Sättigungswirtschaft - Thomas Hartl - E-Book

Sättigungswirtschaft E-Book

Thomas Hartl

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Beschreibung

Woher kommt unser Reichtum? Weshalb funktioniert das alte Rezept freier Märkte nicht mehr für alle in der Gesellschaft? Ist die zunehmende Vermögenskonzentration nur eine Neiddebatte? Was ist unser Geld heute noch wert nach all den Rettungsmaßnahmen? Wie weit können Real- und Finanzwirtschaft noch auseinanderlaufen? Wie kann eine nachhaltige Wirtschaft aussehen? Wer sich schon einmal diese oder ähnliche Fragen gestellt hat, bekommt in diesem Buch das Handwerkszeug sie zu beantworten. In der Sättigungswirtschaft scheitert das plumpe Gewinnstreben der freien Marktwirtschaft bei der gesellschaftlichen Wohlstandsschaffung. Dabei bietet der heutige Sättigungszustand unserer Wirtschaft enormen kreativen Spielraum für die Entwicklung hin zu einer nachhaltigen Ökonomie.

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„Woher kommt unser Reichtum?“

„Weshalb funktioniert das alte Rezept freier Märkte nicht mehr für alle in der Gesellschaft?“

„Ist die zunehmende Vermögenskonzentration nur eine ‚Neiddebatte‘?“

„Was ist unser Geld heute noch wert nach all den Rettungsmaßnahmen?“

„Wie weit können Real- und Finanzwirtschaft noch auseinanderlaufen?“

„Wie kann eine nachhaltige Wirtschaft aussehen?“

Wer sich schon einmal diese oder ähnliche Fragen gestellt hat, bekommt in diesem Buch das Handwerkszeug, sie zu beantworten.

Ich danke meiner Frau Eva für Ihren unermüdlichen

Einsatz, dem Buch Leseleichtigkeit zu verleihen – für

jegliche diesbezügliche oder anderweitige Defizite

trage jedoch allein ich die Verantwortung.

Inhaltsverzeichnis

Abbildungsverzeichnis

Einleitung

Kapitelübersicht

Komparativer Vorteil

1.1 Komparativer Vorteil durch Innovation

1.2 Gewinn ist nicht gleich Gewinn

1.3 Geld ist Vertrauen

1.3.1 Die Brücke in die Zukunft

1.3.2 Finanzwirtschaft und Realwirtschaft

1.3.3 Die Hüterin des Vertrauens

1.4 Wohlstandsschaffung in der Knappheitswirtschaft

Sättigungswirtschaft

2.1 Zeichen der Sättigung

2.1.1 Monopolregulierung als Sättigungsindikator

2.1.2 Komparativer Vorteil am Ende – Welthandel stagniert

2.1.3 Die Digitalwirtschaft

2.1.4 Der Konsumkorb als Spiegelbild unserer Wirtschaftsentwicklung

2.2 Die Geldpolitik geht noch von einer Knappheitswirtschaft aus

2.3 Fremdkapital als Gewinnoptimierer anstatt Innovationsfinanzierer

2.4 Zunehmende Ungleichheit – keine Neiddebatte

2.5 Anfangsausstattungen – viel hilft jetzt viel

2.6 Die unsichtbare Wand

Friedensökonomie – Wirtschaft neu versuchen

3.1 Gesellschaftlicher Zugewinn

3.2 Diskriminierung von unproduktivem Kapital

3.3 Finanzierung gesättigter Branchen durch 100% Eigenkapital – ohne Schulden

3.3.1 Kapitalallokation + Geiselhaft

3.3.2 Altersvorsorge braucht Innovation

3.3.3 Was der Krankenschwester wirklich hilft

3.4 Finanzierung von Innovation

3.5 Neue Geld- und Fiskalpolitik

3.6 Digitale Geschäftsmodelle

3.7 Zukunft gestalten für alle

3.8 Eine Friedensökonomie für die nachhaltige Wissensgesellschaft

Glossar

Quellen

Abbildungsverzeichnis

Tabelle 1: Selbstversorger ohne Kooperation

Tabelle 2: Selbstversorger mit Kooperation

Tabelle 3: Aufteilung des deutschen Konsumkorbs und Preisentwicklung seit 1995

Tabelle 4: Gewinnrendite bei unterschiedlicher Verschuldung

Tabelle 5: Gefangenendilemma → Alle sagen aus

Tabelle 6: Freier Wettbewerb in der Knappheitswirtschaft → Alle investieren

Abbildung 1: Markt mit Tauschhandel – ohne Geld

Abbildung 2: Knappheitswirtschaft mit Unternehmer- und Gesellschaftsgewinn

Abbildung 3: Anteil des Welthandels an der globalen Wirtschaftsleistung in %

Abbildung 4: Jährliche Automobil-Neuanmeldungen in Deutschland

Abbildung 5: Entwicklung der Wohnimmobilienpreise in Deutschland

Abbildung 6: Japans verlorenes Jahrzehnt

Abbildung 7: Verschuldung und Produktivität der deutschen Wirtschaft

Abbildung 8: Jährliche Konsumpreisveränderung in Deutschland

Abbildung 9: Jährliche Anzahl an Unternehmensinsolvenzen in Deutschland

Abbildung 10: Reallohnentwicklung in Deutschland nach Einkommenshöhe

Abbildung 11: Verteilung des Nettovermögens in Deutschland nach Dezilen

Abbildung 12: Durchschnittsvermögen nach Haushaltsnettoeinkommen

Abbildung 13: Sättigungswirtschaft ohne Gesellschaftsgewinne

Abbildung 14: Die Blaupause der Friedensökonomie

Einleitung

Irgendetwas stimmt doch nicht, oder? Klar, uns geht es wirtschaftlich besser als je zuvor. Wir leben als deutsche Gesellschaft im Überfluss. Und trotzdem wächst die Unsicherheit, nehmen Spannungen innerhalb der Bevölkerung zu. Das Vertrauen in den „stillen“ Gesellschaftsvertrag nimmt ab. Wir haben einen impliziten Pakt geschlossen, dass es unseren Kindern mindestens so gut gehen soll wie uns selbst. Er verspricht die Belohnung von Leistung und eine Chance, sein Schicksal in die eigenen Hände zu nehmen. Die Zweifel an der Gültigkeit dieser Vereinbarung sind mal stärker mal schwächer, aber die Zeichen sind deutlich. Politisch bewegt sich nicht nur die deutsche Gesellschaft von der Mitte weg. Dasselbe sieht man in Amerika und auch im Rest Europas. Ich bin überzeugt, es liegt daran, dass der Kuchen seit einiger Zeit nicht mehr für alle in der Gesellschaft wächst. Viele verlieren sogar seit geraumer Zeit an Wohlstand. Der Gesellschaftsvertrag sieht keine Verteilung von Geschenken vor. Er hat nie eine Gleichbehandlung versprochen, aber eine Beteiligung aller am Wachstum.

Dies ist keine Neiddebatte. Es geht nicht um Gerechtigkeit im Sinne einer Gleichbehandlung. Unsere Gesellschaft hat sich dem marktwirtschaftlichen System zugewandt, weil es den Kuchen wachsen ließ und alle daran beteiligt hat. Das ist aber nicht mehr der Fall. Wir wissen, dass Armut in Deutschland vererbt wird. Aber auch Bildung ist kein Garant mehr für eine gute Anstellung und eine wirtschaftlich sichere Zukunft. Der Erwerb von Wohneigentum ist vielerorts unerschwinglich geworden. Selbstständige verdienen weniger als der Angestellte in einem Großkonzern. Die Geschichte vom traditionellen Unternehmertum, dem Eingehen von Risiken und der gerechten Belohnung durch üppige Gewinne ist nicht mehr glaubhaft. Wenn die Unternehmensgewinne sprudeln, gewinnen nicht mehr alle. Es gibt nicht einmal die ungerechte Verteilung der wachsenden Gewinne, die gesellschaftlich anerkannt ist. Dennoch beherrscht die Unternehmerperspektive weiterhin die gesellschaftliche Debatte und Wirtschaftspolitik. Tatsächlich waren weite Teile der deutschen Wirtschaft, wie Banken und Autokonzerne, nach der Globalen Finanzkrise1, Eurokrise und der Corona-Krise von staatlicher bzw. gesellschaftlicher Unterstützung abhängig.

Die Regeln der freien Marktwirtschaft werden nicht mehr so streng ausgelegt, wie man sie uns beigebracht hat. Das gilt auch für die Geld-und Fiskalpolitik. Die Zinsen sind negativ. Die Sicherheiten, die Zentralbanken für Kredite an Banken akzeptieren, sind von immer geringerer Werthaltigkeit und Qualität. Schuldengrenzen für Staaten werden ausgesetzt und die Haftung für Schulden europäischer Partnerländer ist de facto schon Realität. Das ist keine Wertung dieser Maßnahmen. Es sind nur Beispiele, die belegen: Irgendetwas stimmt doch nicht. Das ist nicht, was vereinbart wurde. Das Vertrauen in den Gesellschaftsvertrag ist zurecht erschüttert. Diese Widersprüche und der eingeschränkte Handlungsspielraum jedes Einzelnen in einem Umfeld schwachen Wachstums stellen die unsichtbare Wand dar. Und sie versperrt immer mehr Menschen den Weg in eine bessere Zukunft. Da sie schwer zu erkennen ist, schafft sie eine enorme Unsicherheit in der Gesellschaft, die auch für die extremeren politischen Entwicklungen verantwortlich ist.

Mein Ziel ist, diese unsichtbare Wand sichtbar zu machen. Ich möchte, dass jeder versteht, wie sie entstand und was man gegen sie tun kann. Sie ist kein Produkt der Krisen, allerdings hat die Krisenpolitik ihre Entwicklung beschleunigt. Daher ist es dringend nötig, weiteren Schaden von unserer Wirtschaft abzuwenden und sie für die Zukunft zu wappnen. Das geht allerdings nur, wenn es eine gesellschaftliche Debatte um die unsichtbare Wand gibt. Dafür ist ein grundlegendes Verständnis unserer Wirtschaft nötig. Woher kommt der Wohlstand in unserer Gesellschaft? Welchen Beitrag haben daran Unternehmen und welchen die Gemeinschaft? Welche Veränderungen sind für die unsichtbare Wand verantwortlich? Und welche Maßnahmen können wir ergreifen, um den Gesellschaftsvertrag wieder mit Leben zu füllen?

Die entscheidende Veränderung in unserer Wirtschaft ist die Entwicklung von einer Knappheitswirtschaft in eine Sättigungswirtschaft. Unser aktuelles Verständnis und jahrzehntelange Erfahrung beruhen auf der Knappheitswirtschaft. Sie ist von endlosen Investitionsmöglichkeiten geprägt. Die freie Marktwirtschaft ist das optimale System, um die Bedürfnisse der Bürger an Gütern und Dienstleistungen in der Knappheitswirtschaft zu bedienen. In vielen Bereichen unserer Wirtschaft hat jedoch mittlerweile eine Sättigung eingesetzt. Investitionsmöglichkeiten sind heute rar gesät. Das bedeutet kein Wachstum, ausgereifte Produktionsprozesse und mangelnder Wettbewerb. In einer Sättigungswirtschaft führen die heutigen Regeln der freien Marktwirtschaft zu einem schlechten Ergebnis. Es ist also der große Erfolg der freien Marktwirtschaft in der Bekämpfung von Knappheit, der die Sättigungswirtschaft erst ermöglicht und uns nun Probleme bereitet. Unsere Finanz- und Wirtschaftspolitik beruht jedoch immer noch auf den Erfahrungen der Knappheitswirtschaft. Nur wenn wir verstehen, woher die Probleme stammen, besteht die Chance, dass wir die nötigen Änderungen an dem alten Erfolgsrezept durchsetzen können.

Wie das Klima braucht auch unsere Wirtschaft einen breiten Gesellschaftskonsens und eine Diskussion, um wesentliche Veränderungen zu ermöglichen. Jeder hat davon gehört, und viele glauben, dass der menschgemachte Klimawandel unsere Existenz gefährdet. Wir wissen, wieviel Kohlenstoffdioxidemissionen fossile Brennstoffe jedes Jahr verursachen oder wieviel Emissionen durch Häuserdämmung eingespart werden können. Nach der Lektüre dieses Buches weiß man, wann Unternehmen frei nach Gewinn streben sollten wie bisher und wann nicht, welche Rolle Schulden dabei spielen und weshalb die Vermögenskonzentration keine Frage der Gerechtigkeit, sondern unseres zukünftigen Wohlstands ist.

Kapitelübersicht

Im ersten Kapitel geht es um ein Verständnis, wie wir es zu so unglaublichem, wirtschaftlichem Reichtum geschafft haben. Die unsichtbare Hand des Marktes2, die wie magisch Angebot und Nachfrage zusammenbringt, ist gar nicht so mystisch wie ihr Ruf. Es ist der komparative Vorteil eines jeden Einzelnen von uns, der uns gemeinsam so mächtig macht. Diese Kraft zu verstehen und Wege zu finden sie heute optimal freizusetzen, ist die beste Chance der Menschheit auf Frieden. Wir werden sehen, dass jeder Einzelne von uns einen Beitrag zu unserem

Wohlstand leistet. Das kommt daher, dass es ausreicht, in einer Tätigkeit relativ etwas mehr oder weniger gut zu sein als in einer anderen. Dann lohnt sich schon die Kooperation des Einzelnen mit der Gesellschaft. Man muss nicht der oder die Beste sein. Die Besten sind auch nötig in der Gesellschaft, aber der Großteil unseres Wohlstands stammt von Kooperation. Geld und seine Stabilität sind ebenfalls gesellschaftliche Errungenschaften und tragen enorm zu unserem Wohlstand bei. Den größten Nutzen aus Geld und Krediten zieht heute meist nur eine vermögende Minderheit. Es gibt aber Wege, alle davon profitieren zu lassen, und diese sollten wir einschlagen.

Der wesentliche Unterschied zwischen dem Erfolg der freien Marktwirtschaft und dem Misserfolg der Planwirtschaft ist der Gewinnanreiz der Marktwirtschaft. Bis heute gibt es kein besseres System, um die diversen Bedürfnisse einer Gesellschaft mit knappen Ressourcen zu befriedigen. Der Gewinnanreiz macht erfinderisch und vor allem priorisiert er die Erfüllung der Bedürfnisse nach den erzielbaren Gewinnen. Das ist sozusagen der Machbarkeitstest. Wenn man mit Gewinn ein nachgefragtes Produkt herstellen kann, dann wird das in der freien Marktwirtschaft gemacht. Es wird nicht unterschieden, welches Bedürfnis zuerst befriedigt werden soll, wie es in der Planwirtschaft der Fall ist. Zudem braucht die freie Marktwirtschaft kein Verständnis aller Zusammenhänge, wie es ein Wirtschaftsplan verlangt. Sie delegiert vielmehr über den Gewinnanreiz die Investitions- und Produktionsentscheidungen an alle Bürger ohne ein Ziel vorzugeben. Das Ergebnis ist Wachstum von allem, was „machbar“ ist und Gewinn abwirft. Dies erklärt die Dominanz der freien Marktwirtschaft. Das gilt jedoch nur in der Knappheitswirtschaft, die von unerfüllten Grundbedürfnissen der Bürger und folglich endlosen Investitionsmöglichkeiten geprägt ist. In der Sättigungswirtschaft ist der unkontrollierte Gewinnanreiz jedoch schädlich. Die unsichtbare Hand wird zum Konstrukteur einer unsichtbaren Wand, die immer mehr Menschen den wirtschaftlichen Aufstieg verbaut.

Daher widmet sich das zweite Kapitel dem Wandel unserer Ökonomie vom Zustand der Knappheit zur Sättigung. Die freie Marktwirtschaft schafft in einer Knappheitswirtschaft enormen Fortschritt und Wohlstand für alle. Diese Eigenschaft geht in der Sättigungswirtschaft jedoch verloren. Die Zeichen, dass wir uns in einer Sättigungswirtschaft befinden, sind deutlich. Der Welthandel stagniert seit vielen Jahren. Die Kooperationsgewinne stoßen selbst global an ihre Grenzen. Und dies erklärt auch die zunehmenden geopolitischen Spannungen in der Welt. Die Globalisierung, das größte Friedensprojekt aller Zeiten, liefert keine Zusatzgewinne mehr und führt so zu einer Abkehr von internationaler Kooperation und einer nationalistischeren Politik. Auch die Geldschwämme der Zentralbanken hat weder zu einer Überhitzung der Wirtschaft noch zu Inflation geführt, wie es die Erfahrungen aus der Knappheitswirtschaft nahelegen. Es gibt nicht mehr genug Investitionschancen. In dieser Welt raren Wachstums sind Investitionsrisiken höher als in der Knappheitswirtschaft.

Forschungsinvestitionen bergen eine enorme Unsicherheit, die von der kurzsichtigen Gewinnorientierung der freien Marktwirtschaft nicht getragen werden. Die Vermögenskonzentration führt ebenfalls zu weniger Zukunftsinvestitionen. Bei geringen Gewinnaussichten ist der Erhalt des Vermögens zunehmend wichtiger bei der Investitionsentscheidung als die Steigerung desselben. Sind die Gewinnchancen hoch, macht es nicht viel aus, ob jemand einen Startvorteil hat. Gibt es aber nicht viel mehr zu erwarten als das, was schon verteilt ist, dann macht die Anfangsausstattung oder anfängliche Vermögensverteilung fast alles aus. Vor dieser unsichtbaren Wand von vermeintlich freiem Wettbewerb steht ein immer größerer Teil der Gesellschaft.

Die Rettungspolitik und die niedrigen Zinsen fördern zudem dieses Gewinnstreben in einer Welt ohne Wachstum. Ursprünglich haben Unternehmen Fremdkapital oder Schulden aufgenommen, um eine neue Idee umzusetzen, wofür die eigenen Mittel nicht ausreichten. Heute erhöht man die Schulden lediglich zur Gewinnsteigerung. Die hohen Immobilienpreise sind ebenfalls eine Folge dieser Entwicklung. Finanzvermögen werden mit einer Geldflut und niedrigen Zinsen zu immer neuen Höhen getrieben, während die Löhne hinterherhinken. Real-und Finanzwirtschaft laufen immer weiter auseinander. Mit der Corona-Krise droht eine extreme Fortsetzung dieser Politik. Hier kreiert die Politik eine Stabilitätsillusion. Diese Illusion aufrecht zu erhalten, kostet die Gemeinschaft viel Zukunftspotenzial.

Mit dem Verständnis, dass wir unsere gewohnte Knappheitswirtschaft verlassen haben, gibt das dritte Kapital konkrete Handlungsempfehlungen für eine nachhaltige Friedensökonomie. Es ist gleichermaßen wichtig, die Errungenschaften unserer Wirtschaft zu bewahren als auch die Zukunftschancen zu fördern. Dazu muss man die funktionierenden Regeln erhalten, aber auch neue Regeln festlegen, um weiteren Schaden abzuwenden. Es ist wichtig, zwischen produktiven und unproduktiven Unternehmen und Vermögenswerten zu unterscheiden. Die Kapitalallokation muss durch entsprechende Anreize umgelenkt werden, weg von unproduktivem Realkapital wie Immobilien, hin zu Innovation und Wachstum. Dafür ist es auch nötig, neue Wissensunternehmen zu gründen, die sich nur mit Forschung und Innovationen beschäftigen.

Investitionen in der Sättigungswirtschaft sind wesentlich riskanter und unsicherer als in der Knappheitswirtschaft. Aber das bedeutet nicht, dass wir auf Forschung, Innovation und Wissensgewinne verzichten können. Sie sind wichtiger als je zuvor. Unvorhergesehene Herausforderungen wie die Corona-Krise und auch eine offensichtliche Abnahme internationaler Kooperation machen dies sehr deutlich. Das Risiko für die nötigen Wissensinvestitionen kann nur die Gesellschaft als Ganzes tragen. Die heutigen Kapitalunternehmen und die Vermögenskonzentration sind nicht geeignet, diese Aufgabe zu bewältigen.

Mit den richtigen Anreizen können sowohl die Neuausrichtung unseres Investitionskapitals als auch eine breitere Vermögensverteilung in der Gesellschaft erreicht werden. Eine nachhaltige Friedensökonomie muss auch eine explizite Generationenperspektive haben: Der wirtschaftliche Ausgleich von einer Generation zur nächsten und die nachhaltige Übertragung von Vermögen. Die Wirtschaftspolitik muss endlich den Beitrag der Gesellschaft im Wirtschaftsprozess würdigen, der bislang größtenteils den Unternehme(r)n zugeschrieben wird.

Das Ende der Knappheitswirtschaft fordert enorme Veränderungen, bietet aber auch die Chance, dem „stillen“ Gesellschaftsvertrag eine Stimme zu geben. Die Wahrnehmung, „Irgendetwas stimmt doch nicht.“, ist mehr als ein individuelles Schicksal. Die Sättigung unserer Wirtschaft stellt viele unserer Erfahrungen infrage und gefährdet unseren Wohlstand und Frieden. Der erste Schritt ist Verständnis für die Änderung zu schaffen, um dann gemeinsam debattieren zu können. Los geht’s!

1 Die Globale Finanzkrise hat in 2008/09 die Weltwirtschaft in eine globale Rezession gerissen. Ihren Ursprung hatte sie in der Immobilienspekulation von US-Banken, die die damit verbundenen Risiken anhand von Wertpapieren in das globale Finanzsystem speisten. Um das Bankensystem zu retten, übernahmen Staaten die Haftung für ihre nationalen Banken. Dadurch hat sich das Bonitätsrisiko von den Banken auf die Staaten übertragen. Das hat dann in der Eurozone zur Eurokrise geführt, in der Investoren die Zahlungsfähigkeit einiger Staaten und die Zukunft des Euro in Frage gestellt haben.

2 Der Begriff der „unsichtbaren Hand“ wurde vom britischen Ökonomen Adam Smith in die Welt gesetzt. In seinem Buch „Wealth of Nations” (dt.: Wohlstand der Nationen) von 1776 beschreibt er damit den Vorteil freier Märkte in der Wohlstandsschaffung. Der freie Marktzugang von Anbietern und Nachfragern wird automatisch den besten, d.h. am meisten Nutzen stiftenden Handel erzielen. Der Nachfrager mit dem größten Nutzen und daher größten Zahlungsbereitschaft kauft vom Anbieter mit den niedrigsten Produktionskosten, da dieser den Preis weiter senken kann als alle anderen und immer noch einen Gewinn macht. Wird der freie Marktzugang behindert, besteht die Gefahr von Wohlstandsverlusten, d.h. es kommt nicht zum bestmöglichen Handel. Dieses Argument nutzt man bis heute, insbesondere auch für den Abbau von Handelshemmnissen wie Zöllen zwischen Ländern und Wirtschaftsregionen.

1. Komparativer Vorteil

Unsere Wirtschaft ist unendlich komplex und läuft doch wie ein Uhrwerk. Der wirtschaftliche Wohlstand, den sich die Menschheit erarbeitet hat, ist atemberaubend. Wir konsumieren täglich unzählige Produkte und Dienstleistungen, ohne einen Schimmer davon zu haben, wie, wo oder vom wem diese hergestellt wurden. Tatsächlich weiß das keiner so genau. Unsere Wirtschaft ist das Ergebnis von Trial-and-Error3. Lange gab es den Systemwettbewerb zwischen staatlicher Kontrolle der Wirtschaft und der vollkommenen Freiheit der Bürger, die Wirtschaft nach ihren Vorstellungen zu gestalten. Das erste Modell ist als Planwirtschaft bekannt und das zweite als die freie Marktwirtschaft. Die Debatte zwischen beiden Lagern hält bis heute an. Die Geschichte hat jedoch gezeigt, dass die freie Marktwirtschaft eindeutig besser in der Befriedigung der Bedürfnisse der Gesellschaft ist als die Planwirtschaft. Ihr Nachteil ist, dass ein Plan zu viele Informationen benötigt, um alle Bürger im Produktionsprozess optimal einzusetzen. Die freie Marktwirtschaft setzt dagegen auf die Eigenverantwortung eines jeden Einzelnen. Sowohl die positiven als auch die negativen Anreize, die Eigenverantwortung mit sich bringt, sind die geheimen Zutaten unseres heutigen Wohlstands.

Der Wohlstand ist allerdings kein Geschenk. Die Eigenverantwortung bedeutet, jeder kümmert sich nur um sich selbst. Das hat einen gnadenlosen Wettbewerb zur Folge. Auf der anderen Seite des Erfolgs stehen zahlreiche Verlierer. Der freie Wettbewerb kennt keine Gerechtigkeit oder Gleichmacherei. Er erlaubt kein Verschnaufen, der Feind ist überall und häufig nicht sichtbar. Dennoch steht der Kapitalismus aufgrund der offensichtlichen Erfolge freier Märkte bei der Wohlstandsschaffung insbesondere auch unter Experten nicht in Frage. Aber was bedeutet Wohlstand genau? Es geht um die breite Versorgung der Gesellschaft mit Gütern und Dienstleistungen. Um hier Fortschritte zu erzielen, muss eine Wirtschaft enorm erfinderisch sein. Die bestehende Güterproduktion muss durch immer weniger ArbeiterInnen erreicht werden, also laufend effizienter werden. Die hiermit freigesetzte Arbeitskraft kann dann neue Produkte erfinden und der Gesellschaft zur Verfügung stellen.

In Deutschland arbeiteten 2019 noch 1,3% der Beschäftigten in der Land-, Forst-, und Fischereiwirtschaft4. Das ist nur noch ein Bruchteil von den 24,6%, die es 1950 waren. Die Fortschritte der Lebensmittelproduktion sind damit eine der wichtigsten Voraussetzungen unseres heutigen Wohlstands. Das spiegelt sich auch in der Entwicklung der Lebenshaltungskosten wider. In den 50er Jahren gab man noch über die Hälfte des Einkommens dafür aus5. Heute sind es weniger als 15%6. Das ist der gesellschaftliche Wohlstandsgewinn, der letztlich den freien Markt legitimiert. Die Planwirtschaft war nicht einmal in der Lage, den freien Wettbewerb dauerhaft in einzelnen Feldern zu schlagen, weder in der Gesundheitsversorgung, noch auf sportlicher oder militärischer Ebene, und schon gar nicht beim Konsum, der breiten Güterversorgung. Daher ist die Marktgläubigkeit in unserer Gesellschaft auch tief verankert. Sie steht allerdings nicht nur auf dem Fundament logischer Argumente, sondern auf der Beobachtung der Vergangenheit durch „planloses“ Ausprobieren. Es fehlt ein tiefes Verständnis dafür, woraus die vergangenen Erfolge des freien Marktes genau erwuchsen. Es gibt nicht das eine Naturgesetz oder die zwingende Logik für wirtschaftlichen Erfolg und gesellschaftliche Stabilität. Deswegen ist die Systemdebatte zwischen zentraler Steuerung und absoluter Freiheit immer noch aktiv.

Also weshalb haben freie Märkte den Systemwettbewerb in den letzten 100 Jahren so eindrucksvoll für sich entscheiden können? Es gibt keinen Plan, keine Vorgaben. Jeder verfolgt nur seine eigenen Interessen. Das ist die „unsichtbare Hand des Marktes“ von Adam Smith. Wie magisch treffen sich Anbieter und Nachfrager am freien Markt und erzielen das jeweils für sie beste Ergebnis. Die Eigenverantwortung sorgt dafür, dass man Produkte zum Markt bringt, die andere tatsächlich wollen, nicht das, was sie wollen sollten. Die Bedürfnisse der Bürger sind nicht in Frage zu stellen. Natürlich gibt es Bereiche, in denen ein vollkommen freier Markt keine erstrebenswerten Ergebnisse liefert. Aber selbst das Projekt der Prohibition7