Schlüssel der Zeit - Band 5: Antoniusfeuer - Tanja Bruske - E-Book

Schlüssel der Zeit - Band 5: Antoniusfeuer E-Book

Tanja Bruske

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Beschreibung

Endlich soll Keyra mehr über den geheimnisvollen Orden der Zeitwächter und ihre Bestimmung erfahren – da entführt sie der Schlüssel der Zeit ins Jahr 1502 nach Roßdorf. In einem Kloster, das seine Bedeutung zu verlieren droht, bekommt sie es mit einem gefährlichen Gegner zu tun: einer tödlichen Seuche namens "Antoniusfeuer". Sie muss herausfinden, was diese Krankheit auslöst. Viele Leben hängen davon ab, auch das eines jungen Malers namens Mathis. Doch das Schicksal arbeitet gegen Keyra – oder ist es doch jemand anderes? Band 1 "Der Ruf der Schlösser", Band 2 "Der Hexer von Bergheim", Band 3 "Das Geheimnis der Kommende" und Band 4 "Der Fuchs und der Räuber" der Serie "Schlüssel der Zeit" liegen ebenfalls als E-Books bei mainbook vor sowie der Taschenbuch-Sammelband mit den Bänden 1-3 (ISBN9783947612482). Die Serie wird fortgesetzt.

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Seitenzahl: 167

Veröffentlichungsjahr: 2020

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Schlüssel der Zeit 5: Antoniusfeuer

Endlich soll Keyra mehr über den geheimnisvollen Orden der Zeitwächter und ihre Bestimmung erfahren – da entführt sie der Schlüssel der Zeit ins Jahr 1502 nach Roßdorf. In einem Kloster, das seine Bedeutung zu verlieren droht, bekommt sie es mit einem gefährlichen Gegner zu tun: einer tödlichen Seuche namens „Antoniusfeuer“. Sie muss herausfinden, was diese Krankheit auslöst. Viele Leben hängen davon ab, auch das eines jungen Malers namens Mathis. Doch das Schicksal arbeitet gegen Keyra – oder ist es doch jemand anderes?

Band 1 „Der Ruf der Schlösser“, Band 2 „Der Hexer von Bergheim“, Band 3 „Das Geheimnis der Kommende“ und Band 4 „Der Fuchs und der Räuber“ der Serie „Schlüssel der Zeit“ liegen ebenfalls als E-Books bei mainbook vor sowie die Bände 1,2 und 3 als Taschenbuch-Sammelband.

Die Serie wird fortgesetzt.

Die Autorin:

2007 legt Tanja Bruske ihren ersten Fantasy-Roman »Das ewige Lied« (neu aufgelegt bei mainbook) vor, mit dem sie den Wettbewerb des Radiosenders FFH »Hessens verheißungsvollstes Manuskript« gewinnt. Ab Juni 2013 erscheint ihre Kinzigtal-Trilogie bei mainbook: »Leuchte«, »Tod am Teufelsloch« und der Abschlussband 2017 »Fratzenstein«. Im September 2018 gewinnt Tanja Bruske mit ihrer Novelle »Der Henker und die Hexe« in Österreich den Titel »Stadtschreiberin von Eggenburg 2018«. Die Novelle wird demnächst in einer Geschichtensammlung veröffentlicht.

Seit 2014 schreibt Tanja Bruske zudem unter dem Pseudonym Lucy Guth für verschiedene Serien des Bastei-Verlages, zB »Maddrax«, seit 2019 auch für »Perry Rhodan Neo«.

Tanja Bruske studierte Germanistik sowie Theater-, Film- und Medienwissenschaften an der Johann-Wolfgang-Goethe-Universität in Frankfurt und arbeitet heute als Redakteurin bei der GNZ. Sie wohnt im hessischen Hammersbach mit ihrem Mann und ihren zwei Kindern.

Mit »Schlüssel der Zeit« legt sie nun eine lokale Histo-Fantasy-Serie vor.

Aktuelles und Lese-Termine finden Sie auf www.tanjabruske.de

Tanja Bruske

Schlüssel der Zeit

-5-

Antoniusfeuer

Lokale Histo-Fantasy-Serie

eISBN 978-3-947612-94-9

Copyright © 2020 mainbook Verlag

Alle Rechte vorbehalten

Lektorat: Gerd Fischer

Layout: Olaf Tischer

Covermotive: © fotolia, milosluz + Reiner Erdt

Bildrechte Karte Kloster Roßdorf: Tanja Bruske

Besuchen Sie uns im Internet: www.mainbook.de

Inhalt

1. Antworten

2. Das Ordenshaus

3. Die Hebamme und der Ordensbruder

4. Der Procurator

5. Antoniterschweine

6. Märtyrer und Maler

7. Es brennt

8. Antoniuswein und Saint Vinage

9. Am Hölloch

10. Zweifel

11. Staying Alive

12. Antoniusbalsam

13. Zeitblasen

14. Rückfälle

15. Beweise

16. Der Ring

17. Überführt

18. Im Cellarium

19. Rückkehr

20. Der Feind

1. Antworten

Der Gong beendete den Unterricht für den Zwölfer-Leistungskurs Geschichte der Otto-Hahn-Schule. Die Schüler stießen ein kollektives Seufzen aus und packten ihre Sachen zusammen. Der Mai war heiß und hatte Hanau unter einer Glocke aus trockener Luft eingeschlossen, die nicht nur Keyras Konzentration beeinträchtigte. Selbst ihr Lehrer Sebastian Geiger hatte Mühe gehabt, sich auf den derzeit ziemlich eintönigen Stoff zu konzentrieren. Dabei legte Keyra seit einigen Wochen einen besonderen Lerneifer an den Tag. Seitdem sie wusste, dass sie eine Zeitwächterin war und ihr geheimnisvoller Kristallschlüssel sie jederzeit an jeden Ort in der Vergangenheit katapultieren konnte, saugte sie alles an Geschichtswissen auf, das ihr in die Finger kam.

„Du wirst ja eine richtige Streberin“, hatte ihre beste Freundin Lou neulich kommentiert, als sie in Keyras Zimmer einen Stapel Bücher über das Leben im Mittelalter, die Aufklärung, die Hexenverfolgung und die Politik des 19. Jahrhunderts entdeckt hatte. „Du weißt schon, dass wir bis zum Abi noch ein Jahr Zeit haben?“

Keyra zuckte mit den Schultern und meinte mit einem schiefen Grinsen: „Wer weiß, ob mir dieses Wissens nicht einmal das Leben rettet?“ Sie lachten, doch Keyra hatte einen faden Geschmack im Mund.

Heute allerdings verspürte sie wenig Lust auf schwere Lektüre und war froh, der Schule zu entfliehen.

„Kommst du heute Nachmittag mit zu den Steinheimer Seen?“, fragte Lou beim Hinausgehen.

„Ich würde gerne.“ Keyra seufzte. „Aber ich kann nicht. Ich muss trainieren.“

„Seit wann hast du denn so oft Taekwondo?“ Lou legte die Stirn in Falten.

„Ich bereite mich auf eine Prüfung vor.“ Keyra wurde rot, obwohl es nicht einmal eine Lüge war. Allerdings war es keine Teakwondo-Prüfung, für die sie trainierte. Von ihrem Mentor Leopold hatte sie erst vor Kurzem erfahren, dass sie bis zu ihrem 18. Geburtstag drei Prüfungen ablegen musste. Ziemlich sportlich, denn das war in knapp einem Jahr.

„Schade“, sagte eine Stimme dicht an ihrem Ohr. Keyra machte einen erschrockenen Satz zur Seite: Ben stand neben ihr und grinste. „Wäre bestimmt lustig gewesen, wenn du dabei wärst.“

„Ach, hm, ja, vielleicht, stimmt …“, stotterte Keyra.

Hinter Bens Rücken verdrehte Lou die Augen. Wie immer hatte Keyra in Bens Gegenwart Mühe, einen halbwegs vernünftigen Satz zu formulieren. Während sie zusammen an der Mensa vorbei über den Schulhof gingen, überlegte Keyra, ob sie das Training bei Leopold vielleicht schwänzen könnte, um doch mit an die Steinheimer Seen zu fahren. Eine Abkühlung täte ihr bestimmt gut. Schwimmen war in dem Naherholungsgebiet natürlich streng untersagt, aber man konnte auch lässig die Füße ins Wasser baumeln lassen.

„Was ist denn da los?“ Lou deutete auf eine kleine Menschenmenge, die sich vor dem Schulgelände gebildet hatte. Vor den Toren standen direkt neben der Fußgängerampel häufig nach der sechsten Stunde „Mama-Taxis“, die auf die jüngeren Schüler warteten – was im Übrigen genauso verboten war wie Schwimmen in den Steinheimer Seen. Aber jetzt war die achte Stunde herum und normalerweise weniger los. Außerdem ballte sich die Gruppe, die aus Schülern ihres Jahrganges bestand, an einer Stelle, sodass es höchstens um ein einziges Auto gehen konnte.

Neugierig gingen Keyra, Ben und Lou näher heran. Es war tatsächlich ein Auto, das die Aufmerksamkeit auf sich zog – aber was für eines. Ein knallrotes Cabrio, noch dazu ein Oldtimer.

„Wow, ein Alfa Romeo Giulietta Spider!“, sagte Ben bewundernd. „Was für ein Schmuckstück!“

„Du kennst dich mit Autos aus?“, fragte Keyra.

„Nur ein bisschen. Mein Vater hatte früher so ein Teil, aber er hat ihn gegen einen Tesla getauscht. Ist ja umweltfreundlicher.“

An den Umweltschutz dachte wahrscheinlich keiner der Schüler, die mit glänzenden Augen das Cabrio bewunderten.

Wem mag der wohl gehören?, dachte Keyra, während sie näher herangingen. Dann fiel ihr Blick auf den Fahrer und ihr Mund klappte auf.

„Leo!“, entfuhr es ihr überrascht. Ihr Mentor Leopold von Wachtberg, wie immer korrekt mit schwarzer Hose und weißem Hemd gekleidet, stieg aus und umrundete das Fahrzeug. Keyra konnte nicht ignorieren, dass die anderen Mädchen aus ihrem Jahrgang Leo bewundernde Blicke zuwarfen. Besonders Greta klimperte mit den Wimpern und warf auffordernd ihre Haare zurück.

„DAS ist Leo?“, fragte Lou neben ihr flüsternd. „Der sieht wirklich gut aus.“ Keyra musste ihr zustimmen: Wenn sie übersah, dass Leo sich kleidete, als sei er 65, war er durchaus attraktiv mit seinen schwarzen Locken und hellblauen Augen.

„Da bist du ja endlich, Keyra“, sagte er, was ein verwundertes Raunen rundum auslöste. Keyra war in ihrem Jahrgang nicht gerade als Vamp verschrien. Das Schönste in diesem Moment war Greta Strobl, die aussah, als hätte sie eine Kröte verschluckt. „Ich war mir nicht ganz sicher, wann dein Unterricht heute endet und ob der Geschichtskurs wegen der Hitze nicht vielleicht ausfällt. Deswegen warte ich hier bereits eine Weile.“

„Ach ja?“ Keyra war völlig perplex. Eigentlich hätte sie nicht überrascht sein sollen – der geheimnisvolle Orden war sehr gut über sie und ihre Familie informiert, sodass es wahrscheinlich ein Leichtes war, sich ihren Stundenplan zu beschaffen. Aber irgendwie gruselig war es trotzdem. „Ähm, warum?“

„Weil ich dich abholen will.“ Leo zog die Augenbrauen hoch. „Ich hab dir etwas versprochen, weißt du noch?“

Antworten! Er hat mir Antworten versprochen – wir fahren zu jemandem, der sie mir geben kann. Keyra nickte erfreut. „Ach so! Ja, dann lass uns gleich losfahren.“ Sie zögerte und wandte sich zu Lou und Ben um. „Sorry, das wird heute leider nichts …“

„Alles klar!“ Lou grinste vergnügt und schob Keyra zum Wagen, dessen Tür Leo galant aufhielt. „Viel Spaß, ihr zwei!“

Ben machte große Augen. Es kam wohl nicht oft vor, dass ihm ein Mädchen einen Korb gab. „Okay. Dann sehen wir uns wohl morgen auf Gretas Party?“, rief er. Leo warf ihm einen kritischen Seitenblick zu, den Ben offenbar nicht bemerkte.

Ach ja richtig, die Party von der Schnobl … Der ganze Jahrgang war eingeladen, da hatte Greta Keyra wohl oder übel auch auf die Gästeliste setzen müssen, vor allem weil Ben sich eingemischt hatte. Große Lust hatte Keyra nicht, zumal am Sonntag auch noch ein Schulfest war. Aber Ben würde auf der Party sein. Sie lächelte ihm zu und winkte. „Klar, bis dann!“

Als Leo sich ans Steuer setzte und den Motor aufheulen ließ – ein bisschen provokant, wie Keyra meinte – wichen die Schüler zurück.

„So ein Auto hätte ich dir gar nicht zugetraut“, sagte Keyra, während Leo den Wagen auf der Kastanienallee wendete und zurück Richtung Autobahn fuhr.

„Ein Erbstück meines Vaters. Manchmal denke ich, dass ich mir einen praktischeren Wagen zulegen sollte.“

„Mann, Leo – jetzt dachte ich, ich hätte deine geheime, wilde Seite entdeckt, und dann war es doch wieder nix.“ Keyra lachte. „Wo fahren wir denn hin?“

„Nach Frankfurt, in die Innenstadt.“

„Oh, puh. Das dauert eine Weile.“ Keyra machte es sich bequem. „Dann können wir uns ja schon ein bisschen unterhalten.“

Leo seufzte. „Wenn es sein muss. Aber eigentlich solltest du deine Antworten erst an unserem Ziel bekommen.“

„Komm, ein paar Sachen kannst du mir doch schon mal sagen. Zum Beispiel mein Wächterbuch.“ Keyra holte das ledergebundene Tagebuch hervor, das sie seit Wochen immer bei sich trug. Wenn ihre geheimnisvolle Aufgabe sie in die Vergangenheit verschlug, konnte es eine wertvolle Hilfe sein.

„Was weißt du bis jetzt darüber?“

Keyra verdrehte die Augen. „Also echt, ich habe bei dir immer das Gefühl, in einer Schulstunde zu sitzen. Na schön: Ich habe das Tagebuch von meiner Großmutter bekommen und ich vermute, dass es vorher meiner Mutter gehört hat.“

„Falsch.“ Leo schüttelte den Kopf. „Es gehörte deiner Großmutter. Das Wächterbuch deiner Mutter …“ Er zögerte ein paar Sekunden. „Ist nicht mehr da.“

Keyras Herz wurde schwer. „Ist es mit ihr verschwunden?“

„Ja, ich fürchte, so ist es.“

„Warum war es leer? Hat meine Großmutter es nie benutzt?“

„Doch, sogar sehr häufig, Aber die Seiten können gelöscht werden und sind dann wieder blank. Was weißt du außerdem?“

„Ich kann das Schloss daran mit meinem Schlüssel öffnen. Die Seiten leuchten wie ein E-Book-Reader, was in der Vergangenheit einerseits praktisch ist, wenn man keine Kerze zur Hand hat; andererseits, habe ich mir überlegt, könnte es mich auch ziemlich in die Bredouille bringen, wenn mich jemand dabei erwischt“, zählte Keyra auf. „Wenn ich ein rufendes Schloss ignoriere, das mich in die Vergangenheit bringen will, dann zieht mich das Wächterbuch durch die Zeit – ziemlich fies, finde ich übrigens.“

„Dieser Effekt war uns ebenfalls neu. Bislang hat aber kein Wächter einen Ruf ignoriert – du warst die Erste.“ Der Tadel in Leos Stimme war nicht zu überhören.

Keyra zog ungläubig die Augenbrauen nach oben. „Ist nicht wahr – das hat echt noch keiner gemacht? Alle springen brav los, sobald ein Schloss sie ruft?“

„Das ist nun mal die Bestimmung eines Zeitwächters.“

Das Cabrio bog auf die Autobahnauffahrt Richtung Frankfurt ein, und eine Weile wurde eine Unterhaltung ziemlich anstrengend, denn Keyra hätte gegen den Fahrtwind anschreien müssen. Also versuchte sie es gar nicht erst, sondern lehnte sich zurück und genoss die Fahrt. Erst als sie in Bergen-Enkheim wieder in den Stadtverkehr eintauchten, ergriff Leo wieder das Wort. „Also, was weißt du noch?“

„Sonst nicht mehr viel. Im Buch tauchen immer zwei Schriften auf, wenn ich etwas eintrage: meine eigene und eine andere, die, wie ich jetzt weiß, von dir stammt. Deine Einträge sind meistens Infos, die nach einer Weile wieder verschwinden. Warum ist das so?“

„Nun, ich schreibe nicht wirklich in dein Buch – ich schreibe in mein eigenes, das ein Gegenstück zu deinem ist. Was du siehst, ist eine Kopie von meinem Eintrag. Und ich sehe Kopien deiner Einträge.“

„Aber ich kann nichts selbst eintragen. Nur die Notizen in meiner Schrift, die so etwas wie Prophezeiungen sind, kann ich dauerhaft im Buch halten, indem ich sie nachzeichne. Aber erst, nachdem die Ereignisse eingetroffen sind.“

„Ja, das ist knifflig. Also erstens: Du kannst auch normale Einträge ins Buch machen. Dafür musst du vor dem Schreiben dreimal mit der flachen Hand über die Seite streichen, um die Sperre aufzuheben. Diese Einträge bekomme ich dann zu sehen, so wie du meine. Und was diese, wie du sagst, prophetischen Notizen angeht: Ich sehe diese Einträge in einer bestimmten Farbe leuchten und kann sie, wenn ich sie nachzeichne, ein paar Tage in der Zeit zurückschicken, bevor du sie einträgst. Also so, dass du sie siehst, bevor das entsprechende Ereignis eingetreten ist. Durch das nochmalige Nachzeichnen legst du fest, dass es ein Zeiteintrag ist, den ich in der Zeit zurückschicken muss.“

Keyra war verwirrt. „Aber das mache ich doch erst, wenn ich sie eigentlich schon geschrieben habe? Oder wie? Das ist verwirrend.“

„Das ist es.“ Leo kniff die Lippen zusammen. „Einige unserer Fachleute meinen, dass auf diese Weise ein Paradoxon verhindert werden soll, falls sich in der Zeit etwas ändert.“

„Und einmal ist die Schrift verschwunden, weil ich sie nicht nachgezeichnet habe.“

„Tatsächlich? Das ist seltsam. Welche Worte waren es?“

Keyra wollte antworten, stutzte jedoch. „Ich weiß es nicht mehr …“

„Dann hat es diesen Eintrag vielleicht nie gegeben. Oder etwas ist tatsächlich anders gelaufen und deine Erinnerung hat sich korrigiert. Ich kann es dir nicht beantworten.“

Keyra überlief eine Gänsehaut. „Krass. Wie funktioniert das?“

„Um ehrlich zu sein: keine Ahnung. Keiner weiß das. Es ist entweder eine Technik, die der unseren weit überlegen ist, oder es ist Magie.“ Leo grinste. „Übrigens werden weit fortgeschrittene Technologien von primitiven Kulturen oft als Magie angesehen.“

Während Leo den Wagen durch die Innenstadt lenkte, verdaute Keyra diese Informationen. Ist ja witzig, dass selbst der Orden nicht auf alles eine Antwort hat. Ich dachte, die hätten die ultimative Einsicht oder so.

„Aber die ersten Einträge kamen bereits, ehe wir beide uns kannten“, sagte sie zweifelnd.

„Denk nicht zu linear, schließlich bist du eine Zeitreisende“, sagte Leo. „Ich habe die Einträge natürlich später vorgenommen Du bist doch immer nur ein paar Sekunden weg, wie sollte ich in dieser kurzen Zeit so viele Informationen recherchieren und aufschreiben?“

Keyra stülpte die Unterlippe vor. „Das habe ich mich auch gefragt!“

„Auch das ist einer der Punkte, die schwierig zu beantworten sind. Sobald du eine Zeitreise antrittst, bekomme ich das mit. Und dann … wird es kompliziert.“

Keyra prustete. „Als ob hier etwas nicht kompliziert wäre.“ Dann stutzte sie. „Hey, wenn ich auch Einträge machen kann und wir unsere Einträge gegenseitig sehen können, dann müsste doch direkte Kommunikation miteinander möglich sein.“

Leo runzelte die Stirn. „Theoretisch ja. Das haben wir, glaube ich, nie versucht.“

Die beiden diskutierten diese neue Möglichkeit, bis Leo den Wagen in der Nähe der Zeil in der Töngesgasse vor einem imposanten Sandsteingebäude stoppte. Er griff an Keyras Knien vorbei in das Handschuhfach, holte eine verblichene, hellblaue Parkkarte hervor und warf sie auf das Armaturenbrett.

„Wir sind da.“

„Das ist es? Eindrucksvoll – was ist das für ein Gebäude?“

„Früher war es Teil eines Ordenshauses der Antoniter. Daher kommt der Name der Straße: Tönges leitet sich von Antonius ab.“ Leo stieg aus, und Keyra öffnete die Tür und schwang die Beine hinaus. Sie legte den Kopf in den Nacken und sah an der Fassade empor.

„Die meisten Gebäude sind abgerissen oder im zweiten Weltkrieg zerstört worden, aber dieses wurde erhalten.“ Leo half ihr beim Aussteigen, was Keyra gleichzeitig charmant und altmodisch vorkam. „Der Eingang befindet sich dort vorne.“

Keyra folgte ihm zu einer kleinen Sandsteintreppe, die zu einer massiven Holztür führte. Über der Tür prangte ein Zeichen, das Keyra bereits gesehen hatte: eine Schlange, die sich in den eigenen Schwanz biss. Darüber, bogenförmig, waren drei Worte eingemeißelt: Hen to pan.

Die Holztür öffnete sich knarrend, und ein breitschultriger Mann in einem eleganten Anzug kam heraus. Er hatte lange blonde Haare, die ihm auf die Schultern fielen, und freundliche braune Augen. „Da seid ihr endlich. Es war wohl viel Verkehr?“

Leopold nickte und drehte sich dann zu Keyra um. „Keyra, das ist Christopher Custos, der Schlüssel-Hüter.“

Der Mann reichte Keyra die Hand. „Herzlich willkommen, Keyra – Willkommen im Ordenshaus der Zeitwächter!“

2. Das Ordenshaus

Staunend sah Keyra sich um, während sie Leo und Christopher in eine Eingangshalle mit hohen Decken folgte. Die Decke war mit Stuck verziert, mehrere Säulen hatten wohl eher einen dekorativen als stützenden Zweck. Vier Türen gingen von der Halle ab, eine breite Freitreppe führte ins nächste Stockwerk.

„Kommen Sie, Keyra – ich darf Sie doch Keyra nennen?“ Christopher winkte ihr zu, ihm zu folgen. „Ich freue mich sehr, Sie endlich kennenzulernen.“

„Ich freue mich auch, hier zu sein.“ Keyra ging hinter Christopher die Treppe hinauf, Leo blieb dicht hinter ihr. „Ehrlich gesagt, habe ich geglaubt, der Orden interessiere sich nicht sonderlich für mich, bis Leo aufgetaucht ist.“

„Da haben Sie einen völlig falschen Eindruck bekommen.“ Sie erreichten den ersten Stock und standen in einem langen, geraden Gang. Er war weiß getüncht, und an den Wänden hingen zahlreiche Rahmen. Während sie weitergingen, betrachtete Keyra fasziniert die vielen Urkunden, Stammbäume, historische Dokumente und alte Karten. Christopher fuhr fort: „Ich muss zugeben, dass es eigentlich so war, dass wir von Ihrer Existenz nichts wussten, bis Ihre Großmutter Clara uns kontaktiert hat.“

„Das verstehe ich nicht. Es muss dem Orden doch bekannt gewesen sein, dass meine Mutter verheiratet war und ein Kind hatte.“

„Das war es. Ich will es Ihnen gerne erklären.“ Christopher hielt vor einer massiven Holztür an, öffnete sie und machte eine einladende Geste. „Hier ist mein Büro. Bitte, kommen Sie herein.“

Das Zimmer, das Keyra nun betrat, war eines der bemerkenswertesten, in denen sie je gewesen war. Ein riesiger Eichenschreibtisch dominierte den Raum von der Mitte aus. Die polierte Arbeitsfläche war über und über mit ledergebundenen Büchern, Folianten und losen Pergamentschriftstücken bedeckt, sodass der Laptop, der auf der Tischplatte stand, wie ein kleiner, aggressiver Eindringling aus der Moderne wirkte. Die Wände waren ausnahmslos mit Regalen zugestellt. In den meisten davon standen Bücher – nicht nur alte Exemplare, auch neuere Bände. Keyra erkannte geschichtliche Fachliteratur, physikalische Abhandlungen und klassische Romane.

Andere Regale waren mit merkwürdigen Apparaturen verschiedenster Zwecke gefüllt. Keyra erkannte unter anderem einen Sextanten, ein urtümliches Mikroskop, eine Laterna Magica, eine kleine Truhe und eine Porzellanpuppe in einem Biedermeierkleidchen. Vor einem zweiflügeligen Fenster stand ein Globus, der Keyra bis zur Brust reichte und in einem Holzgestell befestigte war. Von der Decke hingen ein hölzerner Käfig mit einem ausgestopften Vogel und das Modell von Leonardo da Vincis Flugmaschine. Über dem Schreibtisch war an der Decke die Schnitzerei der sich in den Schwanz beißenden Schlange in die Holzdecke eingelassen. Keyra kam sich vor wie in einem Antiquitätenladen.

„Setzt euch bitte“, sagte Christopher und wies auf zwei Ledersessel vor dem Schreibtisch. Er ging zu einem Teewagen und nahm eine Kanne und eine Tasse in die Hand. „Kann ich Ihnen einen Kaffee anbieten, Keyra?“

„Nein, danke, ich trinke keinen Kaffee“, sagte sie und ließ sich auf den angebotenen Sessel sinken. Der Sitzbezug knirschte, und sofort stieg ihr der Lederduft in die Nase. „Wenn Sie einfach ein Glas Wasser für mich hätten, Herr Custos?“

„Bitte, nennen Sie mich Christopher.“ Er schenkte aus einer Kristallkaraffe Wasser in ein schmales Glas ein, gab es Keyra, reichte Leo einen Kaffee und setzte sich schließlich selbst in einen Ledersessel hinter dem Schreibtisch. „Wir haben einiges zu besprechen.“

„Das stimmt. Verraten Sie mir, warum Sie von meiner Existenz nichts wussten?“

Christopher lachte leise. „Nun, wir wussten natürlich, dass Clara eine Enkelin hat. Aber wir sind davon ausgegangen, dass Ihnen die Gabe nicht vererbt wurde.“

„Die Gabe durch die Zeit zu reisen, meinen Sie?“ Keyra nippte an ihrem Wasser. „Wie kamen Sie darauf?“

„Normalerweise zeigt sich diese Gabe recht früh. Wir hatten allerdings nicht bedacht, dass Sie niemals Kontakt zu einem Schlüssel hatten, da ihre Mutter … nun ja, schon so lange verschwunden ist.“

Keyras Finger umklammerten das eiskalte Glas fester. Sie schwieg abwartend.

„Außerdem hatten Sie die Veranlagung nur von einer Seite geerbt. Wir waren deswegen sehr überrascht, von ihrer ersten, ungeplanten Reise zu hören.“