täglich in seinen Monitor und beginnt, seine Gedanken in seine Lebenswirklichkeit zu transportieren. Er gerät in die Fänge seiner Außerirdischen und findet Vergleiche zu seiner ersten Liebe, die er sein Leben lang unter Schuldgefühlen mit sich getragen hatte. Er beginnt, in seiner virtuellen Welt zu leben, sie wird seine Realität, und er flieht …. Wer diesen Roman gelesen hat, wird ihn in seinem Leben nicht mehr vergessen!

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Für meine Frau Beate in ewiger Liebe…

Inhaltsverzeichnis

Kapitel 1

Kapitel 2

Kapitel 3

Kapitel 4

Kapitel 5

Kapitel 6

Kapitel 7

Kapitel 8

Kapitel 9

Kapitel 10

Kapitel 11

Kapitel 12

Kapitel 13

Kapitel 14

Kapitel 15

Kapitel 16

Kapitel 17

Kapitel 18

Kapitel 19

Kapitel 1

„Wieso verstehen Sie unsere Sprache? Sie sprechen deutsch ohne Akzent. Wenn wir es nicht genau wüssten, könnten wir es nicht glauben, dass Sie nicht von dieser Welt sind…“

Dr. Weigell mit zwei L runzelte die Stirn und starrte durch die dicke Scheibe aus Sicherheitsglas geradezu in die hellen, fast zitronengelb schimmernden Augen seines Gegenübers. Der Mann aus dem Weltall, wenn es sich überhaupt um einen Mann handelte, hielt dem Blick stand und antwortete ohne jede Gefühlsregung. Aber er antwortete nicht kalt, sondern eher verständnisvoll. Er beugte sich ein wenig zum Standmikrofon, seine Hände weiterhin hinter sich versteckt haltend, und antwortete:

„Wörter, Sätze, Texte, ob geschrieben oder gesprochen, unterliegen erkennbaren Strukturen und spiegeln die gedankliche Welt der Gehirne wider, die sie produzieren. Diese Strukturen kann man komprimieren und als kompakte Dateien internalisieren. Der intellektuelle Transformationsprozess gleicht einem Lernprozess ohne Beschränkungen subjektiver Wahrnehmung und ohne Annexion individueller Affekte. Auch Gott hat dazugelernt.“

Weigell drehte seinen Kopf in die Richtung der Zuschauergruppe und fing den Blick von Dr. Zurhove auf. Dr. Zurhove war nicht nur Hirnforscher, sondern auch studierter Theologe und stritt sich seit Jahren mit den Evolutionsbiologen im Institut über die Existenz Gottes. Dr. Weigell wandte sich wieder an die außerirdische Person. Um seiner Frage ein stärkeres Gewicht zu verleihen, richtete er sich auf:

„Wollen Sie damit sagen, dass auch Sie Geschöpfe Gottes sind?“

„Ja“, war die klare und unmissverständliche Antwort hinter dem Glas. Ein Raunen ging durch die Zuschauergruppe. Dr. Weigell sah, dass Dr. Zurhove unauffällig wohlwollend nickte.

„Haben Sie bewusst die Erde angesteuert?“rief ein junger Wissenschaftler von der hintersten Reihe.

„Ja. Und ich freue mich, und das meine ich sehr ernst, dass Sie unser Raumschiff nicht angegriffen und zerstört haben. Das war unsere größte Sorge. Wir wissen um die immer noch vorhandene Aggressivität der Erdenmenschen. Wir mussten mit allem rechnen und haben uns daher Ihrer Technik, zu mindestens vom äußeren Erscheinungsbild bedient.“ „Das kann man wohl sagen. Wir konnten uns nicht vorstellen, dass man uns einen Besuch aus dem All mit einem Propellerflugzeug abstattet. Das war schon sehr clever. Erst im letzten Moment erkannten wir, dass sich die Propeller gar nicht bewegten und das Flugzeug trotzdem keine Bruchlandung hinlegte, sondern geräuschlos wie auf einer Eisbahn landete. Außerdem ist unser Tower davon ausgegangen, dass Ihre Technik ausgefallen sein musste, da es überhaupt keinen Funkspruch gab und keine Anfrage-Erlaubnis zur Landung. Unsere Feuerwehrleute haben auch nicht schlecht gestaunt, dass nur eine Person an Bord war, nämlich Sie, in einem grauen Anzug mit einer grauen Fliege und einem breitkrempeligen gelben Flanellhut aus den zwanziger Jahren des vorigen Jahrhunderts.“

Der Mann aus dem Weltall hätte eigentlich schmunzeln müssen, aber er tat es nicht. Er war nicht gefragt worden, also sagte er wohl auch nichts. Dr. Zurhove hob seinen rechten Arm wie ein Schuljunge, der den Lehrer animieren wollte, ihn „dran“ zu nehmen. Dr. Weigell nickte und Dr. Zurhove ergriff das Wort:

„Wie möchten Sie, dass wir Sie ansprechen? Haben Sie in Ihrer Welt auch Einzelnamen? Ich habe nämlich, wie man sagen könnte, sehr persönliche Fragen, besonders zum Thema Gott.“

Das Gesicht von Dr. Zurhove errötete sich leicht und seine Nervosität war ihm anzumerken. Dr. Weigell ergriff mit beiden Händen die Tastatur vor seinem Monitor. Sein Gehirn schien an Fragen überzuschwappen. Eine merkwürdige Freude entlud sich wie ein speiender Vulkan. Seine Aufregung stieg ins Unermessliche.

„G, A, B und I, GABI“, quoll langsam aus den Lautsprechern. Schmunzeln und ein sanftes Kichern überzog die Zuschauer.

„Erst G, dann A, dann B und dann das I für die Region. Das sind Geburtskoordinaten, die sowohl die genetische Herkunft, als auch die Zeitachsen kombinieren. Wir wissen natürlich, dass Erdenmenschen einige weibliche Exemplare so bezeichnen, aber auf unserem Planeten gibt es keine Geschlechter wie bei Ihnen. Erst als wir das Klonen, das Sie auch bereits entwickelt haben, bei uns durchführten, haben wir uns im wörtlichen Sinne vermehrt. Aber diese neuen Mitbewohner hatten und haben eine begrenzte Lebensdauer. Die Unsterblichkeit ließ sich bis jetzt noch nicht mitklonen. Wir haben das Programm beendet und forschen nur noch nach der Möglichkeit, die Unsterblichkeit bei den bereits existierenden Wesen zu entwickeln. Durch diese neuen Wesen waren zum Teil verheerende Verhältnisse entstanden, die der Ihren sehr nahe kommen. Ich bin als Klonwesen dem Tod sowieso ausgeliefert und habe mich daher für diese Expedition entschieden, in der Hoffnung, vielleicht hier etwas zu finden, dass mich länger leben lässt. Denn wir wissen, dass die Erdenmenschen schon seit ihres evolutionären Sprungs vom Tierreich daran arbeiten, ihre Lebensdauer zu verlängern.“

„Wollen Sie damit sagen, dass Sie sterblich sind, weil man Sie geklont hat und Ihre Erbauer, oder wie man sie nennen sollen, unsterblich sind?“ Zurhoves Stimme begann zu zittern.

„Ja.“

Die Antwort war so klar und mit einer Selbstverständlichkeit ausgesprochen, die nicht nur keinen Widerspruch zuließ, sondern eine brutale Stille im Raum schuf. Das Gehörte war nicht begreifbar, es bereitete Schmerzen, waren doch alle Anwesenden vom Sterben bedroht, der Tod für alle unausweichlich. Dr. Weigell stellte sich seiner Aufgabe als Interviewer und Sprecher der wissenschaftlichen Zuhöherergruppe. Er holte tief Luft, aber es kam nicht mehr heraus als:

„Das ist unglaublich.“

Da Herr GABI nur auf Aufforderung sprach und nicht einfach los plapperte, blieb er stumm. Als Klonwesen war er so sozialisiert, absichtlich, denn es hatte sich als eine gewisse Art von Tugend herausgestellt, dass im Sprechen Sinn zu sein habe. Irgendwie warteten alle darauf, dass Herr GABI beginnen würde zu erzählen. Aber er blieb stumm. Pausen zum Denken waren Menschen in allen Zeiten zuwider und unangenehm. So konnte Dr. Zurhove nicht länger an sich halten und musste weiter fragen:

„Sie behaupten, Ihre Schöpfer seien Geschöpfe eines Gottes und sie, also nicht Sie meine ich, sondern nun mal eben die besagten anderen auf Ihrem Planeten seien unsterblich?“

„Ja.“

Da war sie wieder, diese Stille. Dr. Zurhove gewann langsam seine Sicherheit zurück und fühlte irgendwie in dem Außerirdischen einen Mitstreiter im Kampf gegen seine atheistischen Mitwissenschaftler.

„Herr GABI, wenn ich Sie so nennen darf“, er wollte eigentlich weitersprechen, wurde aber durch ein kräftiges

„Ja“ unterbrochen und wiederholte sich.

„Also, Herr GABI, vielen Dank. Also, was verstehen Sie unter Gott? Wenn ich Sie richtig verstanden habe, gibt es Ihrer Meinung nach einen Gott?“

„Ja.“

„Einen Gott, der alles erschaffen hat?“

„Nein. Mich hat er nicht erschaffen. Ich bin ein Klonwesen, darum sterblich. Sie sind Erdenwesen aus dem Tierreich, darum sterblich, aber vom Ursprung her eine Schöpfung Gottes. Aufgrund Ihrer Evolutionsgeschichte hat Gott auf unserem Planeten seinen Fehler korrigiert und alle Zeitlosen auf einmal geschaffen und zwar genau so viele, wie der Planet an Nahrung zur Verfügung stellt. Darum brauchten sie sich nicht zu vermehren und sich nichts gegenseitig wegzunehmen, geschweige sich gegenseitig umzubringen.“

Weigell hatte den Eindruck, dass Herr GABI gesprächiger wurde. Der Eindruck war richtig, aber nicht die Ursache. Herr GABI lernte unentwegt hinzu und passte sich den Ansprüchen und Gewohnheiten der Erdenwesen an. Mehr nicht. Aber es führte dazu, dass seine Ausführungen umfangreicher wurden. Dr. Weigell ergriff wieder das Wort, weil er wohl über eine Spitzfindigkeit von Herrn GABI ihn möglicherweise doch noch der Scharlatanerie überführen wollte:

„Wenn Sie, also Ihre Erbauer, oder wie soll man sie nennen, wenn also Ihre Erbauer unsterblich sind, können sie sich ja auch gar nicht töten.“

„Ich fasse Ihre Vermutung als Frage auf. Wir haben es noch nicht versucht. Es hätte keinen Sinn ergeben. Wir sind nicht aus dem Tierreich. Bei uns gibt es keine Tiere. Darum verstehen wir auch euch nicht, wie man Tiere, die evolutionsbiologischen Vorfahren, töten und verspeisen kann. Wir ernähren uns von dem, was Sie Früchte nennen. Aber diese Früchte entstehen nicht wie auf Ihrem Planeten der Erde aus Blüten, sondern direkt aus den Pflanzen wie bei Ihnen die Feigen, die direkt oder auch aus Blüten bestehen. Außerdem haben wir ein verbessertes Selbstheilungs- und Immunsystem, sodass selbst schwere Verletzungen durch Unglücke ohne Hinzufügung von Heilern sich wieder regenerieren. Gottes erster Versuch auf der Erde füllt bis heute die Krankenhäuser. Wir hatten lange Mühe, eure Begriffe wie Elend, Hunger und Not und Tod zu verstehen, bis wir selbst anfingen zu klonen und nun nicht weiter wissen.“

Der Mann aus dem All hatte bis jetzt vor dem Mikrofon gestanden. Das Sprechen schien ihn doch sehr anzustrengen. Weigell spürte diese Anstrengung. Herr GABI setzte sich auf den verchromten Stuhl ohne Armlehnen und legte seine Hände parallel auf seine Knie. Es waren auffällig kleine Hände, Kinderhände. Dr. Weigell spürte mit den Händen seine eigenen Knie.

Vor der riesigen Glaswand im Zuschauerbereich begann ein leises Tuscheln, Grummeln und Flüstern.

Plötzlich war ein mechanisches, metallisches Summen zu hören. Die zwanzig Herren drehten sich um, da sich die hintere Isolationstür langsam automatisch öffnete und der Vorsitzende des Wissenschaftsrates, Prof. Dr. Lohaus, in einen hell-grünen Kittel gehüllt, den Vorlesungssaal betrat.

Als er sah, dass die ganze Aufmerksamkeit nun auf ihn gerichtet war, blieb er stehen. Im Raum wurde es gleichzeitig still.

„Verehrte Kollegen. Sie können mir glauben, dass ich Ihnen Herrn GABI erst vorgestellt habe, nachdem ich mich überzeugt hatte, dass wir es hier tatsächlich mit einem Wesen zu tun haben, das wir nicht zuordnen können.“

Seine Stimme begann leicht zu flattern. Er blickte zur kleinen Bühne hinter der Scheibe zu Herrn GABI und während er den Kopf schüttelte, sprach er leise weiter:

„Wir stehen hier nicht nur vor einem wissenschaftlichen Problem, hier steht die Menschheit vor dem größten Problem ihrer eigenen Geschichte und Sie hier und ich, wir allein sind verantwortlich. In unserer Gewalt … in unserer Macht … wir müssen entscheiden … wir wissen noch nicht einmal, worüber wir entscheiden sollen. Liebe Kollegen, ich bin auf Sie angewiesen. Erstens auf Ihre absolute Verschwiegenheit, die sie alle geschworen haben und von der ich nun auch ausgehen muss und auf Ihre uneingeschränkte Mithilfe. Ich weiß, da ich es selbst in der letzten Woche durchstehen musste, dass es mehr als schwer ist, nach Dienstschluss nach Hause zu gehen und der eigenen Frau, den Kindern oder besten Freunden nichts, aber auch gar nichts zu berichten. Wir können es uns nicht einmal erlauben, unserer Regierung, dem Weltsicherheitsrat oder sonst irgendjemanden einzuweihen. Meine Fantasie, nein, die Fantasie von uns allen hier wird nicht ausreichen zu erfassen, wie die Welt auf diese Entdeckung reagieren wird. Ich persönlich befürchte das Schlimmste. Wir wissen noch nicht einmal, ob das, was der sogenannte Herr GABI von sich gibt, nur eine Täuschung ist, um dann im nächsten Schritt die Menschheit auszumerzen oder zu versklaven. Wir haben es auf jeden Fall mit einer extrem hohen Intelligenz zu tun, die wir auf keinen Fall unterschätzen dürfen. Er behauptet, er sei alleine hier angekommen. Schon das allein ist für mich unvorstellbar.“

Prof. Dr. Lohaus zitterte am ganzen Körper. Seine rechte Hand vibrierte, als er sich über die hohe, von Schweiß glänzende Stirn und dann über die dünnen, weißen Haare fuhr.

Dr. Weigell erhob sich.

„Herr Professor, Sie können sich hier auf jeden Einzelnen absolut verlassen. Seit dem Bau der Atombombe ist uns Wissenschaftlern die Verschwiegenheit und die Verantwortung unserer Forschungen ins Gehirn geritzt worden.“

„Verehrte Kollegen. Der Plan unseres Vorstandes war, Ihnen Herrn GABI erst einmal nur kurz vorzustellen, damit Sie ausreichend Zeit bekommen, sich mit diesem Phänomen, sagen wir mal, anzufreunden, soweit das überhaupt möglich ist. Wir haben Herrn GABI nun bereits eine Woche in der Quarantänestation und unter Beobachtung. Heute Abend wird der erste Bericht verfasst, über alles, was wir gesehen und erkannt haben. Herr GABI hat sich bereit erklärt, sich auch körperlich untersuchen zu lassen. Unsere Mediziner, ein Internist, ein Anthropologe und ein Neurologe haben bereits einen Kernspin vorbereitet. Die Ergebnisse sollen in drei Tagen vorliegen. Unser Vorstand besteht aus drei Personen, dann die drei Mediziner und Sie sind neunzehn Wissenschaftlern aus allen Wissenschaftsbereichen der Grundlagenforschung. Nur wir fünfundzwanzig Menschen wissen über die Existenz von Herrn GABI. Und das soll und muss auch so bleiben, bis wir uns anders entscheiden. Der Vorstand hat mich beauftragt, Ihnen jeglichen Alkoholgenuss zu verbieten. Wir dürfen keinen Fehler, absolut keinen Fehler machen. Die möglichen Folgen wären unabsehbar.

Bitte gruppieren Sie sich in wissenschaftlich sinnvolle Abteilungen und arbeiten in diesen Gruppen alle Fragen und Themen aus, die uns hier weiterbringen.“

Das Licht hinter der Scheibe verschwand und mit ihm die Kontur der außerirdischen Person. Tief beeindruckt, regelrecht sprachlos schritten die Wissenschaftler zur Tür hinaus in den hellen, grell erleuchteten Flur ohne Fenster. Erst hier löste sich langsam die Anspannung und ein gespenstisches Stimmengewirr durchströmte den kargen Gang.

Dr. Weigell starrte auf seinen schwarzen Monitor, auf dem sich fast unmerklich kleine weiße Punkte bewegten. Dann blickte er zur Tür, die zum Flur führte. Er hörte auffällig viele Stimmen. Normalerweise ist dieser Flur menschenleer. Er stand auf und ging hinaus. Einige Kollegen waren bereits rechts am Ende des Flures angelangt. Da kam von links Dr. Zurhove und ein jüngerer Mann, einen halben Kopf größer, schlaksig mit langen, glatten, schwarzen Haaren. Er nahm an seiner Seite den Schritt auf. Dann hörte Dr. Weigell den jungen Mann sagen:

„Mein Name ist Morrison, Mike, Mike Morrison. Ich bin Sozialforscher aus Philadelphia, USA, komme eigentlich aus der Physik und habe aber Philosophie und Theologie studiert, Bachelor, und habe meine Heimat aber dann in der Soziologie gefunden – Menschen in Raumschiffen. Bitte seien Sie so freundlich und nehmen Sie mich in Ihre Gruppe auf!“

Man konnte seinen amerikanischen Akzent erkennen, aber sein Deutsch war perfekt. Dr. Zurhove blieb vor Weigell stehen und streckte an ihm vorbei die Hand entgegen und sagte gleichsam beiläufig:

„OK, Mister Morrison, Herr Dr. Weigell wird sicherlich nichts dagegen einzuwenden haben.“

Weigell schüttelte den Kopf und reicht ihm auch die Hand.

„Wir sind auf dem Weg zur Kajüte, ist doch OK für Sie?“ fragte Dr. Zurhove Herrn Morrison. Dr. Weigell schloss sich wie selbstverständlich den beiden an.

Das Wissenschaftszentrum befand sich zwar zwischen Hamburg und Wilhelmshaven, aber die Mitarbeiter kamen aus der ganzen Welt hierher, um fächerübergreifend zu forschen und sich auszutauschen. Die Architekten hatten sich daher etwas Besonderes einfallen lassen, eine Kantine, bestehend aus unzähligen kleinen Sitzecken, zum Teil sogar mit einer eigenen Tür oder nur mit Wänden abgetrennten kleinen Räumen in dem jeweiligen Ambiente der Herkunftsländer. Es gab sogar eine bayrische Stube, eine japanische und brasilianische Ecke mit Dekopalmen und eben auch diese besagte Kajüte im Stile eines Seemannskutters.

An der Rückwand hing ein Flachbildschirm mit den aktuellen Speisen und Getränken, die man per Touchscreen bedienen konnte.

Es war ein runder, rustikaler Holztisch mit sechs Holzstühlen, deren Sitze geflochten waren.

„Hier haben wir genug Platz, um uns kulinarisch auszubreiten“, schwärmte Dr. Zurhove. Mike Morrison wartete, bis die beiden älteren Kollegen ihren angestammten Platz eingenommen hatten.

„Ich kann Ihnen durchaus unseren Labskaus empfehlen, wo wir doch hier an der Küste sind“, erklärte Dr. Weigell. Mike Morrison sah ihn fragend an:

„Labs was? Ich muss leider gestehen, dass ich ein solches Gericht nicht kenne. Oder war das nur ein Spaß?“

„Franz-Helmut, das ist dein Part. Erklär´ doch mal unserem Greenhorn, was Labskaus ist!“

Dr. Zurhove, also Franz-Helmut, stand auf und drehte sich beim Sprechen zum Bildschirm an der hellblauen Rückwand:

„Ich bestell´ am besten für uns drei Labskaus und ein friesisches Pils dazu.“

Und während er in Sekundenschnelle den passenden Button drückte und keinen Widerspruch duldete, erklärte er:

„Für die klassische Zubereitung wird gepökeltes Rindfleisch in etwas Wasser gekocht und mit eingelegten Rote Bete, Salzgurken, Zwiebeln und Matjes durch den Fleischwolf gedreht. Anschließend wird es in Schweineschmalz gedünstet und in der Kochbrühe gekocht. Zum Schluss werden Stampfkartoffeln untergerührt. Dann kommt der Labskaus mit Rollmops oder Bismarckhering, Spiegelei und Gewürzgurke auf den Tisch.“

„Das klingt ja fast so außerirdisch…“

„Moment“, unterbrach Dr. Zurhove Herrn Morrison:

„Haben Sie unser Versprechen vergessen? Das geht hier gar nicht, nicht einmal andeutungsweise!“

Der Tonfall war zu hart für die sich entspannende Situation. Dr. Zurhove hatte es wohl sofort selbst gemerkt, aber Dr. Weigell kam ihm noch zuvor:

„Franz-Helmut, er hat ja noch nichts gesagt. Ich weiß, dass wir alle absolut angespannt sind und dass uns das ganze Thema völlig überfordert. Wir werden morgen im Sicherheitsbereich mal alles genau besprechen, was wir und wie wir außerhalb darüber reden können. Hier muss jetzt erst einmal Schluss sein. Guck dir mal unseren Jungspund an. Du hast ihn derart schockiert, er ist ganz blass im Gesicht. Ach die Getränke kommen.“

Eine ältliche Bedienung mit weißer Schürze und einem runden Tablett stellte vor jeden Gast ein Glas ab und fragte höflich.

„ Auf welche Nummer darf ich das eingeben?“

„Bei mir“, überschlug sich sofort Dr. Zurhove.

„Das ist ja wohl Ehrensache.“

„Das Essen geht auf meine Nummer, die kennen Sie ja, Gertrud, Ihr seid natürlich meine Gäste. Herr Morrison, entschuldigen Sie noch einmal. Wie Sie unschwer erkennen können, ist das für uns alle keine alltägliche Situation. Wo hat man Sie eigentlich untergebracht?“

Bevor Mike Morrison antworten konnte, hob Dr. Zurhove sein schlankes Pilsglas mit der weißen Schaumkrone und sagte:

„Zum Wohle, meine Herrn, auf eine erfolgreiche Zusammenarbeit!“

Sie hoben die Gläser wie ehemalige Burschenschaften, wischten sich mit einem genüsslichen Aahh den Schaum von der Oberlippe und setzen sich wieder.

„Im Youth – Hospital am Deich bei Otterndorf“, ergriff Morrison das Wort.

„Oh, mein Gott, das sind ja noch über fünfzig Kilometer von hier, und ob dahin mitten durchs platte Land heute Abend noch Busse fahren, wage ich zu bezweifeln“, argwöhnte Dr. Weigell.

„Das sieht wirklich schlecht aus“, warf Dr. Zurhove ein.

„Herr Morrison, was halten Sie von dem Vorschlag, bei mir zuhause zu übernachten, meine Frau würde sich garantiert freuen und meine Töchter…“

Dr. Weigell stoppte mitten im Satz. Das Essen wurde serviert.

„Vielen Dank, wenn ich Ihnen nicht zur Last falle. Ich freue mich, Ihre Familie kennen zu lernen, vielen Dank.“

Herr Morrison stand auf, beugte sich höflich vor und streckte Dr. Weigell seine rechte Hand entgegen.

„Nicht so förmlich. Wir sind zwar alle hier für dieses Projekt kurzfristig berufen worden, aber ich geh` davon aus, dass es für länger sein wird. Wir werden uns zusammenraufen müssen, so oder so, aber lieber so…“ und erhob sein Glas, hob es in Richtung Morrison hoch und sagte weiter:

„Sie gefallen mir, mein junger Freund, wenn wir schon dabei sind, Mike, ich bin Stephan.“

Morrison nahm diese Einweihung gerne entgegen und auch Dr. Zurhove empfahl sich als Franz-Helmut. Morrison sah man an, dass er mit dieser persönlichen Anbahnung sehr zufrieden war, aber es ging ihm doch alles zu schnell oder auch zu glatt. Geschickt zog er aus der Innentasche seines Jacketts sein Mobil-Telefon und fingerte scheinbar suchend nach der entsprechenden App.

„Ich habe Glück, ein letzter Shuffle fährt noch um null Uhr. Das kommt mir gut aus. Und außerdem, Ihre Frau wäre gar nicht auf Besuch eingestellt. Aber ich komme auf Ihr Angebot zurück, ganz sicher, versprochen.“

Dr. Weigell akzeptierte diese Wendung mit einen Kopfnicken und spürte innerlich sogar eine sanfte Erleichterung. Seine Frau war zwar sehr aufgeschlossen, gerade auch Fremden gegenüber, aber es wäre doch in gewisser Hinsicht eine Art Überfall gewesen, so mitten in der Nacht.

Kapitel 2

„Meine Herren, im Namen des Vorstands begrüße ich Sie zur zweiten, sagen wir mal, Konfrontation mit Herrn GABI. Zuvor will ich Ihnen aber den Stand der bisherigen Analysen darlegen. Bei unserem gemeinsamen Treffen vor drei Tagen haben Sie sich einen ersten Eindruck verschaffen können, der mehr Fragen als Antworten produzierte, um nicht zu sagen: provozierte. Unsere eingeweihten Neurobiologen, Biologen und Mediziner haben die letzten drei Tage und Nächte damit verbracht, Herrn GABI zu untersuchen. Nach allem, was sie feststellen konnten, handelt es sich um einen gewöhnlichen Menschen, einen Mann von 41 Jahren, ohne auffällige Anomalien. Er ließ auch alles ohne Kommentar über sich ergehen,