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RACHE, LIEBE, DIAMANTEN Das wird Nikos Kyriacou eine Lehre sein! Um sich an dem griechischen Millionär zu rächen, drängt Angelina ihn zu einer lieblosen Zweckehe. Sie will ihn dafür büßen lassen, dass er den kostbaren Diamanten zurückfordert, den er ihrer Schwester Tiffany einst geschenkt hat. Angelinas verwegener Racheplan ginge fast auf, würde sie dem ehrgeizigen Geschäftsmann dabei nicht unweigerlich immer näherkommen … PARADIES GESUCHT - LIEBE GEFUNDEN Mit dem Multi-Millionär Leandro segelt Millie auf seine griechische Trauminsel im Mittelmeer - und in den siebten Himmel! Als bald darauf ihre Schwester schwanger wird, droht aus Millies Traum ein Albtraum zu werden: Ist der verführerische Leandro der Vater des Babys? HAPPY END AUF KORFU Jetzt ist Schluss! Noch immer trägt Kelly den Ring des Mannes, der sie auf Korfu am Traualtar sitzen ließ. Um Alekos endlich aus ihrem Herzen zu verbannen, verkauft sie das Schmuckstück im Internet. Doch wer ist der geheimnisvolle Käufer, der ein Vermögen für den Ring gezahlt hat? WENN NÄCHTE WIE CHAMPAGNER PRICKELN Selene ist die pure Versuchung. Und ausgerechnet zu ihm flieht sie vor ihrem tyrannischen Vater! Für Stefan Ziakas ist die süße Tochter seines Rivalen das ideale Rachewerkzeug. Aber als sie ihn auf seiner Party champagnerselig anstrahlt, ist all sein Zorn verflogen …
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Seitenzahl: 702
Sarah Morgan
Sarah Morgan - Verführt vom griechischen Millionär
IMPRESSUM
CORA CLASSICS erscheint in der HarperCollins Germany GmbH
Neuauflage by HarperCollins Germany GmbH, Hamburg, in der Reihe: CORA CLASSICS, Band 9 – 2015
© 2006 by Sarah Morgan Originaltitel: „Blackmailed by Diamonds, Bound by Marriage“ erschienen bei: Mills & Boon Ltd., London in der Reihe: MODERN ROMANCE Published by arrangement with HARLEQUIN ENTERPRISES II B.V./S.àr.l. Deutsche Erstausgabe 2005 by CORA Verlag GmbH & Co. KG, Hamburg, in der Reihe: JULIA EXTRA, Band 269 Übersetzung: Karin Seemann
Abbildungen: Harlequin Books S.A., alle Rechte vorbehalten
Veröffentlicht im ePub Format in 06/2015 – die elektronische Ausgabe stimmt mit der Printversion überein.
E-Book-Produktion: GGP Media GmbH, Pößneck
ISBN 9783733733216
Alle Rechte, einschließlich das des vollständigen oder auszugsweisen Nachdrucks in jeglicher Form, sind vorbehalten. CORA-Romane dürfen nicht verliehen oder zum gewerbsmäßigen Umtausch verwendet werden. Sämtliche Personen dieser Ausgabe sind frei erfunden. Ähnlichkeiten mit lebenden oder verstorbenen Personen sind rein zufällig.
Weitere Roman-Reihen im CORA Verlag:BACCARA, BIANCA, JULIA, ROMANA, HISTORICAL, MYSTERY, TIFFANY
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Angie Littlewood blickte überrascht von ihren Notizen auf. Hatte sie da gerade etwas gehört? Wie die anderen Forscher und Wissenschaftler, die hier unten in dem Gewölbe unter dem archäologischen Museum arbeiteten, wusste sie die Ruhe zu schätzen. Doch jetzt kündigten schnelle Schritte, die von der Steintreppe herüberhallten, die in die dunkle Gruft führten, Besuch an. In der Tür erschien die Museumsdirektorin Helen Knightley. Sie blickte Angie beunruhigt an.
„Was ist passiert, Helen?“, fragte Angie.
„Ich weiß nicht, wie ich es dir beibringen soll“, begann Helen.
Angie befürchtete sofort, ihrer Mutter sei etwas zugestoßen. Nach dem schmerzlichen Ereignis vor sechs Monaten wagte Angie kaum noch, sie allein zu Hause zu lassen.
„Du hast Besuch“, antwortete Helen.
Angie seufzte leise auf, während sie das Tongefäß zur Seite legte, das sie gerade auf sein Alter prüfte, und stand von ihrem Arbeitsplatz auf. „Ist es wieder meine Mutter? Ich habe ihr oft genug erklärt, sie könne nicht einfach unangemeldet …“
„Nein“, unterbrach Helen sie, doch bevor sie weitersprechen konnte, betrat ein Mann den Raum.
Sekundenlang betrachtete Angie seine attraktiven Züge, die seltsam kalt wirkten, und seine athletische Gestalt und verglich ihn insgeheim mit einem griechischen Gott. Prompt stieg ein beunruhigendes Bild vor ihr auf. Sie stellte sich vor, dass seine nackte muskulöse Brust in der Sonne bronzefarben glänzte, während er …
„Angie?“
Helens Stimme riss sie aus den Gedanken. Dieser Mann war offenbar eine prominente Persönlichkeit, denn er strahlte Macht und Autorität aus. Zwei andere Männer, vermutlich Leibwächter, waren ihm gefolgt und hatten sich nun eindrucksvoll hinter ihm postiert. War er ein Sponsor? Obwohl Angie sich lieber ihrer Arbeit gewidmet hätte, war ihr klar, dass Stellen wie ihre nur dank großzügiger Spenden von Privatleuten und Firmen finanziert werden konnten. Es war wichtig, einen guten Eindruck zu machen. Also ging sie lächelnd auf ihn zu.
Sie hatte in Oxford studiert und promoviert, sprach fünf Sprachen fließend, darunter Griechisch, und konnte die besten Zeugnisse vorweisen. Nur auf solche Qualitäten kam es einem möglichen Sponsor an. Schönheit war hier nicht gefragt.
„Es freut mich, Sie kennenzulernen“, begrüßte sie den Fremden.
Er schüttelte ihr die Hand. „Sie sind Miss Littlewood, nehme ich an.“ Seine Stimme klang fest, und er sprach mit leichtem Akzent.
Angies Gedanken schweiften erneut ab, und sie überlegte, mit welchem griechischen Gott er mehr Ähnlichkeit hatte, mit Apoll oder Ares?
„Das ist Nikos Kyriacou, der Präsident von Kyriacou Investments“, stellte Helen ihn vor.
Ein Grieche? Angie lächelte. Der Vergleich mit einem griechischen Gott war wohl gar nicht so abwegig. Erst nach und nach drang der Name in ihr Bewusstsein. Nikos Kyriacou! Von Kyriacou Investments hatte Angie noch nie etwas gehört, aber in den letzten sechs Monaten hatte ihre Mutter oft genug von Nikos Kyriacou gesprochen.
Helen spürte offenbar, wie gespannt die Atmosphäre auf einmal war. Sie räusperte sich. „Vielleicht sollten wir …“
„Lassen Sie uns allein“, unterbrach Nikos Kyriacou sie hart und unhöflich. „Ich möchte mit Miss Littlewood unter vier Augen sprechen.“
„Aber …“
„Es ist in Ordnung, Helen“, behauptete Angie. Insgeheim wusste sie jedoch, dass nichts in Ordnung war. Ihre Knie zitterten, und sie wollte mit diesem Mann nicht allein sein. Sein unhöfliches Benehmen überraschte sie nicht. Zweifellos war er ein rücksichtsloser und gefühlloser Mensch. Man konnte ihn mit Ares, dem attraktiven, aber kalten griechischen Kriegsgott, vergleichen, der den Menschen Tod und Verderben gebracht hatte.
Sie straffte die Schultern und wappnete sich für die bevorstehende Auseinandersetzung. Während sie ihn unverwandt ansah, spürte sie die Kälte und Rücksichtslosigkeit, die er ausstrahlte. Am liebsten hätte sie die Flucht ergriffen. Doch dann erinnerte sie sich an ihre Schwester und an ihre Mutter … und an ihr Schicksal, das eng mit Nikos Kyriacou verbunden war.
Wie oft hatte sie sich schon vorgestellt, was sie diesem Mann alles an den Kopf werfen würde, falls sie ihm jemals begegnen sollte.
Warum sollte sie sich davor fürchten, mit ihm allein zu sein? Er hatte ihre Familie ins Unglück gestürzt. Etwas Schlimmeres konnte er ihr nicht antun.
Nikos Kyriacou erwiderte ihren Blick ohne jedes Anzeichen von Mitgefühl oder Reue.
„Zuerst möchte ich Ihnen mein Beileid zum Tod Ihrer Schwester aussprechen“, begann er, nachdem Helen sich zurückgezogen hatte.
Angie war schockiert über so viel Heuchelei. Vielleicht hätte sie ihm geglaubt, wenn seine Stimme nicht so hart geklungen hätte. Doch seine Worte hörten sich nicht wie eine Beileidsbezeugung an, sondern wie eine Beleidigung.
Heftiger Schmerz durchströmte sie, und sie atmete tief ein. „Wenn Sie das nächste Mal jemandem Ihr Beileid aussprechen, sollten Sie wenigstens so tun, als meinten Sie es ernst. Unter den gegebenen Umständen ist Ihre Beileidsbezeugung völlig unangebracht. Nach allem, was Sie getan haben, halte ich es für eine Unverschämtheit, dass Sie überhaupt mit mir reden wollen.“
Er runzelte die Stirn. „Der Tod Ihrer Schwester war ein bedauerlicher Unglücksfall, aber …“
„Ein bedauerlicher Unglücksfall?“, unterbrach Angie ihn scharf, obwohl sie normalerweise weder laut noch aggressiv wurde. „Sie wollen Ihr Gewissen beruhigen, um nachts gut schlafen zu können, nicht wahr, Mr Kyriacou?“
In seinen dunklen Augen blitzte es gefährlich auf. „Ich habe kein Problem mit meinem Schlaf.“
Ihr Herz fing an zu rasen, und ihre Hände wurden feucht. Zorn und Empörung durchströmten sie. Die beiden Männer hinter ihm beobachteten sie aufmerksam.
„Was sind das für Leute, die Sie mitgebracht haben?“, fragte Angie.
„Meine Leibwächter.“ Mit einer ungeduldigen Handbewegung schickte er die Männer fort.
„Ah ja. Wenn Sie mit allen Menschen so umgehen wie mit meiner Schwester, brauchen Sie natürlich Leibwächter. Sie kennen keine Skrupel. Meine Schwester ist in Ihrer Villa vom Balkon gestürzt und war sofort tot. Dennoch wagen Sie es, so zu tun, als wären Sie für ihren Tod nicht verantwortlich!“
Plötzlich wirkte er angespannt. „Die Polizei hat gründlich ermittelt, und man ist zu dem Schluss gekommen, dass es ein Unfall war.“ Seine Stimme klang so gleichgültig, dass Angie noch zorniger wurde.
So kannte sie sich gar nicht. Verzweifelt versuchte sie die aufsteigenden Tränen fortzublinzeln. „Natürlich, ein Unfall. Was sonst?“, spottete sie. „Sie sind eine prominente Persönlichkeit, nicht wahr, Mr Kyriacou?“
Er versteifte sich. „Ich weiß nicht, was Sie damit andeuten wollen, Miss Littlewood. Aber ich warne Sie! Seien Sie vorsichtig!“
Angie erbebte insgeheim. Nikos Kyriacou wirkte einschüchternd und sehr gefährlich. Vor Wut hätte sie diesem Mann am liebsten eine Ohrfeige verpasst.
Eigentlich war sie ein ruhiger, ausgeglichener Mensch. Doch jetzt entdeckte sie Seiten an sich, von denen sie bisher nicht gewusst hatte, dass sie existierten.
„Nicht Miss, sondern Dr. Littlewood“, korrigierte sie ihn kühl. „Von Ihnen lasse ich mich bestimmt nicht einschüchtern.“
„Natürlich, Dr. Angelina Littlewood. Aber ich bin nicht hier, um Sie einzuschüchtern.“ Seine arrogante Miene war unerträglich.
„Man nennt mich Angie und nicht Angelina.“ Angelina passte eher zu einer schönen, glamourösen Frau als zu ihr, wie sie fand. „Offenbar wissen Sie nicht viel von mir.“
„Doch. Sie haben Archäologie studiert, sind Dr. phil. und haben sich auf antike griechische Kunstwerke spezialisiert. Eine beachtliche Leistung für eine so junge Frau. Verraten Sie mir eins, Dr. Littlewood: Lassen Sie sich immer mit Ihrem Doktortitel anreden?“, fragte er ironisch.
Angie war schockiert darüber, dass er mehr von ihr wusste, als ihr lieb war. „Nur wenn man versucht, mich von oben herab zu behandeln.“
„Habe ich das getan?“ Er ließ den Blick über ihr Gesicht, die Brille und das gelockte rötliche Haar gleiten, das sie streng im Nacken zusammengesteckt hatte. „Sie haben nicht viel Ähnlichkeit mit Ihrer Schwester“, stellte er fest.
Er hatte sie in ihrem empfindlichsten Punkt getroffen. Sie wandte sich ab. Dass sie und Tiffany in beinahe jeder Hinsicht sehr verschieden gewesen waren, war ihr klar. Dennoch hatten sie sich nahegestanden. Auch als aus dem liebenswerten kleinen Mädchen ein launischer Teenager geworden war, hatte sich daran nichts geändert. Doch Angie machte sich große Vorwürfe. Vielleicht hätte sie ihrer jüngeren Schwester energischer ins Gewissen reden müssen?
Müde strich Angie sich über die Stirn, wie um den Schmerz abzustreifen. War sie am Ende doch nicht ganz unschuldig am Tod ihrer Schwester? Immerhin hatte sie nichts gegen Tiffanys selbstzerstörerische Lebensweise unternommen und nicht versucht, Tiffany von Männern wie Nikos Kyriacou fernzuhalten.
„Haben Sie den Abschlussbericht gelesen?“, fragte er hart.
Sie wusste, was er meinte. „Ja, ich habe gelesen, dass sie betrunken war“, erwiderte sie ruhig. Als sie seine überraschte Miene bemerkte, fügte sie hinzu: „Haben Sie gedacht, ich wüsste es nicht oder würde versuchen, es abzustreiten?“
„Obwohl in dem Bericht zweifelsfrei festgestellt wird, dass mich und meine Familie keine Schuld trifft, sind Sie offensichtlich davon überzeugt, ich sei für den Unfall verantwortlich. Deshalb dachte ich, Sie hätten ihn vielleicht nicht gelesen.“
Ungläubig sah sie ihn an. „Tiffany war noch sehr jung, Mr Kyriacou. Sie hatte gerade ihren achtzehnten Geburtstag gefeiert, als sie die Stelle in einem Ihrer Hotels antrat. Die meisten Achtzehnjährigen trinken manchmal etwas zu viel. Das gehört zum Erwachsenwerden.“
„Sprechen Sie aus eigener Erfahrung, Dr. Littlewood?“
Sie runzelte die Stirn. „Das tut nichts zur Sache.“
„Wirklich nicht?“ Er lächelte flüchtig und blieb ruhig und beherrscht.
„Falls Sie jede Verantwortung von sich weisen wollen, nur weil Tiffany etwas zu viel getrunken hatte, muss ich Ihnen leider widersprechen. Unter den gegebenen Umständen finde ich Ihre Gleichgültigkeit geradezu beleidigend. Sie sind zumindest insofern für Tiffanys Tod verantwortlich, als dass sie an dem Abend nur Ihretwegen zu viel getrunken hat.“
Warum bin ich eigentlich bisher jeder Konfrontation aus dem Weg gegangen? überlegte Angie kampflustig. Sie fand es sehr befreiend, das auszusprechen, was sie dachte.
Völlig unbeeindruckt zog Nikos Kyriacou die Augenbrauen zusammen. „Glauben Sie, ich hätte ihr den Alkohol selbst eingeflößt?“
„Vielleicht könnte man es sogar so nennen. Unter normalen Umständen wären meine Schwester und Sie sich niemals begegnet, doch leider hat das Schicksal Sie und Tiffany zusammengeführt.“
„Das Schicksal?“, wiederholte er ironisch.
Sie wusste nicht, was er mit der Bemerkung andeuten wollte, aber es war bestimmt etwas Negatives.
„Meine Schwester hatte mit einem Ihrer Hotels einen Zweijahresvertrag abgeschlossen. Auf Ihren Jetset-Partys musste sie die Leute mit Alkohol versorgen. Sie war jung und voller romantischer Ideen. Und das haben Sie ausgenutzt. Sie waren ganz und gar nicht der richtige Mann für Sie, Mr Kyriacou, und das hätte Ihnen mit all Ihrer Erfahrung klar sein müssen. Sie hätten bei Ihren Models, den Schauspielerinnen und den anderen Frauen aus Ihren Kreisen bleiben sollen, die mit Ihren Spielregeln vertraut sind. Aber Sie konnten meiner Schwester offenbar nicht widerstehen, nicht wahr?“ Angies Stimme bebte nur so vor Verachtung. „Sie haben Ihre Unerfahrenheit ausgenutzt und ihr das Herz gebrochen.“
Sekundenlang betrachtete er sie schweigend. „Ich möchte Ihre Schwester nicht diffamieren“, erklärte er schließlich. „Doch offenbar gehen unsere Meinungen, was den Unfall und auch den Charakter Ihrer Schwester betrifft, weit auseinander.“
„Das ist mir klar, denn Sie wollen Ihr Gewissen beruhigen. Offenbar haben Sie sich erfolgreich eingeredet, Sie seien völlig unschuldig an dem, was passiert ist. Aber Tiffany hatte noch nie einen festen Freund, dennoch haben Sie …“ Sie verstummte und errötete, während Nikos Kyriacou sie fragend ansah.
„Was soll ich gemacht haben?“ Seine Stimme klang gefährlich sanft. „Tun Sie sich keinen Zwang an, Dr. Littlewood. Klären Sie mich auf, was ich Ihrer unschuldigen Schwester angetan haben soll. Ich muss gestehen, ich finde Ihre Sicht der Dinge faszinierend. Mit der Realität hat es jedoch nichts zu tun.“
Fanden die Frauen ihn deshalb so attraktiv, weil er etwas Gefährliches, Bedrohliches ausstrahlt? überlegte Angie. Sie gestand sich ein, dass er ungemein gut aussah. Aber er wirkte zu kalt und zu rücksichtslos.
Plötzlich fiel ihr ein, wie stolz ihre Mutter darauf gewesen war, dass Tiffany eine romantische Beziehung mit ihm hatte.
Angie hingegen war entsetzt gewesen. „Er ist mindestens fünfzehn Jahre älter als Tiffany!“
Gaynor Littlewood hatte nur die Schultern gezuckt. „Er ist steinreich und prominent. Sie hat es geschafft, ihr kann nicht mehr viel passieren. Wenn sie mit ihm zusammen ist, öffnen sich Türen, die ihr bisher verschlossen waren. Es wird behauptet, er sei Multimillionär. Auf jeden Fall ist er ein erfolgreicher Unternehmer und hochintelligent. Von den bisherigen Freundinnen, meist Models und Schauspielerinnen, hat er sich jedes Mal nach wenigen Wochen wieder getrennt. Mit Tiffany hingegen ist er schon länger als sechs Wochen zusammen. Offenbar meint er es ernst.“
„Warum sollte sich denn ein Mann wie Nikos Kyriacou für Tiffany interessieren?“, fragte Angie. Wenn er wirklich intelligent war, würde Tiffany ihn innerhalb weniger Wochen langweilen.
„Tiffany ist außergewöhnlich schön“, entgegnete ihre Mutter ärgerlich. „Griechische Männer schätzen die Schönheit einer Frau mehr als ihre Intelligenz. Ich erwarte nicht, dass du es verstehst, denn du interessierst dich vor allem für Bücher und deine wissenschaftliche Arbeit. Aber wenn ein Mann nach einem anstrengenden Tag nach Hause kommt, wünscht er sich etwas anderes als eine geistreiche Unterhaltung.“
Angie hatte eine spöttische Bemerkung gemacht und sich gefragt, warum intelligente Männer beim Anblick einer schönen Frau den Kopf verloren. Das beste Beispiel dafür war ihr Vater. Aber auch Nikos Kyriacou hatte offenbar nicht anders reagiert. Dass er für den Tod ihrer Schwester verantwortlich war, bezweifelte Angie nicht. „Tiffany war sehr unerfahren und vielleicht etwas leichtsinnig.“
„Meinen Sie?“ Sekundenlang blitzte es in seinen Augen gefährlich auf. Doch bereits kurz darauf hatte er sich wieder unter Kontrolle.
Angie hingegen bemerkte die Kontrolle über sich und die Situation immer mehr zu verlieren. An das Gewissen eines Mannes zu appellieren, der gar keins besaß, war sinnlos. „Ich kann nicht glauben, dass Sie als weltgewandter Unternehmer nicht erkennen konnten, was für ein Mensch Tiffany wirklich war. Sie müssen sie durchschaut haben“, erklärte sie.
„O ja, ich habe Ihre Schwester durchschaut und weiß, was für ein Mensch sie war“, antwortete er ruhig. „Aber ob das auch auf Sie zutrifft, wage ich zu bezweifeln.“
„Ich weiß, dass meine Schwester aufgrund ihres Aussehens und ihres Verhaltens den Eindruck erweckt hat, sie sei älter, als sie wirklich war. In Wahrheit war sie noch ein Kind. Sie kannte sich mit Ihrer Welt nicht aus, was Ihnen klar gewesen sein muss. Sie hätten ihr keine leeren Versprechungen machen dürfen.“
Der Grieche atmete scharf ein und kniff die Augen zusammen. „Was soll ich ihr denn versprochen haben?“
Angie schüttelte den Kopf. Es war eine Frechheit, dass er alles abstritt. „Sie haben ihr versprochen, sie zu heiraten, obwohl Sie nie die Absicht hatten.“
„Wie kommen Sie darauf, ich hätte ihr versprochen, sie zu heiraten?“
„Weil sie es mir erzählt hat. Ich bin sicher, Sie haben gehofft, sie würde nicht darüber reden. Sie haben Pech gehabt.“ Ihr zitterten die Hände, als sie die Tasche nach dem Handy durchwühlte. „Zwei Wochen vor ihrem Tod hat sie mir eine SMS geschickt. Zwei Wochen, ehe sie vom Balkon Ihrer Villa gestürzt ist, Mr Kyriacou.“
„Zeigen Sie sie mir“, forderte er sie ruhig auf.
Nach kurzem Suchen fand sie die SMS. „Hier ist es. Sie hat geschrieben: ‚N will mich heiraten. Bin glücklich.‘“ Angie reichte ihm das Handy und versuchte, den Kloß, der sich in ihrer Kehle gebildet hatte, zu ignorieren. „Sie war sehr verliebt in Sie, und sie war glücklich. An dem Abend, als sie gestorben ist, hat sie mir noch eine SMS geschickt. Sie können sie gern lesen.“
„‚Habe gerade die Wahrheit über N erfahren. Ich hasse ihn‘“, las er laut vor. „Dann stimmt es wirklich, sie hat erwartet, dass ich sie heirate“, stellte er angespannt fest.
„Warum schockiert Sie das? Waren Sie der Meinung, Tiffany hätte Sie und den Heiratsantrag nicht ernst nehmen dürfen? Wie alle jungen Mädchen träumte sie von einer Romanze mit Happy End. Daran sollten Sie sich erinnern, wenn Sie sich das nächste Mal mit einem Teenager einlassen. Sie war Ihnen nicht gewachsen! An dem Abend hat sie herausgefunden, was für ein Mensch Sie sind, und sich wahrscheinlich nur deshalb betrunken.“
„Sie haben nicht die geringste Ahnung, was für ein Mensch ich bin, Dr. Littlewood.“
„Ich weiß, dass meine Schwester sich von Ihnen hätte fernhalten müssen. Jedes Mal wenn ich in einer Zeitschrift blättere, sehe ich eine andere Frau an Ihrer Seite. Offenbar ist es für Sie so etwas wie ein Spiel, ständig die Partnerin zu wechseln.“
Er versteifte sich. „Glauben Sie immer alles, was in den Zeitschriften steht?“
„Natürlich nicht. Aber warum sich ein Mann wie Sie mit so einer jungen Frau wie Tiffany abgibt, ist mir rätselhaft.“
„Da Sie so viel über mich zu wissen glauben, braucht es Ihnen doch nicht rätselhaft zu sein“, entgegnete er scharf.
„Hören Sie auf mit Ihren Spielchen. Und machen Sie sich nie wieder über den Tod meiner Schwester lustig!“
„Ich habe mich nie über Tiffany lustig gemacht, schon gar nicht über ihren Tod.“ Seine unerschütterliche Ruhe verursachte Angie Unbehagen.
Plötzlich hatte sie keine Kraft mehr, sich mit ihm auseinanderzusetzen, und wünschte, er würde gehen. Erschöpft ließ sie sich auf den Stuhl sinken. „Gehen Sie bitte“, forderte sie ihn rau auf und nahm die Brille ab. „Ich weiß immer noch nicht, warum Sie gekommen sind. Aber ich möchte allein sein.“
Nikos sah sie kühl an und runzelte die Stirn. „Warum tragen Sie eine Brille?“
„Wie bitte?“ Seine Frage irritierte sie. Sie sah ihn an, und ihr fiel auf, wie dicht und dunkel seine Wimpern waren. Sie nahmen seinen Zügen etwas von ihrer Strenge. „Ich brauche sie zum Arbeiten. Aber was geht Sie das überhaupt an?“
„Sie sollten Kontaktlinsen tragen. Dann würden Sie nicht ganz so unscheinbar und unvorteilhaft, sondern etwas weiblicher wirken.“
Angie war nicht nur empört über die wenig schmeichelhafte Bemerkung, sondern tief gekränkt. Eigentlich kann es mir egal sein, was er von mir hält, sagte sie sich. Ihr Leben lang hatte sie von ihrer Mutter ähnliche Sprüche gehört. Immer wieder hatte sie Angie aufgefordert, sich eleganter zu kleiden, das Haar schneiden zu lassen und Make-up zu benutzen.
Rasch setzte sie die Brille wieder auf. „Sie können denken, was Sie wollen, Mr Kyriacou.“ Ihre Stimmte zitterte beinahe genauso sehr wie ihre Hände. „Wichtig ist für mich nur, weshalb Sie gekommen sind. Macht es Ihnen vielleicht Spaß, andere Menschen leiden zu sehen?“
Nikos Kyriacou musterte sie schweigend, und ihr Unbehagen verstärkte sich. Sein unergründlicher Blick ließ Angie erbeben. Instinktiv wusste sie, dass es ihr nicht gefallen würde, was er zu sagen hatte.
„Haben Sie jemals etwas von dem Brandizi-Diamanten gehört?“
„Nein. Sollte ich das?“
Ein schwaches Lächeln umspielte seinen Mund. „Der lupenreine rosafarbene Brandizi-Diamant ist einer der wertvollsten Edelsteine, von denen man jemals gehört hat. Wie alt er ist, weiß man nicht genau. Aber man nimmt an, dass ein indischer Prinz ihn seiner ersten Frau als Zeichen ewiger Liebe geschenkt hat. Viele Legenden ranken sich um diesen Edelstein. Er ist vor mehreren Generationen in den Besitz meiner Familie gelangt und wird immer an den ältesten Sohn weitergegeben, der ihn der Frau seines Herzens schenkt. Er ist von unschätzbarem Wert, auch in ideeller Hinsicht.“
„Ich kann nicht erkennen, was das mit meiner Schwester zu tun hat“, erklärte sie.
Statt zu antworten, musterte er sie kühl.
„Was hat der Diamant mit meiner Schwester zu tun?“, versuchte Angie es noch einmal.
„Sehr viel.“ In seinen dunklen Augen blitzte es teuflisch auf. „An dem Abend, als sie vom Balkon gestürzt ist, hat Ihre Schwester die Halskette mit dem Brandizi-Diamanten getragen, Dr. Littlewood. Er muss unter ihren persönlichen Sachen sein, die man Ihnen zugeschickt hat. Ich möchte ihn zurückhaben.“
Angie blickte Nikos Kyriacou verblüfft an. „Meine Schwester hat an dem Abend, als sie starb, den wertvollen Diamanten getragen?“
„Richtig“, antwortete er angespannt.
„Ausgerechnet den Diamanten, der ewige Liebe versprechen soll?“ Was für eine Ironie, dachte sie. „Hat Tiffany gewusst, was es mit diesem Edelstein auf sich hat?“
„Ich nehme es an.“
„Dann hat die Tatsache, dass sie dieses Schmuckstück tragen durfte, sie in dem Glauben bestärkt, Sie liebten sie und wollten sie heiraten, nicht wahr?“
„Sie ziehen immer die falschen Schlüsse, Dr. Littlewood“, stellte er fest.
„Nein, im Gegenteil. Mir wird die Sache immer klarer. Verraten Sie mir eins, Mr Kyriacou: Haben Sie meine Schwester geliebt?“
Sein Schweigen war Antwort genug.
„Darum ging es in der Beziehung nicht“, erwiderte er schließlich.
Angie nickte. „Klar. Meine Schwester war jung und hat sich von Ihrem Reichtum und der Aussicht auf eine Romanze blenden lassen. Für einen so erfahrenen und weltgewandten Mann wie Sie war sie leichte Beute.“
„Ich werde mit Ihnen nicht über die Umstände, die zum Tod Ihrer Schwester geführt haben, reden“, erklärte er gepresst. Endlich löste sich seine kühle Fassade auf, und man sah ihm an, wie sehr er sich ärgerte. „Sie brauchen nur zu wissen, dass der Diamant ihr nicht gehört hat.“
Dass Nikos Kyriacou offenbar überhaupt nichts für ihre Schwester empfunden hatte und es ihm jetzt nur auf das Schmuckstück ankam, bestärkte Angie in ihrer schlechten Meinung von ihm. Tiffanys Tod war ihm lästig, doch über den Verlust des Diamanten regte er sich auf. Das machte sie wütend.
„Wenn sie das Schmuckstück getragen hat, als sie vom Balkon gestürzt ist, müssen Sie es ihr geschenkt haben. Was haben Sie vorhin erzählt?“ Sie runzelte leicht die Stirn und tat so, als müsste sie nachdenken. „Ach ja, die Männer Ihrer Familie schenken den Diamanten der Frau ihres Herzens zum Zeichen ihrer Liebe. Wahrscheinlich hat Tiffany mir die SMS geschickt, weil sie wusste, dass sie Ihre Frau werden würde, nachdem Sie ihr das wertvolle Schmuckstück überreicht hatten.“
Nikos Kyriacou trat mit finsterer Miene auf sie zu. „Wenn Sie auf einen alten Gegenstand stoßen, wissen Sie dann sofort, ob er echt ist oder nicht, Dr. Littlewood?“ Er nahm eine der Tonscherben, die auf ihrem Schreibtisch lagen, in die Hand.
„Natürlich nicht. Es gibt verschiedene Methoden, um das Alter zu bestimmen.“
„Dann stimmen Sie mir also zu, dass die Dinge manchmal anders sind, als sie auf den ersten Blick zu sein scheinen, oder?“
Er hatte recht, normalerweise prüfte sie eine Sache gründlich, ehe sie sich festlegte. Sie hatte sich nicht gerade sachlich, sondern ziemlich emotional verhalten, was sie sonst nie tat. Es war jedoch verständlich. Da sie ihre Schwester gut gekannt hatte, brauchte sie sich nicht vorwerfen zu lassen, sie urteile vorschnell.
„Tiffany war in Sie verliebt, sie hat geglaubt, Sie würden sie heiraten. Jetzt stellt sich auch noch heraus, dass sie Ihren kostbaren Diamanten getragen hat. Trotzdem versuchen Sie, mich davon zu überzeugen, es sei nicht so, wie es den Anschein hat.“ Zornig funkelte sie ihn an. „Obwohl der Schein trügen kann, sind die Dinge oft wirklich so, wie sie auf den ersten Blick zu sein scheinen.“
„Der Diamant hat Ihrer Schwester nicht gehört“, bekräftigte er.
„Dennoch hat sie ihn bei ihrem Tod getragen. Die Tatsachen sprechen für sich selbst.“
Er fluchte auf Griechisch vor sich hin. Offenbar war er überzeugt, Angie würde es nicht verstehen.
Beim Auskundschaften ihres persönlichen Hintergrunds war ihm wohl entgangen, dass sie fließend griechisch sprach. Sie empfand es als Genugtuung, dass er die Beherrschung verlor.
Schließlich blickte er Angie durchdringend an. „Es ist ungeheuer wichtig für meine Familie, den Diamanten zurückzubekommen. Das müssen Sie verstehen.“
Soll ich ihm verraten, dass ich griechisch spreche? überlegte sie, entschied sich jedoch dagegen. „Und Sie müssen verstehen, dass der Tod meiner Schwester ungeheuer wichtig für meine Familie ist.“ In ihren Augen schimmerten Tränen. „Wissen Sie, was uns beide unterscheidet, Mr Kyriacou? Sie interessieren sich nur für materielle Dinge, während für mich die Menschen im Vordergrund stehen. Ich hatte zunächst geglaubt, Sie seien gekommen, um etwas zu erklären und um Verzeihung zu bitten. Aber Sie fordern nur ein wertvolles Schmuckstück zurück.“
In seinen Augen blitzte es zornig auf, und ein harter Zug lag um seine Lippen. Er wirkte wie ein Vulkan kurz vor dem Ausbruch. Es war Zeit, das Gespräch zu beenden.
Ohne eine Antwort abzuwarten nahm Angie ihre Tasche und ging zur Tür. „Vielen Dank für den Besuch, Mr Kyriacou. Es war eine aufschlussreiche Unterhaltung.“
Angie kämpfte sich durch den Regen und die überfüllte U-Bahn. Zu Hause erwartete sie eine unheilvolle Stille. Im Wohnzimmer entdeckte sie die leere Sherryflasche, und ihr war alles klar. Wahrscheinlich lag ihre Mutter im Bett und schlief ihren Rausch aus.
Erschöpft nach der Begegnung mit Nikos Kyriacou, zog Angie den Mantel aus und stieg die steile Treppe hinauf, die zum Dachboden führte. Dort hatte ihre Mutter den Koffer mit Tiffanys persönlichen Sachen, den man ihnen aus Griechenland geschickt hatte, ungeöffnet abgestellt.
Dass ihre Mutter ihn nicht angerührt hatte, konnte sie gut verstehen. Auch ihr, Angie, fiel es unglaublich schwer.
Mit einem tiefen Seufzer kniete sie sich vor den Koffer, öffnete die Verschlüsse und nahm dann wehmütig ein Kleidungsstück nach dem anderen heraus. Plötzlich hielt sie inne. Ganz unten funkelte etwas in dem schwachen Licht, das durch das Dachfenster hereinfiel. Es war eine Halskette mit einem Diamanten. Wie in Trance nahm sie sie in die Hand und spürte, wie schwer sie war. Unvermittelt traten ihr Tränen in die Augen, und sie hatte das Gefühl, keine Luft mehr zu bekommen.
„Ich vermisse dich, Tiffany“, wisperte sie.
„Was hast du da?“, erklang in diesem Moment die Stimme ihrer Mutter hinter ihr.
Angie zuckte überrascht zusammen. „Es gehört Nikos Kyriacou und seiner Familie“, erwiderte sie und begann langsam, die Sachen ihrer Schwester in den Koffer zurückzulegen. „Ich wollte es dir nicht sagen, aber er war heute bei mir im Museum und hat die Halskette zurückverlangt.“ Mehr brauchte ihre Mutter nicht zu wissen.
„Hat meine Tochter diese Kette getragen, als sie gestorben ist? Es ist der Brandizi-Diamant.“
„Du kennst ihn?“, fragte Angie verblüfft.
„Natürlich. Aristoteles Kyriacous Frau Eleni trägt ihn manchmal in der Öffentlichkeit.“
„Ah ja?“ Nervös ließ sie die Kette durch ihre zittrigen Finger gleiten. „Ich muss das Schmuckstück der Familie Kyriacou zurückgeben“, erklärte sie leise, obwohl sie sich nichts sehnlicher wünschte, als die Kette zu behalten. Schließlich war sie das letzte Erinnerungsstück an ihre Schwester.
„Nein! Wir sollten den Diamanten behalten!“, protestierte Gaynor Littlewood in diesem Moment.
Angie sah sie mitfühlend an. „Weil er zu Tiffany gehört hat?“
„Natürlich nicht.“ Ihre Mutter warf ihr einen ungeduldigen Blick zu. „Sondern um uns an dem gemeinen Kerl zu rächen!“
„Das ist unmöglich, Mom.“
Ihre Mutter schien jedoch anderer Meinung. „Ich kann kaum glauben, dass meine Tochter diese Kette getragen hat“, sagte sie jetzt stolz und beinahe ehrfürchtig.
Ärgerlich und fassungslos sah Angie sie an. „Nikos Kyriacou hat ihn Tiffany nur gegeben, weil sie Sex miteinander hatten, Mom“, erklärte sie und richtete sich auf. „Darauf brauchst du nicht stolz zu sein.“
„Er hat ihn ihr gegeben, weil er sie heiraten wollte.“
Angie blieb stehen. „Wie bitte?“
„Ich habe einmal in einer Zeitschrift ein Interview mit Kyriacous Frau gelesen. Dieses Schmuckstück wird der Frau geschenkt, die der älteste Sohn heiraten will. Wenn Tiffany es getragen hat, beweist das, dass Nikos Kyriacou sie heiraten wollte.“
„Er hatte nie die Absicht zu heiraten, weder Tiffany noch eine andere Frau“, entgegnete Angie müde. „Er ist genau wie Dad war, er hat eine Affäre nach der anderen, ohne sich gefühlsmäßig zu binden. Er hätte Tiffany niemals geheiratet.“
„Dann sollten wir ihm eine Lektion erteilen.“
„Das ist lächerlich.“ Gemeinsam gingen sie zurück in den Wohnbereich. „Nikos Kyriacou hat Geld, Einfluss und Macht. Wir hingegen leben ziemlich bescheiden in einem Häuschen im Norden Londons, das zum größten Teil der Bank gehört.“
„Es ist nicht meine Schuld, dass dein Vater das ganze Geld für andere Frauen ausgegeben und dann Konkurs angemeldet hat“, antwortete ihre Mutter leise.
Angie seufzte. „Das weiß ich doch, Mom. Ich wollte damit nur sagen, dass wir uns nicht erlauben können, einem Mann wie Nikos Kyriacou eine Lektion zu erteilen.“
„Wir haben diesen Diamanten.“
„Es ist völlig unmöglich, ihn zu behalten. Er gehört der Familie Kyriacou. Mit welcher Begründung könnten wir Anspruch darauf erheben?“
Der Blick ihrer Mutter wurde plötzlich hart. „Dieser Mann hat es verdient, dass wir ihm eine Lektion erteilen. Er hat Tiffany in den Tod getrieben, dafür muss er bezahlen. Er ist doch Grieche, oder?“ Ihre Stimme klang immer schriller. „Die einzige Sprache, die griechische Männer verstehen, ist Rache.“
Resigniert schüttelte Angie den Kopf. „Mom, ich werde Nikos Kyriacou anrufen und ihm den Diamanten zurückgeben. Geh wieder ins Bett. Wir sehen uns morgen früh.“
Nikos saß in der letzten Reihe des Hörsaals und beobachtete die Studenten und Studentinnen, die hereinkamen.
Seit der Begegnung mit Dr. Littlewood am Vortag war er so zornig und frustriert wie noch nie. Er hatte nicht damit gerechnet, dass die junge Frau ihn so sehr provozieren würde.
Er hätte ihr sogar beinahe die Wahrheit über ihre Schwester erzählt. Nur im allerletzten Moment hatte er sich zurückhalten können. Angie Littlewood billigte offenbar das Verhalten ihrer Schwester. Aber was noch wichtiger war: Wenn er ihr alles erzählt hätte, hätte er seine Familie ins Unglück gestürzt. Angie Littlewood hätte sich an die Presse gewandt, und die Folgen wären verheerend gewesen.
So etwas durfte nicht noch einmal passieren, dafür wollte er sorgen. Er würde die Situation unter Kontrolle behalten.
Sobald sich der Brandizi-Diamant wieder in seinem Besitz befand, war dieses schmutzige Kapitel abgeschlossen. Es konnte ihm gar nicht schnell genug gehen.
Schließlich ging die Tür auf und Angie Littlewood stürmte mit einem Stoß Unterlagen in den Hörsaal. Sie hatte sich verspätet. Einige Strähnen ihres rotgoldenen Haares, das sie im Nacken zu einem Knoten zusammengesteckt hatte, hatten sich gelöst.
Sie schien nervös zu sein, und Nikos fiel auf, dass ihre Hand zitterte, als sie am Rednerpult das Mikrofon einschaltete. „Entschuldigen Sie bitte, dass ich etwas zu spät gekommen bin.“ Ihre raue Stimme zerrte an seinen Nerven – und erregte ihn.
Irritiert und überrascht überlegte er, warum er auf Angie Littlewood so heftig reagierte. Sie war ganz anders als die Frauen, mit denen er sonst zusammen war. Er zog Frauen vor, die ihre Weiblichkeit betonten. Dr. Littlewood hingegen legte offenbar gar keinen Wert auf Äußerlichkeiten. Sie trug dasselbe Outfit wie am Vortag, einen marineblauen Hosenanzug mit einem schlichten Baumwollpullover. Sie kleidete sich praktisch und zweckmäßig. Es war eigentlich kaum zu glauben, dass sie Tiffanys Schwester war.
Es gab aber auch gewisse Ähnlichkeiten zwischen den Schwestern, wie er feststellte, als er den Blick über Angie Littlewoods volle Brüste und ihre schmale Taille gleiten ließ. Auch ihre Handgelenke waren sehr schmal, und sie hatte ein bemerkenswert schönes Profil. Sie war genauso zierlich und wirkte genauso zerbrechlich wie Tiffany.
Doch zerbrechlich war Angie Littlewood jedoch ganz bestimmt nicht. Das hatte sie ihm schon bewiesen.
Da die Studenten und Studentinnen ihr fasziniert zuhörten, zwang er sich, auch ihren Ausführungen zu folgen. Zu seiner eigenen Überraschung war er schon bald von ihrem Wissen über antike griechische Kunst gefesselt.
Sie sprach ohne Manuskript und war sehr konzentriert. Dass sich eine Haarsträhne nach der anderen aus dem Knoten löste, bis ihr das Haar über die Schultern fiel, schien sie nicht zu merken. Was für eine wunderschöne Farbe, dachte er, während sie mit ihrem leidenschaftlichen Vortrag das ganze Auditorium in ihren Bann zog.
Erst als sie eine Pause machte, um tief durchzuatmen, sah sie auf die Uhr. „Ich habe schon wieder überzogen. Okay, das war’s für heute.“ Das rot gelockte Haar umrahmte ihr Gesicht.
Angelina Littlewood sah keineswegs mehr so aus, wie man sich eine Wissenschaftlerin vorstellte, sondern sehr weiblich, stellte Nikos fest. Nur widerwillig musste er sich eingestehen, dass er sie ungemein faszinierend fand.
Mittlerweile hatte sich der Hörsaal geleert, und Nikos Kyriacou stand auf und schritt langsam die Stufen hinunter.
Angie, die gerade ihre Unterlagen zusammenpackte, bemerkte ihn erst, als er direkt vor ihr stand.
„Es fällt mir schwer zu glauben, dass Sie sich plötzlich für antike griechische Kunst interessieren“, erklärte sie schockiert. „Wahrscheinlich sind Sie aus einem ganz bestimmten Grund hier, Mr Kyriacou.“
Sie hat wunderschöne blaue Augen, dachte er und hätte ihr am liebsten die Brille abgenommen, um ihre Augen genauer zu betrachten.
„Wir müssen uns ernsthaft unterhalten, Dr. Littlewood.“ Er ärgerte sich, ohne zu wissen warum. Er nahm das Gefäß in die Hand, das auf dem Pult stand, und drehte es in den Händen hin und her. „Sehr schön. Eine gute Nachahmung eines antiken Weinkühlers. Ungefähr fünfhundert Jahre vor Christus?“
„Offenbar haben Sie vorhin gut zugehört“, stellte sie überrascht fest.
„Ich bin Grieche“, erinnerte er sie sanft und legte das Gefäß zurück an seinen Platz. „Die Kulturgeschichte meines Landes interessiert mich genauso sehr wie das Schicksal meiner Familie.“
Angie hob kämpferisch das Kinn. „Wenn das eine Anspielung auf die Halskette sein soll, muss ich Ihnen sagen, dass ich noch keine Zeit hatte, nach ihr zu suchen.“
„Das stimmt nicht.“ Er bemerkte die winzigen Sommersprossen auf ihrer Nase. „Ich bin mir ganz sicher, Sie haben sich sofort auf die Suche nach dem Diamanten gemacht, als Sie gestern nach Hause gekommen sind.“
„Ich habe mich als Erstes um meine Mutter gekümmert. Seit dem Tod meiner Schwester geht es ihr sehr schlecht. Das Schmuckstück muss warten, bis ich Zeit habe.“
„Falls Sie glauben, Sie könnten aus der Situation Kapital schlagen, dann haben Sie sich getäuscht. Der Diamant gehört Ihnen nicht, er hat auch Ihrer Schwester nie gehört. Einen Käufer würden Sie dafür nicht finden, der Stein ist zu bekannt und berühmt.“
„Sie denken immer noch, es würde mir um Geld gehen, nicht wahr?“ Sie warf den Kopf zurück, sodass ihr das lange gelockte Haar über die Schultern fiel. „Etwas anderes können Sie sich wohl nicht vorstellen. Was müssen Sie für ein armseliges Leben haben“, fuhr sie ihn zornig an.
Fasziniert sah er dabei zu, wie sie sich vor seinen Augen veränderte. Aus der kühlen Wissenschaftlerin wurde eine leidenschaftliche Frau. Dass sie ein langweiliges Outfit trug, fiel ihm nicht mehr auf. Ihre wunderschönen Augen und ihre beinahe wilde Mähne fesselten seine ganze Aufmerksamkeit.
Die Frauen, die er bisher kennengelernt hatte, gingen jeden Tag zum Friseur oder in den Schönheitssalon. Alles, was ihr perfektes Äußeres ruinieren konnte, verbot sich von selbst. Doch plötzlich hatte er den heftigen Wunsch, Angie mit der Hand durch die roten Locken zu fahren und seine Lippen auf ihre zu pressen.
Irritiert über seine ausschweifende Fantasie, trat er einen Schritt zurück. „Es geht mir nicht um Geld, sondern nur darum, etwas zurückzubekommen, was mir gehört.“
„Sie sind eine Beleidigung für die ganze Menschheit.“ Mit zorniger Miene kam sie hinter dem Pult hervor und ging auf ihn zu. „Vor sechs Monaten ist meine Schwester nach einem Sturz vom Balkon Ihrer Villa gestorben, und wir haben nichts von Ihnen gehört. Plötzlich tauchen Sie hier auf und verlangen kalt und gefühllos ein Schmuckstück zurück. Haben Sie eigentlich kein Mitgefühl und keinen Anstand?“ Sie atmete einige Male tief durch, während Nikos wie gebannt dastand und ihre verführerischen Lippen betrachtete.
Die Atmosphäre zwischen ihnen war zum Zerreißen gespannt. Nikos zwang sich, sich daran zu erinnern, dass Angie Littlewood bestimmt keine sinnliche Frau war. „Als Erstes habe ich Ihnen mein Beileid ausgesprochen.“
Sie stand dicht vor ihm und sah ihn zornig an. Als er ihren dezenten Duft wahrnahm, überlegte er, welches Parfüm sie benutzte. Aber dann sagte er sich, dass es wahrscheinlich ihr Shampoo war, das so angenehm duftete.
„Es waren nur leere Worte, wie wir beide wissen“, brachte sie wütend hervor.
„Ich entschuldige Ihr Benehmen, weil ich weiß, wie unglücklich Sie über den Tod Ihrer Schwester sind.“
Sie rang nach Luft. „An meinem Benehmen gibt es nichts auszusetzen. Ich habe kein unschuldiges Mädchen verführt und so unglücklich gemacht, dass es sich betrunken hat und in den Tod gestürzt ist. Sie hingegen haben sich schlecht und gemein benommen. Sie sind ein rücksichtsloser, egoistischer Schuft und …“ Entsetzt über sich selbst verstummte sie und blickte ihn bestürzt an. „Es tut mir leid“, entschuldigte sie sich steif.
Er zog eine Augenbraue hoch. Warum entschuldigte sie sich? „Was tut Ihnen leid? Dass Sie genauso geredet haben wie Ihre Schwester?“
Angie errötete. „Sie denken nur an Geld und materielle Dinge. Sie müssen lernen, dass es Wichtigeres im Leben gibt. Ich bin jedenfalls nicht bereit, Ihnen die Halskette zurückzugeben.“ Ihre Stimme drohte zu versagen. „Tiffany hat sie am Abend ihres Todes getragen. Ich kann sie nicht … Warum brauchen Sie sie überhaupt? Dieses Schmuckstück sollten Sie der Frau Ihres Herzens schenken, aber wir beide wissen, dass Sie kein Herz haben, Mr Kyriacou.“
Nikos sah sie ungläubig und bestürzt an. Nie wäre er auf die Idee gekommen, sie würde sich ernsthaft weigern, ihm die Halskette auszuhändigen.
Zum ersten Mal in seinem Leben hatte er einen Gegner unterschätzt. Er stand wie erstarrt da, als Angie den Hörsaal verließ und die Tür hinter sich zuschlug. Ihre blauen Augen, in denen es so zornig aufgeleuchtet hatte, und ihr wunderschönes rotes Haar gingen ihm nicht aus dem Kopf.
Was hat meine Schwester eigentlich in diesem Mann gesehen? fragte Angie sich zum wiederholten Mal, während sie das Haar ungeduldig zusammenband.
Sie war immer noch schockiert über ihren Wutausbruch. Sie war laut geworden und in ihrer Ausdrucksweise nicht wählerisch gewesen, was ihr sonst nie passierte. Aber vielleicht hatte Nikos Kyriacou es nicht anders verdient. Man konnte es drehen und wenden, wie man wollte, Tatsache war, dass er mit Ihrer Schwester zusammen gewesen war. Und dass er ihr die Halskette geschenkt hatte, hatte Tiffany in dem Glauben bestärkt, er sei in sie verliebt und wolle sie heiraten. Doch dann war die Beziehung plötzlich von ihm beendet worden. Und jetzt wollte dieser Mann das Schmuckstück, das er so sorglos verschenkt hatte, zurückhaben, damit er es seiner nächsten Freundin geben konnte, wie Angie vermutete.
Sie war sich völlig sicher, dass Nikos Kyriacou nie die Absicht gehabt hatte, Tiffany zu heiraten. Er hatte sie nur an der Nase herumgeführt.
Unwillkürlich berührte Angie die Halskette, die sie unter dem Pullover trug. Sie fühlte sich dadurch mit Tiffany verbunden. Außerdem war die Kette bei ihr gut aufgehoben. Eigentlich hätte sie sie heute Nikos Kyriacou zurückgeben müssen. Dann wäre die Sache erledigt, und sie hätte diesen Mann nie wiedergesehen. Doch sie wollte sich noch nicht von dem Schmuckstück trennen, das Tiffany zuletzt getragen hatte.
Mein Verhalten ist geradezu lächerlich, dachte sie unglücklich, während sie zum Ausgang eilte. Sie war einfach zu sentimental.
Es wurde Zeit, den Diamanten zurückzugeben.
„Ist alles in Ordnung?“, fragte Helen Knightley und blieb in der Tür stehen.
Angie sah von ihren Unterlagen auf. Seit zwei Tagen hatte sie nichts mehr von Nikos Kyriacou gehört. Seltsamerweise fand sie sein Schweigen beunruhigend. Sie traute ihm nicht. „Ja, danke. Mir geht es gut“, erwiderte sie.
„Es tut mir leid, dass Nikos Kyriacou dich so überfallen hat.“ Die Museumsdirektorin, mit der sie seit Längerem auch privat befreundet war, klang schuldbewusst. „Als er bei mir im Büro erschien und mit dir reden wollte, habe ich ihm geraten, einen Termin zu vereinbaren. Aber davon wollte er nichts wissen.“
Angie deutete ein Lächeln an. „Ist schon in Ordnung.“
„Es war nett von ihm, dass er gekommen ist, um sich persönlich zu entschuldigen.“
„Ja“, antwortete Angie nur.
„Sicher war es schwierig für ihn, seine Freundin zu verlieren.“ Helen Knightley seufzte und reichte ihr die Zeitung, die sie die ganze Zeit in den Händen gehalten hatte. „Ich bin der Meinung, du solltest das lesen. Es ist nicht gerade erfreulich für dich, aber das Leben geht weiter. Was macht deine Mutter?“
„Danke, sie kommt zurecht.“ Angie nahm die Zeitung entgegen. „Was soll das heißen, das Leben geht weiter?“
„Lies den Bericht auf Seite zwei unter der Überschrift: ‚Griechischer Tycoon sucht Trost nach der Tragödie in seiner Villa‘.“
Angie schlug die Zeitung auf. Sofort sprang ihr ein Foto in die Augen, auf dem Nikos Kyriacou eng umschlungen mit einer großen, schlanken Blondine aus einem Nachtklub kam.
Alle möglichen Emotionen durchströmten sie. Sie empfand eine Mischung aus Schock, Schmerz und Zorn, und legte die Zeitung zur Seite. Dann atmete sie tief ein, um sich zu beruhigen.
Hatte er deshalb den Diamanten unbedingt zurückhaben wollen? Wollte er ihn dieser Frau schenken?
Angie fühlte sich wie betäubt. Sie stand von ihrem Schreibtisch auf und blickte Helen ernst an. „Kennst du das Gefühl, dass du plötzlich ganz neue Seiten an dir entdeckst und dir eingestehen musst, dass du anders bist, als du bisher geglaubt hast?“
„Nein, so etwas ist mir noch nie passiert“, antwortete Helen verblüfft. „Aber du hast einen schrecklichen Verlust erlitten, deshalb ist es ganz normal, dass du durcheinander bist.“
„Ich bin nicht durcheinander!“ Ich bin zornig, weil Nikos Kyriacou so gleichgültig über den Tod meiner Schwester hinweggeht, als wäre es nur ein bedauerlicher Zwischenfall gewesen, fügte sie insgeheim hinzu. Sie kochte vor Wut. Wie konnte er sich nach so kurzer Zeit an der Seite einer anderen Frau in der Öffentlichkeit zeigen? Der Mann besaß keinen Anstand, er war völlig gefühllos. Machte er sich keine Gedanken darüber, wie sehr dieses Foto ihre Mutter verletzen musste?
Der Wunsch, es ihm heimzuzahlen, wurde übermächtig. Angie ballte die Hände zu Fäusten. Zum ersten Mal in ihrem Leben wollte sie sich an jemandem rächen.
Sie setzte sich wieder und versuchte sich zu beruhigen. Ich darf nicht vergessen, wer und was ich bin, mahnte sie sich. Sie war Wissenschaftlerin und genoss einen guten Ruf. Und sie war davon überzeugt, dass man alle Probleme friedlich lösen konnte. Von Rache hielt sie nichts.
Warum wollte sie sich dann an Nikos Kyriacou rächen?
„Am besten nimmst du dir einige Tage frei“, schlug Helen vor. „Der Besuch von Nikos Kyriacou hat dich sicher sehr aufgewühlt.“
„Ja, das stimmt.“ Angie fühlte sich immer noch wie betäubt. Sie nickte zerstreut, stand auf und schaltete den Computer aus. „Ich brauche frische Luft, momentan bin ich nicht mehr ich selbst. Die Zeitung würde ich gern behalten. Brauchst du sie noch?“
„Nein. Geh zum Arzt, und lass dir ein Beruhigungsmittel verschreiben. Und komm erst wieder, wenn du dich besser fühlst.“
Angie steckte die Zeitung in die Tasche und ging die Treppe hinauf. Dann bahnte sie sich den Weg durch die vielen Museumsbesucher und stand schließlich auf der Straße. Gedankenverloren und ohne auf die anderen Fußgänger zu achten, wanderte sie weiter. Ihre Schwester war so jung und naiv gewesen. Es hatte ihr sicher sehr viel bedeutet, dass Nikos Kyriacou ihr die Halskette geschenkt hatte. Für ihn hatte es jedoch nichts bedeutet.
Tränen liefen Angie über die Wangen. Zu Hause angekommen, schloss sie die Tür mit zitternden Fingern auf. Das Erste, was sie erblickte, war das halb leere Glas Whisky auf dem Küchentisch. Sie strich sich das Haar aus dem Gesicht, nahm das Glas in die Hand und betrachtete es verzweifelt. Ihre Mutter hatte schon wieder getrunken.
Plötzlich läutete es. Mit dem Glas in der Hand ging sie zur Tür. Wahrscheinlich war es die Nachbarin, die ihre Mutter besuchen wollte.
Es war jedoch nicht die Nachbarin, sondern Nikos Kyriacou.
„Lassen Sie mich gleich zur Sache kommen“, begann er ungeduldig. „Ich habe versucht, die ganze Angelegenheit so diskret und taktvoll abzuwickeln wie möglich, aber Sie haben sich geweigert, mir in irgendeiner Weise entgegenzukommen.“ Er warf einen Blick auf das Glas in ihrer Hand. „Alkoholismus liegt offenbar in Ihrer Familie.“
Mit dem Whisky in der Hand erweckte sie natürlich den falschen Eindruck, das war ihr klar. „Wann haben Sie sich diskret und taktvoll verhalten? Davon habe ich nichts gemerkt. Da Sie für die Probleme, die wir jetzt haben, verantwortlich sind, rate ich Ihnen zu verschwinden, solange sie es noch können“, fuhr Angie ihn an.
„Wenn es Ihnen hilft, sich besser zu fühlen, geben Sie ruhig mir die Schuld an allem“, entgegnete er sanftmütig. „Aber wir beide wissen genau, dass ich für das Alkoholproblem Ihrer Schwester nicht verantwortlich war.“
„So? Wissen wir das?“ Angie wurde immer zorniger. „Meine Schwester hatte das Pech, Sie kennenzulernen und sich in Sie zu verlieben, Mr Kyriacou. Das allein erklärt schon, warum sie Trost im Alkohol suchte“, erklärte sie scharf. „Wenn man mich dazu zwingen würde, regelmäßig mit Ihnen zusammen zu sein, würde ich auch anfangen zu trinken.“
Während er den Blick über ihr Haar und ihr Gesicht gleiten ließ, wurde ihr auf einmal bewusst, wie groß der Unterschied zwischen ihr und dieser perfekt gestylten Frau auf dem Zeitungsfoto war.
„Sie brauchen nicht zu befürchten, jemals regelmäßig mit mir zusammen sein zu müssen. Sie sind nicht mein Fall.“ Seine Stimme klang gelangweilt.
„Gehen Sie bitte! Sofort!“, schrie Angie ihn an. So eine Beleidigung musste sie sich nun wirklich nicht gefallen lassen. Sie wollte ihm die Tür vor der Nase zuschlagen. Doch Nikos kam ihr zuvor.
„Sobald Sie mir mein Eigentum zurückgegeben haben, verschwinde ich“, erklärte er nonchalant, bevor er sich an ihr vorbei in den Flur schob und betont leise die Tür hinter sich schloss.
Angie musste sich zusammenreißen, um nicht völlig die Fassung zu verlieren. „Sie haben meiner Schwester versprochen, sie zu heiraten, und ihr dann das Herz gebrochen.“
Kühl und gleichgültig antwortete er: „Niemals hätte ich einer Frau wie Ihrer Schwester einen Heiratsantrag gemacht. Es ist geradezu lächerlich, mir das zu unterstellen.“
„Sie sind wirklich völlig gefühllos. Gehen Sie jetzt.“
„Es kann mir gar nicht schnell genug gehen, mit Ihrer Familie nichts mehr zu tun zu haben. Doch leider kann ich erst verschwinden, wenn Sie mir die Halskette zurückgegeben haben.“
Angie war außer sich vor Zorn. Wie konnte er es wagen, sie so sehr zu beleidigen? „Die Halskette gehört Ihnen nicht mehr, Sie haben sie meiner Schwester geschenkt. Geschenke kann man nicht zurückverlangen.“
„Die Kette hat Ihrer Schwester nicht gehört“, entgegnete er ruhig.
„Sie hat sie aber getragen, als sie vom Balkon gestürzt ist“, erinnerte Angie ihn. „Da sie sie offenbar nicht gestohlen hat, gehört dieses Schmuckstück jetzt uns. Vielleicht bringt Sie der Verlust des Diamanten dazu, Ihre Lebensweise zu überdenken, Mr Kyriacou. Heiraten wollten Sie meine Schwester nicht, doch es hat Ihnen Spaß gemacht, sie zu verführen, stimmt’s? Sie sind nicht gekommen, um uns Ihr Beileid auszusprechen, sondern um ein Geschenk zurückzufordern. Sie kommen mir vor wie ein gefühlloses Monster.“
Plötzlich wurde auch er wütend. In seinen Augen blitzte es gefährlich auf, als er seinem Zorn auf Griechisch Luft machte. Er benutzte dabei Worte, die Angie noch nie gehört hatte, aber sie verstand, worum es ging.
„In einer fremden Sprache herumzubrüllen ändert nichts an den Tatsachen.“
Er fuhr sich mit den Fingern durch das dunkle Haar. „Auch wenn Sie es nicht glauben, der Tod Ihrer Schwester tut mir sehr leid. Aber wenn Ihre Schwester nicht so viel getrunken hätte, würde sie noch leben.“
„Und sie würde noch leben, wenn Sie ihr keinen Grund gegeben hätten, zu viel zu trinken. Sie sollten verantwortungsvoller handeln, Mr Kyriacou.“
„Ich bin mir meiner Verantwortung immer sehr bewusst.“
„So?“ Angie nahm ihre Tasche und zog die Zeitung heraus. „Wer ist denn diese Frau? Irgendein Partygirl, das Sie gestern Abend kennengelernt haben? Wollen Sie die Halskette zurückhaben, um sie dieser Frau als Zeichen Ihrer Liebe zu schenken?“
Während er das Zeitungsfoto betrachtete, zuckte ein Muskel an seinem Kinn. „Sie ist nicht wichtig.“
„Weiß sie das?“
„Natürlich. Leider verfolgen mich die Paparazzi immer und überall.“
„Dann ist es für Sie ja unmöglich, Ihre Beziehungen und Affären geheim zu halten. Es ist mir völlig egal, mit wem Sie schlafen, Mr Kyriacou. Es geht mir nur darum, wie gefühllos Sie sind. Vor sechs Monaten hat meine Schwester auf der Party in Ihrer Villa die Halskette getragen, die Sie ihr geschenkt haben. Während meine Mutter und ich noch um ihren Tod trauern, haben Sie sich längst getröstet. Trotz Ihres Reichtums haben Sie nicht das Recht, andere Menschen rücksichtslos und gefühllos zu behandeln.“
Er betrachtete sie aufmerksam. „Sie sind ein bedauernswerter Mensch“, stellte er schließlich betont sachlich fest. „Wenn Sie mehr Zeit damit verbrächten, Freundschaften und Bekanntschaften zu schließen, statt sich ausschließlich auf Ihre Arbeit zu konzentrieren, hätten Sie sicher bessere Laune. Ihr mangelndes Interesse an Äußerlichkeiten kann man als Mann noch hinnehmen, Hysterie hingegen nicht.“
Sie hätte über seine Bemerkungen lachen können, denn es interessierte sie nicht, was er über sie dachte. Doch sie fühlte sich auf einmal sehr elend. „Ich kann Ihnen die Kette nicht zurückgeben“, erklärte sie. „Für Sie ist es nur ein Gegenstand, mit dem Sie sich Sex erkaufen. Für mich jedoch …“
„Ja, Dr. Littlewood?“, fragte er, als sie verstummte.
Wie konnte sie ihm anvertrauen, dass sie sich ihrer Schwester näher fühlte, wenn sie die Kette trug? Dafür hatte er kein Verständnis. „Ich … möchte sie einfach behalten.“
„Der Diamant würde Ihnen ein sorgenfreies Leben ermöglichen.“
Er denkt nur an Geld, schoss es Angie durch den Kopf. Zutiefst betroffen über seine Gefühllosigkeit, schüttete sie ihm den Inhalt des Glases ins Gesicht. Doch weder sein Fluchen noch seine schockierte Miene verschafften ihr Genugtuung. Sie wollte ihn unbedingt verletzen. Hatte ihre Mutter nicht gesagt, Rache sei die einzige Sprache, die griechische Männer verstanden? Vielleicht hatte sie ja recht.
„Okay, Sie wollen den Diamanten zurückhaben.“ Angie beobachtete ihn. Er wischte sich das Gesicht ab und schien wirklich wütend zu sein. „Sie können ihn haben – unter einer Bedingung.“
Ohne zu zögern, antwortete er: „Nennen Sie den Preis. Jeder Betrag ist mir recht, um Sie und Ihre Familie endlich aus meinem Leben streichen zu können.“
„Ah ja. Aber so schnell werden Sie uns nicht los. Geld ist für Sie kein Problem. Das wäre zu einfach und würde Ihnen nicht wehtun. Wenn Sie den Diamanten zurückhaben wollen, müssen Sie das tun, was Sie meiner Schwester versprochen haben, ohne es halten zu wollen.“
„Ich weiß nicht, wovon Sie reden.“
„Sie müssten mich heiraten.“ Ihr Herz klopfte heftig, und sie konnte selbst kaum glauben, dass sie das gesagt hatte. „Meine Schwester wollten Sie nicht heiraten. Aber mich müssen Sie heiraten, wenn Sie den Diamanten zurückhaben wollen, Nikos.“ Um ihn zu beleidigen, redete sie ihn mit dem Vornamen an.
Schweigend und mühsam beherrscht sah er sie an. „Das soll wohl ein Scherz sein“, erklärte er schließlich. „Eine Frau wie Sie würde ich niemals heiraten.“
Er kann mich nicht verletzten, sagte sie sich. Es war sogar ganz gut, dass er sie abstoßend fand. Dann war die Strafe für ihn umso größer. „Wie weit würden Sie denn gehen, um den Diamanten zurückzubekommen? Wären Sie bereit, eine Frau zu heiraten, die Sie für einen bedauernswerten Menschen halten und die keinen Wert auf Äußerlichkeiten legt?“
„Warum würden Sie mich heiraten wollen?“ Er musterte sie verächtlich.
„Unter normalen Umständen würde ich niemals auf die Idee kommen, einen Mann wie Sie zu heiraten“, erwiderte sie ruhig. „Das wird Sie überraschen, so arrogant und von sich eingenommen, wie Sie sind. Es ist jedoch die Wahrheit. Ehrlich gesagt, ich finde die Vorstellung, mit Ihnen verheiratet zu sein, sehr bedrückend und sogar abstoßend.“
Er blickte Angie ungläubig an. „Die Frauen reißen sich um mich.“
„Klar, weil Sie sehr reich sind“, stellte sie fest. „Das ist für jemanden, der so gefühllos und materiell eingestellt ist wie Sie, sicher ein Pluspunkt.“
„Wenn das Ihre ehrliche Meinung ist, warum haben Sie dann einen so lächerlichen Vorschlag gemacht?“
„Sie zu zwingen, mich zu heiraten, ist die beste Rache, die ich mir für Sie vorstellen kann.“ Was mache ich da? fragte sie sich entsetzt. „Sie können mich nicht ausstehen, nicht wahr? Und Sie wollen mich so schnell wie möglich loswerden. Doch so schnell werden Sie mich nicht los. Meine Schwester hatte sich verpflichtet, zwei Jahre für Sie zu arbeiten. So weit, so gut, Nikos! Sie müssen sich jetzt nur noch verpflichten, zwei Jahre mit mir verheiratet zu bleiben.“
„Sie müssten es aber auch mit mir aushalten“, gab er zu bedenken.
„Ja. Für mich ist das kein Problem. Es könnte ganz unterhaltsam sein, mit anzusehen, wie Sie unter der neuen Situation leiden.“
„Sie verlangen etwas Unmögliches von mir“, erklärte er.
„Wie viel liegt Ihnen daran, den Diamanten zurückzubekommen, Nikos?“
„Sehr viel. Es ist sehr wichtig für mich.“
„Das kann ich mir vorstellen.“
Er verzog die Lippen. „Sie haben ja keine Ahnung. Aber wenn es sein muss, dann akzeptiere ich Ihre Bedingung. Da ich ein großzügiger Mensch bin, gebe ich Ihnen vierundzwanzig Stunden Zeit, sich Ihr Angebot noch einmal gut zu überlegen.“
„Mein Angebot?“ Angie war verblüfft darüber, dass er einverstanden war, und lachte freudlos auf. Den unbändigen Wunsch, wegzulaufen und den Unsinn zu vergessen, unterdrückte sie. „Es war kein Angebot, Mr Kyriacou, sondern eine Drohung.“
„Ah ja.“ Er lächelte. „Für wen ist es denn eine Bedrohung, meine Liebe? Für Sie oder für mich? Denken Sie darüber nach, ehe Sie sich zu Ihrem Erfolg gratulieren. Wir sehen uns morgen, in vierundzwanzig Stunden.“
„Morgen bin ich nicht da, ich habe eine Verabredung“, entgegnete sie. „Ich gehe mit einem guten Freund und Kollegen zu einem Vortrag im Museum.“
Er deutete ein spöttisches Lächeln an. „Schön für Sie. Bis morgen, Dr. Littlewood.“ Ohne ihre Antwort abzuwarten, drehte er sich um und verschwand.
Das Restaurant war ziemlich schäbig, und Angie stocherte mit der Gabel lustlos im Essen herum.
Warum fielen ihr plötzlich Dinge auf, die sie zuvor noch nicht bemerkt hatte? Cyrils Haar war etwas zu lang und zu ungepflegt, und sein Hemd passte überhaupt nicht zu dem Jackett. Sie wandte sich ab, als er mit vollem Mund redete. Insgeheim verglich sie ihn mit Nikos Kyriacou – mit seinem dunklen Haar und dem hochmütigen Blick. Ärgerlich runzelte sie die Stirn. Warum verschwendete sie auch nur einen einzigen Gedanken an diesen Mann? Äußerlichkeiten spielten für sie keine Rolle.
Als Cyril mitten im Satz verstummte und an ihr vorbeisah, drehte sie sich um. Nikos Kyriacou stand hinter ihr.
In dem Restaurant, in dem nur Studenten und Akademiker mit kleinem Einkommen verkehrten, wirkte er in seinem eleganten dunklen Anzug und dem hellen Seidenhemd völlig fehl am Platz. Er sah Angie hart und kühl an.
„Was wollen Sie?“, fragte sie.
„Die Frist ist abgelaufen“, erinnerte er sie ruhig.
„Ich bin in Begleitung.“
Er warf Cyril einen mitfühlenden Blick zu. „Macht es Ihnen Spaß, sich mit ihr zu unterhalten?“
„Dr. Littlewood ist die intelligenteste Frau, die ich kenne“, antwortete Cyril und legte die Gabel beiseite. „Ihre wissenschaftlichen …“
„Ich bin sicher, dass man sich mit ihr angeregt unterhalten kann“, unterbrach Nikos ihn gelangweilt. „Aber wenn ich mit einer Frau zusammen bin, möchte ich mich nicht geistreich unterhalten, sondern etwas ganz anderes machen.“
Cyril schien peinlich berührt.
„Glücklicherweise sind nicht alle Männer so wie Sie“, stieß Angie leise hervor. „Sie sind widerlich, wissen Sie das?“
„So redet man nicht mit dem Ehemann, meine Liebe“, antwortete er mit gleichgültiger Miene.
„Sie sind nicht mein Mann.“
„Nein, das bin ich nicht“, stimmte er ihr zu. „Noch nicht.“
Ihr Herz klopfte zum Zerspringen. „Ich hätte nicht gedacht, dass …“
„Nein“, fiel er ihr lächelnd ins Wort. „Sie haben überhaupt nicht gedacht, was Sie vielleicht bald bereuen werden. Ich habe mich entschlossen, Ihr Angebot anzunehmen. Ich werde Sie heiraten.“
Cyril rang nach Luft. „Hast du diesen Mann gebeten, dich zu heiraten, Angie?“
„Das ist sehr aufschlussreich, nicht wahr?“ Nikos umfasste Angies Handgelenk und zwang sie aufzustehen. „Manche Männer finden das vielleicht zu gewagt. Mir gefällt es jedoch. Zielstrebige Frauen sind im Bett meist sehr leidenschaftlich.“
Angie fühlte sich gedemütigt. Verzweifelt versuchte sie sich aus seinem Griff zu befreien. „Lassen Sie mich los!“
Statt ihrer Bitte nachzukommen, verstärkte Nikos seinen Griff und zog sie an sich. „Es wird sehr interessant sein, Sie zu besitzen, denn das gehört natürlich auch dazu.“
Am liebsten wäre sie im Erdboden versunken. „Wir sollten die Unterhaltung draußen fortsetzen.“
„Der Meinung bin ich auch.“ Mit der freien Hand winkte er den Kellner herbei. „Damit Sie es wissen: Ich erlaube meiner zukünftigen Frau nicht, mit einem anderen Mann auszugehen. Während ich die Rechnung bezahle, können Sie sich von Ihrem Begleiter verabschieden. Aber bitte keine Umarmungen und keine Küsse.“ Er reichte dem Kellner die Kreditkarte, und Angie trat einige Schritte zurück.
„Das ist typisch für Sie. Sie reduzieren jede Beziehung auf das rein Körperliche. Mit Cyril verbindet mich etwas ganz anderes, was Sie wahrscheinlich gar nicht verstehen können.“
„Für mich ist nur wichtig, dass sich meine Beziehungen auf horizontaler Ebene abspielen.“
Angie wünschte, Cyril würde Nikos einen Denkzettel verpassen. Doch er saß wie erstarrt da.
Natürlich! Wie war sie nur auf die Idee gekommen, Cyril würde sich zu etwas derart Unflätigem herablassen? Er war Akademiker und ein anständiger Mensch. Nie würde er so tief sinken, jemanden körperlich anzugreifen.
Frustriert drehte sie sich zu ihm um. „Cyril, sag doch etwas!“
„Ja, beteiligen Sie sich an der Unterhaltung.“ Nikos zog spöttisch eine Augenbraue hoch.
Der junge Archäologe richtete sich auf. „Ich … kann das Essen für uns beide selbst bezahlen.“
Angie biss die Zähne zusammen, während Nikos sie leicht belustigt ansah.
„Das glaube ich Ihnen. Aber ich habe es schon erledigt“, erklärte Nikos und steckte die Kreditkarte wieder in seine Brieftasche, nachdem er die Rechnung beglichen hatte. „Seien Sie froh, dass ich Angie mitnehme. Sie hätte Sie unglücklich gemacht.“
„Glauben Sie, sie würde Sie glücklich machen?“, fragte Cyril schockiert. Er wollte aufstehen, doch Nikos drückte ihn sanft auf den Stuhl zurück.
„Sie wird mich sehr unglücklich machen“, erwiderte er.“ Nur deshalb hat sie mir den Heiratsantrag gemacht. Aber ich werde sie noch unglücklicher machen. Zumindest werde ich mich nicht langweilen.“
Damit verließ Nikos das Restaurant und zog Angie mit sich.
„Wie können Sie es wagen, mir im Restaurant so eine Szene zu machen?“, fragte Angie, als sie neben Nikos Kyriacou auf dem Rücksitz der Limousine saß, die vor dem Restaurant gewartet hatte. „Ihr schäbiges Verhalten Cyril gegenüber werde ich Ihnen nie verzeihen.“
Nikos beugte sich vor und erteilte dem Fahrer auf Griechisch einige Anweisungen. Dann ließ er sich in die schwarzen Lederpolster zurücksinken.
„Wenn Sie ihm wirklich etwas bedeuten würden, hätte er nicht zugelassen, dass ich Sie mitnehme.“ Er blickte sie herausfordernd an. „Sie haben sich gewünscht, er würde mir einen Denkzettel verpassen, nicht wahr?“
Offenbar konnte er ihre Gedanken lesen. „So etwas würde Cyril nie tun.“
„Nein, wahrscheinlich nicht. Regen Sie sich nicht auf. Jetzt sitzen Sie ja neben einem richtigen Mann.“
Ungläubig sah Angie ihn an. „Ihre Arroganz ist kaum noch zu überbieten. Ich weiß nicht, wie eine Frau Sie überhaupt ertragen kann.“
„Wenn Sie Männer wie Cyril bevorzugen, kann ich verstehen, dass Sie mit mir nicht zurechtkommen“, erwiderte Nikos spöttisch. „Aber in Wahrheit fühlen Sie sich körperlich zu mir hingezogen. Sie können nicht aufhören, mich mit Cyril zu vergleichen. Und das gefällt Ihnen nicht, denn Sie möchten glauben, Sie hätten keine sexuellen Bedürfnisse. Insgeheim sehnen sie sich jedoch nach Sex.“
„Das stimmt doch gar nicht“, protestierte sie entsetzt.
„Doch. Wahrscheinlich ist es Ihnen nicht bewusst, weil Sie noch nie zuvor so empfunden haben.“
„Ich fühle mich nicht zu Ihnen hingezogen. Und ich sehne mich ganz bestimmt nicht nach Sex. Warum müssen Sie immer alles auf Sex reduzieren?“ Es war ihr peinlich, über derartige Dinge zu sprechen.
„Jeder hat das Bedürfnis nach Sex, sonst würde die Menschheit nicht überleben.“ Er betrachtete sie unter halb geschlossenen Lidern. „Die Menschen wollen sich fortpflanzen, das ist völlig normal.“
Hitze durchströmte sie, und sie ballte die Hände zu Fäusten. „Sie wollen ja nur Ihr ausschweifendes und verantwortungsloses Liebesleben rechtfertigen.“
„Mein aktives Liebesleben“, korrigierte er sie sanft.
Gegen ihren Willen wurde ihre Fantasie beflügelt. Sie stellte sich Nikos nackt in inniger Umarmung mit einer Frau vor. „Heißt das, Sie leisten nur Ihren Beitrag zum Erhalt der Menschheit?“, fragte sie ironisch, um sich abzulenken.
„Ich wollte damit sagen, dass leidenschaftlicher Sex zwischen zwei Menschen, die sich zueinander hingezogen fühlen, etwas völlig Normales ist.“
Leidenschaftlicher Sex? wiederholte Angie insgeheim und fühlte sich immer unbehaglicher. „Okay, das ist Ihre ganz persönliche Meinung. Ich finde eine Beziehung auf seelisch-geistiger Ebene anregender und erstrebenswerter als eine rein körperliche.“