Schlüssel der Zeit - Band 4: Der Fuchs und der Räuber - Tanja Bruske - E-Book

Schlüssel der Zeit - Band 4: Der Fuchs und der Räuber E-Book

Tanja Bruske

0,0

Beschreibung

Kaum hat Keyra sich an den Gedanken gewöhnt, eine "Zeitwächterin" zu sein, gehen ihre Abenteuer auch schon weiter: Sie muss mit ihrem neuen Mentor Leopold zurecht kommen, was sich aber wegen seiner Geheimnistuerei als schwierig erweist. Kurz danach wartet auch schon die nächste Zeitreise: Der Schlüssel der Zeit führt Keyra nach Bad Orb ins Jahr 1634, wo sie sich inmitten einer Spessart-Räuberbande wiederfindet. Und deren Anführer ist niemand Geringeres als der berühmte Peter von Orb! Band 1 "Der Ruf der Schlösser", Band 2 "Der Hexer von Bergheim" und Band 3 "Das Geheimnis der Kommende" der Serie "Schlüssel der Zeit" liegen ebenfalls als E-Books und als Taschenbuch-Sammelband (ISBN9783947612482) bei mainbook vor. Die Serie wird fortgesetzt.

Sie lesen das E-Book in den Legimi-Apps auf:

Android
iOS
von Legimi
zertifizierten E-Readern
Kindle™-E-Readern
(für ausgewählte Pakete)

Seitenzahl: 195

Das E-Book (TTS) können Sie hören im Abo „Legimi Premium” in Legimi-Apps auf:

Android
iOS
Bewertungen
0,0
0
0
0
0
0
Mehr Informationen
Mehr Informationen
Legimi prüft nicht, ob Rezensionen von Nutzern stammen, die den betreffenden Titel tatsächlich gekauft oder gelesen/gehört haben. Wir entfernen aber gefälschte Rezensionen.



Schlüssel der Zeit 4: Der Fuchs und der Räuber

Kaum hat Keyra sich an den Gedanken gewöhnt, eine „Zeitwächterin“ zu sein, gehen ihre Abenteuer auch schon weiter: Sie muss mit ihrem neuen Mentor Leopold zurechtkommen, was sich aber wegen seiner Geheimnistuerei als schwierig erweist. Kurz danach wartet auch schon die nächste Zeitreise: Der Schlüssel der Zeit führt Keyra nach Bad Orb ins Jahr 1634, wo sie sich inmitten einer Spessart-Räuberbande wiederfindet. Und deren Anführer ist niemand Geringeres als der berühmte Peter von Orb!

Band 1 „Der Ruf der Schlösser“, Band 2 „Der Hexer von Bergheim“ und Band 3 „Das Geheimnis der Kommende“ der Serie „Schlüssel der Zeit“ liegen ebenfalls als E-Books bei mainbook vor sowie als Taschenbuch-Sammelband.

Die Serie wird fortgesetzt.

Die Autorin:

2007 legt Tanja Bruske ihren ersten Fantasy-Roman »Das ewige Lied« (neu aufgelegt bei mainbook) vor, mit dem sie den Wettbewerb des Radiosenders FFH »Hessens verheißungsvollstes Manuskript« gewinnt. Ab Juni 2013 erscheint ihre Kinzigtal-Trilogie bei mainbook: »Leuchte«, »Tod am Teufelsloch« und der Abschlussband 2017 »Fratzenstein«.

Im September 2018 gewinnt Tanja Bruske mit ihrer Novelle »Der Henker und die Hexe« in Österreich den Titel »Stadtschreiberin von Eggenburg 2018«. Die Novelle wird demnächst in einer Geschichtensammlung veröffentlicht.

Seit 2014 schreibt Tanja Bruske zudem unter dem Pseudonym Lucy Guth für verschiedene Serien des Bastei-Verlages, zB »Maddrax«, seit 2019 auch für »Perry Rhodan Neo«.

Tanja Bruske studierte Germanistik sowie Theater-, Film- und Medienwissenschaften an der Johann-Wolfgang-Goethe-Universität in Frankfurt und arbeitet heute als Redakteurin bei der GNZ. Sie wohnt im hessischen Hammersbach mit ihrem Mann und ihren zwei Kindern.

Mit »Schlüssel der Zeit« legt sie nun eine lokale Histo-Fantasy-Serie vor.

Aktuelles und Lese-Termine finden Sie auf www.tanjabruske.de

Tanja Bruske

Schlüssel der Zeit

-4-

Der Fuchs und der Räuber

Lokale Histo-Fantasy-Serie

eISBN 978-3-947612-77-2

Copyright © 2020 mainbook Verlag

Alle Rechte vorbehalten

Lektorat: Gerd Fischer

Layout: Olaf Tischer

Covermotive: © fotolia, milosluz + Reiner Erdt

Besuchen Sie uns im Internet: www.mainbook.de

Inhalt

Schlüssel der Zeit 4: Der Fuchs und der Räuber

Die Autorin

1. Fragen des Vertrauens

2. Liebesschlösser

3. Der Raubzug

4. Der Weg zum Bayes

5. Die Wunderblume

6. Die verschenkte Stadt

7. Der Straßenraub

8. Die Glocke von Höchst

9. Die Pfeife im Feuer

10. Konfrontation

11. Siedende Sole

12. Zinken

13. Der Henkersnickel

14. Die gestohlenen Münzen

15. Das Urteil am Madstein

16. Die Brosche

17. Das Opfer des Fuchses

18. Ein Team

Dichtung und Wahrheit – und Dankeschön

1. Fragen des Vertrauens

Ein wuchtiger Tritt traf Keyra in die Seite und ließ sie nach Luft schnappen. Ihr Gegner, ein dunkel gekleideter Mann mit Gesichtsvollmaske, kannte keine Gnade und setzte direkt nach. Keyra duckte sich unter einem weiteren Tritt weg und führte einen seitlichen Schlag nach dem Knie des Gegners aus.

Das, was sie hier machte, hatte nichts mehr mit Taekwondo, wie sie es gelernt hatte, zu tun. Es ging lediglich darum, dem Gegner auszuweichen und selbst einen Treffer zu landen, ganz egal wie.

Der Schwarzgekleidete war im Nu wieder bei ihr, ließ einen Schlaghagel auf sie niederprasseln. Keyra wehrte sich, so gut es ging. Sie wich einem Hieb aus, der sie mit Sicherheit quer durch den Raum geschleudert hätte. Leider war sie dabei nicht ganz so elegant, wie sie es sich wünschte, kam ins Taumeln und stürzte mit rudernden Armen rückwärts auf eine Trainingsmatte. Rasch war ihr Gegner über ihr, holte mit der Faust aus und schlug zu. Nur Millimeter vor ihrer Nase hielt er die Hand an.

„Sie haben jetzt eine gebrochene Nase und sind kampfunfähig. Und wenn ich ein Messer oder eine andere Waffe bei mir habe, sind Sie wahrscheinlich tot.“ Der Mann richtete sich auf und zog sich die Vollschutzmaske vom Gesicht. Leopold von Wachtberg fuhr sich mit der Hand durch die verschwitzten schwarzen Locken und sah Keyra vorwurfsvoll an. Dass er schwitzte, lag mit Sicherheit nicht daran, dass ihn der Übungskampf mit Keyra irgendwie gefordert hätte, sondern nur daran, dass es unter der dämlichen Maske, die er unbedingt tragen wollte, sehr heiß wurde.

„Hey, das ist erst mein zweiter Trainingstag, sei mal etwas geduldiger mit mir.“ Keyra hatte am Tag zuvor beschlossen, Leopold zu duzen – auch wenn er ebenso störrisch darauf beharrte, sie zu siezen. Sie fand das furchtbar albern, denn er war höchstens drei oder vier Jahre älter als sie, wenn überhaupt. Aber er behauptete, es schicke sich nicht für Mentor und Zeitwächterin, „sich so vertraut zu begegnen“, wie er es formuliert hatte.

„Ich denke, du bist dafür zuständig, mich auf meinen Zeitreisen zu unterstützen?“, hatte Keyra gefragt.

„Das schon, aber dabei gilt es, eine gewisse Distanz zu wahren“, war die Antwort gewesen.

Keyra hatte es nicht verstanden – sie verstand vieles nicht, seit sie vor nicht einmal zwei Wochen von ihrer Großmutter einen seltsamen Schlüssel erhalten hatte, der es ihr ermöglichte – nein, der sie eher nötigte! – durch die Zeit zu reisen.

Dreimal hatte er sie mittlerweile schon durch Zeit und Raum katapultiert. Sie war, wie sie mittlerweile wusste, als Zeitwächterin dafür zuständig, Dinge zu korrigieren, die in der Vergangenheit durcheinandergeraten waren. Sie hatte gehofft, dass ihre Großmutter ihr noch mehr erklären würde, aber Clara Schlosser hatte kurz nach Keyras zweiter Zeitreise einen Anfall erlitten und lag in der Marköbler Seniorendependance in einer Art Dämmerzustand. Bevor sie zusammengebrochen war, hatte sie allerdings einen geheimnisvollen Orden alarmiert, als dessen Vertreter sich der Mann vorgestellt hatte, der ihr nun im Trainingsraum gegenüberstand.

„Sie sind unkonzentriert“, sagte Leopold vorwurfsvoll, während sich Keyra mit schmerzverzogenem Gesicht aufrappelte, „Das hat nichts damit zu tun, dass wir erst seit gestern trainieren.“

„Es tut mir leid – mir schwirren einfach so viele Fragen im Kopf herum. Und du hast dich bis jetzt geweigert, mir auch nur die einfachsten Dinge zu beantworten.“ Keyra schnappte sich ihren Rucksack, den sie in eine Ecke gepfeffert hatte, und nahm eine Flasche Wasser heraus. Sie trank in großen Schlucken und fühlte sich gleich besser.

„In Bezug auf Zeitreisen gibt es leider keine einfachen Fragen und erst recht keine einfachen Antworten.“ Leopold seufzte und lehnte sich gegen einen Sandsack, der an der Wand stand und oben einen Karabinerhaken hatte. Man konnte dieses Ding wohl als Box-Sack an die Decke hängen.

Probiert hatte Keyra das noch nicht – sie hatte nicht einmal geahnt, dass im Keller des Hauses ihrer Großmutter in Langenbergheim so ein Trainingsraum war. Früher wäre sie allerdings auch nicht auf die Idee gekommen, hinter dem Regal mit den Latwergen nach einem Geheimzimmer zu suchen. Als sie gestern Leopold das erste Mal in den verborgenen Teil des Kellers gefolgt war, war ihr fast die Luft weggeblieben. Fast noch mehr als über den kleinen, schallgedämpften und mit Trainingsmatten ausgekleideten Raum staunte sie über die winzige Bibliothek nebenan. Dort standen im Licht einer altmodischen Glühbirne ein kleiner Sekretär und drei Bücherregale. Eines davon war mit modernen Abhandlungen über Geschichte gefüllt, in einem anderen standen alte – wirklich sehr alte – Bücher zum gleichen Thema, und das dritte Regal, das mit ledergebundenen Büchern gefüllt war, hatte Leopold sie nicht einmal genauer ansehen lassen, so wertvoll waren die Schriften.

„Ich glaube schon, dass es ein paar Antworten gibt, für die du dich nicht allzu sehr anstrengen müsstest“, meinte Keyra spitz. „Zum Beispiel dieses Haus hier: Du sagtest, meine Oma wohnt hier nur, aber es gehört dem Orden – wie lange schon?“

„Seit vielen Jahren. Es ist nicht das einzige Haus dieser Art – ebenso wenig, wie Sie die einzige Zeitwächterin sind.“

„Das habe ich mir schon gedacht – schließlich war meine Oma auch Zeitwächterin … und meine Mutter auch.“ Das Thema war heikel – Keyra hatte gerade erst erfahren, dass ihre Mutter Paula Kelly, geborene Schlosser, während einer Zeitreise verschollen war. Selbst der Orden wusste wohl nicht genau, was ihr zugestoßen war – behauptete zumindest Leopold.

„Du wolltest mir sagen, was meiner Mutter eigentlich passiert ist“, versuchte sie es noch einmal.

„Das wissen wir auch nicht. Wir wissen nicht einmal, in welche Zeit sie gereist ist. Der Kontakt zu ihr ist einfach abgerissen.“

Verstohlen berührte Keyra den kleinen Kristallschlüssel, den sie an einer Kette um den Hals trug. „Wenn meine Mutter verschwunden ist – was wurde aus ihrem Schlüssel?“

„Ebenfalls verschwunden“, sagte Leopold knapp. Er deutete auf den Schlüssel in Keyras Fingern. „Das dort ist Claras Schlüssel. Sie hat ihn Ihnen eigenmächtig und ohne Rücksprache mit uns gegeben.“

„Eigenmächtig?“ Keyra war empört. „Es war doch Großmutters Schlüssel, und damit auch ihre Entscheidung.“

„Eben nicht. Ein Schlüssel bleibt bei seinem Wächter bis zu dessen Tod, erst danach wird er weitergegeben. Und der Orden entscheidet, an wen er übergeben wird.“ Keyra hatte den Eindruck, als wollte Leopold noch etwas sagen, aber stattdessen schnaufte er kurz und kniff die Lippen zusammen.

Keyra packte die Wasserflasche zurück. „Das ist ziemlich unfair, finde ich.“

„Es geht dabei nicht um Fairness, sondern um Tradition.“ Leopold öffnete seine schwarze Trainingsjacke und zog sie aus. Darunter trug er ein helles Shirt. „Es gibt nicht viele Schlüssel, man kann sie nicht herumreichen wie irgendwelche beliebigen Schmuckstücke. Es war ja gar nicht klar, ob Sie das richtige Blut und die Gabe geerbt haben.“

„Weil mein Vater kein Zeitwächter ist, meinst du? Und was wäre dann geschehen?“

„Keine Ahnung. Sobald der Orden es herausgefunden hätte, nehme ich an, hätte man Ihnen den Schlüssel wieder abgenommen.“ Er ging zur Wand und ergriff zwei Holzstangen, die dort lehnten.

Keyra prustete. Na, das hättet ihr ja mal versuchen können. Sie kannte ihre Großmutter gut genug, um zu ahnen, wer den Kürzeren gezogen hätte. Herausfordernd deutete sie auf eine Kette, die am Ausschnitt von Leopolds Shirt aufblitzte. „Wenn das so streng geregelt ist, warum trägst du auch einen Schlüssel?“

Es war ein Schuss ins Blaue. Er ging daneben. Leopold sah erstaunt an sich herunter und zog dann den Anhänger hervor. Es war kein Schlüssel, sondern eine silberne Schlange, die sich in den Schwanz biss.

„Was ist das denn?“, fragte Keyra neugierig.

„Kein Schlüssel, wie Sie sehen“, meinte Leopold trocken. „Das ist ein Ouroboros. Ein Selbstverschlinger. Das Symbol des Ordens.“

„Krass. Und gibt es noch mehr, das du mir über den geheimnisvollen Orden erzählen kannst?“

„Nein.“ Er warf ihr eine der beiden Holzstangen zu. „Zumindest noch nicht. Es ist noch zu früh.“

Lustlos fing Keyra die Holzstange auf. „Was soll das denn jetzt werden?“

„Wir üben ein wenig Schwertkampf.“

„Schwertkampf? Echt jetzt?“

„Jawohl, und danach habe ich einiges an Lesestoff für Sie. So wie ich das sehe, besteht in geschichtlichen Grundkenntnissen dringender Nachholbedarf.“

Fassungslos ließ Keyra den Stab sinken. „Was? Wozu denn das?“

Leopold blieb unbeeindruckt und stützte sich auf den Stab. „Sie müssen vorbereitet sein – auf die nächsten Zeitreisen und auf die Prüfungen.“

Keyra starrte ihn an. „Prüfungen? Was denn für Prüfungen?“ Sie hatte bereits in der Schule alle Hände voll zu tun und konnte auf mehr Lernerei eigentlich verzichten.

Ihr Mentor seufzte. „Ich vergesse immer, dass Sie so wenig wissen. Ihnen werden bis zu Ihrem 18. Geburtstag drei Prüfungen gestellt, die uns zeigen sollen, ob Sie ihrer Aufgabe gewachsen sind.“

Keyra zog die Augenbrauen wütend zusammen. „Ich habe bereits drei Zeitreisen absolviert und bin dort meinen Aufgaben durchaus gewachsen gewesen.“

Leopold winkte ab. „Das kann Zufall gewesen sein. Ausreichend vorbereitet waren Sie jedenfalls nicht.“

„Das stimmt – weil mich niemand vorbereitet hat.“ Keyra musste sich beherrschen, um nicht wie ein kleines Kind trotzig mit dem Fuß aufzustampfen.

„Weil Ihre Großmutter uns zu spät über Ihre Berufung informiert hat.“ Nun wurde auch Leopold lauter. Er zügelte sich jedoch und rieb sich mit Daumen und Zeigefinger die Nasenwurzel. „Hören Sie, Keyra, das hatten wir doch alles schon. Sie müssen momentan nicht mehr wissen, als das, was das Wächterbuch und ich Ihnen sagen. Ich bin Ihr Mentor, ich soll Ihnen helfen …“

„Aber du hilfst mir nicht. Es würde mir helfen, etwas mehr zu erfahren. Ich will endlich verstehen, was hier vorgeht.“ Aufgebracht ging sie auf und ab und zählte an den Fingern ab. „Wo du gerade das Wächterbuch erwähnst: Wer schreibt da immer so seltsame Sachen hinein, und warum tauchen dort Notizen in meiner Schrift auf, die verschwinden, wenn ich sie nicht nachziehe? Warum bin ich immer, wenn ich in der anderen Zeit ankomme, perfekt für die Rolle gekleidet, die ich spiele? Wer zieht mich um, und wer näht das Zeug eigentlich? Warum heilen meine Wunden so irrsinnig schnell, und warum verstehe ich die Leute immer, obwohl sie normalerweise Mittelhochdeutsch oder so was sprechen sollten? Und wer pfuscht eigentlich in der Zeit herum, sodass ich es wieder in Ordnung bringen muss?“

Leopold hatte Keyras Ausbruch mit stoischer Gelassenheit beobachtet. „Sind Sie fertig?“, fragte er, als sie Luft holen musste.

„Fürs Erste.“ Sie zog fragend die Augenbrauen hoch.

„Das sind sehr viele Fragen, und ich kann Ihnen davon wirklich im Moment keine einzige beantworten.“ Leopold zuckte mit den Schultern.

Keyra riss die Augen auf. „Ernsthaft? Keine einzige?“

„Es geht wirklich nicht. Ich bedaure, Sie werden mir einfach vertrauen müssen.“

„Vertrauen? Machst du Witze?“ Keyra ballte wütend die Hände zu Fäusten. „Ich werde hier von Zeit zu Zeit geschubst, muss Aufgaben erfüllen, von denen ich keine Ahnung habe, jetzt ist plötzlich auch noch von Prüfungen die Rede – und du und dein komischer Orden kommen mir keinen Millimeter entgegen. Wie soll ich euch vertrauen, wenn ihr mir nicht vertraut? Ich glaube fast, ich wäre allein besser dran.“

Leopold lachte laut auf. „Machen Sie sich nicht lächerlich! Ohne den Orden …“

„Ich bin bis jetzt auch ganz gut ohne den Orden zurechtgekommen. Ich brauche euch nicht.“

„Sie haben ja keine Ahnung …“

Keyra trat dicht vor ihn heran. „Sehr richtig, ich habe keine Ahnung. Und daran bist du – oh pardon, sind SIE, nicht unschuldig. Und weil ich hier ohnehin nichts Sinnvolles mehr erfahre, gehe ich jetzt.“

Erstmals sah Leopold überrumpelt aus. „Sie können nicht gehen, wir sind noch nicht fertig!“

„Oh doch, ich bin fertig.“ Keyra schnappte ihren Rucksack und ihren Motorradhelm. „Ich muss morgen früh raus, wir machen mit der Schule einen Studienausflug. Deswegen sollte ich langsam mal nach Hause fahren und schlafen gehen. Ich wünsche noch einen schönen Abend, Herr von Wachtberg!“ Sie fuhr schwungvoll herum und stolzierte hinaus.

2. Liebesschlösser

Die Schulglocke ertönte, als Keyra auf den Parkplatz fuhr und ihre Vespa abstellte. Zehn vor acht, die erste Stunde begann.

Mistmistmist, ich bin zu spät! Manchmal kam sie sich vor wie das weiße Kaninchen aus „Alice im Wunderland“: Egal wie früh sie auch aufstand und wie sehr sie sich beeilte, am Ende kam sie doch immer auf den letzten Drücker. Sie riss sich den Helm vom Kopf und stopfte ihn in das Fach unter dem Sitz. Der Bus sollte um acht Uhr vor der Schule losfahren, und da stand er auch bereits mit laufendem Motor.

Ihr Geschichts-LK-Lehrer Sebastian Geiger stand vor dem Bus und sah sich ungeduldig um. Als er Keyra heran rennen sah, änderte sich sein Gesichtsausdruck und zeigte nun eine Mischung aus Erleichterung, Ärger und Belustigung. „Da bist du ja, Keyra. Ich dachte schon, der Spessart wäre als Ausflugsziel nicht aufregend genug für dich.“

„Wenn Sie es so ausdrücken …“, sagte Keyra, fügte aber gleich hinzu: „Tut mir leid, auf der Bundesstraße gab es einen Unfall, und deswegen sind alle Deppen über die Landstraßen gefahren, und …“

Geiger winkte ab. „Schon gut, geh einfach rein und such dir einen Platz. Wenn es dich beruhigt, du bist nicht die Letzte. In zwei Minuten fahren wir los, ganz gleich ob alle da sind.“

Keyra stieg kommentarlos ein. Sie wusste, dass Geigers Worte eine leere Drohung waren – solange niemand krankgemeldet war, würde der Lehrer natürlich warten. Sie ließ ihre Blicke über die Sitzreihen schweifen und entdeckte Lou, die ihr zuwinkte und neben sich deutete. Selbstverständlich hatte ihre beste Freundin ihr einen Platz freigehalten, so gehörte sich das schließlich. Nur blöd, dass sie auf dem Weg dorthin an Greta Strobel, der blöden Nuss, vorbeimusste.

„Die Kelly hält mal wieder den ganzen Verkehr auf“, quietschte Greta so laut, dass es der ganze Bus hören musste.

Keyra wurde rot und drängte sich weiter.

„Ach ja? Ich glaube, dein Schatzi Ben ist auch noch nicht da – vielleicht ist er es ja, der den Verkehr aufhält?“, rief Lou Greta zu.

„Ich glaube, Greta würde gerne mit Ben im Verkehr feststecken“, grölte Lukas, der Klassenclown, und die Jungs im Bus schmissen sich weg.

Keyra konnte sexistische Witze nicht leiden. Auch dann nicht, wenn Greta das Ziel war und erst recht nicht, wenn Ben irgendwie damit in Zusammenhang stand. Sie sagte jedoch nichts und ließ sich neben Lou auf den Sitz gleiten. Sie war froh, dass die Aufmerksamkeit der Schüler – den Teilnehmern von Leistungs- und Grundkurs Geschichte ihres Jahrgangs – von ihr abgelenkt war.

„Ben ist nicht ihr Schatz“, murmelte sie so leise, dass nur Lou es hören konnte.

„Deiner allerdings auch nicht“, gab Lou süffisant zurück. „Wo warst du denn schon wieder?“

„War viel los auf den Straßen.“ Das war nur die halbe Wahrheit. Eigentlich hatte Keyra verschlafen, obwohl sie ihren Wecker extra auf zehn Minuten früher wecken gestellt hatte. Dann musste sie auch noch am Ortsausgang von Rüdigheim, wo sie wohnte, noch einmal umdrehen, weil sie ihr Wächterbuch liegen gelassen hatte. Ohne das Buch ging sie nirgendwo mehr hin.

„Hoffentlich nicht auf der Autobahn, sonst brauchen wir ewig nach Bad Orb“, stöhnte Lou. „Hat der Sozen-Seppl dir einen Anschiss verpasst?“

Keyra spähte um ihren Sitz herum, ob der Lehrer mittlerweile in den Bus gekommen war und die despektierliche Anrede mitbekommen hatte; aber er stand immer noch draußen. „Nein, er hat nur nen blöden Spruch gerissen. Wo Ben nur bleibt, der hat es doch von der hohen Tanne aus nicht weit …?“

In diesem Augenblick kamen Ben und Geiger in den Bus, Ben mit einem verschmitzten, entschuldigenden Lächeln, das offenbar nicht nur Keyras Herz erweichte. Auch Geiger sah nicht sauer aus, sondern klopfte Ben auf die Schulter und wandte sich dem Busfahrer zu.

„Wie macht der das nur, dass die Lehrer ihm jede Dummheit durchgehen lassen?“, flüsterte Lou an Keyras Seite.

„Charisma“, seufzte Keyra.

„Huhuuuuu, Ben!“, kreischte Greta durch den Bus. „Neben mir ist noch ein Platz frei!“

Zu Keyras Erstaunen, Gretas Entsetzen und zur Verblüffung des gesamten anwesenden Jahrgangs marschierte Ben jedoch an Greta vorbei und warf seinen Rucksack in die noch leere Sitzreihe vor Keyra und Lou. „Sorry Greta, ich hab gestern lange gezockt und brauch auf der Fahrt ein bisschen Ruhe“, rief er Greta über die Schulter zu, was eine erneute Lachsalve unter den männlichen Schülern des Jahrgangs zwölf der Otto-Hahn-Schule auslöste. Er zwinkerte Keyra zu und ließ sich auf den Sitz vor ihr fallen. Greta bekam einen knallroten Kopf und verschwand in ihrer Sitzreihe. Keyra und Lou sahen sich an und grinsten breit, während sich der Bus langsam in Bewegung setzte.

„Was zockst du denn so?“, fragte Lou, indem sie sich über die Lehne beugte.

„World of Dungeon Lords“, nannte Ben ein populäres Onlinespiel. Keyra war nicht besonders verwundert. Die meisten Jungs, die sie kannte, hatten einen Account – und auch ziemlich viele Mädchen.

„Hey, so ein Zufall – das spielt Keyra auch.“ Lous Augenaufschlag war so unschuldig wie nur möglich.

„Ach, echt?“ Ben lehnte sich mit dem Rücken gegen das Fenster, sodass er die Mädchen hinter sich ansehen konnte. „Welches Level?“

„Ich spiele eine Diebin, Prestigeklasse Schattengänger, Level 32.“ Keyra wurde unter Bens interessierten Blicken nervös. „In letzter Zeit komme ich nicht so oft zum Spielen. Ich … ich habe viel zu tun …“

„Schade. Ich hab nen Barbar, Stufe 35 – würde sich bestimmt ganz gut ergänzen. Du kannst ja Bescheid sagen, wenn du mal wieder online gehst.“

„Klar. Ich weiß nur nicht, wann ich wieder mal Zeit habe.“

Lou rammte Keyra ihren Ellenbogen sanft in die Rippen, und Keyra biss sich auf die Lippen. Oh Mann, ich stelle mich aber auch dämlich an. Da bietet sich DIE Gelegenheit, mit Ben ins Gespräch zu kommen, und ich versaue es. Ich muss das Gespräch am Laufen halten.

„Hast du diese Quest mit der Drachenhöhle schon gelöst?“, fragte sie, um beim Thema World of Dungeon Lords zu bleiben.

„Du meinst das mit dem Schmied und dem Zauberring? Nee, ich scheitere immer an diesem seltsamen Rätsel, das der Gnom stellt …“

Sie redeten die ganze Fahrt bis nach Bad Orb, zunächst über das Spiel, dann über den Kinofilm, den beide vor Kurzem gesehen hatten. Auch, als sie aus dem Bus ausstiegen, waren Keyra und Ben noch ins Gespräch vertieft.

„He, ihr Zocker – ich weiß nicht, ob ihr es mitbekommen habt, aber der Sozen-Seppl sagt, wir müssen jetzt alle den Berg dort hochtraben, da steht der komische Turm und unsere Führung beginnt“, unterbrach Lou ihre Unterhaltung. Sie zwinkerte Keyra zu. „Danach müssen wir runter in die Stadt laufen, wo wir von einem Spessarträuber persönlich durch Bad Orb geführt werden. Aber vorher haben wir freundlicherweise eine Stunde Freizeit.“

„Juhu.“ Ben verdrehte die Augen. „Naja, vielleicht wird es ganz interessant mit dem Räuber. Wollen wir nachher ein Eis essen gehen, ehe wir mit Geschichte zugeballert werden?“

Keyra konnte ihr Glück kaum fassen. Ben Hartmann, der beliebteste Junge des Jahrgangs, in den sie seit Jahren heimlich und unheimlich verschossen war, wollte tatsächlich mit ihr Eis essen gehen. Vielleicht liege ich noch im Bett und träume.

Vor lauter Aufregung vergaß Keyra zu antworten. Erst, als Ben sie fragend ansah und Lou sich vernehmlich räusperte, fiel ihr das auf.

„Oh, klar, gerne. Ich liebe … Eis.“

Der Bus hatte sie bereits den Großteil des Hügels hinaufgefahren, der sich etwas großspurig „Molkeberg“ nannte. Während sie die restliche Distanz bis zu einem kleinen gelben Turm überwanden, erzählte Geiger, was es mit dem Turm auf sich hatte. In diesem Gemäuer war der Legende zufolge einst ein Räuber namens Peter von Orb eingemauert worden. Er war aber entkommen, was irgendwie mit einem Fuchs zusammenhing – Keyra bekam nicht alles mit, weil sie mit ihren Gedanken immer wieder abschweifte und noch immer nicht glauben konnte, dass Ben Hartmann wie selbstverständlich neben ihr lief.

„Das ist zwar nur eine Sage, aber es stecken viele Wahrheiten in den Geschichten“, sagte Geiger, während sich die Schüler am Fuße des Molketurms versammelten, der kaum so hoch wie ein Einfamilienhaus war. „Bei unserer Führung werdet ihr später mehr über die Spessarträuber erfahren und natürlich über die Geschichte der Salzsieder in der Stadt. Jetzt habt ihr eine Viertelstunde Zeit, um auf den Turm zu steigen und euch umzusehen.“

Keyra musterte die Metalltreppe kritisch, die zur Plattform des Turmes hinaufführte. Ihr Vater wäre beim Anblick der Konstruktion sicher in Tränen ausgebrochen, so sehr beleidigte der Anblick das Herz eines Restaurators. Ob stilecht oder nicht: Die Treppe wurde rege genutzt, sodass Keyra, Ben und Lou einen Augenblick warten mussten. Sie studierten derweil die Infotafel am Fuß der Treppe.

„Dieser Peter von Orb war also so etwas wie Robin Hood“, sagte Ben und wies auf die entsprechende Textstelle. „Er hat von den Reichen genommen und es den Armen gegeben.“

„Schöne Vorstellung – aber sicher nur ein Märchen“, meinte Lou trocken.

Keyra nickte. „Hast du das Arbeitsblatt über das Räuberwesen gelesen? Ich glaube nicht, dass sich die Leute damals so etwas wie Großzügigkeit leisten konnten. Das waren doch alles arme Schlucker.“

„Girls, ihr seid ganz schön unromantisch.“ Ben rollte mit den Augen. „Han Solo hatte auch Schulden und hat trotzdem alles für Prinzessin Leia riskiert.“

„Jetzt komm mir nicht mit Star Wars.“ Keyra musste lachen. Die Weltraumsaga schien für die Jungs ihres Jahrgangs stets die Antwort auf alle Fragen der Welt zu enthalten.

„Diese alten Schinken“, spottete Lou. „Wer glotzt so was überhaupt noch?“

Ben fasste sich scheinbar getroffen an die Brust. „Alte Schinken“, ächzte er. „Das sind Klassiker.“