Rückkehr ins Paradies - Helmut Schlegel - E-Book

Rückkehr ins Paradies E-Book

Helmut Schlegel

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Beschreibung

Warum sind Menschen glücklich? Nicht weil sie viel Geld haben und sich alles leisten können. Glücklich sind Menschen, die versöhnt leben. Versöhnt mit sich selbst, mit ihren Mitmenschen, mit ihrem Schicksal, mit Gott. Versöhnung – das ist eine ausgestreckte Hand, ein konstruktives Streitgespräch, die zärtliche Umarmung, aber auch der hoffnungsvolle Kampf gegen Ursachen der Ungerechtigkeit und die Zerstörung der Schöpfung. Dieses Buch geht der biblischen Spur von Glück und Unglück, von Schuld und Vergebung nach. Aber auch der Frage: Was hilft uns, uns mit unseren Brüchen zu versöhnen? Die Rückkehr zum Paradies ist keine Verheißung für das "Danach" oder eine utopische Fiktion. Versöhnung ist trotz aller Verwundungen und Störungen ein Weg zum Glücklich-Werden im Hier und Jetzt. → Versöhnung - ein Weg, um glücklich zu werden

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Helmut Schlegel

Rückkehr ins Paradies – Vom Glück eines versöhnten Lebens

Franziskanische Akzente

herausgegeben von Mirjam Schambeck sf und Helmut Schlegel ofm

Band 32

HELMUT SCHLEGEL

Rückkehr ins Paradies – Vom Glück eines versöhnten Lebens

Herzlicher Dank geht an Eva Pollitt für die sorgfältige Zuarbeit bei den Korrekturen und an die Sponsorinnen dieses Bandes, die nicht genannt werden wollen.

Der Umwelt zuliebe verzichten wir bei diesem Buch auf Folienverpackung.

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek

Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über ‹http://dnb.d-nb.de› abrufbar.

1. Auflage 2022

© 2022 Echter Verlag GmbH, Würzburg

www.echter.de

Umschlag: wunderlichundweigand.de

Umschlagfoto: Elisabeth Wöhrle sf

Satz: Crossmediabureau, Gerolzhofen

E-Book-Herstellung und Auslieferung: Brockhaus Commission, Kornwestheim, www.brocom.de

ISBN

978-3-429-05720-6

978-3-429-05188-4 (PDF)

978-3-429-06550-8 (ePub)

Inhalt

Vom Glück eines versöhnten Lebens – ein Vorwort

1.„Ich bin Leben, das leben will“

Die Sehnsucht nach Nähe und Distanz

Die Sehnsucht, ganz und eins zu sein

Die Sehnsucht, ich selbst zu sein

Kräfte, die sich widerstreben und ergänzen

Anziehen und abstoßen – so geht Physik

Zusammensein und sich absondern – so geht Leben

Sich suchen und sich meiden – so geht Menschsein

2.Der Versöhnung bedürfen

Göttliche Mathematik oder der Unterschied zwischen EINS und zwei

Wurzelsünde Hybris: sein wollen wie Gott

Wurzelsünde Eifersucht: wenn andere besser sind

Gottes Versöhnungsangebot: Licht am Ende eines langen Tunnels

„Ich verurteile dich nicht!“ (Joh 8,11) – Jesu Umgang mit Schuld und Versagen

3.Was Versöhnung (nicht) ist

Versöhnung ist Neuanfang, nicht Müllentsorgung

Versöhnung ist Friedensbewegung, nicht Waffenstillstand

Weg des Verzichts: leer werden und loslassen

Weg des Labyrinths: suchen nach der Mitte

Weg der Gnade: neugeboren werden

Versöhnung ist Heilung unheilvoller Prägungen

4.Wie Versöhnung gehen kann

Der jesuanische Versöhnungsweg

Der franziskanische Versöhnungsweg

Versöhnt mit den Geschöpfen

Versöhnt mit dem Vater

Versöhnt mit Andersdenkenden

Konkrete Schritte

Versöhnung mit sich selbst

Dekalog der Selbstannahme

Versöhnung in Beziehung

Dekalog des Vergebens

Rückkehr ins Paradies – Versöhnung mit Gott

Anmerkungen

Abkürzungsverzeichnis

Zum Weiterlesen

Vom Glück eines versöhnten Lebens – ein Vorwort

Was Glück ist, kann niemand genau definieren, aber wir alle haben Vorstellungen, Träume und Bilder vom Glück. Diese sind in der Regel sehr bunt und schön. Dagegen riecht das, was wir uns unter Versöhnung vorstellen, eher nach Anstrengung und verstaubter Langeweile. Versöhnung – heißt das nicht: nachgeben, einen Kompromiss schließen, nicht mehr dran denken, beide Augen zudrücken, gute Miene zum bösen Spiel machen, so tun, als wäre alles vergessen?

Ich möchte Sie einladen, andere Vorstellungen zuzulassen: das Bild von einer ausgestreckten Hand, von einem konstruktiven Streitgespräch, vom Stein, der vom Herzen fällt, von der befreienden Kraft der Vergebung, vom bunten Farbenspiel eines Versöhnungsrituals, von einer zärtlichen Umarmung, von der Kreativität eines Neuanfangs. Glück ist nicht zuletzt auch versöhntes Leben.

Um dem Geheimnis der Versöhnung auf die Spur zu kommen, ist Menschenkenntnis nötig: Wie ticken wir überhaupt? Was ist der Grund unserer Verschiedenheit? Warum entzweien wir uns, wo wir doch eins sein wollen? Wie gelingt das Balancespiel zwischen Nähe und Distanz? Warum gehören zum Glück auch Momente des Loslassens und Sich-Entfernens? – Fragen, die unsere Existenz betreffen. Unser Lebensgefühl, unsere Wertvorstellungen und unser soziales Verhalten haben viel mit unseren kindlichen Prägungen zu tun. Wir suchen von Anfang an viel Nähe und Geborgenheit, andererseits entwickeln wir bereits in der Kindheit das Bedürfnis nach Autonomie und einem selbstbestimmten Leben. Weil wir gerade in unserem Durst nach Liebe und in unserem Streben nach Selbstständigkeit Enttäuschungen und Verletzungen erfahren und verursachen, bedürfen wir der Versöhnung. Es ist sozusagen die dritte Kraft, die uns zufrieden macht: mit uns selbst, mit unserer Mitwelt, mit dem Urgrund des Seins, den wir Gott nennen. Mit diesen Themen beschäftigt sich der erste Teil dieses Buches.

Versöhnung ist mehr als der Kitt für zerbrochene Beziehungen. Mehr als die Klärung der Schuldfrage. Gewiss geht es auch darum, Schuld zu benennen und mit ihr umzugehen. Wir kennen den Schmerz des Verlassenwerdens. Wir kennen die Spirale, wie aus Verletztheit neue Verletzungen geboren werden. Wir wissen um so viele Zerwürfnisse. Die Religionen sprechen von „Sünde“ und meinen damit: Absonderung, Zurückweisung, Egomanie, missbrauchte Liebe. Wenn wir die Frage stellen, was Versöhnung ist, kommen wir um die Frage, was Sünde ist, nicht herum. Unser deutsches Wort Versöhnung kommt etymologisch wohl vom Stammwort „Sühne“ her. Wenn ich das großartige Gleichnis vom barmherzigen Vater im Lukasevangelium lese, dann darf das Wort „Versöhnung“ wohl mit Fug und Recht auch im Kontext der Eltern-Kind-Beziehung gesehen werden. Die Bibel nennt die Zerwürfnisse zwischen Eltern und Kindern (und damit auch die Zerwürfnisse zwischen Gott und Mensch) Sünde. Der für eine gesunde Entwicklung unumgängliche Sonder-Weg wird oft zum zerstörerischen Ego-Weg. Darum bedürfen wir der Heilung. Ein neuer, durch die moderne Psychologie und die heutige Exegese freigelegter Zugang zum Begriff von Sünde kann hier helfen. Darum wird es im zweiten Teil gehen.

Im dritten Teil sollen unterschiedliche Aspekte von Versöhnung dargestellt werden. Tatsächlich hat Versöhnung sehr verschiedene Farben. Versöhnung ist mehr als die Wiederaufnahme abgebrochener Kommunikation. Sie ist eine Wurzelheilung des in seiner Existenz verunsicherten Menschen, eine Heilung, die ihn (immer wieder) in Einklang bringt mit seinem Schöpfer, mit sich selbst und den Mitkreaturen. Jesus zeigt uns: Wir müssen den manchmal steilen und steinigen Weg der Versöhnung nicht allein gehen. Er selbst bietet sich uns als kundiger Bergführer an. Und er zeigt uns im Vaterunser die Basis der Versöhnung: „Vergib uns, wie auch wir vergeben.“ Will sagen: Die Hand, die uns Gott trotz unseres Versagens anbietet, hilft uns auch über die Nöte der zwischenmenschlichen Brüche. – Hier soll das Thema Versöhnung auch von der franziskanischen Spiritualität her betrachtet werden. Für Franziskus bedeutete das Leben nach dem Evangelium vor allem ein Leben in versöhnter Geschwisterlichkeit, in Harmonie mit allen Kreaturen und im Einklang mit Gott. Sein Leben macht deutlich, dass Versöhnung nicht machbar, sondern ein Geschenk Gottes ist.

Wie Versöhnung „konkret geht“, soll im vierten Teil behandelt werden. Was hilft uns, uns selbst anzunehmen und uns auch mit unseren Brüchen zu versöhnen? Was bedeutet Vergebung in Beziehungen und wie können wir kreativ mit Versagen und Schuld umgehen? Wie finden wir, um mit Martin Luther zu sprechen, „einen gnädigen Gott“? Ist das Gebet ein Weg, das Vertrauen zu stärken und der Versöhnung Raum zu geben? Hier können praktische Anregungen, konkret erlebte Erfahrungen von Menschen, Beispiele aus Geschichte und Gesellschaft hilfreich sein für den persönlichen Weg und für das Leben in unseren Beziehungen.

Die Rückkehr zum Paradies ist keine Verheißung für das „Danach“ oder eine utopische Fiktion. Versöhnung ist ein Weg zum Glücklichwerden trotz aller Verwundungen und Störungen, ein Weg zum Paradies – hier und jetzt.

1.„Ich bin Leben, das leben will“ (Albert Schweitzer)

Die Sehnsucht nach Nähe und Distanz

Eine Legende erzählt:

Zwei Igel begegneten sich im Garten und gewannen sich nach einer gewissen Zeit des Kennenlernens lieb. Mehr und mehr hatten sie das Bedürfnis, sich ganz nahe zu sein, so nahe, dass sie sich berühren und einer des anderen Nähe und Wärme spüren kann. Aber die Stacheln hinderten sie. Mehr noch, die Nähe verursachte große Schmerzen. Also rückten sie wieder auseinander. Nun aber litten sie an der Distanz und Kälte. Wieder rückten sie zusammen – und taten sich erneut weh. So war es ein ständiges Wechselspiel zwischen Nähe und Abstand, zwischen Sich-Entfernen und Sich-Wehtun. Schon wollten sie sich für immer trennen, da kamen sie auf die Idee, einen Mittelweg auszuprobieren: sie kamen sich so nahe als möglich und sie hielten so viel Abstand als nötig. Und sie empfanden dies nicht mehr als Hindernis, sie freuten sich vielmehr, dass ihnen eine einzigartige Form der Freundschaft gelungen war. Den notwendigen Abstand empfanden sie als Rücksicht auf den anderen. Die Sehnsucht nach Nähe als das Zeichen ihres Einklangs. Sie hatten einen Modus von Nähe und Abstand gefunden, der sowohl ihrem Bedürfnis nach Wärme als auch dem Wohlbefinden ihrer Haut entgegenkam. Das machte sie sehr glücklich.

Die Fabel macht anschaulich: Weder zu große Nähe noch zu große Distanz tut uns gut. Menschen brauchen viel Nähe: die Möglichkeit, sich auszusprechen und auszuweinen, das Gefühl, verstanden zu werden, körperliche und seelische Berührung. Menschen brauchen Freundschaften, in denen sie sich los- und fallenlassen können. Zeiten, in denen sie sich geborgen wissen im Du. Auch Zeiten, in denen sie sich geborgen wissen im Wir einer Familie, einer Sippe, einer Religionsgemeinschaft. Einsamkeit kann schlimmer sein als Hunger und Krankheit. Menschen brauchen Hautkontakt und seelische Berührung. Und sie brauchen die Nähe und das Vertrauen zum Ganzen, zum All-einen, zum göttlichen Sein, das alle und alles einschließt.

Nähe kann allerdings auch zu viel werden, sie kann verletzen. Nähe kann, vor allem wenn sie einseitig gesucht wird, anderen die Luft zum Atmen nehmen und sie überfordern. Ja, sie kann übergriffig und gewalttätig werden. Menschen brauchen auch Freiräume, Abstände, Zeiten des Alleinseins, Geheimnisse, die sie ausschließlich in ihrem eigenen Herzen tragen. Nicht nur für mich allein brauche ich geschützte Räume, in die niemand unbefugt eindringen darf, ich brauche sie auch für meine Nahbeziehungen, meine Familien, für die Gruppen, in denen ich zuhause bin.

Abstand kann sogar Leben retten. Bitte halten Sie Abstand! Wie oft mussten wir diesen Hinweis in den letzten Monaten hören. AHAL – Abstand halten, Hygieneregeln beachten, Alltagsmaske tragen, Lüften – lebensnotwendige Prinzipien in Zeiten der Coronakrise. Gerade in dieser Zeit wurde uns bewusst: Abstand (aus) halten kann äußerst anstrengend werden. Während der Pandemie haben sich manche gegen die gesetzten Regeln des Abstandhaltens aufgelehnt. Die demonstrierenden Gruppen beriefen sich auf die im Grundgesetz garantierten Freiheitsrechte und behaupteten, diese würden den Bürgerinnen und Bürgern durch die vorgeschriebenen Abstands- und Hygienemaßnahmen entzogen. Dass sie durch die Nichteinhaltung der Regeln Menschenleben gefährden und eventuell selbst zu Virusträgerinnen und Virusträgern werden, wurde dabei ausgeblendet.

Nähe und Distanz sind keine sich ausschließenden Bewegungen. Es sind Pole, die sich ergänzen, ja die einander brauchen. Die Fabel von den zwei Igeln zeigt: die richtige Balance zwischen Nähe und Distanz ist nicht einfach vorgegeben. Sie zu erlernen braucht Zeit und den Mut zu Trial-and-Error. Den Mut, schuldig zu werden und sich wieder zu versöhnen. In unserem Suchen nach gelingenden Beziehungen machen wir immer wieder Fehler. Wir werden an uns selbst und an anderen schuldig. Unsere Erwartungen sind oft zu groß, unsere Versprechen zu vollmundig, unsere Liebesfähigkeit ist zerbrechlich. Auf einem Versöhnungsweg geht es auch darum, überzogene Erwartungen abzugeben, Fehler zu verzeihen, mit Mängeln zu leben.

Die Sehnsucht, ganz und eins zu sein

Ganz und eins sein ist eine Grundsehnsucht jedes Menschen. Mein Dasein nahm seinen Anfang durch ein sehr intimes Einssein meiner Eltern. Die Bibel beschreibt die geschlechtliche Intimität so: „Darum verlässt der Mann Vater und Mutter und hängt seiner Frau an und sie werden ein Fleisch.“ (Gen 2,24).

Für die Erfahrung des geschlechtlichen Einswerdens gebraucht die hebräische Bibel das Wort „jada“, das wir im Deutschen mit „erkennen“ übersetzen. Dabei geht es um viel mehr als um rationale Erkenntnis. „Jada“ meint eine ganzheitliche Ich-Du-Begegnung mit Herz, Geist, Seele und Körper. Das körperlich-geistige Einssein im „Erkennen“ ist göttlich, hier kann neues Leben entstehen. In der Zeugung werden wir Geschöpfe einbezogen in den Schöpfungsakt Gottes.

Unsere Sehnsucht nach Ganzsein und Einssein geht auf die vorgeburtliche Erfahrung zurück. Der Fötus wird vom mütterlichen Leib getragen und genährt. Dieser atmet und fühlt mit ihm. Die Nabelschnur dient als Organ dieser psychisch-physischen Verbundenheit. Das ungeborene Kind lebt in symbiotischer Einheit mit der Mutter, auch wenn es bereits in dieser Phase strampelt und sich bewegt. Bei aller Symbiose mit der Mutter geht die Erfahrung der Einheit schon jetzt über die Mutter hinaus. Das junge Leben steht bereits in diesem vorgeburtlichen Stadium in vielfältiger Kommunikation zur Außenwelt.

Monika Renz betont in ihrem Buch „Erlösung aus Prägung. Ein neues Verständnis von Heilung. Psychologie und Theologie im Gespräch“1