Saftschubse - Neue Turbulenzen - Annette Lies - E-Book

Saftschubse - Neue Turbulenzen E-Book

Annette Lies

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Beschreibung

Die »Saftschubse« fliegt wieder

Charlotte Loos ist Stewardess, oder auch eine Saftschubse, wie Passagiere sie gerne nennen. Von Turbulenzen, insbesondere mit Piloten, hat sie allerdings genug. „Männer sind bloß Sperrgepäck!“, findet sie und gründet statt einer Familie lieber den exklusiven FlightClub mit ihrer besten Freundin Feli. Ab jetzt heißt es für die beiden nicht nur JetLag, sondern vor allem JetSet! Zumindest bis Felizitas enthüllt, dass sie eine ziemlich große Überraschung im Gepäck hat ... Und als wäre Charlottes Leben nicht schon turbulent genug, stellt sich ihr die Frage: Was tut man eigentlich im unwahrscheinlichen Fall einer Beziehung?

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Annette Lies

Saftschubse

Neue Turbulenzen

Roman

Wilhelm Heyne Verlag

München

Originalausgabe 07/2012

Copyright © 2012 by Annette Lies

Copyright © 2012 dieser Ausgabe by

Wilhelm Heyne Verlag, München

in der Verlagsgruppe Random House GmbH

Redaktion: Eva Philippon

Satz und eBook: Greiner & Reichel, Köln

ISBN 978-3-641-08236-9

www.heyne.de

Für Dirk und Florian. Ihr wisst, wofür.

Für alle Exfreundinnen von Piloten. Seid tapfer, Mädels! (Ich kenne mindestens zwei, die bei den Guten sind: Benedikt und Tobi.)

Und für Werner, meinen Kopiloten – gefangen im Körper eines Zahnarztes.

Prolog

»Was machen Sie denn beruflich?«

»Ich bin Stewardess.«

»Aha, dann wollen Sie also keine Familie.«

»Wie kommen Sie denn darauf?«

»Na, wenn Sie immer weg sind, dann sind Sie ja nie da.«

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Emotionale Terroristen erkennen und entwaffnen. Tipps & Tricks für Servicekräfte

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1.

So hatte ich mir meinen Besuch bei Münchens renommiertester Gynäkologin nicht vorgestellt. Ich dachte, ich hüpfe kurz rein, überfliege im Wartezimmer drei Ausgaben von Mein Baby & ich oder PMS leicht gemacht und bin wie immer ruckzuck wieder draußen. Aber weil ich neuerdings über dreißig bin, geht dieser Plan nicht auf.

Mir gegenüber an ihrem Schreibtisch sitzt Frau Doktor Söllberg-Habermann und mustert mich mit stoischer Ruhe, als sei ihr Wartezimmer leer. Dermaßen besorgt hat mich nicht einmal meine Mutter angeguckt, als ich die Masern aus der Nordseefreizeit mitbrachte und an meinen Vater weitergab, der wiederum den Vorstand und das gesamte Controlling eines großen deutschen Automobilkonzerns … – Okay, das ist eine andere Geschichte.

»Wie steht es denn mit Ihrem Kinderwunsch, Frau Loos?«

Oh nein. Das war ja klar, dass das Thema kommen muss. Allein die Frage klingt irgendwie vorwurfsvoll. Ich schätze es grundsätzlich sehr, wenn sich Ärzte über die akute Problematik hinaus ganzheitlich mit der Situation ihrer Patienten befassen. Aber diesbezüglich habe ich so gar keinen Gesprächsbedarf! Außerdem muss ich Koffer packen für Dubai und säße sowieso überhaupt nicht hier, wenn nicht alle möglichen Leute mich mit ihrer Brustkrebs- und Papilloma viren-Hysterie angesteckt hätten. Kürzlich bin ich sogar zur Darmspiegelung gegangen, als hätte ich nichts Besseres zu tun an einem Donnerstag.

Ich vermisse meinen alten Gynäkologen.

Ein sehr netter, unaufdringlicher Mann, der keine un nötigen Fragen auf Eigeninitiative hin stellt, kommentarlos Abstriche macht und viel von seinen Reiseplänen nach der Pensionierung erzählte, die leider dann auch recht schnell kam. Und der meine Situation kannte und nicht viel Aufhebens darum machte. Meine seltenen Besuche bei ihm glichen mehr einer netten Begegnung im Supermarkt, bei der man zwanglos plaudert und nebenher vorwiegend festkochende Speisekartoffeln der Sorte Selma in den Einkaufswagen legt. Das dramatischste Thema, das wir je besprochen haben, ist die Keimbesiedelung auf Flugzeugtoiletten. Ein Vorgang, der mich weitaus mehr betrifft als Fortpflanzung. Aber gut, hier sitze ich nun mal bei meiner neuen Ärztin, und sie möchte das offensichtlich gerne ausdiskutieren.

»Grundsätzlich möchte ich schon Kinder. Aber akut ist das jetzt nicht«, antworte ich, wobei es klingt, als würde ich meine Steuererklärung um ein weiteres Jahr hinausschieben. Zum Ausgleich schlage ich selbstbewusst und elegant die Beine übereinander. Wenn das nicht diplomatisch ist! Ich bin eben keine dieser verzweifelten jungen Frauen, die sich erst lebendig fühlen, wenn ihnen morgens der Chef auf die Schulter klopft und abends ein Baby darauf sabbert. Zudem vereine ich als Frau von Welt Kind und Karriere sowieso spielend. (Vor allem, da ich weder das eine noch das andere habe.)

Die Hälfte meines Lebens hatte ich Angst davor, ungewollt schwanger zu werden. Und da will man ja nicht gleich im Anschluss Panik bekommen, es nicht mehr zu werden. Außerdem sehe ich mir gerade die Welt an. Ich bin nämlich Stewardess.

Böse Zungen bezeichnen unsere Berufsgruppe gerne als Saftschubsen, und ich finde, das ist okay. Immerhin schubse ich wirklich die meiste Zeit über an Bord Saft auf einem Trolley umher und bin froh, wenn keine meiner anderen Fähigkeiten zum Einsatz kommt. Zum Beispiel evakuieren oder reanimieren. Wirklich, ich liebe meinen Job über alles. Aber von Karriere im Sinne von Firmenwagen, Diensthandy und Schmiergeldaffäre würde ich jetzt nicht sprechen. Genau genommen von gar keiner Affäre. Aber das nur so am Rande.

Frau Doktor blättert in meiner neu angelegten Akte. »Sie sind jetzt … einunddreißig Jahre alt.«

»Richtig.« Ich komme mir vor wie bei einem Lügendetektortest. »Aber gerade erst geworden«, füge ich schnell hinzu. Nun ja, das war im November. Jetzt ist es März. Aber ich erinnere mich noch so genau daran, als wäre es gestern gewesen: Meine beste Freundin Felizitas hat mich mit einem Ronald-McDonald-Kindergeburtstag überrascht, den mir meine Eltern zeitlebens verweigert haben.

Als wir mit einer kleineren Gruppe Freunde in der Filiale einfielen, fragte die verblüffte Mitarbeiterin: »Und wo sind die Kinder?«

Und Feli rückte selbstbewusst ihr Partyhütchen zurecht, griff sich vergnügt unseren Strauß heliumgefüllter Luftballons und sagte: »Wir haben keine Kinder. Wir haben Spaß! Und jetzt möchte ich bitte ein Happy Meal.«

Später hat sie dann mit Ronald McDonald rumgeknutscht, und auch für mich wurde es ein rundum gelungener Tag – der sich kein bisschen nach über dreißig anfühlte. Eher nach dreizehn …

»In Ordnung. Dann werde ich Sie jetzt untersuchen. Dort hinüber, bitte!«

Frau Doktor macht eine einladende Geste in Richtung Nebenzimmer und bedeutet mir, meine Sachen hinter einem schicken asiatischen Paravent abzulegen.

»Bitte erst mal nur oben rum, damit ich Ihre Brust abtasten kann.«

Ach so, Mist. Jetzt habe ich in aller Eile die Hälfte meiner Klamotten schon abgelegt, natürlich die falsche Hälfte. Seufzend schlüpfe ich wieder hinein und entledige mich meines Pullovers, der statisch aufgeladen ist.

Meine Haare fliegen und knistern, und als sie meine Brust berührt, bekommen wir beide heftig eine gewischt, was die Gesamtsituation nicht weniger peinlich macht.

»Haben Sie und Ihr Partner sich denn schon Gedanken über Familienplanung gemacht?«

»Nein«, gebe ich so gleichgültig zurück, als hätte mein Bankberater mich gefragt, ob ich nicht ein Topzinskonto eröffnen möchte.

»Ich frage deshalb, weil viele meiner Patientinnen Flugbegleiterinnen sind und sich der Schichtdienst in Ihrem Beruf erfahrungsgemäß ungünstig auf das Schwangerwerden auswirkt.«

Okay, das erstaunt mich jetzt nicht. Zumal sich der Schichtdienst auch äußerst ungünstig auf meinen Schlaf, meine Freundschaften und den regelmäßigen Konsum von Fernsehserien auswirkt. Bei Pan Am bin ich eine komplette Staffel hintendran.

»Im Gegensatz zu Frauen in anderen Berufen brauchen Sie vermutlich sehr viel länger, um schwanger zu werden. Und auch die Rate der Fehlgeburten ist vielfach höher. Das müssen Sie einkalkulieren.«

Auch das ist mir nicht neu. Hier und da veranstaltet Skyline, die Airline, bei der Feli und ich arbeiten, Infotage und klärt uns über alle möglichen Risiken der Fliegerei auf: von der Höhenstrahlung bis hin zu Vergiftungserscheinungen durch verdampfendes Kerosin. Aber da es nun mal unser Beruf ist, versuchen wir diese Fakten geflissentlich zu verdrängen. Durch Sport, gesunde Ernährung und eine allgemein positive Lebenseinstellung. Besonders Feli ist in Letzterem Meister.

Ich wechsele nach Anweisung mein Outfit hinter dem Paravent und nehme erneut auf dem Untersuchungsstuhl Platz. Frau Doktor Söllberg-Habermann bereitet den Ultra schall vor und hantiert mit etwas Gel und einem langen Stab herum.

»Eine andere Sache, auf die ich Sie hinweisen möchte, ist, dass durch die verbreitete Einnahme und Ausscheidung der Pille große Mengen Hormone in unser Leitungswasser gelangen. Das ja dann auch Kühe trinken, von wo aus es in die Milch gelangt.«

Ich begebe mich in die entwürdigende Waagerechte, stelle meine Füße in die Steigbügel und bin gespannt auf den Zusammenhang, der jetzt folgt.

»Das führt nach neuesten Erkenntnissen dazu, dass besonders wir Frauen, die ja oft Latte macchiato und so weiter konsumieren, einen stark erhöhten Hormonspiegel haben und verfrüht in die Menopause kommen.«

Okay, das sind jetzt mal Neuigkeiten. Ich überschlage grob die Anzahl der Liter Milch, die ich in den letzten Jahrenweltweit in meinen Kaffee gekippt habe. Demnach müsste ich spätestens nächste Woche in die Wechseljahre kommen.

Ich muss zugeben, dass dieses Gespräch hier nicht so abwegig ist, wie es mir vorkommt. Das sieht man an Altersge nossen, über deren Leben ich minutiös informiert bin: der Prominenz.

Kate zum Beispiel, alias Käthe Mittelstand (wie Feli sie nennt) ist jünger als ich und nicht nur schon verheiratet, sondern ganz England wartet bereits sehnsüchtig auf einen Thronfolger. Auch Sarah Connor ist jünger als ich, hat zwei Kinder und ist sogar schon geschieden, und Katy Perry … – okay, vielleicht sollte ich mich nicht unbedingt an denen orientieren. Gut, ich habe keinen Partner, keinen Scheidungsanwalt und kein Kleinkind, aber dafür auch keine Probleme! Trotzdem: Ich bin im gebärfähigen Alter. Und wäre die Monarchie auf mich angewiesen, wäre sie schon zugrunde gegangen, so viel steht mal fest.

Aber was soll ich zu den beunruhigenden Ausführungen der Ärztin sagen?

Ich bitte Sie, wer kriegt Kinder denn heutzutage noch selber? Ich halte es da wie Sandra Bullock. Oder Prinz Frederik, der adoptiert doch auch immer irgendwas, nicht wahr? Oder: Ach wissen Sie, die demographischen Probleme hinsichtlich der Renten pyramide werden überbewertet. Ich denke, Fortbildung ist viel wichtiger für die Gesellschaft als Fortpflanzung.

Letzteres würde zumindest zeigen, dass ich mich noch für andere Dinge interessiere als fürs Kinderkriegen. Neulich hat mich ein Kopilot ernsthaft gefragt, ob ich Arte kenne. Ich war tödlich beleidigt, hatte aber keine Lust meinen Bildungsstand unter Beweis zu stellen und habe dann einfach bekundet, dass ich Teleshopping total toll finde.

Tja, aber zurück zur Wahrheit: Ja, ich bin alt genug dafür, um mit einem dicken Bauch durch die Gegend zu laufen und Essiggurken mit Smarties zu verzehren. Nur leider fühle ich mich nicht so. Und es beunruhigt mich auch nicht, dass ich jeden Monat ein weiteres limitiertes, befruchtungsfähiges Ei verliere. Mich beunruhigt höchstens, dass es mich nicht beunruhigt.

Vielleicht ist meine biologische Uhr stehen geblieben? Und dauerhaft dem Jetlag zum Opfer gefallen? Ja, das könnte doch sein! Irgendwo zwischen Bangkok und Berlin kannte sich mein Körper nicht mehr aus und denkt jetzt, er hätte noch ein paar Dekaden, um aus mir eine Fruchtbarkeitsgöttin zu machen.

Interessiert starre ich auf den grau-weißen Monitor neben mir, als würde ich auch nur im Entferntesten irgendein Organ erkennen. Unwirsch führt Frau Söllberg-Habermann den Schallkopf hin und her, bis ihr schließlich ein zutiefst genervtes Seufzen entfährt.

»Mein Gott, das macht ja keinen Sinn bei Ihnen, Sie haben zu viel Luft im Bauch. Ich vermute, Sie kommen gerade erst von einer Langstrecke?«

Verblüfft nicke ich und nehme das graue Zellstofftuch entgegen, das sie mir abrupt hinhält.

»Ja, ich war in…« Mein Gott, wo war ich zuletzt? »Chicago!«, lüge ich, während ich fieberhaft überlege, wohin mein letzter Flug in Wahrheit ging. Erinnerungen an chinesische Märkte mit gefälschten Gürteln und Sonnenbrillen, portugiesische Hotelzimmer und das nostalgische Karussell am Santa Monica Pier blitzen in mir auf. Und an einen hässlichen Sonnenbrand aus dem Oman, weil ich mich nicht getraut hatte, einen der umliegenden Gäste am Pool zu fragen, ob er mir den Rücken eincremt.

Venedig – ja, natürlich!

Ich hatte es mir extra im Rahmen einer Mehrtagestour durch Europa gewünscht, um dort die Espressomaschine zu bestellen, auf die Feli und ich seit Monaten unsere Spesen sparen. Denn:

Sie und ich, wir ziehen bald zusammen!

»Bitte machen Sie Untersuchungstermine frühestens achtundvierzig Stunden nach einem Flug aus, ich kann da sonst nichts sehen«, reißt mich Frau Doktor unfreundlich aus meinen Gedanken zu unserer neuen glamourösen WG. Huch, jetzt ist sie stinkig. Aber wenigstens scheint das Thema Kinderwunsch vorerst abgeschlossen zu sein.

Ich ziehe mich wieder an und bin jetzt auch beleidigt. Schließlich gibt es Dinge, die selbst ich nicht übers Fliegen weiß, zum Beispiel, wie unvorteilhaft sich berufsbedingte Luftansammlungen in körperlichen Hohlräumen auf bildgebende Verfahren auswirken. Sonst wäre ich kaum hergekommen und hätte die gute Frau belästigt, und nebenbei wäre es mir erspart geblieben, über Themen zu sprechen, die kein Thema sind in meinem Leben.

Ich folge ihr zurück zu ihrem Schreibtisch.

»Gut, wenn also kein Kinderwunsch besteht – was tun Sie in Sachen Verhütung?«

Oh nein. Das ist ja wirklich, als käme man vom Regen in die Traufe. Ich wollte einfach nur zur Krebsvorsorge, wofür mir ihre Praxis wärmstens empfohlen wurde. Ob ich sie mal daran erinnern soll, dass ich seit geraumer Zeit in ihrem Behandlungszimmer bin und draußen eine Menge launische Schwangere warten? Wie Feli jetzt wohl reagieren würde? Sie hat eine unvergleichliche Art, sich aus unliebsamen Situationen zu befreien oder gar nicht erst hineinzugeraten. Ganz im Gegensatz zu mir.

Mein Blick streift einen kleinen, schräg stehenden Bilderrahmen auf dem Schreibtisch der Ärztin. Auf dem Foto sind zwei Babys in identischen Stramplern zu sehen. Womit klar wäre, dass sie selbst in letzter Zeit eher nicht verhütet hat.

»Ich tue nichts«, antworte ich mit Unschuldsmiene.

Sie starrt mich so entsetzt an, als hätte ich verkündet, Analverkehr mit häufig wechselnden Geschlechtspartnern in Entwicklungsländern sei unbedenklich.

»Aber Sie wissen doch wohl, dass nichts keine sichere Methode ist?« Schockiert zieht sie eine Augenbraue hoch.

Ich habe das sehr sichere Gefühl, dass ich etwas sagen sollte, um meine Antwort zu präzisieren und meine Zurechnungsfähigkeit zu rehabilitieren. Es ist ja nicht so, dass ich in Ermangelung eines Medizinstudiums nicht doch ein Mindestmaß an biologischem Basiswissen besäße. Wovon offenbar nur ich überzeugt bin, denn Frau Doktor belehrt mich erneut in hormonell verseuchtem Milchkuhtonfall:

»In neun von zehn Fällen führt Geschlechtsverkehr mit der Methode Coitus Interruptus hundertprozentig zu einer unerwünschten Schwangerschaft!«

»Nein, nein, da haben Sie mich missverstanden!«, winke ich ab. »Also, was ich sagen wollte ist, ich verhüte gar nicht.«

»Gar nicht?!«

Schon wieder habe ich mich blöd ausgedrückt, und die Pupillen meiner neuen Gynäkologin weiten sich noch mehr. Ich kann ihr ansehen, dass sie alle Intelligenz-Klischees über Stewardessen bestätigt sieht.

»Aber gerade in Ihrem Alter ist die Wahrscheinlichkeit einer Befruchtung sehr hoch!«

Mir gefällt nicht, wie sie in Ihrem Alter sagt. Außerdem, dachte ich, bin ich nach neuesten Erkenntnissen der Milchindustrie doch besonders schwer bis gar nicht zu befruchten?

Ich hätte ihr einfach ins Wort fallen und ihren Satz vollenden sollen: »Aber bei mir ist die Wahrscheinlichkeit einer Befruchtung gleich null.«

Frau Doktor Söllberg-Habermann beugt sich entschlossen über ihren Rezeptblock und bereitet unserem erniedrigenden Dialog ein Ende.

»Da Sie Stewardess sind, kommt die klassische Pille aufgrund der Zeitverschiebung für Sie nicht infrage. Und wegen des Thromboserisikos. Ich verschreibe Ihnen den NuvaRing, den Sie einmalig einführen und der dann kontinuierlich Hormone abgibt …«

»Aber – ich brauche kein Rezept!«, protestiere ich lautstark und verschränke mit Nachdruck die Arme vor der Brust, wie ein trotziger Teenie oder ein Businessclassgast, wenn die Spätbeerenauslese alle ist.

Ich mustere ihre restlos verstörte Miene, die unter ihrer engelsgleichen blonden Mähne hervorlugt. Sie ist ungefähr Mitte dreißig, wirkt gute vier Kilo schlanker als ich, was ich der sagenhaften Länge ihrer Beine als eine Art optische Täuschung zuschreibe, und trägt einen zierlichen goldenen Ehering mit einem kleinen Brillanten darin am Finger. Ein für mich ähnlich abstrakter Gegenstand wie das Lichtschwert eines Jediritters.

Übrigens sieht sie Feli erstaunlich ähnlich.

Es herrscht eindeutig Klärungsbedarf. Ich atme tief ein, nicht ohne einen gewissen Neid auf die Selbstverständlichkeit, mit der vermutlich ihr Leben verlaufen ist (Studium, Ärztekongress, Eheschließung mit dem Chef der Kardiologie, Fünftürer), und bereite mich darauf vor, das Unaussprechliche in aller Deutlichkeit zu formulieren. Mein Problem, mein Manko, mein schmutziges, kleines Geheimnis. Das offenbar mal wieder so unvorstellbar ist, dass ich alle Welt explizit darauf hinweisen muss. Und das, obwohl wir Saftschubsen nach Zahnärztinnen die begehrteste Berufsgruppe bei Männern in Sachen Partnerwahl sind, was eine offizielle Erhebung ergeben hat, die Feli und ich ganz zufällig mal aus dem Internet … – nun ja.

Ich räuspere mich bestimmt. »Ich habe keinen Freund!«

Frau Dr. Söllberg-Habermanns Mund verzieht sich zu einem nachsichtigen Lächeln. »Oh, Entschuldigung – ich verstehe.«

Na, endlich. Die Frau scheint doch schon einmal von meiner Spezies gehört zu haben.

»Aber auch in homosexuellen Beziehungen besteht natür lich immer ein gewisses Risiko sexuell übertragbarer …«

Das darf doch wirklich nicht wahr sein! Noch während ich die traurige Wahrheit leicht hysterisch hinauskreische, weiß ich, dass Münchens renommierteste Frauenärztin und ich uns so schnell nicht wiedersehen werden.

»Ich bin SINGLE! Ich habe gar keinen Sex!«

Skyline – Meet the Angels

Rundschreiben

Liebe Kolleginnen und Kollegen des Bordpersonals,

hiermit möchten wir Sie offiziell darüber informieren, dass wir den Produktauftritt unserer Airline neu gestalten. Unsere Werbeabteilung möchte Sie auffordern, aktiv dazu beizutragen! Als Bindeglied zwischen Mensch und Marketing agieren Sie in unmittelbarer Nähe zum Kunden und erhalten ungefiltertes Feedback über die Bedürfnisse des Einzelnen über den Wolken. Wir würden uns freuen, wenn Sie diesen Erfahrungsschatz mit uns teilen und in einen neuen Claim einfließen lassen! Der Slogan »Meet the Angels«, der vor allem Ihre Leistungen an Bord hervorhebt, hat uns lange begleitet, nun möchten wir neue Märkte und neue Herzen erschließen – mit Skyline als Komplettprodukt, vom Check-in bis zum Kofferband.

In diesem Sinne: Wir freuen uns auf Ihre Vorschläge! Selbstverständlich bleiben Sie weiterhin ein offizieller Skyline- Engel.

Always happy landings!

Ihre

Cosima-Fee Makjewitz

Skyline Marketing & PR

Skyline – Meet the Angels

Rundschreiben

Sehr geehrte Mitarbeiter,

wir freuen uns sehr, Ihnen verkünden zu dürfen, dass wir Zuwachs bekommen! Im Zuge unseres neuen Airline-Auftritts erhält unser allseits beliebtes Maskottchen Kerosinchen ab sofort Verstärkung von …Turbinchen!

Bitte kommunizieren Sie dies unterwegs, insbesondere Kindern gegenüber. Entsprechende Spielzeugbeladungen werden ab dem kommenden Beladungsturnus an Bord vorhanden sein. Neben dem beliebten Kerosinchen-Puzzle werden Sie ein Plüsch-Turbinchen vorfinden.

Viel Spaß beim Fliegen mit diesen munteren Gesellen!

Ihr

Enno Rost

Skyline Produktentwicklung

Grande Rose-Lemon-Berry-Zizzle-Cooler/no caffeine/no ice/no soy milk

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Wann kommt endlich der blöde Prinz mit seinem dämlichen Gaul?

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2.

»Ach, komm schon, bitte, Charlotte! Nur noch einmal!« Feli taucht ihre Hand in eine Schale voll Gummibärchen.

»Nein, ich will nicht mehr! Das ist so demütigend!«

»Dann fasse ich zusammen: Erst war deine Frauenärztin besorgt, weil du nicht verhütest. Und dann, weil du noch keine Kinder hast?«

»Umgekehrt. – Aber ja.«

Sie grinst mich fröhlich an und stopft sich rund zwanzig Bärchen in den Mund. »Okay, positiv betrachtet heißt das, dass sie dir eher eine lesbische Beziehung andichtet, als dir zuzutrauen, dass du Single bist.«

Wie gesagt, Feli ist die Meisterin des Optimismus, und ich liebe sie dafür. (Platonisch!)

Es ist Sonntagabend, und wir haben es uns in meiner kleinen Wohnung gemütlich gemacht, eigentlich um Der Bachelor zu sehen, aber seit ich Feli meinen Arztbesuch mit großen Gesten geschildert habe, stellt mein Schicksal die dramatischen Versuche der Frauen sich einen Mann zu angeln, den eigentlich keine will, in den Schatten. Für Feli gibt es kein Halten mehr. Zwar bemüht sie sich redlich, mich für meine Blamage zu bedauern, wird aber immer wieder von heftigen Lachern geschüttelt.

»Charlotte, mach es nur noch einmal!«

»Na schön, aber das ist jetzt das allerletzte Mal!«

Ich richte mich auf der Couch auf, verschränke die Arme und schlage elegant die Beine übereinander, sodass ich aussehe wie ein indischer Knotenkünstler. Dann stoße ich theatralisch hervor: »Ich bin Siiiiiiiiiingle!«

Wieder rollt sich Feli mit lautem Gelächter auf meiner Couch zusammen, während ich mich für meine Darbietung mit den letzten Wasabi-Chips belohne.

»Charlotte, ehrlich – lass es raus! Du solltest eine Art Urschrei-Therapie machen. Wenn du willst, fahren wir mal ins Fichtelgebirge, da hört dich keiner.«

»Haha. Ich weiß deinen Vorschlag sehr zu schätzen, aber nicht das Singleleben an sich macht mir Probleme, sondern diese ätzende Ärztin! Ich bin noch nie von medizinischer Seite so missverstanden worden.«

»Ihr habt eben einfach kein gutes Karma miteinander. – Kann ich die leer machen?« Sie deutet auf die letzten Speckmäuse, die wir im Rahmen unseres Süßigkeiten-Buffets aufgetischt haben.

»Greif zu, dann kann ich endlich die Schüssel wegnehmen. Und bitte krieg dich endlich ein, jetzt werden die Rosen verteilt.« Wir stecken mitten im Umzug und kommen kein bisschen voran, weil wir in einer Tour quatschen. Aber es ist herrlich! Fernsehidylle vom Feinsten, und endlich sitzt mal keine von uns schlaflos in Seattle, Peking oder Seoul. Wir beide haben frei und das dank offizieller Umzugstage.

Ich blicke mich in meiner Minibleibe nach dem nächsten greifbaren Gegenstand zum Einpacken um. Ein typisches Single-Apartment, aber eigentlich hasse ich den Ausdruck. Und das nicht erst seit meinem traumatischen Bekenntnis in der Praxis. Felis Meinung dazu lautet: »Man sagt doch auch nicht Verheirateten-Wohnung oder Geschiedenen-Lodge. Am Ende heißt es noch Hetero-Villa oder Homosexuellen-Reihenhaus! Wo kommen wir denn da hin?!«

Feli ist nicht nur Optimistin, sondern auch sehr direkt. Was ein bisschen peinlich werden kann, wenn sie es in Gegenwart eines Maklers ist, der versucht, seine Immobilien bestmöglich anzupreisen, und ich unmittelbar danebenstehe. Worauf ich nämlich nicht besonders stehe, sind Konflikte.

Ich finde es schon unangenehm, wenn Zwei bei Kallwass unterschiedlicher Auffassung sind. Und wenn früher Herr von Bödefeld in der Sesamstraße rumgemosert hat, habe ich einfach den Fernseher ausgeschaltet.

Auf jeden Fall habe ich immer geglaubt, wenn ich hier mal ausziehe, dann zu meinem Freund und zukünftigen Ehemann, vermutlich einem Piloten. Nicht, weil ich besonders scharf auf einen wäre, sondern weil die meisten Beziehungen nun mal am Arbeitsplatz entstehen. Und meiner auch noch mehr Romantik bietet als der Kopierer eines mittelständischen Unternehmens in Bottrop, an dem man sich beim Papierstau näherkommt. Es geht einfach schneller, wenn man nach einer heiklen Landung in Athen die gemeinsam ausgestandene Todesangst bei einem Ouzo am Strand ausklingen lässt.

Gottlob gibt es solche Landungen äußerst selten und außerdem immer mehr Kopilotinnen, sodass in meinem Privatleben alles ganz anders kam.

Zum Thema Männer muss ich noch sagen: Feli und ich sind weder verbittert noch frustriert. Gott behüte, nein. Wir sind einfach vorübergehend kuriert. Und das aus gutem Grund! Meine letzte Beziehung zu Kopilot Malte Breuer, inklusive Sex an Orten wie dem Basiscamp des Kilimandscharo, war so unnötig wie der Kauf meiner Polarausrüstung auf lange Sicht. Und Feli ist es mit einem »Übrigens, ich bin verheiratet – wusstest du das etwa nicht?!«-Kapitän nicht wesentlich besser ergangen als mir. Was haben wir gelitten, was sind wir denen hinterhergereist! Was haben wir nicht alles getan, um nach einer anstrengenden Rückkehr aus Korea binnen weniger Stunden wieder auszusehen wie aus der Yogurette-Werbung – epiliert, sportlich und fröhlich. Man darf es echt keinem erzählen, aber wir haben uns sogar den Wecker gestellt, um den Großen Preis von Melbourne live zu sehen. (Man will ja nicht als Motorsport-Muffel dastehen und sich dennoch positiv von den Boxenludern absetzen.)

Heutzutage täuschen Frauen eben keinen Orgasmus mehr vor, sondern gesteigertes Interesse an Länderspielen, Hedgefonds und Paintball. Und was haben wir davon? Dass sich Männer für uns interessieren, die uns im Grunde nicht interessieren (quasi das Bachelor-Syndrom). Also machen wir das alles nicht mehr.

Stattdessen sehen wir lieber zu, wie Heidi Klum im Fernsehen Fotos und Bussis verteilt oder Narumol auf dem Bauernhof im Dirndl rumläuft, lungern dabei in rosa Trainingshosen, die noch nie ein Fitnessstudio von innen gesehen haben, auf dem Sofa herum und nutzen das Waxing-Studio je nach Budget und nicht nach ins Ohr gehauchten Sonderwünschen. Und der Nachwuchs der Bundesliga interessiert uns vorläufig so wenig wie der eigene. Alles andere ist auf Dauer einfach zu anstrengend, und ich bin heilfroh, dass statt eines weiteren Mannes Felizitas Yvonne Cecilia Rauh in mein Leben trat. Auch wenn ihr voller Name es nicht vermuten lässt: Es war Freundschaft auf den ersten Blick. Oder vielmehr, auf den ersten Dieb …

Vor rund zwei Jahren stiegen wir mit dem Rest unserer Crew abends in der Türkei aus dem Flieger, um ins Hotel zu fahren. Wie so oft waren wir auch an diesem Tag neu zusammengewürfelt worden. Wir hatten uns frühmorgens einander kurz im Briefing vorgestellt, und die große blonde Schönheit im Raum war mir sofort aufgefallen. Sie bestach einfach jeden sofort mit ihrer rundum positiven Aus strahlung.

Feli hatte auch an diesem ersten Tag ein offenes, herzliches Lachen, ohne den geringsten Anflug von abschätziger Musterung oder jener Prise Neid auf Gott weiß was, die bei manchen Kolleginnen und Kollegen mitschwingt. Und sie war wahnsinnig lustig. Ich meine, wie oft geben makellose Frauen sich schon für selbstironische Scherze her, ziehen Grimassen und imitieren gekonnt Politiker auf Kommunalebene? Sie schon, denn sie hatte es eben nicht nötig durch puppenhaftes Auftreten Männern zu gefallen. Weiter hatten wir während der vollen Flüge tagsüber kaum Gelegenheit gehabt, auch nur ein Wort miteinander zu wechseln.

Bis wir abends gemeinsam am Gepäckband standen. Ich wollte sie gerade fragen, wie das Drama mit dem Gast in der letzten Reihe ausgegangen war, der ihr vorgeworfen hatte, sie hätte das Glas mit dem Tomatensaft zu nah an seinem Jackett abgestellt, als eine Einheimische meinen eindeutig mit einem silbernen Metallanhänger als Crew-Baggage gekennzeichneten Koffer vom Band zerrte und damit zu verschwinden drohte.

Noch bevor ich reagieren konnte, stellte sich ihr Feli entschieden in den Weg.

»Excuse me, Ma’m – this is not your luggage!«

Die Frau, die außer meinem Eigentum noch diverse Pfannen, Töpfe, Kissen und eine zusammengerollte Kaltschaummatratze mit sich führte, versuchte, unbeeindruckt an uns vorbeizukommen, bis auch ich den Entführungsversuch bemerkte und den Ort des Geschehens erreichte.

»Ähm …I think, you’ve mixed up our luggage.«

Ich lächelte versöhnlich und hob eine Coladose auf, die der Frau aus ihrem Rucksack gepurzelt war. Schnurstracks griff sie danach und wandte ohne Dank den Kopf ab, als seien wir lästige Händler, die ihr Schnabelschuhe andrehen wollten. Mit zusammengekniffenen Augen fixierte sie über unsere Köpfe hinweg die Drehtür nach draußen und umklammerte stur meinen Koffer, bereit, ihren Weg notfalls auch mit Kollateralschaden fortzusetzen.

Und wieder war Felizitas da, wie ein genialer Fußballer, der kein Vordringen Richtung gegnerisches Tor duldet.

»Oh no, lady!«, schimpfte sie der Alten ins Gesicht und hob drohend ihren Zeigefinger. »You are stealing a suitcase right now! You are committing a crime!«

Ich war höchst beeindruckt von Felis autoritärer Art und muss gestehen, dass ich der Frau, falls nötig, sogar bis zum Bosporus gefolgt wäre und ihr meinen eigenen Koffer für viel Geld wieder abgekauft hätte. So ließ ich mich darauf ein, ihr in aller Öffentlichkeit zu beweisen, dass der Inhalt des vierrädrigen Gefährts mir gehörte, was Feli wie ein Bodyguard mit Argusaugen beaufsichtigte.

Mitten in der Ankunftshalle öffnete ich auf Knien meinen über die letzten sieben Jahre meiner Berufstätigkeit als Schubse schon reichlich ramponierten Sky Wheeler und zog triumphierend meine Hello-Kitty-Wärmflasche, meine Green-Tea-Bodylotion für sehr trockene Haut und eine saubere Uniformbluse mit Skyline-Aufdruck hervor.

Eine Aktion, die wenig Wirkung zeigte.

»I have same!«, wetterte die Alte lapidar.

»Jetzt reicht’s aber!«, schimpfte Felizitas, klappte kurzerhand meinen Koffer wieder zu, packte ihn fest am Griff und ging damit zurück zur Crew.

Das nenne ich Zivilcourage!

Ich trottete hinter ihr her, beschämt, dass ich nicht selber in der Lage war, mein Hab und Gut zu verteidigen.

»Du kannst ruhig ein bisschen forscher mit den Gästen sein, wenn sie ausgestiegen sind«, meinte meine Retterin locker.

Während mein Herz noch immer vor Aufregung raste, schoben wir uns erhobenen Hauptes an der Diebin vorbei zum Ausgang. Sie schimpfte uns etwas hinterher, das in meinen Ohren wie ein Fluch klang und die Blicke der halben Ankunftshalle auf uns lenkte.

Ich zog vor Scham den Kopf ein, während Feli die Show regelrecht genoss. Allerdings kann sie es sich auch leisten, Aufmerksamkeit auf sich zu ziehen.

Mit einer Größe von einem Meter achtzig, Rapunzelzopf und smaragdgrün schimmernden Augen entspricht sie äußer lich vollkommen dem Klischee einer Stewardess, oder von mir aus auch einer Elfe aus einem Fantasyfilm, die digital nachbearbeitet ist.

»Früher war ich so wie du«, meinte sie tröstend zu mir, als wir draußen in den Crewbus stiegen. »Ich meine das jetzt nicht böse, aber damit meine ich lieb, ein wenig naiv und zu allem und jedem nett.«

»Ach ja?«, hauchte ich ein bisschen beleidigt, aber voller Hoffnung, auch noch eine so charismatische Persönlichkeit wie sie werden zu können, der man ohne Weiteres die Moderation des G8-Gipfels übertragen würde.

»Ja. Und das sind ja nicht generell schlechte Eigenschaften.«

So wie sie das sagte, klang es leider danach.

»Aber irgendwann lernst du, wann sie angebracht sind und wann nicht.«

»Okay. Bei Tomatensafttypen und Kofferkriminellen also nicht?«

»Genau.«

Wir sahen uns in die Augen und lachten beide laut auf.

»Als Faustregel kannst du dir merken: Diese Eigenschaften nie bei den Leuten anwenden, die meinen, Stewardess steht für stehen, warten, essen.«

Wieder lachten wir, und Feli ergänzte: »Im Übrigen lautet mein persönliches Motto längst: Stell dich nicht so an, warte nicht auf den Richtigen, Essen gehen kannst du auch alleine!«

Ich schnaubte vergnügt, was mir missbilligende Blicke der Chefstewardess einbrachte, die vor uns im Bus saß.

»Na, wenn das so ist, lade ich dich eben nicht zum Dank zum Essen ein«, flüsterte ich ihr zu.

»Ich denke, ich sollte es dir noch einmal genau erklären – und zwar beim Essen«, flüsterte sie zurück, als säßen wir im Lateinunterricht und wären gerade ermahnt worden.

Es wurde ein fantastischer Abend. Ohne ausgestandene Todesangst, ohne Ouzo und ohne Strand, aber im märchenhaften Hamam des Hotels und mit einer Person an meiner Seite, mit der ich mich auch auf einer Eisscholle wohlgefühlt hätte.

Seither sind wir Freundinnen.

Es tut wahnsinnig gut, sich mit ihr über einzelne Flüge auszutauschen – sofern wir nicht ohnehin zusammen fliegen und dasselbe erleben. Was uns in letzter Zeit leider nur selten gelingt. Feli wird ziemlich häufig das Opfer unliebsamer Dienstplanänderungen und muss dann plötzlich nach Kiew oder Zürich, statt mit mir unseren lang ersehnten Flug nach Singapur anzutreten.

»Wollen wir den trinken?« Sie hält eine angestaubte Flasche Sekt hoch, die sie hinter meinem TV-Möbel gefunden hat, und mustert dabei angetan Michelles fünftes Outfit.

»Klar. Je weniger wir in den Flight Club schleppen müssen, umso besser.«

Der Flight Club. Ich liebe das Wort, und mir wird ganz warm ums Herz. Denn das ist keine neue Disco, in der die Schickeria feiert, sondern unser neues Zuhause.

Feli lässt mit voller Wucht den Korken knallen, was sich im Übrigen kein bisschen schickt, wie wir in der First-Class-Schulung gelernt haben. Kenner öffnen die Flaschen ganz diskret, so, dass nur ein leises Zischen hörbar ist. Alles andere ist Formel 1.

»Stopp!«, schreie ich, denn mein Glas Perlwein läuft bereits über, weil Feli gießt und gleichzeitig fernsieht.

»Turbulenzen«, sagt sie entschuldigend und blickt auf den Sektsee, der sich auf meinem Couchtisch ausbreitet.

»Felilein, du kannst gerne weiter das Einzeldate der Großbusigen verfolgen, aber wir müssen hier mal vorankommen!« Beherzt greife ich mir eine neue Rolle Luftpolster folie.

»Schon gut, was hast du auch für Unmengen Krusch?« Stirnrunzelnd stopft sie einen Stapel meiner Blu-Rays in einen Karton.

»Ich bitte dich, Pretty Woman, Dirty Dancing und Top Gun sind ja wohl Gebrauchsgegenstände des Primärbedarfs!«

»Okay, und was ist das?« Sie hält meine beleuchteten Pyramiden von Gizeh in Miniaturform hoch.

»Internationale Souvenirs und … Taschenlampen für Not fälle«, verteidige ich mich, nicht ohne innerlich zugeben zu müssen, dass ich über die Jahre ganz schön viel Reisekram angesammelt habe. Damit könnte ich eBay-Millionärin werden.

»Kann ich wenigstens das in die Isar werfen?«

Feli streckt mir beide Hände entgegen, in denen ein kleiner Haufen Schneckenhäuser und Steine liegt.

»Bist du irre?! Das ist meine als Kind mühsam zusammengestellte Sammlung seltener Wattbewohner und Kalkablagerungen auf Helgoland!«

»Charlotte, im Ernst …«

»Schon gut.« Trotzig schiebe ich die Unterlippe vor. »Wirf sie unten auf den Komposthaufen.«

»Ach was, wenn sie dir was bedeuten, nehmen wir sie mit. Außerdem haben wir demnächst so viel Platz, da kriegen wir alles unter, ohne es täglich ansehen zu müssen.«

ENDE DER LESEPROBE