Schlüssel der Zeit - Band 6: Der Besuch des Präsidenten - Tanja Bruske - E-Book

Schlüssel der Zeit - Band 6: Der Besuch des Präsidenten E-Book

Tanja Bruske

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Beschreibung

Langsam hat sich Keyra damit abgefunden, dass sie eine Zeitwächterin ist. Dass der geheimnisvolle Orden nun allerdings immer stärker in ihr Leben eingreift, passt ihr gar nicht. Als eine Zeitreise sie ins Jahr 1963 führt – ausgerechnet an jenem Tag, an dem der amerikanische Präsident John F. Kennedy den Langendiebacher Fliegerhorst besucht – glaubt sie, genau zu wissen, was zu tun ist: eine Fehleinschätzung, die eine Katastrophe auslöst. Kann Keyra den Fehler in der Zeit, den sie dieses Mal selbst verschuldet hat, wieder korrigieren? Band 1 "Der Ruf der Schlösser", Band 2 "Der Hexer von Bergheim", Band 3 "Das Geheimnis der Kommende", Band 4 "Der Fuchs und der Räuber" und Band 5 "Antoniusfeuer" der Serie "Schlüssel der Zeit" liegen ebenfalls als E-Books bei mainbook vor sowie der Taschenbuch-Sammelband mit den Bänden 1-3 (ISBN9783947612482) und ab Januar 2021 der Taschenband-Sammelband mit den E-Book-Bänden 4-6 (ISBN 9783948987039). Die Serie wird fortgesetzt.

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Schlüssel der Zeit 6: Der Besuch des Präsidenten

Langsam hat sich Keyra damit abgefunden, dass sie eine Zeitwächterin ist. Dass der geheimnisvolle Orden nun allerdings immer stärker in ihr Leben eingreift, passt ihr gar nicht.

Als eine Zeitreise sie ins Jahr 1963 führt – ausgerechnet an jenem Tag, an dem der amerikanische Präsident John F. Kennedy den Langendiebacher Fliegerhorst besucht – glaubt sie, genau zu wissen, was zu tun ist: eine Fehleinschätzung, die eine Katastrophe auslöst.

Kann Keyra den Fehler in der Zeit, den sie dieses Mal selbst verschuldet hat, wieder korrigieren?

Band 1 „Der Ruf der Schlösser“, Band 2 „Der Hexer von Bergheim“, Band 3 „Das Geheimnis der Kommende“, Band 4 „Der Fuchs und der Räuber“ und Band 5 „Antoniusfeuer“ der Serie „Schlüssel der Zeit“ liegen ebenfalls als E-Books bei mainbook vor sowie die Bände 1,2 und 3 in einem Taschenbuch-Sammelband. Die Bände 4,5 und 6 erscheinen im Januar /Februar 2021 als Taschenbuch-Sammelband.

Die Serie wird fortgesetzt.

Die Autorin:

2007 legt Tanja Bruske ihren ersten Fantasy-Roman »Das ewige Lied« (neu aufgelegt bei mainbook) vor, mit dem sie den Wettbewerb des Radiosenders FFH »Hessens verheißungsvollstes Manuskript« gewinnt. Ab Juni 2013 erscheint ihre Kinzigtal-Trilogie bei mainbook: »Leuchte«, »Tod am Teufelsloch« und der Abschlussband 2017 »Fratzenstein«.

Im September 2018 gewinnt Tanja Bruske mit ihrer Novelle »Der Henker und die Hexe« in Österreich den Titel »Stadtschreiberin von Eggenburg 2018«. Die Novelle wird Ende 2021 in einer Geschichtensammlung veröffentlicht.

Seit 2014 schreibt Tanja Bruske zudem unter dem Pseudonym Lucy Guth für verschiedene Serien des Bastei-Verlages, zB »Maddrax«, seit 2019 auch für »Perry Rhodan Neo«.

Tanja Bruske studierte Germanistik sowie Theater-, Film- und Medienwissenschaften an der Johann-Wolfgang-Goethe-Universität in Frankfurt und arbeitet heute als Redakteurin bei der GNZ. Sie wohnt im hessischen Hammersbach mit ihrem Mann und ihren zwei Kindern.

Mit »Schlüssel der Zeit« legt sie bei mainbook eine Histo-Fantasy-Serie vor.

Aktuelles und Lese-Termine finden Sie auf www.tanjabruske.de

Tanja Bruske

Schlüssel der Zeit

-6-

Der Besuch des Präsidenten

Histo-Fantasy-Serie

eISBN 978-3-947612-99-4

Copyright © 2020 mainbook Verlag

Alle Rechte vorbehalten

Lektorat: Gerd Fischer

Layout: Olaf Tischer

Covermotive: © fotolia, milosluz + Reiner Erdt

Bildrechte Karte Fliegerhorst Langendiebach: Tanja Bruske

Besuchen Sie uns im Internet: www.mainbook.de

Inhalt

1. Neue Feinde

2. Diskussionen

3. Lost Place

4. Küchendienst

5. Das Lincoln-Kennedy-Rätsel

6. Der dünne Mann

7. Der Steinwurf

8. Anders

9. Parallelwelt

10. Widerstand

11. Recherchen

12. Durch das Tor

13. Bloody Mary

14. Fliegende Händler

15. Weiße Mäuse

16. Home Sweet Home

Dichtung und Wahrheit und Danke!

1. Neue Feinde

„Vaganten.“ Keyra ließ das Wort langsam über ihre Lippen rollen. Es klang exotisch und gefährlich – und gleichzeitig sagte es ihr absolut nichts. Vaganten also – das waren ihre Widersacher. Die Gegenspieler der Zeitwächter.

Langsam atmete Keyra durch, roch die trockene, nach alten Büchern und Holz duftende Luft. Durch die hohen Fenster fiel sanftes Mai-Licht herein, das kommende, warme Tage versprach. Vom Frankfurter Verkehrslärm drang nicht viel in das Zimmer vor. Dass im Büro von Christopher Custos, dem Schlüssel-Hüter des Ordens der Zeitwächter, eine so ruhige Stimmung herrschte, half ihr dabei, nicht die Nerven zu verlieren. Nicht genug, dass sie seit einigen Wochen damit klar kommen musste, eine Zeitwächterin zu sein und von ihrem magischen Schlüssel immer wieder zu gefährlichen Abenteuern in die Vergangenheit entführt wurde. Gerade hatten ihr Christopher und ihr Mentor Leopold von Wachtberg auch noch eröffnet, dass es eine Gruppe von Menschen gab, die gegen sie arbeiteten. Während sie, Keyra, die Aufgabe hatte, die korrekte Zeitlinie zu erhalten und Dinge wieder in Ordnung zu bringen, trachteten die Vaganten nach dem Gegenteil – das hatte zumindest Christopher behauptet.

„Okay“, sagte Keyra schließlich, da weder Christopher noch Leo Anstalten machten, mehr zu sagen. „Und wer genau sind diese Vaganten?“

Christopher beugte sich vor, stützte die Ellenbogen auf dem imposanten Schreibtisch ab und verschränkte die Finger ineinander. „Viel wissen wir auch nicht über diese Leute.“ Seine dunkle Stimme klang entschuldigend. „Sie scheinen anders organisiert zu sein als der Orden. Wir wissen nicht, wo sie ihren Sitz haben, wer ihr Anführer ist oder was sie eigentlich vorhaben. Was wir wissen, ist, dass sie in der Vergangenheit nach Tempus-Objekten suchen und diese stehlen, wenn sie sie in die Finger bekommen.“

Tempus-Objekte – auch von deren Existenz hatte Keyra erst vor Kurzem erfahren. „Sie meinen diese Dinge, die in irgendeiner Weise mit historischen Ereignissen in Zusammenhang stehen?“

„Ja – wir sprechen in dieser Beziehung von Zeitknotenpunkten. An diesen Stellen können Ereignisse eingetreten sein, die für die Weltgeschichte, für die Kultur oder Politik relevant waren. Bei kleineren Knotenpunkten handelt es sich eher um lokale Ereignisse.“ Christopher ließ seine Daumen umeinander kreisen. „Tatsache ist, je größer der Knoten – also, je bedeutsamer seine Auswirkung auf die gesamte Welt – umso erfüllter sind die besagten Objekte mit Tempus-Energie.“

„Aber wozu brauchen die Vaganten diese Objekte?“

„Das können wir nur vermuten.“ Christopher stand auf und ging zu einem der vielen Bücherregale. Während er darin nach etwas suchte, redete er weiter. „Ich haben Ihnen von Maria Prophetissa erzählt …“

Nachdenklich runzelte Keyra die Stirn. „Der Frau aus dem alten Ägypten, die den Orden der Zeitwächter gegründet haben soll?“

„Sie hat diese Tempus-Energie genutzt, um die Schlüssel der Zeit herzustellen.“ Christopher zog ein dickes, ledergebundenes Buch aus dem Regal und schlug es an einer gekennzeichneten Stelle auf. Er legte es vor Keyra auf den Schreibtisch. Auf der Seite war ein Kupferstich zu sehen: eine Frau in einem langen Gewand und mit einer altertümlichen Haube – eine Darstellung von Maria Prophetissa, auch genannt Maria der Jüdin.

„Sie denken also, dass die Vaganten Zeit-Schlüssel herstellen wollen?“ Keyra betrachtete das Bild eingehend.

„Das würde mich wundern – selbst dem Orden ist nicht bekannt, wie genau Maria bei der Erschaffung der Schlüssel vorgegangen ist.“ Christopher rieb sich das Kinn.

„Außerdem sind nicht besonders viele Vaganten im Einsatz“, schaltete sich Leo in die Unterhaltung ein. „Wir wissen nicht genau, wie viele es von ihnen gibt. Mit Sicherheit haben sie mehrere Schlüssel – jedoch nicht so viele, dass sie unbegrenzten Zugriff darauf hätten.“

„Die Energie kann genutzt werden, um andere mächtige Gegenstände zu erschaffen.“ Christopher griff über den Schreibtisch und nahm das Buch wieder an sich. „Die Wächterbücher zum Beispiel. Auch Leopolds Ouroboros-Amulett ist so entstanden. Vielleicht haben die Vaganten Konstruktionspläne für andere Objekte, die sie mit genug Tempus-Energie bauen können.“

„Was könnten das für Objekte sein?“ Keyra blickte fragend von Leo zu Christopher. „Und woher haben die Vaganten diese Konstruktionspläne?“

„Das ist uns leider nicht bekannt. Der Kampf der Zeitwächter gegen die Vaganten dauert schon Jahrhunderte an, aber wir wissen dennoch zu wenig über diese Gruppe.“ Mit einem Seufzen ließ sich Christopher wieder in seinen Sessel sinken. „Ein paar Dinge sind jedoch klar: Sie verfügen über immense finanzielle Mittel, denn sie sind in der Lage, einflussreiche Personen zu manipulieren und zu bestechen.“

Unwillkürlich dachte Keyra an ihr jüngstes Zeitreiseabenteuer. „So, wie sie es bei Adam getan haben. Der Vagant, der in Roßdorf tätig war, hat in Kauf genommen, dass Menschen durch sein Eingreifen in die Geschichte sterben. Und alles nur, um an Tempus-Objekte zu kommen.“

„Sie sind skrupellos“, bestätigte Leo. Er lehnte sich besorgt vor. „Und sie sind gefährlich, Keyra. Du musst vorsichtig sein, wenn du es mit ihnen zu tun bekommst.“

„Wieso?“ Keyra hatte den Verdacht, dass die beiden ihr nach wie vor viele Dinge verschwiegen, obwohl sie versprochen hatten, ganz offen zu ihr zu sein.

Vielleicht stelle ich die falschen Fragen.

„Weil die Vaganten nicht davor zurückschrecken, Personen, die ihre Pläne gefährden, aus dem Weg zu räumen.“ Der warnende Blick, den Christopher ihrem Mentor zuwarf, entging Keyra nicht.

Macht er sich konkrete Sorgen um mich?

„Das habe ich ja mitbekommen“, sagte sie. „Dieser Vagant, dem ich in Rüdigheim begegnet bin, hatte kein Problem damit, mich sterben zu lassen. Und Lippes erschien mir auch nicht sehr vertrauenswürdig.“

Leo schürzte die Lippen. „Die Vaganten wissen jedenfalls genau, was sie tun. Sie sind immer perfekt vorbereitet, fallen kaum auf – es ist für einen Zeitwächter äußerst schwer, sie zu erkennen, wenn er nicht schon mal mit dem betreffenden Vaganten zu tun hatte.“

„Soll das eine Anspielung auf meine mangelhafte Ausbildung sein?“, fragte Keyra spitz.

„Natürlich nicht.“ Christopher hob begütigend die Hände. „Und ich weiß, dass Sie zusammen mit Leo hart daran arbeiten, die Defizite aufzuarbeiten …“

Keyra schnappte nach Luft. „Defizite?“

„Du kannst nicht leugnen, dass du welche hast. Eigentlich beginnt die Ausbildung zu einer Zeitwächterin viel früher“, warf Leo ein.

Christopher nickte. „Ihre Mutter Paula zum Beispiel wurde bereits mit zehn Jahren in Geschichte, Kampfkunst, Strategie und Politik unterwiesen, auch wenn sie ihre erste Zeitreise erst viel später antrat. Das sind Jahre, die Ihnen fehlen.“

„Dafür kann ich nichts, daran ist der Orden selbst schuld.“ Keyra verschränkte abwehrend die Arme vor der Brust. „Ich wusste schließlich von dem ganzen Kram überhaupt nichts.“

„Das ist uns bewusst.“ Mit einem Seufzen fuhr sich Christopher durch die langen blonden Haare. „Wir sind zu dem Fehlschluss gekommen, dass Sie die Gabe nicht besitzen, weil Ihr Vater das Blut nicht hat.“

Das Blut – ihr klingt wie eine verdammte Vampirsekte.

„So etwas hat meine Großmutter auch gesagt, bevor sie den Zusammenbruch hatte. Was ist damit gemeint?“

Ein leicht verschämtes Lächeln umspielte Christophers Lippen. „Es ist etwas altmodisch ausgedrückt. Heutzutage würde man vielleicht sagen, dass jemand bestimmte genetische Bedingungen erfüllen muss, damit ihm Zeitreisen möglich sind.“

Keyras Augen wurden groß. „Ein besonderes Gen? Es wird also vererbt?“

„Davon gehen wir aus.“

„Deswegen waren meine Mutter und meine Großmutter Zeitwächterinnen – und ihre Vorfahren wahrscheinlich auch.“

„Genau. Stammt ein Elternteil nicht aus dem Orden, sinkt die Wahrscheinlichkeit, dass dieses Gen weitergegeben wird.“

Keyra knabberte an ihrer Unterlippe. „Wenn das bereits über Jahrhunderte so geht, klingt das für mich nach Inzest.“

Leo zuckte erschrocken zusammen. „Um Gottes willen, so schlimm ist es nicht! Erstens ist der Orden groß und zweitens haben Zeitwächter immer wieder außerhalb des Ordens geheiratet und Kinder bekommen. Manchmal überspringt die Gabe dann einfach eine Generation.“

„Und das habt ihr bei mir vermutet.“

„Völlig richtig. Tatsächlich stammen die Zeitwächter alle in einer Linie voneinander ab“, sagte Christopher.

„Wo wir gerade beim Thema sind: Wie viele andere Zeitwächter gibt es eigentlich?“ Das war eine Frage, die Keyra erst vor Kurzem in den Sinn gekommen war.

Wenn es mehrere Vaganten gibt, muss es doch auch mehrere Zeitwächter geben – oder nicht?

Peinlich berührt wechselten Leo und Christopher einen Blick. „Nun, um ehrlich zu sein, sind Sie im Moment die einzige Zeitwächterin, die wir haben.“

Keyra war, als stürze ihr ein Stein in den Magen. „Die einzige?“

„Leider ja. Deswegen ist Ihre Aufgabe so wichtig.“ Christopher hüstelte. „Der Orden hatte die Hoffnung bereits aufgegeben, den Vaganten etwas entgegensetzen zu können, nach dem … was Ihrer Mutter zugestoßen ist. In den vergangenen Jahren hatten die Vaganten leichtes Spiel. Doch dann stellte sich heraus, dass Sie doch reisen können, Keyra. Sie sind momentan die einzige, die sich den Vaganten entgegenstellen kann.“

Gut, dass ihr mich so gar nicht unter Druck setzt!

Keyras Mund war plötzlich so trocken wie Pergamentpapier. Sie griff nach dem Wasserglas, das Christopher ihr auf den Tisch gestellt hatte, und trank in großen Schlucken.

„Und deswegen musst du auf dich aufpassen“, sagte Leo ernst. „Die Vaganten sind nicht nur sehr gut ausgebildet, sie sind ebenso gut ausgestattet …“

„Was mich zu einer Frage bringt, die mich schon lange beschäftigt“, unterbrach Keyra. Sie hatte genug von all der Verantwortung, die mit einem Mal auf ihr lastete, und wollte von etwas anderem reden. „Wer zieht mich eigentlich um?“

In Leos und Christophers Mienen spiegelte sich die gleiche Mischung aus Verblüffung und Unverständnis. Es sah unglaublich komisch aus.

Keyra zog die Augenbrauen hoch. „Ich meine, wenn ich in der Vergangenheit ankomme, bin ich immer perfekt für die jeweilige Zeit gekleidet. Und ich habe oft Dinge dabei, die ich brauchen kann, wie den Brief an den Prokurator oder den Schlüsselbund von Clara in Bad Orb. Wie kommt das?“

Leo stand auf. „Komm mit, ich zeige es dir.“

„Der Hammer!“ Keyra drehte sich mit offenem Mund in dem großen Raum, der bis unter die Decke mit Kleidung aus sämtlichen Zeitepochen vollgestopft war: Mäntel, bauschige Kleider, Gehröcke, Hosen, Hüte, mittelalterliche Gewandungen – sogar eine Ritterrüstung stand in einer Ecke. Der „Fundus“, wie Leo den Raum bezeichnet hatte, war für jede Zeitreise gerüstet. Sie entdeckte ihr Pilgergewand und das Kleid, das sie bei ihrer allerersten Zeitreise getragen und in dem sie nach eigenem Empfinden wie eine Eieruhr ausgesehen hatte. „Wer näht denn all diese Kostüme?“

Leo schnaubte abfällig. „Das sind doch keine Kostüme. Das sind alles Originale. Im einen oder anderen Fall etwas angepasst, aber sonst nicht verändert.“

„Krass. Und wer besorgt diese Kleidung?“

„Wenn Sie sich vorstellen, dass wir hier Zeitreisende haben, die in den unterschiedlichen Jahrhunderten shoppen gehen, liegen Sie falsch.“ Vorsichtig strich Christopher, der die beiden begleitet hatte, über den bestickten Stoff eines Renaissancekleides. „Das Ganze ist etwas komplexer. Wie Sie wissen, gibt es den Orden bereits seit vielen Jahrhunderten. Das heißt, in jeder Zeit gibt es Verbündete von uns, die uns mit dem versorgen können, was wir brauchen.“ Christopher wies auf einen einfachen Schrank aus unbehandeltem Holz, der an der Wand stand. Mit dem fachkundigen Auge einer unfreiwillig angelernten Restauratorin – Rory Kelly hatte seiner Tochter in den vergangenen Jahren bereits einiges beigebracht – erkannte Keyra, dass es sich um eine Antiquität handelte. „Wir nutzen diesen Schrank, der mit Tempus-Energie geladen ist.“

„Er ist seit Ewigkeiten im Besitz des Ordens“, sagte Leo. „Mit ihm kann man Gegenstände durch die Zeit schicken.“

„Das heißt, wenn ihr ein bestimmtes Kleidungsstück oder sonst ein Requisit braucht, bestellt ihr das bei diesem Schrank und es wird geliefert?“, fragte Keyra ungläubig. „Wie eine Margherita beim Pizza-Service?“

Christopher lachte laut auf, doch Leo blickte säuerlich. „So ähnlich. Allerdings nutzt uns die ‚Bestellung‘ zunächst nichts. Wie du weißt, kann der Zeitwächter …“

„Momentan die Zeitwächterin, wie es aussieht“, korrigierte Keyra süffisant lächelnd.

„… kann die Zeitwächterin nicht beeinflussen, wann und in welche Zeit sie reist“, fuhr Leo unbeeindruckt fort. „Also bringt es gar nichts, das Kostüm hierher zu bringen. Ich habe dir bereits erzählt, dass ich als dein Mentor die Zeit während deiner Reise in einer Art Zeitblase verbringe. Von dort aus kommuniziere ich nicht nur mit dir über dein Wächterbuch. Ich recherchiere zudem und veranlasse zum Beispiel über einen Befehl in meinem Mentorenbuch, dass die passenden Kleidungsstücke und Requisiten für die jeweilige Zeit ins Portal transferiert werden – das geschieht ebenfalls mit dem Schrank, jemand im Orden muss die Anweisung ausführen, die er von mir erhält. Beim Durchschreiten des Portals wirst du automatisch eingekleidet, und bei der Rückreise erhältst du deine eigene Kleidung zurück.“

„Und solche Sachen wie der Brief des Präzeptors beim letzten Mal?“

„Werden hier extra angefertigt – eine sehr gute Fälschung in diesem Fall.“

„Das klingt sehr kompliziert“, meinte Keyra.

„Es funktioniert seit Jahrhunderten bestens.“

Nachdenklich kratzte Keyra mit dem Fingernagel über einen Zylinder, der auf einer Kommode lag. „Aber wenn du in der Zeitblase den Befehl gibst, bin ich doch schon längst in der jeweiligen Zeit angekommen und trage die Kleidung bereits.“

„Da Leo die Kleidung zu einem beliebigen Ort in der Zeit senden kann, ist das kein Problem“, meinte Christopher. „Sie denken …“

„… zu linear“, beendete Keyra den Satz. Sie winkte ab. „Das habe ich bereits häufiger gehört. Macht es aber nicht unkomplizierter.“

„Keiner hat je behauptet, dass Zeitreisen unkompliziert seien.“ Christopher sah Keyra ernst in die Augen. „Was der Orden hier tut, ist in vielen Dingen unerforscht, komplex und selbst mit modernen wissenschaftlichen Ansätzen nicht nachvollziehbar. Wir stochern oft im Nebel. Früher hat man die Dinge einfach hingenommen, nicht hinterfragt und als magisch akzeptiert. Das reicht uns heute nicht mehr. Aber es ist in all den Jahrhunderten zu viel Wissen verloren gegangen, um das, was hier geschieht, restlos zu erklären. Im Erdgeschoss gibt es eine Forschungsabteilung, die sich einzig und allein damit beschäftigt, wie die Schlüssel funktionieren, aber es bleibt alles sehr rätselhaft. Maria Prophetissa hatte Zugang zu Wissen – und vielleicht zu Material –, den wir nicht haben.“

Dass es in dem alten Antonitergebäude eine moderne Forschungsabteilung geben sollte, erstaunte Keyra – ihr war das Ordenshaus recht leer vorgekommen, als sie zu Christophers Büro gegangen waren. „Warum reist man nicht einfach ins alte Ägypten und fragt Maria selbst, was eigentlich Sache ist?“

„Die Frage kannst du dir selbst beantworten, oder?“ Leo seufzte. „Es sind nicht wir, die entscheiden, wohin die Reise geht. Die Schlüssel agieren autark, als hätten sie einen eigenen Willen. Noch eines der ungeklärten Rätsel.“

„Solange wir nicht mehr wissen, bleibt uns nichts anderes übrig, als weiterhin dorthin zu gehen, wohin uns die Schlüssel senden, und das Schlimmste zu verhindern“, sagte Christopher.

Seine Worte machten Keyra wütend. „Sie meinen, es bleibt mir nichts anderes übrig. Ich bin doch schließlich die Auserwählte, die ihren Kopf hinhalten muss, oder?“

Ein paar Augenblicke herrschte unbehagliches Schweigen.

„So ist es wohl“, sagte Christopher schließlich. „Glauben Sie mir, Keyra, es wäre mir als Schlüsselhüter lieber, wenn wir außer Ihnen noch andere Wächter hätten, die wir losschicken könnten. Aber das haben wir leider nicht.“

„Sie können mir doch nicht einfach so diese Verantwortung aufdrücken! Ich bin erst 17, ich habe genug mit der Schule und meinem Vater am Hals.“ Keyra presste die Lippen zu einem Strich zusammen.

„Das weiß ich.“ Christopher rieb sich mit Daumen und Zeigefinger die Nasenwurzel. „Ich glaube, für heute waren es genug Informationen. Die müssen Sie erst einmal verdauen, Keyra. Wir reden ein anderes Mal weiter.“ Er nickte Leo zu. „Fahr sie nach Hause, Leopold.“

Er reichte der verdatterten Keyra die Hand. „Es war schön, Sie kennenzulernen. Wir werden uns ganz gewiss häufiger sehen.“ Damit verschwand der Schlüsselhüter des Ordens der Zeitwächter durch die schwere Holztür. Keyra blieb ziemlich sauer mit ihrem Mentor zwischen der Garderobe zahlreicher Schlüsselwächter-Generationen zurück.

2. Diskussionen

Die Heimfahrt verlief größtenteils schweigend. Keyra war angefressen, weil Leo ihr nicht zur Seite gestanden hatte; sie fühlte sich von ihm und Christopher gleichermaßen in die Ecke gedrängt.

„Wann kommst du morgen zum Training?“, fragte Leo schließlich, als sie nach Neuberg einfuhren, wo Keyra zusammen mit ihrem Vater wohnte.

„Gar nicht.“ Keyra blähte patzig die Nasenflügel und spitzte den Mund. „Morgen ist Samstag, und ich habe etwas vor.“

Leo seufzte genervt. „Ich weiß, dass du wütend bist. Aber dein Training zu vernachlässigen, ist eine ziemlich kindische Reaktion.“

„Ich habe morgen wirklich keine Zeit. Ich muss für die Mathearbeit lernen und einen Aufsatz fertig schreiben. Mein Vater will mit mir morgen Nachmittag einkaufen gehen, weil ich neue Schuhe brauche. Und abends bin ich zu einer Party eingeladen.“

Leo hielt den Wagen auf der Straße am Säuplatz an und trat für Keyras Geschmack etwas zu heftig auf die Bremse. „Party machen ist dir also wichtiger als deine Bestimmung“, sagte er gepresst.

Keyra rollte mit den Augen. „Meine Bestimmung? Wird ja immer besser! Noch entscheide ich selbst über mein Leben. Na gut, der Schlüssel bestimmt manchmal, wohin ich gehe. Aber weder du noch Christopher oder sonst jemand aus dem Orden haben das Recht, mir vorzuschreiben, was ich wann zu machen habe.“ Sie griff nach dem Türöffner. „Ich gehe auf diese Party, weil ich mich seit Tagen darauf freue. Vielleicht klappt es am Sonntag mit dem Training – nach unserem Schulfest.“ Sie stieg aus und wollte die Tür zuschlagen, als ihr etwas einfiel. „Mein Roller! Der steht an der Schule!“

„Mist. Den haben wir vergessen.“ Leo sah schuldbewusst aus. „Ich kümmere mich darum, ich hole ihn ab.“

Keyra zog die Augenbrauen hoch und deutete auf den Alfa Romeo. „Mit dem hier?“

„Quatsch. Ich mach das schon. Und Keyra …“ Er sah sie ernst an. „Ich weiß, dass du dich überfahren fühlst und denkst, dass du vollkommen fremdbestimmt wirst. Aber du musst verstehen, wie wichtig das ist, was wir tun – was du tust. Klar brauchst du Freiräume, und wenn morgen so ein Tag ist, sollst du ihn haben. Aber vergiss deine Pflichten nicht.“

Keyra schlug die Tür zu. „Wie könnte ich jemals meine Pflichten vergessen, wo ich doch ständig von irgendwem daran erinnert werde?“ Sie drehte sich brüsk um und ging zur Tür, ohne sich umzusehen. Als sie den Motor des Alfa Romeo aufheulen und das Auto davonfahren hörte, tat es ihr schon wieder leid, dass sie Leos offensichtliches Friedensangebot so schroff abgewiesen hatte. Sie kannte ihren Mentor mittlerweile etwas besser und ahnte, dass es ihn einige Überwindung gekostet haben musste.

Den restlichen Tag verbrachte Keyra damit, an ihrem Aufsatz zu arbeiten. Abends streamte sie einen Film und bestellte sich Pizza – ihr Vater war mal wieder länger arbeiten. Er hatte eine neue Restaurationsarbeit an irgendeinem Schloss im Vogelsberg übernommen, die ihn beschäftigte. Als sie gegen halb elf ins Bett ging, war er immer noch nicht da.

Allerdings traf sie ihn am nächsten Morgen am Frühstückstisch. Er war gut gelaunt und hatte Eier gemacht – ein sicheres Zeichen dafür, dass er an diesem Tag nichts Berufliches zu tun hatte.

„Good Morning, Dear“, begrüßte er sie.

Obwohl er seit vielen Jahren in Deutschland lebte, war Rory Kelly ein waschechter Ire, und hin und wieder verfiel er in seine Muttersprache. Früher hatte er sehr darauf geachtet, mit Keyra Deutsch zu reden; er wollte, dass sie in der Schule keine Probleme bekäme, wie es bei anderen zweisprachigen Kindern vorkam – Stichwort Sprachverwirrung. Seitdem sie in der Schule Englisch hatte, sah er das jedoch nicht mehr so eng. Zumal Keyra sowohl in Deutsch als auch in Englisch sehr gute Noten hatte, was man von den Naturwissenschaften nicht gerade behaupten konnte.

„Hallo, Paps.“ Sie gab ihm einen Kuss auf die Wange, auf der rote Stoppeln sprossen. „Du denkst daran, dass wir nachher Schuhe kaufen gehen? Meine Sneakers sind total durchgelatscht. Und neue Jeans könnte ich ebenfalls gebrauchen.“

Rory verzog das Gesicht. Er hasste einkaufen. „Kann ich dir nicht einfach Geld geben und du fährst alleine?“, fragte er hoffnungsvoll.

„Würde ich theoretisch machen“, sagte Keyra, obwohl sie enttäuscht war, dass ihr Vater keine Zeit mir ihr verbringen wollte. „Aber du musst mich fahren.“

Rory, der gerade sein Ei aufschlug, sah alarmiert auf. „Wieso? Was ist mit deinem Roller?“

„Der … ist übers Wochenende in der Werkstatt. Es hat so komisch im Motorraum geklappert.“ Keyra schwindelte ihren Vater nicht gerne an. Aber wenn er hörte, dass sie ihren Roller an der Schule vergessen hatte, um mit einem jungen Mann im Alfa Romeo Giulietta Spider nach Frankfurt zu brausen, hätte das unvermeidbar Diskussionen nach sich gezogen.

Rory seufzte. „Oh je, das wird teuer.“

„Glaub ich nicht.“ Keyra schüttelte den Kopf, und eine Strähne ihres dicken roten Haares rutschte aus ihrem Haarband. „Ein Schulkollege von mir hat ihn mit in die Werkstatt seines Onkels genommen, der schaut kostenlos nach.“

„Aha. Ihr jungen Leute habt es wirklich drauf mit dem Networking, was? Also schön, ich fahr dich nachher nach Hanau zum Einkaufen, und wenn es sein muss, gehe ich mit.“ Sein Gesicht hellte sich auf. „Wir könnten Sushi essen gehen!“

„Super! Um sechs muss ich aber zu Hause sein. Ich muss mich fertig machen, um sieben holt mich Lou ab.“

„Wo geht‘s hin?“

„Zu einer Party.“

Rory, der in seinen Toast beißen wollte, hielt inne. „Mit Jungs?“

Keyra atmete tief durch. „Da der ganze Jahrgang eingeladen ist, schätze ich: ja.“

„Hmpf.“ Rory beschränkte seinen Kommentar darauf, aber er legte so viel Missbilligung in diesen Laut, dass Keyra grinsen musste.

„Keine Sorge, ich bin brav. Und Lou ist auch da.“ Allerdings hoffte Keyra, dass noch jemand anderes da sein würde: Ben. Der attraktive Ben, der sich seit einiger Zeit für sie zu interessieren schien. Und eine Party war der ideale Ort, um endlich einmal ungestört ins Gespräch zu kommen, hoffte Keyra.