Satans tötende Faust - Jan Flieger - E-Book

Satans tötende Faust E-Book

Jan Flieger

4,3

Beschreibung

Die vielen kleinen und großen Betrügereien, die nach der Wende im Osten geschehen, die lassen die Wut in Horst Horstmann hochkochen. Aber Horstmann ist nicht einfach nur ein Bürger, sondern Horstmann war auch ein NVA-Elitesoldat, ein Fallschirmjäger, der gelernt hat, lautlos zu töten. Seine Wut steigt und steigt und dann fasst Horstmann einen tödlichen Plan der Rache. Aus Horstmann wird „Satans tödliche Faust“ … LESEPROBE: „Jetzt ist es aus mit den Miezen!“, höhnte Horstmann. „Was für Miezen?“, zischte Streibele durch die Zähne. „Du weißt es genau“, erwiderte Horstmann gelassen. Eine kalte Ruhe erfüllte ihn. „Sie sind wahnsinnig“, schnaubte Streibele. Er wich ein paar Schritte in die Mitte des Zimmers zurück. „Das kann sein“, knurrte Horstmann und hielt die Mündung der Waffe auf Streibeles Stirn. „Du weißt doch, Wahnsinnige sind unberechenbar.“ Streibeles Augen wurden noch schmaler. „Verdufte“, riet er. „Das ist deine einzige Chance. Verkriech dich wie eine Maus! Du hast nichts in der Hand gegen mich! Hau ab und gib auf, sonst wirst du gejagt, egal wo du bist. Und du wirst nicht einmal wissen, wer hinter dir her ist!“ Streibele lachte höhnisch auf. Und genau da geschah es: Streibele sprang Horstmann an und umklammerte seinen Hals, sodass die Waffe polternd auf den Boden fiel. Keuchend wälzten sie sich auf dem Teppich, bis es Horstmann gelang, sich aus der Umklammerung Streibeles zu lösen und nach seiner Waffe zu greifen. Streibele sprang blitzschnell auf, stürzte zum Schreibtisch, riss eine Schublade auf und wirbelte herum. Doch Horstmann war schneller. Er hatte bereits sorgfältig gezielt und schoss. Ungläubig sah Streibele auf die Waffe, die er in seiner Hand hielt, dann ließ er sie fallen und presste die Hände auf die Brust, während er langsam in den Knien einknickte. Dann stürzte er nach vorn. In der eintretenden Stille vernahm Horstmann plötzlich das Klingeln des Telefons. Er erschrak, denn er wusste nicht, wie lange es schon läutete. Der Ton drang in sein Hirn und breitete sich dort aus, ohne dass er fähig war nachzudenken. Ich muss hier schnellstens weg! Sein Verstand setzte wieder ein und er hastete die Treppe hinunter. Vor dem Haus trat er in eine Pfütze. Ein Auto jagte an ihm vorbei, Dreckspritzer trafen ihn ins Gesicht. Wind und Regen hatten noch zugenommen, als er, sich vorsichtig umschauend, zu seinem Auto eilte.

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Impressum

Jan Flieger

Satans tötende Faust

ISBN 978-3-95655-451-3 (E-Book)

Die Druckausgabe erschien erstmals 1995 im Verlag Das Neue Berlin (Heft 188 der DIE-Reihe).

Gestaltung des Titelbildes: Ernst Franta

© 2015 EDITION digital®Pekrul & Sohn GbR Godern Alte Dorfstraße 2 b 19065 Pinnow Tel.: 03860 505788 E-Mail: [email protected] Internet: http://www.ddrautoren.de

Prolog

Angeln, nichts weiter, angeln und grübeln.

Tage und Nächte blieb er von zu Hause fort, winkte nur schweigend ab, wenn Karin sich beklagte, saß reglos im Kahn oder am Ufer, starrte auf das Wasser und wartete auf den Fisch.

Immer öfter kaute er an den Nägeln, bis er Blut schmeckte, ohne Schmerz zu empfinden. Mit achtundvierzig Jahren war er entlassen worden. In Armut würde er leben müssen, doch Betrüger wurden reicher und reicher, ohne je bestraft zu werden, überall. Immer Neues las und hörte er über sie und ihre Untaten, und der Zorn in ihm wuchs und wuchs.

Doch eines Nachts wusste er, was er tun musste: Das Böse mit den Waffen des Bösen ausmerzen, gnadenlos. Genau an seinem neunundvierzigsten Geburtstag würde er losschlagen, und selbst gab er sich den Namen, unter dem man ihn einmal kennen sollte - Satans tötende Faust.

1. Kapitel

Gohlis erwachte, der Stadtteil, den der Leipziger Bauboom immer farbiger machte und zu einer guten und überteuerten Adresse für neue Mieter.

Über den Coppiplatz rasten die Autos, eine endlose Schlange wilder Kamikazefahrer. Eine Katze, von einem BMW erfasst, wurde in Minuten von vielen Rädern zermalmt.

Am Zeitungskiosk, neben den Stufen, die zum S-Bahnsteig hinabführten, grüßte mit brüllenden Lettern die Morgenpost:

Leipzig - im Osten Krachstadt Nummer 1 Bald würde das erste Surren eines Krans beginnen, würde das dumpfe Plumpsen von Zementsäcken das Kreischen der sich nähernden S-Bahn übertönen, würde der Kies von den Ladeflächen rauschen. Auf zweitausend Baustellen in der regsamsten Metropole Deutschlands begann Leben und Lärm.

Boomtown ... Leipzig kommt prangte nicht umsonst auf einer großen Plakatwand.

Horstmann hörte den alten Trabbi Lehmanns, der nicht anspringen wollte, und er wusste, dass er nun nicht mehr einschlafen konnte. Dieses elende Auto!

Er schlug das Deckbett zurück, stieg aus dem Bett, um dann minutenlang reglos hinter der Gardine zu verharren. Er hörte Karin in der Küche husten, sie, die stets früher als er erwachte, aber ihr Bett sehr vorsichtig verließ, um ihn nicht zu wecken. Es war immer halb sieben, wenn sie gemeinsam am Tisch in der Küche saßen. Die Macht der Gewohnheit war wie ein Sog, obwohl sie seit Monaten arbeitslos waren und wesentlich länger hätten schlafen können.

Mein Geburtstag, dachte Horstmann, der neunundvierzigste. Er starrte auf seine geballten Fäuste und öffnete sie ruckartig. Es war der Tag, an dem er beginnen würde. Die Todesliste war lang und wuchs und wuchs, an jedem Tag kamen neue Kandidaten hinzu, er brauchte nur in die Zeitung zu sehen. Heute würde er diesen Russen ansprechen, damit der ihm die versprochene Waffe rasch beschaffte und die Patronen. Das Schulterhalfter besaß er schon.

Der Tag war da!

Die tötende Faust Satans würde er sein, als Faust des Bösen würde er selbst das Böse vernichten.

Vielleicht waren es diese Gedanken gewesen, die seinen Geist immer hellwach gehalten hatten. Nie würde er aufgeben und sich gehen lassen wie Karin. Nie! Und er hatte das Töten auf theoretische Weise einmal erlernt, bei den Fallschirmjägern, das Töten mit der Waffe und das lautlose Töten, mit dem Messer und der Kante der Hand. Nichts hatte er vergessen. Wie Sam Croft würde er sein, Sam, der Held des Buches, das er mehrmals gelesen hatte. Sicher lag es daran, dass er sich mit Sam identifizierte. Er ähnelte ihm sogar körperlich. Er war schlank, von mittlerer Größe und hielt sich immer so gerade, dass er groß erschien. Und genau wie dieser Sam besaß er ein schmales, kantiges Gesicht, das immer ausdruckslos wirkte. Ebenso wie Sam hatte er eine harte schmale Kinnlade, hagere straffe Wangen und eine gerade, kurze Nase. Auch seine Augen waren ungewöhnlich blau. Er und Sam könnten eine Person sein, selbst der Hauptzug ihres Wesens war gleich, die überlegene Verachtung allen Menschen gegenüber. Und sie liebten beide nichts. Nur in der Haarfarbe unterschieden sie sich. Sam hatte dünnes, schwarzes Haar, er selbst hatte braunes, dichtes.

Immer wieder hatte er die Stelle gelesen, wo Sam als Nationalgardist seinen ersten Menschen tötete, als er die Versuchung fühlte und ihr nachgab, weil die Gelegenheit günstig war.

Er begann seinen Frühsport, zwanzig Liegestütze und dreißig Kniebeugen, um dann, heftig atmend, das Schlafzimmer zu verlassen. Im Bad duschte er sich kalt. Er fühlte sich befreit, denn dieser Tag war schneller da gewesen, als er gedacht hatte. Und nun würde er beginnen, ohne Aufschub.

Aber zuerst musste er die Waffe beschaffen. Gelang es ihm bei dem Russen nicht, würde er nach Hamburg fahren müssen, das wusste er, denn irgendein Zuhälter auf der Reeperbahn konnte ihm vielleicht helfen, die Pistole und die Patronen zu beschaffen. Doch diese Möglichkeit verwarf er wieder. Die Waffe würde sehr teuer sein, viel zu teuer. Und Tage würden vergehen, die Sache dort in Gang zu bringen. Heute oder morgen aber musste er das Problem gelöst haben. „Heute sagen, morgen haben“, hatte der Russe gesagt.

Er hörte Karin rufen und knurrte ein „Ja“ als Antwort.

Als er die Küche betrat, fiel sie ihm um den Hals.

„Ich gratuliere dir, Horst.“

Ihre Umarmung missfiel ihm, aber er wehrte sie nicht ab.

„Mm“, knurrte er abweisend.

Seit ihrer Entlassung aus dem Schuldienst fühlte sich Karin ausgestoßen, minderwertig. Zurzeit hatte sie wohl den absoluten Tiefpunkt ihrer Resignation erreicht, heulte in die gähnende Langeweile ihres Alltags hinein. Ihre Selbstachtung hatte sie verloren, endgültig.

Er setzte sich und begann Butter auf ein Brötchen zu streichen. Da sah er die noch ungeöffnete Whiskyflasche.

„Für diesen besonderen Tag“, sagte Karin leise.

„Gut“, lobte er kauend.

Vielleicht werde ich in drei Tagen den ersten Sauhund töten, dachte er dabei.

2. Kapitel

Das alte Haus im Stadtteil Connewitz war nicht sonderlich gut beleuchtet, und doch konnte Horstmann jeden, der es verlassen würde, beobachten. Er saß ruhig hinter dem Lenkrad seines dunkelgrünen Passat und wartete. Warten war ihm zur Gewohnheit geworden. Warten, nur warten ...

Aber Vorsicht war im Dunkeln in dieser Straße geboten, auch wenn in der nahen Kellerkneipe Boccaccio der Stammtisch Gogelmohsch tagte, das sogenannte zweite Stadtparlament - der Professor Schulter an Schulter mit dem Arbeitslosen, der Unternehmer neben dem Kabarettisten. Aber welche Straße in Leipzig war schon sicher, wenn die Nacht gekommen war, wo doch Passanten sogar am hellen Tag ausgeraubt wurden. Die Räuber sprangen aus dem Auto, schlugen zu, raubten und verschwanden ungestraft. Die Polizei, so hieß es im Volksmund, sei dieser gestiegenen Kriminalität nicht gewachsen, und so zahlten die Geschäftsleute Schutzgeld ohne zu murren, an Deutsche, an Italiener, an Russen, an Vietnamesen.

Horstmann erblickte den Mann, den er erwartete. Diesen Mongolen, der gebrochen Deutsch sprach und den er schon kannte, als er noch in Leipzig stationiert war. Also würde es gelingen! Die russische Mafia lieferte prompt und auf die Minute genau. Deutsch-sowjetische Freundschaft, dachte er bitter. Nichts gegen die Russen. Sie waren verlässlicher, als er gedacht hatte. Sie waren echte Geschäftspartner. Besonders in einem Land wie Deutschland, dass seinen Bürgern eine Waffe nur mit Waffenschein gestattete und sie somit den Ganoven schutzlos auslieferte.

Der Mongole öffnete die Beifahrertür, stieg wortlos ein.

„Und?“, knurrte Horstmann.

Der Mongole nickte grinsend, wies auf den Beutel in seiner Hand, zog eine Pistole hervor und zwei Handgranaten und reichte sie ihm.

„Gut“, lobte Horstmann und prüfte die Waffe sorgfältig.

Die Hand des Mongolen glitt erneut in den Beutel. Als sie wieder sichtbar wurde, sah Horstmann zwei Packungen Patronen.

Das sind nicht viel, dachte er, aber sie reichen für den Anfang. Auch wenn es über dreißig Jahre her ist, dass ich mit einer solchen Waffe geschossen habe, man verlernt das Schießen nicht, man hat es im Blut. Wer einmal bei den Fallschirmjägern war, kann es sein Leben lang.

Wortlos zog er das Bündel Banknoten aus der Tasche seines dunkelblauen Sakkos. Ein preiswerter Kauf, dachte er, für jeden Betrüger, der es verdient hat, eine Kugel, im Höchstfall zwei. Es werden nicht viele sein, einige Auserwählte, aber die büßen für die anderen mit und schrecken sie ab.

„Danke“, sagte der Mongole. „Wenn Nachschub brauchen, ich noch da.“

„Gut“, murmelte er und klopfte dem Mongolen auf die Schulter. „Charascho.“

Der Mongole stieg aus dem Auto, winkte kurz und schlenderte zurück.

Er schob die Waffe in die Aktentasche, die auf dem Rücksitz lag. Die Unruhe der letzten Monate war einer kalten Ruhe gewichen, nun, da die Zeit des demütigenden Wartens vorbei war, endgültig. Er startete den Wagen, um nach Hause zu fahren.

Unweigerlich musste er an seinem ehemaligen Werk vorbei, diesem gewaltigen, roten Backsteingebäude, in dem er zwanzig Jahre lang als Schlosser gearbeitet hatte. Gewöhnlich vermied er es, an dem Gebäude vorbeizufahren.

„Sauhund“, fluchte er, weil er an Leusing dachte, den Mann mit dem abweisenden Gesicht und den kalten Augen, den Ingenieur Leusing, Leiter des Betriebes, einst strammer Genosse vor der Wende. Systematisch hatte er als neuer Chef die Belegschaft verkleinert, einen nach dem anderen entlassen, hatte begonnen mit den Alkoholikern, dann mit den Demonstranten der friedlichen Revolution weitergemacht.

Leusing!

Nun munkelten die im Werk Verbliebenen, er würde es bewusst ruinieren, im Auftrag eines Konzerns, der es zu einem Spottpreis kaufen wollte.

Dieser verfluchte Leusing!

Unwillkürlich dachte er wieder an das Gespräch auf einem Flur des Verwaltungsgebäudes, ein zufälliges Zusammentreffen am Tag seiner Entlassung. Wütend hatte er Leusing angefahren.

„Sie entlassen Leute über fünfzig und ohne Abfindung, Herr Leusing. Glauben Sie, wir finden wieder Arbeit?“

Leusing war überrascht stehen geblieben.

„Wir müssen den Betrieb zur rentablen Arbeit führen. Da brauchen wir nur noch fünfzig Prozent der Leute. Wir müssen einfach die ehemaligen illegalen Arbeitslosen entlassen. Sie haben doch dafür demonstriert. Oder?“

„Und Sie werfen die Alten auf die Straße?“

„Nicht nur die Älteren.“

„Ah ja, Sie behalten nur die Dynamischen?“

Leusing nickte. „Tue ich es nicht, überlebt das Werk wohl kaum. Dann sitzen alle auf der Straße, Herr ...“

„Horstmann.“

Leusing räusperte sich. „Ich muss das gesamte Unternehmen sehen, Herr Horstmann, und nicht den einzelnen.“

„Das Einzelschicksal interessiert Sie nicht?“

„Nein, Herr Horstmann. Es darf mich nicht interessieren. Glauben Sie mir.“

„Sie haben einmal anders geredet, Herr Leusing! Nun ist der einzelne für Sie eine Laus.“

„Das Gespräch führt zu nichts“, wich Leusing aus. „Später werden Sie einmal begreifen, dass man es so tun muss. Jetzt sehen Sie nur Ihr persönliches Schicksal. Das macht Sie blind. Sie müssen sich eine neue Aufgabe suchen, Herr Horstmann.“

„Wenn man fünfzig wird, Herr Leusing?“

Leusing blickte betont auf die Uhr. „Sie müssen mich entschuldigen, Herr Horstmann, aber ich muss weiter.“

Und Leusing war mit raschen Schritten davongeeilt, ging zur Tagesordnung über, und die unerfreuliche Begegnung mit dem Aufsässigen legte er offensichtlich bereits zu den gedanklichen Akten. Leusing plagten andere Sorgen.

Leusing wird nun sterben, dachte er. Jetzt! Durch mich! Er ist einer von denen, die uns nun mit kalter Sachlichkeit regieren. Ich werde für ihn zum tödlichen Stolperstein.

Er bog nach rechts ab. Ein roter Ford raste in wilder Fahrt an ihm vorbei, so nahe, dass er befürchten musste, gestreift zu werden. Ein Tollwütiger, dachte Horstmann, der sein Selbstwertgefühl hinter dem Lenkrad zu steigern versucht und der vielleicht bald an den Raten für das Auto zerbrechen wird.

Zehn Minuten später betrat er seine Wohnung.

Heute war er besonders froh, Karin nicht vorzufinden. Die Jacke warf er über den Lehnstuhl, der auf dem Flur neben dem Telefontischchen stand, und ging mit der Aktentasche ins Wohnzimmer, um sich an den Sekretär zu setzen. Mit dem Daumen drückte er den Schalter der Schreibtischlampe nieder, dann erst zog er die Waffe aus der Tasche und streichelte sie. Sie war ein Modell, das er gut kannte, eine Selbstladepistole Modell Makarow PM. Die Munition kam aus einem Magazin, das acht Schuss enthielt. Hatte man ein volles Magazin in die Waffe eingeführt, so löste man den Fanghebel, der Verschluss glitt nach vorn und die Waffe war ohne Durchladen sofort wieder feuerbereit.

Er begann die Waffe auseinanderzunehmen, und er war überrascht, dass ihm jeder Handgriff sofort gelang. Aber es war auch sehr einfach, und er hatte keine Mühe damit. Die Waffe schien gepflegt zu sein. Liebevoll wog er sie in der Hand und strich fast zärtlich über ihren Lauf. Es war eine Waffe von solider Konstruktion und guter Verarbeitung, zuverlässig, treffsicher und äußerst robust, eine Waffe, die selbst den international üblichen Anforderungen an eine moderne Armeepistole entsprach.

Er würde sie nun oft benutzen, er würde die Vertreter des Bösen das Fürchten lehren, all die Betrüger, die von der Naivität der Menschen lebten.

So musste es getan werden!

So und nicht anders!

Vielleicht lag ihm das Töten auch im Blut. Töten war für Sam Croft ein Handwerk. Und für ihn, Horstmann, würde es das Handwerk der Rache werden.

Seine Finger glitten zärtlich über die Waffe, die ihm ein Gefühl der Allmacht gab. Keiner war unverwundbar. Keiner! So arrogant und frech er auch herumlief unter den Menschen.

Er lachte auf. Der Spott würde jedem im Mund stecken bleiben, wenn ihn die Kugel traf oder wenn er ahnte, dass sie ihn einmal treffen konnte. Betrüger, die etwas auf dem Kerbholz hatten, sollten mit der Angst leben, wenn sie erst wussten, dass er da war! Und vielleicht würden sie ihm beistehen, die alten Kameraden aus seiner Fallschirmjägerzeit, wenn sie seine Absicht begriffen und nicht nur das Töten, sondern die Auslese sahen.

Ja, das Werk der Auslese musste getan werden! Und dieses Werk duldete keine Vergebung.

Er goss einen Whisky in ein Wasserglas und trank den Inhalt in einem Zug aus. Ich werde Richter sein und Henker, dachte er befriedigt. Jede Tat wird ein Blitz sein, ein tödlicher Blitz.

Er trank einen zweiten Whisky.

Auf der Couch sitzend, genoss er die Wirkung des scharfen Getränks. Ein Gefühl der Befreiung erfüllte ihn, ein unendlich großartiges Gefühl.

Er musste töten.

Er wollte töten.

Er würde töten.

Schließlich griff er zu dem Ordner, der die Zeitungsausschnitte enthielt, die er sorgsam sammelte, die endlose Spur des Bösen.

Schicken Sie 25,- DM für die Verpackung

Rolf Teufel aus Leipzig bekam einen Brief:

Sie haben 5000 Mark, einen Golf GTI, einen Brillantring oder eine wertvolle Armbanduhr gewonnen!

Der Haken: Er sollte erst mal 25 Mark nach Holland schicken. Lediglich für Versand und Verpackung. Wie verpackt man einen Golf? Herr Teufel schickte das Geld und mit ihm Zehntausende.

Er fluchte und las weiter, immer wieder von Neuem fassungslos über die Dummheit der Menschen: In sechs Wochen bekommen Sie 30 000 Mark! Sabine Lindemann aus Gohlis zahlte 108 Mark, weil ihr in einem Kettenbrief versprochen worden war: Innerhalb von vier bis sechs Wochen zahlen Ihnen wildfremde Menschen je 30 Mark, macht insgesamt 30 000 Mark!

Kopfschüttelnd las er weiter.

Wöchentlich kommen verzweifelte Sparer zur Verbraucherzentrale, die auf Geldhaie reingefallen sind. Wie Gundula Schmalz aus Schönefeld. Ein Mann im eleganten Anzug kam zu ihr, sagte, er habe sichere Aktien. Sie legte zweitausend Mark an. Alles futsch.

Seine Lippen wurden immer schmaler, als er weiterlas, obwohl er den Inhalt der Mappe kannte.

Er las von einem gewissen Streibele aus Frankfurt am Main, der Mädchen aus Sachsen mit angeblichen Karrieren als Fotomodell anlockte und sie wie Sklavinnen in den Orient verkaufte.

Einen nach dem anderen, dachte er grimmig. Ich weiß nur nicht, mit wem ich beginnen soll. Jeder von denen hat es verdient. Müsste der erste sein.

Jeder!

Wieder streichelte er die Waffe.

Was für ein Gefühl, was für ein unbeschreiblich schönes Gefühl. Die Justiz würde den Mann aus Frankfurt am Main nicht packen können - aber er.

Und das Urteil, das dieser Mann verdient hatte, lautete: Tod!

3. Kapitel

„Es ist furchtbar“, sagte Karin.

„Was ist furchtbar?“, fragte er und sah, dass sie die Illustrierte kopfschüttelnd weglegte.

„Da lebt ein Ehepaar mit zwei behinderten Mädchen, die in Rollstühlen sitzen, in einem Haus mit Garten. Sie bekamen es von der Wohnungsverwaltung wegen dieser Mädchen.“

„Und?“, brummte er.

„Nun will der ehemalige Besitzer, ein Herr Haffner, das Haus wiederhaben. Droht, lässt den Vater zusammenschlagen.“

„Die müssen nicht raus“, knurrte er.

„Aber bald“, erwiderte seine Frau. „Er ruft die Familie nachts an, um ein Uhr, um zwei Uhr und droht: Sie sollten freiwillig gehen, sonst würden sie es bitter bereuen. Sehr bitter.“

„Psychoterror.“ Seine Stimme klang böse.

„Und keiner kann da helfen“, sagte sie mutlos. „Dieser Mann kann schalten und walten wie er will.“

Doch, dachte er wütend, einer kann helfen: ich.

„Mm“, machte er und sah zu ihr hin.

Müde winkte Karin ab. „Das Leben ist eine Hölle.“

Er erwiderte nichts, aber er wusste bereits, dass er diesen Mann auf seine Liste setzen würde, nicht ganz an die Spitze, nein, aber zumindest unter die ersten zehn. Sein Tod würde eine Warnung sein, Menschen nicht aus ihren Wohnungen zu vertreiben.

„Wenn der Kerl stirbt“, sagte er, „kann er nicht auf Eigenbedarf klagen.“

„Warum soll er sterben?“, erwiderte Karin müde. „Er sieht gesund und kräftig aus. Sieh doch! Die Mädchen werden raus müssen aus dem Haus, von dem aus sie in den Garten rollen können. Sie müssen wieder in eine enge kleine Wohnung in einem Neubau und können von dort aus dem Fenster sehen.“

Sie seufzte auf. „Unrecht regiert die Welt.“

Er blickte Karin an. Sie ist fertig, dachte er, sie ist verbraucht und seelisch schon tot, ich aber bin nicht verbraucht, ich werde handeln. Ich werde dann kommen, wenn man mich nicht erwartet, ich werde es in den alten Bundesländern tun und in den neuen.

Horstmann stand auf und ging in den Korridor. Dann öffnete er die Wohnungstür, um zum Briefkasten im Parterre zu gehen.

Im Kasten lag ein Brief, adressiert an Horst Horstmann.

Herzlichen Glückwunsch!

Die Wahl ist auf Sie gefallen, und Sie erhalten mit Sicherheit einen der unten beschriebenen Artikel:

(1) 5 000 DM in bar oder per Scheck

(2) Herren- oder Damen-Quarzarmbanduhr

(3) VW-Golf GTI Modell 1995

(4) Einen Ring mit einem gefassten Diamanten und passenden Ohrringen

(5) Farbfernseher - Bildschirm 39 cm - Stereo.

Die Registriernummer auf der Karte entscheidet über Ihr Geschenk.

Er lachte auf, obwohl ihn eine rasende Wut erfüllte, und las weiter:

Sie müssen nur die beiliegende Karte mit der Registriernummer innerhalb von 13 Tagen zurücksenden, um Ihren Gewinn zu erhalten!

Das Geschenk ist umsonst für Sie!

Sie müssen lediglich die Kosten für Bearbeitung und Versand tragen: insgesamt nur DM 23,-

Schicken Sie die ordnungsgemäß ausgefüllte Karte in einem Briefumschlag zusammen mit 23,- DM zurück an I.M.C. Europa Distribution Center, Rue Delambre 3, 1503 HK, Marseille

PS. Handeln Sie schnell, denn Ihr Geschenk wartet nur 13 Tage auf Sie! Der Rechtsweg ist ausgeschlossen.

Und wie schnell ich handeln werde! dachte Horstmann grimmig. Übermorgen bin ich bei euch, und dann erwische ich einen oder zwei von euch, wenn ihr das Schließfach leert. Diese Verbrecherbande, die auf Dummenfang geht! Keiner kennt mein Motiv, keiner wird mich sehen, es wird ein perfekter Mord werden, oder es werden zwei perfekte Morde.

Nein, es ist kein Mord!

Es ist eine Bestrafung, bei der der Rechtsweg ausgeschlossen ist.

Ihr Hunde, dachte er. Wie viele werdet ihr wohl reinlegen? Immer wieder.

Aber ich komme.

4. Kapitel

Evelyn Zinner hörte das Telefon klingeln. Sie schreckte hoch und blickte auf die Uhr, die auf dem Nachttisch stand. Es war kurz nach zwei, tiefe Nacht. Sie warf das Deckbett zurück, schlüpfte in die Hausschuhe und lief auf den Flur, zu dem kleinen schmalen Tischchen mit dem Telefon.

Schläfrig und benommen hob sie den Hörer ab.

„Zinner.“

Ein glucksendes Lachen war am anderen Ende der Leitung zu hören und dann die Stimme, die sie bereits kannte, die metallisch klingende Stimme Haffners, der ihr Grundstück wollte und das Haus, in dem er einmal gelebt hatte, ehe er, lange vor der Wende, über Ungarn den einstigen Staat DDR verlassen hatte.

„Raus aus meinem Haus. Räumt es freiwillig! Es hat keinen Zweck, wenn ihr euch weigert. Ich habe den längeren Arm, ihr Stasischweine.“

Evelyn Zinner kniff die Augen zusammen, und ihre Hand schloss sich fester um den Hörer.

„Wir sind keine Stasischweine“, erwiderte sie. Ihre Stimme hatte einen bittenden Klang. „Wir haben es Ihnen doch bereits mehrmals erklärt. Das Haus erhielten wir zur Miete, weil wir zwei Töchter haben, die wegen Gelenkdeformation in Rollstühlen sitzen. Sie wissen das doch! Wir können den Mädchen in diesem Haus das Leben leichter machen. Hier geht das, was man in einer Neubauwohnung nicht machen kann, Haltegriffe, schiefe Ebenen anstelle von Treppen. Warum wollen Sie das nicht verstehen? Warum quälen Sie uns immer wieder? Sie wissen doch, wie spät es ist, Herr Haffner!“

„Und ob“, grunzte Haffner. „Und ich rufe immer wieder an! Bis ihr fertig seid und auszieht. Es ist mein Besitz!“

Evelyn Zinner zitterte am ganzen Körper, als sie diese Worte durch das Telefon vernahm. Tränen füllten langsam ihre Augen. „Sie haben doch wieder ein Haus“, sagte sie kläglich. „Sie haben es uns doch selbst gesagt. Warum wollen Sie uns dann verjagen?“

„Ich will mein Grundstück und mein Haus. Ich mache euch fertig, wenn ihr nicht verschwindet.“

„Aber, Herr Haffner!“

„Haut ab!“

„Wir hätten gar keine Wohnung, selbst wenn wir gehen wollten. Wo sollen wir denn hin?“

„Dann sucht euch was! Als ich getürmt bin, musste ich mir auch was suchen. Also haut ab. Ich komme bald wieder vorbei!“

Evelyn Zinner schluchzte auf.

„Tun Sie das bitte nicht, Herr Haffner.“

Wieder das glucksende Lachen.

„Und ob, Frau Zinner.“

Evelyn dachte erschrocken an den „Besuch“ Haffners, der ihrem Mann den Arm auf den Rücken gedreht und ihn getreten hatte. Blutergüsse und Prellungen waren das Resultat gewesen. „Ich komme schon in mein Haus, wenn es sein muss“, hatte Haffner damals gebrüllt. „Und wenn’s mit der Axt ist!“ Kathrin und Annett hatten weinend in ihren Rollstühlen gesessen.

„Hat’s Ihnen die Sprache verschlagen, Frau Zinner? Denken Sie ja nicht, weil so ein paar üble Journalisten über mich geschrieben haben, können Sie nun die große Lippe riskieren.“

„Ich riskiere doch keine große Lippe, Herr Haffner. Wir möchten uns im Guten mit ihnen einigen.“

„Dann verschwindet! Haut endlich ab. Packt eure Sachen in einen Möbelwagen.“

„Sie sind angetrunken, Herr Haffner.“

„Das könnte Ihnen so passen. Ich bin nicht angetrunken, ich bin wütend. Und ich mache euch fertig. Mir hat noch keiner widerstanden, ihr Stasischweine.“

„Bitte, Herr Haffner, wir haben mit dieser Institution nie etwas zu tun gehabt! Wie oft müssen wir das Ihnen denn noch sagen! Wir bekamen das Haus wegen unserer kranken Töchter.“

„Sie wiederholen sich, Frau Zinner. Mit der Klage auf Eigenbedarf krieg ich Sie sowieso raus. Die Zeit läuft für mich!“

Nun schluchzte Evelyn Zinner auf. Ihr Mann war hinzugekommen und nahm ihr den Hörer aus der Hand.

„Herr Haffner, wir sind berufstätige Menschen. Und wir haben zwei kranke Töchter. Wir müssen sehr früh aufstehen. Meinen Sie, dass meine Frau noch einmal schlafen kann?“

Haffner lachte auf.

„Das soll sie auch nicht. Ihr sollt immer an mich denken. Zu jeder Zeit. Tag und Nacht. Immer. Bis ihr endlich auszieht. Das Recht, Zinner, ist auf meiner Seite!“

„Das Recht der Raubritter, meinen Sie wohl!“

„Werden Sie nicht unverschämt, Sie Stasiratte.“

„Für diese Firma hat nicht jeder gearbeitet!“

„Aber jeder zweite. Und nun seid ihr alle Helden gewesen. Warum sind Sie nicht aus diesem Scheißstaat getürmt?“

„Weil wir zwei Mädchen im Rollstuhl haben, Herr Haffner!“

„Schieben sie nicht immer Ihre Gören vor!“

„Töchter, Haffner, Töchter!“

„Saubande“, sagte Haffner und legte auf.

Zinner blickte seine Frau an, die, schweigend an ihn gelehnt, zu ihm aufsah.

„Was soll das nur noch werden?“

Zinner streichelte seine Frau, und seine Lippen wandelten über ihre Stirn, ihre Wangen, minutenlang.

„Er ist ein Teufel“, hauchte Evelyn Zinner. „Ein wahrhaftiger Teufel. Wer weiß, was er noch anstellen wird?“

Zinner schwieg. Ein Gefühl der Hilflosigkeit erfüllte ihn, denn wehrlos standen sie Haffner gegenüber. Wenn sie wirklich das Haus aufgeben mussten, wäre es furchtbar für die Mädchen, die den bequemen Weg in den Garten und dessen für sie erreichbare Schönheit längst gewohnt waren. Wieder die Enge einer Neubauwohnung in einer Trabantenstadt, vielleicht Grünau, dem Brooklyn von Leipzig. Wenn es überhaupt eine Neubauwohnung sein würde, bei der Situation ringsherum.

Schweigend lagen sie im Dunkeln nebeneinander, Hand in Hand. Zinner konnte nicht sehen, dass seine Frau weinte. Sie tat es lautlos und mit klopfendem Herzen, und er wusste auch nichts von einem Mann, der Horstmann hieß und im Auto nach Marseille jagte und auf dessen Todesliste auch der Name Haffner stand.

5. Kapitel

Er fuhr noch den ganzen Tag, ehe er Marseille erreichte. Die Autobahn endete endlich vor einem gewaltigen Triumphbogen. Es war ungewöhnlich heiß, und der Schweiß lief ihm über die Stirn und in die Augen, als er einen Parkplatz suchte, doch noch ehe er ihn fand, begann das Gewitter, heftig, aber kurz. Als er ausstieg, dampften die Steine. Das Gewitter und die Hitze hatten nun ein Treibhaus geschaffen.

An einem Zeitungskiosk kaufte er einen Stadtplan, ging zurück zum Auto und suchte die Straße, die er am Stadtrand fand. Dann fuhr er weiter auf einer Hochstraße aus Stahlbeton, durch die alten Viertel von Marseille, den Hafen mit seinen Kais und Lagerhäusern, weiter und weiter, bis zum Rand der Stadt.