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Die Wiege der Beckumer Sonne Die Beckumer Anschläge sind Anschläge, über die man lachen darf. Angeführt von ihrem hochweisen Bürgermeister sind sich die Männer und Frauen für nichts zu schade – nicht einmal zum Salzernten. Sei es der Bau eines dreieckigen Rathauses, bei dem man sich finanziell klug die Fenster einsparte, sei es das Abgrasen des Kirchturms, der Mann ohne Kopf oder sei es das Versenken einer Glocke zum Schutz gegen die bösen Kriegsfeinde. Jeder lesende Mensch darf bezeugen, was sich alles in der geliebten Stadt abspielt – bis der böse Mausehund allem ein Ende macht. Das Münsterland bietet eine reichhaltige Tradition ungezählter Geschichten, die sich manchmal fast wie ein Märchen lesen. Mario Junkes hat erneut alle verfügbaren Bücher und Schriften durchsucht, um die besten Sagen und Legenden für Sie zu sammeln. Sie begegnen dem ersten Westfälinger, werden Zeuge der Erbauung Münsters, treffen den heiligen Ludger und seine Gänse, sowie Bischof Wulfhelm mit dem unfehlbaren Navigationsgerät - seinem Esel. Sie erleben das Heybrockmännchen und Jungfer Eli, wandeln auf dem Tecklenburger Hexenpfad, Sie hören den Grinkenschmied hämmern, sehen das hockende Weib, riechen am Honigtopf von Billerbeck – und Sie werden Zeuge der Partie Burggraf von Stromberg gegen den Bischof von Münster. Dies und vieles mehr wartet nur darauf, in diesem Band entdeckt zu werden.
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Veröffentlichungsjahr: 2023
Impressum
Mario Junkes
Sagen und Legenden aus dem Münsterland
1. Auflage 2023
© 2023 Regionalia Verlag,
ein Imprint der Kraterleuchten GmbH,
Gartenstraße 3, 54550 Daun
Alle Rechte vorbehalten
Lektorat: Bruno Hof
Korrektorat: Dr. Tim Becker
Titelbild: iStock.com/Lukassek
Titelillustration: iStock.com/VeraPetruk
Gestaltung, Satz, Umschlag: Björn Pollmeyer
ISBN E-Book 978-3-95540-773-5
ISBN Print 978-3-95540-392-8
www.regionalia-verlag.de
Nach der Sage ist vor der Sage
I. Vom Beginn des ersten Westfalen und der Stadt Münster
Kontra auf den dicksten Grand
Der erste Westfale (auch: Der erste Westfälinger)
Münster oder Mailand – Hauptsache Italien!
Die Erbauung der Stadt Münster
II. Die Beckumer Anschläge
Achtbares Unikum Anagramm Rathaus in Beckum
Wie die Bürger sich zum Bau eines Rathauses vorbereiten.
Hell wie ein Tunnel
Wie das Rathaus aufgebaut, aber die Fenster dabei vergessen wurden.
Dem Licht eine Falle stellen
Beratung der Bürger, das Licht in ihr Rathaus zu tragen.
Frisches Ambossfett
Wie ein durchreisender Landstreicher den Bürgern riet, das Tageslicht in ihr Rathaus zu bringen und sie betrog.
Wer den Dachschaden hat, braucht für den Spott nicht zu sorgen
Die Bürger werden der Ursache der Finsternis in ihrem Rathaus endlich gewahr und schaffen selbige ab.
Perpetuum salzile
Die Bürger besäen einen Acker mit Salz, dass es wachsen sollte – und was sich damit zutragen.
Das schlaue Vieh ausgetrickst
Wie einiges Vieh auf den Salzacker gekommen und wie selbiges fort getrieben worden ist.
Salz, süßes Salz!
Wie das Salz gewachsen und reif geworden ist und die Bürger es nicht abschneiden konnten.
Bergab geht’s schneller als zu Fuß
Wie die Bürger einen Mühlstein gruben und einer mit diesem weglief.
Kopflose sind meistens Nieten
Der Bürger Mitleid mit einem armen Nussbaum und was sie mit ihm taten.
Angriff der Killermonster
Was sich damals mit einem Krebs in der Stadt zugetragen hat.
Das Universum in der Nussflasche
Der behütete Nussbehälter.
Da liegt der Bürgermeister im Pfeffer
Die sonderbaren Pferde- und Kuh-Eier.
Gras im Kopf
Wie die Bürger das Gras auf dem Kirchturm durch den Gemeinde-Ochsen abweiden lassen wollten.
Tischlein deck’ dich und Knüppel auf den … Schenkel
Wie die Bürger ihre Füße verwechselten und dieselben nicht mehr zu unterscheiden vermochten, doch zuletzt jeder die seinen wiederfand.
Heiliger Bimbam!
Das Verbergen einer Glocke.
Von den Gänsen lernen
Das Schicksal einer langen Wurst.
Mit Minz und Maunz die Katze erhob sie ihre Tatze
Der Ankauf eines Mausehundes und das durch diesen verursachte
Und ihre Tränen fließen wie’s Bächlein auf den Wiesen
Wie die Bürger beratschlagen, andere Wohnungen zu suchen und alle hinwegzogen.
III. Sagen und Legenden von Heiligen, Kirchen und Klöstern
Liudger – Agonie und Ekstase in zehn Akten
Leben des heiligen Ludgerus, erster Bischof von Münster
Teil I – König Radbod und der Edelmann Wursing
Teil II – Thiatgramm und Liesburch
Teil III – Der junge Autor
Teil IV – Lehrjahre in Yorck
Teil V – In heiliger Mission
Teil VI – Die Weihe zum Priester Teil VI – Die Weihe zum Priester
Teil VII – Die Weihe zum Bischof
Teil VIII – Das Vermächtnis des Liudger
Teil IX – Ein Mann wie nicht von dieser Welt
Teil X – Liudger fährt auf in den Himmel
Die gefiederten Maulwürfe graben nach Gänsewein
Der Ludgerus-Brunnen zu Billerbeck
Gans normal
Ludgerus und die Gänse
Stirb langsam
Die beiden heiligen Ewalde
Stirb langsamer
Die Legende von den Heiligen Ewalden
Ein göttlicher Bauauftrag
Die heilige Ida
Ein Licht im Dunkeln
Die Stiftung des Klosters Freckenhorst
Lengwycks langer Weg
Das heilige Kreuz zu Freckenhorst
»Dieser Mann ist unschuldig. Gurr, gurr!«
Der heilige Sueder
Es kann die Frömmste nicht in Frieden leben, wenn es der bösen Mutter nicht gefällt
Die heilige Reinhildis
Ein Happen Kloster für die Erde
Das heilige Meer
Der unbestechliche Baumeister
Das Hufeisen auf dem Überwasser-Kirchhof zu Münster
Ein wortloses Baumeister-Schibboleth
Affe, Schaf und Schwein am Dom zu Münster
Preise gehen in den Himmel
Christi Himmelfahrt im Dom zu Münster
Unheiliger Bimbam
Die unterirdische Glocke
Lüdingelingeling!
Die Glocken zu Lüdinghausen
Zahlefrau und Töchter
Das Leben im Kloster
Das Grautier kannte eine Abkürzung
Der Esel des Bischofs Wulfhelm
IV. Sagen und Legenden von Jägern und Wäldern
Hirsch lebt, Jäger tot
Der Hochjäger
Jäger Brinkmann – Schneider Schnix 1:1 n.V.
Der Wilde Jäger und der Schneider zu Münster
Freischütz mit Freischütz bekämpfen
Jägerstücklein
V. Sagen und Legenden von Hexen, Zauberern und Zwergen
Hohoho – verhaspelt!
Das Heybrockmännchen
Blau, blau, blau blüht das Windhündchen …
Die drei Auflagen
Heilung mit der Belladonna
Der falsche Wunderheiler
Sautierte Kröten in Salamandergelee
Der Tecklenburger Hexenpfad
VI. Sagen und Legenden vom Teufel und von Jungfrauen
Unbedingt das elfte Gebot beachten
Der Teufel in der Dawert
Vom Herrn der Finsternis gesteinigt
Die Steine in der Dawert und bei Borken
Bodyshaming im Mittelalter
Der Pestbalg zu Bottrup
»Torte, Torte!«
Jungfer Eli
Auch der Teufel tauft nur mit Wasser
Die ungetaufte Glocke
›Bist du nicht billig, so zahl’ ich dich halt.‹
Das eiserne Halsband zu Münster
VII. Sagen und Legenden von Geistern, Gespenstern und anderen Gesellen
Eine laute Neinstimme
Der Kopf des heiligen Liborius
Heribert von und zu Pumpenhut, Amtmann a.D.
Amtmann Timphot
»Eins und eins und eins macht eins. Feierabend!«
Die Landmesser in der Galgheide
»Dein Wunsch ist mir Befehl, Eiermann!«
Plührs-Brücke
Das Heide-Uber ist gratis und kostet nur das Leben
Der Heidemann
Der Mensch stirbt auch vom Brot allein
Die beiden Schwestern
Ins Gras trinken
Der Gräsing zu Lengerich
Heubund-dresch-dich und Knüppel-an-dem-Hund
Der Knüppelhund
Außer Braten nichts geraten
Der Grinkenschmied
Angriff der Killerschmetterlinge!
Der Pestvogel bei Hagen am Teutoburger Wald
Abt schlägt Bauer, Schicksal schlägt Abt
Von dem Abt, der in einen Raben verwandelt wurde
Süß wie Gallensaft
Der Honigtopf zu Billerbeck
Kopflose sind meistens Nieten II
Mit dem Kopf unter dem Arm
Mutterliebe
Das Hockende Weib
Gleich zwei Pyrrhus-Siege an einem Tag
Steinbecker Esch
Der ewige westfälische Frieden
Haus Marck
Wo eine Wohnung ist, ist auch ein Dorf
Das Dorf Einen
VIII. Sagen und Legenden von Bergen, Burgen und Schlössern
Laufe nie einem Bus oder einer Frau hinterher
Wenn zwei sich streiten
Gut geneppt ist halb gegeistert
Der Rentmeister Schenkewald
Gold macht nicht glücklich – es beruhigt nicht einmal nach dem Tod
Das Königsgrab und die Urnen in der Hohen Warte
Die Schwester der dicken Berta
Die große Grete zu Tecklenburg
Unheil auf Schloss Bentheim
Der Brunnen, das Kreuz, das Götzenbild und die weiße Frau auf Schloss Bentheim
In dunkler, grüblerischer Stille rüsten die Wolken zum Gefecht
Der letzte Burggraf von Stromberg
I
II
III
IV
V
VI
VII
VIII
IX
Du sollst Vater und Edelsteine ehren
Die Jungfrau von Ottenstein
Wo die Sagen und Legenden beheimatet sind
Literatur- und Quellenverzeichnis
Liebe lesende Menschen,
willkommen zu einer weiteren Reise durch die Welt deutscher Sagen und Legenden. So, wie sich unser Planet gegen den Uhrzeigersinn dreht, so haben wir bisher beginnend mit des Autors Heimatstadt Trier das Land bereist: Hunsrück, Saarland, Schwaben, Bayern, Thüringen, Berlin, Harz mit Kyffhäuser – und nun das Münsterland. Nicht alle Bände sind in dieser Reihenfolge erschienen, manche warten noch in der Druckerei auf das grüne Licht – und einige haben bereits geschriebene zweite Teile, so mächtig quoll ihr Sagenschatz aus der Truhe unserer Vergangenheit heraus.
Dr. Karl Martin Schiller, der kurz darauf Ludwig Bechsteins »Deutsches Sagenbuch« neu herausgeben würde, sagte im März 1930 die folgenden Worte dazu:
»[…] Liebevolle Achtung vor dem lebendigen Wirken und Weben im Volke ist der Grundzug der Bechsteinschen Sammlung. Dieser Grundzug mußte auch in unserer Neuausgabe gewahrt bleiben und deswegen dem Text möglichst seine ursprüngliche Gestalt gelassen werden. Zugleich aber galt es, die Sagen dem Verständnis und dem Empfinden des heutigen Lesers nahezubringen. […]
Dabei war noch besonders daran zu denken, daß jede Geschichte ihr eigenes Wesen und ihren eigenen Klang hat. Es wäre also nichts falscher gewesen als Vereinheitlichung. Man wird also finden, daß der Ton der Geschichten je nach Stoff, Zeit und Landschaft wechselt.«
Ihr Autor möchte sich dem Gesagten gerne anschließen. Nichts wäre ihm persönlich lieber, als alle Sagen aller Zeiten, aller Orte in eine gemeinsame Form zu bringen und eine beispiellose wissenschaftlich fundierte Dokumentation der Sagenwelt schmieden zu können. Man könnte bewerten, vergleichen, analysieren – alles mit dem besten Vorsatz, die Welt und uns selbst zu verstehen.
Doch ganz so einfach macht das Universum es uns nicht. Eine derartige Entität hat es nicht nötig, Dinge einfach zu machen. Deshalb müssen wir Menschen nach geeigneten Mitteln suchen, um diese Vergleiche anzustellen und über uns lernen zu können. Würde man nach der obigen Methode vorgehen, entwickelte sich vermutlich ein Resultat gemäß dem Motto »Operation geglückt, Patient tot«:
Alle Sagen würden in eine Scheune gescheucht und eingesperrt. Dann würde eine nach der anderen erlegt und gerupft, gehäutet und zerhackt werden. Immer weiter dringen die Messer in das Sagenfleisch hinein: entknorpeln und entbeinen, zerschneiden und zerteilen. Alles mit dem besten Willen und Vorsatz, in sauberen Schlachthäusern, von gesunden, gut bezahlten und in Berufsverbänden organisierten Metzgern verarbeitet. Dann wird alles in einheitliche Form gebracht, gewürzt, in Paniermehl gewälzt und gebraten. Täterätätäää! Einmalige Gelegenheit! Greifen Sie zu! Nur hier und heute: Sagen McNuggets.
* * *
Die Sagen und Legenden aus dem Münsterland wurden schon vergleichsweise früh in schriftliche Form gebracht, zum Beispiel durch Friedrich Steinmann im Jahre 1825 oder Jodocus Temme 1831. Beide Autoren haben nicht nur zwei deutlich unterschiedliche Stile, sondern auch verschiedene Ansätze – und die Aufgabe für Ihren geschätzten Autor ist nun:
Dem lesenden Menschen ein Menü gemäß den Rezepten Steinmanns, Temmes und anderen servieren und sich dem Vorwurf des unkreativen Abschreibens aussetzen – oder die Hackmesser niedersausen lassen, eine Klinikpackung Maggi, lies: Adjektive in den Kutter werfen; dann das Resultat als «neu», «exklusiv» und vor allem breit grinsend in die Kamera zu präsentieren, das Ego ungetrübt von Empathie, Maß und Ziel. Der ehemalige Preußen-Münsteraner Ansgar Brinkmann würde kalauern, das brauche kein Mensch.
Der Autor ist dem Regionalia Verlag sehr dankbar für die Gelegenheit, ein schreibender Mensch zu sein; vor allem aber dankbar für die kreative Freiheit, seine Recherche mit Geschichtsbewusstsein und Fingerspitzengefühl zu kombinieren, damit der lesende Mensch des 21. Jahrhunderts sich selbst einen Eindruck verschaffen kann: Was bietet uns die Vergangenheit, was tun Menschen in der Gegenwart – und was wollen wir für die Zukunft?
Ein Spiel hat 90 Jahre – wenn man Glück hat. Schön, dass Sie da waren. Bleiben Sie gesund.
Trier, im August 2022
Ihr Mario Junkes
Jahwe sprach »Es werde Licht!«
und es wurde Licht.
Nur in Münster blieb es finster.
Jesus Christus von Nazareth wandelte mit seinem Jünger Petrus auf Erden. Wie uns die Sage berichtet, kamen sie dabei eines Tages ins Münsterland. Das Land sei damals noch ganz wüst gewesen, bedeckt mit Eichenwäldern und bewohnt mit Schweinen. Mit einem Mal habe Petrus den Herrn gebeten, das Land mit Menschen zu bevölkern. Christus aber habe das Haupt geschüttelt und gesprochen:
»So wie das Land werden auch die Menschen sein, die es nähre.«
Doch Petrus ließ nicht ab von seinem Bitten und so sprach Jesus, er wolle des Jüngers Wunsch gewähren, doch der werde sehen, was der Herr prophezeit habe. Beide standen gerade vor einem großen Haufen Schweinedung und Jesus sprach seine Schöpfungsworte:
»Werde ein Mensch!«
Und es geschah, was Jesus Christus prophezeit hatte. Ein trutziger, starker Mann erhob sich von der Erde und mit seinen ersten Worten fuhr er den Herrn unwirsch an:
»Wat stött he mi!«
So entstand der erste Münsterländer. Sofort nach seiner Erschaffung habe er sich mit seinem Schöpfer gezankt. Nach diesem ersten Münsterländer seien alle anderen geartet.
Andy Möller soll im Jahre 1992 gesagt haben: »Madrid oder Mailand – Hauptsache Italien«.
Im Jahr 568 war der Langobardenkönig Alboin mit einer gewaltigen Heeresmacht in Italien eingefallen, um hier ein eigenes Königreich zu gründen. Er konnte dabei auf die Unterstützung zahlreicher Verbündeten und Helfer zählen. So hatten sich ihm auch etwa 20.000 Sachsen angeschlossen, welche ihr Glück in der Fremde versuchen wollten.
Allerdings gefiel es ihnen nicht lange in dem fremden Land Italien. Außerdem wollte Alboin ihnen neue Gesetze aufdrängen und so sehnten sie sich nach ihren heimischen Gefilden zurück. Sie gaben diesem Wunsch nach und zogen durch Gallien in ihr Vaterland zurück. Allerdings hatten sich während ihrer Abwesenheit die Schwaben ihre Wohnsitze unter den Nagel gerissen – und wollten dieselben natürlich nicht wieder hergeben.
Nun boten die Schwaben, um ein unnötiges Blutvergießen zu vermeiden, den Sachsen an, das Land mit ihnen teilen zu wollen. Aber die Sachsen wollten davon nichts wissen, sondern verlangten, dass die Schwaben ihre Spätzlepfannen einpackten und sich vom Acker machten. Darauf wiederum wollten die Schwaben natürlich nicht eingehen und so kam es zu einem erbitterten Kampf der alten Hausherren gegen die neuen.
Aber die Schlacht ging für die Sachsen sehr unglücklich aus. Sie verloren 14.000 Mann und die übrig gebliebenen 6.000 schworen, ihr Haupt- und Barthaar nicht eher wieder zu ordnen, als bis sie Rache für die Gefallenen genommen hätten. Doch richtete ein Drittel der ursprünglichen Mannstärke auch in einer zweiten Schlacht nichts mehr aus, wurde abermals geschlagen und die verbliebenen Lebendigen flohen gen Westen.
Nach einer Weile überquerten sie die Weser und gelangten in eine große Ebene an den Fluss Aa. Dort nisteten sie sich ein und beschlossen, an diesem Ort zu bleiben. Mit Weh erinnerten sie sich hier an das schöne Land, dessen Wohnsitze sie einst verschmäht hatten.
Zum Andenken an das herrliche Mailand, in dessen Nähe sie früher gewohnt hatten, baute man eine Stadt, die sie gleichfalls Mailand nannten – und welche nach vielfacher Umgestaltung des Namens heute Münster heißt.
Beckum wurde im Jahre 1134 zum ersten Mal urkundlich erwähnt und bereits 1224 erstmals als Stadt bezeichnet. Die frühesten Zeugnisse menschlicher Besiedlung, wie zum Beispiel das Galeriegrab von Beckum-Dalmer, stammen aus der Jungsteinzeit. Im frühen Mittelalter war die Gegend um Beckum von Germanenstämmen besiedelt.
Seien es die Nachfahren dieser frühen Bewohner, seien es von Völkerwanderungen herbei getragene Talente – die folgenden Seiten bieten eine Reihe von Anschlägen, mit denen es sich leben lässt.
Die Bewohner haben uns leider nicht überliefert, wann die Stadt erbaut wurde, wo genau sie stand und wie sie aussah – oder welchen Namen man ihr gegeben hatte. Sicher ist jedoch, dass den Bürgern nach der Fertigstellung auffiel: Man hatte vergessen, ein Rathaus zu bauen. Das konnte nicht angehen, das musste gelöst werden, wenn doch jedes andere armselige Städtchen sich mit einem Rathaus schmückte.
Flugs ließ man eine allgemeine Volksversammlung für den nächsten Montag festsetzen. Nach den von der höchsten Weisheit der Stadt zeugenden Reden (die leider später von einer benachbarten Stadt, welche dieselben sehr beneidete und sich zum Muster nehmen wollte, heimlich entwendet wurden – doch bei einem Brand noch im selben Jahre wieder verloren gingen) während dieser Versammlung wurde der Rathausbau beschlossen und dem Höchstfordernden zur Leitung übertragen:
Es war nämlich so, dass jeder Bürger die Ausführungsarbeiten selbst angehen wollte, da der Bau eine allgemeine und allen in gleichem Maße am Herzen liegende Angelegenheit war. Gleich am nächsten Morgen begab man sich an die Arbeit.
Zunächst ging es an die Herbeischaffung des Bauholzes, der Sparren und der Latten. Schon wurde der erste Baum aus dem tausendjährigen Wald, der, wir erinnern uns an die Sage des ersten Westfälingers, noch die Schöpfung der Welt gesehen hatte, von den Bürgern herbeigetragen. Der hochgeehrte Herr Bürgermeister führte von der Spitze weg, die gesamte Bürgerschaft half, und so zog man jubelnd in Festtagskleidung in die Stadt.
Doch was war das?
Als man an das Tor kam, war dieses zu eng und der Baum war zu lang! Man trug den Baum deshalb zu den anderen Toren der Stadt, doch auch dort gelang das Hereintragen nicht. Die Tore waren allesamt zu eng. Da war guter Rat teuer. Eine neue Volksversammlung wurde anberaumt, aber niemand wusste Rat, wie man den schönen Baum in die Stadt schaffen sollte. Nach dem Läuten der Feuerglocke kamen auch die alten Frauen aus der ganzen Stadt herbei, um das Vorgefallene zu erfahren.
Schließlich kam jemand auf den Gedanken, am nächsten Tag ein Stück von der Stadtmauer und auch das Tor niederzureißen. So konnte der Baum endlich unversehrt in die Stadt getragen werden.
Vielleicht meinen aufmerksame Leser nun, durchaus ganz richtig, dass man den Baum anstatt quer doch einfach der Länge nach hätte hineintragen sollen. Aber daran dachte man zum Unglück nicht. Nun, hören wir, wie es weitergeht.
Nachdem endlich das gezimmerte Bauholz, die Steine, Sand, Kalk, Bier, und was sonst noch zum Bauen erforderlich ist, zusammengetragen war, begannen die Bürger mit großem Eifer den Bau. In wenigen Tagen waren die drei Hauptmauern fertig, denn man wollte etwas Besonderes haben und das Rathaus dreieckig bauen.
Nun begab man sich an das Dach, welches gemäß dem Bau ebenfalls drei Ecken hatte, setzte den Dachstuhl auf die Mauern und wähnte sich stolz, das Werk bis auf das Decken vollendet zu haben. So, wie man gemeinsam gearbeitet hatte, ging man nun gemeinsam ins Wirtshaus, um sich dort auf Gemeindekosten einen verdienten Trunk zu genehmigen, denn das war bei allem Tun schließlich die Hauptsache.
Als am nächsten Tag mit der Glocke das Zeichen gegeben wurde, kamen sie alle wieder zusammen, stiegen auf den Dachstuhl und begannen, das Gebäude einzudecken. Nach vollendetem Werk gingen die Bürger dann zum ersten Mal in ihr neues Rathaus, um zu sehen, wie es sich darin raten lassen würde. Doch als sie aber in aller Ehrbarkeit eingetreten waren – sieh, schau, guck – es war dort drinnen ganz finster, so finster, dass einer den anderen kaum hören konnte.
Da erschraken die Bürger über alle Maßen. Man begann, lange und angestrengt zu überlegen, was man denn beim Bau vergessen haben könnte. Man ging aus der großen Türe hinaus, um von außen zu besehen, woran es denn fehle. Doch man sah nur die drei festen Mauern, das sauber gezimmerte Dach – es war beim Tageslicht wirklich nicht zu erkennen, woran es denn drinnen fehlen sollte.
Also gingen die Bürger wieder hinein, um sich das Ganze von drinnen anzusehen und den Fehler zu finden. Doch hier konnte man noch viel weniger einen solchen entdecken, denn es herrschte ein wahrer Mangel an Licht.
Was bleibt zu sagen?
Die Ursache für das Dunkel blieb den Bürgern unbekannt, sosehr man sich auch anstrengte, diese herauszufinden. Man konnte es nicht einmal erraten, sosehr man sich auch die Köpfe darüber zerbrach. Die Bürger waren in großer Sorge. Was konnte nur geschehen sein? Es musste eine Lösung gefunden werden – schnell, schnell – und deshalb beraumte man einen gemeinsamen Ratstag an.
Schließlich war der festgesetzte Ratstag gekommen und alle Bürger waren gekommen. Jeder von ihnen hatte eine kleine, brennende Fackel mitgebracht. Als man sich nun hinsetzte, steckte man sich die Fackel an den Hut, damit man sich im finsteren Rathaus einander gegenseitig erkennen und der Bürgermeister jedem bei der nun folgenden Befragung Namen und Titel geben könne. Die Befragung ging vonstatten und es wurden wieder vielerlei Meinungen vorgetragen. Doch wegen der heimlich entwendeten Weisheit mangelte es dieses Mal an guten Ideen. Es kam viel zweifelndes Gerede, wie es oft in diesen Fällen geschieht. Wieder war guter Rat teuer und man war kurz davor zu beschließen, das Rathaus von Neuem zu erbauen und diesmal aber sorgfältiger dabei vorzugehen.
Plötzlich aber stand ein Bürger auf und sprach:
»Wer weiß, ob sich das Licht und der Tag nicht in einem Sack tragen lassen, so, wie man Wasser in einem Eimer trägt? Unserkeiner hat es jemals versucht, nicht? Warum also sollen wir nicht endlich diesen Versuch machen? Wenn es uns gelingt, haben wir eine wichtige Kunst entdeckt und werden als Erfinder zu Recht großen Ruhm ernten. Gelingt es jedoch nicht, so haben wir nicht viel dabei verloren.«
Dieser Rat gefiel allen Bürgern so sehr, dass man beschloss, diesen mit aller Eile in die Tat umzusetzen. Also kamen sie am Mittag, als die Sonne am besten schien, alle vor dem neuen Rathaus zusammen. Jeder hatte ein Geschirr oder etwas Ähnliches dabei, mit dem er meinte, das Tageslicht fassen und ins Rathaus tragen zu können. Viele der Bürger brachten Hacken, Schaufeln, Mistforken und Anderes mit, um das Einfangen des Lichtes auf jede mögliche Art und Weise zu versuchen.
Sobald es ein Uhr geschlagen hatte, begannen alle, wie wild zu arbeiten.
Manche Bürger hatten große Säcke mitgebracht. Sie ließen die Sonne darin bis auf den Boden scheinen, knüpften die Säcke dann schnell zu und liefen ins Rathaus, um die Sonne darin auszuschütten. Sie sagten zueinander, dass die Säcke tatsächlich deutlich schwerer waren als vorher.
Andere taten dasselbe mit verdeckten Gefäßen wie Töpfen, Kesseln, Schüsseln, Fässern und was sich sonst noch alles im Haus fand. Einer fing das Licht mit seiner Heugabel und tat es in einen Korb, ein anderer tat dasselbe mit einer Schaufel und einem Eimer. Etliche Leute gruben das Licht aus der Erde hervor. Ein besonders gewitzter Bürger meinte, das Tageslicht könne man nur mit einer Mausefalle fangen, denn es müsse erst mit einer List bezwungen werden, bevor man es ins Haus tragen könne. Den ganzen Tag arbeiteten die Bürger mit großem Eifer, bis sie schließlich alle nacheinander ermüdeten und von Hitze wie Erschöpfung niedergestreckt wurden.
Als sie aber am Ende des Tages genauso viel ausgerichtet hatten wie die Riesen, welche einst die Berge übereinander gesetzt hatten, damit sie den Himmel erstürmen konnten, trösteten sich die Bürger mit den Worten:
»Nun, es wäre doch wahrlich eine feine Kunst gewesen, wenn es uns geraten wäre.«
Man zog von dannen und hatte demnach so viel gewonnen, dass man auf Unkosten der Gemeinde ins Wirtshaus ging, um sich beim Trank zu erquicken.
Wie nun die Bürger so bei ihrer Arbeit waren, kam ein fremder Wandersmann vorüber. Der stand still, sah dem Treiben zu, seine Kinnlade fiel herunter – und er wäre fast von dem ganzen Tun angesteckt und ebenfalls ein Bürger geworden. Abends in der Herberge fragte er, warum die Bürger denn derart in der Sonne gearbeitet hätten.
Die Umstehenden erklärten ihm bereitwillig, man habe versucht, das Tageslicht ins Rathaus zu tragen, weil es dort drinnen so dunkel sei, dass man nichts sehen könne. Der Fremde war ein gewitzter Schlingel und dachte sich gleich, dass hier wohl ein guter Reibach zu machen wäre. Er fragte die Bürger deshalb, ob sie mit ihrer Arbeit etwas ausgerichtet hätten. Die Leute verneinten.
Der Wandersmann meinte daraufhin, er könne ihnen erklären, wie sie die Sache erfolgreicher angehen könnten. Als die Bürger das hörten, waren sie über alle Maßen froh und versprachen dem fremden Mann ein stattliches Ehrengeschenk, wenn er ihnen seinen Rat erteilen würde. Der Geselle versprach ihnen solches gleich für den nächsten Tag. Die Bürger waren sehr zufrieden und hießen den Wirt, dem Gast einzuschenken und aufzutragen und alles auf die Rechnung der Gemeinde zu setzen.
Als die liebe Sonne den Bürgern den helllichten Tag wiedergebracht hatte, führte man den fremden Wandersmann zum Rathaus und man untersuchte es sorgfältig: von vorne und von hinten, von unten und von oben, von innen und von außen. Der Geselle tat, als überlegte er angestrengt eine ganze Weile lang, bis er schließlich die Bürger zu sich rief, um ihnen seinen Ratschlag zu geben: Man müsse die Ziegel vom Dach des Rathauses nehmen.
Im Nu war es geschehen und der fremde Weise sagte, dass die guten Bürger von nun an so viel Tageslicht in ihrem Rathaus hätten, wie es nur möglich sei – und wenn man dem Lichte überdrüssig würde, könne man es jederzeit verjagen.
Die Bürger hatten zwar mit Freude gesehen, dass nun endlich Licht in ihrem Rathaus war, doch den letzten Spruch des Wanderers hatten sie nicht verstanden. Wenn sie wieder das Dach darauf deckten, so würde es doch finster werden … doch es war ihnen einerlei. In ihrer großen Freude dachten sie nicht an die Zukunft, sondern nur daran, wie sie in ihrem Rathaus würden beraten können, nun, da endlich das Licht darin war.
Wie versprochen, ließen die Bürger dem fremden Wundertäter ein in der Tat ansehnliches Ehrengeschenk aus dem Stadtsäckel zukommen und dankten ihm mit vielen Worten für seine selbstlose Hilfe.
Der fremde Wandersmann schaute dem geschenkten Gaul nicht lange ins Maul, sondern machte, dass er davonkam. Immer wieder schaute er hinter sich, ob nicht doch einer der Bürger hinter ihm herliefe, um ihm das ergaunerte Geschenk wieder abzunehmen. Bis auf den heutigen Tag weiß niemand, woher der Fremde gekommen war, oder wohin ihn sein Weg geführt hatte. Das Einzige, was man über ihn wusste, war, dass man seinen Rücken zuletzt gesehen habe.
Die Bürger freuten sich sehr über ihr neues Rathaus und den ganzen Sommer lang hielten sie darinnen fleißig Rat, behandelten die wichtigen Sachen, den gemeinsamen Nutzen, das Vaterland und wie man es verbessern könne. Sie hatten ein solches Glück, dass es den ganzen Sommer nicht ein einziges Mal regnete, während sie beratschlagten. Doch auch dieser Sommer ging zu Ende, der Winter kam herbei und brachte Wind, Regen und Schnee.
Als die Bürger nun eines Tages zu Rat saßen, bemerkten sie plötzlich, wie ihnen die Schneeflocken auf die Nasen fielen. Man kam überein, dem Rathaus erneut einen Hut aufzusetzen, der ihnen allen gut gefallen würde. Also deckte man das Dach wieder zu und meinte, man könne mit einem guten Ofen genauso warm und gemütlich im Rathaus sitzen, wie man es vom Sommer und der Sonne gewöhnt war.
Als aber das Dach wieder gedeckt war und die Bürger in ihr Rathaus gingen, war es plötzlich wieder so dunkel wie vorher. Die von dem fremden Wundertäter verschriebene teure Tageslicht-Einsparungs-Kunst-Erfindung war offenbar nutzlos – und nun erst bemerkten die ehrbaren Bürger, dass sie nicht ins Licht, sondern hinters Licht geführt worden waren.